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“Sein” oder nicht “sein”

Am 21. August wurde die ehemalige Soldatin Chelsea Manning, die der Whistleblower-Plattform Wikileaks geheime Dokumente zugespielt hatte, von einem US-Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chelsea in der Öffentlichkeit noch Bradley Manning und galt als Mann. Erst einen Tag später ließ sie ein Statement veröffentlichen, in dem es hieß:

As I transition into this next phase of my life, I want everyone to know the real me. I am Chelsea Manning. I am a female. Given the way that I feel, and have felt since childhood, I want to begin hormone therapy as soon as possible. I hope that you will support me in this transition. I also request that, starting today, you refer to me by my new name and use the feminine pronoun (except in official mail to the confinement facility).

Wer gleichermaßen aufgeklärt wie naiv ist, hätte annehmen können, dass das Thema damit schnell beendet war: Chelsea Manning ist eine Frau, die in einem männlichen Körper geboren wurde und einen männlichen Vornamen getragen hat, jetzt aber explizit darum bittet, mit ihrem weiblichen Vornamen bezeichnet zu werden.

Die “New York Times” erklärte dann auch in einem Blogeintrag, möglichst schnell den Namen Chelsea Manning und die weiblichen Pronomina verwenden und zum besseren Verständnis für die Leser auf die Umstände dieser Namensänderung zu verweisen. Der “Guardian” legte den Schalter von “Bradley” auf “Chelsea” um und schrieb fürderhin nur noch von “ihr”.

Aber so einfach war das alles natürlich nicht.

Die “Berliner Zeitung” fasste das vermeintliche Dilemma am 24. August eindrucksvoll zusammen:

Bradley Manning möchte fortan als Frau leben und Chelsea genannt werden. […] Der 25 Jahre alte Soldat ließ erklären, er habe sich seit seiner Kindheit so gefühlt. Von nun an wolle er nur noch mit seinem neuen Namen angesprochen werden. Auch solle künftig ausschließlich das weibliche Pronomen “sie” verwendet werden, wenn über Manning gesprochen werde. Eine operative Geschlechtsumwandlung strebt Manning zunächst wohl nicht an.

Mit diesem Wunsch hat Manning, der gut 700000 Geheimdokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergab, Journalisten in den USA verwirrt und vor große Herausforderungen gestellt. In den Meldungen über Mannings Erklärung war einmal von “ihm” die Rede, dann wieder von Bradley Manning, “die” nun eine Frau sein wolle. Die einen vermieden es peinlich, Personalpronomen zu verwenden. Die anderen erklärten, sie würden solange von “ihm” sprechen, wie Manning aussehe wie ein Mann.

Wie es die “Berliner Zeitung” selbst hält, wurde in den folgenden Wochen deutlich:

5. September:

Die von Matthew H. 2009 besuchte Veranstaltung des Chaos Computer Clubs war immerhin öffentlich. Sein Anteil an der Verurteilung des Whistleblowers Bradley Manning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Manning nicht unseren Vorstellungen entspricht: Er hat militärische Geheimnisse verraten. Das ist auch deutschen Soldaten verboten.

6. September:

Wie in letzter Zeit in Berlin häufiger der Fall, stehen mal wieder leere Stühle auf der Bühne, diesmal nicht für den mit Ausreiseverbot belegten Filmemacher Jafar Panahi, sondern für Edward Snowden und Bradley Manning, die Ulrich Schreiber gern dabeigehabt hätte. Leider sind sie aus bekannten Gründen verhindert.

Bei der “Süddeutschen Zeitung” gibt es offenbar auch keine Empfehlungen und Richtlinien wie bei der “New York Times” — und noch nicht mal eine klare Linie. Am 2. September schrieb die “SZ”:

Auf Transparenten fordern die Teilnehmer, dass US-Präsident Barack Obama seinen Friedensnobelpreis an die Geheimdaten-Enthüller Chelsea Manning und Edward Snowden abtreten solle.

Und eine Woche später:

Anders gefragt: Hätten amerikanische Dienste eine solche Anfrage zugelassen, wenn ein deutscher Dienst sich um Hintergründe zum Treiben eines bekannten amerikanischen Journalisten interessiert hätte? Da können, trotz aller Narreteien und Verhärtungen der amerikanischen Politik im Kampf gegen Whistleblower wie Bradley Manning oder Edward Snowden amerikanische Behörden empfindsam reagieren.

Am 7. Oktober nun wieder:

Schließlich, so schreiben einige, sei er ein Visionär, gleichzusetzen mit der Wikileaks-Informantin Chelsea Manning oder dem NSA-Whistleblower Edward Snowden .

“Bild” hatte in ganz wenigen Zeilen klargemacht, wie wenig sich die Redaktion um die Bitte von Chelsea Manning schert: In ihren “Fragen der Woche” am 24. August fragte die Boulevardzeitung “Kommt Manning in den Frauenknast?” und antwortete:

Nein! Obwohl der zu 35 Jahren Gefängnis verurteilte Wikileaks-Informant Bradley Manning (25) ab sofort als Frau namens Chelsea leben und sich einer Hormonbehandlung unterziehen will (BILD berichtete), kam er in das Männergefängnis Fort Leavenworth (US-Staat Kansas). Ein Armeesprecher sagte, dass dort weder Hormontherapien noch chirurgische Eingriffe zur Geschlechtsumwandlung bezahlt werden.

Der Unterschied zum “Spiegel” ist da allerdings marginal:

Manning fühlt sich schon länger als Frau, nach seiner Verurteilung will er auch so leben. […] Am Mittwoch verurteilte ihn ein Militärgericht dafür zu 35 Jahren Gefängnis, abzusitzen in Fort Leavenworth, Kansas. Zwar kann Manning auf vorzeitige Entlassung hoffen – doch bis dahin steht ihm eine harte Zeit bevor: Seine Mitinsassen sind ausnahmslos Männer, eine Verlegung in ein Frauengefängnis ist nicht geplant.

Die Deutsche Presse-Agentur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. September schrieb die dpa:

Die Mission des angeblichen US-Agenten soll dem Bericht zufolge öffentlich geworden sein, nachdem er im Juni dieses Jahres als Zeuge im Prozess gegen den Whistleblower Bradley Manning vor einem amerikanischen Militärgericht in Maryland aufgetreten sei. Manning wurde später zu 35 Jahren Haft verurteilt, weil er WikiLeaks rund 800.000 Geheimdokumente übergeben hatte. Der Ex-Soldat war eine Art Zeuge der Anklage der Militärstaatsanwälte.

Im Rahmen ihrer Berichterstattung zum Friedensnobelpreis letzte Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekannten Kandidaten in diesem Jahr ist auch Chelsea Manning (früher Bradley Manning). Dem einstigen US-Whistleblower räumt der Prio-Direktor aber wenig Chancen ein. “Es gibt keinen Zweifel, dass die Enthüllungen sehr zur internationalen Debatte über Überwachung beigetragen haben”, sagt Harpviken. Ethisch und moralisch reflektiere Manning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tatsächlich hatte die Agentur in der Zwischenzeit die Entscheidung getroffen, zukünftig immer von “Wikileaks-Informantin Chelsea Manning” zu schreiben und im weiteren Textverlauf möglichst schnell zu erklären, dass Chelsea als Bradley Manning vor Gericht gestanden habe. Wie mir ihr Sprecher Christian Röwekamp auf Anfrage erklärte, hat die dpa nach Abstimmung mit anderen Agenturen am 6. September eine entsprechende Protokollnotiz in ihr Regelwerk “dpa-Kompass” aufgenommen, in dem sonst etwa die Schreibweisen bestimmter Wörter geregelt werden.

Der Evangelische Pressdienst epd war da offenbar nicht dabei. Er schrieb am 11. Oktober:

Gute Chancen auf den Friedensnobelpreis wurden auch dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton, dem WikiLeaks-Informanten Bradley Manning und der afghanischen Menschenrechtlerin Sima Samar eingeräumt.

Wie einfach es eigentlich geht, hatte die “FAZ” am 9. September bewiesen:

Der Umgang mit Chelsea (vormals Bradley) Manning, die Causa Snowden mit transatlantischer Sippenhaft gegen ihn unterstützende Journalisten und der Umgang mit den Geheimdienst- und Militär-Whistleblowern insgesamt zeigt überdeutlich, welch unkontrollierte Macht der “deep state” der Dienste mittlerweile hat und wie unberührt von öffentlichem Protest er agiert.

Am 5. Oktober schrieb die “FAZ” dann allerdings wieder:

Ohne die von Bradley Manning an die Enthüllungsplattform Wikileaks gelieferten geheimen Regierungsdokumente hätte Mazzetti manche Zusammenhänge nicht rekonstruieren können.

Nun zählen die Themenfelder Transgender und Transsexualität im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außergewöhnlicheren, sind aber zumindest immer mal wieder in Sichtweite des Mainstreams. Balian Buschbaum etwa, der als Yvonne Buschbaum eine erfolgreiche Stabhochspringerin war, ist häufiger in Talkshows zu Gast und wird dort mehr oder weniger augenzwinkernd angelanzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Amerikaner Thomas Beatie durfte als “schwangerer Mann” die Kuriositätenkabinette der Boulevardmedien füllen. Mina Caputo wurde mal Keith genannt und war als Sänger von Life Of Agony bekannt und Laura Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Karriere als Tom Gabel — was die Komiker von “Spiegel Online” seinerzeit zu der pietätvollen Überschrift “Gabel unterm Messer” inspiriert hatte.

Viele haben in ihrem Bekanntenkreis keine Transmenschen (oder wissen nichts davon) und wissen nicht, wie sie mit einem umgehen sollten. Für Journalisten, die aus der Ferne über sie schreiben, ist es aber meines Erachtens erst einmal naheliegend, die Namen und Personalpronomina zu verwenden, die sich die betreffenden Personen erbeten haben. Und Chelsea Manning hat dies explizit getan.

In vergleichsweise alltäglichen Situationen scheinen Journalisten übrigens weniger überfordert: Muhammad Ali und Kareem Abdul-Jabbar waren schon bekannte Sportler, als sie zum Islam konvertierten und ihre neuen Namen annahmen. Durch Eheschließungen und -scheidungen wechselten Schauspielerinnen wie Robin Wright, Politikerinnen wie Kristina Schröder und Schmuckdesignerinnen wie Alessandra Pocher ihre Namen und die Presse zog mit. Und der Fernsehmoderator Max Moor hieß bis zum Frühjahr dieses Jahres Dieter, was – nach einem kurzen Moment des Naserümpfens und Drüberlustigmachens – inzwischen auch keinen mehr interessiert.

Hoffentlich braucht es weniger als 35 Jahre, bis Chelsea Mannings Bitte von den deutschen Medien erhört wird.

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Digital

Offline-Dating

Das war ja zu Erwarten gewesen: Kaum hat Herr Niggemeier frei, kommt ein Super-Symbolbild daher.

Dann muss ich eben:

Zum Traumprinz via Internet: Auch immer mehr Frauen gehen im Netz auf Partnersuche - die anfängliche Geschlechter-Asymmetrie beim Online-Dating ist mittlerweile fast aufgehoben. (© dpa)
Mit diesem dpa-Foto bebildert sueddeutsche.de einen Artikel über Online-Dating. Einem Foto, auf dem eine Frau gedankenversunken auf das Foto eines Mannes schaut, das ihren Desktop ziert (gut zu erkennen an den darüber liegenden Programmsymbolen unten rechts).

Wenn es danach ginge, würde ich Online-Dating mit Getter Jaani betreiben.

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Musik Digital

Wer kann am längsten?

Das mit den Charts ist natürlich sowieso so eine Sache: Bis vor wenigen Jahren wurden die Hitparaden der meistverkauften Tonträger noch mit Hilfe der Knochen von im Mondlicht geschlachteten Hühnern errechnet. Mittlerweile listen sie tatsächliche Verkäufe auf, aber was drückt das schon aus, solange die absoluten Zahlen geheim gehalten werden und man in manchen Wochen angeblich schon mit dreistelligen Absatzzahlen in die Top 100 kommt?

Diese Woche wurde dennoch eine kleine Sensation gefeiert: Die Band Unheil…

Moment, bevor ich weiterschreibe: Ich habe keine Ahnung, wer oder was Unheilig ist oder wie ihre Musik klingt. Die Single “Geboren um zu Leben”, die angeblich über Wochen die Charts und die Radiostationen dominiert hat und in dieser Zeit mehrere Milliarden Male gekauft wurde, habe ich ein einziges Mal versehentlich im Musikfernsehen gesehen. Ich fand’s nicht gut, aber auch zu egal, um mich darüber aufzuregen, solange es noch Revolverheld gibt.

Unheilig jedenfalls ist eine kleine Sensation gelungen: 15 Mal stand ihr Album “Große Freiheit” auf Platz 1 der deutschen Charts — ein Mal öfter als Herbert Grönemeyers “Ö” von 1988.

Wichtig ist hier das Wörtchen “öfter”, denn während Grönemeyer 14 Wochen am Stück die Chartspitze blockierte, gingen Unheilig immer mal wieder “auf Eins”. Die Behauptung “am längsten” wäre also falsch.

Und damit kommen wir zu einer Pressemitteilung, die Media Control, das Unternehmen, das in Deutschland die Charts ermittelt, am Dienstag verschickte:

Unglaublicher Rekord für den Grafen und seine Band Unheilig: Zum 15. Mal stehen sie mit “Große Freiheit” an der Spitze der media control Album-Charts – und legen damit das am längsten auf eins platzierte deutsche Album aller Zeiten hin.

Dabei schloss man sich der Formulierung von Unheiligs Plattenfirma Universal an, die am Vortag verkündet hatte:

Seit dieser Woche ist Unheilig mit dem aktuellen Album “Grosse Freiheit” mit insgesamt 15 Wochen an der Spitze der deutschen Albumcharts das am längsten auf Nummer 1 platzierte deutsche Album aller Zeiten!

Mit diesen Vorlagen standen die Chancen auf eine fehlerfreie Berichterstattung bei Null:

Die Platte “Große Freiheit” ist das am längsten auf eins platzierte deutsche Album in den deutschen Charts.

(“Welt Online”)

Damit ist die Platte “das am längsten auf eins platzierte deutsche Album”.

(dpa)

Damit ist die Platte das am längsten auf Rang eins platzierte deutsche Album aller Zeiten.

(“RP Online”)

Zum 15. Mal stehen sie mit ihrer Platte “Große Freiheit” an der Spitze der Album-Charts und legen damit das am längsten auf Platz 1 platzierte deutsche Album aller Zeiten hin, wie Media Control mitteilte.

(Bild.de)

Und weil die Anzahl der Chartplatzierungen keinerlei Schlüsse auf die tatsächlichen Absatzzahlen zulässt, ist die Formulierung von motor.de besonders falsch:

Damit verdrängt Bernd Heinrich Graf, wie der Musiker mit bürgerlichen Namen heißt, seinen Kollegen Herbert Grönemeyer vom ewigen Thron der am meistverkauften deutschsprachigen Pop-Alben aller Zeiten.

Das Schöne ist: Es ist alles noch komplizierter. Media Control ist nämlich erst seit 1977 für die Erfassung der deutschen Musikcharts zuständig, vorher oblag diese Aufgabe dem Magazin “Musikmarkt”. Und das führte vom 31. Mai bis zum 3. Oktober 1974 – und damit geschlagene 18 Wochen – “Otto 2” von Otto Waalkes auf Platz 1. Somit würden Unheilig, die heute mal wieder von der Spitzenposition gefallen sind, noch vier Wochen fehlen zum Rekord.

Aber auch hier gibt es wieder einen Haken: Der “Musikmarkt” hat die Charts damals noch Monatsweise veröffentlicht, man kann also nicht sagen, ob sich während der 18 Wochen nicht vielleicht mal das eine oder andere Album für eine Woche besser verkauft hat als “Otto 2”.

Wie gesagt: Das mit den Charts ist so eine Sache. Aber was wären die Medien und die Plattenfirmen ohne sie?

Mit Dank auch an Marco Sch.

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Digital

dpa frisst kleine Kinder

Ich hätte am Besten nie damit anfangen sollen, auf dpa-Überschriften zu achten. Man könnte dabei schnell verrückt werden.

Was glauben Sie beispielsweise, worum es in einer Meldung geht, die folgenden Titel trägt?

Leona Lewis erlebte einen Schock

Natürlich: Die Sängerin ist bei einer Autogrammstunde von einem Fan angegriffen worden, der ihr ins Gesicht schlug. Oder wie sich ihr Sprecher laut der etwas missverständlichen dpa-Übersetzung ausdrückte:

“Leona ist offensichtlich geschockt nach gestern, aber okay”

Und was, glauben Sie, ist Gegenstand dieser Meldung?

Pamela Anderson macht keine gute Figur

Man hätte es gleich erahnen können:

Pamela Anderson (41) hat das Publikum damit schockiert, dass sie sich ihre Kleiderschleppe während einer Gala den ganzen Abend von einem neunjährigen Mädchen tragen ließ.

Ja, und dann war da noch diese Überschrift:

Madonna lästert über Paul McCartney

Was da los war? Madonna wird vom “Rolling Stone” wie folgt zitiert:

“People have told me, ‘You could just go out there and play guitar and sing your songs like Paul McCartney’ but I’d be bored.

“Most of the joy of shows is the magic of creating them – the theatre. I’m a perfectionist. I like hard work. I like to sweat.”

Man könnte diese Sätze lapidar damit zusammenfassen, dass Frau Ciccone sich langweilen würde, wenn sie auf der Bühne nur Gitarre (hier im Sinne von: Bass) spielen würde.

Man könnte daraus natürlich auch ganze Meldungen ableiten und sie dann beloppterweise so überschreiben:

Madonna criticizes Macca's live performances

Oder so:

Madonna 'bored' by Sir Paul McCartney

Oder gleich so:

Madonna says she finds Paul McCartney boring!

Oder eben so wie die Deutsche Presse-Agentur.

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Musik Digital

Verwirranstalt

Nehmen wir mal an, sie hätten die (nicht ganz unlustige) Nachricht vorliegen, dass der Sänger einer sehr bekannten Band ein Konzert in Lima (Peru) mit einem enthusiastischen “Thank you very much, Chile!” beendet hat, und wollten diesen Sachverhalt in einer bunten Meldung nebst knackiger Überschrift weiterverbreiten — würden Sie es nicht exakt so formulieren?

Dave Gahan verwirrte seine Fans

Nein?!

Gut!

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Digital Leben

Von hinten durch die Brust ins Auge

In diesen ganzen modernen Krimi- und Arztserien gibt es ja immer aufwendige Animationen, um zu zeigen, was bei einem Mord oder im Körper eines Patienten geschehen ist.

So etwas hätte ich mir bei dieser Meldung aus Duisburg auch gewünscht:

Das Projektil traf den Mann zunächst in den Kopf und durchschlug anschließend die Hand des 49-jährigen Beamten, ehe es die 32-jährige Polizistin in den Oberkörper traf.

Das deckt sich mit der Pressemitteilung der Polizei.

Bei der DPA hat die Vorstellungskraft offenbar auch nicht mehr ausgereicht, weswegen die Vorgänge dort etwas vager geschildert werden:

Der Schuss löste sich nach Polizeiangaben, als der Mann vor den Beamten flüchtete und zu Boden stürzte. Das Projektil habe ihn am Kopf getroffen. Anschließend seien zwei Polizisten schwer verletzt worden.

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Digital Print

Das Stillleben von dpa

Man muss sich das bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vermutlich so vorstellen: Da kommt eine Polizeimeldung rein, die von einer neuen riesigen Operation (man kennt das) gegen Kinderpornographie berichtet.

Darin:

Die aufgefundenen Beweismittel – Speicher des Handy und schriftliche Aufzeich-nungen – wiesen aus, dass der Mann kinderpornographische Schriften in Form von Bildern und Videosequenzen nicht nur empfangen hat und besitzt, sondern solche auch umfangreich verbreitet hat. In seiner Beschuldigtenvernehmung war der 33jährige geständig. Als Tatmittel benutzte der Mann ausschließlich ein Handy. Die Dateien wurden per “MMS” (multimedia messaging service) ver-sandt.

In diesem Moment ruft der CvD: “Wir brauchen dringend ein Symbolfoto, wenn die Meldung rausgeht! Mach, mach, mach!”

Und so nimmt irgendjemand (der Bildchef, ein Praktikant, die Putzfrau) eine Digitalkamera zur Hand und sucht sich auf den Schreibtischen der Kollegen zusammen, was er braucht: ein Handy, einen Laptop, einen CD-Rohling und einen Folienstift.

Zwei Minuten später geht ein Bild über die Ticker, das nur wenig später in den Online-Auftritten der Zeitungen auftaucht:

Stillleben mit Laptop, Handy und CD-Rohling (Künstler unbekannt)

(gefunden bei taz.de, aber auch beim “Naumburger Tageblatt”)

Für alle Mitarbeiter in der dpa-Zentrale bleibt zu hoffen, dass der Rohling mit der Aufschrift “Kinderpornographie” ordentlich geschreddert wurde, bevor er entsorgt wurde.

Das gewählte Telefon, das Siemens S56, kann übrigens offenbar MMS anzeigen, auch wenn es nicht so aussieht.

“Spiegel Online” und “RP Online” war das Bild trotzdem zu doof und so entschied man sich dort für folgende Alternativen:

Stillleben mit Blackberry (Künstler unbekannt)

Mann mit Samsung-Handy (Künstler unbekannt)

Interessant ist der aktuelle Fall mit dem MMS-Versand vor allem vor dem Hintergrund, dass Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gerade eine Sperre kinderpornographischer Webseiten durchgeboxt hat. Denn hier zeigt sich, dass ihr völlig ahnungsloses Vorgehen in etwa so viel bringt wie ein Korken, wenn das Klo überläuft.

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Musik

And no religion, too

Bei einem Unternehmen, das seit 2000 Jahren floriert, sind 41 Jahre ein Wimpernschlag.

Gerade mal so lang hat es gedauert, bis der Vatikan John Lennon sein “We’re more popular than Jesus now”-Zitat vergeben hat.

dpa tickert dazu:

In der Vatikanzeitung «Osservatore Romano» nimmt der Heilige Stuhl nun das Erscheinen des «White Album» der Beatles im November 1968 zum Anlass, Lennon zu verzeihen.

Nach so vielen Jahren scheint das doch «nur der Übermut eines Jugendlichen der englischen Arbeiterklasse» gewesen zu sein, der «ganz offensichtlich überwältigt war von einem unerwarteten Erfolg», schreibt die Zeitung. Zudem lobte das Blatt die Platte der Beatles, die heutige Popmusik sei häufig eher von schlechterer Qualität.

Zum Vergleich: Galileo Galilei wurde nach 359 Jahren formal rehabilitiert, Martin Luther wartet darauf seit 488 Jahren. So sehr wie die Beiden ist John Lennon allerdings nie verstoßen worden — er war aber eh nicht katholisch.

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Knüwern für Anfänger

Generell ist es ja schön, wenn Redaktionen die modernen Kommunikationsmöglichkeiten nutzen. Man sollte es dann nur richtig machen.

Meine beiden liebsten Lokalzeitungs-Internetportale twittern jetzt auch. Sowohl “RP Online” als auch “Der Westen” versorgen das Netz mit einer Mischung aus Flurfunk, Kantinenspeisenplan und Nachrichten-Feed, reagieren aber auch auf Fragen oder Kritik.

Dabei können sich schon einmal solch nette Dialoge entspinnen:

Laufen gerade Schmachtbilder von Brad und George in Venedig ein. Der weibliche Teil der Redaktion ist ganz hin und weg. rponline 12:51 PM August 27, 2008

@rponline Dürfen wir anderen schon mal wetten, wie lang die Bildergalerie wird? coffeeandtv 01:06 PM August 27, 2008

@coffeeandtv Schauen wir mal. rponline 02:14 PM August 27, 2008

Weil schon jemand wetten wollte: Die Clooney-Pitt-Fotostrecke enthält 16 Bilder: http://tinyurl.com/58p4nd rponline 08:22 PM August 27, 2008

Selbst twitter-Skeptiker und -Hasser werden zugeben müssen, dass eine oft hart geführte kritische Auseinandersetzung so wieder ein wenig an Menschlichkeit gewinnen kann.

Gestern nun ernannte John McCain, der designierte republikanische Kandidat für das Amt des US-Präsidenten, überraschend Sarah Palin, Gouverneurin von Alaska, zu seinem running mate, also zur Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten.

“Der Westen” zimmerte aus einer dpa-Meldung ein Kurzporträt der Politikerin zusammen und verschickte den Link via twitter.

Ich klickte und las. Und sah, dass da ein Satz irgendwie ein bisschen verunglückt war:

Der republikanische Präsidentschaftsbewerber nach offenbar Sarah Palin als seine Vize-Kandidatin ausgewählt.

Ein kleiner Fehler, der jederzeit mal passieren kann – in der dpa-Fassung ging der Satz noch so:

Der republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain zieht nach US-Medienberichten mit der jungen Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, in das Rennen um das Weiße Haus.

Ein kleiner Fehler, den man aber auch schnell korrigieren kann, dachte ich und twitterte nur wenige Minuten später:

@DerWesten Bitte schnell noch den ersten Satz gerade bügeln. Danke!

Und dann passierte genau … nichts.

Dass die zuständigen Leute in Essen schon ins Wochenende verschwunden waren, ist unwahrscheinlich: sie setzten bis zum Abend sieben weitere Tweets ab. Nur hat offenbar niemand mehr in die Replies geguckt.

Dabei gilt mehr denn je: Die Zeiten des einseitigen Sendens sind vorbei. Wer die Kommunikationskanäle nicht in beide Richtungen nutzt, wird kläglich untergehen.

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Möchtest Du meine CD-R-Sammlung sehen?

Auch ohne Zugriff auf die Bilddatenbank der dpa zu haben, glaube ich zu wissen, was dort als erstes Ergebnis auftaucht, wenn man ein Symbolbild zum Thema Datenklau sucht:


(“Spiegel Online”)


(tagesschau.de)


(“RP Online”)
(stern.de)


(“Weser Kurier”)


(“Netzeitung”)


(welt.de)


(derwesten.de)


(“Neues Deutschland”)


(“Kölner Stadt Anzeiger”)

Regelrecht originell ist da die Idee der “Readers Edition”:

Nachtrag, 20. August: Es gibt übrigens noch eine andere Version des Fotos mit der selben (gleichen? kopierten?) CD:

(turi2.de)

Nachtrag, 22. August: Nur der Vollständigkeit halber:


(“RP Online”)

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Musik Digital

“1966 hätten sie beinahe in Marburg gespielt”

Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine Meldung über Paul McCartney und George Harrison schreiben. Weil es eine Handvoll Menschen gibt, die noch nie von den Beatles gehört haben, sollen Sie auch einen kurzen erklärenden Absatz über diese Band einfügen.

Wo fangen Sie an: Bei den Millionen von Platten, die die Band verkauft hat und heute noch verkauft? Bei der “Beatlemania”, die damals die Welt überrollte und bis heute ihresgleichen sucht? Bei den riesigen Vermögen, die jedes Bandmitglied erwirtschaftet hat? Damit, dass die Band nicht wenigen Beobachtern als die beste aller Zeiten gilt?

Nun, der Mitarbeiter von dpa entschied sich für eine Lösung, die sicher nicht falsch ist, den Beatles dann aber doch irgendwie nicht wirklich gerecht wird:

Zu einem der größten Hits der Beatles gehört “I Want To Hold Your Hand” von 1963. Unter dem Titel “Komm, gib mir deine Hand” nahmen sie das Lied sogar auf Deutsch auf.

[gefunden bei “Spiegel Online” und n-tv.de]

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Gesellschaft

Wie schon St. Peter Lustig immer sagte

Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Osterfest!

Die Karwoche ist immer die Zeit des Jahres, zu der ich katholisch werde. Sonst bin ich nie katholisch, schon gar nicht so getauft, und den Papst und das alles finde ich natürlich sowieso nicht gut. Aber ich mag die Showelemente, die die katholische Kirche dem Protestantismus voraushat ((Streng genommen gibt es den Protestantismus ja unter anderem genau deshalb, weil diese Showelemente wenig mit dem Glauben an sich zu tun haben, aber ich möchte hier weder Martin Luther erklären, noch in längere Religionsphilosophien abdriften.)) – ich gehe ja auch auf Robbie-Williams- und Killers-Konzerte – und Show gibt es eben an Palmsonntag und in der Osternacht.

Karfreitag verzichte ich aus mir selbst nicht nachvollziehbaren Gründen ((I guess that’s why they call it religion.)) auf Fleisch und Alkohol. Gleichwohl hätte ich kein Problem damit, wenn jemand vor meinen Augen ein halbes Schwein verspeisen oder ein Fass Wein leeren würde. Ich würde auch am Karfreitag “weg gehen”, gerne auch auf Konzerte. Zuhause wäre dies kein Problem: Außerhalb Bayerns können die Kommunen selbst entscheiden, ob sie das “Tanzverbot”, das an den sogenannten “Stillen Tagen” gilt, aufheben wollen. In Bochum will man das offenbar seit längerem und die reichlich besuchten Gothic- und Metalparties sprechen für eine große Nachfrage. ((“Vier Tage Familienfeier ohne zwischenzeitlichen Ausgang” stehen auf George W. Bushs “Liste mit den Nicht-Folter-Methoden, die wir erproben sollten, falls wir Waterboarding jemals verbieten sollten” ziemlich weit oben.)) In Dinslaken ginge es nicht: Als regiere im Kreis Wesel der Pietcong, sind öffentliche Tanzveranstaltungen, der Betrieb von Spielhallen, Märkte, Sportveranstaltungen und die Vorführung nicht “feiertagsfreier” Kinofilme dort verboten – und zwar schon ab Gründonnerstag, 18 Uhr. Da kann man als Mensch, der an die Trennung von Staat und Kirche glaubt, schon mal nervöse Zuckungen im Gesicht kriegen.

Wenn der Staat Tanzveranstaltungen verbietet und gleichzeitig im Fernsehen Mord und Totschlag stattfinden, kann der Bürger die Plausibilität von staatlichen Regelungen nicht mehr nachvollziehen

sagte deshalb Bischof Gebhard Fürst, meinte das nur völlig anders als ich. Im katholischen Festttagskalender fest verankert ist nämlich seit einiger Zeit die Medienschelte zum Feiertagsprogramm: “Zu brutal, zu lustig, zu wenig familientauglich”, rufen dann der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz oder der Vorsitzende des medienpolitischen Expertenkreises der CDU ((Was lustigerweise ausgerechnet Günther Oettinger ist.)) erschüttert aus und werfen die Hände zum Himmel, so wie Pfarrer das in Fünfziger-Jahre-Schwarzweiß-Filmen immer machen, wenn der Satan in Form von Peter Kraus und seiner Rock’n’Roll-Kapelle ins Dorf kommt.

Während der Papst – über den Bernward Loheide von dpa übrigens letzte Woche einen sehr lesenswerten Bericht geschrieben hat – zum Osterfest 2008 so einiges unternahm, um sowohl Juden als auch Moslems vor den Kopf zu stoßen, soll also das deutsche Fernsehen unverfängliche Familienunterhaltung senden für eine Zuschauerschaft, die Ostern sicher nicht vor dem Fernseher, sondern mit der Familie beim Essen oder in der Kirche verbringen wollten? Aha. ((Nickeligkeiten wie die Behauptung, die zwanzigste Wiederholung von “Stirb Langsam” habe mehr Zuschauer gehabt als die Kirchen an Ostern Gottesdienstbesucher, spare ich mir schon aus Faulheit, die tatsächlichen Zahlen herauszusuchen. Außerdem liegt es mir fern, mich über Leute lustig zu machen, die in die Kirche gehen. Ich wäre nämlich auch in der (natürlich katholischen) Kirche gewesen, war aber im Urlaub.))

Reflektierter klang da der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der in seiner Osterpredigt Medienkompetenz einforderte, aber gleichzeitig klarstellte, dass jeder die Freiheit habe, sich bestimmte Dinge nicht anzuschauen und abzuschalten. Und das ist ein so weiser Gedanke, dass er auch Carsten Matthäus als Schlusssatz seines sehr lesenswerten Kommentars bei sueddeutsche.de diente. Eben “Abschalten”, wie schon St. Peter Lustig immer sagte.