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Lost In The Supermarket

Es kommt nicht häufig vor, dass mir ein Zeitungsartikel aus dem Herzen spricht. Gerade war es aber soweit: Ralph Martin, ein Amerikaner in Deutschland, fragt sich in der FAZ, warum alle Deutschen so begeistert zu Aldi rennen und offenbar niemand in diesem Land mehr bereit ist, für Qualität auch sog. anständige Preise zu bezahlen.

Was das für die Gesamtgesellschaft bedeutet, wurde mir klar, als ich las, dass die reichsten Deutschen nicht die Hohenzollerns oder Thurn und Taxis sind, sondern die Brüder Albrecht, die sich mit 32 Milliarden Euro in der gleichen Kategorie bewegen wie Bill Gates oder die Erben von Sam Walton, der Wal-Mart gründete.

Mit seinem lesenswerten (und nur bedingt polemischen) Text haut Martin in die gleiche Kerbe, die ich schon bei Eric T. Hansen so spannend fand: Amerikaner kommen nach Deutschland, wundern sich und stellen den Deutschen dann ihr Land in der Außenansicht vor (das meine ich ganz ohne Ironie).
Als ich im vergangenen Dezember nach drei Monaten USA nach Deutschland zurückkehrte, wollte ich jedem Menschen im Supermarkt das zubrüllen, was Martin auch schreibt:

Nur scheint es in Deutschland niemand zu merken, wie beängstigend billig Lebensmittel hier im Vergleich zu anderen Industrieländern sind.

Ich kam aber nicht dazu, weil ich meine Einkäufe selber einpacken musste.

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This land is your land, this land is my land

Die Frage, was eigentlich typisch deutsch sei, ist sicherlich bedeutend älter als die Bundesrepublik und nicht selten wird als Antwort gegeben, eben so eine Frage sei typisch deutsch. Wer von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückkehrt, wird bei seinen Landsleuten eine umfangreiche Sammlung andernorts nicht vorgefundener Marotten entdecken (ich persönlich würde “Rauchen wie ein Schlot” und “ständiges Meckern” nennen, sowie das schlechte Wetter, was aber nicht an den Leuten selbst liegt). Wer gar als Ausländer nach Deutschland kommt, wird einen sehr eigenen Blick auf das Land und seine Menschen haben und wenn dieser Blick gut geschärft ist und der Blicker ein Buch darüber schreibt, dann ist klar, dass ich das lesen muss.

Eric T. Hansen wuchs auf Hawaii auf, kam als Mormonenmissionar nach Deutschland und schwor als erstes seinem Missionarentum ab. Stattdessen beschäftigte er sich ausgiebig mit der deutschen Geschichte, Literatur und Gesellschaft. Sein Buch “Planet Germany” lässt sich am Besten als Reiseführer für Einheimische beschreiben: Hansen greift darin typisch deutsche Selbsteinschätzungen auf und zerrupft sie genüsslich. Die Deutschen sind Workoholics? Nirgendwo sonst wird mehr Geld für Urlaub ausgegeben. Die Deutschen lieben die Hochkultur? Es gibt nichts erfolgreicheres als Volksmusiksendungen. Ganz nebenbei erklärt Hansen den aufmerksamen Lesern so einiges über die Geschichte Deutschlands, seine bedeutendsten Erfinder und zieht dabei immer wieder Parallelen zu seiner eigentlichen Heimat, den USA. Schnell wird deutlich: was den Deutschen fehlt, ist vor allem Selbstbewusstsein. Der Deutsche nörgelt am liebsten und redet alles schlecht – am liebsten sein eigenes Heimatland.

Dabei lernt man (gerade als Deutscher) so einiges: wenn Hansen in wenigen Sätzen klar macht, dass weite Teile der deutschen Wirtschaft heute noch Regelungen unterworfen sind, die aus dem Mittelalter stammen, möchte man sofort der FDP beitreten. Trotzdem ist das Buch gut, es ist unterhaltsam und lehrreich. Und: es wirft Fragen auf, die man sich selbst wohl noch nie gestellt hat. Ob das Buch einer differenzierten Betrachtung stand hielte, ist eigentlich zweitrangig, aber nicht mal auszuschließen: Hansen hat sehr gründlich recherchiert und arbeitet sich von dort mit einer Mischung aus gesundem Menschenverstand und Schalk im Nacken weiter. Allein das Kapitel, in dem er namhafte Politiker erklären lässt, was noch mal das Besondere an Goethe und Schiller war, sollte in jedem Deutsch-LK besprochen werden: Von sechsen geht genau einer (Lothar Bisky von der Linkspartei), wenigstens halbwegs angemessen auf das literarische Schaffen der beiden ein. Dafür schafft es jede Partei, diese “Dichter und Denker” mit dem eigenen Programm auf Linie zu bringen.

Die ganze Zeit bleibt klar: Eric T. Hansen mag die Deutschen und ihr Land und er kann beim besten Willen nicht verstehen, warum sie es nicht selbst auch mögen. Den schmalen Grat zwischen “Schlussstrich” und “Tätervolk” lässt er nicht aus, aber er beschreitet ihn so leichtfüßig, wie es wohl nur ein Ausländer kann. Das, was Hansen anspricht, wäre dann möglicherweise “positiver Patriotismus”, nicht das Wedeln mit Fähnchen bei Sportgroßveranstaltungen. Ein paar Argumentationen und Ideen erinnern dann auch ein wenig an Michael Moore – nur dass der die freie Marktwirtschaft vermutlich nicht ganz so laut lobpreisen würde.

Ich würde mir wünschen, dass jeder dieses Buch liest – danach können wir weiterdiskutieren.