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Blutig: Noch ein Medium durch!

Fernseher (unter CC-Lizenz von Walt Jabsco)

Ich wollte nicht über Marcel Reich-Ranicki und seinen Auftritt beim Fernsehpreis schreiben. Andere Leute haben eine Vielzahl von klugen Texten geschrieben, die ich alle auf ihre Weise nachvollziehen kann.

Aber erstens ist dieses Land eh über Nacht zu einer Nation von 82 Millionen Medienkritikern geworden, ((Heute Abend werden’s dann aber wieder 82 Millionen Fußballtrainer, versprochen!)) und zweitens haben mich die Reaktionen der Fernsehleute jetzt, da sich der erste Staub gelegt hat und der wütende, alte Mann nicht mehr in Hörweite ist, wahnsinnig gemacht. Die “Frankfurter Rundschau” hat einige davon dokumentiert, “Bild” und die “Netzeitung” ebenfalls.

Es ist unfassbar: Medienschaffende, Journalisten gar, ((Und das schreibe ich ohne Gänsefüßchen und Ironie.)) befinden sich plötzlich in der Situation, dass ihr Medium kollektiv abgewatscht und für scheiße befunden wird. Ja, “Willkommen im Club”, kann ich da nur sagen, denn als Blogger passiert einem das regelmäßig.

Nur sind die meisten Blogger Amateurpianisten auf der medialen Klaviatur, weswegen wir immer noch ständig in Rechtfertigungsgestammel verfallen. Fernsehmacher hingegen sollten Profis sein — und entsprechend reagieren. Das heißt, sie stellen sich entweder selbstbewusst hin und sagen: “Ja, kann schon sein, dass wie hier Mist machen. Aber die Leute mögen es und auch wir können noch jeden Tag in den Spiegel gucken, lasst uns doch den Spaß”, ((Was bizarrerweise nah dran ist an dem, was ausgerechnet Marco Schreyl am Samstag getan hat.)) oder sie glauben an den Anspruch ihres Programms und haben ein trotziges “Aber wir machen doch gar keinen Mist!” nicht nötig. Überhaupt hätte mal jemandem dem Herrn Literaturkritiker entgegenhalten können, dass es ja nicht nur Bücher von Thomas Mann und Bertolt Brecht gibt, sondern auch welche von Uta Danella und Ken Follett.

WDR-Intendantin Monika Piel will sich jetzt dafür einsetzen, dass in der ARD Kulturveranstaltungen vermehrt zur Primetime gesendet werden. Es ist wie im (mutmaßlich sehr schlechten, von mir nach der Betrailerung ungesehen) Film “Free Rainer”, wo Arte plötzlich Mörder-Einschaltquoten hat. ((Und dessen Start vor elf Monaten schon einmal eine Mini-Qualitätsdiskussion durchs Dorf getrieben hatte.)) Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht will. Ich will kein “Faust II” nach der “Tagesschau”, ich will nur, dass das normale Programm ein bisschen weniger lieblos und Zuschauerverachtend ist. Wenn ich mich mit Literatur befassen will, höre ich mir Germanistikvorlesungen an. ((Und Sie können das via Podcast sogar auch.))

Unterhaltungssendungen müssen kein Bildungsfernsehen sein, ((Es wäre schlimm, wenn’s so wäre.)) aber man kann auch gute Unterhaltung machen. Gerade deshalb ist der Preis für “Deutschland sucht den Superstar” ein Skandal, weil es eine lieblose, handwerklich allenfalls solide Show ist, die sich über ihre eigenen Hauptfiguren lustig macht. Wie gute Unterhaltung funktioniert, haben “Ich bin ein Star – holt mich hier raus!” und “Das perfekte (Promi-)Dinner” bewiesen, bei denen Bild- und Tonschnitt, Musikauswahl und Kommentar ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Barbara Schöneberger hat bei Reinhold Beckmann ((Oh, diese Geschichte ist so voller Ironie, man hätte es sich nicht ausdenken können!)) gesagt, man könne auch nicht ins Fußballstadion zu Hertha gehen und dann fragen, warum die Berliner Philharmoniker nicht da seien. Aber wenn ich ins Fußballstadion gehe, erwarte ich, dass da Fußball gespielt wird. Und nicht, dass Mario Gomez am Ball vorbei tritt, oder Borussia Mönchengladbach einen 0:1-Rückstand zu verwalten versucht. Eine Fernsehpreisverleihung sollte, wenn schon keine Sternstunde des Fernsehjahres, dann wenigstens nicht ihr Tiefpunkt sein. Aber wie auf Kommando erscheint beim Stichwort “Tiefpunkt” eben Atze Schröder in Kapitänsuniform auf der Bühne.

Bei der ganzen Diskussion wird mal wieder ein Medium mit seinen Inhalten verwechselt. Je länger ich über Marshall McLuhans berühmten Ausspruch nachdenke, wonach das Medium die Botschaft sei, desto abwegiger finde ich ihn. Goethe soll “Wandrers Nachtlied (Ein Gleiches)” in die Wand einer Holzhütte auf dem Kickelhahn geritzt haben — und zweifellos hat es doch einen höheren kulturellen Wert als so ziemliche jedes andere Graffito, das in Deutschland in den letzten 250 Jahren eine Bretterwand geziert hat.

Das Symbolbild ist von Walt Jabsco und wird hier unter CC-Lizenz verwendet.

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Musik Rundfunk

What’s the use in trying / All you get is pain

Ich lehne Casting-Shows nicht grundsätzlich ab. “Germany’s Next Topmodel” schaue ich aus mir selbst nicht ganz nachvollziehbaren Gründen regelmäßig und “Bully sucht die starken Männer” finde ich sogar sehr gelungen und mit viel Liebe gemacht, ebenso natürlich Stefan Raabs “SSDSDSSWEMUGABRTLAD”.

“Deutschland sucht den Superstar” aber meide ich wie sonst nur Polittalkshows und das Tagesprogramm der privaten Fernsehsender. Dieter Bohlen ist mir persönlich nicht bekannt, aber ich sehe wenig Grund daran zu zweifeln, dass ich ihn nicht mögen würde. Die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler dazu gebracht werden sollen, ihr komplettes Taschengeld und die Einkünfte aus ihren Ferienjobs der nächsten drei Sommerferien für Televoting auszugeben, ist mir mindestens suspekt. Insofern kann ich auch nicht beurteilen, wie der Auftritt irgendwelcher “Superstar”-Kandidaten in ihrer Heimatstadt zu bewerten ist.

Noch weniger als “Deutschland sucht den Superstar” schaue ich “American Idol”, was hauptsächlich daran liegt, dass ich hier in Deutschland kein Fox empfange. Allerdings würde ich es wohl selbst dann nicht schauen, wenn ich technisch dazu in der Lage wäre.

Wer will schon derart desaströse Darbietungen von “I’m A Believer” hören?

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Die hoffnungsvolle Sängerin heißt übrigens Brooke White, aber Sie brauchen sich diesen Namen nicht zu merken: sie ist in der letzten Sendung rausgeflogen.

[via All Songs Considered blog]

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Erinnern Sie sich an Max Buskohl?

Okay, das ist eine gemeine Frage. In der schnelllebigen Zeit von TV-Castingshows weiß ja schon niemand mehr, wer vor einem halben Jahr bei “Deutschland sucht den Superstar” gewonnen hat – geschweige denn, wer drei Wochen zuvor aus der Sendung ausgestiegen war.

Andererseits war die Max-Buskohl-Geschichte so uninteressant ja nicht: Immerhin schmiss der junge Mann im April angeblich hin, weil er einen Plattenvertrag für seine gesamte Band haben wollte, woraufhin ihn Stefan Raab zu “TV Total” einlud, was aber aus vertraglichen Gründen nicht ging, weswegen Raab erst umstrittene Grafiken einblendete und dann einen eigenen Talentwettbewerb ins Leben rief, der zur Zeit läuft und musikalisch interessanter ist als alle bisherigen “DSDS”-Staffeln zusammen.

Doch zurück zu Max Buskohl: Dessen Band Empty Trash, für die er damals angeblich einen Plattenvertrag haben wollte, hat natürlich sofort einen gekriegt – bei Capitol Racords, einer Tochter von EMI, dem schärfsten Konkurrenten der “DSDS”-Plattenfirma SonyBMG.

Vergangene Woche erschien die erste Single “Limited” und da wollen wir doch erst einmal kurz reinhören:

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Lachen Sie jetzt mal nicht über das Video: Verglichen mit den doch sehr Schülerband-mäßigen Songs, die Empty Trash vor ihrem Signing auf ihrer Website hatten, ist das musikalisch eine ziemliche Weiterentwicklung. Der Schwede Patrick Berger, der das Album mit Buskohls Vater Carl Carlton produziert hat, mag vielleicht ein bisschen viel Placebo und The Killers gehört haben, bevor er am Mischpult Platz nahm (die Plattenfirma möchte besonders darauf hinweisen, dass die Single von Pelle Gunnarfeldt abgemischt wurde, der sonst für The Hives, The (International) Noise Conspiracy und Last Days Of April arbeitet – doof nur, dass der Mann Gunnerfeldt heißt), aber die Strophen haben schon einen durchaus netten Zug nach vorne. Schade, dass sie in einen derart H-Blockx-mäßigen Brüll-Refrain münden.

Lange Rede, kurzer Sinn: Von allen Ex-Castingshow-Kandidaten Deutschlands ist Max Buskohl mit seiner Band Empty Trash mit Sicherheit der vielversprechendste. Solch ein Lob erinnert natürlich erst mal an den Einäugigen, der unter den Blinden König ist, aber vielleicht geht da ja wirklich noch was mit dem Album, das nächste Woche erscheint. Auch wenn Sound und Artwork wieder mal völlig konservativ alternative sind: Mir ist es in jedem Fall lieber, wenn die Kinder und Jugendlichen sich sowas anhören als eine weitere von Dieter Bohlen geschriebene Powerschnulze.

P.S.: Machen Sie doch mit beim lustigen “Limited”-Puzzle. Ich hab schon beinahe alle Placebo-Songs und Teile von “Leaving New York” von R.E.M. wiederentdeckt.