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Paradigm City (Eine Odyssee)

Nicht gänzlich überraschend endete vor zwei Wochen auch die letzte aller Übergangsfristen im langsamsten aller Bundesländer – und so trat auch im von kolumbianischen Tabakkartellen kontrollierten Nordrhein-Westfalen das in Kraft, was man leichtfertig “Rauchverbot” nennt. In Bochum, immerhin der Kneipenhauptstadt des Ruhrgebiets, hört man von einzelnen Gaststätten, die sich auch dran halten.

Am vergangenen Wochenende weilte ich zu Verwandtenbesuchen in Dinslaken. Die Stadt krankte schon zu meiner Zeit daran, dass man dort eigentlich nichts anderes tun kann als sich zu betrinken, es aber keine geeigneten Lokalitäten für derartige Pläne gibt. Am Samstagabend hatte ich aber einige liebe Menschen um mich gesammelt und gemeinsam fühlten wir uns unbesiegbar für unser Vorhaben: Jetzt, wo nirgends mehr geraucht werden darf, wollten wir endlich mal eine Kneipentour durch all die Schuppen machen, in die wir uns bisher nicht hineingetraut hatten.

Um den halbherzigen Versuch eines Spannungsaufbaus direkt an dieser Stelle abzuwürgen: wir sind gescheitert. Kläglich. Mit wehenden Segeln, Pauken und Trompeten. Es begann nämlich schon mal damit, dass die Sommerferien keine gute Zeit für Kneipentouren sind. Gut die Hälfte der Gaststätten auf unserer imaginären Liste begrüßte uns mit geschlossenen Rollläden und dem Hinweis auf ausgedehnte Betriebsferien. Immerhin: die Vorstellung, dass sämtliche Altherrenkneipenwirte der Stadt einen gemeinsamen Kegelurlaub verbrachten, die hatte was.

Die nächsten Läden, die wir passierten, waren inzwischen in Raucherclubs umgewandelt worden. Damit schieden sie für unser Vorhaben der rauchfreien Kneipentour natürlich aus und auch sonst werde ich jetzt weder den einen noch den anderen Schuppen jemals von innen zu sehen bekommen – was angesichts dessen, was man schon von außen sehen kann, allerdings aufs Heftigste begrüßt werden muss. Auch auf die Gefahr hin, den Ruf sämtlicher Dinslakener Innenarchitekten für immer zu zerstören: Kneipen, die wie die Gastronomiezeile eines Sonnenstudios aussehen, gehen gar nicht!

Nach zwanzig Minuten Rumgegurke auf nicht ganz verkehrssicheren Fahrrädern durch eine glücklicherweise verkehrsfreie Innenstadt (in der es nach dem Hochklappen der Bürgersteige übrigens nach Pferdemist riecht) blieben noch genau zwei Lokale übrig: die über die Grenzen der Stadt bekannte “Szenekneipe” “Ulcus” und das Lehrer-in-Lederwesten-trinken-Rotwein-Lokal “Zur Adler-Apotheke”.

Der “Ulcus” ist die vermutlich einzige Szenekneipe der Welt, in der junge Menschen beim Weggehen auf ihre eigenen Eltern treffen können, dafür wird Service dort in bester Berliner Szenekneipen-Tradition klein geschrieben (und das nicht nur, weil es sich dabei ursprünglich um ein englisches Wort handelte). In bester Verkennung des Gesetzestextes hatte man dort einen kleinen Nebenraum zur Nichtraucherzone erklärt, was witzigerweise dazu führt, dass man, wenn man in die Nichtraucherzone, auf Toilette oder zur Theke (Sie erinnern sich: Service) will, durch den vollgequalmten Hauptraum muss. Immerhin liegt der Nichtraucherbereich ein bisschen niedriger, so dass der Qualm einigermaßen draußen bleibt – eine Tür oder wenigstens einen Vorhang gibt es nämlich auch nicht. Das Argument, die meisten Gäste wollten ja rauchen, sollte jetzt besser niemand bringen, denn der Nichtraucherraum war voll, während wir im Raucherraum immerhin noch eine halbe Bank hätten besetzen können. Wollten wir aber nicht.

Also die “Apotheke” – wie der Name schon sagt eine alte Apotheke mit einer Inneneinrichtung aus der Kaiserzeit und viel Liebe zum Detail. Dass auch hier im Hauptraum (Theke, Eingang, Durchgang zu den Toiletten) geraucht werden darf und wir auf Anhieb gar keinen Nichtraucherraum erspähen konnten, war uns zu diesem Zeitpunkt egal. Wir hatten Durst und müde Knochen. Wir verbrachten einen netten Abend und die Bedienung war freundlich.

Das mit dem Rauchverbot aber, das scheint in Dinslaken noch in weiter Ferne zu liegen. Vielleicht hätte das Ordnungsamt nicht vorab in der Presse verkünden sollen, dass man eh nicht kontrollieren werde …

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Digital

My City Of Ruins

Die folgenden beiden Meldungen stehen in keinerlei Kontext zueinander (nehme ich an). Sie zeigen nur die Bandbreite der Ereignisse, mit denen sich eine sympathische Kleinstadt am rechten Niederrhein zur Zeit so herumschlagen muss:

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Dinslakener Sozialdezernenten

und

Mitten in Dinslaken: Warum läuft diese Nackte durch die City?

(Sie sorgen allerdings auch dafür, dass ich die Frage, wo ich denn herkomme, voller Stolz mit … äh: “Bochum” beantworten kann.)

Nachtrag, 11. Juli, 01:50 Uhr:

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Das Kaiserreich verliert (mal wieder)

Ach ja, liebe “WAZ” in Bochum, wie war das noch mal mit der deutschen Fahne?

Ab 18.30 Uhr wurde es eng. Auch hier alles schwarz-weiß-rot gestimmt, spanische Trikots und die rot-gelbe Flagge der Iberer sah man nur vereinzelt.

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Leben

Ich kaufe mir eine Hose und gehe mit niemandem essen

Ich brauchte eine neue kurze Hose. Nein, das ist falsch: niemand über 18 braucht eine kurze Hose, wenn er nicht gerade im Urlaub oder Fußballprofi ist. Ich wollte aber für den Privatgebrauch trotzdem eine kurze Hose haben, die ich bei großer Hitze in der Wohnung tragen kann.

Diese doch recht schlichte Ausgangskonstellation erwies sich recht schnell als einigermaßen problematisch. Der Kauf neuer Kleidungsstücke, die keine T-Shirts oder Socken sind, bereitet mir immer großes Unbehagen. Ich verbringe oft mehrere Tage in Geschäften und finde doch nichts. Meine Schuhe werde ich tragen, bis sie mir von den Füßen fallen.

Ich hätte mir auch kaum eine schlechtere Saison für meinen Investitionsversuch aussuchen können, denn die vorherrschenden Trends haben mit meinem Geschmack in etwa so viel zu tun wie meine Frisur mit den aktuellen Moden. Die Unsitte, eigentlich okaye Kleidungsstücke mit wahllosen Zahlenfolgen und barocken Ornamenten zu bedrucken, ist noch lange nicht abgerissen, und Taschen werden auf kurzen Hosen nach wie vor zahlreich untergebracht, nicht aber an den Stellen, wo sie sein sollten. Meine Frage, wer zum Henker denn Hosen trüge, auf denen ein österreichischerer Doppelkopfadler und eine französische Königslilie prangen, und an die etwa 17 Taschen, Laschen und Schlaufen angenäht sind, wurde leider alsbald wortlos beantwortet. Mit solchen Menschen wollte ich nichts gemein haben.

Außerdem scheinen dieses Jahr Hosen in Mode zu sein, die bereits über dem Knie enden. Das geht bei mir aus vielerlei Hinsicht nicht: erstens prangt auf meinem rechten Knie die unschöne Narbe eines Badeunfalls, zweitens sind meine Beine so kurz, dass Hosen, die bei normalen Menschen über dem Knie enden, bei mir genau bis zur Mitte der Kniescheibe reichen, und drittens will ich einfach keine Hosen, die so viel Bein zeigen. Meine Beine sind hässlich genug, je weniger man davon sieht, desto besser.

Meine Begleiterin erwies sich als deutlich härter im Nehmen, als ich es war: sie schleppte mich in immer noch einen Laden und wenn ich angesichts belegter Umkleidekabinen schon wieder gehen wollte, hielt sie mich an der Jacke fest und zwang mich zu weiteren Anproben. Schließlich hatte ich tatsächlich eine Hose gefunden, die für meinen Geschmack lang genug war, gut saß, nicht zu viele alberne Taschen in Kniehöhe hatte und angenehm leicht war. Der Preis war zwar so hoch wie für normale, ganze, also lange Hosen, lag aber noch unter der mir selbst auferlegten Höchstgrenze.

Es blieb das Problem der Farbe: möglicherweise gibt es auch für Modekonzerne Quoten, einen bestimmten Prozentsatz Schwerbehinderte einzustellen. Aber müssen es ausgerechnet Blinde sein, die dann in der Designabteilung arbeiten? Die an sich tolle Hose war im Modefarbton “Schlamm” gehalten, war also nach menschlichen Maßstäben braun, was eher so indirekt eine Farbe ist. Was man denn dazu bitte tragen solle, fragte ich entgeistert die freundliche Verkäuferin. Beige ginge sehr gut (ich war nicht beim Afrikakorps), weiß (habe ich wenig, weil’s schnell dreckig wird), grün (hab ich nur als Gladbach-Trikot, dessen schwarz wiederum nicht zum Braun passt) oder hellblau (gut, dass ich ein Junge bin). Ich ging im Geiste meinen Kleiderschrank durch, wie mir die Dame geraten hatte, und kam zu dem Schluss, dass meine Waschmaschine und das von mir benutzte Waschmittel den Farbton schon nach drei Wäschen in ein schmuckes Grau-Anthrazit-Staubfarben verwandeln würde, und kaufte das gute Stück.

Jetzt muss ich nur noch in Urlaub fahren.

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Leben

Highway To DHL

Die im folgenden geschilderte Geschichte ist natürlich nur ein Einzelfall.

So wie der, der mir im letzten Jahr passiert ist, oder der, den Anke Gröner vor zwei Wochen beschrieben hat.

12. Mai
Ich bestelle ein Buch bei Amazon.

13. Mai
Amazon teilt mir per E-Mail mit, dass das Buch abgeschickt wurde:

Lieferung voraussichtlich: 15-Mai-2008

14. Mai
Nachdem ich den ganzen Tag zuhause war, stelle ich am Nachmittag fest, dass der DHL-Bote eine Benachrichtigungskarte in meinen Briefkasten geworfen hat, ohne auch nur geklingelt zu haben.

15. Mai
Über das Kontaktformular der DHL-Website schreibe ich eine Reklamationsnachricht, in der ich mich über das Verhalten des DHL-Boten beschwere und um eine Neuzustellung bitte.

17. Mai
Da DHL bisher (wie erwartet) nicht auf meinen Kontaktversuch reagiert hat, kreuze ich auf der Benachrichtigungskarte “Wiederholung des Zustellversuchs” an und wünsche mir eine Zustellung am 21. Mai. Die Karte werfe ich (leider keine Marke zur Hand) in den nächsten Briefkasten.

21. Mai
Es klingelt zwei Mal an der Haustüre, ich betätige zwei Mal den Türöffner. Da niemand zu meiner Wohnung kommt, gehe ich davon aus, dass es der Postbote war, der ins Haus wollte, um die hinter der Haustür befindlichen Briefkästen zu befüllen.

Als ich das Haus verlasse, sehe ich außen an die Haustür geklebt meine Benachrichtigungskarte mit dem Hinweis “2. Zust. ERFOLGLOS”.

Nachdem meine Halsschlagader wieder abgeschwollen ist, wende ich mich mit folgenden Fragen an die Pressestelle von DHL:

1. Hat sich der Zusteller bei den beiden Zustellversuchen gemäß der Firmenphilosophie verhalten? Wäre er zu einer Zustellung an der Wohnungstür (4. Stock, Fahrstuhl) verpflichtet, oder ist der Zustellversuch an der Haustür (ohne Gegensprechanlage) ausreichend?
2. Gibt es eine Regelung, nach der Päckchen nicht mehr (wie früher üblich) bei den Nachbarn abgegeben werden sollen oder obliegt die Entscheidung darüber dem Zusteller?
3. Wie lange dauert üblicherweise die Beantwortung eines Kontaktversuchs über die Internetseite von DHL?
4. DHL wirbt auf der Homepage mit dem Siegel als “Computer-Bild Testsieger”. Entspricht das Verhalten des Zustellers dem Ruf des Unternehmens?
5. Wie kann ich sichergehen, dass mir Päckchen auch wirklich zugestellt werden, und ich nicht erst eine Woche warten und dann noch zu einer abgelegenen Postagentur fahren muss?

22. Mai
Feiertag in NRW.

23. Mai
Unter Einsatz von Bussen ((Der Bus, der einmal pro Stunde verkehrt, kommt fünf Minuten zu spät, bei seiner Ankunft steigt der Busfahrer aus, um eine Zigarettenpause zu machen.)) und Straßenbahnen (man kennt seine Heimatstadt ja sowieso immer viel zu wenig) fahre ich zur “Postagentur”, die in einem Bekleidungsgeschäft in Altenbochum untergebracht ist.

Nach längerer Suche bekomme ich mein Päckchen, der Mann am Schalter bedauert meine Unannehmlichkeiten, für die er selbst ja gar nichts kann. Das ganze Vorhaben kostet mich eine Stunde meines Lebens.

26. Mai
Immer noch keine Reaktion von der DHL-Pressestelle. Teile meiner Fragen kann ich mir aber mithilfe der “Allgemeine Geschäftsbedingungen der DHL PAKET/ EXPRESS NATIONAL” auch selbst beantworten:

Ist der Zustellversuch an der Haustür ausreichend?

4 Leistungen der DHL
(1) DHL befördert die Sendungen zum Bestimmungsort und liefert sie an den Empfänger unter der vom Absender genannten Anschrift ab. DHL unternimmt dabei zwar alle zumutbaren Anstrengungen, um die Sendung innerhalb der Zeitfenster entsprechend ihren eigenen Qualitätszielen (Regellaufzeiten) abzuliefern.

Gibt es eine Regelung, nach der Päckchen nicht mehr (wie früher üblich) bei den Nachbarn abgegeben werden sollen?

(3) DHL darf Sendungen, die nicht in der in Absatz 2 genannten Weise abgeliefert werden können, einem Ersatzempfänger aushändigen. […]
Ersatzempfänger sind
1. Angehörige des Empfängers oder des Ehegatten, oder
2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie dessen Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind; EXPRESS BRIEFE werden nicht an Hausbewohner und Nachbarn ausgehändigt.

28. Mai (Nachtrag)
In meinem Briefkasten finde ich einen Brief von DHL, datiert vom 26. Mai. Was drin steht, steht hier.

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Digital

Mitbewohner 2.0

Ich bin ja ein großer Freund des Internets und des Web 2.0. Ich denke, dass man dort tendenziell alles finden kann: Fußballergebnisse, Kuchenrezepte, lustige Videos und den Partner fürs Leben.

Nun aber will ich das weltweite Datennetz auf eine harte Probe stellen: Ich suche einen neuen Mitbewohner für unsere Dreier-WG in Bochum!

Falls Sie also Student an einer der Bochumer Hochschulen sind und ein Zimmer suchen, oder Sie jemanden kennen, der Student an einer der Bochumer Hochschulen ist und ein Zimmer sucht: hier geht’s lang.

Für alle anderen ist es vielleicht wenigstens interessant zu sehen, ob diese doch sehr moderne Form der Mitbewohnersuche funktioniert. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten!

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Musik

Rockin’ The Suburbs

Im Spätherbst 1999 gingen Ben Folds Five, die Band, die ich gerade und bis ans Ende aller Tage zu meiner Lieblingsband ernannt hatte, in Deutschland auf Tour – im Auftrag des “Rolling Stone” und gemeinsam mit Travis, die ich wenig später zu einer meiner absoluten Lieblingsbands ernannte, und Gay Dad. Da Köln und Münster für sechzehnjährige Dinslakener unendlich weit waren, ging ich auf keines der Konzerte und dachte: “Die kommen schon wieder.”

Ein Jahr später hatten sich Ben Folds Five aufgelöst und Ben Folds kam das nächste Mal im Sommer 2005 nach Deutschland. Möglich geworden war das durch die “Ben Folds Society”, die Unterschriften für eine Rückkehr des Pianorockers nach Deutschland gesammelt hatte. Und natürlich war ich bei beiden Konzerten dabei, auch wenn das bedeutete, sowohl nach Berlin, als auch nach Köln reisen zu müssen. Im vergangenen Jahr war ich immerhin bei seinem Konzert in Köln dabei.

Dieses Jahr muss ich Ben Folds nirgendwohin hinterherfahren müssen, dieses Jahr spielt er einen Steinwurf von mir entfernt: in der Zeche in Bochum.

Alle Tourdaten:
30.06.2008: Hamburg, Grünspan
02.07.2008: Bochum, Zeche
03.07.2008: Mannheim, Alte Feuerwache
05.07.2008: Bonn, Rheinkultur-Festival

Feiern wollen wir diese gute Nachricht mit Folds’ Version eines meiner Lieblingslieder:

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[Direktlink: “Such Great Heights”]

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Gesellschaft

Wie schon St. Peter Lustig immer sagte

Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Osterfest!

Die Karwoche ist immer die Zeit des Jahres, zu der ich katholisch werde. Sonst bin ich nie katholisch, schon gar nicht so getauft, und den Papst und das alles finde ich natürlich sowieso nicht gut. Aber ich mag die Showelemente, die die katholische Kirche dem Protestantismus voraushat ((Streng genommen gibt es den Protestantismus ja unter anderem genau deshalb, weil diese Showelemente wenig mit dem Glauben an sich zu tun haben, aber ich möchte hier weder Martin Luther erklären, noch in längere Religionsphilosophien abdriften.)) – ich gehe ja auch auf Robbie-Williams- und Killers-Konzerte – und Show gibt es eben an Palmsonntag und in der Osternacht.

Karfreitag verzichte ich aus mir selbst nicht nachvollziehbaren Gründen ((I guess that’s why they call it religion.)) auf Fleisch und Alkohol. Gleichwohl hätte ich kein Problem damit, wenn jemand vor meinen Augen ein halbes Schwein verspeisen oder ein Fass Wein leeren würde. Ich würde auch am Karfreitag “weg gehen”, gerne auch auf Konzerte. Zuhause wäre dies kein Problem: Außerhalb Bayerns können die Kommunen selbst entscheiden, ob sie das “Tanzverbot”, das an den sogenannten “Stillen Tagen” gilt, aufheben wollen. In Bochum will man das offenbar seit längerem und die reichlich besuchten Gothic- und Metalparties sprechen für eine große Nachfrage. ((“Vier Tage Familienfeier ohne zwischenzeitlichen Ausgang” stehen auf George W. Bushs “Liste mit den Nicht-Folter-Methoden, die wir erproben sollten, falls wir Waterboarding jemals verbieten sollten” ziemlich weit oben.)) In Dinslaken ginge es nicht: Als regiere im Kreis Wesel der Pietcong, sind öffentliche Tanzveranstaltungen, der Betrieb von Spielhallen, Märkte, Sportveranstaltungen und die Vorführung nicht “feiertagsfreier” Kinofilme dort verboten – und zwar schon ab Gründonnerstag, 18 Uhr. Da kann man als Mensch, der an die Trennung von Staat und Kirche glaubt, schon mal nervöse Zuckungen im Gesicht kriegen.

Wenn der Staat Tanzveranstaltungen verbietet und gleichzeitig im Fernsehen Mord und Totschlag stattfinden, kann der Bürger die Plausibilität von staatlichen Regelungen nicht mehr nachvollziehen

sagte deshalb Bischof Gebhard Fürst, meinte das nur völlig anders als ich. Im katholischen Festttagskalender fest verankert ist nämlich seit einiger Zeit die Medienschelte zum Feiertagsprogramm: “Zu brutal, zu lustig, zu wenig familientauglich”, rufen dann der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz oder der Vorsitzende des medienpolitischen Expertenkreises der CDU ((Was lustigerweise ausgerechnet Günther Oettinger ist.)) erschüttert aus und werfen die Hände zum Himmel, so wie Pfarrer das in Fünfziger-Jahre-Schwarzweiß-Filmen immer machen, wenn der Satan in Form von Peter Kraus und seiner Rock’n’Roll-Kapelle ins Dorf kommt.

Während der Papst – über den Bernward Loheide von dpa übrigens letzte Woche einen sehr lesenswerten Bericht geschrieben hat – zum Osterfest 2008 so einiges unternahm, um sowohl Juden als auch Moslems vor den Kopf zu stoßen, soll also das deutsche Fernsehen unverfängliche Familienunterhaltung senden für eine Zuschauerschaft, die Ostern sicher nicht vor dem Fernseher, sondern mit der Familie beim Essen oder in der Kirche verbringen wollten? Aha. ((Nickeligkeiten wie die Behauptung, die zwanzigste Wiederholung von “Stirb Langsam” habe mehr Zuschauer gehabt als die Kirchen an Ostern Gottesdienstbesucher, spare ich mir schon aus Faulheit, die tatsächlichen Zahlen herauszusuchen. Außerdem liegt es mir fern, mich über Leute lustig zu machen, die in die Kirche gehen. Ich wäre nämlich auch in der (natürlich katholischen) Kirche gewesen, war aber im Urlaub.))

Reflektierter klang da der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der in seiner Osterpredigt Medienkompetenz einforderte, aber gleichzeitig klarstellte, dass jeder die Freiheit habe, sich bestimmte Dinge nicht anzuschauen und abzuschalten. Und das ist ein so weiser Gedanke, dass er auch Carsten Matthäus als Schlusssatz seines sehr lesenswerten Kommentars bei sueddeutsche.de diente. Eben “Abschalten”, wie schon St. Peter Lustig immer sagte.

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Politik Gesellschaft

Alle Räder stehen still

Gewerkschafter in San Francisco, CA

Heute brauche ich die Wohnung nicht zu verlassen, denn im Bochumer ÖPNV sieht es aus, als wären Weihnachten, das Fußball-WM-Finale Deutschland – Holland, ein Schneesturm, ein Stromausfall und eine Sonnenfinsternis auf einen Tag gefallen: Nichts geht mehr.

Glücklicherweise muss ich heute weder zur Uni noch mit irgendwelchen tollen Frauen in noch tollere Kinofilme, denn sonst wäre ich SEHR, SEHR ANGEKOTZT. Meine Solidarität und mein Mitgefühl werden nämlich nicht in einer Währung erkauft, die “mir auf die Nerven gehen” heißt. ((Größte Sympathien kann erwarten, wer mich in Frieden lässt. Die Weltpolitik sollte meinem Beispiel folgen.))

Streiken tun Ver.di und Komba, was nicht etwa lustige Figuren aus lehrreichen Serien beim KiKa sind, sondern Gewerkschaften. Gewerkschaften, das weiß ich seit meinem achten Lebensjahr, sind böse: Sie werden geführt von Menschen, die so lustige Namen wie Monika Wulf-Mathies oder Frank Bsirske tragen, und wenn sie mal schlecht gelaunt sind, wird der Müll wochenlang nicht abgeholt und es laufen Ratten über den Schulhof. Am 1. Mai, wenn normale Menschen ausschlafen, laufen sie mit selbstgemalten Transparenten durch die Straßen und wollen Geld.

Warum die Gewerkschaften das diesmal wollen, war mir bis gestern nicht so ganz klar. Jens musste es mir bei der pl0gbar erklären und war so freundlich, diese Erklärung gleich auch noch mal bei sich zu bloggen. Von Seiten der Gewerkschaften hatte ich bisher nur einen Zettel in der U-Bahn gesehen, auf dem stand, dass man als alleinstehender Straßenbahnfahrer zum Berufseinstieg einen Hungerlohn von 1.200 Euro netto bekomme, was für mich jetzt irgendwie nicht allzu dramatisch klang. Auch der Website von Ver.di oder dieser Kampagnenseite konnte ich allenfalls entnehmen, dass die Gewerkschafter mehr Geld wollen. Das will aber jeder, weswegen ich ein paar kleine Erklärungen ganz töfte gefunden hätte.

Deshalb fordere ich: PR-Berater in die Gewerkschaften!

Was ein Müllmann, ein Busfahrer, eine Bibliothekarin macht, weiß ich selbst – ich möchte wissen, warum sie mehr Geld wollen – und da finde ich “Weil sie in den letzten Jahren immer weniger Geld gekriegt haben”, schon eine ziemlich nachvollziehbare Begründung. Ich wette nur, wenn man heute Morgen einhundert entnervte Pendler befragt hätte: “Nennen Sie einen Grund, warum Sie heute nicht zur Arbeit gefahren werden!”, wäre “Reallohnverluste in den vergangenen Jahren” nicht die Top-Antwort gewesen.

Locker verteilte Warnstreiks sind nur ärgerlich: Wenn Montags die Kindergärtnerinnen streiken, Dienstags die Busfahrer und Mittwochs die Müllabfuhr, hat die Bevölkerung jeden Tag einen Grund sich zu ärgern und total unsolidarisch drauf zu sein. Wie wäre es denn mal mit einem ordentlichen, alles lähmenden Generalstreik? Man müsste sich keine Gedanken mehr machen, wer die Kinder versorgt und wie man zur Arbeit kommt, man könnte mit den Kleinen gemütlich zuhause sitzen, Kakao trinken und ihnen die Ratten in den Müllbergen im Vorgarten zeigen. Frankreich und Italien sind berühmt für ihre Generalstreiks und die Deutschen sind doch sonst immer so vernarrt in Merlot, Latte Matschiato und Brusketta, warum nicht mal einen schicken Generalstreik importieren? Danach wüssten alle, wo überall Menschen arbeiten, die mehr Geld verdient hätten, ((Ist es nicht völlig bizarr, dass man in der deutschen Sprache weniger Geld verdienen kann als man verdient hätte?)) und es wäre ein bisschen wie Urlaub mitten im Jahr. Die Straßen wären nicht verstopft (auch Gewerkschaften sollten sich dem Umweltschutz nicht verschließen) und alle würden einander mögen und toll finden.

Stattdessen: In Mülltüten gekleidete Schnauzbartträger, die hinter einem brennenden Fass stehen und in Trillerpfeifen blasen. So zwanzigstes Jahrhundert, so SPD, so nicht 2.0.

Natürlich kann es sein, dass dies ein überkommenes Klischee ist oder in Gewerkschaftskreisen als Folklore im Sinne von Karneval, Fußball oder Volksmusik gilt, aber es ist immer noch das bestimmende Bild in den Medien. Was letztlich auch daran liegen könnte, dass Medienkonzerne letztlich auch in Gewerkschaften organisierte Angestellte haben, und deshalb wenig Wert darauf legen, dass Streikende sympathisch rüberkommen.

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Musik

Everybody in the house of love

Leider habe ich heute Abend schon eine Verabredung mit der Hochkultur, sonst könnte ich mir in meiner Heimatstadt doch glatt das Comeback des Jahres ansehen. In einem mir unbekannten Bochumer Tanzschuppen wird die Band auf der Bühne stehen, die in meiner Musiksozialisation den Zeitraum zwischen der Münchener Freiheit und den New Radicals bestimmt hat: East 17.

Mitte der Neunziger bestimmte die Frage “Oasis oder Blur?” die britische Musikszene. Die andere zentrale Frage für die etwas jüngeren und/oder ahnungsloseren lautete: “Take That oder East 17?”. Und während es heutzutage völlig okay ist, Take That gut gefunden zu haben (ihr Comeback-Album muss man ja gar lieben), “gehen” East 17 rückblickend “gar nicht” – sagen zumindest alle.

Ich mochte die Band damals und die Erinnerung an diese Zeit lässt es auch heute noch nicht zu, ihre Musik scheiße zu finden. Ich war im Besitz einer dieser aus der “Bravo” zusammengeklaubten und hingeschluderten (heute würde man die Wikipedia nehmen) Bandbiographien und während ich lange Jahre dachte, “Postcards From Heaven” der Lighthouse Family wäre mein erstes selbstgekauftes Album gewesen, muss ich diese Information nach weiterer Inaugenscheinnahme meiner CD-Sammlung korrigieren: es war “Up All Night” von East 17.

Ich habe East 17, die schließlch nur noch E-17 hießen (was sie, wie der Kenner weiß, natürlich schon getan hatten, bevor sie East 17 hießen) und nur noch zu dritt waren, irgendwann aus den Augen verloren. Von 1996 bis 1998 war mein Interesse an Kinofilmen und deren Scores größer als das an Popmusik. Was ich noch mitbekam war, dass das Trio noch ein Album veröffentlichte und sich dann auflöste. Sänger Brian Harvey war vor einigen Jahren Kandidat bei “I’m a Celebrity … Get Me Out of Here!” und schaffte es, von seinem eigenen Mercedes überfahren zu werden, während er am Steuer saß. In einem Plattenladen hatte ich neulich ein Best Of der Band in der Hand, das etliche Jahr jünger war als ihr Best Of bei mir im Regal, aber die gleichen Songs enthielt.

Heute Abend stehen East 17 also als East 17, aber weiterhin ohne Tony Mortimer, den coolen Rapper, auf der Bühne des “Rombach’s” in Bochum. Ich bin ganz froh, dass ich was anderes vorhabe.

PS: East 17s größter Hit war natürlich “Stay Another Day”, den ich auch heute noch komplett mitsingen kann. Ein wenig kredibiler ist das natürlich bei der Coverversion von Maps, die man sich hier herunterladen kann.

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Politik Gesellschaft

Hier könnte Ihre Metropole stehen

Nördliches Ruhrgebiet von der Zeche Zollverein aus

Ich mag das Ruhrgebiet, wirklich. Ich lebe gerne hier und finde vieles in einem konventionellen, gar nicht ironischen Sinne “schön”. Neben ein paar kleineren Macken, die man in jeder Gegend finden könnte, hat das Ruhrgebiet aber ein paar eklatante Probleme, die existenzbedrohend sein können.

Damit meine ich noch nicht mal “DerWesten”, das lange und groß angekündigte, in der Umsetzung aber desaströse Online-Portal der WAZ. Zwar bin ich der Meinung, dass sich die WAZ-Gruppe vielleicht erst mal auf ihre Kernkompetenzen besinnen (bzw. solche aufbauen) sollte, bevor man sich an Konzertagenturen beteiligen will, und auch über die geplante Kooperation mit dem WDR werde ich mich zu gegebener Zeit sicherlich noch aufregen, “DerWesten” selbst habe ich aber völlig abgeschrieben und will mich am Einprügeln auf derart weiche Ziele auch nicht mehr beteiligen.

Reden wir lieber vom Ruhrgebiet selbst: Bei ruhrbarone.de gibt es einen sehr lesenswerten Artikel über das Image-Problem des Ruhrgebiets, das unter anderem auch daraus resultiert, dass die größte Metropolregion Deutschlands (und fünftgrößte Europas – allerdings mit Köln und Düsseldorf) nach wie vor als unübersichtliches Wirrwarr von 56 Städten und Kreisen wahrgenommen wird und sich tragischerweise auch noch selbst so wahrnimmt.

Im Ruhrgebiet leben 5,2 Millionen Menschen – aufgeteilt in drei Regierungsbezirke, von denen der eine nach einer Kleinstadt im Sauerland benannt ist, zwei Landschaftsverbände, vier Kreise, elf kreisfreie Städte, mindestens drei WDR-Landesstudios und ungezählte Nahverkehrsunternehmen. Der Regionalverband Ruhr (RVR) soll das ganze halbwegs zusammenhalten – wenn nicht gerade die nicht ganz unbedeutende Stadt Dortmund aussteigen und lieber Hauptstadt der westfälischen Provinz als Teil einer Metropole sein oder der Kreis Wesel lieber niederrheinische Provinz als grüne Lunge der Region sein will. Die SPD, die es in gefühlten hundert Jahren in der NRW-Landesregierung nicht geschafft hat, das Ruhrgebiet zusammenzubringen, will den RVR gar gleich ganz auflösen.

Fragt man Menschen aus Brandenburg nach ihrer Herkunft, werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit “Berlin” antworten. Wer im Umkreis von etwa hundert Meilen um Städte wie New York, Chicago oder Los Angeles lebt, wird sich als Einwohner dieser (zugegebenermaßen extrem namhaften) Metropolen fühlen. Im Ruhrgebiet leben Menschen, die darauf bestehen, aus einem seit 33 Jahren unselbständigen Stadtteil Bochums zu kommen, und ein lautes Wehklagen anstimmen, wenn sich das irgendwann auch mal in der Bahnhofsbeschilderung niederschlagen soll. Kein Wunder, dass im Ausland noch nie jemand vom Ruhrgebiet gehört hat und man immer “I live near Cologne” sagen muss. Köln hat außer seinem wunderbaren Dom keinen Grund, in der Welt bekannt zu sein – im Ruhrgebiet gibt es wenigstens Bier und fünf Mal so viele Leute.

Schafft es das Ruhrgebiet in die Nachrichten, sind gerade wieder ein paar Tausend Arbeitsplätze in Gefahr oder weggefallen und irgendein Oberbürgermeister, den nicht mal die Einwohner der Nachbarstadt kennen, spricht von einem “schweren Schlag” für seine Stadt und die dortige Wirtschaft. Wahrlich beeindruckend ist die Solidarität unter den Menschen hier: Da wird man als Besucher des Bochumer Schauspielhauses gebeten, Protestpostkarten an die Nokia-Führung in Finnland auszufüllen, und die allermeisten machen das einfach. Zu Demonstrationen am Nokia-Werk kommen tausende Leute mit unterschiedlichsten Berufen und sozialen Hintergründen, aber es klappt nicht, diese “Wir schaffen das!”-Stimmung über die Medien zu transportieren – dort heißt es dann, eine ganze Stadt stehe am Abgrund. Überhaupt: Wie wirkt denn das, wenn von “Nokianern” oder “Opelanern” die Rede ist, ganz so, als ginge es um außerirdische Lebensformen oder schlimme Krankheiten? Entlassene Simens-Mitarbeiter heißen doch auch “Siemens-Mitarbeiter”.

Zwar werden regelmäßig neue Forschungszentren, Industrieparks und ähnliches eröffnet (und manchmal auch wieder geschlossen), aber das wird selbst in der regionalen Presse immer unter einem Rubrum wie “IT statt Kohle” aufgeführt, ganz so, als liefen hier immer noch alle mit schwarz verschmierten Gesichtern durch staubige Straßen und würden gerade ihre erste elektrische Schreibmaschine anschließen. Fast scheint es, als wolle man den gerade stattfindenden Strukturwandel verschweigen, weil es immer noch besser ist, der “Kohlenpott” zu sein als so ein eigenschaftsloser Wachstumsraum wie Halle/Leipzig.

Dafür wird das Ruhrgebiet ja europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2010, mag man jetzt denken. Die Hoffnungen, dass von dieser Veranstaltung irgendein positiver Impuls ausgehen könnte, habe ich allerdings so gut wie begraben. Zwar ist es in Deutschland guter Brauch, alles im Vorhinein scheiße zu finden und es hinterher zu bejubeln (Weltausstellungen, Fußballweltmeisterschaften, Die Linke), aber in diesem Fall deutet vieles darauf hin, dass die “Ruhr.2010” in der Tat ein Desaster ungeahnten Ausmaßes werden könnte. Djure hat bei blog.50hz.de viel über den sog. Logostreit, den Slogan und die Finanzierung geschrieben und sich trotz optimistischer Ausgangshaltung inzwischen zur Forderung “Absagen, einfach absagen …” hochgearbeitet.

Wie gesagt: Ich mag das Ruhrgebiet. Aber ich habe das Gefühl, die Leute, die in dieser Region etwas zu sagen haben, hassen die Idee dahinter. Und die Leute, die hier leben, merken gar nicht, dass sie im Ruhrgebiet leben.

Universitätsstraße in Bochum
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Musik Leben

In Bochum riecht der Frühling nach Bratwurstbude

Ich habe heute (also gestern) Frühjahrsputz gemacht. Mein Zimmer hatte in ohrenbetäubender Lautstärke, schriller Stimmlage und in den hässlichsten Dialekten der mir bekannten Sprachen danach geschrien. Durch eine geschickte, mir immer noch nicht vollständig verständliche Umschichtung ist es mir gelungen, die Bücher so im Regal zu verteilen, dass die allermeisten von ihnen aufrecht stehen – die seit anderthalb Jahren vorherrschende Stapelung war schon lange nicht mehr haltbar gewesen. Außerdem habe ich die DVD-Sammlung aus dem Bücherregal unter den DVD-Player verfrachtet und die dort lagernden Bücher lieber ins Regal gestellt.

Nebenbei habe ich den Kühlschrank unserer WG abgetaut. Dies hatte man (ich) zuletzt vor zwei Jahren gemacht und wenn mir jemand erzählen will, das ewige Eis bilde sich rapide zurück, dann soll dieser jemand mal einen Blick in unsere Badewanne werfen, wo die letzten Eisschollen gerade Richtung Abfluss treiben. Nochmal werde ich diese Arbeit in dieser Küche hoffentlich nicht machen müssen – der Kühlschrank meiner dann Ex-Mitbewohner wird also nach meinen Berechnungen im September 2011 von einem Eispanzer aufgesprengt werden. Haushaltstipp am Rande: Wenn man das Eiswürfelfach vor der Wiederinbetriebnahme mit Spüli einreibt, soll das angeblich einer schnellen Eisbildung entgegenwirken.

Diese Hausarbeiten verrichtete ich bei geöffnetem Fenster. Auch wenn es heute nicht so warm war wie gestern ((Was mir angedenk der Zwischenlagerung diverser Lebensmittel auf dem Balkon ziemlich entgegen kam.)), lag ein Hauch von Frühling in der Luft. In Bochum riecht der Frühling übrigens, wie ich gestern bei einer kleinen Fotosafari feststellen durfte, nach Bratwurstbude. Ebenfalls verrichtete ich die Arbeiten zum Klang verschiedener Popmusiken. Zwar hatte mich WDR 5 am Morgen in der Küche noch recht passend mit einer Reportage über Haushaltsgeräte für Männer und Frauen unterhalten, aber für den workout wollte ich lieber auf Bekanntes zurückgreifen, dessen Text ich einfach selbst weiter singen könnte, wenn der Staubsauger mal wieder die PC-Boxen übertönte.

Dabei fiel mir zum wiederholten Male auf, wie viele CDs sich in meinem Regal befinden, die ich selten bis nie gehört habe. Besonders das Jahr als Musikchef von CT das radio hat sich erheblich auf meine Sammlung ausgewirkt: Da kamen jede Woche etwa 10 Kilogramm Tonträger ((Was extrem wenig ist, verglichen zum Beispiel mit dem, was man als A&R eines Plattenlabels täglich von der Poststelle abholen muss.)) in der Redaktion an, die unter den Musikredakteuren aufgeteilt werden wollten. Das sendereigene Archiv war kurz nach dem Erscheinen des Strokes-Debüts an seine Grenzen gestoßen.

In diese CDs wurde jeweils kurz reingehört ((Außer in die, die in Folie eingeschweißt waren.)), dann durfte der Redakteur mit dem entsprechenden Schwerpunkt sie einstecken und damit machen, was er wollte: In der eigenen Sendung spielen, eine Rezension drüber schreiben, sie auf einem mannshohen Stapel auf (besser noch: neben) dem eigenen Schreibtisch einstauben lassen. Ich habe wirklich viele CDs gespielt, aber eben meist genau ein Lied, in das ich kurz vor der Sendung reingehört hatte. Bei vielen Künstlern hätte ich schon am Tag darauf nicht mehr sagen können, wie sie geklungen hatten. Dann wanderten die CDs ins Regal, wo sie sich mit den Andenken an eine fünfjährige Rezensententätigkeit für “Plattentests Online” und den selbst gekauften Tonträgern erst auf drei, dann auf vier, dann auf fünf “Bennos” verteilten. ((Die drei Bennos waren noch inklusive Singles gewesen, inzwischen warten Singles und EPs in einer unrühmlichen Kiste auf den nächsten Umzug.))

Verkaufen darf man die Promo-CDs nicht, dann kommen die Plattenfirmen vorbei und hacken einem die Finger ab (oder schlimmeres). Das will aber natürlich eh niemand, denn am Ausmaß der Plattensammlung eines Mannes erkennt man seine Unlust, die Wände mit etwas anderem als CD-Regalen (und Konzertplakaten und Setlisten) verschönern zu wollen. ((Man muss nur darauf achten, dass einem solche Sachen wie Nickelback, Within Temptation oder Revolverheld gar nicht erst ins Haus kommen.)) So kommt es, dass ich Dutzende CDs im Regal habe, von denen ich nicht weiß, wie sie klingen. Sogar solche, die ich im 2nd-Hand-Laden oder auf dem Ramschtisch bei “Saturn” selbst gekauft habe, weil ich dachte, diese oder jene CD müsste man doch mal unbedingt im Regal haben (“We Can’t Dance” von Genesis wäre um ein Haar die erste CD geworden, die ich mir doppelt gekauft hätte ((Also versehentlich doppelt gekauft. Absichtlich doppelt gekauft zwecks Special Edition oder Neuauflage habe ich schon ein paar.))). Und genau solche CDs habe ich heute und in den letzten Tagen einmal verstärkt eingelegt und mich gefreut, was ich doch für tolle Musik im Regal stehen habe.