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Cinema And Beer: “Lincoln”

Nach längerer Pause waren Tom Thelen und Lukas Heinser endlich mal wieder zusammen im Kino — und im Geschichtsunterricht: “Lincoln” von Steven Spielberg referiert amerikanische Geschichte, ist aber vielleicht noch mehr.

Lincoln (Offizielles Filmplakat)

Cinema And Beer: “Lincoln”
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Der Menschenfresser

Filme verstören heute nicht mehr. Sie haben entweder keine Zeit dafür, keine Lust dazu oder ohnehin nicht die Mittel – und sie haben den schwerwiegenden Nachteil, dass jeder halbwegs interessierte Zuschauer schon Wochen vor Kinostart zahllose Kritiken und Interviews mit den Beteiligten lesen kann, durch mehrere Trailer auf die Geschichte vorbereitet wird und nicht zuletzt wegen IMDb-Durchschnittsbewertungen, Golden-Globe-Ergebnissen und Oscarnominierungen zu wissen glaubt, was ihn erwartet. Ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie es vor knapp dreißig Jahren für die Leute gewesen sein muss, die ohne Vorwissen oder –warnung Stanley Kubricks “The Shining” gesehen haben. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich als nicht eben wählerischer Teenager ins Kino gegangen bin und halt mal geguckt habe, was so passiert. Heute sehe ich mir „Der Krieg des Charlie Wilson“ an und weiß schon vorher, dass mich amüsante, leichte Unterhaltung erwartet. Ich sehe “Control” und weiß, dass der Film eine trostlose, beklemmende Charakterstudie wird. Oder ich sehe “There Will Be Blood” und weiß, dass ein strenges, präzises Meisterwerk auf mich zukommt.

Der Punkt ist natürlich: Eigentlich weiß ich überhaupt nichts. Ich glaube höchstens, ein paar Dinge zu wissen, fühle mich als regelmäßiger Filmkritikenleser und Trailerseher gut eingestellt und möchte in meiner vorgefertigten Meinung lieber bestätigt als widerlegt werden. Das ist sehr doof, und ich kann mich an keinen Film erinnern, der mir das jemals gnadenloser unter die Nase gerieben hat als Paul Thomas Andersons “There Will Be Blood”. Es ist sein fünfter Spielfilm, und es war schwierig, im Voraus eine Rezension darüber zu lesen, die nicht mindestens tiefen Respekt für die schauspielerische und handwerkliche Brillanz des Films zollte. Meistens ging das Lob aber noch viel weiter; die 160-minütige Geschichte um den kalifornischen Ölbaron Daniel Plainview wurde als Wiederauferstehung des Westerngenres bezeichnet, ohne selbst ein klassischer Western zu sein. Sie wurde für acht Oscars nominiert und steht derzeit auf Platz 18 in der IMDb-Liste mit den 250 besten Filmen aller Zeiten. Dass “There Will Be Blood” aber ein ernsthaft und nachhaltig verstörender Film ist – darauf hat mich niemand vorbereitet.

Liegt wahrscheinlich daran: Man muss ihn sehen, um es zu glauben. Man muss die nahezu wortlose 15-Minuten-Sequenz am Anfang sehen, die in ihrer Selbstsicherheit schon an Großkotzigkeit grenzt. Man muss sehen, wie der Film in einem vollkommen ratlos machenden, desillusionierenden Finale gipfelt, das kaum vorauszuahnen ist, aber doch unvermeidbar scheint. Man muss sehen, wie der todsichere Oscar-Gewinner Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle des hasserfüllten Menschenfressers Plainview die Kinoleinwand aufsaugt. Man muss sehen, wie deshalb nur noch Platz bleibt für den hysterischen Prediger Eli Sunday (Paul Dano), der sich als einzige Nebenfigur entfalten kann, aber auch mit seinem kirchlichen Hintergrund nicht zum moralischen Gewissen des Films taugt. Und man muss die musikalische Leistungsschau hören, die Radiohead-Mitglied Jonny Greenwood dazu als bedrohlich dröhnenden, permanent stichelnden und nachtretenden Soundtrack komponiert hat. “Ich bin fertig”, sagt Plainview am Ende des Films, und wenn er es nicht getan hätte, dann ich.

Sieht man es als oberste Pflicht eines Films an, seine Zuschauer zu unterhalten, ist “There Will Be Blood” ein bodenloses Fiasko. Es gibt nichts an diesem Film zu Mögen oder gar zu Lieben, keine leichten Momente, Erlösungen oder Identifikationsfiguren. Stattdessen gibt es den Glauben an das Gute im Menschen zu verlieren, das pure Böse am Beispiel einer einzigen Person zu erleben und die Frage obendrauf, wo so viel Hass auf alles und jeden bloß herkommen kann. Sie bleibt seltsam unbefriedigend beantwortet im Raum stehen, so als hätte der Film selbst keine Ahnung. Man könnte sagen, dass er dadurch ruiniert wird, aber ich glaube eher, gerade das ist der Clou. Es ist jetzt 18 Stunden her, dass ich “There Will Be Blood” gesehen habe, und ich habe seitdem an nichts anderes mehr gedacht, das irgendwie von Bedeutung wäre.