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Die Ursachenvermutung von Köln

Ges­tern hat ein Haus in Köln das getan, was Häu­ser nicht tun soll­ten, wozu sie aber doch immer mal wie­der nei­gen: Es ist ein­ge­stürzt. Über den Ver­such, das Gan­ze medi­al zu fea­turen, habe ich mich bereits in mei­nem Blog auf freitag.de aus­ge­las­sen.

Sta­tis­tisch gese­hen ist die zweit­häu­figs­te Beschäf­ti­gung von Häu­sern nach „Rum­ste­hen“ wohl „Ein­stür­zen“. Die Geschich­te, ja sogar die Lite­ra­tur­ge­schich­te ist voll von Mau­ern, Tür­men und Häu­sern, die ein­ge­stürzt sind. Meis­tens fand sich irgend­ein Grund, der nicht sel­ten recht banal war.

Ges­tern hat­te sich der Staub noch nicht gelegt, da mut­maß­ten die ers­ten Men­schen schon, es kön­ne ja eigent­lich nur am Bau der neu­en Köl­ner U‑Bahn-Linie lie­gen. Es war von Tages­brü­chen die Rede (die sich bis­her nicht bestä­tigt zu haben schei­nen) und von schie­fen Kirch­tür­men.

Nun ist die Geschich­te der Köl­ner Nord-Süd-Bahn tat­säch­lich eine Geschich­te vie­ler, vie­ler Zwi­schen­fäl­le, die die Fra­ge auf­kom­men las­sen, ob da eigent­lich vor­her mal jemand nach­ge­guckt hat, durch was für ein Erd­reich man die Tun­nel zu schla­gen gedenkt und ob das mög­li­cher­wei­se Fol­gen haben könn­te (Grund­was­ser, Ver­drän­gung, man kennt das ja).

Trotz­dem habe ich mit der sofor­ti­gen Schuld­zu­wei­sung so mei­ne Pro­ble­me, was dar­an lie­gen könn­te, dass ich einer Fami­lie ent­stam­me, die seit Gene­ra­tio­nen Land­schaf­ten unter­höhlt und Häu­ser baut. Mil­li­me­ter­brei­te Ris­se in den Wän­den kön­nen die Vor­bo­ten einer nahen­den Kata­stro­phe sein – oder mil­li­me­ter­brei­te Ris­se, die sich bis zur Wie­der­kehr Chris­ti kaum ver­än­dern. Hin­ter­her weiß man es immer genau.

Es ver­wun­dert, dass nie­mand (nicht ein­mal der auf­ge­kratz­te Mode­ra­tor bei n‑tv) die Fra­ge stell­te, ob ein Ter­ror­an­schlag aus­zu­schlie­ßen sei. Immer­hin gäbe es doch gute Grün­de, 2000 Jah­re Stadt­ge­schich­te einer erz­ka­tho­li­schen Stadt, in der im letz­ten Jahr ein Anti-Islam-Kon­gress statt­fin­den soll­te, ein­fach mal so eben weg­zu­pus­ten. Aber Ter­ro­ris­mus, das war die Welt A.O. (Ante Oba­ma), heut­zu­ta­ge hat die Bun­des­re­gie­rung ja ein viel wir­kungs­vol­le­res Schreck­ge­spenst gefun­den, um Grund­rech­te ein­zu­schrän­ken: Kin­der­por­no­gra­phie. Die hat auch den Vor­teil, dass man da nicht mehr mit „Kul­tu­ren“ und „Unter­drü­ckung“ argu­men­tie­ren muss und es selbst in lin­ken Krei­sen unüb­lich ist, damit auch nur heim­lich zu sym­pa­thi­sie­ren. Jeder, der die Ver­brei­tungs­we­ge von Kin­der­por­no­gra­phie nicht bru­talst­mög­lich ein­schrän­ken will, ist selbst ein hal­ber Kin­der­schän­der – sagt zumin­dest Ilse Falk, die ein­zi­ge Poli­ti­ke­rin der Welt, die sich auch heu­te noch traut, Geor­ge W. Bush zu zitie­ren.

Doch zurück zum Ter­ro­ris­mus, zurück zum U‑Bahn-Bau: Nach den Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 sei aus einem Volk von 80 Mil­lio­nen poten­ti­el­len Fuß­ball­bun­des­trai­nern eines von 80 Mil­lio­nen Islam- und Ter­ro­ris­mus­exper­ten gewor­den, hat der Kaba­ret­tist Vol­ker Pis­pers mal gesagt. Heu­te sind es ver­mut­lich 80 Mil­lio­nen Tun­nel­bau-Inge­nieu­re, die alle ganz genau wis­sen, war­um das schief gehen muss­te.

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Experten

Nun, da wir uns alle ein­mal über den Mann mit dem alber­nen Bart und dem unpas­sen­den Namen erregt haben und die­ser in einem offe­nen Brief an den Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land um Ent­schul­di­gung gebe­ten hat, kön­nen wir uns einer wich­ti­gen Fra­ge wid­men: Wer ist die­ser Hans-Wer­ner Sinn über­haupt?

Ver­mut­lich habe ich in den Nach­rich­ten schon hun­dert­fach von sei­nem Ifo-Insti­tut gehört und als ich in der Wiki­pe­dia vom Ifo-Geschäfts­kli­ma­in­dex las, klin­gel­te es tat­säch­lich. Aber davon mal ab: Wer ist die­ser Mann und was soll­te mich dazu brin­gen, sei­nen Aus­füh­run­gen (wenn sie nicht gera­de von ver­folg­ten Mana­gern han­deln) Glau­ben zu schen­ken?

Wenn ein Medi­um zei­gen will, was mit unse­rer Umwelt pas­siert oder wie man Ener­gie spa­ren kann, wer­den O‑Töne von Clau­dia Kem­fert her­an­ge­schafft, wenn’s etwas seriö­ser sein soll Mojib Latif. Tun Jugend­li­che irgend­wo das, was Jugend­li­che min­des­tens seit Kain und Abel tun, näm­lich zuschla­gen, steht das Tele­fon von Chris­ti­an Pfeif­fer nicht mehr still, und bis vor kur­zem konn­ten Sie sicher sein, Ihre Ernäh­rungs­tipps von Hade­mar Bank­ho­fer zu bekom­men – egal, wel­ches Medi­um Sie nutz­ten.

Braucht ein Jour­na­list ein State­ment zum The­ma Blogs oder Inter­net, wen­det er sich an Ste­fan Nig­ge­mei­er. Der darf auch beim The­ma „Medi­en all­ge­mein“ ran, aber nur, solan­ge sei­ne Mei­nung nicht der Linie des Jour­na­lis­ten zu wider­spre­chen droht – sonst ist Jo Groe­bel dran. Selbst im Fuß­ball, zu dem nun wirk­lich jeder Deut­sche eine Mei­nung hat, muss bei jeder Fern­seh­über­tra­gung ein Exper­te bereit­ste­hen und erklä­ren, was wir gera­de gese­hen, aber nur bedingt ver­stan­den haben. Und Hen­ryk M. Bro­der darf sei­ne Mei­nung sowie­so zu jedem The­ma ver­brei­ten.

Der ein­fa­che Bür­ger weiß ja gar nicht, wer die­se Men­schen sind, die ihm da immer als Exper­ten vor­ge­setzt wer­den. Woher kom­men sie, was haben sie gelernt, wel­che eige­nen Inter­es­sen ver­fol­gen sie gege­be­nen­falls? (Es soll ja gan­ze Talk­show-Run­den geben, die nur mit Mit­glie­dern der „Initia­ti­ve Neue Sozia­le Markt­wirt­schaft“ besetzt sind, einer Lob­by-Ver­ei­ni­gung des Arbeit­ge­ber­ver­ban­des Gesamt­me­tall.) Selbst von mög­li­cher­wei­se hono­ri­gen Pro­fes­so­ren kennt man nur ihre Drei-Satz-Erklä­run­gen aus dem Bou­le­vard­fern­se­hen („Explo­siv“, „Bri­sant“, „Anne Will“) und wenn man sie nur oft genug gese­hen hat, kann man sie sowie­so nicht mehr ertra­gen.

Dabei wäre es ja eigent­lich nur wün­schens­wert, wenn sich tat­säch­lich die ver­dien­tes­ten und klügs­ten Leu­te zu The­men äußern und nicht etwa Ronald Pofalla. Es gibt eher zu weni­ge Den­ker in der Öffent­lich­keit als zu vie­le. Die Zei­ten, in denen sich der Wei­ma­rer Hof mit den wei­ses­ten Her­ren der dama­li­gen Welt schmück­te, sind lan­ge vor­bei. Fach­leu­te wer­den von der Poli­tik zwar noch her­an­ge­karrt, aber sofort wie­der fal­len gelas­sen, wenn ihr Fach­wis­sen sich als unpo­pu­lär her­aus­stel­len könn­te. Fra­gen Sie mal Paul Kirch­hof, den „Pro­fes­sor aus Hei­del­berg“. (Es geht natür­lich noch per­fi­der: Hartz will heu­te ja nun wirk­lich nie­mand hei­ßen.)

Der Grund, war­um Medi­en die­se Exper­ten brau­chen, ist natür­lich klar: Zum einen braucht jedes The­ma ein Gesicht, wes­we­gen Hip-Hop ja auch aus­sieht wie Emi­nem und Indie­rock wie Pete Doh­erty. Zum ande­ren braucht man jeman­den, der Ahnung von einem The­ma hat, mit dem man sich gera­de zum ers­ten Mal beschäf­tigt: Wer mor­gens in der Redak­ti­ons­kon­fe­renz die Bekannt­ga­be des „Vogels des Jah­res“ aufs Auge gedrückt bekommt, kann nicht bis zur Abga­be noch eine Orni­tho­lo­gie-Stu­di­um abschlie­ßen.

Vor eini­ger Zeit behel­lig­te ich einen Geschichts­pro­fes­sor mit der Fra­ge, ob er mir für eine Repor­ta­ge (die immer noch zu schrei­ben ist) eini­ge Ein­stiegs­fra­gen beant­wor­ten kön­ne. Er teil­te mir höf­lich, aber bestimmt mit, dass Pro­fes­so­ren ent­ge­gen der weit­läu­fi­gen Annah­me von Jour­na­lis­ten kei­ne Aus­kunftei­en sei­en, für sol­che Zwe­cke gebe es Fach­li­te­ra­tur. Der Mann hat wis­sen­schaft­lich natür­lich voll­kom­men recht, aber kein Jour­na­list wird im Tages­ge­schäft mal eben ein, zwei, drei Fach­bü­cher lesen kön­nen – und der Pro­fes­sor hat sich frei­lich selbst um eine Kar­rie­re als viel­zi­tier­ter (weil unge­le­se­ner) Exper­te gebracht.

Mehr zum The­ma in die­sem Bei­trag von „Zapp“ aus dem letz­ten Jahr.

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Nichts Wissen macht nichts

Als im Früh­jahr 2000 die ers­te „Big Brother“-Staffel in Deutsch­land lief (die selt­sa­mer­wei­se nicht zum erwar­te­ten Unter­gang des Abend­lan­des führ­te), geis­ter­te für kur­ze Zeit eine Mel­dung durch die Medi­en, die auch die Men­schen erreich­te, die „Big Brot­her“ nie gese­hen hat­ten: Der Kan­di­dat Zlat­ko Trp­kov­ski1 hat­te nicht gewusst, wer Wil­liam Shake­speare war. Ich erin­ne­re mich dar­an, wie mei­ne Fami­lie sich beim Oster­kaf­fee­trin­ken dar­über echauf­fier­te: dass man sowas nicht wis­se, sei doch „beschä­mend“. Lei­der war ich nicht schlag­fer­tig oder Wil­lens genug, die der­art erhitz­ten Grals­hü­ter der Kul­tur zu einem Kurz­re­fe­rat über den bri­ti­schen Dich­ter­fürs­ten auf­zu­for­dern („Nur die wich­tigs­ten Lebens­da­ten und Wer­ke – und sag nicht ‚Romeo und Julia‘ und ‚Ham­let‘!“) – ich bin mir sicher, es wäre „beschä­mend“ gewor­den.

Das Argu­ment, mit dem die Kri­ti­ker von einem Auto­me­cha­ni­ker basa­le Lite­ra­tur­ken­nt­nis­se ein­for­dern woll­ten, ist das glei­che, mit dem man in Abitur­prü­fun­gen ange­hen­de Bank­kauf­leu­te zur Pho­to­syn­the­se befragt, Theo­lo­gen zur Sto­chas­tik und Medi­zi­ner zum Expres­sio­nis­mus: „All­ge­mein­bil­dung“.

Nun ist gegen eine ordent­li­che All­ge­mein­bil­dung an sich nichts ein­zu­wen­den: Es ist auch für Auto­me­cha­ni­ker, Tech­ni­ker des Kampf­mit­tel­räum­diens­tes und Super­markt­kas­sie­re­rin­nen nicht völ­lig aus­ge­schlos­sen, dass sie mal in Situa­tio­nen gera­ten, in denen es von Vor­teil sein kann, Wis­sen über den Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg, die Theo­rien eines Adam Smith oder die Fil­me Jean-Luc Godards ein­zu­streu­en. Aller­dings wird ihnen in 85% der Fäl­le Gün­ter Jauch oder einer sei­ner Klo­ne gegen­über­sit­zen und sie um die Ant­wort „A“, „B“, „C“ oder „D“ bit­ten – oder ein poten­ti­el­ler Chef, der sich gezwun­gen sieht, die Anzahl der Stel­len­be­wer­ber mas­siv zu dezi­mie­ren. Man stel­le sich im Gegen­zug mal den Auf­schrei vor, der durchs Land gin­ge, wenn ein Biblio­the­kar im Vor­stel­lungs­ge­spräch gefragt wür­de, ob er denn auch ein biss­chen Ahnung von Stark­strom­elek­trik hät­te.

All­ge­mein­bil­dung um der All­ge­mein­bil­dung Wil­len hilft nie­man­dem. Ob einem zum Namen Wil­liam Shake­speare jetzt „Romeo und Julia“ und „Ham­let“ ein­fal­len oder gar nichts, macht eigent­lich kei­nen Unter­schied. Wer sein Abitur macht, kann in der Prü­fung viel­leicht die wich­tigs­ten Daten des ers­ten Welt­kriegs run­ter­rat­tern, aber was außer einer aus­rei­chen­den Geschichts­no­te hat er davon, wenn er mit die­sen Daten nichts ver­bin­det und sie spä­tes­tens beim Begie­ßen des Abischnitts wie­der ver­ges­sen hat?

1999 ver­öf­fent­lich­te Diet­rich Schwa­nitz sein Buch „Bil­dung – Alles, was man wis­sen muss“, das sofort ein Best­sel­ler wur­de. Auch wenn der Unter­ti­tel iro­nisch gemeint war, durch­weht das Buch doch eine ober­leh­rer­haf­te Ein­stel­lung und ein mit­un­ter bedroh­li­cher Hang zur Ver­knap­pung. Wer sich bewusst einen Über­blick über Phi­lo­so­phie, Geschich­te und Lite­ra­tur ver­schaf­fen kann, kann natür­lich eben­so beru­higt zu Schwa­nitz grei­fen wie ein ober­fläch­lich natur­wis­sen­schaft­lich inter­es­sier­ter Leser zu Bill Bry­son oder jeder ande­re zur Wiki­pe­dia. Wen aber nichts der­glei­chen inter­es­siert, der wird auch mit noch so guten „Ein­füh­run­gen“ nichts anzu­fan­gen wis­sen.

Das „Recht auf Bil­dung“ ist kei­ne Pflicht. Zwar erleich­tert es die Ein­ord­nung gesell­schaft­li­cher Vor­gän­ge, wenn man mit den Gedan­ken von Kant, Hob­bes oder Les­sing ver­traut ist, die blo­ße Nen­nung von kate­go­ri­schem Impe­ra­tiv, „Levia­than“ und „Nathan der Wei­se“ hin­ge­gen ist nicht son­der­lich hilf­reich. Aber Halb­wis­sen ist mitt­ler­wei­le nicht nur gesell­schaft­lich akzep­tiert, son­dern wird gera­de­zu gefor­dert2. Fast jeder Radio­sen­der hat Call-in-Sen­dun­gen, in denen die Hörer erzäh­len sol­len, was sie von Mafia­mor­den in Deutsch­land oder der glo­ba­len Erwär­mung hal­ten. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass immer wie­der Men­schen mit nur unzu­rei­chen­der Kennt­nis der Sach­la­ge von diver­sen Medi­en als „Exper­te“ in die Öffent­lich­keit gezerrt wer­den und sich dort den Ruf rui­nie­ren.

1 Ich wuss­te ohne Nach­zu­schla­gen, wie man die­sen Namen schreibt.
2 Spre­chen Sie eine belie­bi­ge Per­son auf die The­men „Glo­ba­li­sie­rung“, „Islam“ oder „Online-Durch­su­chung“ an und ren­nen Sie schrei­end weg!