Kategorien
Unterwegs Gesellschaft

Niemand ist ein Berliner

Ich bin zurück in Bochum. Fast wäre das schief gegangen, da der ICE aus Berlin Richtung Ruhrgebiet aus zwei Zügen besteht, die in Hamm getrennt werden, und ich natürlich zunächst im falschen Zugteil saß. Ich war aber nicht der Einzige, den der Gleiswechsel und die veränderte Abfahrtzeit am Berliner Hauptbahnhof irritiert hatte: In Spandau rannten gleich drei Leute aus dem hinteren Teil nach vorne und zwei aus dem vorderen nach hinten. Obwohl ich Berlin als Stadt eigentlich nicht so mag, war es doch ein sehr schöner Aufenthalt. Ich habe lauter nette Leute getroffen und Kreuzberg ist nach vier dort verbrachten Abenden tief in meinem Herzen.

Irritiert hat mich der Umstand, dass es in Berlin Schulen und Spielplätze gibt, habe ich doch bis heute ausschließlich Menschen kennengelernt, die frühestens zum Studium nach Berlin gekommen sind. Die Vorstellung, es könnte Personen geben, die in Berlin geboren wurden, erscheint mir deshalb hochgradig abwegig. Andererseits fiele mir spontan auch niemand aus meinem Umfeld ein, der gebürtiger Bochumer wäre.

Was auch mal wieder überdeutlich wurde: Egal, wohin man kommt, man trifft immer jemanden, der eine persönliche Dinslaken-Geschichte hat. Christoph Schultheis war als Kind sogar schon mal da und erinnerte mich gleich an ein schon lange verdrängtes Dinslaken-Detail: Im zentralen Kreisverkehr zwischen Stadthalle und Supermarkt stand lange Jahre ein großer gelber Wegweiser, wie man ihn von Land- und Bundesstraßen kennt, der die Richtung und Entfernung nach Berlin angab. In Dinslaken, das damals noch nicht mal einen eigenen Autobahnanschluss hatte. Es sollte wohl ein Symbol sein, auf dass man die seinerzeit noch vorherrschende deutsche Teilung im Alltag nicht vergesse. Das Schild gewordene Weihnachtspaket an die Verwandten “drüben”.

Kategorien
Unterwegs

Nächtlicher Verkehr

Das Ruhrgebiet hat anderthalb Mal so viele Einwohner wie Berlin. Trotzdem hat die Stadt im Osten das bedeutend besser ausgebaute Nahverkehrssystem. Man könnte auch sagen: Berlin hat überhaupt ein Nahverkehrssystem.

Will man im Ruhrgebiet wochentags von einer Stadt in die nächste (was nicht sehr viel anders ist, als von einem Berliner Stadtteil in einen anderen fahren zu wollen), muss man nach 20 Uhr einfach hoffen, dass der Morgen bald anbricht. Auch die Wiederkehr Christi erscheint einem in diesem Moment ein klar definierter Zeitpunkt, verglichen mit der Abfahrt des nächsten Verkehrsmittels. Natürlich gibt es im Ruhrgebiet Fernzüge, die einen von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof bringen. Es gibt sogar S-Bahnen, Straßen- und U-Bahnen und Busse. Aber ihre Abfahrtszeiten, Richtungen und Wege erschließen sich mir nicht. Ich komme gerade von der Bochumer Innenstadt zu meinem Wohnheim – was vor allem daran liegt, dass die entsprechende U-Bahn-Linie gut sichtbar mitten durch die Stadt verläuft und nicht verfehlt werden kann.

Als ich letzte Woche vom Hauptbahnhof nach hause fahren wollte, erschien es mir für einen kurzen Moment bequemer, einen Bus zu nutzen. Eine halbe Stunde später stand der Bus an der Endhaltestelle im dörflichsten Stadtteil Bochums, kurz vor Beginn des Ennepe-Ruhr-Kreises. Es war Sonntag Abend und ich wollte eigentlich in mein Bett, nächtliche Sightseeing-Touren waren mir scheißegal.

Gestern war es noch einige Stunden später, als ich von Kreuzberg nach Steglitz wollte. In Bochum hätte ich ein Taxi nehmen müssen. (Es ist ja wohl der Traum eines jeden Mannes, einmal in seinem Leben auf eine Hauptverkehrsstraße zu treten und mit energischer Handbewegung ein gerade vorbeirauschendes Taxi anzuhalten. Im Idealfall, um sich hineinzuschwingen und dem Fahrer den Satz “Folgen Sie diesem Auto!” zuzurufen.) In Berlin wartete ich zehn Minuten auf den ersten Nachtbus, der mich zu einer etwas entlegenen U-Bahn-Station fuhr, wo ich weitere vier Minuten auf den zweiten Nachtbus wartete, der mich nach hause brachte.

Zwar hatte ich über eine Dreiviertelstunde vom Ausgangs- zum Zielort gebraucht, ich hatte aber auf dem Stadtplan auch eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Das Erstaunlichste aber: Ich war mit dem Schienenersatzverkehr bequemer und schneller gereist als mit den U-Bahnen, die mich an den Abenden zuvor aus Kreuzberg abtransportiert hatten.

Was in mir übrigens noch die finale Frage aufwirft, was stilvoller sei: Betrunken von Bier und Kilians-hörend durch die Nacht zu juckeln oder nach mehreren Gin Tonic mit Rihanna im Ohr?

Kategorien
Unterwegs

Wer den Personenschaden hat …

Gestern musste ich bekanntlich nach Berlin. Gestern war aber bekanntlich auch Lokführerstreik. Im Nachhinein muss ich sagen: Glücklicherweise.

Meine Reise wäre das unterhaltsamere Liveblog geworden, denn kaum erreichte ich den Bochumer Hauptbahnhof, hörte ich die Ansage: “Wegen eines Personenschadens im Raum Duisburg fährt der ICE nach Berlin heute nicht über Bochum!”

Kiefer runter, Puls auf 180, Schreikrämpfe.

Dann fragte ich bei einer leicht überforderten, trotzdem um Freundlichkeit bemühten, Bahn-Mitarbeiterin nach, wie ich denn jetzt mit meinem Zuggebundenen Spar-Ticket nach Berlin kommen solle. Sie kritzelte irgendwas auf mein Ticket und riet mir, die gleich einfahrende S-Bahn nach Dortmund zu nehmen und dort auf den ICE zu hoffen: “Entweder, Sie erwischen den über die Wupper umgeleiteten, den Sie gebucht hatten, noch oder Sie fahren mit dem von vor einer Stunde, der ist nämlich immer noch irgendwo unterwegs.” Das klang vertrauenserweckend.

Ich fuhr mit der großspurig als “vielleicht letzten Reisemöglichkeit nach Dortmund für ein paar Stunden” angekündigten S-Bahn nach Dortmund. Die Minuten zwischen Bochum-Langendreer-West, Dortmund-Oespel und Dortmund Hauptbahnhof zogen sich und ich wurde ruhiger und ruhiger. Offenbar hatte ich meinen persönlichen Tiefpunkt schon überwunden und befand mich schon in meiner Zen-Phase – das ging viel zu schnell.

In Dortmund war der von mir reservierte Zug natürlich schon weg, aber der davor war immer noch angekündigt. Es gab kostenlos Mineralwasser und Kaffee für die wenigen gestrandeten Fahrgäste – denn Dank des Lokführerstreiks waren so wenige Leute mit dem Zug unterwegs, dass der Personenunfall in Duisburg gar keine so schlimmen Auswirkungen auf den Regionalverkehr hatte. Das Chaos, das an einem normalen Tag mit doppelt so vielen Zügen und dreimal so vielen Reisenden entstanden wäre, hätte wohl biblische Ausmaße gehabt.

Der ICE nach Berlin fuhr mit stolzen zwei Stunden Verspätung ein (ich hing nur eine Stunde zurück), ich fand einen Sitzplatz, und als der Zug kurz vor Hannover wegen “spielender Kinder im Gleisbett” abermals halten musste, gab es beinahe Szenenapplaus der Reisenden.

Ich kam schließlich wohlbehalten in Berlin an und habe gestern schon jede Menge Multimediacontent vorbereitet, dessen Veröffentlichung sich aufgrund technischer Schwierigkeiten jedoch bis zu meiner Rückkehr nach Bochum verzögern wird. Aber ich kann versprechen behaupte einfach mal, dass es toll wird.

Toll war übrigens auch der Grund meiner Reise, die BILDblog-Lesung mit Charlotte Roche. Dazu später noch viel mehr, für den Moment verweise ich auf diese A(u)ktion.

Kategorien
Politik

Elite-Uni der Herzen

Tja, das war’s dann: Die Ruhr-Uni Bochum hat den Sprung zur Elite-Uni nicht geschafft. Einziges Trostpflaster: Die Humboldt-Universität Berlin ist auch nicht dabei. Und natürlich ist vorher bei uns an der Uni noch mal alles neu gestrichen worden, das ist ja auch schon mal was feines.

Vorhin dann in der Straßenbahn ein Gespräch mit einer Bochumer Bürgerin: “Is’ ja schade ums Geld, aber so ‘ne Elite-Uni passt doch ga nich innen Pott!” Stimmt natürlich auch.

Kategorien
Sport Leben

Wie Wetter gemacht wird

Heute ist es kalt. Das erfuhr ich im Supermarkt. Zwar würde ich persönlich 15°C Mitte Oktober als nicht wirklich kalt bezeichnen, aber es ist immerhin knappe zehn Grad kälter als am Wochenende.

Viel wichtiger ist aber, dass ich dort auch erfuhr, warum es jetzt kalt ist/wird: Das liegt daran, dass Bochum am Samstag gegen Bayern spielt. Auch in den letzten Jahren sei es da immer kalt gewesen, erklärte die Kassiererin der Frau am Bäckereitresen.

Wie das Spiel ausgehen wird, habe ich leider nicht erfahren.

Kategorien
Unterwegs

Lukas und die Lokomotivführer: Liveblog

Extreme Situationen erfordern extreme Mittel: Ich muss heute Abend in Dinslaken auf einer Hochzeit tanzen sein. Im Moment bin ich aber noch in Bochum. Zwischen mir und meinem Ziel steht also der Lokführerstreik der Gewerkschaft von dem Mann mit der Bata-Illic-Maske.

Und weil ich nun mal Bahnfahren muss, dachte ich mir, ich mache mir den Spaß und blogge drüber – live und … äh: live halt. Da ich kein blogfähiges Mobiltelefon habe, wird meine reizende Assistentin Kathrin meine (vermutlich irgendwann verzweifelten) Anrufe, SMSen und Rauchzeichen hier für mich niederschreiben.

Und jetzt geht’s los …

16:29: Bochum Hauptbahnhof: Es ist nicht sonderlich voll und die Anzeigentafel sieht auch normal aus. Die werden doch nicht etwa ohne mich streiken?

16:35: Sitze im fahrenden Regionalexpress nach Düsseldorf. Entweder kam der zu früh oder 59 Minuten zu spät.

16:46: Stehen seit einigen Minuten in Wattenscheid, weil uns “schon wieder” ein ICE überholt. Auf dem Gegengleis: Der Regionalexpress nach Minden. Entweder pünktlich oder eine volle Stunde zu spät.

16:55: Essen Hauptbahnhof: So sieht kein Freitagnachmittag-Feierabendverkehr aus, es sind kaum Leute unterwegs. Und wir fahren weiter.

17:11: Duisburg Hauptbahnhof: Hier fällt mehr aus, die wenigen Reisenden wirken lethargisch. Mein Regionalexpress nach Dinslaken ist mit 5 Minuten Verspätung angeschlagen. Seit wann gibts hier eigentlich Starbucks?

17:25: Mein neuer Freund bei Starbucks meinte eben, heute morgen sei der Laden voll mit Gestrandeten gewesen. Hoffentlich haben die da nicht auch schon ihren neuen Kollegen eingearbeitet… Mein Regionalexpress ist da und und auch nur 5 Minuten zu spät.

17:40: Schon in Oberhausen-Holten. Letzte Chance, mich aufzuhalten, liebe GDL!

17:46: Dinslaken Bahnhof. Da brauch ich ja länger für den Fußweg zu meinen Eltern als von Bochum hierhin. Was für eine Liveblog-Blamage!

18:16: Honey, I’m home! Ich, der ich bei jeder zweiten Bahnfahrt einen cholerischen Anfall kriege, dessen Züge grundsätzlich Verspätung haben, bin selten ruhiger und entspannter Zug gefahren. Wenn ein Streik der Lokführer so aussieht, können die meinetwegen jetzt jeden Tag streiken …

Kategorien
Leben

And now for something completely different

Okay, Schluss mit dem Blödsinn.

Ich war gestern mit zwei charmanten jungen Damen alkoholische Getränke vernichten, als ein junger Mann an unseren Tisch trat und einen Spruch aufsagte, dessen genauer Wortlaut mir leider nicht erinnerlich ist. Er sprach für sich und seinen Kameraden vor, der in der Außengastronomie selbiges tat, denn es handelte sich um Handwerker auf der Walz.

Da ich durchaus ein Freund solcher Traditionen bin, leistete ich meinen bescheidenen Beitrag zur Reisekasse der Beiden und fragte, wo sie denn so herkämen. Der Kollege stamme aus Berlin, erzählte mir der Geselle, er selbst aus dem Allgäu. Wie lange er denn schon unterwegs sei, wollte ich wissen. Beinahe drei Jahre, in zwei Monaten dürfe er wieder heim, entgegnete er und erzählte noch ein wenig von der besonderen Erfahrung, die man mache, und dem Neuen, das man kennenlerne.

Drei Jahre und ein Tag von zuhause weg, nur unterwegs mit dem, was man tragen kann, (vermutlich) fern von Internet und Mobiltelefon – das klingt nach einer harten Zeit, aber auch nach einem irgendwie romantischen Dasein. Ich habe beinahe Angst, dass das irgendwann eine Trendsportart für Manager mit Burn-Out-Syndrom wird, und dann in zwei Jahren bei “Polylux” landet.

Kategorien
Leben

Kalter Entzug

Erinnert sich noch einer an “Wie Bitte?!”, die “Verbrauchershow”, die in den Neunzigern auf RTL über fiese Praktiken halsabschneiderischer Firmen und unfähiger Behörden aufgeklärt haben? Ich hab’s immer gern gesehen, wenn Geert Müller-Gerbes und sein Team sich den Fällen in leicht überspitzter Darstellung angenommen haben. Fester Bestandteil einer jeden Sendung waren die “Drei mit den Mützen”, womit stets die Telekom gemeint war, die schon Mitte der Neunziger viele Gründe für Beschwerden lieferte. Und obwohl sich Fernsehprogramme und Kopfbedeckungen ändern: Eine neue Episode hätte auch ich beizusteuern.

Ich habe seit knapp vier Jahren einen schlichten Analog-Standardanschluss beim Rosa Riesen. Gehabt. Denn selbst wenn man den geringsten monatlichen Grundpreis auf drei Leute aufteilt, ist es doch irgendwann praktischer, sich einen neuen Handyvertrag zu erlauben. Folglich habe ich den Anschluss im Einverständnis aller Beteiligten gekündigt.

Die erste Reaktion auf meine Kündigung kam überraschend schnell: Bereits ein paar Tage später wies mich die Telekom in einem Schreiben darauf hin, dass die Kündigung eingegangen sei und alles weitere sowohl schriftlich als auch telefonisch geregelt werden solle, und zwar schon in der darauffolgenden Woche. Doch weder klingelte das Telefon noch der Postbote zweimal und so dachte ich mir auch nicht viel dabei, als ich am 1.10., also vor einer Woche, wie gewohnt das Telefon abhob und plötzlich nicht mehr telefonieren konnte. Ebenso bekam jeder, der uns erreichen wollte, nur eine Stimme vom Band zu hören, dass dieser Anschluss nicht mehr vergeben sei. Danke, liebe Telekom. Am Donnerstag hatte ich es dann auch schriftlich: Ein Schreiben datiert vom 2. Oktober teilte mir mit, dass mein Vertrag zum 26.9. beendet werde. Vielen Dank für diese zeitnahe Benachrichtigung.

Weil es “Wie Bitte?!” nicht mehr gibt, werfe ich mich jetzt mal in das Theo-West-Kostüm und verleihe der Telekom feierlich einen goldenen Pannenmann für ihre aufopferungsvolle Kundenbetreuung.

Kategorien
Unterwegs Kultur

Mannheim für Deutschland

Gestern noch las ich bei der Riesenmaschine von den 1925 vorgestellten Plänen Le Corbusiers, Paris abzureißen und geordnet neu aufzubauen. “Nun ja”, dachte ich, “typisch Moderne: Tolle Ideen, aber irgendwie dann doch so ein bisschen abgedreht.”

Heute wollte ich einen Besuch in Mülheim an der Ruhr tätigen. Ich war schon etliche Male in der Straße, in dem Haus gewesen, wo ich hinwollte. Zwar war ich noch nie selbst dorthin gefahren, aber ich hatte mir bei Google Maps eine genaue Wegbeschreibung ausgedruckt und hegte ein gewisses Grundvertrauen in meine eigenen Orientierungskünste.

Sie ahnen, wie mein Tag und dieser Text weitergehen: Welch groteske Selbstüberschätzung!

Einen Moment war ich unaufmerksam, war verwirrt, weil Google Maps einem Straßenwechsel anzeigt, wenn sich nur der Name ändert (was in Mülheim/Ruhr an jeder Ampel passiert), und schon fand ich mich bald am Hauptbahnhof, bald im strömenden Regen an einem entlegenen Golfplatz wieder. Ich zerfleischte die Schaumstoffummantelung des Lenkrads, stieß vielfarbige Flüche aus, versetzte meine Beifahrerin in Angst und Schrecken und suchte nur noch nach einem geeigneten Baum, vor den ich das Auto hätte steuern können – aber nicht mal den gab es.

Schließlich rief ich per Telefon um Hilfe und wurde von der Gastgeberin mit einem Follow-Me-Fahrzeug zum Ziel gelotst. Natürlich war ich mehrfach haarscharf an der richtigen Straße vorbeigefahren, hätte nur einmal links und sofort wieder rechts fahren müssen und wäre am Ziel gewesen. Aber die Kreuzung war so übersichtlich gewesen wie ein Verteilerkasten der Deutschen Telekom, überall waren Autos und die wenigen Straßenschilder, die mit dem menschlichen Auge überhaupt zu erkennen gewesen wären – von der Straße aus, aus einem sich bewegenden Fahrzeug -, waren mit Straßennamen beschriftet, die in meinem spärlichen Google-Ausdruck schlichtweg nicht vorkamen.

Und da dachte ich mir: Warum fahre ich eigentlich durch so grauenhaft verschlungene Städte, deren Stadtpläne einer Röntgenaufnahme des menschlichen Darms oder einer Rosinenschnecke nachempfunden zu sein scheinen? Dieses Land, insbesondere das Ruhrgebiet, ist doch im zweiten Weltkrieg zu erheblichen Teilen zerstört worden. Warum hat man Straßenzüge, die komplett in Schutt und Asche lagen, in ihrem jahrhundertealten Verlauf wieder aufgebaut? Warum hat nicht wenigstens ein weiser Architekt in dieser vielzitierten “Stunde Null” gesagt: “Wenn wir schon ganz neu anfangen müssen, könnten wir es ja vielleicht ein einziges Mal richtig machen!”? Warum ist Deutschland also heute kein flächendeckendes Mannheim, sondern diese Katastrophe von Oberhausen, Köln und eben Mülheim/Ruhr?

Da meldete sich mein architektonisches Fachwissen und erinnerte mich höflich an Rudolf Hillebrecht und seinen Wiederaufbau Hannovers, dem zunächst ein paar noch verbliebene Gebäude zum Opfer gefallen waren und der noch heute dafür sorgt, dass Hannover wie eine mit scharfem Messer filetierte Pizza in der Landschaft liegt. Und parallel bzw. zueinander orthogonal sind die Straßen dort trotzdem nicht.

Und so bleibt mir wohl als einzige Option der Umzug in die USA, wo die Siedler weiland jede einzelne Stadt mit der Reißschiene in die Landschaft gezimmert haben und wo man Wegbeschreibungen gleichsam als Vektoren (“drei Blocks nach Norden, zwei nach Osten”) angeben kann. In den USA hängen die Ampeln auch hinter den Kreuzungen, was es einem immerhin ermöglicht, sie vom Auto aus auch zu sehen, und man kann bei Rot rechts abbiegen. Allerdings sind zumindest die Innenstädte immer derart verstopft, dass mein Verbrauch an Lenkradummantelungen wohl einfach zu hoch wäre.

Kategorien
Leben

Wüster Service Deutschland

Gestern hab ich mal wieder eindrucksvoll festgestellt, wie in deutschen Supermärkten Service buchstabiert wird.

Supermarkt 1
Im Angebotsprospekt war eine Webcam für 14,99 Euro angezeigt, ich brauchte noch Brot und Aufschnitt, also ging ich in den nahegelegenen Supermarkt, suchte mir Webcam, Brot, zwei Tafeln Schokolade (zu 39 Cent im Angebot) und eine Packung Salami zusammen und ging zur Kasse. Nachdem die Kassiererin die Waren gescannt hatte, nannte sie mir die Endsumme und ich reichte ihr meine EC-Karte. Sowas mache ich im Supermarkt nicht gerne, aber ich hatte nicht mehr genug Bargeld und 17 Euro erschienen mir ein angemessener Betrag für Kartenzahlung.

Die Dame steckte die Karte ins Kartenlesegerät und erhielt eine Fehlermeldung.
“Das ist schon den ganzen Tag”, erklärte sie mir und rief nach einer Kollegin.
Nachdem die Kassiererinnen auch zu zweit zu keinem Ergebnis kamen und ich die Frage, ob ich nicht bar zahlen könne, entgeistert verneinte (Wenn ich das in bar hätte, hätte ich ja wohl kaum mit Karte zahlen wollen, nech?), fragte man mich, ob ich nicht “eben zur Bank gehen” und Bargeld abholen könne.

Da die Volksbank so fern nicht lag, willigte ich ein, packte die bereits in meiner Tasche verstauten Waren wieder aus, und verabschiedete mich “bis gleich”. Keine fünf Minuten später stand ich wieder im Laden, das Bargeld in den Händen. Die Kasse war geschlossen, die Kassiererinnen und meine unbezahlten Waren waren nirgends zu sehen. So drehte ich auf dem Absatz um und verschwand höchst verärgert.

Supermarkt 2 (Discounter)
Schon durchs Fenster konnte ich sehen, dass nur eine Kasse geöffnet war und sich die Kunden mit gefüllten Einkaufswagen durch den ganzen Laden stauten.

Meine Zeit und meine geistige Gesundheit sind mir zu schade, um sie für ein paar Cent Ersparnis zu verplempern.

Supermarkt 3
Ein Laden blieb mir noch auf dem Heimweg. Ich ging hinein, stand etwa drei Minuten vor dem Regal mit abgepacktem Brot, bis ich ein passendes, länger haltbares fand, schnappte mir eine Packung Salami und ging zur Kasse. Diese war erfreulich leer, nicht mal eine Kassiererin war zu sehen.

Im Geiste zählte ich von zwölf herunter. Bei “Null” wollte ich gehen, aber ich hatte Hunger und brauchte dieses verdammte Brot. Schließlich tauchte doch noch eine Kassiererin auf (sie hatte gerade Regale umgeräumt) und nur eine halbe Stunde nach dem ersten Versuch hatte ich endlich zwei Euro an den Mann gebracht.

Die Webcam brauche ich nicht wirklich, glaube ich.

Kategorien
Leben Unterwegs

Late Night Shopping Revisited

Wenn es irgendwo auf der Welt eine Teststrecke für Stadtmarketingmaßnahmen geben sollte, so liegt sie mit Sicherheit im Ruhrgebiet. Fast jedes Wochenende, so scheint es, wird eine neue Sau durch die Region getrieben, und das Ruhrgebiet dürfte mittlerweile mehr Events als Einwohner haben.

Bochums neueste Errungenschaft ist der “Bochumer Musiksommer”, der am vergangenen Wochenende zum ersten Mal stattfand. Auf zahlreichen Bühnen in der Innenstadt gab es kostenlose Musik vom Polizeichor bis zu Heinz-Rudolf Kunze, von der Elektrolounge an der U-Bahn-Station bis zum Kinderliedersingen. Am Donnerstag spielten Tele ein anderthalbstündiges Gratiskonzert und anders als beim Bochum Total hatte man das Gefühl, dass das Publikum nüchtern und wegen der Band da war. Es ging exakt eine Bierflasche zu Bruch.

Samstag Abend war dann “Moonlight Shopping”, was im Wesentlichen bedeutet, dass sich Gewerkschafter darüber beschwert haben dürften, dass die Geschäfte einmal bis 23 Uhr geöffnet waren. Natürlich auch längst nicht alle Geschäfte – überraschenderweise waren unter denen, die nicht mitmachten, aber viele große Ketten.

Halb zehn Abends ist normalerweise nicht die Zeit, zu der man zum Einkaufen in die Stadt fährt, aber vorgestern war es dann endlich mal so weit. Wir stiegen am Hauptbahnhof aus der U-Bahn und fanden unsere Idee, eine solche Veranstaltung zu besuchen, wunderbar ironisch. Dann stießen wir auf einen Strom von Menschen, die tatsächlich ihren Einkaufsbummel auf den späten Samstagabend verlegt hatten, und ich beschloss, mir den Schriftzug “Irony Is Over” an einem prominenten Platz über meinen Schreibtisch zu hängen.

Aus der Ferne hörte man Underworlds “Born Slippy”, das bald darauf in eine Technoversion des einzigen mir bekannten Liedes mündete, das in Pizzerien, Aussegnungshallen und Boxkampfarenen zum Einsatz kam: “Time To Say Goodbye”. Es dauerte einige Minuten, bis das Lied sein ungewohntes Four-To-The-Floor-Gewand verlassen und sich im Instrument eines einsamen Geigers wieder gesammelt hatte.

Wir gingen weiter in Richtung der Technobeats und – Holla! – die wichtigste Kreuzung der Fußgängerzone war voll mit Menschen, die den Klängen eines DJs lauschten. Nur eine Woche, nachdem die Love Parade im Ruhrgebiet aufgeschlagen war, standen hier junge Menschen, ältere Menschen, Teenager und Anzugträger zwischen Würstchenstand und Bierwagen und es war ganz egal, dass sich einige von ihnen gerade zum ersten Mal in ihrem Leben zu elektronischer Musik bewegten.

Wir gingen in den City Point, die Bochumer Inkarnation jener Einkaufszentren, unter deren Glas-und-Stahl-Dächern die wichtigsten Bekleidungsfachgeschäfte für die jüngere Zielgruppe untergebracht sind. Beim Betreten überlagerten sich kurz der Techno von draußen und “Life Is Life” aus dem zweiten Stock. Jedes Mal, wenn wir ein Geschäft verließen und das nächste betraten, hörten wir kurz die Partymusik von oben, die sich sehr schnell zu “YMCA” steigerte und irgendwann “Movie Star” erreichte. Wir guckten eine Menge Klamotten, ich stellte zu meinem Entsetzen fest, dass die Trends der Saison offenbar V-Ausschnitt und Testbildfarbene T-Shirts heißen und dass es in ganz Bochum, vermutlich gar auf der ganzen Welt, kein mir passendes schwarzes Cordsakko gibt. Ich würde also einen Schneider aufsuchen müssen, um endlich zufrieden zu sein.

Unser Bummel endete, auch um das Gefühl von Großstadt und Event noch ein wenig auszukosten, natürlich bei Starbucks, wobei ich sagen muss, dass eine Hot Chocolate um elf Uhr abends nicht so superfluffig im Magen liegt. Oder ich Getränke zum Gehen einfach nicht vertrage.

An der U-Bahn-Haltestelle rauchten drei dicke Mädchen Zigaretten. Ich wollte sie nicht fragem, ob sie das denn überhaupt noch dürfen.

“Late Night Shopping Revisited” ist die Fortsetzung von “Late Night Shopping” mit anderen Mitteln.

Kategorien
Leben

Fundversuch

Ich will gar nicht groß darüber schreiben, um welche Band es geht. Nachher würde man Coffee And TV wegen eher gelegentlicher Erwähnung noch einen Hype nachsagen. Es ist aber auch nur Zufall, daß es ausgerechnet um besagte Jungspunde ging. Halt also endlich das Maul, Ding, und komm zur Sache!

Mir wurde jedenfalls Anfang der Woche von einer netten Medienpartnerin ein heißerwartetes (nicht heiß erwartet, ich erwarte Tonträger eher in Raumtemperatur) Album angekündigt. Ich durfte also am nächsten Tag voller Erwartung in die Leere meines Briefkastens greifen. Und dieses freudige Erlebnis am Tag drauf noch einmal wiederholt, weil’s ja so schön war. Tag drei brachte dann gleich zwei Erkenntnisse: a) das erwartete Album, über welches von noch berufenerem Mund hier demnächst zu lesen sein wird, und b) eine Ahnung, warum ich gleich zwei Mal ins Leere greifen durfte.

Auf dem von der Medienpartnerin handschriftlich festgehaltenen Adresse auf dem Umschlag klebte so ein lustiger Computerausdruck. “Adressangabe unvollständig oder unzutreffend”, stand da und “Ermittelte Anschrift”. Die Post hatte dabei durchaus profund recherchiert und meine Adresse herausgefunden. Daumen hoch, dafür. Mein vorlauter Investigationstrieb sorgte dann recht schnell dafür, daß der hübsche Adressaufkleber entfernt war. Und überraschenderweise stand dort, wo eben noch der Aufkleber prangte, in hübsch lesbarer Damenhandschrift – na, was wohl? – meine Adresse.

Spontan verwarf ich die beiden Optionen “unvollständig” und “unzutreffend” und dachte lieber an ein Erlebnis aus derart grauer Vorzeit, daß es in einem ganz anderem Medium dokumentiert wurde. Ja, ja, die Post – wie wäre es damit, passenderweise einfach mal z.B. aus Obst hergestellte Getränke zu verticken statt überteuerter Transportdienstleistungen?