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Die Musik von hier nach dort

Drei Mona­te des Jah­res sind schon wie­der um (oder „ein Quar­tal“, wie regel­mä­ßi­ge Arzt­be­su­cher sagen) und wir haben fast nichts über Musik geschrie­ben. Nach­dem der geplan­te Pod­cast zu aktu­el­len Neu­erschei­nun­gen wegen aku­ten Irr­sinns büro­kra­ti­scher Hür­den auch nicht aus den Puschen kommt, dach­te ich mir: Schnell mal irgend­was auf­schrei­ben, bevor ich völ­lig den Über­blick ver­lie­re.

Der Pop­song des Jah­res kommt, wenn in den ver­blei­ben­den neun Mona­ten nicht noch ein Wun­der geschieht, von einer Band, die bis­her eher nicht so durch Pop­songs auf­ge­fal­len war. Aber „Shell Games“ von Bright Eyes ist ein­fach ein Meis­ter­werk von einem Song. Das dazu­ge­hö­ri­ge Album „The People’s Key“ ist dann gleich noch das bes­te Album der Band seit sechs Jah­ren. Womit wir direkt bei R.E.M. wären, die mit „Col­lap­se Into Now“ mal eben ihr bes­tes Album seit 15 Jah­ren ver­öf­fent­licht haben – das mit „Über­lin“ einen der bes­ten Songs ihrer inzwi­schen mehr als drei­ßig­jäh­ri­gen Kar­rie­re ent­hält.

Das Jahr hat aber bis­her auch eini­ge sehr gute New­co­mer zu bie­ten: Über James Bla­ke ist womög­lich schon alles gesagt. Im Gegen­satz zu Radio­head, die wohl auch ein neu­es Album ver­öf­fent­licht haben, inter­es­sie­ren mich die fla­ckern­den Beats und die ent­rück­te Stim­me von James Bla­ke – und sie gefal­len mir. Ein biss­chen, wie wenn Bon Iver auf The Pos­tal Ser­vice trifft. Deut­lich ein­gän­gi­ger sind die Debüt­al­ben von The Naked And Famous und Neon Trees: Ich hät­te auch nicht gedacht, dass ich mich noch mal für neue Indie-Bands inter­es­sie­ren wür­de, aber die­se bei­den Alben gefal­len mir tat­säch­lich. Wohl auch, weil so vie­le Syn­the­si­zer und Key­boards zum Ein­satz kom­men und ver­gleichs­wei­se weni­ge Gitar­ren­riffs über Ach­tel­beats.

Die Cold War Kids hat­te ich seit ihrem Debüt vor vier Jah­ren aus den Augen ver­lo­ren, aber ihr drit­tes Album „Mine Is Yours“ klingt eh ganz anders als damals: Auch wie­der deut­lich mehr nach Kil­lers und ins­ge­samt deut­lich run­der. The Low Anthem hin­ge­gen schlie­ßen direkt an ihr fan­tas­ti­sches Debüt an und zau­bern mit „Smart Fle­sh“ Folk­mu­sik, die einen zudeckt wie eine wei­che Woll­de­cke. Schön zu lesen, dass die Band die­ses Jahr direkt wie­der auf dem Hald­ern Pop Fes­ti­val spie­len wird, wo sie mich letz­tes Jahr schon völ­lig begeis­tert zurück­ge­las­sen hat.

Neun Jah­re nach ihrem Debüt hat Wal­ter Schrei­fels die Rival Schools wie­der zum Leben erweckt. Ein zwei­tes „Used For Glue“ fehlt auch auf „Pedals“ und ins­ge­samt klingt das Album ein wenig nach ange­zo­ge­ner Hand­brem­se (oder wahl­wei­se ange­grau­tem Haupt­haar), aber schön ist die Plat­te den­noch gewor­den – man soll­te sie nur nicht direkt mit dem Früh­werk des Herrn Schrei­fels ver­glei­chen. Auch die White Lies haben mit „Ritu­al“ kein Meis­ter­werk geschaf­fen, aber ein grund­so­li­des Album mit Acht­zi­ger-Jah­re-ange­hauch­tem Düs­ter­pop, das mit „Big­ger Than Us“ eine sehr, sehr gelun­ge­ne Sin­gle ent­hält.

Wei­te­re tol­le Sin­gles, bei denen ich die Alben noch nicht gehört habe: „Milk And Honey“ von den Beat­steaks, „Post Break-Up Sex“ von The Vac­ci­nes (sen­sa­tio­nell doo­fer Text, aber dadurch womög­lich um so beein­dru­cken­de­rer Song) und tat­säch­lich dann auch irgend­wann „Rol­ling In The Deep“ von Ade­le, mit der ich sonst so gar nichts anfan­gen kann.

Heu­te dann hör­te ich tat­säch­lich zum ers­ten Mal Jupi­ter Jones im Radio – und das gleich auf WDR2. Es könn­te am Major-Deal lie­gen oder dar­an, dass „Still“ ein­fach ein wahn­sin­nig guter, anrüh­ren­der Song ist. Das dazu­ge­hö­ri­ge, vier­te Album der Band, das ein­fach nur „Jupi­ter Jones“ heißt, ist ihr bes­tes seit dem Debüt. Zwar klingt die Plat­te an eini­gen Stel­len, als hät­te Sän­ger Nicho­las Mül­ler ein­fach nur über bereits fer­ti­ge Bän­der von Biffy Cly­ro gesun­gen, aber das ist ja nicht die schlech­tes­te Aus­gangs­la­ge. Und wer Songs wie „Ber­lin“, „Alter Mann wo willst Du hin“, „Hey! Mene­te­kel“ und „Immer­FürIm­mer“ auf der Haben­sei­te hat, der hat offen­bar sowie­so wenig falsch gemacht. Wenn Sell-Out immer so klin­gen wür­de, soll­ten ruhig alle Bands bei gro­ßen Plat­ten­fir­men unter­schrei­ben.

Womit wir nicht zwin­gend bei Thea Gilm­o­re wären: Die Frau hat, obwohl erst 31 Jah­re alt, mit „Murphy’s Heart“ gera­de ihr elf­tes Album ver­öf­fent­licht, was mir womög­lich völ­lig ent­gan­gen wäre, wenn im Plat­ten­la­den mei­nes Ver­trau­ens nicht ein Label-Sam­pler gelau­fen wäre, auf dem zwei Songs von ihr drauf waren. Schö­ne, unauf­dring­li­che Folk-Musik, die über das Mäd­chen-mit-Gitar­re-Sche­ma hin­aus­geht und auch mal auf Blä­ser und Key­boards zurück­greift. Das ist schon eher Musik zum Neben­her­hö­ren, aber durch­aus schön.

Schön klang das nicht, was The Get Up Kids vor­ab von ihrem Come­back-Album hören lie­ßen, wes­we­gen die­ses Album von mir bis­her unge­hört ist. Nähe­rungs­wei­se nicht gehört, bekloppter­wei­se aber gekauft habe ich das Debüt-Album von Bea­dy Eye. Zwar sind Oasis ohne Noel Gal­lag­her nicht ganz so schlimm, wie ich erwar­tet hät­te, aber in Sachen Egal­heit unter­schei­det sich „Dif­fe­rent Gear, Still Spee­ding“ auch nicht groß von den letz­ten bei­den Oasis-Alben. Auch noch nicht gehört habe ich das neue Album von The Strokes, was ich aller­dings schon auf­grund der sehr gelun­ge­nen Sin­gle schnellst­mög­lich nach­ho­len möch­te.

Und sonst? Hat Ben Folds mal wie­der in der Köl­ner Live Music Hall gespielt – und zwar so lan­ge, dass ich vor den Zuga­ben zum Zug hech­ten muss­te. Bis dahin war es ein gutes Kon­zert gewe­sen, das alle Schaf­fens­pha­sen schön abbil­de­te und musi­ka­lisch dank vier­köp­fi­ger Begleit­band nah an den Sound der Alben her­an­kam. Lei­der wur­de der Meis­ter selbst dadurch etwas an den Rand gedrängt, was ihn aber nicht von wüs­ten Impro­vi­sa­tio­nen abhielt, die wir dann womög­lich auf der nächs­ten Plat­te wie­der­fin­den wer­den.

Völ­lig unab­hän­gig vom öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr war ich beim Kon­zert von Jupi­ter Jones, die 80 Meter Luft­li­nie von mei­ner Woh­nung (400 Meter Fuß­weg, wenn man nicht die Bahn­glei­se über­que­ren will) spiel­ten und dabei das aus­ver­kauf­te Bochu­mer Riff zum Kochen brach­ten, wie man so schön sagt. In der Stadt, in der man zuhau­se ist, und mit den Men­schen, die Freun­de sind, wirkt ein Song wie „Ber­lin“ („über Men­schen, die glau­ben, dass sie, wenn sie einen Miet­ver­trag in Ber­lin unter­schrei­ben, auch einen Ver­trag für das Glück unter­schrei­ben“, Nicho­las Mül­ler) noch hun­dert Mal dol­ler. Und die dazu­ge­hö­ri­gen Publi­k­ums­chö­re waren gera­de noch so viel U2-Haf­tig­keit, wie ich in mei­nem Leben ertra­gen kann.

Das bes­te Kon­zert der Mona­te Janu­ar bis März besuch­te ich aller­dings am letz­ten Tag die­ses Zeit­raums in Düs­sel­dorf: Erd­mö­bel, deren famo­ses Album „Kro­kus“ auf Platz 2 mei­ner letzt­jäh­ri­gen Bes­ten­lis­te gelan­det war, spiel­ten im Savoy-Thea­ter auf und obwohl Sitz­kon­zer­te ten­den­zi­ell eher nicht Rock’n’Roll sind, erleb­te ich eines der bes­ten und vor allem beglü­ckends­ten Kon­zer­te ever. Wenn man näm­lich (ver­se­hent­lich) in der ers­ten Rei­he hockt und eine bes­tens ein­ge­spiel­te und auf­ge­leg­te Band qua­si in Arm­reich­wei­te wun­der­bar musi­ziert, dann muss das gar nicht Rock’n’Roll sein, dann ist das ein­fach toll. Ich habe jeden­falls ver­mut­lich noch nie bei einem Kon­zert so ent­rückt gestrahlt – außer viel­leicht bei Auf­trit­ten von Lena Mey­er-Land­rut.

Die hat ja auch ein neu­es Album drau­ßen und das ist ehr­lich gesagt gar nicht so schlecht. Klar: Ein ande­rer Pro­du­zent (und damit ein leben­di­ge­rer Sound) wür­de ihr gut tun und es fällt auch schwer zu glau­ben, dass das die zwölf bes­ten Songs gewe­sen sein sol­len, die ein paar hun­dert inter­na­tio­na­le Song­wri­ter inner­halb von neun Mona­ten geschrie­ben haben, aber „Good News“ ist schon ein völ­lig okayes Album. Und „Taken By A Stran­ger“ tat­säch­lich ein sehr guter Song.

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2010 – the year something broke

In Jah­res­end­zeit­stim­mung schaut man ja ger­ne zurück auf das enden­de Jahr, resü­miert und fer­tigt – wenn man der­lei Neu­ro­sen pflegt – obsku­re Lis­ten an. Auf eine Leser­wahl haben wir nach dem Muse-Deba­kel im Vor­jahr ein­fach mal ver­zich­tet und Unhei­lig per Akkla­ma­ti­on zu Ihrer Lieb­lings­band 2010 ernannt.

Doch die letz­ten Dezem­ber­ta­ge lie­ßen mich auch per­sön­lich nach­denk­lich zurück: Was hat­te ich eigent­lich gehört und gut gefun­den?

Mei­ne last.fm-Charts waren eini­ger­ma­ßen wert­los: Aus ver­schie­de­nen Grün­den tauch­ten Songs wie „Fire­f­lies“ (Owl City), „Baby“ (Jus­tin Bie­ber) oder „Catch Me I’m Fal­ling“ (Real Life, hät­ten Sie’s gewusst?) in mei­nen Jah­res-Top-25 auf, was ich in ers­ter Linie besorg­nis­er­re­gend fand. Außer­dem waren alle Songs des Albums von The Natio­nal dabei, was immer­hin schon mal einen deut­li­chen Hin­weis auf das Album des Jah­res gibt, denn so unfass­bar groß wie „High Vio­let“ war 2010 tat­säch­lich nichts mehr.

Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass ich das Bes­te wie üblich über­se­hen habe: Arca­de Fire, Get Cape. Wear Cape. Fly, Eels, Suf­jan Ste­vens – alles nicht oft genug gehört, weil mir der Sinn grad nach etwas Ande­rem stand. So habe ich ja auch „Only Revo­lu­ti­ons“ von Biffy Cly­ro erst im Okto­ber 2010 für mich ent­deckt, es ist also denk­bar, dass es auch im letz­ten Jahr wenigs­tens ein gutes Gitar­ren­rock-Album gab – wahr­schein­lich ist es aller­dings nicht, zu wenig ist in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Rock­seg­ment pas­siert. Die Manic Street Pre­a­chers etwa haben mit „Post­cards From A Young Man“ ein durch­aus sehr gutes Spät­werk raus­ge­bracht, aber geknallt hat das jetzt auch nicht rich­tig. Und falls es span­nen­de Neu­lin­ge gab, muss ich sie alle­samt über­se­hen haben: The Hold Ste­ady haben sou­ve­rän gerockt, Jason Lyt­le hat mit sei­ner Post-Grand­ad­dy-Band Admi­ral Rad­ley schön ver­schro­be­nen Indie­rock gemacht, The Gas­light Anthem waren okay, Ende des Jah­res kam mit „All Soul’s Day“ ein ordent­li­ches Lebens­zei­chen von The Ata­ris – aber, Ent­schul­di­gung: Wir spre­chen vom Jahr 2010! Völ­lig okay, dass Ben Folds mit lyri­scher Unter­stüt­zung von Nick Horn­by end­lich mal wie­der ein rich­tig gutes Album gemacht hat, aber der Mann ist jetzt auch schon seit 17 Jah­ren dabei.

Immer­hin haben nicht alle Bands so ent­täuscht wie Wir Sind Hel­den, Shout Out Louds, Ste­reo­pho­nics oder – rich­tig schlecht – Jim­my Eat World und Danko Jones. Weezer haben angeb­lich schon wie­der min­des­tens ein Album ver­öf­fent­licht. Die meis­ten mei­ner Lieb­lings­bands hat­ten sich eh eine Aus­zeit genom­men und ihre Sän­ger solo vor­ge­schickt: Alles über­rag­te dabei Jón­si von Sigur Rós, des­sen „Go“ zu den bes­ten Alben des Jah­res gehört. Jakob Dylan war schon zum zwei­ten Mal ohne Wall­flowers unter­wegs, hat die Band aber immer noch nicht auf­ge­löst. Dabei ist das düs­ter-fol­ki­ge „Women & Coun­try“ eigent­lich bes­ser als alles, was er vor­her gemacht hat. Fran Hea­ly (Tra­vis) und Bran­don Flowers (The Kil­lers) lie­ßen erst The­ra­pie­sit­zun­gen erwar­ten, klan­gen dann aber gar nicht mehr so anders als ihre Bands – eben gut, aber auch nicht mehr so rich­tig span­nend. Carl Barât gehört auch irgend­wie in die­se Auf­zäh­lung, obwohl er die Dir­ty Pret­ty Things ja längst auf­ge­löst hat und es die Liber­ti­nes wie­der gibt. Kele (Bloc Par­ty) und Paul Smith (Maxï­mo Park) hab ich ver­passt. Und die­ses Jahr ver­öf­fent­licht dann Thees Uhl­mann (Tom­te) sein Solo-Debüt …

In Sachen Hip-Hop ging auch nicht mehr so rich­tig viel: Kid Cudi blieb mit sei­nem Zweit­werk hin­ter den Erwar­tun­gen zurück, Kanye West hat ein irres Gesamt­kunst­werk raus­ge­bracht, das mit dem Album eines Ein­zel­in­ter­pre­ten wenig gemein hat und sich mir womög­lich erst in ein, zwei Jahr­hun­der­ten erschlie­ßen wird. Emi­nem war durch­aus kraft­voll wie­der da, krieg­te den meis­ten Air­play aber für ein Duett mit der lang­sam unver­meid­li­chen Rihan­na. Aus Groß­bri­tan­ni­en kam immer­hin Pro­fes­sor Green mit einem dre­ckig-bun­ten Grime-Strauß.

Im Pop gab es (neben Lady Gaga) vor allem zwei The­men: Das gro­ße Come­back von Take That als Quin­tett und Lena. Mit Hil­fe von Stuart Pri­ce (s.a. Scis­sor Sis­ters) nahm die eins­ti­ge Vor­zei­ge-Boy­group (Huch, aus wel­chem Par­al­lel­uni­ver­sum kam denn die­se Kli­schee-For­mu­lie­rung?) ein erstaun­lich elek­tro­ni­sches Album auf – „reif“ hat­te die Band seit ihrem Come­back 2006 ja die gan­ze Zeit geklun­gen. Die zu „Pro­gress“ gehö­ren­de Doku­men­ta­ti­on „Look Back, Don’t Sta­re“ zeigt die Fünf dann auch als wei­se älte­re Her­ren, die ihre Dämo­nen lang­sam aber sicher alle bekämpft haben und jedem Mann Mitte/​Ende Zwan­zig Mut machen, in zehn bis fünf­zehn Jah­ren so gut aus­zu­se­hen wie nie zuvor. Oder man zeugt wenigs­tens eine Toch­ter wie Lena Mey­er-Land­rut, die exakt fünf Tak­te brauch­te, bis sich erst alle Zuschau­er von „Unser Star für Oslo“ und dann 85% der deut­schen Bevöl­ke­rung in sie ver­lieb­ten. Natür­lich war der Tri­umph beim Euro­vi­si­on Song Con­test eine mit­tel­schwe­re Sen­sa­ti­on und auch für mich per­sön­lich ein Erleb­nis, aber das Album „My Cas­set­te Play­er“ war lei­der trotz­dem eine ziem­li­che Ent­täu­schung. Text­lich schwer rüh­rend, aber auch völ­lig see­len­los pro­du­ziert, ragt das von Ellie Goul­ding geschrie­be­ne „Not Fol­lo­wing“ her­vor, der Rest ist nett, aber belang­los.

Was kam sonst aus Deutsch­land? Toco­tro­nic, die mich etwas rat­los zurück­lie­ßen, Erd­mö­bel mit dem bes­ten deutsch­spra­chi­gen Album seit Jah­ren, Die Fan­tas­ti­schen Vier, die sich irgend­wo zwi­schen „Bild“-Interview (in Mor­gen­män­teln im Bett!) und Wer­be­deals voll­ends der Bedeu­tungs­lo­sig­keit hin­ga­ben, wäh­rend Fet­tes Brot ihr vor­läu­fi­ges Ende ver­kün­de­ten. Und dann halt so Leu­te, die man per­sön­lich kennt wie Tom­my Fin­ke, Enno Bun­ger oder die phan­ta­sischen Poly­a­na Fel­bel.

Auf vier bis acht groß­ar­ti­ge Alben folgt eine gan­ze Men­ge Mit­tel­maß und die Gewiss­heit, dass ich vie­les sicher noch über­hört habe. Dafür haben mich die Alben, die ich dann tat­säch­lich gehört habe, zu sehr auf­ge­hal­ten: The Natio­nal, Erd­mö­bel, Del­phic, Jón­si, Jakob Dylan und die Vor­jah­res­über­se­hun­gen Biffy Cly­ro und Mum­ford & Sons. Die Lis­te mei­ner Lieb­lings­songs wird irgend­wo hin­ter Platz 8 recht schnell belie­big, hat aber immer­hin einen rich­ti­gen Kra­cher auf der Eins: „Tokyo“ von The Wom­bats, mit denen ich ehr­lich gesagt am aller­we­nigs­ten gerech­net hät­te.

In den Charts domi­nier­ten erst die Fuß­ball­hym­nen (das vom Kom­merz zer­stör­te „Wavin‘ Flag“ von K’na­an und das nur ner­vi­ge „Waka Waka“ von Shaki­ra), ehe sich das Land zum Jah­res­en­de zwei wahn­sin­nig unwahr­schein­li­che Num­mer-Eins-Hits gönn­te: Eine 17 Jah­re alte Kreu­zung zwei­er Ever­greens auf der Uku­le­le, gesun­gen vom schwer­ge­wich­ti­gen und zwi­schen­zeit­lich ver­stor­be­nen Isra­el Kama­ka­wi­wo’o­le und ein aus dem Wer­be­fern­se­hen bekann­ter, ursprüng­lich nicht als Sin­gle ange­dach­ter Song von Empire Of The Sun, die andert­halb Jah­re zuvor erfolg­los ver­sucht hat­ten, mit einem sehr viel ein­gän­gi­ge­ren Song über das Wer­be­fern­se­hen erfolg­reich zu sein. In den Album­charts durf­te sowie­so jeder mal ran und wenn gera­de kein gro­ßer Name (Peter Maf­fay, AC/​DC, Iron Mai­den, Joe Cocker, Depe­che Mode, Bruce Springsteen) sein neu­es Album raus­ge­hau­en hat­te, schos­sen wie selbst­ver­ständ­lich Unhei­lig wie­der an die Spit­ze der Hit­pa­ra­de.

Na ja: Neu­es Jahr, neu­es Glück.

Songs & Alben 2010 – Die Lis­ten

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Bevor es zu spät ist

Nach­dem ich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die bes­ten Alben (Bon Iver, The Gas­light Anthem; Mum­ford & Sons, Emmy The Gre­at, Biffy Cly­ro) jeweils erst nach Sil­ves­ter ent­deckt habe, dach­te ich mir, dass es die­ses Jahr anders wer­den muss: Ich bit­te also jetzt schon um Hin­wei­se, was ich even­tu­ell über­se­hen haben könn­te.

Bis­her ganz oben auf mei­ner Short­list für die bes­ten Alben 2010 ste­hen:

  • Erd­mö­bel – Kro­kus
  • The Natio­nal – High Vio­let
  • Del­phic – Aco­ly­te
  • Jón­si – Go
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Gesammelte Platten August/​September 2010

Die­ser Ein­trag ist Teil 8 von bis­her 8 in der Serie Gesam­mel­te Plat­ten

Best Coast – Cra­zy For You
Stel­len Sie sich vor, Blon­die hät­ten ein Beach-Boys-Tri­bu­te-Album auf­ge­nom­men. Ver­ges­sen Sie wie­der, was Sie sich gera­de vor­ge­stellt haben, und hören Sie sich „Cra­zy For You“ an, das Debüt­al­bum von Best Coast. Auf dem Cover sieht man eine Kat­ze, deren Hin­tern die Umris­se Kali­for­ni­ens hat. Da fra­ge ich Sie: Was will man mehr?
Anspiel­tipps: „Boy­fri­end“, „The End“, „Sum­mer Mood“, „Each And Ever­y­day“. (LH)

The Black Angels – Phos­phene Dream
Da woll­te ich gera­de mit einer Emp­feh­lung ange­ben, die ich mir in Lon­don im renom­mier­ten Rough-Trade-Plat­ten­la­den geholt habe, und stel­le fest, dass das natür­lich das neue Hype/­Kon­sens-The­ma ist: The Black Angels aus Aus­tin, Texas, wahl­wei­se ein­sor­tiert unter „Psy­che­de­lic Rock“, „Stoner Rock“ oder auch „Blues Rock“. Die Musik klingt jeden­falls, als stam­me sie aus dem ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert – „Sun­day After­noon“ könn­te gar von den spä­ten Beat­les stam­men, „River Of Blood“ von den Doors und so man­ches erin­nert an The Vel­vet Under­ground, die auch für den Band­na­men Pate stan­den. Dröh­nen­de Gitar­ren, schep­per­ne­des Schlag­werk – herr­lich!
Anspiel­tipps: „Bad Vibra­ti­ons“, „Sun­day After­noon“, „Tele­pho­ne“. (LH)

Erd­mö­bel – Kro­kus
Ich wür­de nie behaup­ten, wirk­lich zu ver­ste­hen, wovon Mar­kus Ber­ges hier singt. Die Wor­te sind deutsch (zumin­dest die meis­ten), aber die Sät­ze, die dar­aus ent­ste­hen, tra­gen sie­ben Sie­gel. Doch es ist eine ver­spiel­te Peter­Licht-Rät­sel­haf­tig­keit, kein „Oh mein Gott, ich bin zu dumm!“-Gefühl wie bei Toco­tro­nic. Wie bei den frü­hen R.E.M.-Alben ist es aber auf eine gewis­se Wei­se auch ganz egal, wovon die Tex­te han­deln (obwohl die musi­ka­li­sche Ver­ar­bei­tung eines wit­te­rungs­be­ding­ten Not­halts in der nie­der­rhei­ni­schen Pro­vinz längst über­fäl­lig war und jetzt end­lich in „Emma“ nach­ge­holt wur­de), weil der Gesang auch als zusätz­li­ches Instru­ment funk­tio­niert. Musi­ka­lisch ist das Album mit sei­nen vie­len Sam­ba- und Jazz-Anlei­hen eh top und wenn es am Ende heißt „Das Leben ist schön“, dann ver­steht man das auch beim ers­ten Hören. Ich bin zu faul, das zu veri­fi­zie­ren, aber es könn­te sich um das bes­te deutsch­spra­chi­ge Album des Jah­res han­deln.
Anspiel­tipps: „77ste Lie­be“, „Frem­des“, „Wort ist das fal­sche Wort“, „Emma“, „Kro­kus­se“, „Das Leben ist schön“. (LH)

Ben Folds – Lonely Ave­nue
Da ist es also end­lich, das Album, auf dem Ben Folds Tex­te von Nick Horn­by ver­tont hat. Alle Zwei­fel, ob die Tex­te eines Schrift­stel­lers nicht etwas zu sper­rig für Pop­songs sein könn­ten, zer­schla­gen sich spä­tes­tens mit dem zwei­ten Track des Albums: „Pic­tu­re Win­dow“ ist der bes­te Folds-Songs seit min­des­tens fünf Jah­ren. Und Geschich­ten über ver­schie­de­ne Cha­rak­te­re hat Folds ja immer schon erzählt, war also inso­fern selbst schon immer schwer lite­ra­risch tätig. Nach dem etwas spe­zi­el­len „Way To Nor­mal“ ist „Lonely Ave­nue“ musi­ka­lisch wie­der deut­lich ent­spann­ter und melan­cho­li­scher gewor­den
Anspiel­tipps: „Pic­tu­re Win­dow“, „Doc Pomus“, „From Abo­ve“, „Saskia Hamil­ton“, „Belin­da“. (LH)

I Bla­me Coco – The Pre­par­ty
Ich wuss­te ja von nichts, also nicht wie Sting mit bür­ger­li­chem Namen heißt (Gor­don Sum­ner). Weder, dass er eine modeln­de und sin­gen­de Toch­ter hat (Coco Sum­ner ali­as Eli­ot Pau­li­ne Sum­ner). Geschwei­ge denn, dass die gute Dame ent­ge­gen­ge­setzt aller Kli­schees, die man dann sofort abspult wenn der Herr Papa ein erfolg­rei­cher und von mir wert­ge­schät­zer Musi­ker ist, erfüllt.
Ganz und gar nicht, Coco Sum­ner fetzt! So rich­tig, eine taf­fe jun­ge Künst­le­rin, die sich hin­ter ihrem Vater nicht ver­ste­cken braucht. Die Stim­me rau­chig, die Songs erfri­schend und pas­send für gedie­gen­de Aben­de mit Freun­den, zum herr­lich tan­zen oder, oder, oder!
Der Ope­ner auf Pre­par­ty heißt „Bohe­mi­an Love“ und so rela­xed und gemüt­lich klin­gen auch vie­le der ande­ren Songs. „Voice In My Head“ erin­nert dann schon an den Herrn Vater, was aber wun­der­bar stim­mig ist. Ein biss­chen Reg­gae ein wenig Folk, aber vor allem eine ange­nehm wür­zi­ge Stim­me und eine gefühl­te Relaxt­heit die sich bei mir ein­schleicht. Was nicht heißt das die Plat­te ein­schlä­fert, nein, viel­mehr gibt es die­se Momen­te, in denen man sich ent­spannt zurück leh­nen kann und genießt.
Die neue Plat­te „The Con­stant“ ist auch schon drau­ßen und ist auch äußerst hörens­wert!
Anspiel-genie­ßer-tipps: „Bohe­mi­an Love“, „How Did All The­se Peo­p­le Get In My Room“, „Voice In My Head“. (AK)

Manic Street Pre­a­chers – Post­cards From A Young Man
Die Solo­al­ben, die James Dean Brad­field und Nicky Wire 2006 ver­öf­fent­licht haben, waren das bes­te, was den Manic Street Pre­a­chers pas­sie­ren konn­te, denn seit­dem erlebt die Band ihren zwei­ten Früh­ling: „Send Away The Tigers“ war groß, „Jour­nal For Pla­gue Lovers“ rau – und mit ihrem zehn­ten Album zie­len die Manics noch mal ganz prä­zi­se in Rich­tung Sta­di­on. Strei­cher, Chö­re, ein­gän­gigs­te Melo­dien – alles ist dabei und Brad­fields Stim­me klingt sogar noch ein biss­chen bes­ser als frü­her. „Post­cards From A Young Man“ ist als Alters­werk gewollt, in den Tex­ten klingt eini­ges an Resi­gna­ti­on und Melan­cho­lie mit, aber alt klingt die Band kein biss­chen. Und wenn es jetzt Tra­di­ti­on wird, dass Nicky Wire auf jedem Album einen Song sin­gen darf, dann dür­fen die Manics von mir aus ger­ne bis zum Ren­ten­al­ter wei­ter­ma­chen. „The Future Has Been Here 4 Ever“ klingt jeden­falls schon mal arg nach den Rol­ling Stones.
Anspiel­tipps: „(It’s Not War) Just The End Of Love“, „Some Kind Of Not­hing­ness“, „Hazel­ton Ave­nue“. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

Las­se Mat­thies­sen – Stray Dog
Man­che Din­ge sind etwas ganz beson­de­res. Man­che Musi­ker sind etwas ganz beson­de­res. Man­che Musi­ker kön­nen allei­ne auf einer Büh­ne ste­hen und man­che haben noch ein paar mehr Musi­ker dabei.
Las­se Mat­thies­sen, ursprüng­lich aus Däne­mark und jetzt Part­ti­me-Ber­li­ner, ist so ein Beson­de­rer, der allei­ne und manch­mal mit sei­ner Band im Quar­tett sein Publi­kum ver­zau­bert.
Immer mit den lei­sen Tönen, dem gekonn­ten Spie­len mit Laut und Lei­se, auch dem Laut und Lei­se in sei­ner Stim­me. Mit uner­war­te­ten Brü­chen, Gefühl und Witz. Mit sei­ner Gitar­re, einer Mund­har­mo­ni­ka und sei­ner Band, bestehend aus Vio­li­ne (Søren Sten­sby), Kon­tra­bass (Niels Knud­sen) und Schlag­zeug (Ter­kel Nør­gaard), hat Las­se Mat­thies­sen etwas ganz beson­de­res geschaf­fen. Zwi­schen Singer/​ Song­wri­ter, Folk, Indie und Jazz ver­wan­deln sich die Akkor­de zu wun­der­ba­ren Melo­dien.
Ich hat­te das gro­ße, gro­ße Glück ihn in einer mei­ner klei­nen Lieb­lings­or­te (der Popo Bar in Neu­kölln) in Ber­lin bei einem Live-Kon­zert zu sehen. Was mich immer beson­ders glück­lich macht, wenn inner­halb einer Band alle Musi­ker Raum haben für ihr Instru­ment und sich zusam­men so wun­der­bar ergän­zen.
Am Ende bleibt ein kol­lek­tiv zufrie­de­nes Publi­kum.
Habe mir gleich die CD geschnappt und freu mich, hier CD und Kon­zert Review in einem Abzu­lie­fern.
Anspiel­tipps: „Befo­re We Dissap­pear“, „Soon The Spring“, „Bor­ro­wed Time“, „Whe­re Are You“. (AK)

Pro­fes­sor Green – Ali­ve Till I’m Dead
Beschrei­bun­gen wie „der eng­li­sche Emi­nem“ sind natür­lich nie wirk­lich aus­sa­ge­kräf­tig, hel­fen einem aber enorm bei der gro­ben Ein­ord­nung. „Die männ­li­che Lady Sove­reign“ wür­de es schon bes­ser tref­fen, aber allein die Samples („Just Be Good To Me“ von The SOS Band, gesun­gen von Lily Allen, und „Need You Tonight“ von INXS) spre­chen für sich. „Ali­ve Till I’m Dead“ ist eine cle­ve­re, höchst ver­gnüg­li­che Rap-Plat­te für Leu­te, die Mike Skin­ners Akzent nicht ertra­gen.
Anspiel­tipps: „Just Be Good To Green“, „I Need You Tonight“, „Do For You“, „Mons­ter“, „Clo­sing The Door“. (LH)

Phil­ip Sel­way – Fami­li­al
Ganz bedäch­tig klingt der ers­te Song „By Some Mira­cle“, auf Sanft­pfo­ten tra­gen sich die Töne ins Ohr. Mit „Fami­li­al“ beginnt das Solo­al­bum des Drum­mers DER Band (Radio­head) wirk­lich mit lei­sen Tönen. Ein biss­chen mys­te­ri­ös. Ein wenig wun­der­lich, aber Radio­head war schon immer wun­der­lich und mys­te­ri­ös.
Lei­se Kan­ten und anschmieg­sa­me Ecken zeich­nen die­ses Album aus. Die Melo­dien sind nicht auf­dring­lich, die Tex­te ste­hen für die Zwi­schen­tö­ne im Leben. Und doch bleibt die Span­nung der Plat­te fast durch­ge­hend auf­recht erhal­ten.
Und mehr will ich zu die­ser Spät­som­mer/Herbst- und bestimmt wie­der ent­deck­ba­ren Früh­jahrs­plat­te gar nicht sagen. Sel­ber lau­schen, ist eh bes­ser!
Anspiel­tipp: „Bey­ond Reason“, „The Ties That Bind Us“. (AK)

Wir Sind Hel­den – Bring mich nach Hau­se
Ich will ehr­lich sein: Nach unse­rer ener­vie­ren­den Lis­tening-Ses­si­on hat­te ich kein Bedürf­nis mehr, das Album noch ein­mal auf­zu­le­gen. Das mag der Band gegen­über unge­recht sein, aber da war ein­fach so viel ande­re Musik, die mich mehr inter­es­siert hat.
Anspiel­tipps: „Alles“, „Bring mich nach Hau­se“. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

Mit­ar­beit an die­ser Aus­ga­be:
AK: Anni­ka Krü­ger
LH: Lukas Hein­ser