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Bruce Banner kauft sich eine neue Hose, geht aber nicht mit mir essen

Es ist Sams­tag­vor­mit­tag, eine hal­be Auto­stun­de außer­halb Man­hat­tans, an einem der ers­ten Tage, die sich mehr nach Früh­ling als nach Win­ter anfüh­len. Bruce Ban­ner stellt sein Auto etwas zu schwung­voll auf dem Park­platz einer Shop­ping Mall ab. Der renom­mier­te Nukle­ar­phy­si­ker fliegt mor­gen zu einer Kon­fe­renz nach Kap­stadt und muss vor­her noch ein paar Ber­sor­gun­gen machen. Vor allem braucht er eine neue Smo­king-Hose: Die letz­te sei ihm bei einem bedau­er­li­chen Zwi­schen­fall geris­sen, erklärt der groß gewach­se­ne Wis­sen­schaft­ler mit einem ent­schul­di­gen­den Schul­ter­zu­cken.

Ban­ner betritt das Ein­kaufs­zen­trum durch einen Sei­ten­ein­gang. Eigent­lich möge er sol­che Orte nicht, sagt er, wäh­rend er sich ein wenig hilf­los umsieht: „Zu vie­le Men­schen, zu viel Hek­tik!“ In der Innen­stadt sei es aber noch anstren­gen­der, ein­zu­kau­fen: „Zu vie­le Tou­ris­ten!“

Nach einem skep­ti­schen Blick auf einen Lage­plan weiß Ban­ner zumin­dest, wo er hin muss: Das Geschäft von Brooks Brot­hers befin­det sich im ers­ten Stock der Mall, etwa 400 Meter nach Süden. „Das soll­te zu schaf­fen sein“, mur­melt er und zieht sein Schritt­tem­po etwas an. Wir schaf­fen es etwa 30 Meter weit, dann errei­chen wir die Roll­trep­pen. Oder genau­er: Wir errei­chen sie erst mal nicht. Vor uns steht ein jun­ges Pär­chen in Mul­ti­funk­ti­ons­ja­cken, das offen­kun­dig unent­schlos­sen ist, ob es die Roll­trep­pe neh­men soll oder nicht. Die Frau sagt mit leicht pat­zi­gem Unter­ton, sie wol­le jetzt aber „da ho-hoch“, der Mann erweckt den Ein­druck, als ob er das Ein­kaufs­zen­trum am Liebs­ten flucht­ar­tig ver­las­sen wol­le, die mög­li­chen Aus­wir­kun­gen auf die wei­te­re Wochen­end­pla­nung ihn aber noch davon abhal­ten. Sekun­den ver­strei­chen, die sich wie Stun­den anfüh­len, dann tre­ten die bei­den erst ein­mal zur Sei­te. Ein Rent­ner­ehe­paar drän­gelt sich an uns vor­bei, wir bestei­gen nach ihnen die Roll­trep­pe.

„Men­schen sind die ein­zi­gen Lebe­we­sen, die sich künst­li­che Umge­bun­gen geschaf­fen haben, in denen sie sich so unwohl füh­len kön­nen wie Tie­re, die von ihren Fress­fein­den in die Enge getrie­ben wer­den“, beginnt Ban­ner zu dozie­ren, muss dann aber abbre­chen, weil die Rent­ner am Ende der Roll­trep­pe unver­mit­telt ste­hen­ge­blie­ben sind und wir auf sie auf­fah­ren wie Fer­ti­gungs­gü­ter in einer Fabrik, deren Pro­duk­ti­ons­ab­lauf emp­find­lich gestört wur­de. Ban­ner flucht lei­se und drän­gelt sich zwi­schen Rent­ner­weib­chen und ‑männ­chen hin­durch.

Die nächs­ten Meter legt der aus Talk­shows bekann­te For­scher stram­men Schrit­tes zurück, wobei er gele­gent­lich ste­hen­den oder ent­ge­gen­kom­men­den Kon­su­men­ten aus­wei­chen muss. Er erle­digt dies mit leicht tän­zeln­den Bewe­gun­gen, die bei einem Mann sei­ner Sta­tur ein wenig fehl am Plat­ze wir­ken, aber auf eine gro­ße Erfah­rung schlie­ßen las­sen. Fast dro­he ich, den Anschluss zu ver­lie­ren.

Wort­los errei­chen wir die Brooks-Brot­hers-Filia­le. Hier ist es bedeu­tend ruhi­ger als in den gro­ßen Wan­del­gän­gen der Mall, das Licht ist gedämpft und auch die Tem­pe­ra­tur liegt ein paar grad unter der im Ein­kaufs­zen­trum. Außer uns ist nur ein ein­zi­ger wei­te­rer Kun­de da, der aber die Auf­merk­sam­keit bei­der Ver­käu­fer (ein Gen­tle­man mit grau­en, zurück gegel­ten Locken und eine hüb­sche Frau Anfang drei­ßig im Kos­tüm) zu bin­den scheint: „Auf dem Weg hier­hin hab ich ’nen Klas­sen­ka­me­ra­den getrof­fen“, berich­tet der Mann, der bestimmt schon acht­zig ist, im Zun­gen­schlag des nörd­li­chen New Jer­sey. „Also: ehe­ma­li­gen Klas­sen­ka­me­ra­den. Wil­liam Fair­banks. Drau­ßen auf dem Park­platz. Bestimmt vier­zig Jah­re nicht gese­hen, aber gleich wie­der­erkannt.“ Bei­de Ver­käu­fer nicken höf­lich und ich mer­ke, wie Bruce Ban­ner neben mir laut durch­schnauft.

„Ent­schul­di­gung“, sagt er und hebt zag­haft den rech­ten Zei­ge­fin­ger. „Ich brau­che eine Smo­king-Hose!“ Die Ver­käu­fe­rin blickt ihn an, macht eine ent­schul­di­gen­de Ges­te gegen­über dem alten Mann und kommt zu uns her­über geschwebt. „Ver­zei­hung“, sagt sie, wiegt ihren Kopf leicht zur Sei­te und blickt uns mit einem erwar­tungs­fro­hen Lächeln an. „Eine Smo­king-Hose“, wie­der­holt Ban­ner, eine Spur zu barsch für die hier vor­herr­schen­de Atmo­sphä­re. Ob er wis­se, aus wel­cher Kol­lek­ti­on die­se sei­en soll, fragt ihn die jun­ge Frau ohne ein Anzei­chen von Krän­kung und führt Dr. Ban­ner mit einer flie­ßen­den Bewe­gung in den hin­te­ren Bereich des Laden­lo­kals. Ich blei­be vor­ne zurück, stu­die­re die Innen­ein­rich­tung und lau­sche noch ein wenig den Aus­füh­run­gen des alten Man­nes.

Nach zehn Minu­ten kommt Ban­ner zurück, die neue Hose bereits bezahlt und in einer papie­re­nen Tasche ver­staut. „Eine Bund­grö­ße mehr als beim letz­ten Mal“, brum­melt er etwas unge­hal­ten. „Schon wie­der zuge­nom­men!“ Wir ver­las­sen das Geschäft und sind kurz von der Atmo­sphä­re im Inne­ren der Shop­ping Mall über­wäl­tigt: Der Strom der Men­schen scheint noch dich­ter gewor­den zu sein, das Gekrei­sche der Kin­der (und ver­ein­zel­ter Ehe­frau­en) noch eine Spur schril­ler. Dem frisch neu ein­ge­klei­de­ten Wis­sen­schaft­ler ent­fährt ein lei­ses Schnau­ben. „Las­sen Sie uns zuse­hen, dass wir hier schnell raus­kom­men“, raunzt er mir zu, dann läuft ein klei­nes Mäd­chen gegen sein Bein und fällt auf ihren Hin­tern. Sie blickt sich kurz um, dann fängt sie an zu wei­nen. Ban­ner seufzt, als eine leicht hys­te­risch wir­ken­de Blon­di­ne, Sor­te Trai­ler-Park-Schön­heit, auf uns zustürzt.

„Was haben Sie mei­ner Toch­ter getan“, herrscht sie Ban­ner in einer ras­peln­den Ton­la­ge an. „Nichts“, mur­melt Ban­ner und lässt die Schul­tern hän­gen. „Wenn’s nichts wäre, wür­de sie ja wohl kaum heu­len“, argu­men­tiert die Frau und bückt sich, um ihre Toch­ter auf den Arm zu neh­men. „Was hat der böse Onkel gemacht, Jana­tha-Fay“, fragt sie das viel­leicht drei­jäh­ri­ge Kind, in des­sen Ohr­läpp­chen ich klei­ne Erd­bee­rohr­ste­cker ent­de­cke.

Das Wort­ge­fecht geht noch ein wenig wei­ter, wobei Dr. Ban­ner sei­ne zunächst etwas defen­si­ve Hal­tung schnell auf­gibt und die Frau schließ­lich anschreit, sie sol­le sich „mit ihrem ver­damm­ten Mist­blag“ gefäl­ligst „ver­pis­sen“. Das ent­spannt die Situa­ti­on nicht wirk­lich, sorgt aber dafür, dass die ohne­hin schon sehr lang­sam lau­fen­den Kun­den um uns her­um nun schlicht ste­hen blei­ben. Wir müs­sen uns durch eine Trau­be von Men­schen kämp­fen, von denen eini­ge Ban­ner kopf­schüt­telnd hin­ter­her­schau­en.

„Kom­men Sie hier lang“, sagt Ban­ner zu mir und öff­net eine Tür, auf der „Not­aus­gang“ steht. „Ich muss drin­gend eine rau­chen!“ Wäh­rend drin­nen eine Alarm­si­re­ne los­heult, ste­hen wir auf einem Git­ter­gang und sehen uns um. Der Weg führt an der Außen­wand des Ein­kaufs­zen­trums ent­lang, in 50 Metern führt eine Metall­trep­pe nach unten. Am Hori­zont zeich­net sich die Sky­line Man­hat­tans ab. Dr. Ban­ner klopft sei­ne Jacken­ta­schen ab, dann ent­fährt ihm ein Fluch: „Schei­ße! Die Kip­pen sind im Auto!“ Er macht Geräu­sche wie ein Vul­kan kurz vor der Erup­ti­on, dann stapft er lang­sam in Rich­tung der Trep­pe.

Wir errei­chen Ban­ners Auto im Lauf­schritt, wobei wir auf dem Weg dort­hin fast noch von einem SUV über­fah­ren wor­den wären – ein Zwi­schen­fall, den der renom­mier­te For­scher mit Wor­ten und Ges­ten kom­men­tier­te, die an die­ser Stel­le nicht wie­der­ge­ge­ben wer­den sol­len. Der Schweiß steht uns bei­den auf der Stirn, auf Ban­ners Kopf sind aber auch die Adern deut­lich her­vor­ge­tre­ten. Er öff­net die Bei­fah­rer­tür, schleu­dert die Tasche mit der Smo­king-Hose (250 Dol­lar) auf die Rück­bank und holt eine Packung Ziga­ret­ten aus dem Hand­schuh­fach. Dann schlägt er die Tür wie­der zu.

Ban­ner steckt sich eine Ziga­ret­te („Marl­bo­ro Red“) in den Mund­win­kel und hält mir die offe­ne Schach­tel hin, doch ich leh­ne dan­kend ab. Er wühlt in sei­nen Hosen­ta­schen und holt ein Sturm­feu­er­zeug her­vor, das er mit einer läs­si­gen Bewe­gung auf­klap­pen lässt. Er betä­tigt das Reib­rad mit dem rech­ten Dau­men, aber nichts pas­siert. „Scheiß­din­ger“, brüllt Ban­ner, „immer ist der ver­fick­te Tank leer!“ Er schleu­dert das Feu­er­zeug mit einer aus­la­den­den Bewe­gung von ober­halb sei­nes Kop­fes auf den Asphalt und tritt es mit dem Fuß weg. Das Feu­er­zeug fliegt ein paar Meter durch die Luft und zer­split­tert die Schei­be eines par­ken­den Mer­ce­des, des­sen Alarm­an­la­ge los kreischt.

„Zahlt die Ver­si­che­rung“, bellt Ban­ner, des­sen Gesichts­far­be auf mich inzwi­schen einen unge­sun­den Ein­druck macht. Womög­lich ist die For­scher­le­gen­de unter­zu­ckert. Doch bevor ich ihm anbie­ten kann, eine Klei­nig­keit zum Mit­tag zu essen, hat Ban­ner schon wie­der die Bei­fah­rer­tür auf- und in die­sem Fall auch: aus den Angeln geris­sen. Er schwingt sich auf den Bei­fah­rer­sitz und fuch­telt an der Mit­tel­kon­so­le her­um. Vor­sich­tig nähe­re ich mich sei­nem Auto und beob­ach­te, wie er den Ziga­ret­ten­an­zün­der fast aus der Innen­aus­stat­tung her­aus­reißt. Doch sein Griff scheint nicht fest genug: Für einen Moment wirkt es, als wol­le Ban­ner mit dem Ziga­ret­ten­an­zün­der jon­glie­ren, dann fällt ihm das Teil mit der glü­hen­den Spi­ra­le vor­an auf den Schoß. Ich höre einen lau­ten Schrei – und das nächs­te, wor­an ich mich erin­nern kann, ist, dass ein paar Autos durch die Luft flie­gen.

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Unterwegs

I Cross The Line

Wie Sie die­sem Blog regel­mä­ßig ent­neh­men kön­nen, sind es gera­de die klei­nen Din­ge, über die ich mich stun­den­lang freu­en könn­te.

Seit zwei Tagen erfreue ich mich an einer ver­mut­lich eher neben­säch­li­chen Ent­de­ckung, die ich mach­te, als ich in einer Gegend unter­wegs war, deren Ein­woh­ner sich aus mir uner­find­li­chen Grün­den dem Müns­ter­land zuge­hö­rig füh­len – obwohl sie genau­so gut am schö­nen Nie­der­rhein woh­nen könn­ten.

Aber sehen Sie selbst:

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Leben

Ich kaufe mir eine Hose und gehe mit niemandem essen

Ich brauch­te eine neue kur­ze Hose. Nein, das ist falsch: nie­mand über 18 braucht eine kur­ze Hose, wenn er nicht gera­de im Urlaub oder Fuß­ball­pro­fi ist. Ich woll­te aber für den Pri­vat­ge­brauch trotz­dem eine kur­ze Hose haben, die ich bei gro­ßer Hit­ze in der Woh­nung tra­gen kann.

Die­se doch recht schlich­te Aus­gangs­kon­stel­la­ti­on erwies sich recht schnell als eini­ger­ma­ßen pro­ble­ma­tisch. Der Kauf neu­er Klei­dungs­stü­cke, die kei­ne T‑Shirts oder Socken sind, berei­tet mir immer gro­ßes Unbe­ha­gen. Ich ver­brin­ge oft meh­re­re Tage in Geschäf­ten und fin­de doch nichts. Mei­ne Schu­he wer­de ich tra­gen, bis sie mir von den Füßen fal­len.

Ich hät­te mir auch kaum eine schlech­te­re Sai­son für mei­nen Inves­ti­ti­ons­ver­such aus­su­chen kön­nen, denn die vor­herr­schen­den Trends haben mit mei­nem Geschmack in etwa so viel zu tun wie mei­ne Fri­sur mit den aktu­el­len Moden. Die Unsit­te, eigent­lich okaye Klei­dungs­stü­cke mit wahl­lo­sen Zah­len­fol­gen und baro­cken Orna­men­ten zu bedru­cken, ist noch lan­ge nicht abge­ris­sen, und Taschen wer­den auf kur­zen Hosen nach wie vor zahl­reich unter­ge­bracht, nicht aber an den Stel­len, wo sie sein soll­ten. Mei­ne Fra­ge, wer zum Hen­ker denn Hosen trü­ge, auf denen ein öster­rei­chi­sche­rer Dop­pel­kopf­ad­ler und eine fran­zö­si­sche Königs­li­lie pran­gen, und an die etwa 17 Taschen, Laschen und Schlau­fen ange­näht sind, wur­de lei­der als­bald wort­los beant­wor­tet. Mit sol­chen Men­schen woll­te ich nichts gemein haben.

Außer­dem schei­nen die­ses Jahr Hosen in Mode zu sein, die bereits über dem Knie enden. Das geht bei mir aus vie­ler­lei Hin­sicht nicht: ers­tens prangt auf mei­nem rech­ten Knie die unschö­ne Nar­be eines Bade­un­falls, zwei­tens sind mei­ne Bei­ne so kurz, dass Hosen, die bei nor­ma­len Men­schen über dem Knie enden, bei mir genau bis zur Mit­te der Knie­schei­be rei­chen, und drit­tens will ich ein­fach kei­ne Hosen, die so viel Bein zei­gen. Mei­ne Bei­ne sind häss­lich genug, je weni­ger man davon sieht, des­to bes­ser.

Mei­ne Beglei­te­rin erwies sich als deut­lich här­ter im Neh­men, als ich es war: sie schlepp­te mich in immer noch einen Laden und wenn ich ange­sichts beleg­ter Umklei­de­ka­bi­nen schon wie­der gehen woll­te, hielt sie mich an der Jacke fest und zwang mich zu wei­te­ren Anpro­ben. Schließ­lich hat­te ich tat­säch­lich eine Hose gefun­den, die für mei­nen Geschmack lang genug war, gut saß, nicht zu vie­le alber­ne Taschen in Knie­hö­he hat­te und ange­nehm leicht war. Der Preis war zwar so hoch wie für nor­ma­le, gan­ze, also lan­ge Hosen, lag aber noch unter der mir selbst auf­er­leg­ten Höchst­gren­ze.

Es blieb das Pro­blem der Far­be: mög­li­cher­wei­se gibt es auch für Mode­kon­zer­ne Quo­ten, einen bestimm­ten Pro­zent­satz Schwer­be­hin­der­te ein­zu­stel­len. Aber müs­sen es aus­ge­rech­net Blin­de sein, die dann in der Desi­gn­ab­tei­lung arbei­ten? Die an sich tol­le Hose war im Mode­farb­ton „Schlamm“ gehal­ten, war also nach mensch­li­chen Maß­stä­ben braun, was eher so indi­rekt eine Far­be ist. Was man denn dazu bit­te tra­gen sol­le, frag­te ich ent­geis­tert die freund­li­che Ver­käu­fe­rin. Beige gin­ge sehr gut (ich war nicht beim Afri­ka­korps), weiß (habe ich wenig, weil’s schnell dre­ckig wird), grün (hab ich nur als Glad­bach-Tri­kot, des­sen schwarz wie­der­um nicht zum Braun passt) oder hell­blau (gut, dass ich ein Jun­ge bin). Ich ging im Geis­te mei­nen Klei­der­schrank durch, wie mir die Dame gera­ten hat­te, und kam zu dem Schluss, dass mei­ne Wasch­ma­schi­ne und das von mir benutz­te Wasch­mit­tel den Farb­ton schon nach drei Wäschen in ein schmu­ckes Grau-Anthra­zit-Staub­far­ben ver­wan­deln wür­de, und kauf­te das gute Stück.

Jetzt muss ich nur noch in Urlaub fah­ren.

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Leben Gesellschaft

Nimm mich, holdes Marzipan

Werbeplakat am Union Square, San Francisco, CA (November 2006)

Es ist wie­der soweit: In den Super­märk­ten ste­hen Leb­ku­chen, Spe­ku­la­ti­us und Mar­zi­pan­kar­tof­feln zur Abho­lung bereit und die Men­schen ste­hen davor und sagen: „Guck mal, Heinz, es gibt schon wie­der Weih­nachts­ge­bäck!

Das wirft die Fra­ge auf, wo die­se Men­schen die letz­ten drei Wochen Ein­kau­fen waren, denn Weih­nachts­ge­bäck gibt es bereits seit Ende August wie­der zu kau­fen. Ich habe schon meh­re­re Pake­te Leb­ku­chen­her­zen, ‑ster­ne und ‑bre­zeln gekauft und die­se mit Freu­den ver­speist. Das Wet­ter passt, mir schmeckt das Zeugs ein­fach und ich habe als (noch) frei­er Bür­ger wenig Lust, mir von plan­wirt­schaft­lich ope­rie­ren­den Back­wa­ren­kon­zer­nen vor­schrei­ben zu las­sen, wann ich wel­che Art Gebäck ver­zeh­ren möch­te. Außer­dem gehe ich durch früh­zei­ti­gen Ver­zehr sicher, dass mir Prin­ten, Domi­no­stei­ne und Pfef­fer­nüs­se spä­tes­tens zu Niko­laus zum Hal­se raus­hän­gen und ich mich in der eigent­li­chen Weih­nachts­zeit voll und ganz auf den Ver­zehr fet­ter Bra­ten, dicker Klö­ße und haus­ge­mach­ter Apfel­kom­pöt­te kon­zen­trie­ren kann.

Da sich der Erst­ver­kaufs­tag der Weih­nachts­ge­bä­cke in den letz­ten Jah­ren nur mini­mal nach vor­ne ver­scho­ben haben dürf­te, besteht indes kein Grund, in die­sem Jahr wie­der Kolum­nen und Edi­to­ria­le mit dem Hin­weis zu fül­len, dass es ja schon im Sep­tem­ber Leb­ku­chen und Stol­len zu kau­fen gäbe und ob das nicht etwas früh sei. Die­ses The­ma ist so aus­ge­lutscht wie die Toma­ten­saft­glos­se der Neun­zi­ger Jah­re. Wenn Ihr irgend­was Wit­zi­ges „aus dem Leben“ ver­ar­bei­ten wollt, müsst Ihr wohl oder übel mal Eure Schreib­stu­ben ver­las­sen, lie­be Kol­le­gen, und mal eine Vier­tel­stun­de real life aus­che­cken. Super­markt­kas­sen sind da z.B. eine töf­te Inspi­ra­ti­ons­quel­le – aber bit­te nicht dar­über schrei­ben, dass man immer in der lang­sa­me­ren Schlan­ge steht!

Was mich am vor­weih­nacht­li­chen Geschäfts­ge­ba­ren irri­tiert, ist etwas völ­lig ande­res: Letz­tes Jahr fiel mir erst­mals auf, dass diver­se Mode­ket­ten und Ver­sand­häu­ser, aber auch Kaf­fee­rös­ter, etwa ab Novem­ber die Innen­städ­te mit leicht­be­klei­de­ten Frau­en zupla­ka­tier­ten. Auf rie­si­gen Pla­kat­wän­den und in Schau­fens­tern wur­de die Sor­te Damen­un­ter­wä­sche ange­prie­sen, die eigent­lich nur schreit „Hal­lo Schatz, sieh mal, ich hab mich hübsch gemacht und jetzt nimm mich, hol­der Recke!“ Mir war zuvor nie auf­ge­fal­len, dass Weih­nach­ten ein der­art pla­ka­tiv ange­gan­ge­nes Sex-Spek­ta­kel sein könn­te – auch wenn das erklä­ren wür­de, war­um so vie­le Freun­de von mir im Sep­tem­ber Geburts­tag haben.

Die­se Jahr, jeden­falls, schmü­cken die Push-Up-BHs, Hemd­chen, Hös­chen, Tan­gas, Hot Pants und Kor­sa­gen schon im Sep­tem­ber die Schau­fens­ter völ­lig seriö­ser Beklei­dungs­ge­schäf­te und wer sagt, das sei sexis­tisch, hat natür­lich völ­lig Recht: Über­all nur halb­nack­te Frau­en und nir­gends wer­den Pro­duk­te für den Herrn ange­bo­ten, der sich hübsch machen will.

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Leben

Wüster Service Deutschland

Ges­tern hab ich mal wie­der ein­drucks­voll fest­ge­stellt, wie in deut­schen Super­märk­ten Ser­vice buch­sta­biert wird.

Super­markt 1
Im Ange­bots­pro­spekt war eine Web­cam für 14,99 Euro ange­zeigt, ich brauch­te noch Brot und Auf­schnitt, also ging ich in den nahe­ge­le­ge­nen Super­markt, such­te mir Web­cam, Brot, zwei Tafeln Scho­ko­la­de (zu 39 Cent im Ange­bot) und eine Packung Sala­mi zusam­men und ging zur Kas­se. Nach­dem die Kas­sie­re­rin die Waren gescannt hat­te, nann­te sie mir die End­sum­me und ich reich­te ihr mei­ne EC-Kar­te. Sowas mache ich im Super­markt nicht ger­ne, aber ich hat­te nicht mehr genug Bar­geld und 17 Euro erschie­nen mir ein ange­mes­se­ner Betrag für Kar­ten­zah­lung.

Die Dame steck­te die Kar­te ins Kar­ten­le­se­ge­rät und erhielt eine Feh­ler­mel­dung.
„Das ist schon den gan­zen Tag“, erklär­te sie mir und rief nach einer Kol­le­gin.
Nach­dem die Kas­sie­re­rin­nen auch zu zweit zu kei­nem Ergeb­nis kamen und ich die Fra­ge, ob ich nicht bar zah­len kön­ne, ent­geis­tert ver­nein­te (Wenn ich das in bar hät­te, hät­te ich ja wohl kaum mit Kar­te zah­len wol­len, nech?), frag­te man mich, ob ich nicht „eben zur Bank gehen“ und Bar­geld abho­len kön­ne.

Da die Volks­bank so fern nicht lag, wil­lig­te ich ein, pack­te die bereits in mei­ner Tasche ver­stau­ten Waren wie­der aus, und ver­ab­schie­de­te mich „bis gleich“. Kei­ne fünf Minu­ten spä­ter stand ich wie­der im Laden, das Bar­geld in den Hän­den. Die Kas­se war geschlos­sen, die Kas­sie­re­rin­nen und mei­ne unbe­zahl­ten Waren waren nir­gends zu sehen. So dreh­te ich auf dem Absatz um und ver­schwand höchst ver­är­gert.

Super­markt 2 (Dis­coun­ter)
Schon durchs Fens­ter konn­te ich sehen, dass nur eine Kas­se geöff­net war und sich die Kun­den mit gefüll­ten Ein­kaufs­wa­gen durch den gan­zen Laden stau­ten.

Mei­ne Zeit und mei­ne geis­ti­ge Gesund­heit sind mir zu scha­de, um sie für ein paar Cent Erspar­nis zu ver­plem­pern.

Super­markt 3
Ein Laden blieb mir noch auf dem Heim­weg. Ich ging hin­ein, stand etwa drei Minu­ten vor dem Regal mit abge­pack­tem Brot, bis ich ein pas­sen­des, län­ger halt­ba­res fand, schnapp­te mir eine Packung Sala­mi und ging zur Kas­se. Die­se war erfreu­lich leer, nicht mal eine Kas­sie­re­rin war zu sehen.

Im Geis­te zähl­te ich von zwölf her­un­ter. Bei „Null“ woll­te ich gehen, aber ich hat­te Hun­ger und brauch­te die­ses ver­damm­te Brot. Schließ­lich tauch­te doch noch eine Kas­sie­re­rin auf (sie hat­te gera­de Rega­le umge­räumt) und nur eine hal­be Stun­de nach dem ers­ten Ver­such hat­te ich end­lich zwei Euro an den Mann gebracht.

Die Web­cam brau­che ich nicht wirk­lich, glau­be ich.

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Leben Unterwegs

Late Night Shopping Revisited

Wenn es irgend­wo auf der Welt eine Test­stre­cke für Stadt­mar­ke­ting­maß­nah­men geben soll­te, so liegt sie mit Sicher­heit im Ruhr­ge­biet. Fast jedes Wochen­en­de, so scheint es, wird eine neue Sau durch die Regi­on getrie­ben, und das Ruhr­ge­biet dürf­te mitt­ler­wei­le mehr Events als Ein­woh­ner haben.

Bochums neu­es­te Errun­gen­schaft ist der „Bochu­mer Musik­som­mer“, der am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de zum ers­ten Mal statt­fand. Auf zahl­rei­chen Büh­nen in der Innen­stadt gab es kos­ten­lo­se Musik vom Poli­zei­chor bis zu Heinz-Rudolf Kun­ze, von der Elek­tro­lounge an der U‑Bahn-Sta­ti­on bis zum Kin­der­lie­der­sin­gen. Am Don­ners­tag spiel­ten Tele ein andert­halb­stün­di­ges Gra­tis­kon­zert und anders als beim Bochum Total hat­te man das Gefühl, dass das Publi­kum nüch­tern und wegen der Band da war. Es ging exakt eine Bier­fla­sche zu Bruch.

Sams­tag Abend war dann „Moon­light Shop­ping“, was im Wesent­li­chen bedeu­tet, dass sich Gewerk­schaf­ter dar­über beschwert haben dürf­ten, dass die Geschäf­te ein­mal bis 23 Uhr geöff­net waren. Natür­lich auch längst nicht alle Geschäf­te – über­ra­schen­der­wei­se waren unter denen, die nicht mit­mach­ten, aber vie­le gro­ße Ket­ten.

Halb zehn Abends ist nor­ma­ler­wei­se nicht die Zeit, zu der man zum Ein­kau­fen in die Stadt fährt, aber vor­ges­tern war es dann end­lich mal so weit. Wir stie­gen am Haupt­bahn­hof aus der U‑Bahn und fan­den unse­re Idee, eine sol­che Ver­an­stal­tung zu besu­chen, wun­der­bar iro­nisch. Dann stie­ßen wir auf einen Strom von Men­schen, die tat­säch­lich ihren Ein­kaufs­bum­mel auf den spä­ten Sams­tag­abend ver­legt hat­ten, und ich beschloss, mir den Schrift­zug „Iro­ny Is Over“ an einem pro­mi­nen­ten Platz über mei­nen Schreib­tisch zu hän­gen.

Aus der Fer­ne hör­te man Under­worlds „Born Slip­py“, das bald dar­auf in eine Tech­no­ver­si­on des ein­zi­gen mir bekann­ten Lie­des mün­de­te, das in Piz­ze­ri­en, Aus­seg­nungs­hal­len und Box­kampf­are­nen zum Ein­satz kam: „Time To Say Good­bye“. Es dau­er­te eini­ge Minu­ten, bis das Lied sein unge­wohn­tes Four-To-The-Flo­or-Gewand ver­las­sen und sich im Instru­ment eines ein­sa­men Gei­gers wie­der gesam­melt hat­te.

Wir gin­gen wei­ter in Rich­tung der Tech­n­obeats und – Hol­la! – die wich­tigs­te Kreu­zung der Fuß­gän­ger­zo­ne war voll mit Men­schen, die den Klän­gen eines DJs lausch­ten. Nur eine Woche, nach­dem die Love Para­de im Ruhr­ge­biet auf­ge­schla­gen war, stan­den hier jun­ge Men­schen, älte­re Men­schen, Teen­ager und Anzug­trä­ger zwi­schen Würst­chen­stand und Bier­wa­gen und es war ganz egal, dass sich eini­ge von ihnen gera­de zum ers­ten Mal in ihrem Leben zu elek­tro­ni­scher Musik beweg­ten.

Wir gin­gen in den City Point, die Bochu­mer Inkar­na­ti­on jener Ein­kaufs­zen­tren, unter deren Glas-und-Stahl-Dächern die wich­tigs­ten Beklei­dungs­fach­ge­schäf­te für die jün­ge­re Ziel­grup­pe unter­ge­bracht sind. Beim Betre­ten über­la­ger­ten sich kurz der Tech­no von drau­ßen und „Life Is Life“ aus dem zwei­ten Stock. Jedes Mal, wenn wir ein Geschäft ver­lie­ßen und das nächs­te betra­ten, hör­ten wir kurz die Par­ty­mu­sik von oben, die sich sehr schnell zu „YMCA“ stei­ger­te und irgend­wann „Movie Star“ erreich­te. Wir guck­ten eine Men­ge Kla­mot­ten, ich stell­te zu mei­nem Ent­set­zen fest, dass die Trends der Sai­son offen­bar V‑Ausschnitt und Test­bild­far­be­ne T‑Shirts hei­ßen und dass es in ganz Bochum, ver­mut­lich gar auf der gan­zen Welt, kein mir pas­sen­des schwar­zes Cordsak­ko gibt. Ich wür­de also einen Schnei­der auf­su­chen müs­sen, um end­lich zufrie­den zu sein.

Unser Bum­mel ende­te, auch um das Gefühl von Groß­stadt und Event noch ein wenig aus­zu­kos­ten, natür­lich bei Star­bucks, wobei ich sagen muss, dass eine Hot Cho­co­la­te um elf Uhr abends nicht so super­fluf­fig im Magen liegt. Oder ich Geträn­ke zum Gehen ein­fach nicht ver­tra­ge.

An der U‑Bahn-Hal­te­stel­le rauch­ten drei dicke Mäd­chen Ziga­ret­ten. Ich woll­te sie nicht fra­gem, ob sie das denn über­haupt noch dür­fen.

„Late Night Shop­ping Revi­si­ted“ ist die Fort­set­zung von „Late Night Shop­ping“ mit ande­ren Mit­teln.

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Urlaub machen, wo andere leben

Jesus auch in Bochum

Besucht man irgend­wen irgend­wo und drängt die­se Per­son mit mil­der Gewalt dazu, am eige­nen tou­ris­ti­schen Pro­gramm mit­zu­ma­chen, wird man mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit am Ende einen Satz wie die­sen hören: „Also, das fand ich jetzt wirk­lich inter­es­sant. Wenn man hier wohnt, guckt man sich das ja nor­ma­ler­wei­se gar nicht an.“

Mich kommt in Bochum lei­der nie­mand besu­chen, wes­we­gen Kath­rin und ich uns am Wochen­en­de ein­fach mal auf eige­ne Faust als Tou­ris­ten in der eige­nen Hei­mat ver­sucht haben. Einen beson­de­ren Grund dazu gab es eigent­lich nicht, außer dass wir mal recht drin­gend Urlaub brauch­ten.

Gute Grün­de, dass die Innen­stadt voll ist, gibt es hin­ge­gen schon: Die Son­ne scheint in all ihrer som­mer­li­chen Pracht vom Him­mel hin­ab, der VfL spielt zur Sai­son­er­öff­nung gegen Wer­der Bre­men und auf dem Dr.-Ruer-Platz fin­det „Bochum kuli­na­risch“ statt, eine Art Weih­nachts­markt ohne Geschen­ke­stän­de und mit bes­se­rem Essen im Som­mer. Es herrscht das, was in Fern­seh­do­ku­men­ta­tio­nen mit dem Satz „Es herrscht Volks­fest­stim­mung“ beschrie­ben wird, bevor dann irgend­ein Unglück pas­siert (Explo­sio­nen, ein­stür­zen­de Tri­bü­nen, nie­der­ge­schla­ge­ne Volks­auf­stän­de).

Ein Unglück soll­te uns am Sams­tag aber nicht pas­sie­ren, denn Jesus liebt uns. Das behaup­ten zumin­dest die jun­gen Men­schen, die uns hun­dert Meter wei­ter Flug­blät­ter in die Hand drü­cken wol­len. Wir bedan­ken uns für so viel Unter­stüt­zung, gehen aber lie­ber wei­ter, bevor wir noch beim gro­ßen gemein­sa­men Sin­gen mit­ma­chen müs­sen. Kath­rin möch­te ihren Tele­fon­an­schluss kün­di­gen, was aber im Tele­kom-Laden natür­lich nicht geht. Des­halb gehen wir direkt wei­ter „Kla­mot­ten gucken“, also serious shop­ping betrei­ben. Zwan­zig Minu­ten spä­ter habe ich bei C&A ein Paar Jeans in mei­ner Grö­ße für 9 Euro erstan­den (alle ande­ren Grö­ßen kos­ten 15 Euro, der Ursprungs­preis ist dem Eti­kett lei­der nicht mehr zu ent­neh­men) und ver­schwand erst mal in den Tie­fen einer Buch­hand­lung.

Um das Gefühl von Groß­stadt und Urlaub noch ein biss­chen aus­zu­kos­ten, gehen wir zu Star­bucks – davon hat Bochum inzwi­schen zwei Stück im New-York-ver­däch­ti­gen Abstand von 250 Metern. Star­bucks ist zwar eigent­lich ein Super-Feind­bild für alles und A haben mit „Don’t want your job in Star­bucks“ eine wun­der­bar tref­fen­de Lied­zei­le zum The­ma, aber wie sonst soll man Welt­läu­fig­keit simu­lie­ren, wenn nicht mit einer ame­ri­ka­ni­schen Kaf­fee­ket­te? Ganz uname­ri­ka­nisch set­zen wir uns aller­dings hin1 – wenn auch drau­ßen vor den Laden, wo wir die Men­schen in der Fuß­gän­ger­zo­ne wie Qual­len an uns vor­bei­trei­ben las­sen. Die Bochu­mer Innen­stadt ist teil­wei­se der­art reno­viert wor­den in den letz­ten Jah­ren, dass ich nur auf den Tag war­te, an dem die Stadt das ers­te Mal in einem Fern­seh­film Ber­lin dou­beln muss, weil sich die Kame­ra­teams in Ber­lin ja sowie­so immer gegen­sei­tig auf den Füßen rum­ste­hen.

Der shop­ping spree soll bei H&M wei­ter­ge­hen, dort haben sie schwar­ze Cord­sackos, deren Erwerb ich seit eini­gen Jah­ren ernst­haft in Erwä­gung zie­he. Ein­mal hat­te ich bereits eines gekauft, aber mei­ne per­sön­li­che Stil­be­ra­te­rin, die lan­ge als Mar­ke­ting-Direk­tor in der New Yor­ker Mode­bran­che gear­bei­tet hat­te, schick­te mich mit harr­schem Ton zum Umtausch. Die Ärmel sei­en defi­ni­tiv zu kurz, so ihr ver­nich­ten­des Urteil. Die Ärmel sind auch dies­mal zu kurz, was den Ver­dacht nahe­legt, dass mei­ne Arme in Wahr­heit zu lang sind. Dafür sind mei­ne Bei­ne zu kurz, was das Ein­stel­len des Fah­rer­sit­zes im Auto immer zu einer län­ge­ren Ange­le­gen­heit wer­den lässt.

Nach etwa einer Stun­de schwe­di­scher Mas­sen­mo­de (ich hat­te die eben­falls shop­pen­de Dame ja erwähnt) bin ich gegen Fünf lang­sam doch mal reif für Mit­tag­essen. Also gehen wir zur Fisch­bra­te­rei von Gül­cans Schwie­ger­va­ter und ich ent­schei­de mich zwecks Urlaubs­fee­ling für ein Krab­ben­bröt­chen mit Nord­see­krab­ben. Das erin­nert mich immer an die unge­zähl­ten Fami­li­en­ur­lau­be an der hol­län­di­schen Nord­see­küs­te (war­um ein Bröt­chen mit Nord­see­krab­ben in Bochum knapp die Hälf­te von dem kos­tet, was man in Hol­land hin­term Deich bezahlt, kann mir sicher irgend­ein VWL-Stu­dent erklä­ren, falls ich mal einen ken­nen­ler­ne).

Für den Sams­tag reicht uns das, außer­dem will ich ja die „Sport­schau“ sehen. Hät­te ich geahnt, dass in der ers­ten Stun­de sowie­so nichts inter­es­san­tes läuft, hät­te ich mir die Tier­schüt­zer, die in der Fuß­gän­ger­zo­ne Vide­os von lei­den­dem Schlacht­vieh zei­gen, viel­leicht noch mal genau­er ange­guckt.

Nach die­sem groß­städ­ti­schen Sams­tag hät­ten wir es am Sonn­tag­abend gern ein paar Num­mern klei­ner. Das ist kein Pro­blem, denn in fuß­läu­fi­ger Ent­fer­nung befin­det sich das „Kirch­vier­tel“ mit alten Berg­ar­bei­ter­häu­sern; diver­sen Bäcke­rei­en, Apo­the­ken und Super­märk­ten; zwei Piz­za­bu­den und tat­säch­lich einer Kir­che. Uns inter­es­siert aber beson­ders die Eis­die­le: Die Aus­wahl ist noch grö­ßer als am Tag zuvor bei Star­bucks und ich wün­sche mir für einen Moment, irgend­je­mand wür­de ein­fach mal für mich ent­schei­den. Dann wäre ich aber ver­mut­lich bei Bana­ne-Moc­ca aus­ge­kom­men und nicht bei Ana­nas-Tira­mi­su wie jetzt. Vor uns ist ein Mann dran, der mit etwas eigen­tüm­li­chen Wün­schen zu über­ra­schen weiß: Fünf Kugeln Moc­ca mit Sah­ne und zwei Kugeln Eis für den Hund (ohne Sah­ne).2

Eis schle­ckend und trop­fend spa­zie­ren wir durch den Orts­teil, der so wun­der­bar dörf­lich wirkt, dass man kaum glau­ben kann, mit­ten im Ruhr­ge­biet zu sein. Die Bewoh­ner des nahe­ge­le­ge­nen Senio­ren­heims (das erklärt die vie­len Apo­the­ken) schlur­fen durch die Stra­ßen und mei­ne Hän­de kle­ben von der zer­lau­fe­nen Eis­creme. Als wir wie­der Rich­tung Uni­ver­si­täts­stra­ße gehen, fra­gen wir uns, ob Bochum nicht viel­leicht doch ein ganz guter Wohn­ort ist, auch län­ger­fris­tig, und war­um man sich sowas nor­ma­ler­wei­se nicht anguckt.

1 Fol­gen­der Dia­log wur­de mir mal aus einer kali­for­ni­schen High School über­lie­fert:
Deutsch­leh­re­rin (Deut­sche): „In Euro­pe, espe­ci­al­ly in Ger­ma­ny, the peo­p­le usual­ly sit down in a cafe. I don’t get why Ame­ri­cans always have to walk around with their bever­a­ges.“
Schü­ler (Ame­ri­ka­ner): „It’s becau­se they have jobs – which 4.5 mil­li­on Ger­mans don’t do, as I recall.“
Der Schü­ler wur­de dar­auf­hin des Unter­richts ver­wie­sen.

2 Das ist aller­dings nichts ver­gli­chen mit dem Mann, der in Dins­la­ken mal „Ama­re­na­ta durchs Spa­ghet­ti-Eis-Sieb gepresst im Hörn­chen“ haben woll­te. Ama­re­na­ta ist Eis mit gan­zen Kir­schen drin.