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Lukas und die Lokomotivführer: Liveblog

Extreme Situationen erfordern extreme Mittel: Ich muss heute Abend in Dinslaken auf einer Hochzeit tanzen sein. Im Moment bin ich aber noch in Bochum. Zwischen mir und meinem Ziel steht also der Lokführerstreik der Gewerkschaft von dem Mann mit der Bata-Illic-Maske.

Und weil ich nun mal Bahnfahren muss, dachte ich mir, ich mache mir den Spaß und blogge drüber – live und … äh: live halt. Da ich kein blogfähiges Mobiltelefon habe, wird meine reizende Assistentin Kathrin meine (vermutlich irgendwann verzweifelten) Anrufe, SMSen und Rauchzeichen hier für mich niederschreiben.

Und jetzt geht’s los …

16:29: Bochum Hauptbahnhof: Es ist nicht sonderlich voll und die Anzeigentafel sieht auch normal aus. Die werden doch nicht etwa ohne mich streiken?

16:35: Sitze im fahrenden Regionalexpress nach Düsseldorf. Entweder kam der zu früh oder 59 Minuten zu spät.

16:46: Stehen seit einigen Minuten in Wattenscheid, weil uns “schon wieder” ein ICE überholt. Auf dem Gegengleis: Der Regionalexpress nach Minden. Entweder pünktlich oder eine volle Stunde zu spät.

16:55: Essen Hauptbahnhof: So sieht kein Freitagnachmittag-Feierabendverkehr aus, es sind kaum Leute unterwegs. Und wir fahren weiter.

17:11: Duisburg Hauptbahnhof: Hier fällt mehr aus, die wenigen Reisenden wirken lethargisch. Mein Regionalexpress nach Dinslaken ist mit 5 Minuten Verspätung angeschlagen. Seit wann gibts hier eigentlich Starbucks?

17:25: Mein neuer Freund bei Starbucks meinte eben, heute morgen sei der Laden voll mit Gestrandeten gewesen. Hoffentlich haben die da nicht auch schon ihren neuen Kollegen eingearbeitet… Mein Regionalexpress ist da und und auch nur 5 Minuten zu spät.

17:40: Schon in Oberhausen-Holten. Letzte Chance, mich aufzuhalten, liebe GDL!

17:46: Dinslaken Bahnhof. Da brauch ich ja länger für den Fußweg zu meinen Eltern als von Bochum hierhin. Was für eine Liveblog-Blamage!

18:16: Honey, I’m home! Ich, der ich bei jeder zweiten Bahnfahrt einen cholerischen Anfall kriege, dessen Züge grundsätzlich Verspätung haben, bin selten ruhiger und entspannter Zug gefahren. Wenn ein Streik der Lokführer so aussieht, können die meinetwegen jetzt jeden Tag streiken …

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Es fährt ein Zug nach Irgendwo

Dass es gerne mal lustig wird, wenn ich mich von A nach B bewege, ist ja schon seit einiger Zeit bekannt. So ist es auch eigentlich nicht weiter erstaunlich, was ich über meinen heutigen Ausflug mit der Deutschen Bahn zu berichten habe: Nach dem wochenendlichen Aufenthalt bei meinen Eltern machte ich mich auf den Weg nach Bochum, der in diesem Fall über den Duisburger Hauptbahnhof führt. Der nächste Zug Richtung Bochum war der NRW-Express nach Hamm, der ausnahmsweise mal die entscheidenden Minuten zu spät war, die es mir ermöglichen, ihn noch zu erwischen.

Auf Gleis 13, von dem dieser Regionalexpress abfahren sollte, erschallte die Durchsage: “Bitte beachten Sie: wegen einer Betriebsstörung (Bahndeutsch für: etwas, was wir selbst nicht näher benennen können, und das voraussichtlich zwischen fünf Minuten und sechs Monaten anhalten wird) auf der Strecke fährt dieser Zug heute nicht über Mülheim/Ruhr, Essen und Bochum. Der nächste Halt ist Gelsenkirchen.”
“Nun gut”, dachte ich, “solang die S-Bahn fährt, soll mir das ja egal sein. Ist ja sowieso komisch, dass die Fernzüge an diesem Wochenende alle wegen Bauarbeiten umgeleitet werden, aber die Regionalzüge die gleiche Strecke benutzen können sollen.”
Ich ging also zum Gleis 9 von (bei der Bahn sagt man: aus) dem die S-Bahn nach Dortmund in wenigen Minuten abfahren würde und war natürlich nicht allein. Als der NRW-Express schließlich einfuhr, stürzten auch Dutzende Menschen heraus und kamen zum S-Bahn-Gleis, um nach Mülheim/Ruhr, Essen oder Bochum zu gelangen.

Bis hierhin war die Geschichte für die einzelnen Betroffenen natürlich etwas unbequem, aber im Großen und Ganzen wohl hinnehmbar. Wer weiß, woher die Betriebsstörung kam (sicher nicht vom völlig veralteten Schienennetz). Aber die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn sie sich nicht in diesem Moment entschlossen hätte, ihre zahlenden Kunden (vulgo: Fahrgäste) gegen sich aufzubringen. Denn als sich die Massen auf Gleis 9 sammelten, erschallte auf Gleis 13 die Ansage “Bitte beachten Sie: dieser Zug verkehrt jetzt doch planmäßig über Mülheim/Ruhr, Essen und Bochum!”
Es setzte eine erneute Völkerwanderung ein, auf Gleis 13 spielten sich tumultartige Szenen ab und der Bahnangestellte, der am Bahnsteig Wache schob, musste mehreren verzweifelten Personen teils mehrfach bestätigen, dass der Zug jetzt doch planmäßig über Mülheim/Ruhr, Essen und Bochum verkehre. Ich haderte noch, stieg dann aber doch ein, fand schnell einen freien Platz und widmete mich meiner Lektüre, der Zug fuhr alsbald los.

Nach einigen Minuten der Fahrt knackte der Lautsprecher und der Lokführer vermeldete: “Verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir außerplanmäßig Gelsenkirchen Hauptbahnhof.”
Gespenstische Szenen spielten sich im Zug ab: Menschen sahen einander an, erst fragend, dann verzweifelnd. Ohnehin leidgeprüfte Borussia-Mönchengladbach-Fans schrien verärgert auf und ich lachte, als habe der Wahnsinn soeben Besitz von mir ergriffen. Aber ich wusste ja: die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn sie nicht konsequent ihr Ziel verfolgen würde, ihre zahlenden Kunden (vulgo: Fahrgäste) vollendes gegen sich aufzubringen.

So hielten wir am Gelsenkirchener Hauptbahnhof, den ich noch gar nicht kannte und deshalb in den folgenden Minuten interessiert durchstreifte. Ganz frisch zur Fußball-WM renoviert hatte er etwas sehr Berlinerisches, nur dass die meisten Geschäfte und Fressbuden um neun Uhr Abends schon geschlossen waren. Die Steinplatten, die seinen Boden bedeckten, sahen dreckig aus, obwohl sie es nicht waren. Das erinnerte mich an den Küchenfußboden bei meinen Eltern, den man auch so viel Schrubben kann, wie man will. Da es auf den Bahnsteigen zog wie Hechtsuppe, vertrieb ich mir die Zeit damit, abwärts fahrende Rolltreppen hinaufzugehen, das hält fit. Und noch ein Fakt für die Sammler kurioser Fakten am Rande: der Gelsenkirchener Hauptbahnhof hat sechs Gleise – 4, 5, 6, 7, 8 und 25.

Schließlich fuhr die Nokia-Bahn, die so heißt, weil sie in Bochum-Nokia am Werk eines ausländischen Mobiltelefonproduzenten hält, ein. Mir wurde warm ums Herz, denn sie wird vom privaten Bahnunternehmen Arbello betrieben und ich würde heute nicht mehr mit der Deutschen Bahn fahren müssen. Entsprechend pünktlich kam ich auch in Bochum an, gerade mal zwanzig Minuten später als ich es mit der S-Bahn von Gleis 9 gewesen wäre.

Und wer jetzt sagt: “Ganz lustige Geschichte, aber der Schluss ist ja schon ein bisschen lahm, nech?”, dem antworte ich: “Das war doch noch gar nicht der Schluss!”
Denn als die Bochumer U-Bahn, die mich nach Hause bringen sollte, aus dem Tunnel fuhr, erzitterte das Land von einem Donner und ein Schneesturm schlug gegen die Scheiben. Und so ging ich die letzen 600 Meter im Schneeregengestöber nach Hause und freute mich wie ein Kind, als sich meine Jeans mit nassem, kalten Matsch vollsogen. Denn ich wusste ja: zuhause wartet meine warme Dusche und alles würde gut werden.