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Blame it on the Internet

Dass die „Süd­deut­sche Zei­tung“ ein eher gespal­te­nes Ver­hält­nis zum Inter­net hat, ist ja schon län­ger bekannt. Inso­fern über­rascht es wenig, dass vor­ges­tern ein Arti­kel erschien, der die­sen gan­zen Inter­net­kram und vor allem Goog­le mal wie­der als den Unter­gang von Abend­land, Welt­wirt­schaft und Qua­li­täts­jour­na­lis­mus beschrieb.

Schon die Dach­zei­le (die Über­schrift über der Über­schrift) macht klar, wer hier der Böse ist:

Google-News: Automatischer Absturz. Der Computer als Journalist: Google News meldete vergangene Woche den Konkurs einer amerikanischen Airline - obwohl die Nachricht sechs Jahre alt war. Die Folgen waren verheerend. Von Thomas Schuler

Durch eine Ver­ket­tung von meh­re­ren unglück­li­chen Umstän­den hat­te ein Suchskript in der ver­gan­ge­nen Woche einen sechs Jah­re alten, aber unda­tier­ten Arti­kel des „Chi­ca­go Tri­bu­ne“ über den Kon­kurs von United Air­lines im Archiv des „South Flo­ri­da Sun-Sen­ti­nel“ ent­deckt, für neu gehal­ten und ins Archiv von „Goog­le News“ ein­sor­tiert.

Das ist schon aus rein jour­na­lis­ti­schen Aspek­ten doof – Arti­kel ohne Datum soll­ten ein­fach nicht sein. Wenn es sich auch noch um eine Mel­dung aus dem Wirt­schafts­be­reich han­delt, wo tra­di­tio­nell unvor­stell­ba­re Geld­be­trä­ge ver­scho­ben wer­den auf­grund von Zuckun­gen im klei­nen Zeh irgend­wel­cher Vor­stands­vor­sit­zen­der und von den Schat­ten, die abge­nag­te Hüh­ner­kno­chen in einer Voll­mond­nacht wer­fen, kön­nen die Fol­gen ver­hee­rend sein: Der Bör­sen­kurs von United Air­lines brach zwi­schen­zeit­lich um 75% ein. Wir kön­nen uns also dar­auf eini­gen: Sowas soll­te nicht pas­sie­ren.

Erstaun­lich ist aber – neben der Tat­sa­che, dass unse­re Welt­wirt­schaft offen­bar von leicht­gläu­bi­gen Idio­ten abhän­gig ist – wie die „Süd­deut­sche Zei­tung“ über den Vor­gang berich­tet:

Denn je öfter die Betei­lig­ten – ein Finanz­dienst­leis­ter aus Miami und die Medi­en­un­ter­neh­men Tri­bu­ne, Bloom­berg und Goog­le – in den Tagen danach Unter­su­chun­gen ankün­dig­ten, sich in Details wider­spra­chen, gegen­sei­tig Schuld zuwie­sen und Ant­wor­ten auf die Fra­ge such­ten, wie es zu der Falsch­mel­dung kom­men konn­te, des­to deut­li­cher wur­de, dass dies kei­ne der übli­chen Dis­kus­sio­nen um gefälsch­te Mel­dun­gen oder mensch­li­ches Ver­sa­gen ist. Es gibt ein neu­es Pro­blem: Jour­na­lis­mus ohne Jour­na­lis­ten. Kann das gut gehen?

Ja, Jour­na­lis­mus ohne Jour­na­lis­ten. Ob das gut geht?

Bei der „Süd­deut­schen Zei­tung“ offen­bar bes­tens, denn nur weni­ge Absät­ze spä­ter erklärt Autor Tho­mas Schul­er, wie es genau zu den Fol­gen die­ses tech­ni­schen Feh­lers kam:

Den gan­zen Sonn­tag über sei die Geschich­te so oft abge­ru­fen wor­den, dass sie wei­ter unter „most view­ed“ gelis­tet blieb. Dort ent­deck­te sie ein Mit­ar­bei­ter einer Invest­ment­dienst­leis­ters, der am Mon­tag für den Finanz­dienst Bloom­berg einen News­let­ter über in Kon­kurs gegan­ge­ne Fir­men ver­fass­te. Dass United seit 2006 wie­der zah­lungs­fä­hig ist, stand natür­lich nicht in dem Bericht. Bloom­berg ver­brei­te­te den News­let­ter. So kam es zum Absturz der Aktie.

Da hat also irgend­ein Mensch, der für einen Finanz­dienst (laut „New York Times“ han­delt es sich um Inco­me Secu­ri­ty Advi­sors) News­let­ter ver­fas­sen soll, bei „Goog­le News“ ein biss­chen rum­ge­klickt, eine unda­tier­te Mel­dung gefun­den und sie ohne eine wei­te­re Sekun­de der Recher­che (ich mei­ne: wir reden hier über United Air­lines – wenn die plei­te wären, stün­de das sicher noch irgend­wo anders) in sei­nen News­let­ter auf­ge­nom­men. Das klingt für mich irgend­wie schwer nach mensch­li­chem Ver­sa­gen.

Und wenn stimmt, was die „Los Ange­les Times“ schreibt, hat der Mit­ar­bei­ter an jenem Tag zum ers­ten Mal den Inter­net­auf­tritt einer Zei­tung besucht:

The repor­ter […] thought it was fresh becau­se of the date and becau­se the Goog­le search found the sto­ry on a cur­rent Sun-Sen­ti­nel page, which included an item on Hur­ri­ca­ne Ike.

Das Pro­blem des Jour­na­lis­mus liegt also eine Eta­ge höher: Wo kom­men wir hin, wenn wir den gan­zen Agen­tu­ren und „Goog­le News“ nicht mehr blind ver­trau­en kön­nen? Wenn wir jede bun­te Mel­dung, mit der wir unse­re Zei­tun­gen und Web­sei­ten fül­len, noch mal über­prü­fen oder wenigs­tens auf Plau­si­bi­li­tät über­prü­fen müs­sen? Oder völ­lig über­ra­schen­de Mel­dun­gen über den Kon­kurs einer der welt­größ­ten Flug­li­ni­en?