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Straßenschäden unter sich

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat heute in einer – zugegebenermaßen schön bebilderten – Presseerklärung bekanntgegeben, wie ihr „Wort des Jahres 2024“ lautet: „Ampel-Aus“.

Gemeint ist damit das Scheitern der Bundesregierung aus SPD (rot), FDP (gelb) und Grünen (nun …), die im sogenannten Volksmund als „Ampel-Koalition“ oder schlicht als „Ampel“ bekannt war.

Nun zögere ich als studierter Linguist, die GfdS (nicht zu verwechseln mit dem „Verein Deutsche Sprache“, einer Art Vorfeld-Organisation der AfD) zu kritisieren, aber ich bin der Meinung, dass mit dieser Auszeichnung eine zunehmende Infantilisierung der Polit-Kommunikation gewürdigt und damit auch weiter vorangetrieben wird.

Bei dem legendär-öden Pressetermin in der Bayerischen Vertretung in Berlin, auf dem er Friedrich Merz mit einem mittel-enthusiastischen „Ich bin damit fein“ zum Kanzlerkandidaten der Union kürte, sprach Markus Söder mehrfach vom „Ampelschaden“, als sei er ehrenamtlicher Bürgermeister einer Kleinstadt, die über eine einzige Kreuzung verfügt. Dem Adjektiv „staatstragend“ kam der bayerische Ministerpräsident damit so nahe wie der Wachtmeister Dimpfelmoser, aber den würde Söders Kernzielgruppe, der Stammtisch (bzw. dessen Bewohner), wahrscheinlich auch nach zwei Maß Bier noch freundlich grüßen.

Ampel-Aus-Symbolbild (Foto: Lukas Heinser)

Die „Ampel“, das ist für Menschen, die auf Social Media gerne erklären, dass sie „selbst denken“, die Vorstufe zu „rot-grün-versifft“, zum „Kinderbuchautor“ Robert Habeck, zum müffeligen Namenswitz „Greta Thunfisch“: eine vermeintlich originelle Formulierung, die man irgendwo zwischen „Welt“-Kommentarspalte, Gabor Steingarts Lebenswerk und Facebook aufgelesen hat, die man als Erkennungszeichen für Gleichgesinnte vor sich herträgt und die ihre eigene Replik gleich mitbringt: „Okay, Boomer!“

„Ampelzoff“ war schon 2023 unter den „Wörtern des Jahres“ gewesen, was eine gewisse Fixierung auf Wörter der Duden-Kategorie „veraltend“ nahelegt (Kunden, die „zoffen“ kauften, interessierten sich auch für „pennen“, „funzen“ und „bumsen“), andererseits sprechen die meisten weiteren Begriffe aus den Top 10 nicht dafür, dass sich die Gesellschaft für deutsche Sprache an das Luther’sche Diktum hält, dem Volk aufs Maul zu schauen: „Klimaschönfärberei“, „kriegstüchtig“, „Rechtsdrift“, „generative Wende“, „SBGG“, „Life-Work-Balance“, „Messerverbot“, „angstsparen“ und „Deckelwahnsinn“ wirken jedenfalls nicht, als könnten sie – um mal ein beliebiges Wort zu verwenden, das 2024 tatsächlich viel zu hören war – das popular vote gewinnen.

Von Guido Westerwelle ist ein überraschend poetischer (auch Joachim Ringelnatz und Ernst Jandl sind Poesie) Moment überliefert, in dem er einmal erklärte: „Wir gehen in keine Ampel, Schwampel und andere Hampeleien sind mit uns nicht zu machen.“ Das ist allerdings so lange her, dass der Fußballverein, für den Kevin Kampl heute spielt, noch gar nicht gegründet war.

Die allererste Regierungskoalition der Bundesrepublik aus CDU/CSU, FDP und DP hatte keinen Spitznamen, der sich bis heute erhalten hätte, was auch daran gelegen haben mag, dass man die Farben der Deutschen Partei (schwarz-weiß-rot) jetzt vielleicht nicht mehr als unbedingt nötig hervorheben wollte. 1953 wurde diese Koalition noch um den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten erweitert, wirklich in Erinnerung blieb aber eh nur der Bundeskanzler: Konrad Adenauer. Der konnte von 1957 bis 1961 alleine (also: mit absoluter Mehrheit für die Union) regieren und saß ab 1961 einer Koalition vor, die man heute „schwarz-gelb“ nennen würde (oder, für die Teilzeit-Komiker der Hauptstadtpresse: „BVB“), damals aber nicht, weil die FDP Gelb erst seit 1972 einsetzt. Entsprechend regierte sie mit der SPD zusammen auch als „sozial-liberale Koalition“, was heute geradezu rührend aussagekräftig wirkt, wo man derlei Inhaltsangaben nur noch in bizarren Schwundstufen wie dem „Gute-Kita-Gesetz“ begegnet. Die Regierungen von 1966-1969, 2005-2009 und 2013-2021, die aus Union und SPD bestanden, nannte man „große Koalition“, weil sie – zumindest anfangs – eine erhebliche Mehrheit der Abgeordneten abdeckte.

In den 1980er Jahren begann das Farbenspiel. Das hat wenig mit dem gleichnamigen Album von Helene Fischer zu tun, wohl aber mit ihrem Namensvetter Joschka. Einer der vielen ungeschriebenen Artikel meines Jahres hätte deshalb die Geschichte dieses Begriffs zurückverfolgen sollen (denn ich liebe wenig mehr an meiner journalistischen Arbeit, als mich stundenlang durch Archive zu wühlen, eine erstaunliche Menge Beifang mit meinen peers zu teilen und daraus hinterher einen Text zu schnitzen, bei dem die Redaktion kritisch eine Augenbraue hebt und sagt: „Das ist jetzt selbst für Deine Verhältnisse extrem nerdig!“), bis in die frühen 1990er Jahre und zu einem Mann namens Björn Engholm, der für kurze Zeit das war, was nach ihm viele waren: Der schnell vergessene Hoffnungsträger der SPD.

Vorbei die Zeiten wie im November 1992, als die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb:

Fertig ist sie, die ‘Ampelkoalition’, die wir deshalb in Gänsefüßchen setzen, weil wir uns unter diesem Gebilde technisch nichts vorstellen können.

Dass Naturwissenschaften im öffentlichen Diskurs eher eine Nebenrolle spielen, wissen wir spätestens seit der Covid-19-Pandemie, und zu den Dingen, die über Eure Vorstellungskraft gehen, gehört allenfalls eine Bobmannschaft aus, genau: Jamaika.

In der medialen Dauer-Erregung schon lang vergessen ist das Wort „Schwampel“ (für: „schwarze Ampel“), das Jörg Schönenborn am Wahlabend 2005 mit besorgniserrgendem Verve in den aktiven Wortschatz seiner Gesprächspartner*innen und Zuschauer*innen überführen wollte. Es klingt, als würde es etwas sehr, sehr Ekliges beschreiben — mutmaßlich das knorpelige Stück Fleisch, das man beim Mittagessen bei der „feinen“ Oma plötzlich im Mund hat und sich nicht auszuspucken traut (was, seien wir ehrlich, andererseits nah dran ist an dem, was man von einer schwarz-gelb-grünen Koalition erwarten kann).

Dann hat irgendjemand den Flaggen-Atlas seines Kindergartenkindes mit in irgendeine Redaktion gebracht und nach intensivem Studium und sicherlich tagelangen Konferenzen wurde beschlossen, fürderhin den Begriff „Jamaika-Koalition“ zu verwenden. Heute könnte man über die Gleichsetzung der Begriffe „schwarze Ampel“ und „Jamaika“ noch mal ganze post-koloniale, rassismuskritische Diskurse aufsperren, aber der Gelbe Wagen, er ist inzwischen in jeder Hinsicht weitergerollt, und es liegt eine feine Ironie darin, dass die Cannabis-Legalisierung eben nicht von einer Jamaika-Koalition beschlossen wurde. (Als Led Zeppelin einen Reggae-lastigen Song aufnahmen, nannten sie ihn „D’yer Mak’er“, was man [dʒəˈmeɪkə] aussprechen sollte, also wie den Inselstaat, was The Hold Steady in ihrem Song „Joke About Jamaica“ noch mal thematisieren, uns aber leider gerade nirgendwohin bringt.)

Der Flaggen-Atlas blieb in der Redaktion und erwies sich als praktisch, als schwarz-rot-grüne Regierungsbündnisse gebildet und benamt werden mussten: „Afghanistan“ hatte einen in vieler Hinsicht unglücklichen Beiklang (und nach Gras auch noch Opium in die politische Kommunikation einzuführen, hätte vielleicht auch merkwürdig gewirkt — eine „Kolumbien“-Koalition aus SPD, FDP und AfD scheint wenigstens erstmal ausgeschlossen), weswegen sich die Medien mehrheitlich auf „Kenia“ verständigten.

Die weiteren tektonischen Ereignisse in der Parteienlandschaft stellen Redaktionen und Parteien vor immer neue Probleme: Für schwarz-rot-lila hatte nichtmal mehr Sheldon Cooper eine Flagge parat, weswegen sich Berichte aus Thüringen nun um eine „Brombeer-Koalition“ ranken. Und anstatt dass irgendjemand mal innehält und sich (und bestenfalls auch andere) fragt, ob das nicht langsam alles ein bisschen albern wird, wird wahrscheinlich schon wertvolle Arbeitszeit mit der Frage verschwendet, was – zum Henker – eigentlich rot-grün-lila sein könnte oder schwarz-gelb-lila (Menschen mit Gastro-Erfahrungen wissen: Erbrochenes nach Weihnachtsmarkt-Besuch).

Angesichts der angeblichen Polarisierung der Gesellschaft (auch hier hilft ein Blick in Zeitungen von, sagen wir mal: 1968) und der damit einhergehenden Schwarz-Weiß-Einteilung bietet sich als nächste Eskalationsstufe vielleicht eine „Panda-Koalition“ an. Oder einfach, denn jetzt ist auch alles egal: eine „Koalalition“.

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Politik Gesellschaft Medien

Lucky & Fred: Episode 27

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Lucky & Fred kehren ans Schauspiel Dortmund zurück, um auf 2018 zurückzublicken: Ein Jahr, von dem man seinen Enkeln erzählen würde?

Es kommt zum Wiedersehen mit Horst Seehofer, Friedrich Merz, Mesut Özil — und einem Gast, der sich gewaschen hat!

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Digital Politik Sport Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 24

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In einem ansonsten menschenleeren Büro in Dortmund-Barop müssen sich Lucky und Fred erstmal wieder daran gewöhnen, wie es ist, ohne Theaterpublikum zu sein. Dabei hilft ihnen ein Mann, der seit Jahren von der Rolle ist: Horst Seehofer, der Donald Trump aus Ingolstadt.

Nachdem sie den Bundesinnenminister hinreichend verarztet haben, kümmern sich die chronisch überwitzelten Chronisten um Donald Trump, den Horst Seehofer aus New York.

Lucky erwägt, einer Partei beizutreten, Fred schafft die Sommerzeit ab und gemeinsam erinnern sie an das bedeutendste fünfte Jubiläum in der Geschichte des WDR Fernsehens.

Der Trost, wie immer: Es war nicht alles schlecht — und Lucky und Fred werden auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zurückkehren!

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Lucky & Fred: Episode 19

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No Sozi, No Cry: Deutschland hat gewählt und das Ergebnis deutet auf Jamaika hin — sowohl als Regierungskoalition als auch als lohnendes Exil-Ziel angesichts von 12,6% für die AfD.

Lucky und Fred drücken die Zornbank, sprechen über gute und schlechte “Spiegel”-Titelgeschichten und leider dann doch auch wieder über die Partei von Tourette-Trixi und Alexander IrgendwasmitGAU.

In der Rubrik “Johnny Cash fragt, Lucky & Fred antworten” dreht sich diesmal alles ums Thema Heimat, Fred vermisst die Bonner Republik und Lucky entdeckt sein Herz für Konservative und spricht über sein neues Hobby Staatsphilosophie.

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 16

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Der Vereinsvorsitzende aller Horrorclowns ist zum US-Präsidenten gewählt worden, aber in Deutschland gibt es Hoffnung: Martin Schulz will Bundeskanzlerin werden. Über diese Themen und über alles andere sprechen Lucky & Fred in der neuesten Ausgabe ihres beliebten Podcasts.

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Weiterführende Links:
4:50: Arte-Dokumentation über Donald Trump
11:27: Emily Nussbaum: “How jokes won the election”
20:00: correctiv.org: Pretzell und Petry in Erklärungsnot
48:14: Conchita singt “Satellite”

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 7

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Nach einem gewohnt launigen Auftakt wollen wir uns kritisch zum Zeitgeschehen äußern: Was haben Lebkuchen, Sharia und Waschstraßen miteinander zu tun und was ist das Yoko-Ono-Prinzip bei deutschen Kanzlergattinnen?
Wir sprechen über WDR-Redakteur Heribert Schwan, der 600 Stunden im Keller von Helmut Kohl gefangen war, die Wiedervereinigung des maroden Deutschlands und die Dreiteilung des Ruhrgebiets, gründen die Bewegung der Heimatvertriebenen der Alten Bundesrepublik und erklären, wofür es die FDP und die Piratenpartei braucht.
Außerdem: Kartoffelernte auf Facebook.

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Rundfunk Politik

Schwarz-grün ist die Haselnuss

Ja, es war die Halbzeitpause des Fußballländerspiels Schweden – Deutschland, in die das “Heute Journal” gestern Abend hineinsenden musste. 9,3 Millionen saßen vor dem Fernseher (oder, realistischer: ließen den Fernseher an, als sie gerade erst zum Klo und dann zum Kühlschrank gingen) und sollten sich jetzt, nach einer aus deutscher Sicht eher enttäuschenden ersten Halbzeit, auf so knackige Themen und Fremdwörter wie “Sondierungsgespräche” einlassen.

Marietta Slomka tat also lieber mal so, als würde sie mit einem Erstklässler sprechen, dessen Entwicklung noch etwas hinter der seiner Altersgenosse hinterherhinkt. Bei den Gesprächen zwischen Union und SPD am Montag wurde, so Frau Slomka, “nicht mehr mit Wattebäuschchen geworfen — es soll sogar richtig laut geworden sein”. Das mache die heutigen Sondierungsgespräche mit den Grünen “natürlich noch interessanter”.

Es sei auf jeden Fall “eine spannende Partie”, augenzwinkerte Marietta Slomka noch. Dann ging’s los:

Hinter den zugezogenen Vorhängen sitzen sie noch immer: Schwarze und Grüne. Ein Spiel dauert 90 Minuten, heißt es, Koalitionssondierungen aber viel, viel länger.

Es sah ein bisschen so aus, als würden zwei Mannschaften den Platz betreten. Vor über vier Stunden, vor dem, ja: Entscheidungsspiel über eine mögliche schwarz-grüne Koalition.

Als würden zwei Mannschaften den Platz betreten (Screenshots: ZDF).

Wahrscheinlich muss man froh sein, dass das “Heute Journal” gestern nicht in der Ringpause eines Boxkampfs oder zwischen zwei Folgen irgendeiner skandinavischen Krimiserie lief. Aber das macht es ja nicht besser.

Ob Absicht oder nicht: Das Fußball-Feeling wurde noch verstärkt durch einen leider nicht untertitelten O-Ton des bayerischen Grünen-Politikers Anton Hofreiter, von dem man als Nicht-Bayer entsprechend wenig verstand.

Also weiter im Off-Text:

Die Chancen, dass die Grünenspitze sich für eine schwarz-grüne Koalition ausspricht, sind indes gering. Zu groß die Unterschiede zur Union, etwa bei der Klimapolitik, beim Umgang mit Flüchtlingen. Auf beiden Seiten aber will sich niemand dem Vorwurf aussetzen, die neue Machtpaarung nicht wirklich geprüft zu haben.

Klingt soweit metaphern-unverdächtig, wenn ZDF-Reporter Thomas Reichart beim Wort “Machtpaarung” nicht die Anführungszeichen, die Kursivsetzung und Fettung aus dem Skript mitgesprochen hätte.

Dann schwang er sich wieder auf sein von vorne herein ziemlich angeschlagenes Metaphern-Pferd:

Bei den Grünen gehen sie trotzdem davon aus, dass es am Ende wohl zur Großen Koalition kommt, auch wenn Scharz und Rot gestern miteinander ein eher ruppiges Spiel hatten.

Das Werk schließt mit den Worten:

Solange die Vorhänge zugezogen sind, ist schwarz-grün noch im Spiel. Es hat aber: nur noch Außenseiterchancen.

Das “Heute Journal” in der ZDF-Mediathek.

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Politik Gesellschaft

No Meat Today

Ich weiß, das Thema ist alt und eigentlich längst … gegessen, aber gerade poppte in meinem Gehirn dann doch noch eine Frage zum sogenannten “Veggie Day” auf:

Warum wäre es eigentlich empörend, wenn der Staat uns vorschriebe, was wir (oder: Menschen, die in einer Kantine essen müssen) an einem Wochentag nicht essen sollen, aber es ist überhaupt nicht empörend, wenn eine Firma, die bei der Ausschreibung des Kantinenbetriebs am billigsten war, uns vorschreibt, was wir an allen Tagen essen sollen?

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Gesellschaft

Wie das Brötchen vor der Schlange

Vergangene Woche feierte die Gurkenverordnung der EU ihren 25. Geburtstag. Es war ein trauriges Fest, denn die Verordnung weilt inzwischen nicht mehr unter uns. Dennoch ist sie zum Symbol geworden für den Regulierungswahn der Europäischen Union — und schuld daran, dass Journalisten und Bürger der EU wirklich jeden Unfug zutrauen.

Gesetzlich gänzlich ungeregelt ist allerdings eine der größten Alltagsgeißeln der Zivilisation: die Warteschlange. Man kennt sie in der Supermarkt-Variante aus dem Kleinkunst-Dauerbrenner “Die andere Schlange ist immer schneller”, als Nummernrevue aus dem Bürgerbüro und – in ihrer wildesten und unübersichtlichsten Form – aus der Bäckerei.

Der deutsche Durchschnittsbürger hat panische Angst davor, übergangen zu werden. Deshalb bildet er am Bahnsteig eine im Prinzip menschliche, aber meist eher an Zombies gemahnende Wand vor sich öffnenden Zugtüren — die Bahn könnte ja sonst ohne ihn losfahren. Deshalb bleibt er in der U-Bahn stehen, sobald er eingestiegen ist — wenn er weiter durchginge und den ganzen Waggon ausnutzen würde, könnte er ja an seiner Zielhaltestelle unter Umständen nicht rechtzeitig aussteigen. Jeder ist sich selbst der Nächste, nur die Stärksten überleben.

Während das Klischee besagt, dass Briten sogar an jeder Bushaltestelle in Reih und Glied warten, lassen sich Deutsche, wiewohl stets zur Polonaise bereit, meist nur unter Einsatz von Waffen, mindestens aber von Gurtpfosten, zum korrekten Schlangestehen zwingen.

Als die Deutsche Post vor einigen Jahren das einzig sinnvolle Wartesystem, die zentrale Warteschlange, einführte, verglich die “Süddeutsche Zeitung” diese mit dem “Prinzip Wursttheke”. Das mag zutreffen, solange es genau eine Bedienung hinter dieser Wursttheke gibt. Sind es aber zwei oder mehr, ist das Chaos vorprogrammiert — womit wir wieder in der Bäckerei wären.

Hinter der Theke stehen drei, vier, an Sonntagmorgen vielleicht sogar fünf Verkäuferinnen. Theoretisch nebeneinander, praktisch wuseln sie zwischen Mohnbrötchen, Croissants und Mehrkornbroten umher wie Ameisen in ihrem Bau — wie Ameisen wissen sie aber auch genau, was sie tun und wo sie hinmüssen. Womit sie sich grundlegend von ihren Kunden unterscheiden.

Die stehen auf der anderen Seite der Theke und versuchen, sich an den Positionen der aufgestellten Kassen oder den Verkäuferinnen zu orientieren, und bilden dabei drei, vier, fünf (die Anzahl kann auch schon mal die der Verkäuferinnen übersteigen) Mikroschlangen, die sich aber nicht im rechten Winkel zur Theke positionieren (das ist zumeist schon architektonisch ausgeschlossen), sondern parallel dazu. Dadurch bleibt für alle Beteiligten – wartende Kunden, Verkäuferinnen, neu eintretende Kunden, evtl. zu Hilfe eilende UN-Blauhelme – völlig unklar, wie viele Schlangen es gibt, und wer in welcher steht. Das Ergebnis: Neid, Missgunst, Zwietracht.

Wie oft habe ich es als Kind erlebt, dass ich beim samstäglichen Brötchenkauf schlicht übergangen wurde. Ich konnte ja noch nicht mal über die Theke schauen und dann waren da auch noch all diese alten Menschen, die sich einfach vorgedrängelt haben! Und wie froh ich war, als die Bäckerei in unserem niederländischen Urlaubsort eine Nummernausgabe einführte! Da konnte man abschätzen, wie lange man noch warten muss, bis man auch wirklich bedient wird — und in der Zwischenzeit schon mal einen halben Tag an den Strand gehen oder eine mittlere Fahrradtour unternehmen.

Auch heute sind es häufig noch Rentner, die glauben, schon “dran” zu sein. Man kann ihnen da allerdings nur schwerlich Vorwürfe machen: Die Lage ist ja meistens fast so unübersichtlich wie in Syrien und nach einigen Jahren, in denen man dauernd übergangen wurde, gewöhnt man sich an, auf die leicht panische Frage der Verkäuferinnen, wer der Nächste sei, mit “Ich!” zu antworten. Sind wir nicht alle ein bisschen FDP?

Es ist daher erstaunlich, dass die Grünen, die doch sonst alles regulieren wollen, in ihrem Wahlprogramm dem Konfliktherd in jeder Nachbarschaft keine einzige Zeile widmen. Eine Partei, die sich für eine sinnvolle Organisation von Bäckerei-Warteschlangen stark macht, hätte durchaus meine Sympathien.

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Politik

Interview mit Arvid Bell

Auf dem Grünen-Parteitag habe ich Arvid Bell reden gehört und ihm gleich eine größere politische Karriere vorausgesagt. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der 24-jährige “Hobbypolitiker” zumindest im Moment ganz andere Pläne hat.

Was das für Pläne sind, das erzählt der Mann, den sie “Harry Obama” nennen, in einem Audiointerview, das somit ganz zufällig und aus Versehen der erste Podcast aus dem Hause Coffee And TV ist.

Außerdem sprechen wir darüber, wie man auf die Idee kommt, in die Politik zu gehen, und entwickeln Pläne, wie das politische System in Deutschland viel mehr Unterhaltung hergeben könnte.

Lassen Sie sich von den Tonaussetzern am Anfang nicht verunsichern: Nach der ersten Minute klingt es besser.

Podcast (Zum Herunterladen rechts klicken und “Ziel speichern unter …” wählen.)

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Digital Politik

Grüne in schwarz-weiß

Ich verspreche: das wird der letzte Beitrag zum Grünenparteitag.

Aber wie Sie schon vermutet haben werden, fehlt neben Text und Video natürlich noch meine liebste Präsentationsform: die Bildergalerie.

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Unterwegs Politik

Nach Erfurt

Bundesdelegiertenversammlung der Grünen 2008

Das war er also: mein erster Parteitag. Oder zumindest der erste, an den ich mich erinnern kann.

War er so, wie ich mir das vorher vorgestellt hatte? Ja und Nein.

Der Freitag war schlimm — das fanden aber auch fast alle Grünen, mit denen ich gesprochen habe. Stundenlang wurde darüber diskutiert, welchen Standpunkt die Partei vertreten solle, wenn sie mal wieder was zu sagen hat. Darüber, ob bis zum Jahr 2020, 2030 oder 2040 80%, 90% oder 100% erneuerbare Energien eingesetzt werden sollen. Und darüber, was Al Gore in der “New York Times” geschrieben hat.

Die Diskussionen zum Thema “60 Jahre Menschenrechte” am Samstag waren deutlich spannender, aber in der Menge auch ermüdend. Allerdings habe ich so wenigstens einmal gesehen, wie Parteien zu der Linie kommen, die sie vertreten. Eine Partei ist wohl nie einer Meinung, bei den Grünen gehört das aber (wie das Stricken auf Parteitagen) zum Programm: Die Flügelkämpfe sind legendär, auch wenn in der Partei manche nicht mehr ganz genau durchblicken, wer da welche Positionen vertritt.

In den Reden der großen Vier (die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir, sowie die Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin) war viel von den “grünen Kernthemen” die Rede, die wieder besetzt und gegen die Vereinnahmungsversuche anderer Parteien verteidigt werden sollen. Besonders Trittin keilte so stark gegen alle anderen Parteien, dass man fast befürchten musste, die momentan fünftstärkste Bundestagsfraktion wolle in Zukunft alleine regieren — zumal es auch keinerlei Ansagen gab, was für eine Koalition man denn am liebsten hätte. “Wir sind grün, nicht Bindestrich-Grün”, hatte Reinhard Bütikofer das zusammengefasst.

Wirklich schlimm fand Rot-Grün im Nachhinein aber auch keiner, auch wenn sowohl die Verschleppung und versäumte Rückholung von Murat Kurnaz, als auch die Ernennung des viel gescholtenen Hartmut Mehdorn zum Vorstandsvorsitzenden der deutschen Bahn in diese sieben Jahre fielen.

Die Inszenierung des Parteitags war wie die Grünen selbst: immer ein kleines bisschen neben der Spur und dadurch irgendwie grundsympathisch. Die Einspielfilme hatten wenig von Barack Obamas halbstündigem Meilenstein und mehr von dem, was man auf Silberhochzeiten und runden Geburtstagen sehen kann. Oder im Internet.

Die Idee, im großen Block der Personalentscheidungen erst mal die Rechnungsprüfer zu wählen und dann die Parteivorsitzenden, hatte auch was. Die Bewerbungsrede von Stefan Volpert für dieses Amt zählte zu den humoristischen Höhepunkten des Wochenendes: erst sprach er die ganze Zeit von “Change” (womit er nicht etwa – was dem Amt angemessen gewesen wäre – Wechselgeld meinte, sondern sich sehr direkt auf Barack Obama bezog) und als er dann auch noch “Yes, we can!” ausrief, ging ein Stöhnen durch die Reihen. Die Kindergeburtstagsnummer, bei der nach der Wahl von Künast und Trittin grüne Bälle ins Publikum geworfen wurden, lieferte zwar schöne Bilder, wirkt aber um so grotesker, wenn man weiß, dass im Ablaufplan danach eigentlich noch 50 Minuten für das Thema “Armut im Alter” vorgesehen waren.

Dafür zeigte sich, dass Grünen die wohl web-affinste Partei Deutschlands sind. Die Idee, Blogger-Stipendien zu vergeben, ist da nur ein Mosaikstein: Nebenher arbeiteten angehende Europa-Abgeordnete an ihren Facebookseiten, auf twitter war die Hölle los und als Volker Beck seine Bewerbungsrede für den Parteirat mit “Liebe Freundinnen und Freude, liebe Follower” eröffnete, fand ich das erst ein wenig ranschmeißerisch und dann irgendwie konsequent. Bei so viel Web 2.0 besteht natürlich die Gefahr, bald nur noch im Internet stattzufinden, die auch prompt von einigen Rednern angesprochen wurde.

Letztendlich war es eine interessante Erfahrung. Die vier anderen Blogger waren sehr nett (wobei ich Jens natürlich schon kannte und Teresa auch ein bisschen) und auch unter den Delegierten (die ja in erster Linie ganz normale Menschen mit richtigen Berufen sind und erst in zweiter oder dritter Linie Parteimitglieder) und Journalisten habe ich ein paar neue Leute kennengelernt.

In den Kommentaren gab es ein wenig Empörung darüber, dass ein Parteitag überhaupt hier oder in anderen Blogs Erwähnung finde. Ich sehe aber die vielen Kommentare, die es aus ganz unterschiedlichen Richtungen gegeben hat, ein bisschen als Bestätigung an, dass es Interesse an einer solchen, etwas anderen Berichterstattung gibt. Ich finde es gut, wenn sich in einer Demokratie nicht nur Parteimitglieder für Parteitage interessieren.

Die Ergebnisse und die Bilder einer winkenden Claudia Roth kann man in jeder Zeitung nachlesen und in den Nachrichten sehen. Ich wollte hier versuchen, die Atmosphäre des Parteitags einzufangen. Ich würde durchaus gerne mal zu einem Parteitag einer anderen Partei fahren — um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sehen, und um ein bisschen mehr über Politik zu erfahren, im Guten wie im Schlechten.

In eine Partei werde ich trotzdem nicht eintreten. Dafür bin ich zu wenig gesellig und zu wenig Diskussionsbereit. Schon die Frage, was wir zum Abend essen sollen, kann mir den halben Tag versauen.

Was mir aber auf jeden Fall in Erinnerung bleiben wird, sind die blinkenden Nieten an Claudia Roths Jeans:

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Beachten Sie für alle Parteitags-Beiträge bitte die Vorbemerkungen.