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Listenpanik 07/09

Der Sommer ist traditionell nicht die veröffentlichungsstärkste Jahreszeit, aber entweder habe ich die meisten Highlights im Juli übersehen oder es war tatsächlich ein besonders dürrer Monat. Wenn Saturn nicht gerade wieder MP3-Alben verramscht hätte, hätte ich mir vermutlich nicht mal das eher mittelprächtig besprochene Album von The Airborne Toxic Event angehört — und durchaus ein paar gute Songs verpasst.

Aber kommen wir nun zu den wie immer streng subjektiven Höhepunkten des zurückliegenden Musikmonats:

Alben
Portugal. The Man – The Satanic Satanist
Die Liste der Künstler, von denen ich immer schon mal gehört hatte, die mir aber so direkt nichts sagten, wird naheliegenderweise nie kürzer, auch wenn ich jetzt mein erstes Album von Portugal. The Man besitze. Ein Album, das mir durchaus sehr zusagt und das mit großer Geste das erzeugt, was Werbetexter ein “positives Lebensgefühl” nennen. Angesichts der vielen Einflüsse aus Soul, Rock, Pop und wasweißichnochwas möchte ich zur näheren Verortung gern zur universellen Nicht-Schublade “Haldern-Musik” greifen, auch wenn die Band beim Traditionsfestival am Niederrhein ((Donnerstag geht’s wieder los!)) überraschenderweise noch ohne Auftritt ist, wie ich gerade festgestellt habe. ((Dafür aber beim La-Pampa-Festival.)) Als weiteren hoffnungslosen Erklärungsversuch könnte ich noch “wie Kings Of Leon mit weniger Testosteron” anbieten, aber vielleicht hören Sie einfach lieber selbst rein.

Jack’s Mannequin – The Glass Passenger
Andrew McMahons Hauptband Something Corporate (3 Alben) liegt seit mehreren Jahren auf Eis — darf man da bei Jack’s Mannequin und ihrem zweiten Album überhaupt noch von einem “Nebenprojekt” sprechen? Eigentlich auch egal, denn wem der Collegerock von Something Corporate noch eine Spur zu … äh: “hart” war, der könnte am Radiopop von Jack’s Mannequin seine Freude haben. ((Es kann kein Zufall sein, dass ich ausgerechnet über WDR 2 von der Veröffentlichung des Albums in Deutschland erfuhr.)) Auch in den Texten ist etwas mehr Pathos, aber wer mit Anfang Zwanzig eine Leukämie-Erkrankung übersteht, hat alles Recht, ein bisschen öfter “survive” oder “make it” zu singen. Hätte man die 14 Songs auf zehn bis zwölf eingedampft, wäre “The Glass Passenger” rundherum gelungen, aber auch so ist es ein souveränes Indiepop-Album geworden.

The Airborne Toxic Event – The Airborne Toxic Event
Die erste Generation der Achtziger-Düsterpop-Epigonen (Interpol, Editors) ging völlig an mir vorbei, bei der zweiten Welle habe ich ganz schnell den Überblick verloren: Glasvegas haben ewig gebraucht, bis ich sie mochte, ((Eine dieser Bands, die man auf keinen Fall als erstes live sehen sollte.)), bei White Lies warte ich immer noch auf diesen Moment und jetzt eben die Band mit dem unmerkbaren Namen: The Airborne Toxic Event. “Gasoline” geht Libertines-mäßig nach vorne, “Happiness Is Overrated” erinnert an Elefant und “Missy” wirkt, als sei bei einem Belle-And-Sebastian-Song irgendwas schief gelaufen. Es klingt also mal wieder alles, wie schon mehrfach da gewesen, aber der Trick ist ja, genau daraus ein abwechslungsreiches Album zu machen. Und das ist The Airborne Toxic Event gelungen.

Songs
Jack’s Mannequin – Annie Use Your Telescope
Klavier, Akustikgitarre, schleppende Beats, künstliche Streicher ((Davon bekommen sie jetzt in der YouTube-Liveversion wenig mit.)) und Stimmen, die sich ineinander verzahnen und vom Unterwegssein und Nachhausekommen singen — sowas kann ganz schlimm sein oder ganz großartig. Ich finde es großartig und dieses “Annie I will make it” lässt auch keine Zweifel und keinen Widerspruch zu. Mal wieder einer dieser Songs dieses Jahr, den ich auf Dauerrotation hören könnte.

Portugal. The Man – People Say
Ein Popsong der Geschmacksrichtung “euphorietrunkener Mitschunkler”, wie sie etwa die Britpop-Band Embrace vor gut einem Jahrzehnt regelmäßig aus dem Ärmel geschüttelt hat. Wenn man allerdings auf den Text achtet, wird die ganze strahlende gute Laune plötzlich zum eiskalten Zynismus: “All the people, they say: / ‘What a lovely day, yeah, we won the war / May have lost a million men, but we’ve got a million more.'”

The Airborne Toxic Event – Sometime Around Midnight
Die Ex-Freundin mit dem neuen Typen in einer Bar? Das soll noch ein Songthema sein? Ernsthaft?! Ja, ernsthaft. Warum denn nicht? Wie sich der Song musikalisch steigert und damit den Text untermalt, das ist schon große Songwriter-Schule. Sicher: Man muss mögen, wie Mikel Jollett da mit jeder neuen Zeile noch eine Schüppe mehr Dramatik in seine Stimme legt. Aber er kann’s und es funktioniert. Und mal ehrlich: Ist nicht jedes Thema eigentlich schon tausendmal besungen worden?

Colbie Caillat – Fallin’ For You
Es macht nichts, wenn Ihnen der Name Rick Nowels nichts sagt, aber Songs aus seiner Feder kennen Sie bestimmt aus dem Radio. Jetzt hat der Ex-New-Radical also einen Song mit Colbie Caillat geschrieben ((Was die Plattenfirma nicht davon abhält, zu behaupten, “die Tochter von Fleetwood Mac-Produzent Ken Caillat” habe “für das neue Album ‘Breakthrough’ alle Songs selbst” geschrieben.)) und er klingt wie ungefähr alles, wo Nowels oder sein Ex-Partner Gregg Alexander in den letzten zwanzig Jahren ihre Finger dran hatten: Gut gelaunt, sommerlich, radiopoppig. Auch das muss man mögen, aber wer’s nicht mag hat mutmaßlich eine schwarze Seele.

[Listenpanik, die Serie]

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Mraz ab!

Jedes Jahr stellt sich die Musikindustrie kurz vor der Sommersaison hin und knobelt aus, welche Band das Zeug dazu hat, den Sommerhit des Jahres abzuliefern. Und jedes Jahr wieder schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen, dass es unbedingt wieder eine Band wie Marquess sein muss, mit der man in den Sommermonaten berieselt wird. Wo es doch so viele andere wunderbare Künstler gäbe, die das sommerliche Radioprogramm besser machen könnten.

Auch dieses Jahr gibt es mal wieder so einen Künstler, der mit dem, was er macht, verdient hätte, die Sommersaison zu beschallen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an “The Remedy”, mit dem Jason Mraz vor rund 4 Jahren einen veritablen Radioerfolg hatte. Danach wurde es aber vergleichsweise still um ihn, sein zweites Album erschien gar nicht in Deutschland (wurde allerdings dieses Frühjahr, 3 Jahre nach Erscheinungsdatum, doch noch auf den deutschen Markt geworfen).

Mit “We Sing. We Dance. We Steal Things.” könnte alles anders werden. Es ist tanzbar, funky, und zaubert gute Laune überall dort, wo es gehört wird. Stiltechnisch schwankt das Album irgendwo zwischen Mainstream-Jack-Johnson-Sound, Funk und opulenten, aufwändig arrangierten Popsongs. Und Mraz singt in so verschiedenen Stimmen, dass man sich manchmal fragt, ob das wirklich alles er singt. Stellenweise fühle ich mich an Größen wie Michael Bublé, James Dean Bradfield oder auch den bereits genannten Jack Johnson erinnert. Was auf den Leser wie ein krudes Wirrwarr aus nicht zusammenpassenden Musikstilen wirkt, klingt für die Ohren überraschenderweise wie aus einem Guss. Es klingt so, als könne dieses Album nur so und nicht anders funktionieren. Und es ist die Mischung, die dieses Album so wunderbar und einzigartig macht.

Auch wenn es bei so einem Gesamtwerk an sich unsinnig ist, lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, einzelne Songs zu empfehlen. Der eine oder andere kennt schon die Single “I’m Yours”, die mich im Geiste direkt an den Strand versetzt. Sehr hübsch auch “Butterfly”, das trotz zum Einsatz kommenden Orchester an keiner Stelle übertrieben wirkt. Von Anfang an einer meiner Lieblinge des Albums war übrigens “The Dynamo Of Volition”, vielleicht gerade aus dem Grund, weil mit seinen Raps so heraussticht aus dem Gesamtbild. Zwei prominente Gäste hat Mraz auch an Land ziehen können: So singen James Morrison und Colbie Caillat bei jeweils einem Song mit.

Ich habe lange kein Album mehr gehabt, das von Anfang bis Ende so gut ist. Das von Anfang an begeistert, und auch nach zahlreichen Durchläufen immer noch nichts von seinem Charme und seiner Wirkung verliert. Was jetzt schon bei mir einen Platz in den Toplisten diesen Jahres sicher hat. Was den flächendeckenderen Erfolg angeht, wird “We Sing. We Dance. We Steal Things.” vermutlich keine Marquess-eske Verbreitung zuteil. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass möglichst viele von der Qualität dieses Machwerks erfahren. Jason Mraz hätte es verdient.

Jason Mraz - We Sing. We Dance. We Steal Things. (Albumcover)
Jason Mraz – We Sing. We Dance. We Steal Things.

VÖ: 20.06.2008
Label: Atlantic
Vertrieb: Warner