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Musik Literatur

“Das ist keine Reisegruppe”
Ein Interview mit Sven Regener

Musikjournalisten erzählen häufiger, dass sie relativ wenig Ambitionen hätten, ihre persönlichen Helden zu treffen. Zu groß ist die Angst, dass sich der über lange Jahre Bewunderte als langweilig oder – schlimmer noch – unsympathisch herausstellt, dass einem keine guten Fragen einfallen oder man versehentlich die eigenen Freunde mit reinzieht.

Vor Sven Regener habe ich einen Heidenrespekt: Die Musik seiner Band Element Of Crime begleitet mich schon länger, die letzten beiden Alben habe ich rauf und runter gehört und seine Romantrilogie über Frank Lehmann habe ich mit großem Gewinn gelesen. Außerdem muss ich immer an jenes legendäre Interview mit der (inzwischen fast schon wieder völlig vergessenen) “Netzeitung” denken.

Es hätte also gute Gründe gegeben, sich nicht um ein Interview mit dem Mann zu bemühen, obwohl er mit Element Of Crime in Bochum war. Aber ein kurze Begegnung beim letztjährigen Fest van Cleef hatte mich so weit beruhigt, dass ich gewillt war, mich auf das Experiment einzulassen.

Element Of Crime (Archivfoto vom Fest van Cleef 2009)

Kurz bevor es losging sagte er: “So, wir duzen uns. Ich bin Sven.” Gut, dass das vorab geklärt ist, Respektspersonen würde man ja sonst auch siezen.

Wie das Gespräch dann lief, können Sie jetzt selber hören und beurteilen. Zu den Themen zählen Sven Regeners Tourblog, kleinere Städte, “Romeo und Julia”, Coverversionen und Vorbands.

Interview mit Sven Regener
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Musik

Listenpanik 09/09

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass immer mehr Musik veröffentlicht wird. Kaufen tut die zwar außer mir niemand mehr, aber ich bin doch gerne Konjunkturmotor für die Dieter Gornys dieser Welt. Nur hören muss man den ganzen Quatsch ja auch noch irgendwann, auch dann, wenn man eigentlich voll mit der Wertschätzung des Beatles-Box-Sets beschäftigt ist.

Aber irgendwie habe ich dann doch noch ganz viel neue Musik gehört und für irgendwie empfehlbar gehalten. Wie immer ist alles streng subjektiv und in Kürze wieder ganz anders, aber beginnen wollen wir eh mit einem Kandidaten fürs Album des Jahres:

Alben
Element Of Crime – Immer da wo Du bist bin ich nie
In den vergangenen drei Jahren habe ich im Herbst jeweils eines von Sven Regeners phänomenalen Frank-Lehmann-Büchern (nämlich, in der Reihenfolge: “Neue Vahr Süd”, “Herr Lehmann”, “Der kleine Bruder”) gelesen. Dieses Jahr gibt es kein neues Buch, aber glücklicherweise ein neues Album von Regeners Band Element Of Crime. Dass das famos ist und ganz locker das Beste, was in diesem Jahr bisher in deutscher Sprache erschienen ist, muss man ja kaum noch erwähnen, das erzählt einem ja eh jeder, ohne danach gefragt worden zu sein. Musikalisch gibt’s ein paar Tex-Mex-Anleihen, es rockt insgesamt ein bisschen mehr (bei manchen Stücken sind gar echte Drumsticks zu hören!), aber die an sich schon gute Musik der Band verblasst natürlich weitgehend gegen die Texte, die auch diesmal wieder – lassen Sie mich hier eine Formulierung meines liebsten Germanistik-Dozenten verwenden – unendlich gut sind. Zitate verbieten sich, alles top!

Volcano Choir – Unmap
Justin Vernon ist mit seiner Band Bon Iver innerhalb von anderthalb Jahren zum Liebling des Indie-Folk geworden. Inzwischen bin auch ich mir sicher: Es gab 2008 kein Album, das besser war als “For Emma, Forever Ago”. Jetzt hat Vernon mit Mitgliedern der Band Collections Of Colonies Of Bees das Prohekt Volcano Choir gegründet. Sein Falsett-Gesang ist wieder herzzerreißend (und vielleicht etwas speziell), auch wenn es nicht allzu viel Text gibt. Manche Stücke sind kaum noch Songs, sondern eher Klangcollagen. Aber die Atmosphäre ist beeindruckend, manches, wie “Still” (das den Autotune-Trip “Woods” von Bon Ivers “Blood Bank”-EP recycelt) erinnert gar an Radioheads “Kid A”.

Mika – The Boy Who Knew Too Much
Das berühmte schwierige zweite Album, mit dem man an die Erfolge des Ersten anschließen muss/will/soll. Mikas Popperlen erwecken nicht den Eindruck, als seien sie ihrem Schöpfer schwer gefallen — also stecken vermutlich Tonnen von Blut, Schweiß und Tränen in diesen schillernden Kleinoden. Unglaublich, wie viele Anklänge und Verweise der “Paradiesvogel” Mika (aus dem Vokabular von Menschen, für die ein Abend im Chinarestaurant “exotisch” ist) in jeden einzelnen seiner Songs packen kann: Alles erinnert an irgendetwas anderes und ist doch eindeutig Mika. Die Abgründe, die sich unter dem Zuckerguss auftun, sind die der Adoleszenz. Daran will sich niemand mehr erinnern, weswegen man lieber stumm der Platte lauscht und spätestens bei “By The Time”, der Kollaboration mit Imogen Heap (s.a. unten), eine amtliche Gänsehaut bekommt.

Imogen Heap – Ellipse
Wenn man ein Album wirklich liebt, hat es der Nachfolger oft schwer. “Speak For Yourself” von Imogen Heap war so ein Album und “Ellipse” hat den Nachteil, einerseits sehr ähnlich zu klingen, andererseits nicht über die ganz großen Top-Songs zu verfügen wie der Vorgänger. Das wichtigste Instrument ist natürlich Imogen Heaps Stimme selbst, die wieder vielseitig eingesetzt übereinander geschichtet wird, dazu gibt es mal schnellere, mal langsamere Elektrobeats. Dennoch ist “Ellipse” ein organisch klingendes, atmosphärisch dichtes Album, das sich jetzt schon für kalte Winterabende empfiehlt (“The Fire” kommt sogar gleich mit Kaminknistern).

Zoot Woman – Things Are What They Used To Be
Wenn Stuart Price nicht gerade Musical Director bei Madonna ist, die alte Tanztrulla oder die Killers produziert, oder unter einem seiner Tausend Aliase Remixe erstellt, hat er ja auch noch eine Band namens Zoot Woman. Deren drittes Album erschien nur anderthalb Jahre nach der Vorabsingle “We Won’t Break” (was aber auch noch zügig ist, verglichen mit – sagen wir mal – George Michael). Überall zirpt und pluckert es in bester Achtziger-Jahre-Tradition und ein paar sympathische Tanzbodenfüller sind auch dabei.

Kings Of Convenience – Declaration Of Dependence
Nachdem Erlend Øye mit The Whitest Boy Alive eines der Alben für den Sommer geliefert hatte, legt er jetzt mit den Kings Of Convenience nach und will auch noch den Herbst dominieren. Das wird ihm sicher gelingen, denn die mal schwelgenden, mal groovenden Akustiksongs, die er mit seinem Bandkollegen Eirik Glambek Bøe aufgenommen hat, fühlen sich ungefähr so wohlig an wie eine Kanne heißen Kakaos. Das kann man ganz und gar unspektakulär finden, aber auch einfach toll — vielleicht sogar gleichzeitig.

Gods Of Blitz – Under The Radar
Bei einer Bestandsaufnahme deutscher Bands, die englisch singen, vergisst man ja gerne alles unterhalb von Kilians und Slut — die Zeiten, wo Bands wie Readymade und Miles von einheimische Musikzeitschriften und sogar -sendern (die Älteren werden sich erinnern) gewürdigt wurden, sind eben vorbei, heutzutage singt man deutsch. Bei den Gods Of Blitz aus Berlin wird hingegen auf Englisch gesungen (und das auch noch von einem neuen Sänger, denn der alte ist weg). Eine klare Linie ist auch beim dritten Album noch nicht zu erkennen, da wird viel beliehen und zitiert, und doch ist “Under The Radar” ein sympathisches Indierock-Album, das in seinen guten Momenten schön nach vorne prescht. In einigen Songs meine ich, Danko-Jones-Referenzen erkannt zu haben und “New Dimension” taugt sogar zum Ohrwurm.

Songs
Element Of Crime – Immer da wo Du bist bin ich nie
Jetzt muss ich doch mal was zitieren: Ein Liedtext, der mit “Immer wenn ich Pillen nahm / Und hinterher beim Fahrrad fahren / Im Steintor in die Rillen kam / Gezogen für die Straßenbahn” beginnt, kann sehr, sehr platt und albern klingen. Kann, muss aber nicht, denn bei Sven Regener klingt es immer noch einigermaßen lebensweise. Dazu eine charmant nach vorn groovende Band und ein schlichter, aber eingängiger Refrain, dessen kompletter Text bereits im Titel verraten wird.

Mika – We Are Golden
“We are not what you think we are / We are golden / We are golden” — Falls Sie sich immer schon gefragt haben, ob man eigentlich auch von gesprochenen Passagen einen Ohrwurm bekommen kann, beantwortet Mika Ihnen diese Frage hier völlig selbstlos: Aber sicher. Und dann dieses Intro, das klingt, als hätten Queen und Abba gemeinsam mit Phil Spector das Gesamtwerk Richard Strauss’ in acht Takte kondensieren wollen. Derart operettiges muss man natürlich lieben (und die Zahnpasta immer griffbereit haben), aber ich liebe es und die von einem Kinderchor (Jahaaa! Wenn, dann richtig!) gekreischte Passage obigen Wortlauts ist mein Mantra für diesen Herbst. Was für ein sensationell überkandidelter Song! Fünf vor “beknackt”, aber toll!

Julian Casablancas – 11th Dimension
Apropos “beknackt”: Ich kann ja verstehen, wenn man den Song aus vollstem Herzen ablehnt, aber ich möchte zu bedenken geben, dass die Strokes auf ihrem letzten Album ja auch “Mandy” von Barry Manilow gecovert (und es “Razorblade” genannt) haben. Ich kann mir meinen soft spot für anything eighties ja auch nicht richtig erklären, aber das ist dann doch schon eine wunderbar verspulte Nummer. “Forgive them / Even if they’re not sorry” — Eben!

Volcano Choir – Island, IS
Wenn es auf “Unmap” einen Track gibt, von dem man sich vorstellen könnte, dass er in einem Moment besonderer Unachtsamkeit seitens der Musikredaktion auch mal im Radio läuft, dann “Island, IS”, die Single. Man könnte den Song beinahe als “tanzbar” bezeichnen, weil er sich durch einen treibenden Beat auszeichnet. Text gibt’s auch, wenn auch nicht sehr verständlich. Ach, einfach anhören!

Kings Of Convenience – Me In You
“I see you building that castle with one hand while you’re tearing down another with the other” ist so ein Bild, für das man keinen Kontext mehr braucht. Einfach eine starke Zeile und ein wunderschöner Song.

[Listenpanik, die Serie]

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Musik

Es ist nicht immer Delmenhorst

Und Sie hatten schon gedacht, ich hätte es vergessen:

Heute ist die neue Single der Kilians erschienen. Es handelt sich dabei um den Song “Hometown”, den ich hier schon einmal gepriesen hatte, und der laut Simon den Hartog trotz allem nicht von Dinslaken handelt.

Trotzdem hätte ich es natürlich irgendwie funky gefunden, das Video in Dinslaken zu drehen, aber es ist auch so ganz hübsch geworden:

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[Direktlink]

Vielleicht erklärt Chris Martin dem Simon ja bei den Coldplay-Konzerten ja noch, wie man das mit dem Rückwärtssingen noch besser hinkriegt …

Eine B-Seite gibt’s übrigens auch bei der Single: Einen “Hometown”-Remix der Salazar Brothers (die wo die neue Mando Diao gemacht haben), den man sich auch ohne Kaufen bei last.fm anhören kann.

Die Single gibt’s in allen bekannten Downloadstores. Die Kilians, viele andere Bands und die Überschrift-inspirierenden Element Of Crime gibt es noch morgen und übermorgen beim Fest van Cleef.

Zirkelschluss-Episode zum Abschluss: Vorgestern saß ich mit Simon den Hartog in einem Kölner Bus, als eine Frau im Michael-Wendler-T-Shirt einstieg. Ich bin ja immer noch der Meinung, man müsste Michael Wendler feat. Kilians zum Grand Prix nach Tromsø schicken.

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Musik Digital

“Die Kunst ist dazu da, beim Zuhörer Jammern und Schaudern zu erwecken.”

Manchmal ist es schrecklich, Musikjournalist zu sein und Musiker zu interviewen: Sie sind aus irgendwelchen Gründen schlecht gelaunt, antworten nur sehr knapp oder gar nicht und am Ende hat man vielleicht drei, vier Sätze, mit denen man etwas anfangen kann.

Manchmal ist es schrecklich, Musiker zu sein und von Musikjournalisten interviewt zu werden: Sie haben sich kulturtheoretisch komplexe Frageblöcke ausgedacht, stellen völlig verquere Fragen oder schweigen plötzlich einfach.

Sven Regener von Element Of Crime, der sehr gute Sachen sagt, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt, beweist in einem Interview mit der Netzeitung, dass er fast noch bessere Sachen sagt, wenn man ihm die falschen Fragen stellt:

Warum heißt es in einem Song, «Wo Deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt»?

Ja, warum denn nicht. Weil es richtig ist und weil es zu demjenigen gehört, dessen Rolle er einnimmt.

Stephanie Weiß, die sich sicher irre viele Gedanken gemacht hat, was sie den von ihr hochverehrten Musiker so fragen könnte, fragt sich um Kopf und Kragen – bis sie schließlich gar nichts mehr sagt:

(Langes Schweigen)

Ja, ich meine, INTERVIEW, Frau Weiss! Haben Sie noch Fragen?

Das erstaunliche an diesem Interview ist zum Einen, dass es offenbar nicht “glattgebügelt” wurde, d.h. die Interviewerin ihre Fragen im fertigen Text nicht frecher oder intellektueller (bzw. in diesem Fall: weniger intellektuell) formuliert oder für sie unvorteilhafte Stellen und Antworten entfernt hat. Ein solches Dokument des eigenen Scheiterns öffentlich zu machen, erfordert Mut und verdient Respekt. Zum Anderen funktioniert das Interview aber trotz solcher Szenen und diverser Wiederholungen immer noch erstaunlich gut. Es gibt Künstler, die wären irgendwann einfach gegangen und hätten das Gespräch damit wohl automatisch einer medialen Verwertung entrissen. Sven Regener aber blieb und formulierte zum dritten, vierten, fünften Mal (als Antwort auf die dritte, vierte, fünfte Frage zum Thema) sein Anliegen, den Hörern keine Interpretation seiner Texte vorschreiben zu wollen:

Kunst kennt keine Beipackzettel. Wenn man ein Kunstwerk schafft, dann kann man den Leuten nicht sagen, so oder so habt ihr es zu verstehen.

Nach der Lektüre glaubt man zu wissen, warum Sven Regener so großartige Texte und auch so fantastische Bücher (“Herr Lehmann”, “Neue Vahr Süd”) schreibt: Er hat einfach ein Gespür für Sprache und denkt einen Moment länger als andere darüber nach, wie er etwas formuliert.

Netzeitung.de: Ein weiterer Erklärungsversuch: Sie schaffen es, mit einer schweren Leichtigkeit oder leichten Schwere aktuelle Befindlichkeiten zu treffen.

Regener: Das Wort Befindlichkeit finde ich gar nicht gut.

Netzeitung.de: Ist Zeitgeist besser?

Regener: Nein.

Netzeitung.de: Hm (Schweigen)