Kategorien
Politik Gesellschaft

Sonst ist der bitt’re Frost mein Tod

Als ich noch kein Kind hat­te, fand ich die Fra­ge „Haben Sie selbst Kin­der?“ in einer Dis­kus­si­on immer etwas unver­schämt – so, als ob einem das Schick­sal der Welt und der Men­schen weni­ger wich­tig wäre, nur weil man sich noch nicht erfolg­reich fort­ge­pflanzt hat. Stellt sich raus: Es ändert sich tat­säch­lich wahn­sin­nig viel und plötz­lich steht man am Mor­gen nach einer US-Prä­si­dent­schafts­wahl wei­nend unter der Dusche, weil man lang­sam echt Angst bekommt, in was für einer kran­ken Welt das Kind und sei­ne Freun­de eigent­lich auf­wach­sen sol­len.

Die neue Sicht auf die Welt ist aber nicht aus­schließ­lich apo­ka­lyp­tisch – im Gegen­teil: Die Geschich­te von St. Mar­tin hat mich als Kind nie ernst­haft beschäf­tigt. Klar: Bett­ler, Man­tel, Hei­li­ger. Jedes Jahr gab es in Dins­la­ken einen Gro­ßen Mar­tins­zug mit Pferd und Feu­er, danach gab es Stu­ten­kerle, aber das alles war nur das Vor­pro­gramm für die Mar­ti­ni­kir­mes, über die wir anschlie­ßend mit Omas Kir­mes­geld in der Tasche zie­hen durf­ten – und deren Name uns auch erst sehr viel spä­ter irgend­wie mehr­deu­tig und lus­tig erschien. Letz­tes Jahr aber, als wir das ers­te Mal mit dem Kind beim Mar­tins­zug waren und die Flücht­lings­kri­se gera­de auf dem Höhe­punkt war, da erschien mir die Geschich­te des römi­schen Sol­da­ten, der sich um einen Obdach­lo­sen vor den Stadt­to­ren küm­mert, plötz­lich wahn­sin­nig wich­tig und aktu­ell. Da hät­te der Pfar­rer bei sei­ner Rezi­ta­ti­on der Mar­tins­ge­schich­te gar nicht mehr den Bogen in die Gegen­wart schla­gen müs­sen.

Je län­ger ich dar­über nach­den­ke, des­to mehr habe ich das Gefühl, dass das Mar­tins­fest der viel­leicht wich­tigs­te – sicher­lich aber: greif­bars­te – christ­li­che Fei­er­tag sein könn­te. Geburt oder Auf­er­ste­hung eines Hei­lands, Hei­li­ger Geist und Was­ge­nauf­ei­ert­man­noch­mal­an­Fron­leich­nam? sind von der Lebens­wirk­lich­keit der Men­schen dann doch eher weit ent­fernt, Hilfs­be­reit­schaft und Nächs­ten­lie­be ver­ste­hen die meis­ten noch. Da braucht es dann auch gar nicht unbe­dingt noch die Schluss­poin­te und die fünf­te Stro­phe des Mar­tins­lieds, wo Jesus Chris­tus auf­taucht und erklärt, dass der gute Mar­tin jetzt für ihn, Chris­tus, den Man­tel gege­ben hät­te.

Nach­dem Ange­la Mer­kel mit ihrem Auf­ruf, Lie­der­zet­tel zu kopie­ren und Block­flö­tis­ten zu Rate zu zie­hen, mal wie­der für gro­ßes Hal­lo auf dem Gebiet gesorgt hat­te, das die meis­ten Deut­schen immer noch für Sati­re hal­ten, ver­öf­fent­lich­te der WDR in sei­ner Sen­dung „WDR aktu­ell“ einen Bei­trag aus dem WDR-Lehr­buch „WDR-Bei­trä­ge, die wie WDR-Bei­trä­ge aus­se­hen“: Erst san­gen nor­ma­le Men­schen auf der Stra­ße Weih­nachts­lie­der in Kame­ra und Mikro­fon, dann gab es Schnitt­bil­der von der Kanz­le­rin, schließ­lich kamen ein paar ein­ord­nen­de O‑Ton-Geber zu Wort. Der stell­ver­tre­ten­de CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de im Düs­sel­dor­fer Stadt­rat, Andre­as Hart­nigk, erklärt:

Wir sind hier in einer christ­lich-abend­län­di­schen Kul­tur groß gewor­den, wir leben die­se Kul­tur auch, und da sin­gen wir kei­ne Son­ne-Mond-und-Ster­ne-Lie­der, son­dern wir sin­gen St.-Martins-Lieder und das Ding heißt auch St.-Martins-Umzug. Und das muss auch so blei­ben und jeder, der das nicht will, kann sich einen andern Lebens­raum suchen, wenn er das nicht akzep­tiert, oder er hält sich vor­nehm zurück.

Ich habe ein paar Stun­den gebraucht, bis mir die­ser O‑Ton rich­tig übel auf­stieß. Mal davon ab, dass „Later­ne, Later­ne, Son­ne, Mond und Ster­ne“ nun seit Jahr­zehn­ten zum Reper­toire eines Mar­tins­zugs gehö­ren dürf­te, klopft hier ein ganz ande­res Pro­blem an: Wäre es nicht irgend­wie sinn­vol­ler, sich dafür zu inter­es­sie­ren, was die Bot­schaft hin­ter dem Fest und dem Umzug ist, und nicht, wie ande­re Leu­te das Ding nen­nen?

Die Panik, dass unse­re schö­nen christ­li­chen Fes­te umbe­nannt wer­den, treibt Kon­ser­va­ti­ve und Neu­rech­te seit Jah­ren um und sorgt immer wie­der für besorg­te Falsch­mel­dun­gen. (Klar: Nichts trans­por­tiert die Weih­nachts­bot­schaft bes­ser als ein soge­nann­ter Weih­nachts­markt, auf dem sich erwach­se­ne Men­schen nach Fei­er­abend mit min­der­wer­ti­ger Plör­re betrin­ken. Den soll­te man auf kei­nen Fall in „Win­ter­markt“ umbe­nen­nen!) In denen meis­ten Fäl­len geht es ihnen dabei gar nicht um den Anlass eines sol­chen Fei­er­tags, son­dern um die rei­ne Exis­tenz die­ses Fei­er­tags, abge­kop­pelt von sei­ner Geschich­te. Der Ursprung des Zitats, Tra­di­ti­on sei nicht das Bewah­ren der Asche, son­dern die Wei­ter­ga­be des Feu­ers, ist eini­ger­ma­ßen unklar, aber man soll­te die­se Wor­te mal ein biss­chen in Hirn und Herz bewe­gen.

Als Alex­an­der Gau­land von der AfD im Gespräch mit FAZ-Repor­tern sei­nen berüch­tig­ten Jérô­me-Boat­eng-Nach­barn-Satz äußer­te, sag­te er auch, unter den Anhän­gern sei­ner Par­tei gebe es die Sor­ge, „dass eine uns frem­de Reli­gi­on sehr viel prä­gen­der ist als unse­re abend­län­di­sche Tra­di­ti­on“. Die Wort­wahl war auf­fäl­lig, weil er nicht wie ande­re Kon­ser­va­ti­ve von einer „christ­lich-abend­län­di­schen“ Kul­tur oder Tra­di­ti­on sprach – die christ­li­chen Kir­chen hat­ten zu die­sem Zeit­punkt die AfD näm­lich schon mit­un­ter deut­lich kri­ti­siert. Wenn es ernst­haft um christ­li­che Wer­te gin­ge, hät­te ja auch die CSU ein völ­lig ande­res Par­tei­pro­gramm.

Der musi­ka­li­sche Lei­ter des Schau­spiel­hau­ses Dort­mund, Tom­my Fin­ke, ein guter Freund von mir, sagt dann auch den ent­schei­den­den Satz in die­sem WDR-Bei­trag:

Vie­le unse­rer christ­li­chen Wer­te sind ja eigent­lich huma­nis­ti­sche Wer­te, das heißt, sie sind nicht unbe­dingt der christ­li­chen Reli­gi­on allein zuzu­schrei­ben.

Ich bin Kind einer Misch­ehe, evan­ge­lisch getauft, habe aber von mei­ner Oma die vol­le Palet­te der katho­li­schen Schutz­hei­li­gen mit­be­kom­men. Wenn sie in ihrem Haus­halt etwas nicht wie­der­fin­det, zün­det sie eine Ker­ze für den Hei­li­gen Anto­ni­us an, in der Hoff­nung, dass der „Klün­gel­tün­nes“ ihr hilft. (Mei­ne Oma sagt aber auch immer: „Ein Haus ver­liert nichts“, was die Ver­ant­wor­tung ein biss­chen von den Schul­tern des Hei­li­gen nimmt.) Das ist harm­lo­se, lebens­na­he Reli­gi­ons­aus­übung, das Gegen­teil von Kreuz­zü­gen und Hei­li­gem Krieg. Ich selbst habe mir das Got­tes­bild aus dem Kin­der­got­tes­dienst bewahrt und sehe es prag­ma­tisch: Da man die Nicht­exis­tenz eines höhe­ren Wesens nicht bewei­sen kann, kann man auch dran glau­ben, wenn es einem selbst wei­ter­hilft und man ande­ren damit nicht zur Last fällt. Ich find’s aber auch total in Ord­nung, wenn jemand sagt, er glau­be nicht an Gott – das ist ja das Wesen von „Glau­ben“. (Wenn jemand behaup­tet, er wis­se, dass Gott exis­tie­re – oder, dass der nicht exis­tie­re – wird’s schwie­rig: Bei­des. Ist. Wis­sen­schaft­lich. Nicht. Beweis­bar.)

Nächs­ten­lie­be und Hilfs­be­reit­schaft fin­de ich gut, unab­hän­gig davon, ob man jetzt aus reli­giö­sen oder huma­nis­ti­schen Grün­den han­delt. Aber man kann ja schlecht immer den Unter­gang der „christ­li­chen Wer­te“ bewei­nen, wenn man sie sel­ber nicht lebt. Und das mein­te die Kanz­le­rin ja auch mit ihren Aus­füh­run­gen zu Block­flö­te und Weih­nachts­lie­dern: Eine Reli­gi­on geht ja nicht dadurch unter, dass plötz­lich (im Sin­ne von: seit über fünf­zig Jah­ren) Men­schen einer ande­ren Reli­gi­on in einem Land leben, son­dern dadurch, dass sie nicht mehr bzw. nur als see­len­lo­se Tra­di­ti­on prak­ti­ziert wird. Und ein sprich­wört­li­cher fuß­ball­spie­len­der Sene­ga­le­se wird vom Gene­ral­se­kre­tär einer soge­nann­ten christ­li­chen Par­tei auch noch dafür geschol­ten, dass er minis­triert, weil man ihn dann nicht mehr abschie­ben kön­ne. Da hat sich die Logik ja schon auf hal­ber Stre­cke selbst ans Kreuz gena­gelt.

Wie war ich da jetzt hin­ge­kom­men und wie krie­ge ich die­sen Text zu Ende, ohne auch noch Schlen­ker über Donald Trump, die Geschich­te der römisch-katho­li­schen Kir­che und die Songs des ges­tern ver­stor­be­nen Leo­nard Cohen zu neh­men?

Ich wün­sche Ihnen und vor allem Ihren Kin­dern einen schö­nen St.-Martins-Tag und schau­en Sie heu­te viel­leicht mal ein biss­chen genau­er hin, ob jemand in Ihrer Umge­bung Hil­fe gebrau­chen könn­te!

Nach­trag, 16.28 Uhr: Nach Ver­öf­fent­li­chung die­ses Arti­kels habe ich gele­sen, dass der St.-Martins-Umzug eines Kin­der­gar­tens in Fürth abge­sagt bzw. ver­legt wer­den muss­te, weil zur glei­chen Zeit am glei­chen Ort Pegi­da unter dem Mot­to „Sankt Mar­tin und sei­ne heu­ti­ge Bedeu­tung“ demons­triert.

Kategorien
Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 15

Bran­ge­li­na sind Geschich­te, Lucky & Fred sind wie­der da: Zurück aus der Som­mer­fri­sche spre­chen sie über Popu­lis­ten wie Donald Trump und Horst See­ho­fer, zer­le­gen die Null­for­mel „Wir schaf­fen das“ inhalt­lich und sprach­lich und rät­seln, wie es mit dem Kon­ser­va­ti­vis­mus wei­ter­ge­hen könn­te.

Außer­dem erzäh­len sie alles, alles über Natio­nal­hym­nen, ver­ra­ten, wer neu­er Bun­des­prä­si­dent wird, und wel­ches Amt Lucky dem­nächst über­neh­men wird.

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
„Lucky & Fred“ bei iTu­nes
„Lucky & Fred“ bei Face­book

Kategorien
Politik

Lucky & Fred: Episode 11

Pünkt­lich wie immer erklä­ren Lucky & Fred, war­um die AfD mit Deutsch­land nichts am Hut hat, wer die Social-Media-Pro­fi­le von Eri­ka Stein­bach betreut und wie man im Spei­se­wa­gen der Deut­schen Bahn eine Ves­per­plat­te bekommt. Fred bewun­dert VW, Lucky hus­tet Fred was und gemein­sam geden­ken sie der vie­len ver­stor­be­nen Pro­mi­nen­ten der letz­ten Mona­te.

Wei­ter­füh­ren­de Links:

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
„Lucky & Fred“ bei iTu­nes
„Lucky & Fred“ bei Face­book

Kategorien
Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 9

Am Anschlag auf Char­lie Heb­do und die Pres­se­frei­heit führt auch bei uns kein Weg dran vor­bei: Wir dis­ku­tie­ren, was Sati­re darf, und fra­gen uns, wie man Sala­fist wird, wäh­rend Lucky über­ra­schend sein Mit­ge­fühl für Kar­ne­va­lis­ten ent­deckt.
Über einen Umweg nach Wien gelan­gen wir nach Grie­chen­land und zur Geld­ma­schi­ne Olym­pi­sche Spie­le.
Fred hält einen Nach­ruf auf Alt­bun­des­prä­si­dent Richard von Weiz­sä­cker und Lucky freut sich auf die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl in Bochum.

Link­lis­te:

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
„Lucky & Fred“ bei iTu­nes
„Lucky & Fred“ bei Face­book

Kategorien
Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 7

Nach einem gewohnt lau­ni­gen Auf­takt wol­len wir uns kri­tisch zum Zeit­ge­sche­hen äußern: Was haben Leb­ku­chen, Sha­ria und Wasch­stra­ßen mit­ein­an­der zu tun und was ist das Yoko-Ono-Prin­zip bei deut­schen Kanz­ler­gat­tin­nen?
Wir spre­chen über WDR-Redak­teur Heri­bert Schwan, der 600 Stun­den im Kel­ler von Hel­mut Kohl gefan­gen war, die Wie­der­ver­ei­ni­gung des maro­den Deutsch­lands und die Drei­tei­lung des Ruhr­ge­biets, grün­den die Bewe­gung der Hei­mat­ver­trie­be­nen der Alten Bun­des­re­pu­blik und erklä­ren, wofür es die FDP und die Pira­ten­par­tei braucht.
Außer­dem: Kar­tof­fel­ern­te auf Face­book.

Link­lis­te:

„Lucky & Fred“ als RSS-Feed
„Lucky & Fred“ bei iTu­nes
„Lucky & Fred“ bei Face­book

Kategorien
Rundfunk Politik

Schwarz-grün ist die Haselnuss

Ja, es war die Halb­zeit­pau­se des Fuß­ball­län­der­spiels Schwe­den – Deutsch­land, in die das „Heu­te Jour­nal“ ges­tern Abend hin­ein­sen­den muss­te. 9,3 Mil­lio­nen saßen vor dem Fern­se­her (oder, rea­lis­ti­scher: lie­ßen den Fern­se­her an, als sie gera­de erst zum Klo und dann zum Kühl­schrank gin­gen) und soll­ten sich jetzt, nach einer aus deut­scher Sicht eher ent­täu­schen­den ers­ten Halb­zeit, auf so kna­cki­ge The­men und Fremd­wör­ter wie „Son­die­rungs­ge­sprä­che“ ein­las­sen.

Mari­et­ta Slom­ka tat also lie­ber mal so, als wür­de sie mit einem Erst­kläss­ler spre­chen, des­sen Ent­wick­lung noch etwas hin­ter der sei­ner Alters­ge­nos­se hin­ter­her­hinkt. Bei den Gesprä­chen zwi­schen Uni­on und SPD am Mon­tag wur­de, so Frau Slom­ka, „nicht mehr mit Wat­te­bäusch­chen gewor­fen – es soll sogar rich­tig laut gewor­den sein“. Das mache die heu­ti­gen Son­die­rungs­ge­sprä­che mit den Grü­nen „natür­lich noch inter­es­san­ter“.

Es sei auf jeden Fall „eine span­nen­de Par­tie“, augen­zwin­ker­te Mari­et­ta Slom­ka noch. Dann ging’s los:

Hin­ter den zuge­zo­ge­nen Vor­hän­gen sit­zen sie noch immer: Schwar­ze und Grü­ne. Ein Spiel dau­ert 90 Minu­ten, heißt es, Koali­ti­ons­son­die­run­gen aber viel, viel län­ger.

Es sah ein biss­chen so aus, als wür­den zwei Mann­schaf­ten den Platz betre­ten. Vor über vier Stun­den, vor dem, ja: Ent­schei­dungs­spiel über eine mög­li­che schwarz-grü­ne Koali­ti­on.

Als würden zwei Mannschaften den Platz betreten (Screenshots: ZDF).

Wahr­schein­lich muss man froh sein, dass das „Heu­te Jour­nal“ ges­tern nicht in der Ring­pau­se eines Box­kampfs oder zwi­schen zwei Fol­gen irgend­ei­ner skan­di­na­vi­schen Kri­mi­se­rie lief. Aber das macht es ja nicht bes­ser.

Ob Absicht oder nicht: Das Fuß­ball-Fee­ling wur­de noch ver­stärkt durch einen lei­der nicht unter­ti­tel­ten O‑Ton des baye­ri­schen Grü­nen-Poli­ti­kers Anton Hof­rei­ter, von dem man als Nicht-Bay­er ent­spre­chend wenig ver­stand.

Also wei­ter im Off-Text:

Die Chan­cen, dass die Grü­nen­spit­ze sich für eine schwarz-grü­ne Koali­ti­on aus­spricht, sind indes gering. Zu groß die Unter­schie­de zur Uni­on, etwa bei der Kli­ma­po­li­tik, beim Umgang mit Flücht­lin­gen. Auf bei­den Sei­ten aber will sich nie­mand dem Vor­wurf aus­set­zen, die neue Macht­paa­rung nicht wirk­lich geprüft zu haben.

Klingt soweit meta­phern-unver­däch­tig, wenn ZDF-Repor­ter Tho­mas Reich­art beim Wort „Macht­paa­rung“ nicht die Anfüh­rungs­zei­chen, die Kur­siv­set­zung und Fet­tung aus dem Skript mit­ge­spro­chen hät­te.

Dann schwang er sich wie­der auf sein von vor­ne her­ein ziem­lich ange­schla­ge­nes Meta­phern-Pferd:

Bei den Grü­nen gehen sie trotz­dem davon aus, dass es am Ende wohl zur Gro­ßen Koali­ti­on kommt, auch wenn Scharz und Rot ges­tern mit­ein­an­der ein eher rup­pi­ges Spiel hat­ten.

Das Werk schließt mit den Wor­ten:

Solan­ge die Vor­hän­ge zuge­zo­gen sind, ist schwarz-grün noch im Spiel. Es hat aber: nur noch Außen­sei­ter­chan­cen.

Das „Heu­te Jour­nal“ in der ZDF-Media­thek.

Kategorien
Print Politik

Verstrahlt

Für den „Wes­ten“, das in Abwick­lung befind­li­che Inter­net­por­tal der WAZ-Grup­pe, scheint der Wahl­kampf­auf­tritt von Ange­la Mer­kel in Unna das Ereig­nis des Tages gewe­sen zu sein. Immer­hin wur­de der Bericht dar­über zwi­schen­zeit­lich an obers­ter Stel­le auf der Start­sei­te ange­teasert:

Angela Merkel in Unna: Bundeskanzlerin sorgt für strahlende Gesichter. Unna. Nur strahlende Gesichter in der Unnaer Stadthalle. Der Auftritt von Bundeskanzlerin und CDU-Parteichefin Angela Merkel Samstagmittag im Rahmen des NRW-Landtagswahlkampfes war für die Unnaer Christdemokraten so etwas wie eine Krönungsmesse   weiterlesen...

Und wie die Gesich­ter gestrahlt haben:

  • Der loka­le Par­tei­vor­sit­zen­de Wer­ner Por­zy­bot strahl­te natür­lich.
  • Hubert Hüp­pe strahl­te.
  • Ganz beson­ders strahl­ten Han­na Kop­pel­mann, Alex­an­dra Gaber und Rabea Leh­mann in der nicht ganz voll besetz­ten Stadt­hal­le (rund 700 Besu­cher).
  • Strah­len­des Gesicht bei Stadt­hal­len-Chef Horst Bres­an: „Das war eine Punkt­lan­dung. Alles ist rei­bungs­los gelau­fen. Es hat über­haupt kei­ne Pro­ble­me gege­ben.“
  • Strah­len­des Ant­litz von Rudi Fröh­lich, Lei­tungs­kraft bei der Unnaer Poli­zei.

Das ist natür­lich ein sprach­li­ches Mit­tel, das die Men­schen da zu Beginn eines jeden Absat­zes strah­len lässt. Und letzt­lich ist so ein Wahl­kampf­auf­tritt ja nichts ande­res als eine Pro­dukt-Prä­sen­ta­ti­on, über die man auch nur schwer einen brauch­ba­ren, objek­ti­ven Text schrei­ben kann – man kann ja schlecht aus Grün­den der Aus­ge­wo­gen­heit bei allen ande­ren Par­tei­en nach­fra­gen, wie die eigent­lich den Besuch der Kanz­le­rin in ihrer Stadt fan­den. Und den­noch wirkt der Text über die „Regie­rungs-Che­fin (schwar­ze Hose, hell­brau­ner Bla­zer)“ gera­de­zu gro­tesk über­zeich­net. Die CDU-Mit­glie­der­zeit­schrift hät­te kaum ver­klä­ren­der über Ange­la Mer­kel schrei­ben kön­nen, als es Jens Schopp für die „West­fä­li­sche Rund­schau“ getan hat.

Da bekam „der Ex-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te von der Kanz­le­rin von der Red­ner­tri­bü­ne attes­tiert, er sei ‚der bes­te Behin­der­ten­be­auf­trag­ter der Bun­des­re­gie­rung, den man sich nur den­ken kön­ne‘ “, Schü­le­rin­nen haben es „tat­säch­lich geschafft, Ange­la Mer­kel eine klei­ne, töner­ne Frie­dens­tau­be samt Frie­dens­bot­schaft zu über­rei­chen“ und „selbst für Unnas Bür­ger­meis­ter und SPD-Mit­glied Wer­ner Kol­ter war es mehr als nur ein Pflicht­ter­min“. Die Bun­des­kanz­le­rin „gab sie sich staats­män­nisch“ und hol­te „nur gele­gent­lich“ „die Wahl­kampf­keu­le her­aus“. Fehlt eigent­lich nur noch, dass alle auf ihre Kos­ten kamen, immer­hin sag­te Mer­kel ja auch noch was „zur Erhei­te­rung des Audi­to­ri­ums“.

Jens Schopp ist offen­bar nicht, wie ich ursprüng­lich ange­nom­men hat­te, ein Schü­ler, der im Auf­trag der „West­fä­li­schen Rund­schau“ zur mit stau­nen­dem Blick von der ers­ten Poli­tik­ver­an­stal­tung sei­nes Lebens berich­tet: Er ist Redak­teur der Zei­tung.

Dass der­art brat­wurs­ti­ge Tex­te am Mon­tag in Unna in der gedruck­ten Zei­tung erschei­nen, ist das eine – Lokal­jour­na­lis­mus ist die Höl­le, ich wür­de nie im Leben dort­hin zurück­keh­ren und habe neben Mit­leid vor allem Respekt übrig für jene Jour­na­lis­ten, die sich in die Tie­fen von Ver­ei­nen und Klein­kunst und das Span­nungs­feld ver­schie­dens­ter Inter­es­sen­ver­bän­de bege­ben, die sofort mit der Kün­di­gung von Abos dro­hen. War­um man der­ar­ti­ge Arti­kel als Auf­ma­cher auf die Start­sei­te eines ambi­tio­nier­ten Nach­rich­ten­por­tals packt, ist mir aller­dings schlei­er­haft.

War­um man sol­che Kom­men­ta­re ste­hen lässt, aller­dings auch:

Sone Ostarschschlampe kann selbst die blöden paderborner Landbrotärsche begeistern ist ja sonst nix los bei den Flachmännern. Die würden sogar bei einem Wildschweinauftritt Hurra rufen! #1 von P:M:, vor 2 Stunden

Nach­trag, 28. März: Der „Wes­ten“ hat – mal mit, mal ohne Hin­weis – wüst in den Kom­men­ta­ren her­um­mo­de­riert und dabei auch den hier zitier­ten Kom­men­tar ent­fernt.

Kategorien
Literatur Digital

Restefiktion

Ursprüng­lich hat­te ich geplant, eine Geschich­te zu erzäh­len. Sie hät­te von einem Jung­jour­na­lis­ten gehan­delt, der einen fik­tio­na­len Text über einen real exis­tie­ren­den CDU-Poli­ti­ker geschrie­ben hät­te, der sich in eine real exis­tie­ren­de Lin­ken-Poli­ti­ke­rin ver­liebt. Es wäre ein okay­er Text gewe­sen, nicht über­ra­gend, aber auch nicht schlecht. Der Jung­jour­na­list hät­te expli­zit dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich um einen fik­tio­na­len Text gehan­delt hät­te. Trotz­dem hät­ten Rechts­an­wäl­te auf die­sen Text reagiert – aber nicht die der real exis­tie­ren­den Lin­ken-Poli­ti­ke­rin, die im Lau­fe der fik­tio­na­len Geschich­te immer­hin mit einem namen­lo­sen (mög­li­cher­wei­se real exis­tie­ren­den, mög­li­cher­wei­se aber auch fik­tio­na­len) ande­ren CDU-Poli­ti­ker im Bett lan­det, son­dern die des real exis­tie­ren­den CDU-Poli­ti­kers.

Ich habe die Idee, eine sol­che Geschich­te zu erzäh­len, dann aber doch wie­der ver­wor­fen.

Kategorien
Digital Politik

Sigmundsgewiss

Wenn Freud heu­te auf Express.de gin­ge, was wür­de er da wohl den­ken?

Neue Umfragen: Vorsprung von Schwarz-Geld schmilzt zusammen. Hamburg/Berlin - Wenige Tage vor der Bundestagswahl hat Schwarz-Gelb seinen lange Zeit komfortablen Vorsprung eingebüßt.

Ein­ge­sandt von Man­fred H.

Nach­trag, 14:52 Uhr: Express.de hat die Über­schrift auf „Schwarz-Gelb“ geän­dert.

Kategorien
Politik

Wie war noch mal die Frage?

Im Ren­nen um das aus­sa­ge­frei­es­te Wahl­pla­kat ist Bun­des­tags­prä­si­dent Nor­bert Lam­mert mög­li­cher­wei­se unein­hol­bar in Füh­rung gegan­gen:

Lammert! CDU

Es kann natür­lich auch sein, dass der Regen die gan­zen pro­gram­ma­ti­schen Aus­sa­gen alle aus­ge­wa­schen hat.

Kategorien
Digital Politik

Internet Gaga

Wer sich zag­haft der ganz eige­nen Welt von Poli­ti­kern annä­hern will, soll­te fol­gen­de Wor­te ein paar Mal im Kopf hin- und her­schie­ben:

Ich hal­te es für falsch und nicht mach­bar, im Inter­net unlieb­sa­me Inhal­te durch Sper­ren oder das Kap­pen von Ver­bin­dun­gen zu unter­drü­cken.

Das hat nicht etwa irgend­ein Kri­ti­ker der vor einer Woche beschlos­se­nen Inter­net­sper­ren gegen Kin­der­por­no­gra­phie gesagt, son­dern Dr. Mar­ti­na Krog­mann, Ver­hand­lungs­füh­re­rin der CDU/​CSU bei genau die­sem Gesetz.

Aller­dings jetzt und zu einem etwas ande­ren The­ma.

Kategorien
Digital Politik Gesellschaft

Mein anderes Protest-Problem

Ich habe kurz über­legt, ob ich all das, was ich ges­tern zum The­ma Bil­dungs­streik, Demons­tra­tio­nen und Beset­zungs­ak­tio­nen auf­ge­schrie­ben habe, heu­te noch mal zu den Pro­gramm­punk­ten „Zen­sur­su­la“, „Unwähl­bar­keit“ und „Mit Euch reden wir jetzt gar nicht mehr“ auf­schrei­ben soll.

Aber ers­tens fin­de ich lang­sam auch, dass ich mich stän­dig selbst wie­der­ho­le, und zwei­tens sagt ein Bild Screen­shot ja immer noch mehr als tau­send Wor­te:

Zensiert zurück! Das WordPress-Plugin, um Parteien und Fraktionen auszusperren.

Die Logik dahin­ter ist beein­dru­ckend: „Ihr habt unse­re Argu­men­te nicht hören wol­len, wes­we­gen wir sie jetzt vor Euch ver­ste­cken – gut, wir kön­nen nicht über­prü­fen, ob das über­haupt klappt, aber wenigs­tens haben wir Euch noch eine puber­tä­re Trotz­re­ak­ti­on mit auf den Weg gege­ben.“

Und bevor das jetzt wie­der all­ge­mein die­ser „Inter­net-Com­mu­ni­ty“ in die Schu­he gescho­ben wird: Ich füh­le mich von sol­chen Aktio­nen ziem­lich exakt so gut reprä­sen­tiert wie von einem durch­schnitt­li­chen Abge­ord­ne­ten von CDU/​CSU und SPD. Näm­lich gar nicht.