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Zu Beginn der Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft der Her­ren ging eine Schal­te des bri­ti­schen „Sky Sports“-Reporters Kaveh Sol­he­kol viral, in der die­ser ein gewis­ses Unver­ständ­nis über die Zustän­de im Spiel­ort Gel­sen­kir­chen zum Aus­druck brach­te. Sky Sports nahm das Video recht schnell wie­der off­line, ich habe bis heu­te kei­ne Kopie davon fin­den kön­nen, aber die Bericht­erstat­tung (inkl. back­lash und zu erwar­ten­der trau­ri­ger Repli­ken loka­ler Medi­en und Per­sön­lich­kei­ten) war enorm. Neben der tris­ten Innen­stadt hat­te Sol­he­kol auch bemän­gelt, dass man fast nir­gend­wo mit Kar­te (gemeint war: mit Kre­dit­kar­te) zah­len kön­ne.

Nun war ich aus offen­sicht­li­chen Grün­den lan­ge nicht in Gel­sen­kir­che­ner Gas­tro­no­mien unter­wegs, aber für die Nach­bar­stadt Bochum kann ich berich­ten: Hier kann man inzwi­schen fast in allen Cafés, Eis­die­len, Bäcke­rei­en und Brat­wurst­bu­den mit Kre­dit­kar­te zah­len, idea­ler­wei­se per Apple Pay – Han­dy dran­hal­ten, fer­tig! Es ist – neben der völ­li­gen Abwe­sen­heit von Ter­mi­nen – eine der weni­gen guten Sachen, die uns die COVID-19-Pan­de­mie gebracht hat­te: Der All­tag ist inzwi­schen der­art durch-digi­ta­li­siert, dass sich Bochum fast wie Schwe­den, Eng­land oder wei­te Tei­le der Nie­der­lan­de anfühlt, was die Ankunft in der Gegen­wart angeht. Man kann sogar Ein­tritts­kar­ten für die Bochu­mer Frei­bä­der vor­ab online kau­fen (was wir erst erfah­ren haben, nach­dem wir 20 Minu­ten in der Mit­tags­son­ne in einer Kas­sen­schlan­ge gestan­den hat­ten, aber: nun gut)!

Kaveh Sol­he­kol und die ange­reis­ten Fuß­ball-Fans soll­ten sich glück­lich schät­zen, wenn sie nicht auf Gebie­ten mit der deut­schen Inter­pre­ta­ti­on des Kon­zepts „Digi­ta­li­sie­rung“ in Kon­takt gekom­men sind, die über das Bezah­len von Essen und Geträn­ken hin­aus­ge­hen.

Ich füh­le mich wie ein Fens­ter­rent­ner, der mit einem Behör­den­schrei­ben in die Kame­ra des Foto­gra­fen der Lokal­zei­tung wedelt, aber die RTL-Ver­brau­cher­sen­dung „Wie bit­te?!“ wur­de vor 25 Jah­ren ein­ge­stellt, von daher müsst Ihr jetzt mit mei­nen läng­li­chen, anek­do­ti­schen Empö­run­gen leben:

Ende April wur­den im Bochu­mer Stell­werk Kup­fer­ka­bel geklaut. Um irgend­wie zur Arbeit nach Köln zu kom­men, nahm ich ein Taxi zum Esse­ner Haupt­bahn­hof und schick­te die Quit­tung über 65 Euro gut gelaunt an die Deut­sche Bahn. Weil angeb­lich noch Unter­la­gen fehl­ten, bekam ich ein Anschrei­ben per Post, auf das ich auch nur per Post ant­wor­ten konn­te (die Unter­la­gen waren frei ver­füg­bar im Inter­net ein­zu­se­hen, ich habe sie also aus­ge­druckt und phy­sisch ver­schickt), und vier Wochen spä­ter eine Ableh­nung, weil angeb­lich wei­te­re Unter­la­gen fehl­ten, nach denen die DB Dia­log GmbH am Anfang gar nicht gefragt hat­te. Ich habe also mit der Hot­line tele­fo­niert, wo die freund­li­che, aber auch etwas hilf­lo­se Mit­ar­bei­te­rin und ich in rund zehn Minu­ten immer­hin das Rät­sel lösen konn­ten, was mit „Feh­len­de Anga­ben und Bele­ge“ eigent­lich gemeint sei (ich konn­te die Anga­ben über­ra­schend per Tele­fon über­mit­teln), und bekam dann ges­tern ein Schrei­ben der Bahn, dass die Bear­bei­tung mei­nes Falls noch ein biss­chen dau­ern kön­ne. Die bezau­bern­den Begrün­dun­gen: Hoch­was­ser und eine „ange­spann­te Betriebs­qua­li­tät“, was natür­lich einer­seits per­fekt zu einem Kon­zern passt, der einen regel­mä­ßig mit Sprach­neu­schöp­fun­gen wie „Ver­zö­ge­run­gen im Betriebs­ab­lauf“ erfreut, ande­rer­seits kaum etwas ande­res bedeu­ten kann als: „Für uns ist alle sieb­te oder ach­te Stun­de, wir gehen kom­plett auf dem Zahn­fleisch, die Ein­spa­run­gen wer­den uns alle töten, bit­te hel­fen Sie uns!“

Ande­res Bei­spiel: Die Deut­sche Post hat­te zwei Brie­fe verloren/​nicht zuge­stellt, in denen die Fir­ma Cong­star mir eine SIM-Kar­te zustel­len woll­te (das ist noch mal ein eige­nes The­ma für sich, eini­gen wir uns auf: die Adres­sie­rung war miss­ver­ständ­lich). Man kann, wenn man ein biss­chen danach sucht, bei der Post online eine sog. „Brief­er­mitt­lung“ beauf­tra­gen und bekommt dann auch eine Bestä­ti­gung per E‑Mail – alles fein. Bis ich dann – pas­sen­der­wei­se am glei­chen Tag wie den letz­ten Brief der Deut­schen Bahn – zwei Brie­fe der Post im Brief­kas­ten hat­te. Dar­in, jeweils: Ein Schrei­ben mit der Bestä­ti­gung, dass ich eine Brief­er­mitt­lung beauf­tragt hat­te inkl. Ent­schul­di­gung und Bit­te um Geduld, auf der Rück­sei­te ein Vor­druck, den ich nut­zen kön­ne, falls der ver­miss­te Brief inzwi­schen ange­kom­men sei – und ein Rück­um­schlag, mit dem ich den Vor­druck dann pos­ta­lisch zurück an die Deut­sche Post schi­cken könn­te.

Am Ende sind es ver­mut­lich wie­der die immer glei­chen Grün­de aus der Büro­kra­tie­höl­le („Doku­men­ten­echt­heit“, „Daten­schutz“, „Haben wir immer schon so gemacht“), aber es ist ja nicht nur die feh­len­de Digi­ta­li­sie­rung, die mich hier ver­zwei­feln lässt: Da wur­den fünf Din-A-4-Blät­ter bedruckt, zwei klei­ne Rück­ant­wort-Kuverts in grö­ße­re Brief­um­schlä­ge gesteckt und das alles wur­de quer durch Deutsch­land trans­por­tiert. Am Ende viel­leicht immer noch umwelt­scho­nen­der als ein AI-Chat­bot, aber eben doch nicht wirk­lich öko­lo­gisch. Und wäh­rend ich anneh­me, dass die Deut­sche Post ihre eige­nen Brie­fe kos­ten­los zustellt, zahlt die Bahn auf alle Fäl­le Por­to – bzw. natür­lich nicht die Bahn selbst, son­dern wir alle, indem wir immer teu­rer wer­den­de Bahn­ti­ckets kau­fen.

Wir schrei­ben das Jahr 2024, 95 Pro­zent der Deut­schen nut­zen das Inter­net „zumin­dest sel­ten“, selbst bei den Per­so­nen über 70 sind es 80 Pro­zent. Das größ­te außer­a­me­ri­ka­ni­sche Soft­ware­un­ter­neh­men, die Num­mer 3 der Welt, kommt aus Deutsch­land und es gibt sicher­lich auch jede Men­ge Soft­ware-Fir­men, die Lösun­gen anbie­ten, die für alle Betei­lig­ten Vor­tei­le bie­ten.

Ich kann es selbst kaum fas­sen, dass ich die fol­gen­den Wor­te, die auch in einen FDP-Mit­glieds­an­trag pas­sen könn­ten, schrei­be, aber: Sobald man sich nur einen Schritt von gewinn­ori­en­tier­ten Unter­neh­men ent­fernt, die in einem ech­ten Wett­be­werb am Markt bestehen müs­sen, muss in die­sem Land immer noch (fast) alles aus­ge­druckt wer­den. (Kei­ne Angst, ich wer­de natür­lich nicht und auf gar kei­nen Fall in die FDP ein­tre­ten. Die stellt ihre Kom­pe­tenz im Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Digi­ta­les und Ver­kehr ja selbst am Bes­ten unter Beweis.)

Und es ist ja nicht so, dass die Deut­sche Bahn ein beson­de­res Herz für jene Leu­te zei­gen wür­de, die sich ohne Smart­phone durchs Leben bewe­gen: Die Bahn­card gibt es zum Bei­spiel nur noch digi­tal. Es sind die­se mixed signals, die alles noch schlim­mer machen.

Die gute Nach­richt, natür­lich: Immer­hin lebe ich nicht in Gel­sen­kir­chen.

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Klickbefehl (18)

[D]as Inter­net, ver­tre­ten durch die, die dort anzu­tref­fen sind, mag es nicht, wenn man es nicht mag. Es ist dann schnell belei­digt, denn es ist noch jung und nicht beson­ders sou­ve­rän. Aber das ver­wächst sich sicher noch.

Peter Rich­ter hat ges­tern in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ über die Zukunft des Buches geschrie­ben (so viel vor­weg: Es gibt eine). Es ist ein klu­ger, mit­un­ter sehr komi­scher Arti­kel, der gegen Ende lei­der ein biss­chen zu sehr in Rich­tung der „Goog­le ist böse!“-Linie der Ver­la­ge abrutscht.

Man soll­te ihn aber trotz­dem gele­sen haben und das kann man bei FAZ.net jetzt tun.