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„Sein“ oder nicht „sein“

Am 21. August wur­de die ehe­ma­li­ge Sol­da­tin Chel­sea Man­ning, die der Whist­le­b­lower-Platt­form Wiki­leaks gehei­me Doku­men­te zuge­spielt hat­te, von einem US-Mili­tär­ge­richt zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chel­sea in der Öffent­lich­keit noch Brad­ley Man­ning und galt als Mann. Erst einen Tag spä­ter ließ sie ein State­ment ver­öf­fent­li­chen, in dem es hieß:

As I tran­si­ti­on into this next pha­se of my life, I want ever­yo­ne to know the real me. I am Chel­sea Man­ning. I am a fema­le. Given the way that I feel, and have felt sin­ce child­hood, I want to begin hor­mo­ne the­ra­py as soon as pos­si­ble. I hope that you will sup­port me in this tran­si­ti­on. I also request that, start­ing today, you refer to me by my new name and use the femi­ni­ne pro­no­un (except in offi­ci­al mail to the con­fi­ne­ment faci­li­ty).

Wer glei­cher­ma­ßen auf­ge­klärt wie naiv ist, hät­te anneh­men kön­nen, dass das The­ma damit schnell been­det war: Chel­sea Man­ning ist eine Frau, die in einem männ­li­chen Kör­per gebo­ren wur­de und einen männ­li­chen Vor­na­men getra­gen hat, jetzt aber expli­zit dar­um bit­tet, mit ihrem weib­li­chen Vor­na­men bezeich­net zu wer­den.

Die „New York Times“ erklär­te dann auch in einem Blog­ein­trag, mög­lichst schnell den Namen Chel­sea Man­ning und die weib­li­chen Pro­no­mi­na ver­wen­den und zum bes­se­ren Ver­ständ­nis für die Leser auf die Umstän­de die­ser Namens­än­de­rung zu ver­wei­sen. Der „Guar­di­an“ leg­te den Schal­ter von „Brad­ley“ auf „Chel­sea“ um und schrieb für­der­hin nur noch von „ihr“.

Aber so ein­fach war das alles natür­lich nicht.

Die „Ber­li­ner Zei­tung“ fass­te das ver­meint­li­che Dilem­ma am 24. August ein­drucks­voll zusam­men:

Brad­ley Man­ning möch­te fort­an als Frau leben und Chel­sea genannt wer­den. […] Der 25 Jah­re alte Sol­dat ließ erklä­ren, er habe sich seit sei­ner Kind­heit so gefühlt. Von nun an wol­le er nur noch mit sei­nem neu­en Namen ange­spro­chen wer­den. Auch sol­le künf­tig aus­schließ­lich das weib­li­che Pro­no­men „sie“ ver­wen­det wer­den, wenn über Man­ning gespro­chen wer­de. Eine ope­ra­ti­ve Geschlechts­um­wand­lung strebt Man­ning zunächst wohl nicht an.

Mit die­sem Wunsch hat Man­ning, der gut 700000 Geheim­do­ku­men­te an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks wei­ter­gab, Jour­na­lis­ten in den USA ver­wirrt und vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen gestellt. In den Mel­dun­gen über Man­nings Erklä­rung war ein­mal von „ihm“ die Rede, dann wie­der von Brad­ley Man­ning, „die“ nun eine Frau sein wol­le. Die einen ver­mie­den es pein­lich, Per­so­nal­pro­no­men zu ver­wen­den. Die ande­ren erklär­ten, sie wür­den solan­ge von „ihm“ spre­chen, wie Man­ning aus­se­he wie ein Mann.

Wie es die „Ber­li­ner Zei­tung“ selbst hält, wur­de in den fol­gen­den Wochen deut­lich:

5. Sep­tem­ber:

Die von Matthew H. 2009 besuch­te Ver­an­stal­tung des Cha­os Com­pu­ter Clubs war immer­hin öffent­lich. Sein Anteil an der Ver­ur­tei­lung des Whist­le­b­lo­wers Brad­ley Man­ning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Man­ning nicht unse­ren Vor­stel­lun­gen ent­spricht: Er hat mili­tä­ri­sche Geheim­nis­se ver­ra­ten. Das ist auch deut­schen Sol­da­ten ver­bo­ten.

6. Sep­tem­ber:

Wie in letz­ter Zeit in Ber­lin häu­fi­ger der Fall, ste­hen mal wie­der lee­re Stüh­le auf der Büh­ne, dies­mal nicht für den mit Aus­rei­se­ver­bot beleg­ten Fil­me­ma­cher Jafar Panahi, son­dern für Edward Snow­den und Brad­ley Man­ning, die Ulrich Schrei­ber gern dabei­ge­habt hät­te. Lei­der sind sie aus bekann­ten Grün­den ver­hin­dert.

Bei der „Süd­deut­schen Zei­tung“ gibt es offen­bar auch kei­ne Emp­feh­lun­gen und Richt­li­ni­en wie bei der „New York Times“ – und noch nicht mal eine kla­re Linie. Am 2. Sep­tem­ber schrieb die „SZ“:

Auf Trans­pa­ren­ten for­dern die Teil­neh­mer, dass US-Prä­si­dent Barack Oba­ma sei­nen Frie­dens­no­bel­preis an die Geheim­da­ten-Ent­hül­ler Chel­sea Man­ning und Edward Snow­den abtre­ten sol­le.

Und eine Woche spä­ter:

Anders gefragt: Hät­ten ame­ri­ka­ni­sche Diens­te eine sol­che Anfra­ge zuge­las­sen, wenn ein deut­scher Dienst sich um Hin­ter­grün­de zum Trei­ben eines bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten inter­es­siert hät­te? Da kön­nen, trotz aller Nar­re­tei­en und Ver­här­tun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik im Kampf gegen Whist­le­b­lower wie Brad­ley Man­ning oder Edward Snow­den ame­ri­ka­ni­sche Behör­den emp­find­sam reagie­ren.

Am 7. Okto­ber nun wie­der:

Schließ­lich, so schrei­ben eini­ge, sei er ein Visio­när, gleich­zu­set­zen mit der Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning oder dem NSA-Whist­le­b­lower Edward Snow­den .

„Bild“ hat­te in ganz weni­gen Zei­len klar­ge­macht, wie wenig sich die Redak­ti­on um die Bit­te von Chel­sea Man­ning schert: In ihren „Fra­gen der Woche“ am 24. August frag­te die Bou­le­vard­zei­tung „Kommt Man­ning in den Frau­en­knast?“ und ant­wor­te­te:

Nein! Obwohl der zu 35 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teil­te Wiki­leaks-Infor­mant Brad­ley Man­ning (25) ab sofort als Frau namens Chel­sea leben und sich einer Hor­mon­be­hand­lung unter­zie­hen will (BILD berich­te­te), kam er in das Män­ner­ge­fäng­nis Fort Lea­ven­worth (US-Staat Kan­sas). Ein Armee­spre­cher sag­te, dass dort weder Hor­mon­the­ra­pien noch chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe zur Geschlechts­um­wand­lung bezahlt wer­den.

Der Unter­schied zum „Spie­gel“ ist da aller­dings mar­gi­nal:

Man­ning fühlt sich schon län­ger als Frau, nach sei­ner Ver­ur­tei­lung will er auch so leben. […] Am Mitt­woch ver­ur­teil­te ihn ein Mili­tär­ge­richt dafür zu 35 Jah­ren Gefäng­nis, abzu­sit­zen in Fort Lea­ven­worth, Kan­sas. Zwar kann Man­ning auf vor­zei­ti­ge Ent­las­sung hof­fen – doch bis dahin steht ihm eine har­te Zeit bevor: Sei­ne Mit­in­sas­sen sind aus­nahms­los Män­ner, eine Ver­le­gung in ein Frau­en­ge­fäng­nis ist nicht geplant.

Die Deut­sche Pres­se-Agen­tur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. Sep­tem­ber schrieb die dpa:

Die Mis­si­on des angeb­li­chen US-Agen­ten soll dem Bericht zufol­ge öffent­lich gewor­den sein, nach­dem er im Juni die­ses Jah­res als Zeu­ge im Pro­zess gegen den Whist­le­b­lower Brad­ley Man­ning vor einem ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­richt in Mary­land auf­ge­tre­ten sei. Man­ning wur­de spä­ter zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt, weil er Wiki­Leaks rund 800.000 Geheim­do­ku­men­te über­ge­ben hat­te. Der Ex-Sol­dat war eine Art Zeu­ge der Ankla­ge der Mili­tär­staats­an­wäl­te.

Im Rah­men ihrer Bericht­erstat­tung zum Frie­dens­no­bel­preis letz­te Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekann­ten Kan­di­da­ten in die­sem Jahr ist auch Chel­sea Man­ning (frü­her Brad­ley Man­ning). Dem eins­ti­gen US-Whist­le­b­lower räumt der Prio-Direk­tor aber wenig Chan­cen ein. „Es gibt kei­nen Zwei­fel, dass die Ent­hül­lun­gen sehr zur inter­na­tio­na­len Debat­te über Über­wa­chung bei­getra­gen haben“, sagt Harp­vi­ken. Ethisch und mora­lisch reflek­tie­re Man­ning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tat­säch­lich hat­te die Agen­tur in der Zwi­schen­zeit die Ent­schei­dung getrof­fen, zukünf­tig immer von „Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning“ zu schrei­ben und im wei­te­ren Text­ver­lauf mög­lichst schnell zu erklä­ren, dass Chel­sea als Brad­ley Man­ning vor Gericht gestan­den habe. Wie mir ihr Spre­cher Chris­ti­an Röwekamp auf Anfra­ge erklär­te, hat die dpa nach Abstim­mung mit ande­ren Agen­tu­ren am 6. Sep­tem­ber eine ent­spre­chen­de Pro­to­koll­no­tiz in ihr Regel­werk „dpa-Kom­pass“ auf­ge­nom­men, in dem sonst etwa die Schreib­wei­sen bestimm­ter Wör­ter gere­gelt wer­den.

Der Evan­ge­li­sche Press­dienst epd war da offen­bar nicht dabei. Er schrieb am 11. Okto­ber:

Gute Chan­cen auf den Frie­dens­no­bel­preis wur­den auch dem frü­he­ren US-Prä­si­den­ten Bill Clin­ton, dem Wiki­Leaks-Infor­man­ten Brad­ley Man­ning und der afgha­ni­schen Men­schen­recht­le­rin Sima Samar ein­ge­räumt.

Wie ein­fach es eigent­lich geht, hat­te die „FAZ“ am 9. Sep­tem­ber bewie­sen:

Der Umgang mit Chel­sea (vor­mals Brad­ley) Man­ning, die Cau­sa Snow­den mit trans­at­lan­ti­scher Sip­pen­haft gegen ihn unter­stüt­zen­de Jour­na­lis­ten und der Umgang mit den Geheim­dienst- und Mili­tär-Whist­le­b­lo­wern ins­ge­samt zeigt über­deut­lich, welch unkon­trol­lier­te Macht der „deep sta­te“ der Diens­te mitt­ler­wei­le hat und wie unbe­rührt von öffent­li­chem Pro­test er agiert.

Am 5. Okto­ber schrieb die „FAZ“ dann aller­dings wie­der:

Ohne die von Brad­ley Man­ning an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks gelie­fer­ten gehei­men Regie­rungs­do­ku­men­te hät­te Maz­zet­ti man­che Zusam­men­hän­ge nicht rekon­stru­ie­ren kön­nen.

Nun zäh­len die The­men­fel­der Trans­gen­der und Trans­se­xua­li­tät im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außer­ge­wöhn­li­che­ren, sind aber zumin­dest immer mal wie­der in Sicht­wei­te des Main­streams. Bali­an Busch­baum etwa, der als Yvonne Busch­baum eine erfolg­rei­che Stab­hoch­sprin­ge­rin war, ist häu­fi­ger in Talk­shows zu Gast und wird dort mehr oder weni­ger augen­zwin­kernd angel­anzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Ame­ri­ka­ner Tho­mas Bea­tie durf­te als „schwan­ge­rer Mann“ die Kurio­si­tä­ten­ka­bi­net­te der Bou­le­vard­me­di­en fül­len. Mina Capu­to wur­de mal Keith genannt und war als Sän­ger von Life Of Ago­ny bekannt und Lau­ra Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Kar­rie­re als Tom Gabel – was die Komi­ker von „Spie­gel Online“ sei­ner­zeit zu der pie­tät­vol­len Über­schrift „Gabel unterm Mes­ser“ inspi­riert hat­te.

Vie­le haben in ihrem Bekann­ten­kreis kei­ne Trans­men­schen (oder wis­sen nichts davon) und wis­sen nicht, wie sie mit einem umge­hen soll­ten. Für Jour­na­lis­ten, die aus der Fer­ne über sie schrei­ben, ist es aber mei­nes Erach­tens erst ein­mal nahe­lie­gend, die Namen und Per­so­nal­pro­no­mi­na zu ver­wen­den, die sich die betref­fen­den Per­so­nen erbe­ten haben. Und Chel­sea Man­ning hat dies expli­zit getan.

In ver­gleichs­wei­se all­täg­li­chen Situa­tio­nen schei­nen Jour­na­lis­ten übri­gens weni­ger über­for­dert: Muham­mad Ali und Kareem Abdul-Jab­bar waren schon bekann­te Sport­ler, als sie zum Islam kon­ver­tier­ten und ihre neu­en Namen annah­men. Durch Ehe­schlie­ßun­gen und ‑schei­dun­gen wech­sel­ten Schau­spie­le­rin­nen wie Robin Wright, Poli­ti­ke­rin­nen wie Kris­ti­na Schrö­der und Schmuck­de­si­gne­rin­nen wie Ales­san­dra Pocher ihre Namen und die Pres­se zog mit. Und der Fern­seh­mo­de­ra­tor Max Moor hieß bis zum Früh­jahr die­ses Jah­res Die­ter, was – nach einem kur­zen Moment des Nase­rümp­fens und Drü­ber­lus­tig­ma­chens – inzwi­schen auch kei­nen mehr inter­es­siert.

Hof­fent­lich braucht es weni­ger als 35 Jah­re, bis Chel­sea Man­nings Bit­te von den deut­schen Medi­en erhört wird.