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Songs 2/​25

Hier sind 5 Songs, die Ihr im Febru­ar 2025 gehört haben soll­tet:

Und hier ist unser CTV-Mix­tape für den kür­zes­ten Monat des Jah­res:

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Songs des Jahres 2024

Wenn Sil­ves­ter vor­bei ist, beginnt für mich eine Zeit der inne­ren Anspan­nung: Ich will unbe­dingt mei­ne musi­ka­li­sche Rück­schau auf das ver­gan­ge­ne Jahr abschlie­ßen, muss aber auch erst­mal den All­tag wie­der reboo­ten. Ich weiß, dass Ihr nicht alle mit den Hufen scharrt und wütend wer­det, wenn ich mei­ne Lis­te spä­ter ver­öf­fent­li­che (oder gar nicht, wie in den Jah­ren, als das Kind ganz klein war und ich mit ande­rem beschäf­tigt war), aber irgend­wie gehört es für mich eben­so zum Jah­res­ab­schluss wie das Abta­keln des Tan­nen­baums (der auch noch steht).

Beim Durch­hö­ren mei­ner Vor­auswahl (ein aus­ge­spro­chen kom­pli­zier­ter Pro­zess, gegen den jede Papst­wahl wie ein Kin­der­gar­ten­aus­flug aus­sieht) dach­te ich immer wie­der: „Das war musi­ka­lisch ein sehr guter Jahr­gang!“ Gleich­zei­tig habe ich fest­ge­stellt, dass ich wirk­lich weni­ge Songs in ihrem Kon­text gehört habe — also als Teil eines Albums. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich auf zehn Alben kom­me, die ich öfter als drei Mal gehört habe.

Ein paar Trends waren zu erken­nen: Im Ver­ei­nig­ten König­reich kam Drum ’n‘ Bass sowas von zurück (und es inter­es­sier­te, wie schon in den 1990er Jah­ren, hier­zu­lan­de kaum jeman­den im Main­stream); es gab über­ra­schend vie­le jun­ge Bands, die wie The Strokes klan­gen, eine Band, die für Men­schen unter 30 eigent­lich eine Oldie-Band sein muss, und ich habe – beson­ders im Ver­gleich zu vor 15, 20 Jah­ren – ziem­lich vie­le Songs dabei, die von Frau­en gesun­gen wer­den.

Bei vie­len Songs habe ich zwar kei­ne Ahnung, wie ich über­haupt auf sie auf­merk­sam gewor­den bin, aber sie haben mich dann eben doch über Mona­te beglei­tet, bei allem, was man so tut und erlebt. Es wur­de aber auch irgend­wann belie­big: Bei vie­len Songs dach­te ich, wenn ich sie im Lau­fe des Jah­res ein paar Mal öfter gehört hät­te, hät­ten sie am Ende auch auf einem ein­stel­li­gen Rang lan­den kön­nen. Über 100 Songs in der Vor­auswahl und fast alle sind gleich gut?

Es gibt also jetzt eine Lis­te mit 100 Songs (Sor­ry!). Man kann sie auf Shuff­le hören, dann ist sicher­lich viel Schö­nes dabei, aber vor allem die ers­ten zehn, zwan­zig Songs fol­gen auch einer gewis­sen Hier­ar­chie:

10. Crow­ded House – Oh Hi
Ich ver­ra­te Euch jetzt ein Geheim­nis: An mehr als 182 Tagen im Jahr hal­te ich Neil Finn für einen bedeu­ten­de­ren Song­wri­ter als John Len­non und Paul McCart­ney. Etli­che der Songs, die er für die gera­de mal vier Alben von Crow­ded House in den 1980er und 90er Jah­ren geschrie­ben hat, sind längst Klas­si­ker; „Don’t Dream It’s Over“ ist für mich einer der schöns­ten Songs aller Zei­ten (und wenn man ein Orgels­o­lo hei­ra­ten könn­te: Hier würd ich’s tun!) und „Ever­yo­ne Is Here“, das Album, das er 2004 mit sei­nem Bru­der Tim auf­ge­nom­men hat, wäre bei mei­nen Top 10 für die ein­sa­me Insel mit dabei. Seit ein paar Jah­ren sind sei­ne Söh­ne Liam und Elroy Teil von Crow­ded House und zusam­men haben sie letz­tes Jahr das Album „Gra­vi­ty Stairs“ ver­öf­fent­licht. Nicht der ganz gro­ße Wurf, aber die Vor­ab-Sin­gle „Oh Hi“ ver­eint wie­der ein­gän­gi­ge Melo­dien mit einem schwe­re­lo­sen Pop-Arran­ge­ment, wie man es von der Band seit knapp 40 Jah­ren kennt. Ein Klang, so ver­traut wie das Wohn­zim­mer mei­ner Eltern.

9. Lam­b­ri­ni Girls – Com­pa­ny Cul­tu­re
Eine eng­li­sche all girl Punk­band, die einen wüten­den, kom­pro­miss­lo­sen und trotz­dem lus­ti­gen Song über Sexis­mus am Arbeits­platz spielt? Count me in! 

8. Bon Iver – Spey­si­de
Ich möch­te ehr­lich sein: So ganz hab ich nicht alles ver­stan­den, was Jus­tin Ver­non nach dem zwei­ten Bon-Iver-Album „Bon Iver“ gemacht hat. Die­ses Gezir­pe, die komi­schen Song­ti­tel, die 42 Gastsänger*innen — aber Ver­non war von Anfang an über so vie­le Zwei­fel erha­ben, dass ich den Feh­ler natür­lich bei mir gesucht habe. Jetzt hat er die Akus­tik­gi­tar­re wie­der­ge­fun­den und die Drei-Song-EP „SABLE,“ (nur echt in Groß­buch­sta­ben, mit Kom­ma und vier Tracks, weil der ers­te nur Geräusch ist) klingt, als sei sie der noch klei­ne­re Anbau zu der Wald­hüt­te, in der im Win­ter 2006/​07 das Debüt­al­bum „For Emma, Fore­ver Ago“ ent­stan­den ist. „Spey­si­de“ klingt ent­spre­chend, wie nach einer lan­gen Rei­se wie­der zuhau­se anzu­kom­men.

7. Manic Street Pre­a­chers – Decli­ne & Fall
Ich bin jetzt seit fast 25 Jah­ren Fan der Manic Street Pre­a­chers; sie haben mich durch die Ober­stu­fen­zeit beglei­tet und poli­ti­siert. Ihr letz­tes rich­tig gutes Album ist jetzt auch schon vier­zehn Jah­re alt — und dann bal­lern sie plötz­lich so eine Sin­gle raus: eine Pia­no-Hook wie bei ABBA, Gitar­ren wie bei Guns ‘n’ Roses und eine Gesangs­me­lo­die, die unge­fähr so ein­gän­gig ist wie ein gelun­ge­ne­rer Schla­ger. Der Text han­delt davon, im Ange­sicht einer ver­fal­len­den Welt die klei­nen Wun­der zu fei­ern — viel­leicht ein biss­chen fata­lis­tisch für eine Band, die die meis­te Zeit ihrer Kar­rie­re die kom­mu­nis­ti­sche Welt­re­vo­lu­ti­on anzet­teln woll­te, aber in Zei­ten, in denen sich so vie­le immer radi­ka­ler äußern, ist es auch auf eine Art radi­kal, das Gegen­teil zu tun. Am 31. Janu­ar erscheint dann auch end­lich das neue Manics-Album, des­sen Titel eben­falls per­fekt in unse­re Zeit passt: „Cri­ti­cal Thin­king“.

6. Ider – You Don’t Know How To Dri­ve
Wir waren bei Cof­fee And TV schon gro­ße Fans von Ider, bevor das bri­ti­sche Elek­tro­pop-Duo über­haupt 2019 sein Debüt­al­bum „Emo­tio­nal Edu­ca­ti­on“ ver­öf­fent­licht hat­te. Der Bild­spen­der für den Titel die­ser Sin­gle ist die männ­li­che Unfä­hig­keit, sich im Stra­ßen­ver­kehr zu ori­en­tie­ren, aber immer gute Rat­schlä­ge zu geben — und das ist nur die ers­te Stro­phe, denn die burns wer­den danach noch viel, viel gemei­ner: „I wan­na throw your shit in the midd­le of the street /​ Real­ly make a big sce­ne and burn your red SG /​ Dele­te the files of your solo EP, yeah no one’s gon­na hear it now“, sin­gen Megan Mark­wick und Lily Somer­ville im Refrain und viel­leicht muss man ein paar Musi­ker im Bekann­ten­kreis haben, um die Tie­fe und Schär­fe die­ser Zei­len voll wür­di­gen zu kön­nen, aber lasst es mich so sagen: Das hier ist die nuklea­re Opti­on — aber sehr, sehr lus­tig! Das drit­te Ider-Album „Late To The World“ erscheint am 21. Febru­ar; Ende März spie­len sie in Ham­burg, Ber­lin und Köln.

5. MJ Len­der­man – She’s Lea­ving You
Ich hät­te ehr­lich gesagt nicht damit gerech­net, dass es noch mal einen Act wie MJ Len­der­man geben wür­de: klas­si­scher Indie­rock, den Men­schen zwi­schen 16 und 61 gut fin­den und über den eine Zeit­lang wirk­lich alle in mei­nem Umfeld reden. „You can put your clo­thes back on /​ She’s lea­ving you“ ist kein ganz schlech­ter Anfang, es wird danach aber noch bes­ser: Es fällt schwer, den Refrain „It falls apart, we all got work to do /​ It gets dark, we all got work to do“ nicht auf das all­ge­mei­ne Welt­ge­sche­hen zu bezie­hen — aber was bezieht man die­ser Tage nicht dar­auf? Dabei ist der Song doch eigent­lich das „Sie ist weg“ der Gene­ra­ti­on Z (hof­fe ich).

4. kett­car – Auch für mich 6. Stun­de
Ja, ja, natür­lich: „Mün­chen“ hat­te mehr Wucht, war poli­ti­scher und wich­ti­ger — so wie damals „Som­mer ’89“. Aber kett­car benen­nen ja nicht nur Pro­ble­me, sie haben immer auch Trost dabei: „Ein Ben­ga­lo in der Nacht“. So ist „Auch für mich 6. Stun­de“, der Ope­ner ihres sehr, sehr guten 2024er Albums „Gute Lau­ne unge­recht ver­teilt“ viel­leicht eher der Zwil­ling von „Ankunfts­hal­le“ vom Vor­gän­ger „Ich vs. Wir“: Ja, da ist ganz schön viel Schei­ße in der Welt, aber wir müs­sen da nicht allei­ne durch. Und das ist für mich dann die noch schö­ne­re Bot­schaft, getra­gen von die­sem wun­der­ba­ren Snow-Pat­rol-Arran­ge­ment.

3. Phi­li­ne Son­ny – In Deni­al
Dafür, dass sie erst seit weni­gen Jah­ren Musik ver­öf­fent­licht, gehört Phi­li­ne Son­ny schon sehr deut­lich zu unse­ren Lieb­lings-Acts. Okay: Sie wohnt ja auch in Bochum, aber das hier ist mehr als Lokal­pa­trio­tis­mus, das ist „Ich fänd’s auch geil, wenn es aus den USA käme und bei All Songs Con­side­red und Pitch­fork vor­ge­stellt wür­de“. Im März erschien ihre EP „Inva­der“, dar­auf auch „In Deni­al“, ein lang­jäh­ri­ger fan favo­ri­te bei den Kon­zer­ten. Die­ses „Some­bo­dy out the­re“ muss man mal live erlebt haben, wie das Publi­kum es mit­singt.

2. Japan­dro­ids – Posi­tively 34th Street
Kann man mit über 25 noch glaub­haf­te Lie­bes­lie­der schrei­ben? Ben Folds war 34, als er „The Luckiest“ auf­nahm; Mar­cus Wie­busch 43 bei „Ret­tung“. Also: Ja. Bri­an King ist 41, als das fina­le Album sei­ner Band Japan­dro­ids erscheint. „Posi­tively 34th Street“ ist nicht nur ein Ver­weis auf Bob Dylan, es ist auch eines der erwach­sens­ten Lie­bes­lie­der, das ich je gehört habe. Und eines der schöns­ten. Wie man auch nach Jah­ren, nach all dem Cha­os, das wir „Leben“ nen­nen, noch an eine Per­son von frü­her den­ken kann; wie man es noch mal ver­sucht, immer wie­der hadert und zwei­felt und die Geschich­te viel­leicht doch noch gut aus­geht, zumin­dest aber erst­mal über­haupt noch anfängt, das ist schon gran­dio­ses, lebens­na­hes Song­wri­ting. Und das alles in die­sem klas­si­schen Hüs­ker-Dü-tref­fen-Bruce-Springsteen-Sound, den Japan­dro­ids über ihre vier Stu­dio­al­ben gepflegt haben: Die­ser Song ist das Gegen­teil von mid­life cri­sis, von Por­sche, Gold­kett­chen und die Demo­kra­tie zer­stö­ren. So klin­gen Män­ner, die es irgend­wie doch noch geschafft haben; geschun­den zwar, aber im Ein­klang mit sich und ihren Gefüh­len.

1. Chris­ti­an Lee Hut­son – After Hours
Seit dem Release Anfang Juli lag ich mei­ner gesam­ten peer group in den Ohren, dass sie sich bit­te, unbe­dingt, kei­ne Zeit zu War­ten, die­sen Song anhö­ren sol­len. Nein: müs­sen! „After Hours“ klingt, als wür­de ich es seit 25 Jah­ren ken­nen, aber ich kann nicht genau sagen, an was mich Stim­me und Musik erin­nern: Nick Dra­ke? Nein. The Wea­k­erthans? Auch nicht. Vor allem war Chris­ti­an Lee Hut­son vor 25 Jah­ren gera­de acht und hat (hof­fent­lich, denn das Wort „fuck“ kommt auch drin vor) noch nicht sol­che Songs geschrie­ben. Refrains gibt’s kei­ne, dafür Stro­phen, die sich frei asso­zia­tiv von Spät­is im Him­mel über die Schau­spie­le­rin Cathe­ri­ne O’Hara bis zur Fest­stel­lung „The good stuff is behind a pay­wall“ erstre­cken. Es war ein wil­des Jahr für mich, vor allem in der zwei­ten Hälf­te, aber dann war die­ser Song immer für mich da, der sich anfühlt wie in der war­men Bade­wan­ne ein­zu­schla­fen (Vor­sicht bit­te!). Ein­at­men, aus­at­men. „It’s cra­zy I know, I’ve got nowhe­re to go /​ But up here, I wear my seat­belt“.

100 Songs, über 6 Stun­den:

Kei­nen neu­en Blog-Ein­trag mehr ver­pas­sen? Wir haben jetzt einen Whats­App-Kanal und einen Blues­ky-Account, wo Ihr auf dem Lau­fen­den blei­ben könnt!

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Mixtape 9/​24

Andert­halb Jah­re lang, über 36 Aus­ga­ben, haben wir bei Spo­ti­fy unse­re klei­ne Musik­sen­dung ver­öf­fent­licht, die genau­so hieß wie die­ses Blog hier: Cof­fee And TV. Dann hat der böse, aus­beu­te­ri­sche Tech-Kon­zern die Mög­lich­keit abge­schafft, eine sol­che … nun ja: Radio­sen­dung im Inter­net zu pro­du­zie­ren.

Ich habe ein biss­chen gebraucht, um zu über­le­gen, wie wir wei­ter­ma­chen, denn es gehört ja zu mei­nen tiefs­ten Über­zeu­gun­gen, dass Schön­heit geteilt gehört – und Ihr soll­te ja wei­ter hören kön­nen, was ich gera­de so höre. Die nächst­ge­le­ge­ne Idee ist natür­lich eine Play­list – vor­erst erst­mal wei­ter bei Spo­ti­fy, weil der Absprung von so einem Strea­ming­dienst unge­fähr so kom­pli­ziert ist wie ein Umzug mit drei Kin­dern und fünf Haus­tie­ren ins Aus­land, aber auch bei Tidal, wo ich gera­de ein Pro­be-Abo abge­schlos­sen habe, und die Musik wirk­lich hun­dert Mal bes­ser klingt (außer­dem krie­gen die Künstler*innen mehr Geld).

Und weil eine Befra­gung auf Insta­gram ergab, dass Ihr ger­ne nicht nur Songs hin­ter­ein­an­der hören, son­dern auch Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen dazu lesen wollt, habe ich jetzt ca. zwei Arbeits­ta­ge damit zuge­bracht, die­sen Blog-Ein­trag hier zusam­men­zu­bau­en. (Wenn Ihr mei­ne Arbeit finan­zi­ell unter­stüt­zen wollt, könnt Ihr mei­nen News­let­ter abon­nie­ren und dafür Geld bezah­len!)

Also dann: Herz­lich will­kom­men zum ers­ten CTV-Mix­tape!

Manic Street Pre­a­chers – Decli­ne & Fall

Ich bin jetzt seit fast 25 Jah­ren Fan der Manic Street Pre­a­chers; sie haben mich durch die Ober­stu­fen­zeit beglei­tet und poli­ti­siert. Ihr letz­tes rich­tig gutes Album ist jetzt auch schon vier­zehn Jah­re alt – und dann bal­lern die plötz­lich so eine Sin­gle raus: eine Pia­no-Hook wie bei ABBA, Gitar­ren wie bei Guns ’n‘ Roses und eine Gesangs­me­lo­die, die unge­fähr so ein­gän­gig ist wie ein gelun­ge­ne­rer Schla­ger.

Der Text han­delt davon, im Ange­sicht einer ver­fal­len­den Welt die klei­nen Wun­der zu fei­ern – viel­leicht ein biss­chen fata­lis­tisch für eine Band, die die meis­te Zeit ihrer Kar­rie­re die sozia­lis­ti­sche Welt­re­vo­lu­ti­on anzet­teln woll­te, aber in Zei­ten, in denen sich so vie­le immer radi­ka­ler äußern, ist es auch auf eine Art radi­kal, das Gegen­teil zu tun. Und wenn es dar­um geht, sich an den klei­nen Din­gen zu erfreu­en, bin ich natür­lich dabei! Der bes­te Song einer Band „von frü­her“ seit Jah­ren!

Ider – You Don’t Know How To Dri­ve

Wir waren bei Cof­fee And TV schon gro­ße Fans von Ider, bevor das bri­ti­sche Elek­tro­pop-Duo über­haupt 2019 sein Debüt­al­bum „Emo­tio­nal Edu­ca­ti­on“ ver­öf­fent­licht hat­te. Der Bild­spen­der für den Titel die­ser Sin­gle ist die männ­li­che Unfä­hig­keit, sich im Stra­ßen­ver­kehr zu ori­en­tie­ren, aber immer gute Rat­schlä­ge zu geben – und das ist nur die ers­te Stro­phe, denn die burns wer­den danach noch viel, viel gemei­ner.

„I wan­na throw your shit in the midd­le of the street /​ Real­ly make a big sce­ne and burn your red SG /​ Dele­te the files of your solo EP, yeah no ones gon­na hear it now“, sin­gen Megan Mark­wick und Lily Somer­ville im Refrain und viel­leicht muss man ein paar Musi­ker im Bekann­ten­kreis haben, um die Tie­fe und Schär­fe die­ser Zei­len voll wür­di­gen zu kön­nen, aber lasst es mich so sagen: Das hier ist die nuklea­re Opti­on – aber sehr, sehr lus­tig!

Ider haben gera­de ihr drit­tes Album „Late To The World“ ange­kün­digt, das am 21. Febru­ar 2025 erschei­nen soll. Ende März spie­len sie in Ham­burg, Ber­lin und Köln.

Chris­ti­an Lee Hut­son – After Hours

Seit dem Release Anfang Juli lie­ge ich mei­ner gesam­ten peer group in den Ohren, dass sie sich bit­te, unbe­dingt, kei­ne Zeit zu War­ten, die­sen Song anhö­ren sol­len. Nein: müs­sen!

„After Hours“ klingt, als wür­de ich es seit 25 Jah­ren ken­nen, aber ich kann nicht genau sagen, an was mich Stim­me und Musik erin­nern: Nick Dra­ke? Nein. The Wea­k­erthans? Auch nicht. Vor allem war Chris­ti­an Lee Hut­son vor 25 Jah­ren gera­de acht und hat (hof­fent­lich, denn das Wort „fuck“ kommt auch drin vor) noch nicht sol­che Songs geschrie­ben. Refrains gibt’s kei­ne, dafür Stro­phen, die sich frei asso­zia­tiv von Spät­is im Him­mel über die Schau­spie­le­rin Cathe­ri­ne O’Ha­ra bis zur Fest­stel­lung „The good stuff is behind a pay­wall“. Das Album „Para­di­se Pop. 10“ erscheint am 27. Sep­tem­ber und ich bin sehr gespannt!

Anna Erhard – Not Rick

Stellt Euch einen jun­gen, weib­li­chen Wer­ner Her­zog vor, der einen cle­ve­ren, aber nicht zu cle­ve­ren Text rezi­tiert, in dem es unter ande­rem um den legen­dä­ren Musik­pro­du­zen­ten Rick Rubin geht, wäh­rend im Hin­ter­grund die Band Cake ein Mas­hup von Becks bes­ten Songs, die nicht „Loser“ hei­ßen, spielt. Okay, ich bin nicht hilf­reich.

Ihr müsst mir ein­fach glau­ben, dass die­ser Song von Anna Erhard, die in der Schweiz auf­ge­wach­sen ist und jetzt in Ber­lin lebt, eini­ge der bes­ten Indie­rock-Trends der letz­ten vier Jahr­zehn­te ent­hält. Oder bes­ser: es hören!

Pete Yorn – Real Good Love

Pete Yorn war der Sound­track der letz­ten Mona­te vor mei­nem Abi — und zwar gleich dop­pelt: zum einen war er in den Jah­ren 2000 bis 2002 auf gefühlt jedem zwei­ten Sound­track-Album von „Dawson‘s Creek“ bis „Spi­der-Man“ dabei (so ver­such­ten Major-Labels damals, ihre Acts groß zu machen), zum ande­ren war sein Debüt-Album „Music­for­the­mor­ning­af­ter“ damals ein treu­er Beglei­ter.

Es wur­de kei­ne enge, dau­er­haf­te Bezie­hung (sein gemein­sa­mes Album mit Scar­lett Johans­son hab ich bis heu­te nie gehört), aber wenn er neue Musik ver­öf­fent­licht, höre ich immer wie­der ger­ne rein. (Und im Gegen­satz zu Ryan Adams, dem ande­ren gro­ßen lie­bes­trun­ke­nen Trou­ba­dour jener Tage, hat er sich, soweit ich weiß, nichts zu Schul­den kom­men las­sen.) Sein neu­es Album „The Hard Way“ ist kein Meis­ter­werk, über das man in zehn Jah­ren noch begeis­tert spre­chen wird, aber es kann die Zeit zwi­schen „Nicht mehr Som­mer“ und „Noch nicht Herbst“ unter­ma­len wie eine akus­ti­sche Über­gangs­ja­cke. Und so eine soli­de Freund­schaft ist doch auch viel wert!

PRONOUN – In The Still

Viel­leicht gar nicht so doof, das eige­ne Musik­pro­jekt nach der viel­leicht pola­ri­sie­rends­ten Wort­gat­tung aller Zei­ten zu benen­nen. Aly­se Vell­turo beschreibt sich selbst als „Brook­lyn-based indie label mana­ger by day, bed­room artist by night“ und „In The Still“ ist mein Erst­kon­takt mit ihrem Schaf­fen.

Wenn Jim­my Eat World und The Pains Of Being Pure At Heart eine gemein­sa­me Toch­ter hät­ten und die dann mit ihren Freun­din­nen von bri­ti­schen 80er-Jah­re-Bands (und zwar nicht Pet Shop Boys oder Wham!, son­dern The Cure und New Order) inspi­rier­te Musik machen wür­de, dann könn­te das Ergeb­nis so klin­gen.

Japan­dro­ids – Chi­ca­go

Für alle, die immer schon Bruce Springsteen und Hüs­ker Dü geliebt haben, gibt es das kana­di­sche Duo Japan­dro­ids. Ihr zwei­tes Album „Cele­bra­ti­on Rock“ aus dem Jahr 2012 ist eines der am pas­sends­ten beti­tel­ten Alben aller Zei­ten und bevor ich für „Lucky & Fred“ oder mei­ne klei­ne ESC-Show auf die Büh­ne gegan­gen bin, hab ich immer ihren Songs „Fire’s High­way“ gehört, um ange­mes­sen pum­ped für einen Abend vor Live-Publi­kum zu sein.

Nach sie­ben Jah­ren Pau­se haben sie im Juli für Okto­ber ihr vier­tes Album „Fate & Alco­hol“ ange­kün­digt, das gleich­zei­tig ihr letz­tes sein soll. Wenn man sich bei einer Band kei­ne Sor­gen machen muss, dass sie mit einem Knall gehen wer­den, dann bei Japan­dro­ids. Sor­ry, baby, we call it like we see it in Chi­ca­go!

Suzan Köcher’s Supra­fon – Living In A Bad Place

Brin­gen wir‘s kurz hin­ter uns: Ja, das ist die Band, wäh­rend deren Auf­tritt der Atten­tä­ter auf dem Solin­ger Stadt­fest sei­ne furcht­ba­re Tat beging. Das war natür­lich ein grau­sa­mer Zufall und die denk­bar beschis­sens­te Art, um Gegen­stand natio­na­ler Bericht­erstat­tung zu wer­den, von daher freut es mich sehr, dass die Vier schon eine Woche spä­ter die Kraft hat­ten, wie­der auf einer Büh­ne zu ste­hen und zu bestehen.

„Living In A Bad Place“ ist ein groo­ven­der Ame­ri­ca­na-Stamp­fer, der an die spä­ten Car­di­gans oder Bran­di Car­l­is­le erin­nert, aber gleich­zei­tig auch ein­deu­tig Suzan Köcher’s Supra­fon ist (wie schon in Sen­dung Nr. 35 zu hören). Im Okto­ber erscheint das Album „In The­se Dying Times“ und das mag jetzt zynisch klin­gen, aber: Wenn die­se gan­ze Schei­ße dazu führt, dass jetzt ein paar mehr Men­schen eine gute Band ken­nen und hören, ist das alle­mal bes­ser, als wenn des­we­gen Gren­zen geschlos­sen und Men­schen­rech­te geschlif­fen wer­den. (Das war jetzt poli­tisch. Bla­me the Manic Street Pre­a­chers!)

The Kil­lers – Bright Lights

Wenn ich alle Fak­ten zusam­men­tra­ge, sind The Kil­lers ver­mut­lich mei­ne Lieb­lings­band unter all jenen, die noch aktiv sind. Ich denk da nur auch nicht immer dran.

Und dann kam Anfang August eine neue Sin­gle raus und ich hab sie mir extra auf­ge­ho­ben, um sie abends, bei Son­nen­un­ter­gang auf unse­rem Cam­ping­platz, zum ers­ten Mal zu hören. Es ist natür­lich kein „Mr. Brights­ide“ oder „When You Were Young“, es ist nicht­mal ein „Cau­ti­on“ (obwohl es erstaun­lich danach klingt). Es ist nur ein Lebens­zei­chen einer Band, die es auch nach 20 Jah­ren noch schafft, mir mit jedem neu­en Album eine klei­ne Freu­de zu berei­ten — und das ist doch auch viel wert!

Bess Atwell – Whe­re I Left Us

Ich mer­ke, dass ich immer weni­ger Alben höre – gera­de, weil ich so ungern Alben anma­che, wenn ich weiß, dass ich sie nicht kom­plett hören kann. Wenn ich 20 bis 30 Minu­ten brau­che, bis das Abend­essen fer­tig ist, reicht das nicht – gera­de, wenn ich erst­mal zehn Minu­ten brau­che, um über­haupt Musik aus­zu­su­chen, wäh­rend das Nudel­was­ser schon kocht. Des­halb habe ich Bess Atwells drit­tes Album „Light Slee­per“ auch noch nicht gehört (auch nicht die zwei davor), obwohl es von Aaron Dess­ner von The Natio­nal pro­du­ziert wur­de, der seit Tay­lor Swifts „Folk­lo­re“ ja der Mann ist, der melan­cho­lisch-schwel­gen­de Pop­songs jun­ger Frau­en den letz­ten Grob­schliff gibt.

„Whe­re I Left Us“ ist da aber auch gar nicht drauf, son­dern Teil neu­en Mate­ri­als, das die Eng­län­de­rin aktu­ell ver­öf­fent­licht. Wenn all ihre Songs so eine herbst­li­che Kuschel­de­cken-Fluf­fig­keit haben, muss ich aber wirk­lich mal in ihre Alben rein­hö­ren!

The Dead­no­tes – Reser­voir

Ich ver­traue mei­nen Bud­dies vom Grand Hotel van Cleef ja erst­mal blind – ein Ver­trau­en, das sie sich vor zwei Jahr­zehn­ten mit kett­car, Tom­te, Marr und Death Cab For Cutie eher leicht­fü­ßig erar­bei­tet haben (war natür­lich trotz­dem eine Men­ge Ener­gie und Geld, die in sol­che Releases gegan­gen ist), das durch gemein­sa­me Kili­ans-Zei­ten noch enger wur­de und das sie in den letz­ten Jah­ren mit Ver­öf­fent­li­chun­gen von Pale, Mari­ya­ka, Fjørt und Arxx wei­ter gestützt haben.

Wenn mei­ne Bud­dies also eine Band signen, die schon zwei Alben in Eigen­re­gie ver­öf­fent­licht hat, dann höre ich mir das natür­lich auf­merk­sam an: „Reser­voir“ ist ein Hauch The Kil­lers, Night­ma­re Of You und Hel­lo­good­bye, also Rock­mu­sik mit Syn­the­si­zern – und das Grand Hotel van Cleef hat mal wie­der recht gehabt.

Alex The Astro­naut – Cold Piz­za

„I Think You’­re Gre­at“ von Alex The Astro­naut war einer der ers­ten Songs, die ich gehört habe, nach­dem im März 2020 der ers­te Covid-Lock­down aus­ge­ru­fen wor­den war – und es soll­te mein Song eines sehr, sehr spe­zi­el­len Jah­res wer­den.

Ich weiß nicht viel über Alex The Astro­naut und habe auch nicht vie­le ihrer ande­ren Songs gehört. Aber wenn man einen Song nach dem bes­ten Essen der Welt benennt, kann das alles schon mal nicht so falsch sein – und tat­säch­lich ist „Cold Piz­za“ ein char­man­ter klei­ner Indie­rock-Schun­k­ler.

Clip­ping – Run It

Dave­ed Diggs kennt Ihr alle als Mar­quis de Lafay­et­te und Tho­mas Jef­fer­son aus „Hamil­ton“ (Ihr kennt „Hamil­ton“ nicht? Oh. Ändert das! Sofort!) Er ist aber auch Mit­glied der expe­ri­men­tel­len Hip-Hop-Band Clip­ping, über die ich nicht viel mehr weiß, als dass Dave­ed Diggs dort Mit­glied ist und sie eine zeit­lang mal für das Hald­ern Pop Fes­ti­val 2023 ange­kün­digt waren, bis sie wie­der aus dem Line-Up ver­schwan­den.

Jetzt habe ich zum ers­ten Mal einen Song von Clip­ping gehört und ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich mich inzwi­schen wie­der voll­stän­dig davon erholt habe, aber „Run It“ ist schon ein beein­dru­cken­der Track, der ein biss­chen klingt, als wäre man mit dem Geräusch im Kopf auf­ge­wacht, das ein 56k-Modem beim Ein­wäh­len macht.

Joy Ola­do­kun – I‘ Miss The Birds

Wenn ich noch so was küren wür­de wie ein Album des Jah­res, wäre es letz­tes Jahr „Pro­of Of Life“ von Joy Ola­do­kun gewe­sen, wie ich in unse­rer 2023-Sen­dung schon erzählt habe. Seit­dem hat sie in regel­mä­ßi­gen Abstän­den neue Songs ver­öf­fent­licht, die alle­samt wun­der­bar sind.

In „I’d Miss The Birds“ singt sie davon, dass sie Nash­ville, die Haupt­stadt der ame­ri­ka­ni­schen Musik­in­dus­trie, ver­las­sen und aufs Land zie­hen will. Zwar wür­de sie die Vögel ver­mis­sen, für die die Stadt auch berühmt ist, aber selbst die Vögel wüss­ten ja, wann es Zeit ist zu gehen.

„I’d Miss The Birds“ wird auf „Obser­va­tions From A Crow­ded Room“ ent­hal­ten sein, Joy Ola­do­kuns fünf­tem Album, das sie selbst pro­du­ziert hat und das am 18. Okto­ber erschei­nen soll.

New Radi­cals – Lost Stars

„You Get What You Give“ von New Radi­cals ist ein Song, der mein Leben in ein „Davor“ und „Danach“ teilt. Zum ers­ten Mal seit mei­ner eher kind­li­chen Die-Prin­zen-Pha­se war ich Fan einer Band — die sich weni­ge Wochen, nach­dem ich ihr Album gekauft hat­te, auf­lös­te. Ihr Sän­ger Gregg Alex­an­der hat seit­dem zahl­rei­che Hits für ande­re Acts geschrie­ben (die ich, inkl. Demos, alle auf mei­ner Fest­plat­te habe), aber die Band tauch­te erst zur Amts­ein­füh­rung von Joe Biden ganz über­ra­schend wie­der in der Öffent­lich­keit auf. 

Jetzt gibt es zum ers­ten Mal seit 25 Jah­ren neue Songs — wobei „neu“ dabei ein biss­chen umge­deu­tet wer­den muss, denn es han­delt sich um die eige­nen New-Radi­cals-Ver­sio­nen von „Mur­der On The Dance­f­lo­or“ (bekannt gewor­den durch Sophie Ellis-Bex­tor) und „Lost Stars“ (aus dem Film „Begin Again“). Gregg Alex­an­der hat in einem offe­nen Brief an Kama­la Har­ris’ Ehe­mann Doug Emhoff, der offen­bar ein eben­so gro­ßer Fan der Band ist wie ich, erklärt, dass es sich nicht um ein „Come­back“ hand­le, son­dern um einen Ver­such, die Demo­kra­ten im Wahl­kampf zu unter­stüt­zen. Das ver­leiht die­sen viel­leicht etwas obsku­ren Songs eine Aura von gesell­schaft­li­cher Bedeu­tung und Hoff­nung und macht mich noch glück­li­cher, sie hören zu dür­fen. Ich habe sogar zum ers­ten Mal seit neun Jah­ren einen Song im iTu­nes Store gekauft!

Bris­ke­by – The First Time

Wei­ter geht’s mit „Opa erzählt vom Frie­den“! Bris­ke­by waren die ers­te Vor­band, die ich jemals bei einem Kon­zert gese­hen habe: Im Herbst 2000 im Vor­pro­gramm von a‑ha in der Are­na Ober­hau­sen und ich war sofort schwer ver­knallt in ihre Sän­ge­rin Lise Karls­nes. Der Zufall will es, dass ich ein paar Mona­te spä­ter mei­ne aller­ers­te Musik­re­zen­si­on jemals für plattentests.de über „Jeans For Onas­sis“, das Debüt­al­bum der Band, geschrie­ben habe – das Album hat­te also immer einen ganz beson­de­ren Platz in mei­nem Her­zen und ich habe mei­nen Text nur des­halb ver­linkt, denn es ist grau­en­haf­tes Gewäsch von einem Teen­ager, der noch weit davon ent­fernt war, sei­ne Stim­me gefun­den zu haben, nicht bes­ser gemacht von einer Redak­ti­on, die auf kna­cki­ge Über­schrif­ten und Oneli­ner aus war, und kön­nen wir bit­te über­haupt ganz grund­sätz­lich mal auf­hö­ren, Kunst irgend­wie auf einer Ska­la („5/​10“) quan­ti­fi­zie­ren zu wol­len?!

Bris­ke­by, jeden­falls, haben danach wei­ter Musik gemacht, die kom­plett an mir vor­bei­ging: Ihr letz­tes Album ist aus dem Jahr 2005, was fast 20 Jah­re her ist, die letz­te Sin­gle von 2015. Und jetzt sind sie wie­der da, mit einem Song, der „Like The First Time“ heißt und auch so klingt: Es ist exakt der glei­che groo­ven­de, leicht ange­rock­te skan­di­na­vi­sche Elek­tro­pop zwi­schen Car­di­gans und Annie – und was ist so falsch dar­an?! Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich zwar immer noch Wert dar­auf lege, Chap­pell Roan, Char­li XCX und Sabri­na Car­pen­ter grob zu ken­nen (und: Mein Gott, ist „Espres­so“ ein Meis­ter­werk!), aber ich über­las­se ihre Musik ger­ne den jun­gen Leu­ten, denn die haben ja sonst – Hash­tag Kli­ma­kri­se, Hash­tag Ren­ten­kas­se, Hash­tag Austeri­täts­po­li­tik – sonst gar nichts.

Bon Iver – Spey­si­de

Und plötz­lich war da noch ein neu­er Song von Bon Iver: Nur Jus­tin Ver­non und sei­ne Gitar­re, wie damals in der legen­dä­ren Wald­hüt­te, als er „For Emma, Fore­ver Ago“ auf­nahm (was auch schon wie­der ewig her ist). Die gan­zen Elek­tro­spie­le­rei­en der letz­ten Alben: ver­schwun­den; das Duett mit Tay­lor Swift: woan­ders (aber tief in unse­ren Her­zen); die ein­zi­ge wei­te­re Zutat nur die Brat­sche von Rob Moo­se, die dem gan­zen den Anstrich von wei­ter, ame­ri­ka­ni­scher Land­schaft ver­leiht.

Am 18. Okto­ber wird „Sable“, eine EP mit „Spey­si­de“ und zwei wei­te­ren Songs erschei­nen. Dann wis­sen wir, ob Bon Iver full cir­cle gegan­gen sind. Solan­ge reicht aber auch die Schön­heit die­ses Songs.

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Musik

Neue Alben von Foo Fighters, Ben Folds, Noel Gallagher’s High Flying Birds, neue Songs von Victoria Canal, Demi Lovato

So vie­le tol­le neue Alben von per­sön­lich bedeut­sa­men Acts hat man sel­ten an einem Tag: Am 2. Juni erschie­nen „But Here We Are“ von den Foo Figh­ters, „What Mat­ters Most“ von Ben Folds und „Coun­cil Ski­es“ von Noel Gallagher’s High Fly­ing Birds. Und dann war da auch noch „Lucky For You“ von Bul­ly.

Dazu kom­men wei­te­re neue Songs von Vic­to­ria Canal, Annie Tay­lor und das ca. fünf­tau­sends­te Cover von Neil Youngs „Heart Of Gold“ — hier mit Bon Iver.

Alle Songs:

  • Foo Figh­ters – Bey­ond Me
  • Ben Folds – Kris­ti­ne From The 7th Gra­de
  • Noel Gallagher’s High Fly­ing Birds – We’­re Gon­na Get The­re In The End
  • Bul­ly – All I Do
  • Vic­to­ria Canal – Shape
  • Annie Tay­lor – Ride High
  • Demi Lova­to – Cool For The Sum­mer (Rock Ver­si­on)
  • Ilsey feat. Bon Iver – Heart Of Gold

Show­no­tes:

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Songs des Jahres 2022

Ich brau­che tra­di­tio­nell immer ein biss­chen län­ger, um mei­ne Songs des Jah­res zusam­men­zu­stel­len, aber ich fin­de das bes­ser, als das Jahr schon im Novem­ber ein­pa­cken zu wol­len; hier ist mein Blog mit mei­nen Regeln und außer­dem ist ja noch Janu­ar. Also: Hier sind – Stand jetzt – mei­ne Lieb­lings­lie­der des Jah­res 2022!

25. Death Cab For Cutie – Here To Fore­ver
Ben Gib­bards Lyrics sind ja mit­un­ter so spe­zi­fisch, dass sie schon zum Meme tau­gen. Das muss natür­lich nicht schlecht sein, im Gegen­teil:

In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that ever­yo­ne the­re on the screen
Yeah, ever­yo­ne the­re on the screen
Well, they’­re all dead now

Damit hat er ein­mal mehr einen Gedan­ken aus­for­mu­liert, den ich so oder so ähn­lich selbst schon oft hat­te. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Dei­ner Groß­mutter im Wohn­zim­mer des Groß­el­tern­hau­ses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Groß­tan­ten und ‑onkel, dann knal­len die­se Zei­len noch mal ganz neu in die offe­ne Wun­de: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Mea­dows“ hat mich irgend­wie nicht so rich­tig abge­holt, aber die­ser Song wird immer Teil mei­ner Geschich­te sein.

24. Nina Chuba – Wild­ber­ry Lil­let
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zuneh­mend schwer wird, mit den jun­gen Leu­ten Schritt zu hal­ten – vor allem, wenn man kei­nen Bock hat, sich chi­ne­si­sche Spio­na­ge-Soft­ware aufs Han­dy zu laden. Ich habe die­ses Lied also erst rela­tiv spät in einem prä­his­to­ri­schen Medi­um namens Musik­fern­se­hen ent­deckt, aber mir war sofort klar, war­um das ein Hit ist: Die­se Hook, die gekonnt auf der Gren­ze zwi­schen „ein­gän­gig“ und „ner­vig“ hüpft; die­se Lyrics, die im klas­sischs­ten Sin­ne das durch­spie­len, was wir musi­cal thea­ter kids den „I Want“-Song nen­nen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dol­lars, ich will flie­gen wie bei Mar­vel“) abschöp­fen, als auch fast rüh­rend kind­lich („Will, dass alle mei­ne Freun­de bei mir woh­nen in der Stra­ße“) daher­kom­men; die­se fröh­lich-rum­pe­li­ge Pip­pi-Lang­strumpf-Hal­tung, mit der wie­der mal eine neue Gene­ra­ti­on ihren Teil vom Kuchen ein­for­dert – oder hier gleich die gan­ze Bäcke­rei („Ich hab‘ Hun­ger, also nehm‘ ich mir alles vom Buf­fet“). Und mit­ten­drin eine Zei­le, die man als immer jugend­li­chen Trotz lesen kann – oder als wahn­sin­nig trau­ri­gen Fata­lis­mus: „Ich will nicht alt wer­den“. Wenn man den Song feuil­le­to­nis­tisch nase­rümp­fend neben den „Fri­days For Future“-Aktivismus legt, wird man fest­stel­len, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gera­de noch im rich­ti­gen Alter für den Song) ganz schön wider­sprüch­lich sein kann: „We’­re the young gene­ra­ti­on, and we’­ve got some­thing to say“ hat­ten die Mon­kees ja schon 1967 gesun­gen – und dar­über hin­aus nichts zu sagen gehabt, wäh­rend zeit­gleich mal wie­der eine Zei­ten­wen­de aus­brach.

23. Har­ry Styl­es – As It Was
Damit hät­te jetzt auch nie­mand rech­nen kön­nen, dass aus­ge­rech­net „Take On Me“ von a‑ha mal zu einem der prä­gends­ten Ein­flüs­se auf eine neue Gene­ra­ti­on Pop­mu­sik wer­den wür­de: Schon „Blin­ding Lights“ von The Weeknd war von der legen­dä­ren Key­board-Hook … sagen wir mal: „inspi­riert“ und auch „As It Was“ kann eine gewis­se Ver­wandt­schaft nicht bestrei­ten. Aber ers­tens bit­te nichts gegen a‑ha und zwei­tens pas­siert hier in 2:47 Minu­ten (wäh­rend die Kino­fil­me immer län­ger wer­den, wer­den die Pop­songs immer kür­zer – die Men­schen haben ja auch nicht unend­lich viel Zeit) so viel, dass man kaum hin­ter­her kommt. Und über Har­ry Styl­es muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigent­lich Chris Pine ange­spuckt?))

22. The Natio­nal feat. Bon Iver – Weird Good­byes
„What your favo­ri­te sad dad band says about you“ titel­te McSweeney’s im Janu­ar 2022, dabei war der Witz da schon min­des­tens vier­ein­halb Jah­re alt. The Natio­nal und Bon Iver sind natür­lich auf bei­den Lis­ten und wenn sie nicht gera­de mit Tay­lor Swift Musik machen, machen sie die halt gemein­sam (dass Aaron Dess­ner von The Natio­nal und Jus­tin Ver­non von Bon Iver auch noch gemein­sam bei Big Red Machi­ne spie­len, ver­wirrt an die­ser Stel­le zwar nur, ich muss es aber erwäh­nen, weil sonst mei­ne Mit­glied­schaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochu­mer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei die­sem Song, der nicht Teil des neu­en The-Natio­nal-Albums sein wird, das inzwi­schen ange­kün­digt wur­de und „First Two Pages of Fran­ken­stein“ (man ahnt eine etwas umständ­li­che Refe­renz, die da irgend­wo als Witz im Hin­ter­grund lau­ert) heißt. Es ist trotz­dem ein schö­ner Song! Und die Band ver­kauft inzwi­schen „Sad Dad“-Merchandise.

21. Rae Mor­ris – No Woman Is An Island
Rae Mor­ris ist der ers­te und bis­her ein­zi­ge Act, der schon zwei Mal mei­ne Lis­te der „Songs des Jah­res“ ange­führt hat: 2012 und 2018. Rech­ne­risch wäre sie also erst 2024 wie­der dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natür­lich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehör­ten) gefun­den, die ich 2022 bes­ser fand als die­se leicht thea­tra­li­sche (im Sin­ne von Büh­nen­auf­füh­rung, nicht im Sin­ne von über­trie­ben) Femi­nis­mus-Bal­la­de.

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Musik

Songs des Jahres 2021

Und ein sozi­al­kri­ti­sches Schlag­zeug­so­lo spä­ter ist es soweit: Making dis­co a thre­at again!

Ich habe wie­der ein biss­chen län­ger gebraucht, aber ich möch­te auf kei­nen Fall sein wie Spo­ti­fy und Musik­zeit­schrif­ten, die schon zwi­schen Okto­ber und Niko­laus auf ein Jahr zurück­schau­en. Sowas braucht ja auch Zeit und muss sich erst mal set­zen – und dann muss man sich sel­ber erst mal set­zen, Songs in eine Rei­hen­fol­ge brin­gen, die einem in die­ser einen Mil­li­se­kun­de die rich­ti­ge erscheint, obwohl es natür­lich völ­lig absurd ist, Musik in irgend­ei­ne Rang­lis­te zu brin­gen.

Jeden­falls: Hier sind wir! Und hier sind sie: Mei­ne Top-25-Songs eines immer noch etwas müh­sa­men Jah­res!

25. Chi­ca­go Sin­fo­ni­et­ta – Dances In The Cane­bra­kes (Arr. W.G. Still for Orches­tra) : No. 3, Silk Hat And Wal­king Cane
Ich habe beschlos­sen, dass ich die Regeln für mei­ne Lis­te selbst bestim­men kann, also gehen auch Klas­sik-Songs! „Dances In The Cane­bra­kes“ ist eigent­lich ein Kla­vier­werk der Schwar­zen US-Kom­po­nis­tin Flo­rence Pri­ce (1887–1953), das hier für Orches­ter arran­giert wur­de und auf dem Album „Pro­ject W: Works by Diver­se Women Com­po­sers“ erschien – und zwar schon 2019. Da mir die­ser Umstand aber genau gera­de eben erst auf­ge­fal­len ist und mich das Stück bis dahin so sehr durch mein Jahr 2021 beglei­tet hat­te, dass ich es zwi­schen­zeit­lich als the­me in dem Film, der mein Leben ist, wahr­ge­nom­men habe, ist mir das alles egal! Es ist ein groß­ar­ti­ges Werk mit einem beein­dru­cken­den Hin­ter­grund, also stei­gen wir ein­fach hier­mit ein!

24. Aaron Lee Tas­jan – Up All Night
Auch wenn ich es nicht für mög­lich gehal­ten hät­te, gab es 2021 doch wie­der ein paar Aben­de, an denen ich ange­mes­sen alko­ho­li­siert den Heim­weg aus der Innen­stadt ange­tre­ten habe. Es war stets der per­fek­te Umstand, um die­sen Que­er-Folk-Power-Pop-Song in einer Laut­stär­ke zu hören, die einem Apple Health dann hin­ter­her wie­der vor­wurfs­voll um die Ohren haut.

23. Adam Levi­ne – Good Mood
Ich sage ja immer, dass es kei­ne pein­li­chen Lieb­lings­lie­der geben kann, aber der Sän­ger von Maroon 5, der den Titel­song zum „Paw Patrol“-Kinofilm singt – das ist schon eine schwe­re Hypo­thek, die man sich selbst gegen­über erst mal recht­fer­ti­gen muss!
Tat­säch­lich hat­te ich zuerst den Refrain als Wer­be­pau­sen-Ein­lei­tungs­mu­sik bei Fuß­ball-Über­tra­gun­gen gehört und sofort geliebt, weil ich sei­ne maxi­ma­le New-Radi­cals-Haf­tig­keit moch­te. In Wahr­heit hat der Songs nichts mit den New Radi­cals zu tun (anders als die Songs, die Adam Levi­ne in dem sehr char­man­ten Film „Begin Again“ und dem dazu­ge­hö­ri­gen Sound­track singt), aber das war dann auch schon egal. Kei­nen Song habe ich 2021 auf dem Fahr­rad im Fit­ness­stu­dio öfter gehört als „Good Mood“ und wenn Ihr bei die­sem Groo­ve nicht mit hoch­spe­zia­li­sier­ten Hun­de­wel­pen durch die Woh­nung tan­zen wollt, kann ich Euch auch nicht hel­fen!

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Musik

Songs des Jahres 2020

Hier Ein­stiegs­text: Was für ein Jahr, Musik als Trost und Eska­pis­mus, streng sub­jek­tiv, Stand 16:04, viel Spaß!

25. Janou – Sweet Love
Was für ein Geschenk das ist, talen­tier­ten Men­schen dabei zuse­hen zu dür­fen, wie sie ihre Kunst ver­fei­nern! Ich ken­ne Janou jetzt schon seit fast zehn Jah­ren und habe erlebt, wie sie rumo­ren­de Knei­pen zum Schwei­gen brach­te, wenn sie ihre Stim­me zur Akus­tik­gi­tar­re erhob. Seit eini­ger Zeit bekommt sie dabei elek­tro­ni­sche Unter­stüt­zung und gleich die aller­ers­te Sin­gle des Duos klingt, als hät­te sie 1994 auf der „Pro­tec­tion“ von Mas­si­ve Attack die­ses merk­wür­di­ge „Light My Fire“-Cover erset­zen sol­len:

24. Hol­ly Hum­ber­stone – Deep End
Der Nach­teil, wenn einem Spo­ti­fy ein­fach so ein Lied vor­schlägt, in das man sich dann ver­liebt, ist ja, dass man ihn manch­mal ein Jahr lang hört, ohne irgend­et­was über die Per­son zu wis­sen, die ihn singt. Ande­rer­seits haben wir ja im Stu­di­um gelernt, Bio­gra­phie vom Werk zu tren­nen, und so kön­nen Formatradio-Moderator*innen ger­ne aus dem Wiki­pe­dia-Bei­trag von Hol­ly Hum­ber­stone vor­le­sen (als ob!) – ich blei­be ein­fach ganz ergrif­fen von die­sem tod­trau­ri­gen, aber irgend­wie auch opti­mis­ti­schen Song:

23. love­ly­the­band – Loneli­ne­ss For Love
Erin­nern Sie sich noch, als The Kil­lers neu waren und wahl­wei­se dafür geschol­ten oder geprie­sen wur­den, dass sie wie Joy Divi­si­on, New Order und Duran Duran klan­gen? Ich freue mich, Ihnen mit­tei­len zu kön­nen, dass wir es alle geschafft haben, so alt zu wer­den, dass jun­ge Bands wie The Kil­lers klin­gen! love­ly­the­band ist nun wirk­lich kein beson­ders gelun­ge­ner Band­na­me, ich habe kei­ne Ahnung, wie der Rest ihres Schaf­fens klingt, aber die­ser 80’s pop song (und beson­ders sein Syn­the­si­zer-Riff) ist schon sehr chic:

22. Dar­lings­ide – Green + Ever­green
„Fish Pond Fish“, das aktu­el­le Album von Dar­lings­ide, hat es knapp nicht in mei­ne Top 10 geschafft – ich möch­te es aber den­noch allen ans Herz legen, die opu­lent arran­gier­ten Folk-Pop lie­ben, bei dem trotz­dem kein Ton zu viel ist. Wer Fleet Foxes oder The Low Anthem mag, wird auch Dar­lings­ide zu schät­zen wis­sen!

21. Jacob Col­lier feat. Maha­lia and Ty Dol­la $ign – All I Need
Der Name Jacob Col­lier ist mir im letz­ten Jahr immer wie­der in unter­schied­lichs­ten Zusam­men­hän­gen unter­ge­kom­men: Als Song­wri­ter für u.a. Cold­play; als Tes­ti­mo­ni­al, das in den Wer­be­blö­cken auf CNN erzählt, wel­che Aus­wir­kun­gen der Lock­down auf Musiker*innen hat; und als Gast in US-Late-Night-Shows. Ob er auch in Deutsch­land im Radio läuft? Kei­ne Ahnung, ich hör ja kaum wel­ches (eine kur­ze Recher­che ergab aller­dings, dass er zumin­dest inner­halb der letz­ten Woche nicht auf 1Live gespielt wur­de). „All I Need“ ist ein R’n’B-Song, der immer wie­der Haken schlägt und in Rich­tun­gen geht, die man einen Beat zuvor nicht erwar­tet hät­te. Cool, mit Ver­wei­sen auf die Musik­ge­schich­te und eige­nem Sound. Zuge­ge­ben: Das ist zu viel fürs deut­sche For­mat­ra­dio!

20. Agnes Obel – Island Of Doom
„Kate Bush“. Da wir das jetzt hin­ter uns haben, kön­nen wir uns ganz auf die­sen … nun ja: äthe­ri­schen Pop­song ein­las­sen, in dem die Stim­me von Agnes Obel in vie­len Schich­ten über ein tän­zeln­des Kla­vier weht. Ein­fach mal durch­at­men war 2020 gar nicht so leicht, die­ser Song konn­te dabei hel­fen. Und: Ja, so coo­le Sachen bekom­men Sie im ARD-Mor­gen­ma­ga­zin zu sehen, für das ich unter ande­rem arbei­te!

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Musik

Alben des Jahres 2020

Okay, ich bin spät dran – ande­rer­seits hat 2021 ja nicht am 1. Janu­ar begon­nen, son­dern fast drei Wochen spä­ter. Und: Ja, ich hat­te letz­tes Jahr schon gesagt, dass ich viel­leicht nie wie­der eine Lis­te mit den „Alben des Jah­res“ machen wür­de, weil das For­mat Album zuneh­mend an Bedeu­tung ver­liert; weil man­che Acts zum Bei­spiel gar kei­ne Alben mehr machen – oder Leu­te wie Tay­lor Swift halt gleich zwei, von denen man dann auch irgend­wie nicht so recht weiß, wie man die­se behan­deln soll. Aber es war so ein selt­sa­mes Jahr, dass ein wenig Rück­be­sin­nung auf Alt­be­währ­tes psy­cho­lo­gisch sinn­voll sein kann.

Wald voller Bäume

Also dann: Zum wirk­lich aller­letz­ten Mal – mei­ne liebs­ten Alben eines Kalen­der­jah­res!

10. Sev­da­li­za – Shab­rang (Spo­ti­fy, Apple Music)
Der Musik von Sev­da­li­za bin ich zum ers­ten Mal im Febru­ar 2020 bei „All Songs Con­side­red“ begeg­net und erst­mal abge­taucht in die­se etwas unge­wohn­ten Klang­wel­ten. Als dann im August das zwei­te Album der ira­nisch-nie­der­län­di­schen Musi­ke­rin erschien, war „unge­wohnt“ kei­ne Kate­go­rie mehr, in der irgend­je­mand gedacht hat. Das Inter­net bezeich­net die Musik als „Elec­tro­nic, alter­na­ti­ve R&B, trip hop, expe­ri­men­tal pop, avant-pop“, aber manch­mal hilft es ja, sich Sachen ein­fach anzu­hö­ren und dar­auf ein­zu­las­sen.

9. Vis­tas – Ever­y­thing Chan­ges In The End (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn Ste­phen Thomp­son von NPR, ein Mann, dem ich in Sachen Musik blind ver­traue, sagt, dass er seit lan­gem kein Album mehr gehört habe, das so vie­le poten­ti­el­le Hits ent­hal­te; das klin­ge wie eine Mischung aus den Pro­clai­mers, Andrew W.K. und Foun­ta­ins Of Way­ne und das eines sei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­al­ben des Jah­res sein wer­de, dann höre ich mir das natür­lich an: „Ever­y­thing Chan­ges In The End“ von Vis­tas war dann tat­säch­lich eine ein­zi­ge Samm­lung gro­ßer, vor Freu­de fast plat­zen­der Power-Pop-Hym­nen – in Sachen Span­nungs­bo­gen und Abwechs­lung war das ein biss­chen öde, aber nach­dem der Som­mer 2020 fast aus­schließ­lich in unse­rem eige­nen Gar­ten statt­fand, den­ke ich bei die­sen Songs eben nicht an Nach­mit­ta­ge im Stadt­park, Fes­ti­val-Besu­che (gut: ich bin eh zu alt für die­sen Quatsch!) und abend­li­che Heim­we­ge in kur­zen Hosen, son­dern an den Teil des Gar­tens hin­ter der Gara­ge, den Teil des Gar­tens neben der Kel­ler­trep­pe und – total cra­zy – den Aus­flug zu Fuß zum Ede­ka.

8. Bruce Springsteen – Let­ter To You (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn man ein Album von Bruce Springsteen in sei­ne Jah­res-Top-10 packt, kann man eigent­lich als nächs­tes an der Leser­charts-Wahl des deut­schen „Rol­ling Stone“ teil­neh­men, sich mit Leder­ja­cke auf ein Motor­rad set­zen und schon mal den Ter­min für die nächs­te Vor­sor­ge-Unter­su­chung beim Haus­arzt machen! Aber wenn uns 2020 eines gelehrt hat, dann: Weni­ger Zynis­mus, bit­te! (Und mehr Vor­sor­ge-Unter­su­chun­gen!) Was kön­nen ich und motor­rad­fah­ren­de Rock­ma­ga­zin-Leser über 60 denn dafür, dass der Boss auch nach all den Jah­ren so gute Alben aus dem Ärmel sei­ner Leder­ja­cke schüt­telt? Fast das gan­ze „Let­ter To You“ ist eine Fei­er von Musik, Opti­mis­mus und Durch­hal­te­ver­mö­gen und es ist etwas über­ra­schend, dass die Songs schon vor dem gan­zen Scheiß geschrie­ben (drei sogar vor fast 50 Jah­ren) und mit der E Street Band auf­ge­nom­men wur­den.

7. Tou­ché Amo­ré – Lament (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wer woll­te 2020 nicht am Liebs­ten ein­fach nur Schrei­en? Jere­my Bolm macht genau das – und er ist sehr gut dar­in. Irgend­wie waren die ers­ten vier Alben von Tou­ché Amo­ré an mir vor­bei­ge­gan­gen, obwohl sie eigent­lich genau mein Ding hät­ten sein müs­sen. Jetzt aber: „Lament“. Musik, die klingt, als wür­de ich sie schon seit 20 Jah­ren im Her­zen tra­gen, als hät­te ich dazu schon in abge­ranz­ten Clubs auf der Tanz­flä­che gestan­den, mei­ne Fäus­te geballt, die Unter­ar­me ange­win­kelt und dann sehr laut und emo­tio­nal mit­ge­brüllt. Ich ver­spre­che, ich wer­de es nach­ho­len, sobald es mög­lich ist!

6. Cir­ca Waves – Sad Hap­py (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wo wir gera­de vom For­mat Album spra­chen: „Sad Hap­py“ kam in zwei Tei­len her­aus – „Hap­py“ im Janu­ar 2020, als die Welt, wie wir sie kann­ten, noch exis­tier­te, und man ange­sichts von sie­ben groß­ar­ti­gen Songs schon mal nach Tour­da­ten Aus­schau gehal­ten hat; „Sad“ an jenem 13. März, in des­sen Ver­lauf Schu­len und Kin­der­gär­ten geschlos­sen, die Bun­des­li­ga aus­ge­setzt und gene­rell die vor­he­ri­ge Nor­ma­li­tät völ­lig abge­schal­tet wur­de. Nach der eupho­ri­schen, ener­gie­ge­la­de­nen ers­ten Hälf­te pass­te der 2. Teil zur neu­en Wirk­lich­keit (so, wie natür­lich alles plötz­lich irgend­ei­ne Bedeu­tung hat­te): Ein biss­chen mehr Melan­cho­lie, ein biss­chen mehr Syn­the­si­zer, ein biss­chen mehr Akus­tik­gi­tar­ren. Die ers­ten sie­ben Songs waren plötz­lich eine Erin­ne­rung an eine ande­re Welt, das gan­ze Album blieb toll.

5. Dar­ren Jes­see – Remo­ver (Spo­ti­fy, Apple Music)
Dar­ren Jes­see beglei­tet mich mehr als mein hal­bes Leben: Erst als Schlag­zeu­ger, Back­ground-Sän­ger und Gele­gen­heits-Song­wri­ter bei mei­ner ewi­gen Lieb­lings­band Ben Folds Five, dann als Sän­ger und Haupt-Band­mit­glied von Hotel Lights, wo ich ein paar Mal mit ihm im E‑Mail-Aus­tausch stand, um die Musik der Band bei CT das radio zu spie­len und sonst­wie in Euro­pa popu­lär zu machen. „Remo­ver“ ist Dar­ren Jes­sees zwei­tes Solo­al­bum und zählt mit zum Bes­ten, was er je her­aus­ge­bracht hat: Ein ein­fa­ches, redu­zier­tes Folk-Pop-Album zwi­schen Elliott Smith und Mon­ta, Neil Young und Wil­co. Songs wie „Along The Out­skirts“ und „Never Gon­na Get It“ füh­len sich an wie die kraft­vol­le Umar­mung eines alten Freun­des (wenigs­tens glau­be ich das, was weiß ich, wie sich Umar­mun­gen anfüh­len?!).

4. Kath­le­en Edwards – Total Free­dom (Spo­ti­fy, Apple Music)
2014 hat­te sich Kath­le­en Edwards nach vier groß­ar­ti­gen Alben und aus­zeh­ren­den Tou­ren durch die hal­be Welt aus dem Musik­ge­schäft zurück­ge­zo­gen und in ihrer Hei­mat einen Cof­fee Shop namens „Quit­ters“ auf­ge­macht. Nach Jah­ren der Stil­le und des Milch­auf­schäu­mens kehr­te sie im ver­gan­ge­nen Jahr zurück und sang auf „Total Free­dom“ zum Glück wie­der wun­der­schö­ne, etwas melan­cho­li­sche Alter­na­ti­ve-Folk-Songs über zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hun­gen, das Leben und den Aus­stieg aus dem Busi­ness. Ich bin 2020 wirk­lich nicht viel Auto gefah­ren, aber wenn ich mich an unbe­schwer­te Stun­den auf der Auto­bahn erin­ne­re, dann mit die­sem Album.

3. HAIM – Women In Music Pt. III (Spo­ti­fy, Apple Music)
Natür­lich hie­ßen die ers­ten bei­den Alben von HAIM nicht „Women In Music“, aber es war schon ein klu­ger, klei­ner Gag der Schwes­tern-Band, das drit­te Werk so zu benen­nen, ist es doch im bes­ten Sin­ne eine kon­se­quen­te Fort­set­zung: Es groovt, die Drums schep­pern ein biss­chen und die Stim­men von Este, Dani­elle und Ala­na Haim har­mo­nie­ren. Man hat das Gefühl, das eige­ne Leben wür­de ein biss­chen gla­mou­rö­ser und kre­di­bi­ler, wenn man die­se Musik hört – Rosé­wa­ve eben! Für mich war „Women In Music Pt. III“ der Sound­track zu einem Sams­tag­vor­mit­tag im Juni, den ich beruf­lich bedingt in Ham­burg ver­brach­te und an dem ich zwei Stun­den bei Son­nen­schein (Ham­burg!) durchs Schan­zen­vier­tel spa­zier­te, was sich trotz Mas­ken­pflicht in den Geschäf­ten so sehr wie Urlaub anfühl­te wie wenig ande­res in 2020.

2. Gor­di – Our Two Skins (Spo­ti­fy, Apple Music)
Alle, wirk­lich alle Songs, die Sophie Pay­ten ali­as Gor­di vor­ab ver­öf­fent­licht hat­te, hat­ten es auf mei­ne Vor­auswahl-Lis­te für die Songs des Jah­res geschafft und lie­ßen Gro­ßes erwar­ten. „Our Two Skins“ ent­täusch­te nicht: Vom zag­haf­ten, ganz zer­brech­li­chen „Aero­pla­ne Bath­room“ über das tän­zeln­de „Sand­wi­ches“ bis zu den schwel­ge­ri­schen „Vol­ca­nic“ (bei dem man am Deut­lichs­ten hört, dass es mit dem Pro­du­zen­ten Chris Mes­si­na und dem Label Jag­ja­gu­war eini­ge Gemein­sam­kei­ten mit Bon Iver gibt) und “Extra­or­di­na­ry Life“ folgt hier wirk­lich ein unwahr­schein­li­cher Hit auf den nächs­ten. „Our Two Skins“ klingt, wie sich tie­fes Durch­at­men (was wir ja jetzt Dank der 2020 ent­deck­ten Yoga-Vide­os und Medi­ta­ti­ons-Apps alle regel­mä­ßig machen) anfühlt!

1. Tay­lor Swift – Folk­lo­re (Spo­ti­fy, Apple Music)
Schon als ich „Folk­lo­re“ zum ers­ten Mal gehört habe, wuss­te ich, dass es eine beson­de­re Bezie­hung sein wür­de zwi­schen mir und die­sem Album. Tay­lor Swift hat­te es im 1. Lock­down geschrie­ben und auf­ge­nom­men, kei­ne 24 Stun­den vor Ver­öf­fent­li­chung ange­kün­digt – und schon beim ers­ten Hören war klar, dass sie gemein­sam mit ihren Co-Song­wri­tern und Pro­du­zen­ten Aaron Dess­ner (The Natio­nal, Big Red Machi­ne) und Jack Anton­off damit schlicht­weg ein Meis­ter­werk geschaf­fen hat­te. Waren Tay­lor Swift mit moderns­ter, auf­wen­digs­ter Pro­duk­ti­on schon zahl­rei­che instant clas­sics gelun­gen, so kata­pul­tier­te sie der eher redu­zier­te Sound von „Folk­lo­re“ in noch höhe­re Höhen. End­lich han­del­ten die Tex­te mal nicht mehr nur davon, wie es ist, Tay­lor Swift zu sein, son­dern sie erzähl­ten klei­ne Geschich­ten – wobei, was heißt da „klein“?! „The Last Gre­at Ame­ri­can Dynasty“ ist eine gre­at Ame­ri­can novel in 3:51 Minu­ten; „Bet­ty“ der bes­te Song, der je dar­über geschrie­ben wur­de, wie es ist, ein 17-jäh­ri­ger Jun­ge zu sein (Sor­ry, Tra­vis!); „August“ klingt so sorg­los, wie sich der gleich­na­mi­ge Monat im Nach­hin­ein fast anfühl­te; „Epi­pha­ny“ bringt mich immer noch zum Heu­len (oder zumin­dest dazu, tief durch­zu­at­men) und das Tren­nungs-Duett „Exi­le“ mit Jus­tin Ver­non von Bon Iver ist sowie­so ein Lied, das einem ein­fach jedes Mal den Ste­cker zieht.
Seit Juli wache ich jeden Mor­gen mit einem neu­en Ohr­wurm auf – und es sind wirk­lich alle 16 Songs von „Folk­lo­re“ dabei (wahl­wei­se gemein­sam oder anstel­le des täg­li­chen „Hamilton“-Ohwurms). Die­ses Album hat mich durch die zwei­te Jah­res­hälf­te beglei­tet wie sonst nur mein Kind und mei­ne engs­ten Freund*innen. Etwa ab Sep­tem­ber war klar, dass „Folk­lo­re“ mein Album des Jah­res wer­den wür­de – und dann hau­te Tay­lor Swift im Dezem­ber, wie­der mit mini­ma­ler Vor­war­nung, ein­fach noch ein Album raus! „Ever­mo­re“ hät­te mit sei­nen Kol­la­bo­ra­tio­nen mit HAIM, The Natio­nal und aber­mals Bon Iver bes­te Chan­cen gehabt, eben­falls in mei­nen Top 10 zu lan­den, aber ich hat­te ja schon „Folk­lo­re“. I think, I’ve seen this film befo­re. And I loved all of it.

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Songs des Jahres 2019

Machen wir’s schnell: Hier sind also 25 Songs, die ich ges­tern Abend um 21:57:26 in exakt die­ser Rei­hen­fol­ge für die bes­ten des zurück­lie­gen­den Jah­res hielt!

25. Loyle Car­ner – Loo­se Ends
Ich kom­me ja gene­rell deut­lich bes­ser mit bri­ti­schem Hip Hop klar als mit ame­ri­ka­ni­schem (oder deut­schem, haha­ha), aber Loyle Car­ner ist wirk­lich beson­ders gut, weil sein Sound so unglaub­lich tight und orga­nisch groo­vend ist, wäh­rend er trau­ri­ge Geschich­ten erzählt.

24. J.S. Ondara – Ame­ri­can Dream
Über das Album hab ich schon bei mei­nen Alben des Jah­res geschrie­ben, hier also der Ope­ner. Was ist der ame­ri­ka­ni­sche Traum in Zei­ten, in denen man mit den USA vor allem einen wahn­sin­ni­gen Rea­li­ty-TV-Star ver­bin­det, der irgend­wie zum Prä­si­den­ten wur­de? Hier klingt es fast nach einem Fie­ber­traum:

23. Mag­gie Rogers – Light On
Die gro­ße Fra­ge bei Mag­gie Rogers Debüt­al­bum war natür­lich: Wür­de sie es schaf­fen, nach „Alas­ka“ wei­te­re gro­ße Songs zu schrei­ben? „Light On“ beant­wor­tet die­se Fra­ge ziem­lich ein­deu­tig mit „Ja!“ (Bin ich der Ein­zi­ge, der im Refrain einen Hauch von „Shut Up And Dance“ hört?!)

22. Bet­ter Obli­vi­on Com­mu­ni­ty Cen­ter – Dylan Tho­mas
Wenn Phoe­be Bridgers und Conor Oberst eine Indie-Folk-Super­group grün­den, ist das allei­ne natür­lich schon mal super. Wenn dabei auch noch sol­che Songs rum­kom­men: Umso bes­ser!

21. Bear’s Den – Only Son Of The Fal­ling Snow
Ich bin ja immer ver­gleichs­wei­se spät mit mei­nen Bes­ten­lis­ten: Vie­le Leu­te und Redak­tio­nen ver­öf­fent­li­chen ihre bereits Anfang Dezem­ber. Sie haben dann womög­lich die Drei-Song-Ep ver­passt, die Bear’s Den am Niko­laus­tag ver­öf­fent­licht haben – und damit die­sen wun­der­vol­len Folk­song!

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Alben des Jahres 2019

Alben spie­len bekannt­lich kei­ne Rol­le mehr – das Medi­um der Zukunft heißt Stream (oder eben halt Kas­set­te)! Ich gebe zu, dass ich letz­tes Jahr zwar wahn­sin­nig vie­le Alben gehört habe, um sie für das inzwi­schen lei­der ein­ge­stell­te „JWD“-Magazin zu bespre­chen (Guten Tag, suchen Sie zufäl­lig noch einen Musik­ko­lum­nis­ten?!), aber in die aller­meis­ten nicht mehr rein­ge­hört habe, nach­dem mei­ne Rezen­si­on fer­tig war.

Dafür habe ich ca. eine Mil­li­on Songs gehört (zu deren bes­ten wir dann als nächs­tes kom­men), aber auch jede Men­ge EPs, die irgend­wie streng genom­men kei­ne Alben sind, weil sie nur fünf bis sie­ben Songs ent­hal­ten, wobei man mit sie­ben Songs auch schon ein Album sein kann und … Puh.

Viel­leicht ist es also das letz­te Mal, dass ich mich im Janu­ar hin­set­ze, um eine Lis­te zusam­men­zu­stel­len, die in die­ser Form nur weni­ge Mil­li­se­kun­den gül­tig ist und hin­ter dem 2. Platz eigent­lich auch aus­ge­wür­felt sein könn­te. Aber heu­te war es noch mal soweit und hier sind sie nun: Mei­ne zehn liebs­ten Alben des Jah­res 2019!

10. Julia Jack­lin – Crus­hing (Spo­ti­fy, Apple Music)
Was bei Julia Jack­lins Zweit­werk vor allem auf­fällt: Wie viel Raum die gan­zen Indie-Folk-Songs hier haben! Die ruhi­gen, weil sie so spär­lich instru­men­tiert sind, die lau­te­ren, weil sie ihn sich ein­fach neh­men. Gleich­zei­tig sind sie einem als Hörer*in wahn­sin­nig nahe (aber nur so nahe, dass ich es auch noch ertra­gen kann). Ein Album, das sich die Auf­merk­sam­keit holt, die es ver­dient.

9. Ider – Emo­tio­nal Edu­ca­ti­on (Spo­ti­fy, Apple Music)
Am Ende geht es in den aller­meis­ten Lie­dern ja eini­ger­ma­ßen deckungs­gleich um fol­gen­de The­men: die eige­nen Gefüh­le, die Gefüh­le ande­rer, Bezie­hun­gen und war­um sie nicht funk­tio­niert haben, das Leben und was man dar­aus macht. So gese­hen erfin­den auch Ider das Rad nicht neu, aber wie Megan Mar­wick und Lily Somer­ville da in ihren Elek­tro-Indie-Pop-Songs über all die­se The­men sin­gen, das ist schon sehr, sehr gut!

8. Car­ly Rae Jep­sen – Dedi­ca­ted (Spo­ti­fy, Apple Music)
Seit sie 2012 for­der­te, man sol­le sie viel­leicht anru­fen, kommt Car­ly Rae Jep­sen alle paar Jah­re mit einer Hand­voll per­fek­ter Pop­songs um die Ecke, die wie für mich gemacht wir­ken. Auch auf ihrem vier­ten Album gibt es wie­der ein­gän­gi­ge Melo­dien und Groo­ves und Tex­te, mit denen sich Teen­ager und Thir­ty­so­me­things iden­ti­fi­zie­ren kön­nen (letz­te­re füh­len sich wegen die­ses 80er-Sounds, der manch­mal bei­na­he ein biss­chen Gefahr läuft, ein Tacken zu viel des Guten zu sein, auch woh­lig an die eige­ne Kind­heit erin­nert). Wie viel Spaß das alles macht, beweist die Queen of Rosé­wa­ve auch bei ihrem Auf­tritt hin­ter Bob Boi­lens Schreib­tisch beim Tiny Desk Con­cert.

7. Craig Finn – I Need A New War (Spo­ti­fy, Apple Music)
Inter­es­san­te Tak­tik: Im April ein Solo­al­bum raus­brin­gen, im August dann eines mit der Haupt­band (das wie­der­um zur Hälf­te aus Songs besteht, die man in den Jah­ren zuvor schon als Sin­gles raus­ge­bracht hat­te), im Okto­ber dann schon wie­der eine neue Solo-Sin­gle. Kei­ne Ahnung, ob wir uns Craig Finn als Work­aho­lic, als Getrie­be­nen oder als glück­li­chen Men­schen vor­stel­len müs­sen – 2019 war er immer­hin gut beschäf­tigt und hat neben dem bes­ten Hold-Ste­ady-Album seit „Stay Posi­ti­ve“ eben auch sein viel­leicht bis­her bes­tes Solo­al­bum ver­öf­fent­licht. Um wirk­lich zu ver­ste­hen, was hier text­lich pas­siert, hilft es, mit Craig Finns Gesamt­werk ver­traut zu sein, das meh­re­re Bands und Jahr­zehn­te umspannt und eher mit Fort­set­zungs­ro­ma­nen als mit Lyrik zu ver­glei­chen ist, aber man kann sich auch ein­fach von der Musik trei­ben las­sen und sei­nem Sprech­ge­sang als eine Art wei­te­res Instru­ment zuhö­ren.

6. Mag­gie Rogers – Heard It In A Past Life (Spo­ti­fy, Apple Music)
Wenn Joni Mit­chell, Neneh Cher­ry, Suzan­ne Vega und Don­na Sum­mer gemein­sam ein Mäd­chen auf­ge­zo­gen hät­ten, wäre das zwar ein grif­fi­ges Bild für leicht hilf­lo­se Musik­jour­na­lis­ten, beschrie­be aber noch nicht annä­hernd, was hier, auf einem der sehn­lichst erwar­te­ten Debüt­al­ben des letz­ten Jah­res, eigent­lich genau los ist. Die Gren­zen zwi­schen „orga­nisch klar“ und „elek­tro­nisch ver­spielt“ ver­schwim­men eben­so wie die zwi­schen Melan­cho­lie und Eupho­rie, Folk und Dis­co, Tag und Nacht.

5. Loyle Car­ner — Not Waving, But Drow­ning (Spo­ti­fy, Apple Music)
Den Album­ti­tel ken­nen Men­schen mit pop cul­tu­re over­ex­po­sure natür­lich schon aus „Rea­dy For Drow­ning“ von den Manic Street Pre­a­chers, aber wer wuss­te schon, dass auch das nur eine Refe­renz auf ein Gedicht der Autorin Stevie Smith war? Eben! Bei Loyle Car­ner gibt’s das Gedicht im Titel­track zu hören, an ande­rer Stel­le spricht sei­ne Mut­ter und wer sich von so etwas nicht abschre­cken lässt, wird ein sen­sa­tio­nel­les Hip-Hop-Album ent­de­cken, wie gemacht für Men­schen, die behaup­ten, mit Hip Hop nichts anfan­gen zu kön­nen: Groo­ves wie auf 50 Jah­re alten Soul-Plat­ten, domi­nan­te Kla­vier- und Blä­ser­klän­ge, klu­ge und nach­denk­li­che Tex­te – wenn die Kids dem­nächst im Eng­lisch-Unter­richt Loyle Car­ner durch­neh­men, kann das nur für alle von Vor­teil sein!

4. Bon Iver – i,i (Spo­ti­fy, Apple Music)
Was mit Jus­tin Ver­non in einer ein­sa­men Wald­hüt­te begann, ist inzwi­schen ein gro­ßes Künstler*innen-Kollektiv mit Mul­ti­me­dia-Shows. Wie­der zugäng­li­cher als beim etwas rät­sel­haf­ten (und natür­lich trotz­dem sehr, sehr guten) letz­ten Album „22, A Mil­li­on“ kom­bi­nie­ren Bon Iver auf „i,i“ (klar, dass es auch dies­mal kein „nor­ma­ler“ Titel sein kann!) die Sounds der bis­he­ri­gen drei Alben zu einem dröh­nen­den, knar­zen­den, groo­ven­den, flir­ren­den, hym­ni­schen, dich­ten, atmen­den, umar­men­den Gesamt­werk, das man viel­leicht immer noch nicht ganz ver­steht, von dem man sich aber auf merk­wür­di­ge Art ver­stan­den fühlt.

3. J.S. Ondara – Tales Of Ame­ri­ca (Spo­ti­fy, Apple Music)
Ich fin­de ja, dass es nur sel­ten nötig ist, die Bio­gra­phie eines Künst­lers zu ken­nen, um sich sei­nem Werk zu nähern. Im Fall von J.S. Ondara soll­te man aber viel­leicht wis­sen, dass der jun­ge Mann in Kenia auf­wuchs, nach einer Dis­kus­si­on dar­über, ob „Kno­cking On Heaven’s Door“ von Guns ’n’ Roses oder jemand ande­rem sei, Bob Dylan für sich ent­deck­te und, nach­dem er des­sen Gesamt­werk in sich auf­ge­so­gen hat­te, beschloss, in des­sen Hei­mat Min­ne­so­ta aus­zu­wan­dern. Was für eine gran­dio­se Geschich­te (bei der es, neben­bei bemerkt, auch nicht ganz so wich­tig ist, ob er schon eine Tan­te in Min­ne­so­ta woh­nen hat­te, bei der er unter­kom­men konn­te – Pop­kul­tur ist kei­ne Poli­tik, sie ist der ein­zi­ge Ort, an dem Fak­ten eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le spie­len dür­fen!), die aller­dings auch nicht viel wert wäre, wenn die Musik doof wäre. Das ist sie auf „Tales Of Ame­ri­ca“ aller­dings ganz und gar nicht: Es ist ein gran­dio­ses Folk-Album, dem man das Jahr 2019 jetzt nicht wirk­lich anhört!

2. Liz­zo – Cuz I Love You (Spo­ti­fy, Apple Music)
Der Ope­ner „Cuz I Love You“ ist noch kei­ne zehn Sekun­den alt, da hat man schon einen guten Ein­druck von dem bekom­men, wozu Liz­zo und ihre Musiker*innen in der Lage sind – es fol­gen aber noch jede Men­ge wei­te­re Gele­gen­hei­ten, sich von die­ser Frau und ihrem Album kom­plett umhau­en zu las­sen. Big-Band-Sound, Hip Hop, Funk, Rock: kann sie alles! „Cra­zy, sexy, cool, baby /​ With or wit­hout make­up /​ Got not­hing to pro­ve /​ But I’ma show you how I do“ singt sie und macht es dann „like a girl“ – was in die­sem Fall natür­lich bedeu­tet: mit har­ter Arbeit, einem biss­chen Wut im Bauch und ganz viel Spaß. Mei­ne Fres­se, was macht die­ses Album Bock!

1. Thees Uhl­mann – Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen (Spo­ti­fy, Apple Music)
Ich hat­te ja ehr­lich gesagt nicht mehr mit viel gerech­net, als Thees Uhl­mann sein drit­tes Solo­al­bum ankün­dig­te: zu groß und alles über­strah­lend waren die Tom­te-Plat­ten „Hin­ter all die­sen Fens­tern“ und „Buch­sta­ben über der Stadt“ für mich gewe­sen, zu wenig hat­te ich mit den Solo-Sachen anzu­fan­gen gewusst. Und dann hör­te ich zum ers­ten Mal „Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen“ und war völ­lig umge­hau­en: Dass die ers­ten vier Songs eines Albums durch­weg geni­al sind, kennt man ja viel­leicht von „Hot Fuss“ von den Kil­lers, fünf von „Cla­ri­ty“ von Jim­my Eat World, aber acht Mega­hits hin­ter­ein­an­der, das hat noch nicht mal „Lon­don Cal­ling“ von The Clash („Jim­my Jazz“, puuuuuh!)! Und auch danach sackt das Level nur mini­mal ab, um aber wie­der auf aller­höchs­tem Niveau zu enden – die bes­te Stel­le des Albums: Die­ses gebrüll­te „Ich fra­ge Dich“ in „Immer wenn ich an Dich den­ke, stirbt etwas in mir“, 80 Sekun­den vor Album-Ende! Was bis dahin alles pas­siert: Hym­nen auf Ste­phen King, Avic­ci, Katy Per­ry und Han­no­ver, Gedan­ken wie „Wie ein Sonn­tag­abend nach einer Land­tags­wahl“ oder „Ich bin der Fah­rer, der die Frau­en nach Hip­Hop Video­drehs nach Hau­se fährt“ und so viel mehr Zei­len, die man mit erho­be­ner Faust laut­stark mit­sin­gen will. Ein Album, das sich anfühlt wie nach Hau­se zu kom­men, wie drei Der­by­sie­ge in einer Woche, wie end­lich mit der Frau, die man seit zehn Jah­ren toll fand, zu knut­schen (ver­mu­te ich mal – ich hab ihre Num­mer an Sil­ves­ter end­lich gelöscht) – aber das habe ich ja im Sep­tem­ber schon auf­zu­schrei­ben ver­sucht. Geni­al!

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Songs des Jahres 2018

Die Alben hat­ten wir schon, kom­men wir nun zu den Songs des Jah­res 2018. Da ich neben mei­nen Haupt­quel­len für neue Musi­kent­de­ckun­gen, „All Songs Cosi­de­red“ und Radio­eins, auch wie­der auf die (meist sehr guter) „Das könn­te Dir gefallen“-Funktion von Spo­ti­fy und diver­se Zufalls­fun­de gesetzt habe, ist es wie­der eine eher eklek­ti­sche Lis­te, bei der ich nicht zu jedem Lied son­der­lich viel sagen könn­te.

Auch ist es eigent­lich eine absur­de Idee, die­se Songs irgend­wie gewich­ten und sor­tie­ren zu wol­len – eigent­lich ist spä­tes­tens ab Posi­ti­on 10 die Rei­hen­fol­ge ziem­lich will­kür­lich, wes­we­gen man die Lis­te auch wie­der sehr schön im Shuff­le-Modus hören kann.

Aber ich dach­te mir: Nach fünf­jäh­ri­ger Baby­pau­se ist mein Sohn inzwi­schen so alt, dass er eige­ne Rang­lis­ten erstel­len könn­te, ((Sei­ne Num­mer 1, ver­mut­lich: ent­we­der „Afri­ca“ von Weezer oder „Solo“ von Clean Ban­dit und Demi Lova­to, was übri­gens auch mein „Pein­lichs­tes Lieb­lings­lied des Jah­res“ sein dürf­te.)) und weil ich ja auch wie­der beruf­lich viel mehr über Musik schrei­be, neh­me ich mir jetzt 25 Songs und erklä­re die zu einer (wie immer nur 0,3 Mil­li­se­kun­den lang exakt gül­ti­gen) Hit­pa­ra­de.

Lukas, stop voting now!

25. Catch Fire – Petrifac­tion
Auto­ra­dio ist schwie­rig, weil es in NRW natür­lich kaum hör­ba­re Radio­sen­der mit Musik gibt. Aber in wei­ten Tei­len der Bochu­mer Innen­stadt emp­fan­ge ich halb­wegs gut CT das radio, mei­nen Hei­mat­sen­der, dem ich auf ewig ver­bun­den sein wer­de. Und da lief die­ser Song: Heu­len­de Gitar­ren­licks, häm­mern­de Drums, Geschrei und „Why does ever­y­thing that I touch turn to stone?“ – ich war sofort wie­der 19, die dun­kel getön­ten Haa­re fie­len mir in Sträh­nen ins Gesicht und ich woll­te an irgend­ei­nem Fluss ste­hen und bedeu­tungs­schwer aufs Was­ser star­ren. Es gibt ihn noch, den guten Emo!

24. The Fratel­lis – I’ve Been Blind
The Fratel­lis, waren das nicht die­se Indie-One-Hit-Won­der zu einer Zeit, als ich noch in der Musik­re­dak­ti­on von CT das radio tätig war? Was wol­len die denn 13 Jah­re spä­ter wie­der (und was haben sie in der Zwi­schen­zeit gemacht)? Nun, war­ten wir bis zum Refrain, der „Kno­wing Me, Kno­wing Me“ von ABBA in eine Mitgröhl­hym­ne für Stu­den­ten­knei­pen, Frei­tags­mor­gens um halb zwei, das letz­te Bier in die Luft gereckt, trans­fe­riert. Wo war die­ser Song, als ich jung war?

23. Hozier feat. Mavis Stap­les – Nina Cried Power
Wie wirkt die­ser Song wohl auf Men­schen, die die gan­zen Refe­ren­zen und das gan­ze name che­cking nicht ver­ste­hen? Nun: Die jun­gen Leu­te haben es mil­lio­nen­fach gestreamt und auf ihren Radio­sen­dern gehört, also wohl eben­falls gut. Aber wie soll man sich auch die­sem Groo­ve und die­ser Hym­ne über Hym­nen wider­set­zen? Extra-Respekt dafür, sich so durch die­sen Song zu croo­nen und dann das Spot­light auf Mavis Stap­les zu rich­ten, deren Stim­me natür­lich noch unge­fähr zehn mal wirk­mäch­ti­ger ist! (Übri­gens der ein­zi­ge Song, auf den Barack Oba­ma und ich uns letz­tes Jahr eini­gen konn­ten.)

22. Geor­ge Fitz­Ge­rald – Burns
Ich gebe zu, soeben zum ers­ten Mal gegoo­gelt zu haben, wer Geor­ge Fitz­Ge­rald eigent­lich ist (wobei die Infor­ma­tio­nen da auch nicht üppig sind). Aber die­ser hyp­no­tisch pum­pen­de Elek­tro-Song hat mich seit Mit­te März durch das Jahr beglei­tet. Sind das alles Stim­men? Syn­the­si­zer? Egal! Vor mei­nem geis­ti­gen Auge fah­ren U‑Bahnen durch nächt­li­che Groß­städ­te und alles ist cool und auf­re­gend.

21. Brand New Fri­end – Seat­belts For Aero­pla­nes

You’­re like a seat­belt on an air­plane with me late­ly
You’­re more for making me feel safe than for actu­al safe­ty
And for every sin­gle moment that you made me feel ama­zing
The­re were seve­ral other times that I felt kin­da hazy
But I know I was never your ever­y­thing, but
I hope I was some­thing, so come on

Das ist exakt die Musik, die ich in 2:42 Minu­ten von einer Trup­pe 19-bis-23-Jäh­ri­ger hören möch­te, die ein Demo auf­ge­nom­men hat­ten, das dann „ver­se­hent­lich“ zum offi­zi­el­len Album erklärt und für den Nor­t­hern Ire­land Music Pri­ze nomi­niert wur­de.

20. Oh Pep! – Truths
Bron­ze bei mei­nen Alben des Jah­res und ein Song, der die­ses Album wun­der­bar zusam­men­fasst: melan­cho­lisch und zer­brech­lich, aber auch druck­voll und mit hin­ter­grün­di­gem Text.

19. Aria­na Gran­de – No Tears Left To Cry
Schon für sich genom­men sind die­se drei Songs, die sich hier irgend­wie zu einem ver­ei­ni­gen, ja ein ech­tes Fest. Wenn man dann auch noch mit­denkt, dass hier eine Frau strah­len­den Opti­mis­mus ver­brei­tet, ein Jahr, nach­dem nach Abschluss ihres Kon­zerts in Man­ches­ter bei einem Bom­ben­an­schlag 22 Men­schen getö­tet und mehr als 500 ver­letzt wur­den, jagt einem das schon eine ganz schö­ne Gän­se­haut den Rücken run­ter. So muss man aus so einer Geschich­te erst mal wie­der raus­kom­men! One love!

18. Chil­dish Gam­bi­no – This Is Ame­ri­ca
„Wel­che Rol­le spielt das Musik­vi­deo noch im Jahr 2018, wo nie­mand mehr Musik­fern­se­hen guckt und auch You­Tube eher zur Hin­ter­grund­be­rie­se­lung genutzt wird?“ – „Nun, las­sen Sie mich so ant­wor­ten:

Ein poli­tisch-kul­tu­rel­les Gesamt­kunst­werk, das her­me­neu­tisch in tau­sen­de Ein­zel­tei­le zer­legt wer­den konn­te, und bei dem man sich den Song, nach­dem man das Video ein­mal gese­hen hat, nicht mehr ohne vor­stel­len kann. Offe­ne Mün­der, der Wahn­sinn!

17. MILCK – Black Sheep
MILCK, ali­as Con­nie Lim, wur­de 2017 berühmt mit „Quiet“, der inof­fi­zi­el­len Hym­ne des „Women’s March“. „Black Sheep“ könn­te man ent­spre­chend als inof­fi­zi­el­le Hym­ne der „It Gets Bet­ter“-Bewe­gung bezeich­nen: eine Lie­bes­er­klä­rung an alle, die anders sind, aus­ge­grenzt wer­den und sich allei­ne füh­len. „Don’t let anyo­ne turn your uni­que into flaws /​ Yeah, you know that I love you the way that you are“. Hach!

16. Res­to­ra­ti­ons – St.
Am Tag nach mei­ner Geburts­tags­fei­er ging ich, nach­dem ich alles so weit auf­ge­räumt und gespült hat­te, im strah­len­den Son­nen­schein die­ses unend­li­chen Som­mers spa­zie­ren und hör­te bei „All Songs Con­side­red“ die­sen Song. Ich habe dann noch ein paar Umwe­ge genom­men, um direkt das gan­ze (24-minü­ti­ge) Album zu hören. Anschlie­ßend muss­te mei­ne Musik­ko­lum­ne im „JWD“-Magazin noch mal geän­dert wer­den, denn „LP5000“ muss­te natür­lich sofort mit ins Heft!

15. Janel­le Monáe – I Like That

A litt­le cra­zy, litt­le sexy, litt­le cool
Litt­le rough around the edges, but I keep it smooth
I’m always left of cen­ter and that’s right whe­re I belong
I’m the ran­dom minor note you hear in major songs

Wer braucht noch Musik­jour­na­lis­mus bei die­ser Selbst­be­schrei­bung?

14. Toco­tro­nic – Unwie­der­bring­lich
Zwei Wochen nach der Beer­di­gung mei­nes Groß­va­ters saß ich mit mei­nem Sohn in sei­nem son­nen­durch­flu­te­ten Kin­der­zim­mer und hör­te zum ers­ten Mal das neue Toco­tro­nic-Album „Die Unend­lich­keit“. Nach einem lan­gen Kam­mer­mu­sik-Intro sang Dirk von Lowtzow „Dein Tod war ange­kün­digt /​ Das Leben ging dir aus /​ Unwie­der­bring­lich /​ Schlich es aus dir hin­aus“. Ich saß da, hör­te, biss mir auf die Unter­lip­pe und war unwie­der­bring­lich an die­ses Lied ver­lo­ren. Was da lyrisch abgeht, ist intel­lek­tu­ell kaum zu fas­sen, das knallt direkt in die Magen­gru­be!

13. Paen­da – Paper-Thin
Was haben die Öster­rei­cher eigent­lich im Trink­was­ser, dass sie uns jetzt – obwohl nur ein Zehn­tel der Ein­woh­ner­zahl Deutsch­lands – seit Jah­ren vor­ma­chen, wie Pop­mu­sik noch mal geht? Und damit mei­ne ich nicht nur Wan­da und Bil­der­buch (und Fal­co, hoho­ho), son­dern auch weit­ge­hend unbe­kann­te Juwe­le wie die Wie­ne­rin Gabrie­la Horn ali­as Paen­da, die sich mit ihrem viel­schich­ti­gen Elek­tro­pop hier irgend­wo zwi­schen Shura, Robyn und Sia ein­reiht.

12. Mit­ski – Nobo­dy
Bei man­chen Lie­dern kann ich exakt erklä­ren, war­um ich sie lie­be, bei ande­ren eher gar nicht. Aber ver­mut­lich passt hier ein­fach alles exakt rich­tig zusam­men: vom Text über die Instru­men­tie­rung und den Beat bis zur all­ge­mei­nen Anmu­tung, die dann im ent­schei­den­den Moment mehr als nur einen Hauch an „Love­fool“ von den Car­di­gans erin­nert.

11. Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – House In The Trees
Es brauch­te knapp 13 Sekun­den. Andrew McMa­hon hat­te noch gar nicht ange­fan­gen zu sin­gen, da wuss­te ich schon, dass ich die­sen Song lie­ben wür­de: Das Intro, das ein biss­chen an „Sky High“ von Ben Folds Five erin­nert, die The-War-On-Drugs-Gitar­ren – und dann die­ser Text von Freund­schaf­ten, die irgend­wann ein­fach nicht mehr die sel­ben sind. Andrew McMa­hon hat­te ein­mal mehr einen Song geschrie­ben, der direkt zu mir sprach – ja, mehr noch: der sich anfühl­te, als hät­te ich ihn schrei­ben kön­nen, wenn ich nur mehr Talent hät­te und mir ein biss­chen Mühe geben wür­de.

10. Mar­te­ria & Cas­per – Cham­pi­on Sound
Deutsch­spra­chi­ger Hip­hop ist für mich wirk­lich schwie­rig: ent­we­der so stumpf, men­schen- und frau­en­ver­ach­tend dumm und von allen guten Geis­tern ver­las­sen wie die Rap­per-Kari­ka­tu­ren Kol­le­gah und Cil­lit Bang, oder so egal geal­tert wie die Über­le­ben­den der ers­ten Wel­le in den 1990er Jah­ren (Fan­ta Vier, Fet­tes Brot, Beg­in­ner). Aber es gibt ja noch Cas­per und Mar­te­ria: Als die „Cham­pi­on Sound“ vor­leg­ten, die­ses feis­te Brett, das den „Wir sind die Coolsten“-Gestus mit so viel Witz, Lie­be zum Detail und dickem Blä­ser­satz erträg­lich mach­te, dach­te ich, dass sie mit ihrem gemein­sa­men Album alles in den Schat­ten stel­len wür­den. Ganz so über­mä­ßig gut war „1982“ dann lei­der doch nicht, aber die­ser Song: mei­ne deutsch­spra­chi­ge Nr. 1, wie ich schon jetzt ver­ra­ten möch­te.

9. Metric – Now Or Never Now
Erin­nert sich noch jemand an Bris­ke­by, die­ses nor­we­gi­sche Mini-One-Hit-Won­der, das vor … puh: 18 Jah­ren mal kurz­zei­tig als nächs­tes gro­ßes Ding gehan­delt wur­de? Nun, Metric klin­gen auf „Now Or Never Now“, als hät­ten sie der Band ein Denk­mal set­zen wol­len – was ja nun echt absurd wäre, weil Metric ja nun wirk­lich genug eige­nes Renom­mee mit­brin­gen. Aber weil ich das Bris­ke­by-Debüt damals moch­te, hat mich die­ser Song irgend­wie schwer abge­holt. Und dass der Song in der Album­ver­si­on vol­le fünf Minu­ten braucht, bis er sei­ne Hook (und Titel­zei­le) erreicht, macht ihn auch noch mal ein biss­chen tol­ler!

8. The Go! Team – Semicir­cle Song
Blä­ser und Drum­li­ne, die noch fet­ter sind als bei Mar­te­ria & Cas­per, Gesang, bei dem man drei­mal nach­gu­cken muss, ob man da nicht gera­de die Jack­son 5 hört, und Men­schen, die ihre Stern­zei­chen auf­zäh­len – völ­lig nor­ma­le Zuta­ten für einen Song, den man eigent­lich nur lie­ben kann. Und da: ein Glo­cken­spiel!

7. Leo­ni­den – Kids
„Again“, ist, wie gesagt, ein sehr, sehr Album. Und „Kids“ ist der bes­te unter einer gan­zen Rei­he sehr guter Songs. Fuck it all, we kil­led it tonight!

6. DJ Koze – See­ing Ali­ens
Die „Exten­ded Breakth­rough Listen“-Version dau­ert 8:17 Minu­ten und wird dabei an kei­ner Stel­le lang­wei­lig. Irgend­wo zwi­schen Buri­al und Under­world sta­peln sich hier irgend­wel­che Sounds über einem trei­ben­den Beat, der immer mal wie­der ein- und aus­gef­a­det wird, wes­we­gen der gan­ze Track mehr nach einer Zug- oder Auto­fahrt klingt, bis sich dann der eigent­li­che Song her­vor­schält, der es schafft, gleich­zei­tig völ­lig frisch zu klin­gen und so, als wür­de man ihn bereits seit 25 Jah­ren ken­nen.

5. Chris­ti­ne And The Queens – 5 Dol­lars
Defi­ni­tiv Rosé­wa­ve, defi­ni­tiv que­er, also defi­ni­tiv ein Song nach mei­nem Geschmack!

4. Meg Myers – Numb
Wenn man in einem Semi­nar erklä­ren müss­te, wie man einen Song auf­baut, emp­feh­le ich „Numb“: vor­sich­tig rein­groo­ven, lang­sam stei­gern, dann alle Tore öff­nen und alles in einer fina­len Refrain-Zei­le kul­mi­nie­ren las­sen, die das Fes­ti­val-Publi­kum im Zwei­fels­fall auch bei 2 Pro­mil­le noch mit­brül­len kann. Ach, für die­sen Song müss­te man das Bizar­re-Fes­ti­val wie­der auf­er­ste­hen las­sen!

3. Hay­ley Kiyo­ko – Curious
Sie wol­le nur wis­sen, ob es was Erns­tes sei, singt Hay­ley Kiyo­ko und ihr „If you let him touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya /​ The way I used to, used to, used to, used to, used to, used to“ lässt fer­ne Erin­ne­run­gen an eine der dra­ma­tischs­ten Fra­gen der Pop­ge­schich­te wach wer­den: „Does it feel the same /​ When she calls your name?“ („The Win­ner Takes It All“, natür­lich). Dass da eine Frau singt, der neue Part­ner der/​des Besun­ge­nen aber ein Mann ist, ver­wirrt höchs­tens altern­de Englischlehrer*innen, die bei die­sem Musik­vi­deo einen roten Kopf bekom­men: It’s 20GAYTEEN, remem­ber?

2. Big Red Machi­ne – Hym­no­stic
Wir unter­bre­chen die­se Gale­rie jun­ger Frau­en kurz für zwei nicht mehr gaaa­anz so jun­ge Män­ner (37 und 42, oh, ver­dammt!): Jus­tin Ver­non (Bon Iver, Vol­ca­no Choir, The Shou­ting Matches, usw. usf.) und Aaron Dess­ner (The Natio­nal) haben gemein­sam ein Album auf­ge­nom­men, das die Zeit bis zu den neu­en Alben von Bon Iver und The Natio­nal wun­der­bar über­brückt. Und das mit „Hym­no­stic“ eine lang­sam vor sich hin gos­peln­de Sin­gle hat, die die Son­ne in jeder noch so tie­fen Nacht auf­ge­hen lässt.

1. Rae Mor­ris – Do It
Was zu erwar­ten war: Im März hat­te ich mich in „Do It“ ver­liebt und seit­dem nichts unver­sucht gelas­sen, den Song zum Som­mer­hit des Jah­res 2018 zu pushen. Das hat auf offi­zi­el­ler Ebe­ne nicht geklappt, aber mein Sohn singt begeis­tert den Refrain mit und was will man da noch mehr ver­lan­gen? Ein Song, ein Video, ein Album, wo nahe­zu alles stimmt und des­halb – die Sta­tis­ti­ker unter Ihnen hat­ten schon auf­ge­regt in ihren Unter­la­gen gewühlt – gehen die Aus­zeich­nun­gen für „Album des Jah­res“ und „Song des Jah­res“ erst­mals seit zwölf Jah­ren („Buch­sta­ben über der Stadt“ und „New York“ von Tom­te – und wer mich ein biss­chen kennt, weiß, wel­che Fuß­stap­fen das sind!) wie­der an ein und den­sel­ben Act. Herz­li­chen Glück­wunsch, Rae Mor­ris!

(Wei­te­rer sta­tis­ti­scher fun fact: Rae Mor­ris ist damit der ers­te Act über­haupt in der 18-jäh­ri­gen Geschich­te mei­ner per­sön­li­chen Bes­ten­lis­ten, der zum zwei­ten Mal den Titel „Song des Jah­res“ ein­fah­ren konn­te. Wow!)

Und hier sind alle 60 Songs in einer prak­ti­schen Spo­ti­fy-Play­list, die sehr, sehr gut ist:

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Musik

Songs des Jahres 2011

Bevor 2012 rich­tig Fahrt auf­nimmt oder ich mei­ne Lis­te kom­plett ver­wor­fen habe, hier noch schnell mei­ne Songs des Jah­res 2011 (die Alben gibt’s hier):

25. Andre­as Bou­ra­ni – Nur in mei­nem Kopf
Na, da über­rasch ich mich doch mal selbst und fang mit einem deutsch­spra­chi­gen Singer/​Songwriter an! „Nur in mei­nem Kopf“ hab ich geliebt, als ich es das ers­te Mal im Radio gehört habe, und auch mas­si­ve Rota­tio­nen konn­ten dem Lied nicht viel anha­ben. Es wirkt aber zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch wie für mich am Reiß­brett ent­wor­fen: Pia­no­in­tro, Four-To-The-Flo­or-Beat, galop­pie­ren­de Beats, gera­de so viel U2-Anlei­hen, wie ich ertra­ge, und dann noch die groß­ar­ti­ge Zei­le von wegen „alles kaputt­hau­en“. Schö­ne Stim­me übri­gens und sehr schö­nes Video, auch!

24. Death Cab For Cutie – You Are A Tou­rist
„Codes And Keys“, das letzt­jäh­ri­ge Album von Death Cab For Cutie, hat mich nie so rich­tig packen kön­nen. Kein schlech­tes Album, gewiss, aber die Band hat­te schon bes­se­re und mein Indie-Müdig­keit macht sich ein­mal mehr bemerk­bar. Die spek­ta­ku­lärs­te Mel­dung im Bezug auf die Band im ver­gan­ge­nen Jahr war die Nach­richt, dass sich Sän­ger Ben Gib­bard und Zooey Descha­nel schei­den las­sen (und ich mich nicht ent­schei­den kann, wen von bei­den ich lie­ber hei­ra­ten wür­de). ANYWAY: „You Are A Tou­rist“ ist ein schö­ner Song mit einem sehr span­nen­den Groo­ve, der auf der Tanz­flä­che noch bedeu­tend mit­rei­ßen­der ist, als vor dem hei­mi­schen Plat­ten­spie­ler.

23. Lady GaGa – The Edge Of Glo­ry
Wenn man in ein‑, zwei­hun­dert Jah­ren ein Buch über die Geschich­te des Pop schrei­ben wird, wird man an Lady Gaga nicht vor­bei­kom­men. Die Frau schafft es meis­ter­haft, sowohl den intel­lek­tu­el­len Hin­ter­grund des Begriffs „Pop“ aus­zu­fül­len, als auch Songs am Fließ­band raus­zu­hau­en, die genau das sind: Pop. Wenn „Spex“-Leser und Schüt­zen­fest­be­su­cher zur glei­chen Musik tan­zen kön­nen, ist das eine Leis­tung, die zumin­dest die Nomi­nie­rung für den Frie­dens­no­bel­preis nach sich zie­hen soll­te. Wei­te­res Argu­ment für „The Edge Of Glo­ry“: Es ist die letz­te ver­öf­fent­lich­te Auf­nah­me von E‑S­treet-Band-Saxo­pho­nist Cla­rence Cle­mons vor des­sen Tod. Gera­de noch recht­zei­tig, damit eine ganz neue Gene­ra­ti­on von Musik­fans den „Big Man“ ins Herz schlie­ßen konn­te.

22. James Bla­ke – The Wil­helm Scream
„Songs“ sind die wenigs­ten Tracks auf James Blakes phan­tas­ti­schem Debüt­al­bum, Radio-Sin­gles gibt es eigent­lich kei­ne. Aber wenn über­haupt, dann ist „The Wil­helm Scream“ das pop­pigs­te und zugäng­lichs­te Stück. Am aus­schließ­lich in musik­jour­na­lis­ti­schen Tex­ten ver­wen­de­ten Verb „plu­ckern“ führt kaum ein Weg vor­bei, aber es dröhnt, rauscht, zirpt und echot auch ganz gewal­tig unter und über Blakes Fal­sett­ge­sang. Musik wie ein ver­stö­ren­der, aber doch sehr erhol­sa­mer Traum.

21. Jupi­ter Jones – Still
Das Ein­mal-zu-oft-gehört-Phä­no­men im neu­en Gewand: Wenn „Still“ im Radio anfängt, bin ich ein biss­chen genervt. Wenn ich den Song sel­ber auf­le­ge ist es aber immer noch wie im ers­ten Moment: Wow! Allein die­se Bass­li­ne, die glei­cher­ma­ßen Schlag in die Magen­gru­be wie Schul­ter­klop­fen ist! Jupi­ter Jones hat­ten viel­leicht schon bes­se­re, wüten­de­re oder ver­zwei­fel­te­re Tren­nungs­lie­der, aber „Still“ ist auf sei­ne Art schon sehr beson­ders – und beson­ders wahr. Die schöns­te Ver­si­on ist natür­lich die mit Ina Mül­ler.

20. Rihan­na feat. Cal­vin Har­ris – We Found Love
Für Rihan­na gilt ähn­li­ches wie das, was ich gera­de über Lady GaGa geschrie­ben habe. Sie arbei­tet zwar nicht so aktiv selbst an ihrem Gesamt­kunst­werk mit, aber sie ist einer der bestim­men­den Super­stars unse­rer Zeit. Allein die Lis­te ihrer Kol­la­bo­ra­tio­nen deckt die gegen­wär­ti­ge Pop­mu­sik sehr gut ab: Jay‑Z, Kanye West, David Guet­ta, Emi­nem, will.i.am, Jus­tin Tim­ber­la­ke, Ne-Yo und Cold­play ste­hen da zum Bei­spiel drauf. Dies­mal also mit Cal­vin Har­ris, der ein House-Feu­er­werk abbrennt, wäh­rend Rihan­na einen Song von erha­be­ner Schön­heit singt. Ja: „We Found Love“ ist nicht nur cool/​geil/​whatever, son­dern auch schön und soll­te jedem ein­sa­men Men­schen „in a hope­l­ess place“ zwi­schen Dins­la­ken und Bit­ter­feld Hoff­nung machen.

19. Noah And The Wha­le – Tonight’s The Kind Of Night
„Last Night On Earth“, das aktu­el­le Album von Noah And The Wha­le, hat­te ich schon bei den Alben gelobt. „Tonight’s The Kind Of Night“ ist ein per­fek­tes Bei­spiel für die­sen Tech­ni­co­lor-Pop mit sei­nen trei­ben­den Rhyth­men und eupho­ri­sie­ren­den Chö­ren. Und sagt man sich nicht jeden Abend „Tonight’s the kind of night whe­re ever­y­thing could chan­ge“? Eben! Muss ja nicht, aber könn­te!

18. Fos­ter The Peo­p­le – Pum­ped Up Kicks
Ein­mal Indiepop-Som­mer­hit zum Mit­neh­men, bit­te! „Pum­ped Up Kicks“ hat einen schlich­ten Sog, dem man sich nur schwer ent­zie­hen kann. Der Song lief merk­wür­di­ger­wei­se nie in der Wer­bung eines Mobil­funk­an­bie­ters (was eigent­lich sein natür­li­cher Lebens­raum gewe­sen wäre), hat eine Sai­son län­ger zum Hit gebraucht als ange­nom­men und hat dar­über hin­aus noch einen mil­de gewalt­ver­herr­li­chen­den Text, der dem ame­ri­ka­ni­schen MTV zu viel war – aber davon ab ist es auch ein­fach ein sehr schö­ner Song.

17. Jack’s Man­ne­quin – My Racing Thoughts
Hat­te ich schon mal erwähnt, dass kei­ne Band in den letz­ten fünf Jah­ren eine so gro­ße Bedeu­tung für mich hat­te wie Jack’s Man­ne­quin? Gut. So rich­tig genau kann ich näm­lich auch nicht erklä­ren, war­um mir „My Racing Thoughts“ so gut gefällt, beim ers­ten Hören fand ich es näm­lich regel­recht chee­sy. Jetzt aber mag ich es, weil es ein harm­lo­ser, erbau­li­cher Pop­song ist. Und die­ser „she can read my, she can read my“-Part ist toll!

16. Rival Schools – Wring It Out
Nein, ein zwei­tes „Used For Glue“ ist auf dem zwei­ten Rival-Schools-Album nicht ent­hal­ten. Aber fast. „I wan­na wring it out /​ Every oun­ce /​ I wan­na do the right thing, when the right thing counts“ sind doch genau die Zei­len, die man zum Beginn eines Jah­res hören möch­te. Und dann ein­fach rein ins Leben, die rich­ti­gen Din­ge tun, die fal­schen Din­ge tun, aber in jedem Fall jede Unze raus­quet­schen. Was für eine Hym­ne!

15. Mari­ti­me – Parapher­na­lia
Das vier­te Mari­ti­me-Album „Human Hearts“ ist irgend­wie kom­plett an mir vor­bei­ge­gan­gen, aber die Vor­ab-Sin­gle, die hat mich das gan­ze Jahr über beglei­tet. Indie­rock, der nicht nervt, weil er nicht ach so cool sein will, son­dern beschwingt unter­hält. So ein­fach ist das manch­mal.

14. Ade­le – Rol­ling In The Deep
Die Geschich­te mit der Echo-Ver­lei­hung hab ich ja blö­der­wei­se schon bei den Alben erzählt. Muss ich mir jetzt was neu­es aus­den­ken? Ach was! Gro­ßer Song, bleibt groß! Punkt.

13. Exam­p­le – Stay Awa­ke
Auf „Play­ing In The Shadows“ sind fünf, sechs Songs, die alle in die­ser Lis­te hät­ten auf­tau­chen kön­nen. „Stay Awa­ke“ ist es letzt­lich gewor­den, weil die stamp­fen­den House-Ele­men­te (man­che wür­den auch sagen: „die Kir­mes-Ele­men­te“) sonst ein wenig unter­re­prä­sen­tiert gewe­sen wären. Und dann die­ser Refrain: „If we don’t kill our­sel­ves we’ll be the lea­ders of a mes­sed-up gene­ra­ti­on /​ If we don’t kid our­sel­ves will they belie­ve us if we tell them the reasons why“ und der Kon­trast zwi­schen dem Four-To-The-Flo­or-Refrain und den zit­tern­den Dub­step-Stro­phen! Hach, jetzt ’n Auto­scoo­ter …

12. The Naked And Famous – Young Blood
Viel­leicht hab ich mich ver­tan und es war gar nicht „Pum­ped Up Kicks“ der Indiepop-Som­mer­hit, son­dern „Young Blood“. Immer­hin war der Song Jing­le-Musik bei Viva und WDR 2 (!) und lief in gefühlt jeder TV-Sen­dung. Egal, sie können’s ja auch bei­de gewe­sen sein, wobei „Young Blood“ ganz klar über­dreh­ter und char­man­ter und … äh: lau­ter ist. Wegen maxi­ma­ler Pene­tra­ti­on kurz vor ner­vig, aber eben nur vor.

11. Twin Atlan­tic – Make A Beast Of Mys­elf
Die­ser Break nach zwei Sekun­den! Die­ses Brett von Gitar­ren­ge­schram­mel! Die­se ent­spannt vor sich hin groo­ven­den Stro­phen, die sich in die­sen Orkan von Refrain ent­la­den! Und, vor allem: Die­ser nied­li­che schot­ti­sche Akzent, vor allem beim Wort „uni­ver­se“! Mein Punk­rock-Song des Jah­res!

10. Patrick Wolf – The City
Die­ser Song hät­te unter Umstän­den der bri­ti­sche Bei­trag zum Euro­vi­si­on Song Con­test sein kön­nen – und wäre damit einer der bes­ten in der Geschich­te des Wett­be­werbs gewe­sen. Nun ist es „nur“ ein dezent über­dreh­ter Indiepop-Song mit Hand­claps, Saxo­phon, ver­zerr­ten Stim­men und hyp­no­ti­schen Beats.

9. Cold­play – Every Teardrop Is A Water­fall
Sie haben’s schon bemerkt: Wir sind in dem Teil der Lis­te ange­kom­men, wo ich die vor­geb­lich ratio­na­len Argu­men­te weg­ge­packt habe und mehr mit hilf­lo­sen Emo­tio­na­li­tä­ten und „Hach„s um mich wer­fe. Hier toll: Das absur­de Sam­ple, die Rhyth­mus­gi­tar­re, die Lead­gi­tar­re, die gran­dio­se Schlag­zeug­ar­beit von Will Cham­pi­on, der Text und der Moment nach drei Minu­ten, wenn sich alles auf­ein­an­der türmt. Hüp­fen! Tan­zen! Hach!

8. Jona­than Jere­mi­ah – Hap­pi­ness
Mein Jahr 2011 lässt sich in zwei Tei­le tei­len: den vor Jona­than Jere­mi­ah und den danach. Mit „Hap­pi­ness“ fühlt sich mein Leben an wie eine bri­ti­sche Komö­die mit Hugh Grant. I’m going home whe­re my peo­p­le live.

7. Ima­gi­na­ry Cities – Hum­ming­bird
Der Wea­k­erthans-Live­gi­tar­rist Rus­ty Matyas hat mit Sän­ge­rin Mar­ti Sar­bit die Band Ima­gi­na­ry Cities gegrün­det, deren Debüt­al­bum „Tem­po­ra­ry Resi­dent“ im letz­ten Jahr auf Grand Hotel van Cleef erschie­nen ist. So viel zur Theo­rie. Die Pra­xis … ach, hören Sie ein­fach selbst! Was für ein Song!

6. Cold War Kids – Final­ly Begin
Frü­her, als ich noch mit dem Fahr­rad durch die Stadt mei­ner Jugend gefah­ren bin, hab ich manch­mal auf dem Heim­weg die Arme aus­ge­brei­tet, die Augen zuge­macht und bin zur Musik aus mei­nem Walk­man qua­si durch die Nacht geflo­gen. Glück­li­cher­wei­se nie auf die Fres­se, aber das ist schon recht gefähr­lich, Kin­der. Jeden­falls: „Final­ly Begin“ wäre ein Song für genau sol­che Flug­ma­nö­ver. Die­se Gitar­ren! Die­se Har­mo­nien, die offen­bar direkt die Endor­phin­aus­schüt­tung im Hirn anwer­fen kön­nen! Und die­ser Text über über­wun­de­ne Bin­dungs­angst! Für eine Nacht noch mal 16 sein in Dins­la­ken, bit­te!

5. The Moun­tain Goats – Never Quite Free
Wie gesagt: „Never Quite Free“ wur­de Anfang Dezem­ber inner­halb von 48 Stun­den zu einem der meist gehör­ten Songs des Jah­res. Wer braucht schon das Stro­phe/­Re­frain-Sche­ma? Wenn ich Ihre Auf­merk­sam­keit auf die­se Stel­le nach ziem­lich exakt zwei Minu­ten len­ken darf, wo das Schlag­zeug rich­tig los­schep­pert und der Schel­len­kranz ein­setzt: für sol­che Momen­te wird Musik gemacht und für sol­che Momen­te höre ich Musik.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Heart In Your Heart­break
Gera­de beim Tip­pen fest­ge­stellt: Wenn man für jedes „heart“ in Band­na­men und Song­ti­tel einen Schnaps trin­ken wür­de, wäre das ein schö­ner Start in den Abend. Schö­ner wür­de der natür­lich, wenn der Song auch lie­fe, denn es ist ein herr­li­cher Song, der übri­gens auch in der (ansons­ten etwas freud­lo­sen) fünf­ten Staf­fel von „Skins“ zu hören war. (Radio-)DJs has­sen die beun­ru­hi­gend lan­ge Pau­se nach 2:42 Minu­ten, aber ansons­ten kann man die­sen Song natür­lich nur lie­ben.

3. Ed Sheeran – The A Team
„+“, das groß­ar­ti­ge Debüt-Album von Ed Sheeran, das Sie bald auch in Deutsch­land kau­fen kön­nen (und soll­ten!), habe ich mir im Sep­tem­ber im Schott­land-Urlaub gekauft, weil Plat­ten­fir­ma und HMV mich mit ihrer Plat­zie­rungs­po­li­tik gera­de­zu gewalt­sam dazu gedrängt haben. Auf dem Weg zum Flug­ha­fen habe ich es zum ers­ten Mal gehört und ich war nicht direkt ver­zau­bert, was aber auch an dem schot­ti­schen Land­re­gen gele­gen haben mag, mit dem ich auf mei­nem Fuß­marsch noch zu kämp­fen hat­te. Beim zwei­ten Mal jedoch: Was für ein Album! Und was für ein Ope­ner! Zärt­lich, ohne wei­ner­lich zu sein! Schmu­sig, ohne zu lang­wei­len. Ver­glei­che mit deut­schen Singer/​Songwritern ver­bie­ten sich, aber viel­leicht kommt ja auch mal ein Ed-Sheeran-Äqui­va­lent daher.

2. Bon Iver – Cal­ga­ry
Zuge­ge­ben: Das war beim ers­ten Hören schon etwas ver­wir­rend mit die­sen gan­zen Key­board­flä­chen. Aber nur kurz! Jus­tin Ver­non könn­te auch das Tele­fon­buch von Mil­wau­kee sin­gen (und manch­mal habe ich ehr­lich gesagt den Ver­dacht, er wür­de es zwi­schen­durch zumin­dest mal ver­su­chen) und ich wür­de immer noch eine Gän­se­haut bekom­men.

1. Bright Eyes – Shell Games
Anfang April schrieb ich, dass der Pop­song des Jah­res, wenn in den ver­blei­ben­den neun Mona­ten nicht noch ein Wun­der gesche­he, „Shell Games“ sein wür­de, und ich soll­te Recht behal­ten. Es wirkt ein biss­chen, als habe sich Conor Oberst die Pop-Blau­pau­se eines Gregg Alex­an­der vor­ge­nom­men und nur noch ein paar per­sön­li­che Son­der­hei­ten rein­ge­wor­fen. Zur Bil­der-des-Jah­res-Mon­ta­ge in mei­nem Kopf läuft die­ser Song, der auch das Lied­zi­tat 2011 bereit hält: „My pri­va­te life is an insi­de joke /​ No one will explain it to me“.

Hin­weis: Bit­te beach­ten Sie auch dies­mal beim Kom­men­tie­ren wie­der die Regeln.