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Selena Gomez‘ bravoröse Empfängnis

Ich habe das mit dem Ange­bot und der Nach­fra­ge im Bou­le­vard­jour­na­lis­mus noch nie geglaubt. Ich kann mir ein­fach nicht vor­stel­len, dass es Men­schen gibt, die sich mor­gens nach dem Auf­ste­hen fra­gen, was eigent­lich Brad Pitt und Ange­li­na Jolie gera­de machen. Ich den­ke nicht, dass man Klatsch­zeit­schrif­ten und Gos­sip-Blogs erfin­den müss­te, wenn es sie nicht gäbe. Und ich hal­te es für aus­ge­schlos­sen, dass sich die Gedan­ken von älte­ren Men­schen in Arzt­war­te­zim­mern auto­ma­tisch um das (ver­meint­li­che) Pri­vat­le­ben von Volks­mu­si­kan­ten dre­hen wür­den, wenn es die ent­spre­chen­den Quatsch­ma­ga­zi­ne nicht gäbe.

Ent­spre­chend glau­be ich auch nicht, dass Jugend­zeit­schrif­ten die exis­ten­ti­el­len Fra­gen von Jugend­li­chen beant­wor­ten – außer viel­leicht auf den Sei­ten, wo sie die exis­ten­ti­el­len Fra­gen von Jugend­li­chen beant­wor­ten.

Für einen Tag am Bag­ger­see war mir aber nach leich­ter Lek­tü­re, wes­we­gen ich beherzt zum Zen­tral­or­gan für exis­ten­ti­el­le Fra­gen von Jugend­li­chen griff: zur „Bra­vo“.

Selena Gomez: Schwanger beim ersten Mal!? Vergiftet? Schwer krank?
War­um nicht gleich: „Zom­bies! Ali­ens! Vam­pi­re! Dino­sau­ri­er!“?

Jetzt fra­gen Sie sich als unge­bil­de­te, grei­se Leser die­ses Blogs natür­lich erst mal, wer die­ses unbe­kann­te Kind da auf der Titel­sei­te über­haupt ist. Das ist Sele­na Gomez, die Haupt­dar­stel­le­rin der Dis­ney-Chan­nel-Serie „Die Zau­be­rer vom Waver­ly Place“, die Sie ken­nen könn­ten, wenn Sie Ihren min­der­jäh­ri­gen Kin­dern erlau­ben, Super RTL zu gucken. Frau Gomez ist 18 Jah­re alt und seit kur­zem mit Jus­tin Bie­ber liiert, dem womög­lich größ­ten Pop­star unse­rer Tage. Aber das las­sen Sie sich womög­lich tat­säch­lich am Bes­ten alles von irgend­ei­nem Kind erklä­ren – vie­le Eltern freu­en sich ja, wenn man ein sol­ches ein­fach mal für ein paar Stun­den aus­leiht (nach­dem man vor­her um Erlaub­nis gefragt hat).

Jeden­falls: Sele­na Gomez war kürz­lich im Kran­ken­haus.

Was für ein Schock! Mit Blau­licht und Sire­nen wird Sele­na Gomez Don­ners­tag­nacht ins Pro­vi­dence Saint Joseph Medi­cal Cen­ter in Bur­bank bei Los Ange­les ein­ge­lie­fert. Tota­ler Zusam­men­bruch! Unglaub­lich: Weni­ge Minu­ten zuvor ist das Super-Girl noch live auf Sen­dung — in der „Tonight Show“ von Jay Leno im US-TV.

(Nein, die „Tonight Show“ ist natür­lich nicht live.)

Nun könn­te man anneh­men, dass der Kör­per einer 18-Jäh­ri­gen, die seit vier Jah­ren für eine Serie vor der Kame­ra steht, die diver­se Pro­mo-Auf­trit­te absol­viert und noch dazu auf Schritt und Tritt von Papa­raz­zi ver­folgt wird, irgend­wann ein­fach mal schlapp macht. Net­te Idee, aber es gibt doch noch ein paar ande­re:

Ers­te Erklä­rung: Fal­sche Ernäh­rung soll schuld sein. Aber die Gerüch­te­kü­che bro­delt. Waren viel­leicht noch ganz ande­re Fak­to­ren im Spiel?

Reporter Frank vor dem Providence Saint Joseph Medical Center in Burbank/L.A.Zum Bei­spiel Zom­bies, Alie… Nein, nein. „Bravo“-Reporter Frank Sier­ing (der von Los Ange­les aus etwa jedes zwei­te deut­sche Medi­um mit Hol­ly­wood-Geschich­ten belie­fert) hat sich ja nicht umsonst vor „Sels Kran­ken­haus“ foto­gra­fie­ren las­sen, er hat sich „auf Spu­ren­su­che“ bege­ben und her­aus­ge­fun­den, was „wirk­lich in jener Nacht pas­sier­te“. So fand er her­aus, dass Sele­na Gomez „direkt nach der Live-Sen­dung“ ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wur­de, sie sich „immer wie­der“ an den Bauch gefasst habe und sie sich „gleich nach der Ankunft“ set­zen muss­te, „weil ihr so übel ist“. Sogar die Num­mer des Ein­zel­zim­mers („auf der 3. Eta­ge des Kran­ken­hau­ses mit Blick auf die Ber­ge“) hat Sier­ing her­aus­ge­fun­den – und wenn sie stimmt, ist ihm damit ein inves­ti­ga­ti­ver Coup gelun­gen, denn außer der „Bra­vo“ kennt und nennt sie kein ande­res Medi­um.

Mehr noch:

Wegen der star­ken Unter­leibs­schmer­zen wird ein Frau­en­arzt zura­te gezo­gen und sofort ein Schwan­ger­schafts-Test gemacht.

Der unbe­stimm­te Arti­kel („ein Schwan­ger­schafts-Test“) ist offen­sicht­lich ein Flüch­tig­keits­feh­ler, denn „Bra­vo“ weiß es eigent­lich noch genau­er:

Diesen Schwangerschafts-Test musste sie machen.

Damit wären „wir“ auch schon beim ers­ten Gerücht, des­sen Doku­men­ta­ti­on die „Bra­vo“ sich auf die Fah­nen geschrie­ben hat. Denn tat­säch­lich wür­de gera­de „alles ganz gut zusam­men­pas­sen“: Das Pär­chen (von Fans offen­bar lie­be­voll „Jele­na“ genannt) habe immer­hin gera­de einen roman­ti­schen Lie­bes-Urlaub auf Hawaii ver­bracht.

Hat­ten sie dort ihr ers­tes Mal? Und ist dabei gleich das pas­siert, was jetzt viel ver­mu­ten?

Das wäre, so „Bra­vo“, gar nicht „so abwe­gig“. Zwar hat das Tee­nie-Maga­zin kein blu­ti­ges Bett­la­ken, das sie abdru­cken kann, aber eine schlüs­si­ge Indi­zi­en­ket­te: Immer­hin hät­ten auch die Müt­ter des Traum­paars ihre Kin­der „extrem früh“ bekom­men.

Jus‘ Mut­ter Pat­tie wur­de mit 18 schwan­ger. Sels Mom Man­dy sogar schon mit 15!

Für die Erkennt­nis, dass Teen­ager­schwan­ger­schaf­ten erb­lich sind, dürf­te min­des­tens ein Medi­zin­no­bel­preis fäl­lig wer­den.

Aber weil so Klatsch­the­men ja ver­gleich­bar mit Ver­schwö­rungs­theo­rien sind – alle schrei­ben von­ein­an­der ab und der Umstand, dass die eige­ne Behaup­tung durch nichts gestützt wird, unter­mau­ert ihre Plau­si­bi­li­tät nur noch mehr -, hat „Bra­vo“ natür­lich noch wei­te­re Gerüch­te in pet­to:

Könn­te es sein, dass der Super­star von Hatern ver­gif­tet wur­de?

(„Hater“ sind Men­schen, die eine bestimm­te Per­son über­haupt nicht aus­ste­hen kön­nen. Im Deut­schen wür­de man viel­leicht „Blog-Kom­men­ta­to­ren“ sagen.)

„Bra­vo“ fin­det das „auch nicht unwahr­schein­lich“ und lie­fert eine erstaun­li­che Begrün­dung:

Immer­hin äußer­ten die Ärz­te sofort den Ver­dacht auf eine Lebens­mit­tel­ver­gif­tung! Dass ihr jemand absicht­lich ver­dor­be­nes Essen ver­ab­reicht hat, konn­te aber bis­lang nicht bewie­sen wer­den.

Welch Glück, dass die Lebens­mit­tel­ver­gif­tung so heißt. Scha­de hin­ge­gen, dass die „Bra­vo“ kein Foto gefun­den hat, auf dem Sele­na Gomez einen „Gift Shop“ ver­lässt.

Für die Gift-Theo­rie spricht laut „Bra­vo“ alles, was dage­gen spricht:

Und Sele­na selbst will das Gan­ze ver­harm­lo­sen: „Ich habe nur zu viel Unge­sun­des geges­sen.“

Womög­lich ein ers­tes Anzei­chen für das Stock­holm-Syn­drom.

Und damit zu Gerücht Num­mer drei, das die „Bra­vo“ ein biss­chen wider­wil­lig auf­zu­grei­fen scheint:

Hat­te Sel einen Schwä­che­an­fall, weil sie zu viel arbei­tet?

Stei­le The­se, für die nur … alles spricht, was „Bra­vo“ so zu berich­ten weiß.

Sels Mom macht sich jeden­falls gro­ße Sor­gen: „Sie will eini­ge Ter­mi­ne strei­chen, um ihre Toch­ter zu ent­las­ten“, ver­rät ein Freund der Fami­lie.

Wie so ein „Freund der Fami­lie“ aus­sieht, hat der Wort­vo­gel vor eini­ger Zeit schon mal so erklärt:

In der Welt der Klatsch­pos­til­len gibt es mehr ima­gi­nä­re Freun­de als in einem Hort vol­ler hyper­ak­ti­ver Vier­jäh­ri­ger.

Fas­sen wir also den Arti­kel, mit dem „Bra­vo“ immer­hin drei Heft­sei­ten gefüllt gekriegt hat, noch ein­mal zusam­men: Sele­na Gomez war kürz­lich im Kran­ken­haus.

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Das bizarre Massaker der Fehlorientierungen

Mei­ne ers­te „Bra­vo“ las ich im Deutsch­un­ter­richt der ach­ten Klas­se. Nicht heim­lich unter dem Tisch, son­dern auf Geheiß unse­res dama­li­gen Deutsch­leh­rers. Der hielt Deutsch­lands lang­le­bigs­te Jugend­zeit­schrift für ein Super-Bei­spiel, um uns den The­men­kom­plex „Zei­tung“ näher zu brin­gen. ((Gerüch­ten zufol­ge ließ der glei­che Leh­rer in sechs­ten Klas­sen Auf­sät­ze mit dem The­ma „Mein ers­tes Mal“ schrei­ben. Es ist den Anstren­gun­gen unse­res her­zens­gu­ten Klas­sen­leh­rers zu ver­dan­ken, dass wir nur zwei Jah­re mit die­sem Päd­ago­gen zu tun hat­ten, der wenig spä­ter die Schu­le wech­sel­te. Es beun­ru­higt mich ein biss­chen, dass er auch heu­te mit Ende Fünf­zig noch Schü­ler (und vor allem Schü­le­rin­nen) unter­rich­tet.))

Ich war damals drei­zehn Jah­re alt und den Inhal­ten der Zeit­schrift noch nicht wirk­lich gewach­sen. Die Unsi­cher­heit, wie man sich ange­sichts von Tex­ten über den vor­zei­ti­gen Samen­er­guss, Pet­ting und die neu­es­te Sin­gle von Worlds Apart ver­hal­ten soll­te, über­gin­gen mei­ne bes­ten Freun­de und ich, indem wir jede ein­zel­ne Sei­te mit viel Auf­wand künst­le­risch ver­schö­ner­ten. Beson­ders die Foto Love Sto­ry hat­te es uns ange­tan. ((Ich hof­fe, ich den­ke dar­an, den gröbs­ten Irr­sinn beim nächs­ten Eltern­be­such mal zu scan­nen.))

Nach der Klas­sen­ar­beit zu die­ser Unter­richts­ein­heit ((Auf­ga­ben­stel­lung: Wahl­wei­se „Schrei­be einen Brief ans Dr.-Sommer-Team aus der Per­spek­ti­ve des Mäd­chens, das in der Foto Love Sto­ry ver­ge­wal­tigt wur­de“ oder „Schrei­be eine Bio­gra­phie über Mel B.“)) war „Bra­vo“ für mich abge­hakt. Aus Spaß an der Freu­de kauf­ten wir uns aller­dings genau ein Jahr spä­ter eine wei­te­re Aus­ga­be, um auch die­se zu ver­schö­nern. Die Fest­stel­lung, dass sich die The­men im Abstand von exakt 52 Wochen wie­der­ho­len ((„Skan­dal­vi­deo von The Pro­di­gy“, Vor­zei­ti­ger Samen­er­guss, Mini­pos­ter von Jon Bon Jovi.)), war mei­ne ers­te Begeg­nung mit dem Medi­en­jour­na­lis­mus.

War­um erzäh­le ich Ihnen den gan­zen Scheiß aus mei­ner noch nicht mal pick­li­gen Puber­tät? Ich bin im Inter­net ((Über eine Goog­le Ad bei bild.de.)) auf eine völ­lig bizar­re Sei­te gesto­ßen, die es in Sachen Wahn locker mit der „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ auf­neh­men kann: „Kin­der in Gefahr“ – eine Akti­on der Deut­sche Ver­ei­ni­gung für eine Christ­li­che Kul­tur (DVCK) e.V.

Neben einer Pro­test­ak­ti­on gegen die „stei­gen­de Anzahl von Ero­tik-Sen­dun­gen“ im ZDF, etli­chen homo­pho­ben Aus­fäl­len und diver­sen wei­te­ren For­de­run­gen, die man allen­falls von den bekannt-durch­ge­knall­ten Eltern­or­ga­ni­sa­tio­nen in den USA erwar­tet hät­te, gibt es dort auch eine Unter­schrif­ten­ak­ti­on zum Ver­bot der „Bra­vo“.

Die­ses „Mas­sa­ker an der Kind­heit“ äußert sich nach Ansicht der Deut­schen Ver­ei­ni­gung für eine Christ­li­che Kul­tur bei­spiels­wei­se in die­sen Aus­prä­gun­gen:

  • Jede Woche wer­den ein Jun­ge und ein Mäd­chen split­ter­nackt abge­bil­det, die dabei über ihre Sexu­al­aben­teu­er berich­ten. So gut, wie in jeder Aus­ga­be wer­den Jugend­li­che beim Geschlechts­ver­kehr gezeigt.
  • In jeder Aus­ga­be gibt es Berich­te über The­men wie „Kama­su­tra“, „Ero­ti­sche Aus­st­rah-lung“, „Oral­sex“ usw. usf., natür­lich mit den dazu­ge­hö­ri­gen Ero­tik- und Nackt­fo­tos, ab-gese­hen von sexu­el­len Per­ver­sio­nen, wie bei­spiels­wei­se Fes­seln und Sado­ma­so-chis­mus.
  • Bizar­res wird als „cool“ und „toll“ dar­ge­stellt, wie bei­spiels­wei­se die „Rock-Par­ty“ der Punk-Grup­pe „Tokio Hotel“, die zu einer Zer­stö­rungs­or­gie wurde.Die Lis­te sol­cher Bei­spie­le könn­te man belie­big erwei­tern.

In einem wei­te­ren Arti­kel erklärt der (für Goog­le qua­si kom­plett unbe­kann­te) Prof. Dr. Die­ter Dahl, war­um die Inter­net­sei­te der „Bra­vo“ zu „see­li­scher Zer­stö­rung, Halt­lo­sig­keit, Fehl­ori­en­tie­run­gen und Sucht“ führt:

Dort wo ein Sex­part­ner nicht zur Hand ist, wird von BRAVO der Solo­sex, d.h. die Selbst­be­frie­di­gung, bebil­dert ein­ge­übt und zwar nach Jun­gen und Mäd­chen getrennt. Natür­lich für jeden ein­seh­bar.

Wenn man sich vor­stellt, wie schwer dem guten Pro­fes­sor das Tip­pen des Wor­tes „Selbst­be­frie­di­gung“ gefal­len sein muss, lässt sich erah­nen, was in ihm vor­ging, als er fol­gen­de Pas­sa­ge schrieb:

Ich fra­ge mich: Kann man sich an ver­ant­wort­li­cher Stel­le nicht vor­stel­len, daß ein Jun­ge sich an die­sen Dar­stel­lun­gen auf­geilt, davon nicht los­kommt, zum Dau­er­kon­su­ment und schließ­lich sex­süch­tig wird? Es ent­ste­hen dann see­li­sche Zer­stö­rung, Halt­lo­sig­keit, Fehl­ori­en­tie­run­gen, nicht zuletzt ande­re Süch­te, vor allem Dro­gen­sucht.

Fra­gen Sie mal die Mut­ter von Pete Doh­erty!

PS: Und wie man dem Hein­rich-Bau­er-Ver­lag eine eige­ne neun Jah­re alte Pres­se­mit­tei­lung im Mund her­um­dreht, kön­nen Sie in einem wei­te­ren Arti­kel lesen.