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Zigaretten statt Eier

Also, wenn ich das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nichtraucherschutz richtig verstanden habe, lautet es sinngemäß: Wer so einen Wischi-Waschi-Nichtraucherschutz mit Raucherräumen zulässt, muss auch zulassen, dass in Eckkneipen geraucht wird, die kleiner als 75 m2 sind und kein eigenes Essen verkaufen. Aber: Jeder soll wissen, dass auch ein absolutes Rauchverbot mit dem Grundgesetz vereinbar wäre – wenn die Gesetzgeber nur die Eier dazu hätten, es auch einzuführen.

Also eigentlich das Übliche: Win-Win für alle Beteiligten bei gleichzeitiger Schelte unausgegorener Gesetze.

Höre ich Widerspruch von Juristen?

Nachtrag, 16:40 Uhr: Nadja Erb hat für die “Frankfurter Rundschau” eine kluge und besonnene Einschätzung des Urteils geschrieben.

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Der Unratskübel auf dem anti-anglistischen Schutzwall

Das Schöne an getroffenen Hunden ist ja, dass sie durch ihr Bellen häufig schlafende Hunde wecken. Äh …

Die Wochenzeitung “Neue Solidarität”, Zentralorgan des “Schiller-Instituts” und der “Bürgerrechtsbewegung Solidarität” (mit der wir uns schon das ein oder andere Mal beschäftigt haben), ließ sich in ihrer Ausgabe vom 30. Januar in einem “Zwischenruf” über den WDR und zwei seiner Mitarbeiterinnen aus:

Dort [in Köln, Anm. d. Bloggers] befindet sich nämlich der WDR (Westdeutscher Rundfunk), der sich am 24. Januar in seinem Radioprogramm WDR5 bemüßigt fühlte, zwanzig Minuten lang einen Unratskübel über die BüSo, das Schiller-Institut und vor allem natürlich Lyndon LaRouche auszuschütten.

Ein Unratskübel, den man zwanzig Minuten über zwei Organisationen und einen alten Mann ausschütten kann, muss natürlich gewaltig groß sein. Und was war drin?

Der betreffende Beitrag, der am 24. Januar in der WDR-5-Sendung “Neugier genügt” lief und den man hier nachhören kann, beschäftigte sich mit dem bis heute ungelösten Todesfall Jeremiah Duggan. Der 22-jährige Engländer war in der Nacht zum 27. März 2003 in Wiesbaden ums Leben gekommen, nachdem er kurz zuvor zwei telefonische Hilferufe an seine Mutter in London abgesetzt hatte.

Jeremiah hatte in der Nähe von Wiesbaden eine Tagung des “Schiller-Instituts” besucht und soll sich dann mitten in der Nacht auf einer Schnellstraße vor ein Auto geworfen haben. Die deutschen Behörden haben den Fall trotz einiger Ungereimtheiten schnell als Selbstmord abgehakt und ließen sich weder durch einen Aufruf des renommierten Simon-Wiesenthal-Zentrums (Jeremiah war Jude) noch durch einen Appell von 96 britischen Abgeordneten zu einer Wiederaufnahme bewegen. Genaueres zum Fall Jeremiah Duggan entnehmen Sie bitte der “taz”, der “Berliner Zeitung”, “Telepolis” oder dem “Daily Telegraph”, diesem Beitrag des Hessischen Rundfunks (von dem ich leider nicht weiß, wann und in welcher Sendung er gelaufen ist) und der Website “Justice For Jeremiah”.

Und damit zurück zum WDR-Bashing der “Neuen Solidarität”:

Allen Erklärungen und Entscheidungen der deutschen Staatsanwaltschaft, des Frankfurter Oberlandesgerichts und den mittlerweile freigegebenen Akten der Londoner Metropolitan Police zuwider brachte die Sendung, in reißerischer Manier und gegen besseres Wissen, die BüSo und das Schiller-Institut wieder in Zusammenhang mit diesem Selbstmord.

Wer den Beitrag gehört hat, wird wenig finden, was als “reißerisch” durchgehen könnte. Auch scheint mir das Hauptinteresse der WDR-Autorin auf dem Verhalten der deutschen Behörden zu liegen:

Der zuständige Beamte der Wiesbadener Polizei erklärt den Duggans,
man behandle den Fall als Selbstmord. Ein Fremdverschulden sei auszuschließen. Eine Version, die Hartmut Ferse, Pressesprecher der Wiesbadener Staatsanwaltschaft auch mir gegenüber telefonisch bestätigt. Eine von der am Unfallort anwesenden Notärztin empfohlene Obduktion unterblieb, wie aus den Unterlagen hervorgeht.

Der deutsche Polizeibeamte wusste offenbar, dass Jeremiah im Alter von sieben Jahren nach der Trennung seiner Eltern bei einer Familienberatung in der Londoner
Tavistock-Klinik war, und schloss daraus, dass er auch mit 22 noch “Psychiatrie-
Patient” sei.

Im Beitrag heißt es weiter:

O-Ton Erica Duggan: “And then the police officer said: Lyndon LaRouche… And then we asked more questions and he said: No comment.”
Autorin: Lyndon LaRouche?
Sprecher: Lyndon LaRouche, amerikanischer Polit-Aktivist, der politische und kulturelle Organisationen in den USA und in Europa, auch in Deutschland, aufgebaut
hat? Lyndon LaRouche, heute 85 Jahre alt, in der Vergangenheit mehrmals selbsternannter Kandidat für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten? Lyndon LaRouche, der von amerikanischen und deutschen Journalisten und Sektenexperten als “Extremist” und “gefährlicher Verschwörungstheoretiker” bezeichnet wird?
Autorin: Die Eltern Duggan forschen nach und kommen zu dem Schluß, dass ihr Sohn in die Fänge einer Organisation geraten sein musste, die etwa der “Spiegel” als eine der umstrittensten “Weltverschwörungssekten” bezeichnet: in die von Lyndon LaRouche. Klar wird ihnen, dass der Schlüssel zu all den Ereignissen dem Anschein nach bei den Organisatoren des von Jerry besuchten Seminars liegen musste.

Angeblich habe sogar ein Polizeibeamter gesagt:

Wir wollen keine Ermittlungen gegen die LaRouche-Organisation einleiten …

Interessanterweise wirft “BüSo” der Autorin des WDR-Beitrags eine Menge, nicht aber Einseitigkeit vor. Das wäre ja auch etwas lächerlich, sagt sie doch selbst:

Alle Versuche meinerseits, Stellungnahmen von LaRouche-Organisationen zu bekommen, verlaufen im Sande. Angegebene Telefonnummern existieren nicht oder nicht mehr. Bei einem kurzen telefonischen Kontakt mit der Presseagentur der Organisation in Wiesbaden, wird mir erklärt, mit dem Fall Duggan habe man „nichts zu tun.“

Wer sich dennoch für den Standpunkt von “BüSo”, “Schiller-Institut” und/oder LaRouche interessiert, bekommt auf deren Website ein paar Informationen und einen Aufsatz von Lyndon LaRouche aus dem November 2006, in dem dieser interessante Schlüsse zieht:

Londoner Quellen, die eng mit US-Vizepräsident Dick Cheney und dessen Ehefrau Lynne Cheney verbunden sind, haben erneut eine Pressekampagne in Gang gesetzt, um eine wiederholt diskreditierte Lügengeschichte hinsichtlich der Ursachen und Umstände des Selbstmords eines emotional gestörten jungen Briten, Jeremy Duggan, wieder aufzuwärmen, der sich, wie der offizielle forensische Bericht zweifelsfrei ergab, an einer Schnellstraße bei Wiesbaden mehrfach gegen vorbeifahrende Fahrzeuge geworfen hat.

Der Grund für die ursprüngliche und nun wiederholte Verbreitung dieses Presseschwindels war und ist der persönliche Haß Cheneys und seiner Ehefrau gegen eine Person – mich – , die sie weiterhin als beunruhigenden politischen Gegner betrachten, der mit einer führenden, hochrangigen Fraktion in der Demokratischen Partei der USA verbunden ist.

Die Vorstellung, der US-Vizepräsident habe wenige Tage nach der verlorenen midterm election nichts besseres zu tun, als einem als Witzfigur geltenden Greis schlechte Schlagzeilen anzuhängen, ist irgendwie rührend. In Wahrheit dürfte die Geschichte im Herbst 2006 noch einmal durch die Presse gegangen sein, weil Erica Duggan zu dieser Zeit vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingereicht, um eine Wiederaufnahme der Untersuchungen zu erzwingen. Die Entscheidung dazu steht bis heute aus.

Doch zurück zur “Neuen Solidarität”:

Warum, so möchte man erfahren, da es doch keinerlei neue Erkenntnisse gibt? Die Antwort ist simpel, aber fundamental, und sie liegt in der Geschichte des WDR. Dieser erhielt bekanntermaßen seine Lizenz durch die britische Besatzungsmacht, woran er sich immer, wenn es darauf ankommt, treulich erinnert hat.

Mit dem WDR hat sich die LaRouche-Bewegung noch nie gut verstanden, wie man z.B. in “Deckname Schiller”, einem Buch von Helmut Lorscheid und Leo A. Müller aus dem Jahr 1986 nachlesen kann. Damals warf man dem Sender zwar noch “Goebbels-Methoden” vor, aber die Zeiten ändern sich und so kann sich der Westdeutsche Rundfunk natürlich auch in einen heimlichen Feindfunk verwandelt haben. Dazu muss man wissen, dass Lyndon LaRouche und seine Anhänger bei jeder sich bietenden (also viel mehr: bei jeder) Gelegenheit eine britische Verschwörung vermuten: Der Bombenanschlag in Oklahoma City 1995, die versuchte Amtsenthebung von Bill Clinton, selbst Kommentare in kanadischen Boulevardzeitungen sollen auf das Konto “der Briten” gehen – kein Wunder, dass LaRouche “die amerikanische Republik vor der Zerstörung durch ihren Erzfeind, das britische Empire” bewahren will.

Statt also Propaganda für die bösen, bösen Briten zu betreiben, so der weitere Tenor in der “Neuen Solidarität”, hätte der WDR mal lieber über die wirklich wichtigen Themen sprechen sollen. Natürlich mit jemandem, der sich damit auskennt:

Man frage sich doch einmal ganz unvoreingenommen: Wäre es im gegenwärtigen finanziellen Zusammenbruchsprozeß, der spätestens seit Montag, dem 21. Januar, jedem deutlich geworden ist, nicht „normaler“ gewesen, wenn der WDR Helga Zepp-LaRouche angerufen und sie zu ihren Lösungsvorschlägen für die Krise („Neues Bretton Woods“, Schutzwall für das Gemeinwohl) und zu den Initiativen ihres Mannes in Amerika befragt und darüber eine Sendung gemacht hätte? Das sind die Themen, die gegenwärtig die Menschen brennend interessieren, vor allem, weil die politische Führung offenbar bisher komplett versagt! Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk wäre das die Aufgabe des WDR, statt die Gelder der Bürger dazu zu vergeuden, die einzige gegenwärtig in Deutschland sichtbare Persönlichkeit, die kompetente Initiativen zum Schutz des Gemeinwohls präsentiert, anzugreifen. Es sei denn, man fühlt sich anderem verpflichtet… und da liegt wohl „der Hase im Pfeffer“, wie man so schön sagt.

Einmal in Rage geschrieben macht die stellvertretende Bundesvorsitzende der “BüSo”, die diesen “Zwischenruf” verfasst hat, noch einen etwas wirren Schlenker zu dem Verlag, in dem die Autorin dieser “Sendung” (da steht wirklich Sendung in Anführungsstrichen) ihre Bücher veröffentlicht, und greift dann zum Schlimmsten: Namenswitzen.

Die verantwortliche Redakteurin heißt übrigens Frau Dreckmann – kein Karnevalsscherz.

Ebenfalls kein Scherz: Die ausgiebig zitierte “Neue Solidarität” wird bei “Google News” als Nachrichtenquelle geführt. Zwei Anfragen meinerseits (eine im Januar, eine letzte Woche), ob man bei Google eigentlich wisse, um was für eine Publikation es sich bei der “Neuen Solidarität” handele, sind bis heute unbeantwortet geblieben.

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Du bist Verfassungsbeschwerde

Mehr als 13.000 Bürger beteiligen sich schon an der Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Einer davon bin ich.

Noch bis zum 24. Dezember kann man der Berliner Kanzlei Starostik seine Vollmacht erteilen und damit an der “größten Verfassungsbeschwerde aller Zeiten” teilnehmen. Das tut nicht weh und kostet nicht mehr als die 55 Cent für die Briefmarke (und Papier, Umschlag und etwas Druckertinte).

Wenn vorratsdatenspeicherung.de nicht gerade down ist (wegen Überlastung, wie ich hoffen will), findet man dort das nötige Formular zum Ausfüllen und Ausdrucken, bei alltagskakophonie.de gibt es eine detaillierte Anleitung.

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Wähl! Mich! Ab!

Darauf muss man erst mal kommen: 26 Bundestagsabgeordnete der SPD haben dem umstrittenen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung am vergangenen Freitag im Bundestag zugestimmt und veröffentlichten hinterher eine Rechtfertigung (Anlage 4), in der sie sinngemäß schreiben, sie fänden den Gesetzentwurf schon irgendwie doof, aber nicht so doof wie andere schlimme Dinge, und überhaupt werde das Bundesverfassungsgericht das Gesetz ja schon kassieren, wenn dieses denn verfassungswidrig sei.

Oder anders: Die Leute, die in Ihrem und meinem Namen Gesetze erlassen sollen (Legislative), verlassen sich lieber auf die Urteilsfähigkeit der Leute beim Bundesverfassungsgericht (Judikative), wenn es darum geht, was die Leute bei Polizei und Geheimdienst (Exekutive) so über Sie und mich wissen sollen.

Oder noch anders: 26 SPD-Abgeordnete haben ein sehr merkwürdiges Verständnis unseres Grundgesetzes und der darin verankerten Gewaltenteilung und geben das auch noch öffentlich zu!

Das Verhalten dieser 26 Männer und Frauen1 ist so absurd, dämlich, erschütternd und wirr, dass ich lange grübeln musste, bis mir ein einigermaßen schiefes Bild einfiel, um diesen Irrsinn in den Alltag zu transportieren. Stellen Sie sich also vor, der Handwerker, den Sie mit der Anbringung eines Treppengeländers beauftragt hätten, sagte Ihnen hinterher: “Ja, das kam mir schon ein bisschen wackelig vor, aber ich dachte, die Bauaufsicht guckt sich das eh noch mal an.” Und Sie liegen mit gebrochenem Rückgrat auf dem neuen Kachelfußboden und denken sich Dinge, die ich hier nicht hinschreiben möchte. Nur dass Sie in diesem Bild ohne Rückgrat sind – in der Realität sind es natürlich die Sozi-Psychopathen.

Da ist mir ja Wolfgang Schäuble lieber, dem ich sogar abnehme, dass er aufrichtig davon überzeugt ist, alle Freiheiten abschaffen zu müssen.

Und weil ich gerade merke, dass ich mich in eine unglaubliche Rage schreibe, die noch dazu führen könnte, dass der prunkvolle Zinnhumpen, der auf meiner Fensterbank steht, auf direktem Wege mein Zimmer verlässt, und ich mir sicher bin, dass die SPD auch für diesen Schaden nicht aufkommen würde, verweise ich lieber auf ein paar interessante Blog-Einträge zu dem Thema:

Fraktionszwang hin oder her – jeder Abgeordnete hat in erster Linie die Pflicht, sein Mandat auszuüben, das er durch die Stimmen der Wähler in seinem Wahlkreis erhalten hat. Ganz bestimmt darf er nicht offensichtlich verfassungswidrige Gesetze zum Wohl der eigenen Karriere durchwinken und sich dabei darauf verlassen, dass ein Bundesverfassungsgericht den angerichteten Schaden schon wieder geradebügeln wird.

(Nur meine zwei Cent)

Wollten sich die armen Abgeordneten ersparen, wegen ihrer Bauchschmerzen Stress mit den Fraktions- und Parteichefs zu bekommen? War das Risiko zu hoch, wegen einer Abweichung vom Fraktionszwang den bisherigen Listenplatz zu verlieren?

(Dobschat.de)

Der Gesetzentwurf trägt (…) nach unserer Auffassung nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit auf der Stirn (…)

Entschuldigung, nennen Sie mich Klugscheißer, Wortklauber oder Schlimmeres, aber ich kann nicht ernsthaft mit Menschen diskutieren, die glauben, dass Gesetzentwürfe Stirne haben. Und die, anstatt das eigene Gewissen zu prüfen oder sich schlau zu machen, nur eine oberflächliche Gesichtskontrolle auf offensichtliche Kainsmale durchführen, bevor sie für Gesetze stimmen, die ihrer Meinung nach gut und gerne verfassungswidrig sein könnten.

(Stefan Niggemeier)

Demnach hoffen sie auf das Bundesverfassungsgericht, dass die verfassungswidrigen Punkte hoffentlich wieder aus dem Gesetz rausholt. Same Procedure wie so oft.

(netzpolitik.org)

Ich hätte es für denkbar gehalten, dass der eine oder andere Abgeordnete verfassungswidrige Gesetze abnickt, weil er dämlich ist. Und es nicht rafft, was er beschließt. Ebenso konnte ich mir vorstellen, dass Abgeordnete faul sind und gar nicht lesen, worüber sie abstimmen. […]

Allerdings war es für mich bislang unvorstellbar, dass Abgeordnete ein Gesetz verabschieden, das sie für verfassungswidrig halten. Aber das ist jetzt geschehen.

(Law Blog)

SIE HABEN KEINE EIER, UM DAS DEUTSCHE VOLK ZU REPRÄSENTIEREN!

(Indiskretion Ehrensache)

Apropos Gewaltenteilung: Was sagt die vierte Gewalt denn dazu? Oh.

1 Christoph Strässer, Niels Annen, Axel Berg, Lothar Binding, Marco Bülow, Siegmund Ehrmann, Gabriele Frechen, Martin Gerster, Renate Gradistanac, Angelika Graf, Gabriele Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Josip Juratovic, Anette Kramme, Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, Katja Mast, Matthias Miersch, Rolf Mützenich, Andrea Nahles, Ernst Dieter Rossmann, Bernd Scheelen, Ewald Schurer, Wolfgang Spanier und Ditmar Staffelt.

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Rollenspiel

Stellen Sie sich bitte für einen Moment mal vor, Sie wären Angela Merkel. Das mit dem Gesicht und der Frisur überlassen wir schön den Kollegen vom Privatfernsehen, dort macht man ja auch noch Namenswitze.

Sie wären vielmehr die erste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik und beliebt wie nur sonst was. Sie hätten in diesem Jahr als weibliches Gegenstück zu Al Gore den Klimawandel gestoppt und sogar die “New York Times” hätte gerade groß über Sie und Ihren Rückhalt im Volke berichtet. Natürlich wären Sie auch so beliebt, weil Sie in fast zwei Jahren Regierung nichts getan hätten und die ganzen unbequemen Reformen, die jetzt zu wirken begönnen, alle noch auf das Konto der Vorgängerregierung gingen, aber das könnte Ihnen ja im Prinzip egal sein. Die einzigen Sorgen, mit denen Sie sich bis jetzt hätten rumschlagen müssen, wären eine missglückte Gesundheitsreform, leichte Widerstände gegen das “Elterngeld” Ihrer Familienministerin und das ganze Theater um die Sicherheit beim G8-Gipfel gewesen.

Und dann hätte irgendjemand ein paar Türen in ein paar Ministerien nicht ordnungsgemäß verschlossen und zwei Minister würden plötzlich mit dem Bollerwagen durch die deutsche Medienlandschaft ziehen um dem letzten Bundesbürger klar zu machen, dass Sie Ihr Kabinett überhaupt nicht unter Kontrolle hätten.

Dass Wolfgang Schäuble seit Monaten immer tiefere Einschnitte in die Grundrechte der Bürger, Ihrer Wähler, fordert, wäre den meisten Betroffenen noch total egal gewesen. Doch plötzlich würde der Mann alle noch mal überraschen und munter herumerzählen, er hielte es ja nur noch für eine Frage der Zeit, bis mal ein Terrorist daherkomme und eine Atombombe zünde.1

Fast zeitgleich würde sich Ihr Verteidigungsminister hinstellen und einen Vorschlag der Vorgängerregierung, den das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hätte, wieder hervorholen und öffentlich ankündigen, im Zweifelsfalle auf Verfassung und Gericht zu scheißen und auf entführte Flugzeuge zu schießen. In den “Tagesthemen” würde er auf die Frage, ob sein Vorstoß überhaupt mit Ihnen abgesprochen sei, antworten, er und der Bundesinnenminister seien die besten Buddies überhaupt und die Frage ansonsten unbeantwortet lassen. Politiker diverser anderer Parteien und die Bundesluftwaffe würden sich gegen seinen Vorschlag wehren und in Deutschland herrschte eine Aufruhr, als habe gerade jemand Hitlers Familienpolitik gelobt oder Kunst als “entartet” bezeichnet.

Was würden Sie, der Sie ja Angela Merkel wären, jetzt tun?

1 Dass Schäuble meint, wir sollten uns “die verbleibende Zeit” nicht auch noch “verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen”, anstatt endlich mal das zu tun, was er die ganze Zeit vorgibt zu wollen, nämlich die Sicherheit der Bürger zu schützen, ist eigentlich einen eigenen Wutanfall wert.

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Stopf den Tisch oder ich butter dir die Bremen

Auch wenn uns politisch wenig bis gar nichts verband, war Helmut Kohl immer “mein” Kanzler. Er war schon Kanzler, als ich auf die Welt kam, und als er es plötzlich (nach 16 Jahren!) nicht mehr war, war ich verwirrt. Sagte der Nachrichtensprecher “Bundeskanzler”, vervollständigte ich im Geiste “Helmut Kohl”. In meiner Erinnerung wird Kohl immer zu gleichen Teilen die “Hurra Deutschland”-Gummipuppe und der Fels in der Brandung sein. Er war der große “Aussitzer”, die sprichwörtliche deutsche Eiche, die es nicht im mindesten interessierte, welche Sau sich gerade wieder an ihr rieb. Kohl hat sie alle überstanden: Schmidt, Strauß, Möllemann. Es gab Bücher voller Kohl-Witze und ich würde ihm zutrauen, dass er, wenn ihm mal jemand ein solches Buch geschenkt hätte, dieses demonstrativ auf dem Fensterbrett der Gästetoilette seines Oggersheimer Bungalows platziert hätte, um zu zeigen, wie wenig ihn das alles anfocht. Wenn er doch mal die Contenance verlor, wie als er sich in Halle auf einen Mann stürzte, der ihn mit Eiern beworfen hatte, dann zeigte er in einer solchen Szene Menschlichkeit, physische Präsenz und den Willen, sich notfalls selbst zu verteidigen. Die Hallenser Eierwurf-Geschichte ist eine Episode in der an Episoden nicht armen Außenwirkung Kohls. Seine innere Ruhe geht so weit, dass ihn auch die Bonner Staatsanwaltschaft nicht davon überzeugen kann, sein Ehrenwort zu brechen.

Kohls Nachfolger als Bundeskanzler war Gerhard Schröder, der unter anderem dadurch in die Geschichte und das kollektive Gedächtnis einging, dass er gerichtlich gegen die Behauptung vorging, sein gleichmäßig dunkles Haupthaar sei gefärbt. Etwa fünf Jahre später setzte Schröders Gattin gerichtlich durch, dass der “Stern” nicht behaupten darf, sie habe die Idee gehabt, eine Neuwahl des Bundestags mittels Vertrauensfrage zu erwirken. Helmut Kohl wurde zu dieser Zeit, allen Ehrenworten zum Trotz, als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt.

Ebenfalls einen Prozess gewann im Jahr 2005 Schröders damaliger Verkehrsminister Manfred Stolpe. Er darf seitdem nicht mehr als “ehemaliger Stasi-Mitarbeiter” oder “IM” bezeichnet werden, auch wenn Stolpe selbst sagt, er habe als Sekretärs des Bundes der Evangelischen Kirche der DDR “zu vielen staatlichen Stellen Kontakt gehalten, darunter auch zur Staatssicherheit”, und der Birthler-Behörde Akten vorliegen, die den Verdacht erhärten, Stolpe sei als Informeller Mitarbeiter “geworben” worden. Die sogenannte “Stolpe-Entscheidung” des Bundesverfassungsgerichts besagt im Kern, dass es bei einer mehrdeutigen Äußerung ausreiche, wenn nur eine mögliche Interpretation dieser Äußerung die Persönlichkeitsrechte des Klägers verletze.

Natürlich möchte niemand Unwahrheiten oder Beleidigungen über sich selbst lesen und selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen der Aussage “Lukas hatte Kontakte zu Apfeldieben (weil er in der Grundschule neben einem saß)” (Saß ich nicht, bzw. ich wüsste nichts davon. Es ist ein Beispiel, liebe früheren Mitschüler!) und “Lukas war/ist ein Apfeldieb”. Nur haben die Verfassungsrichter mit diesem Grundsatzurteil die Büchse der Pandora geöffnet, denn mehrdeutig und interpretierbar ist eine ganze Menge: Eine verulkende Berufsbezeichnung für Fernsehansagerinnen, die auch als abwertende Bezeichnung für das weibliche Geschlecht verstanden werden könnte? Die “Stolpe-Entscheidung” ist mit Euch (und sorgt dafür, dass sowohl die verulkende Berufsbezeichnung, als auch die Fernsehansagerin erstmals einem größeren Publikum bekannt werden). Eine Beschreibung für Menschen, die im Fernsehen anrufen, dann aber nichts oder völlig unpassendes Zeug sagen, die auch als Unterstellung den Angerufenen gegenüber verstanden werden könnte? Die “Stolpe-Entscheidung” hilft.

Ich bin kein Jurist und juristisch mögen diese Urteile auch völlig logisch begründbar sein. Linguistisch sind sie es nicht. Wer sagt, dass eine Wortneuschöpfung irgendetwas bedeuten könnte, und ein Wort synonym für ein anderes stehen könnte (das aber wohl in kaum einem Fall sinnvoll), stellt die Grundkonvention in Frage, auf der jede Sprache aufbaut. Es besteht zum Beispiel die Konvention, dass das Ding mit der Platte aus Holz und den vier Beinen untendrunter “Tisch” genannt wird. Nur so weiß der kleine Peter, was die Lehrerin meint, wenn sie sagt “Peter, klebe doch bitte Dein Kaugummi nicht unter Deinen Tisch”. Und das gilt – Sie haben es bereits erraten – nicht nur für das Wort bzw. das Konzept “Tisch”, sondern für jedes Wort des Satzes und der gesamten Sprache. Für die Wissenschaft, die sich mit der Bedeutung von Worten befasst, gibt es, welch Ironie, zwei verschiedene Begriffe: Wort- oder lexikalische Semantik. Wer tiefer in diese Materie einsteigen will, kommt beispielsweise um Ferdinand de Saussure kaum herum.

Die Annahme, ein Wort könne auch für etwas völlig anderes stehen (und wir reden hier natürlich nicht über Homonyme, sog. “Teekesselchen” wie “Ball” [rundes Sportobjekt/Tanzveranstaltung] oder “Bank” [Geldinstitut/Sitzmöbel]), hat etwas poststrukturalistisches. Denkt man den Gedanken zu Ende, könnte alles buchstäblich alles bedeuten. Nicht wenige Leute, die regelmäßig Briefe schreiben oder erhalten (z.B. Leserbriefschreiber), wissen, dass die Grußformel “Hochachtungsvoll” auch etwas ganz anderes bedeuten kann. Etwas, bei dessen öffentlicher Aussprache man immer betonen muss, Goethes “Götz von Berlichingen” zu zitieren. Kann ich also jedes alte Ömmacken, das noch gelernt hat, was sich gehört und wie man Briefe schreibt, verklagen, weil sie mich mit ihrem “Hochachtungsvoll” beleidigt haben könnte?

Ja, wieso denn eigentlich nicht? Ich kann doch auch sagen, das Ding mit der Platte aus Holz und den vier Beinen drunter nenne ich jetzt “Brot”, und das Zeugs aus Körnern, wo man sich morgen seine Nussnougatcreme draufstreicht, nenne ich “Waldemar”. Wenn ich das konsequent durchziehe, versteht mich bald niemand mehr, aber ich habe eine neue interessante Freizeitbeschäftigung, nämlich Worte durch andere zu ersetzen. Und da einige Personen die interessante Freizeitbeschäftigung, andere Leute juristisch zu belangen, aus den USA importiert haben, ist nicht ausgeschlossen, dass es in Zeitungsartikeln, Blogeinträgen und auch in der Alltagssprache bald von “Du weißt schon wer”s und “He who must not be named”s wimmeln könnte. (“Wobei das natürlich gar nichts brächte, weil man ja annehmen könnte, wer mit diesen Chiffren gemeint sein sollte“, sagte das Universum und löste sich in einem Logikwölkchen auf.)

Sprache ist etwas, mit dem jeder jeden Tag zu tun hat. Wirklich jeder und überall (die Ausnahmen müssten so konstruiert sein, dass man ihnen schon wieder Boshaftigkeit unterstellen könnte), deswegen denkt offenbar auch jeder, er kenne sich damit aus. Nur von Fußball haben noch mehr Deutsche Ahnung (nämlich alle außer dem jeweils aktuellen Bundestrainer) als von Sprache. Werden Linguisten um Gutachten gebeten, werden diese meist schlicht ignoriert. Man stelle sich nur mal vor, ein Richter sage dem Dekra-Sachverständigen, der gerade erklärt hat, ein Auto könne nicht innerhalb von 1,8 Sekunden von 250 km/h zum Stillstand gebracht werden (und das in einem Verkehrsberuhigten Bereich), es sei ja ganz schön, was er da gerade von seiner putzigen Wissenschaft aus seinem schmucken Elfenbeinturm berichtet habe, aber er fahre ja selber Auto und könne daher durchaus befinden, dass das sehr wohl gehe. Mit Geisteswissenschaftlern, diesem Pack, das nur Bücher liest und keine neuen Automotoren oder Atombomben entwickelt, und auch keine Konzepte zur Einsparung von 30.000 Arbeitskräften bei gleichzeitiger Steigerung der Produktivität erarbeiten kann, mit denen kann man offenbar alles machen.

Was? Ich schweife ab, ich ertrinke in Weltenschmerz und werde über Gebühr sarkastisch? Nein, das müssen Sie irgendwie falsch interpretiert haben.