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Rundfunk

Wenn es passiert

Ich ver­eh­re Chris­ti­an Das­sel. Die Repor­ta­gen, die er für „Hier und heu­te“ oder die „Aktu­el­le Stun­de“ dreht, ste­chen aus dem sons­ti­gen Elend im deut­schen Fern­se­hen her­aus und besche­ren mir die weni­gen Momen­te im WDR-Fern­se­hen, in denen ich mei­ne Rund­funk­ge­büh­ren nicht für ver­schwen­det hal­te. Das­sel schafft es, ganz nor­ma­le Men­schen und all­täg­li­che Situa­tio­nen so zu por­trä­tie­ren, dass man sie als etwas ganz Beson­de­res wahr­nimmt.

Als der WDR eine neue Doku­men­tar­rei­he von Das­sel ankün­dig­te, in der er Men­schen por­trä­tiert, deren Lebens­we­ge sich mit der Welt­ge­schich­te gekreuzt haben (11. Sep­tem­ber, Mau­er­fall, Tsu­na­mi), war ich mir sicher, dass dabei Gro­ßes ent­ste­hen wür­de. Nach­dem ich Gele­gen­heit hat­te, die ers­ten bei­den Fol­gen von „Wo warst Du, als … ?“ zu sehen, bin ich ent­täuscht – aber nur ein biss­chen.

Ver­mut­lich weiß jeder noch, wo er am Nach­mit­tag des 11. Sep­tem­ber 2001 war, als er zum ers­ten Mal die Nach­rich­ten aus New York City hör­te. Sus­an Bor­chert ver­brach­te den Rest des Tages vor dem Fern­se­her. Ihr Mann Klaus arbei­te­te im World Trade Cen­ter und sie wuss­te lan­ge nicht, ob er hin­aus­ge­kom­men war.

Die Geschich­te der Bor­cherts, die von Lars Fiech­t­ner, des­sen Schwes­ter Inge­borg vier Wochen nach den Anschlä­gen an den fol­gen ihrer Ver­let­zun­gen starb, oder von Rai­ner Groß, der durch den Bör­sen­crash nach den Anschlä­gen sein Ver­mö­gen ver­lor und sich dar­auf­hin ent­schloss, einen Kauf­haus­kon­zern zu erpres­sen – sie alle sind span­nend, glei­cher­ma­ßen außer­ge­wöhn­lich wie all­täg­lich, und es gibt durch­aus genug Raum, sie neben­ein­an­der in einer hal­ben Stun­de zu erzäh­len.

Lei­der wer­den sie auf eine Art und Wei­se erzählt, die einem mit­un­ter tie­risch auf die Ner­ven geht: Schnel­le, unmo­ti­vier­te Schnit­te; ein On-Screen-Design das wirkt, als hät­ten Schü­ler mit iMo­vie „Matrix“ nach­bau­en wol­len; Rasanz sug­ge­rie­ren­de Schnurr- und Zirp­ge­räu­sche und eine gro­tesk über­dra­ma­ti­sie­ren­de Off-Spre­che­rin machen viel von der Atmo­sphä­re kaputt. Wenn man Das­sels ande­re Arbei­ten kennt, ahnt man, was man alles aus dem Roh­ma­te­ri­al hät­te her­aus­ho­len kön­nen.

In der zwei­ten Fol­ge über den Fall der Ber­li­ner Mau­er passt dann alles ein biss­chen bes­ser zusam­men: Das­sel por­trä­tiert einen Mann, der damals wegen Vor­be­rei­tung zur Repu­blik­flucht im DDR-Gefäng­nis saß; eine Frau, die ihre Toch­ter am 10. Novem­ber 1989 auf einem Ber­li­ner Geh­weg zur Welt brach­te, und einen Oberst­leut­nant der Staats­si­cher­heit, der damals am Grenz­über­gang Born­hol­mer Stra­ße Wache schob.

Er gibt heu­te ganz offen zu, 28 Jah­re sei­nes Lebens einem Unrechts­staat gedient zu haben – „mit allen mei­nen Fähig­kei­ten“ -, aber wenn er vom Befehls­va­ku­um berich­tet, das damals herrsch­te und die Grenz­sol­da­ten auf sich selbst gestellt zurück­ließ, kommt auch hier das Mensch­li­che durch. Die Bil­der der Gren­zer, die jahr­zehn­te­lang an ein Sys­tem geglaubt haben, das inner­halb weni­ger Stun­den vor ihren Augen zer­fiel, umweht dann auch eine gro­ße Tra­gik, und die Men­schen und die Geschich­te tref­fen sich auf eine ganz ande­re Wei­se als in den ande­ren Erzähl­strän­gen.

Trotz der sti­lis­ti­schen Schwä­chen sind die Doku­men­ta­tio­nen von „Wo warst Du, als … ?“ berüh­rend und beein­dru­ckend. Die in ihrer eigent­li­chen Grö­ße unbe­greif­li­chen Ereig­nis­se wer­den in den All­tag her­un­ter­ge­bro­chen und sind dadurch viel­leicht nicht ver­ständ­li­cher, aber greif­ba­rer. Es wäre schön, wenn die Rei­he (nach ein paar Kor­rek­tu­ren) fort­ge­setzt wür­de.

„Wo warst Du, als … ?“
Ers­te Fol­ge am Sonn­tag, 8. Febru­ar um 23:35 Uhr im Ers­ten, Fol­ge 2 und 3 an den dar­auf fol­gen­den Sonn­ta­gen um 23:30 Uhr.

Über­schrift: Wir Sind Hel­den

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Film

Dancing With Tears In My Eyes

Da fährt ein Boot über das Mit­tel­meer, ein „Love Boat“, aber an Bord sind aus­schließ­lich Män­ner: israe­li­sche Sol­da­ten. Aus den Boxen schep­pert „Eno­la Gay“ von OMD, die­se New-Wave-Hym­ne über das Flug­zeug, aus dem die Atom­bom­be auf Hiro­shi­ma gewor­fen wur­de, und die Sol­da­ten trin­ken Bier. Einem von ihnen ist schlecht, er kotzt über die Reling und beginnt zu hal­lu­zi­nie­ren: Eine nack­te Rie­sin ent­steigt dem Was­ser und nimmt ihn mit ins Meer. Sie schwim­men davon, wäh­rend er das Schiff mit sei­nen Kame­ra­den an Bord explo­die­ren sieht.

Es sind Sze­nen wie die­se, die einem beson­ders in Erin­ne­rung blei­ben von „Waltz with Bas­hir“, obwohl eigent­lich der gan­ze Film etwas Beson­de­res ist: Zum einen behan­delt er den Liba­non-Krieg von 1982, von dem die meis­ten Deut­schen ver­mut­lich nicht ein­mal wuss­ten, dass er statt­ge­fun­den hat, zum ande­ren gehört er zum eher über­schau­ba­ren Gen­re des ani­mier­ten Doku­men­tar­films.

Regis­seur Ari Fol­man ver­ar­bei­tet in „Waltz with Bas­hir“ sei­ne eige­nen Erfah­run­gen als Sol­dat im Liba­non-Krieg und beim Mas­sa­ker von Sabra und Scha­ti­la. Genau­er gesagt begibt er sich auf die Suche nach sei­ner eige­nen Geschich­te, denn im Gegen­satz zu vie­len sei­ner dama­li­gen Kame­ra­den kann er sich an nichts mehr erin­nern, was in sei­ner Jugend im Krieg vor­ge­fal­len ist. So besucht er alte Weg­ge­fähr­ten, die ihm ihre jewei­li­ge Sicht auf die Ereig­nis­se anver­trau­en und ihm so hel­fen, sei­ne eige­nen Ver­drän­gungs­me­cha­nis­men zu über­win­den.

„Waltz with Bas­hir“ wäre schon von sich aus ein inter­es­san­ter Film über Krieg, Gewalt und das mensch­li­che Erin­ne­rungs­ver­mö­gen. Aller­dings wür­de er wohl ehr­lich gesagt auf irgend­wel­chen nächt­li­chen Sen­de­plät­zen des Bil­dungs­fern­se­hens unter­ge­hen. Aber „Waltz with Bas­hir“ ist kein gewöhn­li­cher Doku­men­tar­film, er ist kom­plett ani­miert. In meh­re­ren Pro­duk­ti­ons­schrit­ten wur­den die Inter­views und Kriegs­sze­nen digi­tal nach­be­ar­bei­tet und/​oder kom­plett neu ani­miert (das Ani­ma­ti­ons­ver­fah­ren wird hier genau­er erklärt) – und das alles mit einem Bud­get von 2 Mil­lio­nen US-Dol­lar (zum Ver­gleich: Pix­ars „Wall‑E“ kos­te­te unge­fähr das Neun­zig­fa­che). Dabei ent­ste­hen Bil­der, die nicht all­zu viel mit Hol­ly­wood-Per­fek­ti­on zu tun haben, die man aber in die­ser Form bis­her noch nie gese­hen hat.

In den außer­ge­wöhn­li­chen Bil­dern, die die gan­ze Zeit auf einen ein­pras­seln, liegt lei­der auch eine Gefahr: stän­dig fragt man sich „Wie haben sie das jetzt gemacht?“ und wäh­rend man über 2D- und 3D-Gra­fi­ken grü­belt, über Flash-Ani­ma­tio­nen und After Effects, ist man plötz­lich wie­der raus aus der Geschich­te (der Begriff „Hand­lung“ wäre da viel­leicht auch irre­füh­rend). Außer­dem ist es fast unver­meid­lich, sich die his­to­ri­schen Hin­ter­grün­de vor oder nach dem Kino­be­such noch ein­mal durch­zu­le­sen, weil sie sich aus dem Film eher nicht erklä­ren.

Das Mas­sa­ker von Sabra und Scha­ti­la, bei dem die christ­li­chen liba­ne­si­schen Phal­an­ge-Mili­zen meh­re­re Hun­dert paläs­ti­nen­si­scher Zivi­lis­ten ermor­de­ten, rückt gegen Ende ins Zen­trum des Films. Fast neben­säch­lich stel­len sich Fra­gen nach der Mit­schuld der israe­li­schen Sol­da­ten, die in unmit­tel­ba­rer Nähe der Flücht­lings­la­ger waren, und ein­mal mehr geht es um das heil­lo­se Durch­ein­an­der, das seit Gene­ra­tio­nen im Nahen Osten herrscht, und das mit „Jeder gegen Jeden“ unzu­rei­chend, aber irgend­wie doch tref­fend beschrie­ben wer­den kann.

Gera­de an die­sen Stel­len bie­ten die Ani­ma­tio­nen dem Zuschau­er auch einen gewis­sen Schutz, weil er die Erschie­ßung paläs­ti­nen­si­scher Fami­li­en rein optisch nicht groß anders erlebt als den Tod von Bam­bis Mut­ter. Aber spä­tes­tens als die gezeich­ne­ten Flücht­lings­la­ger kurz vor Schluss plötz­lich ech­ten Video­bil­dern von sich tür­men­den Lei­chen Platz machen, ist die­ser Schutz dahin: das Grau­en von Krieg und Völ­ker­mord, das sowie­so kaum begreif­bar ist, ver­steckt sich nicht mehr hin­ter teils sur­rea­len Zeich­nun­gen, son­dern springt einem mit der vol­len Bru­ta­li­tät des Rea­len ent­ge­gen. Man kann dar­über strei­ten, ob das nötig ist, aber ande­rer­seits geht es nun mal um tat­säch­li­che Ereig­nis­se – und das könn­te man ja fast schon ver­ges­sen haben.

Trai­ler
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Rundfunk Gesellschaft

Schattenkinder

Aus aktu­el­lem Anlass lief gera­de in der ARD die Doku­men­ta­ti­on „Schat­ten­kin­der“ von Uta König. Es geht um Kin­der in Ham­burg-Jen­feld, die aus kaput­ten Fami­li­en kom­men: Bei der einen trinkt der Vater, beim ande­ren sit­zen die Eltern den gan­zen Tag vor dem Com­pu­ter – man hat das so oft gehört, dass es genau sol­che All­ge­mein­plät­ze gewor­den sind wie die neu­es­ten Opfer­zah­len aus dem Irak.

Uta Königs Film gibt den All­ge­mein­plät­zen Gesich­ter. Da ist ein klei­nes, dickes Mäd­chen, das nichts hat außer sei­ner spre­chen­den und tan­zen­den Bar­bie­pup­pe. Ein Jun­ge, der in viel zu klei­nen Schu­hen her­um­läuft und sich nichts wünscht außer pas­sen­de Schu­he und ein UNO-Spiel. Zwei Schwes­tern, neun und elf, deren Mut­ter am Alko­hol gestor­ben ist und deren Vater säuft und rum­schreit.

Da steht dann der Vater betrun­ken vor der Tür der (eben­falls alko­hol­kran­ken) Lebens­ge­fähr­tin, zu der die Töch­ter geflo­hen sind, und ran­da­liert. Die Repor­te­rin ver­steckt sich mit den Kin­dern. Drau­ßen pol­tert es, die Kame­ra ist nur noch auf das angst­er­füll­te Gesicht der Elf­jäh­ri­gen gerich­tet und der Pop­kul­tur-geschä­dig­te Zuschau­er ertappt sich dabei, wie er „Wie ‚Blair Witch Pro­ject‘ …“ denkt, weil er sonst die hoff­nungs­lo­se Rea­li­tät dahin­ter aner­ken­nen müss­te und in Trä­nen aus­bre­chen wür­de, wäh­rend die Kin­der da zusam­men­ge­kau­ert hocken und nicht wei­nen.

Das Jugend­amt hielt es zu die­sem Zeit­punkt übri­gens noch nicht für nötig, ein­zu­grei­fen: Der Vater sei zwar gewalt­tä­tig, aber (noch) nicht gegen die Kin­der. Da erscheint es einem als Zuschau­er unmög­lich, amt­li­che Vor­schrif­ten auf der einen und gesun­den Men­schen­ver­stand und mensch­li­che See­le auf der ande­ren Sei­te irgend­wie zusam­men­zu­pa­cken. Als der Vater schließ­lich sei­ne letz­te Chan­ce ver­spielt und die Mäd­chen zu einer Pfle­ge­fa­mi­lie kom­men, wei­gert sich das Amt wie­der­um, der christ­li­chen Orga­ni­sa­ti­on „Arche“, die sich als ein­zi­ge um die Kin­der geküm­mert hat und wo die Bei­den Freun­de hat­ten, einen Kon­takt zu ihnen zu ermög­li­chen.

Über­haupt: Die­se „Arche“ hält alles zusam­men. Die Kin­der krie­gen dort eine war­me Mahl­zeit, Auf­merk­sam­keit, Zuwen­dung – all das, was für Kin­der in einer Indus­trie­na­ti­on selbst­ver­ständ­lich sein soll­te. Eini­ge der Kin­der sind hoch­gra­dig ver­stört, ande­re wir­ken schon mit zehn unglaub­lich lebens­klug und kön­nen sich bes­ser arti­ku­lie­ren als ihre Eltern. Aber natür­lich wäre es viel schö­ner, nai­ve, fröh­li­che, alber­ne, ner­vi­ge Zehn­jäh­ri­ge zu sehen.

„Schat­ten­kin­der“ ist aus min­des­tens zwei Grün­den beein­dru­ckend und wich­tig: Zum einen zeigt der Film anhand von Ein­zel­schick­sa­len, wie es in unge­zähl­ten Fami­li­en aus­se­hen muss und wovon man als Außen­ste­hen­der nichts mit­kriegt. (Als Mit­tel­klas­se-Kind bekommt man ja eh meist nur in der Grund­schu­le einen Ein­blick in sozi­al schwa­che Fami­li­en, in denen sich nie­mand um die Kin­der küm­mert. Das deut­sche Schul­sys­tem sorgt ja sehr schnell dafür, dass die Kin­der, die sich aus Grün­den wie den oben genann­ten nicht auf die Schu­le kon­zen­trie­ren kön­nen, sehr schnell den Anschluss ver­pas­sen und so nie aus dem Sys­tem wer­den aus­bre­chen kön­nen.) Zum ande­ren sieht man, wie wich­tig die Arbeit sol­cher Orga­ni­sa­tio­nen wie der „Arche“ ist, die sich zu 95% über Spen­den und staat­li­che För­der­mit­tel finan­ziert.

Nach­trag 26. Novem­ber, 23:45 Uhr: Wegen des gro­ßen Inter­es­ses an dem Film, das sich auch in mei­nen Such­an­fra­gen wie­der­spie­gelt, hat sich der NDR ent­schlos­sen, „Schat­ten­kin­der“ zu wie­der­ho­len. Und zwar gera­de eben

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Leben

Coffee On TV

Eine von 171 Starbucks-Filialen in Manhattan (Times Square)

Ges­tern hat­te ich noch über die „New-York-ver­däch­ti­ge“ Anzahl von Star­bucks-Filia­len in Bochum gescherzt (zwei Stück), inzwi­schen weiß ich, wie vie­le Star­buck­ses es in New York Man­hat­tan gibt: 171.

Mark Malkoff hat sie alle besucht. An einem Tag. Er hat in jeder Filia­le etwas gekauft. Und er hat einen höchst amü­san­ten Kurz­film über die­se Akti­on gedreht. Den kann man hier anschau­en.

Und wo wir gera­de bei Kurz­fil­men sind: Es gibt eine neue Epi­so­de von „Kloß und Spin­ne“. Also nicht so ganz, aber das erklärt Vol­ker Strü­bing am Bes­ten selbst.