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Grimme legt nach

Bei der Bekanntgabe der Nominierungen für den Grimme Online Award hatten die Verantwortlichen des Grimme-Instituts noch gescherzt: Peinlichkeiten wie im letzten Jahr wolle man dieses Jahr um jeden Preis vermeiden, außerdem dürfe die Jury ja maximal zwei Webseiten nachnominieren. Von diesem Recht machte die Jury prompt Gebrauch.

So schlimm wie im letzten Jahr, als die Jury das damalige Jury-Mitglied Mario Sixtus nachnominierte (der daraufhin sofort aus der Jury ausstieg und am Ende den Preis natürlich – und eigentlich zu Recht – gewann), ist es in diesem Jahr nicht geworden. Dieses Jahr entschied man sich nur, die Quote öffentlich-rechtlicher Angebote an den Nominierungen von erst 23,5% auf 26,3% zu erhöhen – immerhin strategisch geschickt zu einer Zeit, zu der Thomas Knüwer im Urlaub ist.

Wenigstens ist die jetzt nachnominierte “WDR Mediathek regional” schon seit mehr als einem halben Jahr online. Außerdem ist sie bedeutend einfacher zu bedienen als die ebenfalls nominierte ZDF-Mediathek, was aber auch keine große Kunst ist. Einbetten kann man die zur Verfügung stehenden Filme aber auch beim WDR nicht, so dass ich auf einen Beispielbeitrag verlinken muss. Auch hier darf/muss die Nominierung als Signal an die Politik verstanden werden, die bald darüber entscheiden muss, wie viel öffentlich-rechtliche Sender im Internet machen dürfen.

Erfahrungsgemäß lässt eine Nachnominierung darauf schließen, dass die Webseite auch einen Award kriegen wird – immerhin sieht es so aus, als finde die Jury das Angebot besser als alle Vorschläge der Nominierungskommission. Und das scheint mir das Kernproblem des GOA zu sein: es gibt eine Nominierungskommission, eine Jury und über allem das Grimme-Institut, das seinen guten Namen hergibt. Sie alle mögen für sich genommen jeweils nur das Beste wollen, aber die strikte Trennung, die für Transparenz sorgen soll, führt in Wahrheit immer zu Chaos und Häme in der Blogosphäre. Und auch wenn die sicher nicht der alleinige Maßstab sein sollte: ein Online-Preis, der regelmäßig Onliner gegen sich aufbringt, ist nichts wert.

Ach so, ich schrieb von zwei Nachnominierungen: neben der WDR-Mediathek wurde intro.de in die Liste aufgenommen, das Onlineportal zu Deutschlands studentischstem Musikmagazin. Das erstrahlt seit kurzem in einem zweinulligen, langsamen und unübersichtlichen … äh: Glanz und ist damit so egal wie das dazugehörige Heft.

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Rundfunk Digital

Zitatenstrauß: Jon Stewart

Am Donnerstag hatte Jon Stewart in der “Daily Show” David Perlmutter zu Gast, den Autor des Buchs “Blogwars” über den wachsenden Einfluss von Blogs in der Politik.

Mittendrin äußerte Stewart großes Unverständnis für Skepsis und Kritik Blogs gegenüber:

I don’t know how you can be negative about something that is just …

It’s like saying: “I don’t like these writers”, because it’s just writing. You may not like what it says, you may not like the style that it says, but: that’s it, the work speaks for itself. If you find someone that you think is worthwile, has integrity, then you follow them.

Das ganze Interview kann man sich hier ansehen.

[Zitatenstrauß, die Serie]

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Digital

Und wieso eigentlich nicht ich?

Heute wurden die Nominierungen für den Grimme Online Award 2008 bekannt gegeben. Da ich noch nicht die Zeit hatte, mir alle nominierten Internetangebote näher anzusehen, schreibe ich aber nicht über die Nominierten, sondern über die nette kleine Veranstaltung in den Räumen der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf:

Bekanntgabe der Nominierungen für den GOA 2008

Dem Adolf-Grimme-Institut haftet ja immer eine gewisse Spießigkeit an: Es sitzt in Marl und hängt irgendwie mit dem Deutschen Volkshochschulverband zusammen – Unglamouröseres kann man sich kaum vorstellen, ohne beim Aufschreiben mindestens die Bewohner mehrerer ostdeutscher Landstriche und ein paar Personen zu beleidigen. Trotzdem (vermutlich eher: genau deshalb) macht das Grimme-Institut aber sehr gute und lobenswerte Arbeit – ich selbst habe kürzlich erst an einem sehr interessanten Seminar über Medienjournalismus teilnehmen dürfen.

Wo, wenn nicht im weitgehend ablenkungsfreien Marl, sollten sich Menschen durch fast 1.900 vorgeschlagene Internetseiten klicken; wer, wenn nicht eine Nominierungskommission aus Kommunikationswissenschaftlern, VHS-Studienleitern und Onlinejournalisten, sollte eine solche Masse erst auf 250 näher zu betrachtende Angebote und dann auf 17 Nominierungen einschränken? So erklärte Uwe Kammann, Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, dann auch das Selbstverständnis des Preises: Orientierung und Hilfe liefern in der Flut von Internetangeboten. Im vergangenen Jahr habe ich so das großartige Blog “USA erklärt” kennengelernt.

Zwei Trends seien in diesem Jahr erkennbar, hieß es: der zu Online-Videos und zu Nutzerbeteiligung, wobei letztere inzwischen weit über Kommentarfunktionen hinausginge. Damit war die Horrorvorstellung für einige Journalisten dann auch schön umrissen: “Fernsehen” im Internet, gemacht von Menschen, die womöglich noch nie ein Fernsehstudio, geschweige denn eine Journalistenschule von innen gesehen haben, und noch dazu die Einbindung der Leute, die früher nur abnicken sollten, was man ihnen vorsetzte.

Andere Journalisten finden das freilich toll. So berichtete Jens Rehländer von GEO.de, das mit einer Multimediareportage über die Koralleninsel Raja Ampat nominiert ist, völlig nachvollziehbar davon, wie enthusiastisch er nach einem Jahr in der Online-Redaktion sei, nachdem er 20 Jahre Print gemacht habe. Er sprach von der Veränderung des Berufsbilds Journalist und davon, dass die Reporter von Geo nach Feierabend und am Wochenende ihre Multimediainhalte zusammenschneiden. Dann sagte er noch, dass es Internetnutzer lieber authentisch als extrem professionell hätten, und man gar nicht vorhabe, mit Podcasts und Videos Radio und Fernsehen Konkurrenz zu machen. Und ich dachte nur noch: “Kluger Mann!”

Gut ein Viertel der Nominierungen entfiel auf programmbegleitende Angebote öffentlichlich-rechtlicher Sender, was man natürlich durchaus kritisieren kann, wenn man eh bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit das öffentlich-rechtliche System kritisieren will. Dass die ZDF-Mediathek nominiert wurde, kann man durchaus als politische Entscheidung verstehen, immerhin sollen die öffentlich-rechtlichen Sender nach Plänen der EU-Kommission ihre Inhalte zukünftig nur noch sieben Tage online stellen dürfen, was für den Gebührenzahler in etwa so geistreich ist wie ein Malermeister, der Ihnen nach sieben Tagen die bereits bezahlten Tapeten wieder von den Wänden kratzt. Dieses Thema führte dann auch zu kleineren Diskussionen zwischen Vertretern des WDR und der Düsseldorfer Staatskanzlei und zu spannenden Gesprächen nach dem offiziellen Teil. Dass es im Jahr 2008 überhaupt noch als preiswürdig gilt, wenn ein Fernsehsender fast alle seine Inhalte online verfügbar hat, ist schon einigermaßen tragisch, in Deutschland aber eben auch Fakt. Wenn sich die Jury an die Bewertungskriterien hält (Stichwort “Nutzerfreundlichkeit”), dürfte die ZDF-Mediathek trotzdem keine Chance auf den Preis haben.

Markus Beckedahl von netzpolitik.org

Insgesamt ist die Liste der Nominierten schon recht brav, man könnte sagen: Grimme-Institut halt. Mir fiele so spontan aber kein sonderlich “unbraves” Internetprojekt ein, das ich hätte vorschlagen können. Dass vergleichsweise wenige Blogs nominiert wurden (dafür mit Netzpolitik und Störungsmelder zwei politische und das sehr persönliche der ALS-Patientin Sandra Schadek), erklärte Prof. Christoph Neuberger aus der Nominierungskommission damit, dass sich die Standards im Web jedes Jahr änderten und Multimedialität inzwischen einen höheren Stellenwert habe.

Dann sind überproportional viele Angebote für Kinder dabei, was man noch damit rechtfertigen kann, dass Orientierung besonders auf diesem Gebiet Not tut und pädagogisch wertvolle Internetseiten sowieso unterstützenswert sind. Mit Hobnox ist ein Angebot nominiert, das ich zwar für sehr spannend, möglicherweise gar revolutionär halte, sich aber auch noch in der Beta-Phase befindet …

Man kann also wieder kräftig an der Liste rummäkeln, was man als Blogger vermutlich sogar tun muss, weil ja so viele böse “kommerzielle” und “gebührenfinanzierte” Angebote auf der Liste stehen, man kann aber das Anliegen und die Entscheidungen des Grimme-Instituts akzeptieren und, wenn’s denn sein muss, einfach einen eigenen Award ausrufen – so wie Til Schweiger, nachdem er beim Deutschen Filmpreis übergangen worden war.

Nicht ohne Stolz will ich aber zum Schluss darauf hinweisen, dass ich beim Überfliegen der Listen unter den Mitarbeiter an den nominierten Projekten schon wieder zwei ehemalige Dinslakener gefunden habe.

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Digital Politik

Schaum vorm Mund

Bis vor einigen Tagen hatte ich noch nie von Sebastian Edathy gehört, im Moment erlebt der SPD-Politiker seine fünfzehn Minuten Ruhm in der Blogosphäre, was immerhin für fünf Mal Zähneputzen reicht.

Mitunter geht dabei unter, dass Edathy eigentlich Kritik an der geplanten Videoüberwachung von Privathaushalten geäußert hatte – andererseits hat er selbst natürlich in seinem mittlerweile legendären Radio-Eins-Interview die Gelegenheit versäumt, irgendeinen Standpunkt zu vertreten.

Jetzt wird Edatyh in seinem Gästebuch und bei abgeordnetenwatch.de mit hämischen Fragen und Kommentaren überhäuft, auf die er in seiner ganz eigenen Art reagiert: er zitiert dpa-Meldungen, in denen er zitiert wird.

Ein Kommentator im Gästebuch schreibt zum Telefoninterview interruptus:

Schade, dass Sie sich diesem sehr wichtigen Thema auf diese Weise entziehen. Es hätte mich schon sehr interessiert, wie Sie sich als SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Innenausschusses dazu positionieren.

Und Edathy antwortet kanzelt ihn ab:

Wenn Sie sich ein wenig kundig gemacht hätten, wüssten Sie, dass ich
mich zu diesem Thema in den letzten Tagen mehrfach kritisch geäußert habe.

Bei abgeordnetenwatch.de hat er fast exakt das gleiche geantwortet.

Aber auch eine andere Geschichte ist noch nicht ausgestanden: Edathy hatte sich bei der Chefredaktion von “Zeit Online” darüber beschwert, dass eine freie Journalistin, die ihn für “Zeit Online” interviewt hatte, seine Zitate einfach für einen Text bei Telepolis (oder wie Edathy es ausdrückt: “auf der Seite heise.de – einem privatem Forum”) verbraten hatte. Über das Vorgehen der Journalistin lässt sich sicher lange diskutieren (s.a. die Stellungnahme von “Zeit Online” und die Reaktion im “Zeit Meckerblog”), Edathy aber nutzte die Situation, um sich zielsicher und an völlig falscher Stelle zum Vollhorst zu machen, wobei er die Folgen seines Auftritts in Journalismus und Blogosphäre offensichtlich unterschätzte.

Der Blogger Jochen Hoff schrieb Edathy eine reichlich unverschämte E-Mail zu dem Fall, in der er neben einer Menge übertriebener Kritik auch folgenden Absatz einbaute:

Ach ja. Genießen Sie bitte jetzt die Aufmerksamkeit. Nach einem Systemwechsel werden wir zwar eine saubere Zelle für sie finden, allerdings wird es Ihnen nach ihrem Gerichtsverfahren, dort an Aufmerksamkeit doch eher fehlen.

Staatsmänner von wahrer Größe hätten auf so einen pubertären Dünnsinn gar nicht reagiert. Doch was tat Sebastian Edathy, dem es neben Größe, Humor, Souveränität und Freundlichkeit gegenüber Wählern und Journalisten auch an Gespür dafür zu mangeln scheint, wann man redet und wann man besser schweigt?

Er antwortete:

Ihre Aussage “Genießen Sie bitte jetzt die Aufmerksamkeit. Nach einem Systemwechsel werden wir zwar eine saubere Zelle für Sie finden, allerdings wird es Ihnen nach Ihrem Gerichtsverfahren dort an Aufmerksamkeit doch eher fehlen.” reicht zwar bereits für eine Strafanzeige aus, die ich auch stellen werde, vielleicht könnten Sie Ihre Ausführungen aber noch ein wenig konkretisieren bzw. illustrieren, damit ich der Staatsanwaltschaft ggf. ergänzende Informationen übermitteln kann.

Dass sich ein Blogger derart zum Affen macht, ist die eine Sache; dass ein Politiker derart darauf anspringt, ist in meinen Augen aber noch viel schlimmer.

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Digital

Die mittischen Krassen

Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn man von einer Reise wiederkommt und dann “Mein Gott, ist das schön hier” denkt. So ging es mir, als ich gestern unweit unseres Wohnheims aus dem Bus stieg und von der Bochumer Stille fast erschlagen wurde. Die re:publica und Berlin waren schön und gut, aber dort leben: Nein, Danke!

Zwischen den Programmpunkten “Endlich mal wieder Ausschlafen” und “Wäsche waschen” will ich aber nun doch noch ein paar Worte über die re:publica verlieren. Und weil schon alle (interessanterweise auch Leute, die nicht vor Ort waren oder sein wollten) darüber geschrieben haben, will ich nur ein paar ungefilterte Gedankengänge niederpinnen:

  • Ich habe bei der ganzen re:publica genau fünf Minuten gefilmt, danach dachte ich mir, dass da schon genug Leute filmen, wie genug Leute andere filmende Leute beim Filmen filmen. Diese fünf Minuten hat der “Tagesspiegel” genutzt, um mich zu fotografieren.
  • Die Diskussion “Blogger vs. Journalisten” ist laut Johnny Haeusler jetzt endgültig abgeschlossen. Leider habe ich vergessen, mit welchem Ergebnis. (Wahrscheinlich mit keinem.)
  • Die mitunter gehörte Bezeichnung “Blogger-Konferenz” ist einigermaßen absurd, weil es um eine ganze Menge Themen ging und längst nicht jeder Teilnehmer auch ein Blog betrieb.
  • Die Diskussionsrunde “Musik im Netz” war in etwa so unergiebig, wie man es erwarten durfte. Zumindest war sie zu kurz, denn sie musste in dem Moment beendet werden, als Tim Renner mit Ausführungen anfing, nach denen ich ihm die Rettung der Musikindustrie im Alleingang zutrauen würde.
  • Leider habe ich zu wenig von der Diskussionsrunde über “Citizen Journalism” im Ausland mitbekommen (was ich und jeder andere aber online nachholen kann), aber was ich über “Alive In Baghdad” gehört habe, hat mich tief beeindruckt. Verglichen mit dem (Über-)Leben in Bagdad und dem Darüber-Berichten ist wohl alles, was wir in Deutschland so ins Internet stellen, pillepalle.
  • Wenn ich mich ein bisschen konzentriere, kann ich mir auch Vorträge anhören, mit denen ich inhaltlich null übereinstimme. So weiß ich wenigstens, was am anderen Ende des Spektrums vor sich geht.
  • Schöner als die vielen Vorträge und Diskussionsrunden ist es eigentlich, am Rande Leute kennen zu lernen, deren Texte man teilweise schon seit langem liest und schätzt. Bei anderen wusste ich anschließend wenigstens, warum ich ihre Texte nicht lese.
  • Den besten Namen von allen Referenten hatte sicher Bertram Gugel, dessen Nachnamen man wirklich wie “Google” ausspricht.
  • Der Kaffee (ein in diesem Blog viel zu selten gewürdigtes Thema) in der Kalkscheune war beeindruckend schlecht. Das war Konsens, aber auch der einzige echte Nachteil der Örtlichkeiten.
  • Weitaus schlechter als der Kaffee aber war das, was die “Süddeutsche Zeitung” über die re:publica geschrieben hat – garniert mit einem ca. 10 Jahre alten Symbolbild.
  • Trotz des Mottos “Die kritische Masse” frage ich mich, wie viel von dem, was auf der re:publica besprochen wurde, für Leute außerhalb des Fachpublikums, das wir nun mal irgendwie alle waren, relevant ist. Mitunter hatte ich schon das Gefühl, dass die Gegenstände von Vorträgen und Diskussionen mit dem Leben von weiten Teilen der Bevölkerung gar nichts zu tun haben.
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Leben Digital

Teil einer Jugendbewegung

Am Wochenende fand – wie bereits erwähnt – das erste Barcamp Ruhr statt. Da das angekündigte Video noch ein wenig auf sich warten lassen wird ((Ich muss erst noch neuen Arbeitsspeicher kaufen.)), wollte ich das Erlebte vorab schon mal in relativ ungefilterte Worte fassen:

Was genau ein Barcamp ist, wusste ich vor dem Wochenende selbst nicht so genau. Man sagte mir stets, es handele sich um eine “Unkonferenz”, was in etwa so hilfreich ist, wie der Versuch, Quantenphysik mit Hilfe japanischer Vokabeln erklären zu wollen. In Wahrheit ist es ein betont lockeres Zusammentreffen von Menschen, die irgendwas mit Internet zu tun haben. Zu Beginn des jeweiligen Veranstaltungstages stellen die Teilnehmer ((Externe Referenten sind nicht vorgesehen.)) Themen vor, über die sie gerne sprechen würden. Per Handzeichen wird abgestimmt, wie viele Leute sich für das Thema interessieren – daraus ergibt sich dann, in welchem Raum und zu welcher Uhrzeit der Vortrag stattfindet.

“Vortrag” ist im Übrigen falsch. Es handelt sich um sogenannte “Sessions” und deren sprachliche nähe zur jam session in der Musik kommt nicht von ungefähr: “Einer redet, die anderen hören zu” gibt’s nicht und ist angeblich auch nicht erwünscht.

Exkurs: Ich habe in der Schule immer Frontalunterricht gemocht, weil ich nie verstehen werde, warum ein Lehrer, der die Fakten kennt und aufsagen könnte, erst mal eine Dreiviertelstunde lang aufschreibt, was die Schüler, denen er etwas beibringen soll, denn bisher zum Thema wissen. “Hitler war böse” ist zwar eine richtige Feststellung, als Einstieg ins Thema “Zweiter Weltkrieg” aber irgendwie dürftig. Der Geschichtsunterricht der Oberstufe ist deshalb auch heute noch dafür verantwortlich, dass ich beim Wort “Mindmap” kaltschweißig werde und unkontrollierte Laute ausstoße. Auch in der Uni sind mir Vorlesungen hundert Mal lieber als Diskussionen. Andererseits sind mir Diskussionen immer noch hundert Mal lieber als schlechte Referate. Exkurs Ende.

Die Qualität der Sessions bei einem Barcamp hängt deshalb nicht nur von den Kompetenzen des Vortragenden ((Keine Ahnung, wie der richtige Begriff lautet, vermutlich “Session Leader” oder so.)) ab, sondern auch von der Gruppe der Zuhörer. Da kann es schon mal vorkommen, dass spannende Ausführungen abgewürgt werden und ein Zuhörer ohne vorherige Meldung einfach vor sich hin doziert. Auch wenn ich mich an solche Umgangsformen im Laufe des Wochenendes gewöhnen konnte, wird dieses Verfahren nie zu meiner favorisierten Art der Wissensvermittlung zählen. Um verschiedene Ansichten zu einem Thema kennen zu lernen, ist es aber ganz hilfreich.

Thematisch sind den Sessions keine Grenzen gesetzt, alles, was auch nur im Entferntesten mit Internet zu tun haben könnte, kommt darin vor. Damit stand ich persönlich vor einem weiteren Problem: Wirtschaft ist zum Beispiel ein Thema, dass mich noch nie interessiert hat – null. Ich könnte auch unter Androhung von körperlicher Gewalt keine zehn DAX-Unternehmen auflisten – geschweige denn fünf Startups. ((Ein Startup ist eine Existenzneugründung im Internet. Da gibt es alles von social networks (MySpace oder Facebook waren mal Startups) bis hin zu Internetseiten, auf denen man sein Müsli oder seinen Kaffee individuell zusammenstellen kann.))

Ich finde es faszinierend, auf welche Ideen Leute kommen, deren kreative Hirnhälfte auch Synapsen zu dem Teil, der ans Geldverdienen denkt, aufgebaut hat, aber ich will kein Unternehmen gründen. Die Worte “business plan”, “crowd sourcing” oder “break even” erscheinen mir immer wie Parodien auf die Wirtschaft und laden mich allenfalls zum Bullshit-Bingo ein. Da fällt es schwer, ernst zu bleiben, und die Leute, die sicherlich alle total nett sind und tolle Ideen haben, nicht für den gleichen schrecklichen Menschenschlag zu halten, wie die Investoren, denen sie Geld für ihre Projekte abringen wollen.

Ein Schwerpunkt des Barcamps Ruhr lag auf Musik im Internet, was mich als Musikfan und Gelegenheitsmusiker schon interessierte. Entsprechend irritiert war ich aber, als in diesbezüglichen Sessions plötzlich von “content”, statt von “Musik” die Rede war. Das ist für mich dann auch kein großer Unterschied mehr zu dem bösen, bösen Majorlabel, wo alle ständig von “Produkten” faseln.

Überhaupt: Für Mitglieder des unsäglichen “Vereins Deutsche Sprache” wäre ein Barcamp das, was Sodom und Gomorrha für einen guten Katholiken sind. Wer schon technische Begriffe wie “Laptop” oder “Browser” geißelt, der wird inmitten von “Sessions”, “Startups” und “Back Offices” foam vor dem mouth bekommen und im triangle springen. Das Unperfekthaus in Essen ((Eine Art Hippiekommune mit kurzen Haaren, in der man sich ganz rührend um uns kümmerte.)) wurde übrigens stets als “Location” bezeichnet, was dann ungefähr der Punkt war, an dem es selbst mir ein bisschen too much wurde. “Schlimmer als die wahllose Verwendung fremdsprachlicher Begriffe ist aber immer noch die falsche Aussprache derselben”, dachte ich, während ich gedankenverloren in meinem Tschappukino rührte.

Was mich auch einigermaßen verstörte, war die Einstellung mancher Leute. Bisher hatte ich den unendlichen Reiz des Internets unter anderem darin gesehen, dass dort jeder tun und lassen kann, was er ganz alleine will, maximal begrenzt durch Gesetze, die bitte nicht zu streng sind. Plötzlich kamen Leute an, die von einer “Bloggerkultur” sprachen und Sätze sagten wie: “Wer nicht auf Barcamps geht, ist für mich kein Blogger”, “Journalisten sind keine Blogger” oder “Ein Blog ohne Kommentare ist kein Blog”. Da waren sie wieder, die Leute, die man im Bereich der Musik “Indienazis” nennt, und die in Schubladen denken, die ihnen “Spex”, “Intro” und “Visions” aus dem Holz eines abgebrochenen Soziologiestudiums gezimmert haben. Menschen, die im Usenet und in Webforen schreiben, warum diese oder jene Band einfach scheiße sein muss und nicht Indie sein kann, und die sich selbst vor allem über die Abgrenzung zu anderen und die Ausgrenzung derselben definieren. Solche gibt es also auch im Web 2.0. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihre Interpretation des Konzepts “Blog” irgendwann einmal tatsächlich zu einer Definition werden sollte, werde ich mir schon mal einen neuen Begriff überlegen, unter dem diese lose Textsammlung im Internet dann firmieren wird.

Jetzt habe ich alles aufgeschrieben, was ich merkwürdig bis abschreckend fand, und es wirkt, als sei das Barcamp Ruhr für mich eine ganz und gar schreckliche Veranstaltung gewesen. Das ist falsch. Zwar war der Samstag wirklich verwirrend und anstrengend, aber der Sonntag hat viel wieder wettgemacht. Es waren sehr viele nette Leute da und bei rund 120 Teilnehmern ist auch bei optimistischster Weltanschauung rein statistisch klar, dass darunter mindestens eine Handvoll sein wird, deren Bekanntschaft man lieber nie gemacht hätte. Die Atmosphäre war die ganze Zeit über sehr angenehm und dass ich vor größeren Gruppen ((“größer” = “mehr als fünf Leute”.)) Angst habe und kein großer Freund von Smalltalk und ziellosen Diskussionen bin, ist ja letztlich mein persönliches Problem.

Ich habe in der Tat noch einige interessante Dinge erfahren ((So habe ich zum Beispiel qik.com kennengelernt, eine Internetseite, die meiner Meinung nach für den endgültigen Untergang des Abendlandes und das Ende der Menschheit verantwortlich sein könnte.)) und einige spannende Gespräche geführt. Die Altersspanne der Teilnehmer reichte von 18 bis 57, wobei ich es vor allem großartig finde, wenn auch Menschen im fortgeschrittenen Alter mit mehr Offenheit auf neue Sachen zugehen als ich selbst mit meinen 24 Jahren.

Überall erwähnt wurde die überaus unschöne Tatsache, dass während des Barcamps zwei iPods ((Mobile Musikabspielgeräte der Firma Apple.)) (ein Nano, ein Touch), eine Kamera, ein Asus Eee ((Eine Art Laptop, aber noch kleiner.)) und ein iBook gestohlen wurden. Das war im Nachhinein leider fast abzusehen bei den unzähligen Leuten, die zusätzlich zu den Teilnehmern noch durchs Haus liefen. Ich bin aber überzeugt davon, dass dem Dieb seine Hände, seine Zunge und sein Glied abfaulen werden. Wenn Sie also demnächst in der Essener Innenstadt einen stummen Mann mit Armstümpfen sehen, sollten Sie ihm noch kurz die Hose runterziehen und ihn dann zur Polizei schleifen.

Vor Monaten hatte ich gemutmaßt, ein Barcamp sei “eine Art Kirchentag”. Jetzt habe ich beides einmal mitgemacht und muss sagen, dass diese Einschätzung geradezu prophetisch war. Beide Male blieb trotz einer Menge Skepsis und Ärger ein ziemlich positiver Eindruck – und die Frage, ob ein Mal nicht ausreicht.

Demnächst dann: Die ganze Grütze noch mal in Ton und Bild.

Nachtrag, 21. März: JETZT! Grütze gibt’s hier.

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Digital

Generation Blog

Ich werde eher selten zur Teilnahme an Podiumsdiskussionen geladen, weswegen ich diese ermüdenden Anti-Blog-Diskussionen, von denen man bei renommierteren Bloggern immer wieder liest, noch nie aus der Nähe erlebt habe. Das änderte sich aber am Donnerstag, als wir in einem Literaturseminar auf das “Vanity Fair”-Blog von Rainald Goetz zu sprechen kamen.

Die meisten der etwa zehn Seminarteilnehmer kannten den Namen Rainald Goetz nicht ((Sie hörten sogar von der berühmten Stirn-aufschlitz-Geschichte zum ersten Mal, fanden sie aber gleich doof.)) und hatten noch nie ein Blog gelesen. Beides ist sicherlich verzeihlich, bei Germanistikstudenten Anfang Zwanzig aber vielleicht auch etwas unerwartet.

Da wir mit der Interpretation des Goetz’schen Werkes nicht so recht aus dem Quark kamen, driftete die Diskussion in grundsätzlichere Gefilde. Einem Kommilitonen ((“Kommilitone” gehört zu den Begriffen, die ich nur schreiben kann, wenn ich an einem Computer mit automatischer Rechtschreibüberprüfung sitze. Weitere Beispiele: Atmosphäre, Feuilleton, Kommissar, aufpfropfen.)) missfiel diese ganze “Selbstdarstellung” in Form von StudiVZ, Blogs und Videos, und eine Kommilitonin, die zuvor geäußert hatte, außer Auslandstagebüchern von Freunden noch nie ein Blog gesehen zu haben, echauffierte ((Ha, noch so ein Wort!)) sich in harschem Ton über die mindere Qualität und die allerorten anzutreffende Selbstdarstellung, die sie “peinlich” finde.

Nun gehöre ich nicht zu den Vertretern jener Zunft, die im Internet die Heilsbringung für alles und jeden sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch in fünfzig Jahren noch Menschen geben wird, die das Internet überhaupt nicht nutzen. Es gibt ja auch heutzutage Leute, die weder Telefon noch Fernseher besitzen, und von Eugen Drewermann liest man immer wieder, dass er noch nicht einmal einen Kühlschrank in seiner Wohnung habe. Etwas erstaunt bin ich aber, wenn Menschen in meinem Alter, die mitten im Leben stehen ((Gut: Einige von ihnen wollen vielleicht Lehrer werden …)), moderne Medien und Phänomene rundherum ablehnen, und halbwegs sauer werde ich, wenn sie dies ohne vorherige Inaugenscheinnahme tun.

Ich kippelte mit meinem Stuhl nach hinten, breitete die Arme aus und lächelte. “Natürlich gibt es viel Schrott im Internet, aber den hat man in der traditionellen Literatur oder wo auch immer ja auch. Ich finde es gerade spannend, dass man sich selbst ein bisschen umsehen muss, um gute Sachen zu finden. Aber es gibt eben jede Menge gute und spannende Sachen im Netz.”

So ganz wusste die junge Frau wohl nicht, was in Blogs überhaupt so drinstehen kann. Oder Goetz hatte sie auf die falsche Fährte gelockt: Sie erzählte jedenfalls, in ihrem Bekanntenkreis gebe es Dutzende Leute, die immer schon erzählt hätten, sie würden gerne mal ein Buch schreiben. Getan habe das zum Glück noch keiner. Aber jetzt könnten alle mit ihrer minderen Qualität das Internet vollschreiben.

Mit der gleichen Begründung, so entgegnete ich, könne sie ja auch Konzerte von Nachwuchsbands in Jugendzentren verdammen, weil die oft auch nicht so doll seien. “Das ist doch das spannende, dass heute endlich die Versprechungen der Pop Art und fast aller wichtigen Medientheorien des 20. Jahrhunderts eingelöst werden”, geriet ich etwas zu heftig in Fahrt. “Warhols 15 Minuten Ruhm, ‘Jeder ist ein Künstler’, ‘the medium is the message’: jeder kann sich einbringen!” Ich dachte: “Jetzt hassen sie mich alle. Namedropping, Angeberei und Pathos. Das kann in einer Universität nicht gut gehen.” Dann fügte ich hinzu: “Ich finde, dass jede Form von Kunst, die irgendjemandem was bedeutet – und sei es nur dem Künstler selbst – ihre Berechtigung hat.” ((Das ist übrigens eine Einstellung, die ich regelmäßig verwerfen will, wenn ich das Radio einschalte und mit Maroon 5 oder Revolverheld gequält werde.))

Meine Gegenüberin äußerte nun die Vermutung, wir hätten offensichtlich recht unterschiedliche Kunstbegriffe. Leider befanden wir uns zeitlich schon in der Verlängerung, so dass wir uns nicht mehr wirklich hochschaukeln konnten. Aber ich fühlte mich schon etwas knüwer als sonst.

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Suchmaschinenoptimierung mit jetzt.de

Das Internet, das ist für die “Süddeutsche Zeitung” das, wo Kinderschänder mit illegalen MP3s das Ende des Qualitätsjournalismus hinaufbeschwören. Für die Macher von “sueddeutsche.de” hingegen ist das Internet das, wo man ein bisschen Text und ein paar Dutzend Bilder zu sogenannten Inhalten zusammengruppieren kann.

Für jetzt.de, das tragische Überbleibsel des einst außerordentlich guten, ja: mindestens eine Generation prägenden “jetzt!”-Magazins, ist das Internet das mit den nervigen Blogs und den arroganten Bloggern. Oder das, wo “alle” “scheinbar von nichts anderem” reden als von:

jetzt.de beim SEO

Stefan Winter schreibt in einem launigen Artikel:

“Natalie Portman nackt!” lautet eine beliebte Google-Suchanfrage, die in der Tat nicht auf schmierige Porno-Seiten, sondern auf Film-Blogs, Vanity Fair oder Bunte.

Auf die Idee, die “Beliebtheit” einer Suchanfrage mit einem Link auf die Google-Suche belegen zu wollen, muss man erst mal kommen. 9.630 Ergebnisse sind auch nicht so spektakulär wie … sagen wir: jetzt doof (613.000), aber egal. Natalie Portman ist nackt in einem Film zu sehen, das muss man zum Aufhänger machen, das muss man mit Screenshots aus dem Film belegen.

Sicher: Auch ich habe, als ich vor drei Monaten über “Hotel Chevalier” schrieb (“Alle anderen reden spätestens seit Beginn des Jahres scheinbar von nichts anderem mehr”), nicht unerwähnt gelassen, dass viele nicht unerwähnt lassen konnten, dass Natalie Portman in dem Film nackt zu sehen sei.

Bei jetzt.de sieht die Meta-Ebene so aus:

In jedem Fall wird über den kurzen Film berichtet.

[…]

Und ja, auch wir berichten über den Vorfilm, der sich neben der Nacktheit durch die Musik (Peter Sarstedt “Where Do You Go To (My Lovely)”) und durch die Tatsache auszeichnet, dass Schwartzman alias Jack hier einen Einblick in die Vorgeschichte seiner Reise gibt, die im Hauptfilm erzählt wird.

jetzt.de “berichtet” in fünf Absätzen, von denen sich fünf mit einer nackten Schauspielerin beschäftigen (soll vorkommen), bebildert das ganze mit vier Screenshots, von denen zwei Natalie Portman beim Entkleiden und Nacktsein zeigen (noch mal: man sieht nichts im Film, was über nackte Haut hinausginge), packt die Kernaussage auch noch in die Überschrift (Suchmaschinenoptimierung für Anfänger) und mokiert sich über den “Aufmerksamkeits-Fokus für eine bestimmte Zuschauerschaft”.

Was, bitte, soll denn das sein, wenn nicht billiges Aufmerksamkeitsheischen für eine bestimmte Leserschaft?

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Wir warten aufs Christkind

Nun ist es endlich soweit: der einzige Tag, der nur ein Abend ist, ist da. ((Es gibt natürlich auch Regionen, in denen es jede Woche einen Tag gibt, der nur ein Abend ist. Ich sage aber Samstag, schon allein weil ich finde, dass “Sonnabendabend” total bescheuert klingt.))

Der 24. Dezember ist der Tag, an dem einem vielleicht am deutlichsten wird, dass man älter wird und dass die Zeit mit zunehmendem anders zu vergehen scheint: Als Kind wollte dieser verdammte Nachmittag einfach nicht vergehen und man musste sich mit Michael Schanze und doofen Kinderfilmen beschäftigen. Heute verbringt man seinen 24. Dezember auf der Suche nach Geschenken in überheizten Einkaufszentren mit überreizten Menschen, die sich das ganze irgendwie auch anders vorgestellt haben, aber das doofe Päckchen mit dem Geschenk, das sie bei eBay ersteigert hatten, kam halt nicht rechtzeitig an. ((Diese Geschichte ist rein fiktiv. Ich habe schon alle beiden Geschenke und würde auch nie auf die Idee kommen, weitere zu kaufen.))

Falls Sie trotzdem Zeit haben und diese gerne sinnvoll verbringen möchten, dann nehmen Sie doch an unserer Leserwahl teil oder sehen Sie sich die Weihnachtsansprache unseres Frühstücksdirektors an:

Hier klicken, um den Inhalt von de.sevenload.com anzuzeigen


Link: sevenload.com

Ich wünsche Ihnen jetzt schon mal ein frohes Weihnachtsfest!

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Digital

Klickbefehl (5)

Aber dass Kassetten einmal nicht nur, wie das Theater vom Film oder das Pferd vom Auto, als Opfer eines optimierten Folgeprodukts in eine Liebhaberecke zurückgedrängt würden, sondern derart gründlich verschwinden könnten, dass man zum Beispiel in Frankfurt oder Berlin nach Kassetten so intensiv suchen muss wie nach Schreibmaschinen-Farbbändern oder nach Austauschbirnen für Diaprojektoren: Das hätte man noch vor ein paar Jahren nicht gedacht.

Niklas Maak schreibt in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” von morgen einen Nachruf auf die Audiokassette.

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Manchmal scheint es, als sei den Journalisten, die gegen dieses Mitmachnetz anschreiben, schon die Motivation all dieser neuen Konkurrenten um Aufmerksamkeit suspekt: einfach zu glauben, etwas zu sagen zu haben, und es nicht für Geld, Auflage, Karriere oder den Verkauf von Werbeplätzen zu tun.

Stefan Niggemeier schreibt in der “taz” über den alten Konflikt zwischen Mitmachmedien und dem “etablierten” Journalismus.

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Im Ratgeber “Diäten-Test” wird ausführlich über die “Diäterfolge” des Unternehmens berichtet, “zuletzt aktualisiert: 09. Mai 2007 | 15:21″. Bereits am 21. Februar 2005 hatte die Redaktion “Populäre Abnehmkonzepte unter der Lupe”, allen voran Weight Watchers. Und schon in der Sendung vom 6. September 1999 mit dem Thema “Wege zur Wunschfigur” war die WW-Methode für den MDR empfehlenswert.

Bei den Medienpiraten wundert sich Peer darüber, dass man Andrea Kiewel beim MDR für ihre Weight-Watchers-Schleichwerbung gefeuert hat, während der Sender die Abnehmgruppe seit Jahren ungwöhnlich oft empfiehlt.

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More are expected to shop online than attend Church of England services.

bbc.co.uk erzählt, wie Millionen Briten die Heilige Nacht verbringen werden: Vor dem Computer auf Schnäppchen hoffend.

Nachtrag 23. Dezember: Zugabe bei Telepolis: Die GEZ fordert Rundfunkgebühren von einer fiktiven Person. [via Lawblog-Kommentare]

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Leben Gesellschaft

Das virtuelle Massengrab der Nischendekadenz

Bei Wind und Wetter stehen auf der Dr.-Gerhard-Petschelt-Brücke, die die Bochumer Stadtbahn-Haltestelle “Ruhr-Universität” mit dem eigentlichen Gelände der Ruhr-Universität verbindet (und die daher zum öffentlichen Raum gehört) Menschen mit einem klapprigen Campingtisch, auf dem Flugschriften ausliegen. Mit wackligen Holzaufstellern, auf denen wirre Forderungen geschrieben stehen, versperren sie den Studenten den Weg zu ihrer Alma Mater. Dies sind die Mitglieder der “Bürgerrechtsbewegung Solidarität”, kurz “BüSo”.

Die meisten Studenten hasten vorbei, nur wenige lassen sich von Botschaften wie “Die Kernschmelze des Weltfinanzsystems ist in vollem Gang!” oder “Killerspiele töten die Seele!” dazu hinreißen, Informationsgespräche zu suchen. Gestern fand ich aber eine ausgelesene “BüSo”-Kampfschrift in einem Seminarraum und meine journalistische Neugier zwang mich dazu, das Werk mit spitzen Fingern (sehr billige Druckerschwärze, saut rum wie sonst was) in Augenschein zu nehmen. Ein Protokoll.

Die Flugschrift, die an eine kleine Zeitung erinnert (“2 € empfohlener Beitrag”), ist zweigeteilt: Aus der einen Richtung beschäftigt sie sich mit der Frage “Steckt der Teufel in Deinem Laptop?” (dazu kommen wir gleich noch ausführlich), dreht man sie um, lacht einen die überraschende Forderung “Bauen wir die Weltlandbrücke!” an.

“BüSo”: “Bauen wir die Weltlandbrücke!”Die “Weltlandbrücke”, das soll ein “genau aufeinander abgestimmtes System von Schnellbahnen, Transrapidstrecken, Autobahnen sowie Wasserwegen” werden, ergänzt durch die “Querung der Beringstraße mit einem 100 km langen Tunnel”. Gebraucht werde dieses völlig neuartige Verkehrsnetz für die Zeit nach dem “gegenwärtig kollabierenden System der Globalisierung” und um eine “neue Friedensordnung” möglich zu machen. Solche Utopien von latentem Größenwahn üben immer eine gewisse Faszination auf mich aus, so wie die das “Globale Wiederaufbauprogramm für dauerhaften Weltfrieden” oder die Pläne für die “Welthauptstadt Germania” (deren zugrunde liegender Größenwahn allerdings nicht mehr latent war).

Die “Weltlandbrücke” basiert auf einem Vorschlag von Lyndon LaRouche, einem amerikanischen Politiker, der vor allem durch den siebenmaligen Versuch, Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden, antisemitische Äußerungen und eine Verurteilung wegen Verschwörung und Postbetrug von sich reden machte. ((LaRouche bezeichnet seine Verurteilung als eine Verschwörung von – halten Sie sich bitte fest! – Henry Kissinger, dem FBI, dem “Wall Street Journal”, NBC, “Reader’s Digest” und der Anti-Defamation League.)) Geschrieben wurde der Artikel von Helga Zepp-LaRouche, der Gattin Lyndon LaRouches und Gründerin des “Schiller-Instituts”, der Parteien “Europäischen Arbeiterpartei” und “Patrioten für Deutschland”, sowie von “BüSo”. In der ganzen Schrift findet sich kein Artikel, der nicht aus der Feder eines der Beiden stammt, sie zitiert oder auf ihre Theorien Bezug nimmt.

Besorgniserregender als die Forderung, eine “Eurasische Landbrücke” zu bauen, ist der andere Teil der Flugschrift, der mit markigen Worten eingeleitet wird:

Historisch betrachtet könnte man dieser Flugschrift vielleicht ebenso viel Wert beimessen wie den Flugblättern der Weißen Rose, die mit Heldenmut den Feind im eigenen Land bekämpften und bis zuletzt das wahre Deutschland Friedrich Schillers verteidigten. Wie im folgenden klar werden wird, kommt Faschismus heute nicht im braunen Gewand daher, sondern mittels subtiler Gleichschaltung/”Vernetzung” einer ganzen Generation, bei der sowohl Joseph Goebbels als auch Aldous Huxley vor Neid erblaßt wären. Diese Flugschrift soll vor allem den jungen Leser befähigen, dies als Krankheit zu erkennen, um sich rechtzeitig davon zu befreien.

“Oh mein Gott, worum geht’s?”, werden Sie sich entsetzt fragen. Oder: “Was kann ich dagegen tun?” Nichts, denn Sie und ich, wir sind schon mittendrin im Elend, im Kampf “Noosphäre contra Blogosphäre”. Was die “Noosphäre” ist, entnehmen Sie bitte der Wikipedia.

Doch worum geht es wirklich? MySpace, Facebook und Killerspiele, die allen Ernstes durchgehend in dieser Dreifaltigkeit genannt werden, sind Schuld daran, dass die Jugend völlig verkommt und zu brutalen Amokläufern wird:

Ob iPod, Laptop, wLAN, Killerspiele, Second Life usw.; wer sich diese Art von Zeitvertreib a la MySpace, StudiVZ oder SchülerVZ mal genauer anschaut, wird schnell feststellen, daß er hier auf ein virtuelles Massengrab gestoßen ist, in dem wirklich jede Form von Dekadenz ihre Nische gefunden hat, bis hin zur Nekro- und Pädophilie.

Hinter all dem stecken das “International Network of Social Network Analysis” (INSNA), das das Internet erfunden hat, um die Menschheit zu unterjochen, und Bill Gates, dessen Firma Microsoft laut Flugschrift unter anderem für “Counterstrike” und “Doom” verantwortlich ist, zwei “Killerspiele”, die in der Welt, die wir für die Realität halten, natürlich von Sierra Entertainment/EA Games bzw. id soft stammen und mit Microsoft so rein gar nichts am Hut haben.

Wir haben aber natürlich alle keine Ahnung, weil wir uns auf Google und die Wikipedia verlassen. In einem ganzseitigen Artikel wird der Versuch unternommen, die Geschichte der Wikipedia zu erklären, die ihrem Gründer Jim Wales unterstellt sei. Der ebenso zentrale wie entlarvende Satz des Artikels lautet:

Stöhnt man stets “Verschwörungstheorie!” und schließt aus, was nicht dem gängigen Konsens entspricht, so verbietet man effektiv, nach Gründen und Ursachen zu forschen, und zwingt andere, sich der Manipulation und Überredung des einfachen Konsens zu unterwerfen.

“BüSo”: “Steckt der Teufel in Deinem Laptop?”Der Satz bezieht sich auf die 9/11-Verschwörungstheorien, die durchs Internet geistern, von LaRouche gerne mal befeuert werden und theoretisch mithilfe der Wikipedia belegt werden können – wenn man ihr denn als Quelle traut. Er sagt aber im Umkehrschluss auch alles über die Verschwörungstheoretiker dieser Welt aus: Hat man nämlich einmal den Gedanken verinnerlicht, dass eine gleichgeschaltete Weltöffentlichkeit einem Informationen vorenthält, dann muss man ja die Informationen, die einem die Verschwörungstheoretiker unterbreiten, schon allein deshalb für bare Münze nehmen, weil man sie ja nirgendwo sonst findet. Und schon befindet man sich mitten in der altbekannten Logikschleife der Paranoiden, die man auch gar nicht mehr stoppen kann, weil man ja systemimmanent keinen Gegenbeweis antreten kann. Deshalb sieht es für mich als Opfer der Verschwörung natürlich auch so aus, als stecke hinter dem Wikipedia-Bashing vor allem gekränkte Eitelkeit, wie dieser Abschnitt suggeriert:

Originalschriften, die von LaRouche oder seiner Bewegung verfaßt wurden, dürfen aus jedem Wikipedia-Artikel, außer den Artikeln “LyndonLaRouche” und anderen eng verwandten, gelöscht werden. Weiterhin werden die Unterstützer LaRouches angewiesen, keine direkten Referenzen zu ihm in Artikel einzufügen, es sei denn dort, wo sie sehr relevant sind. Es soll nichts geschrieben werden, was als “Werbung” für LaRouche wahrgenommen werden könnten.

Es wurde, so erfahren wir weiter, ein Artikel rückgängig gemacht, in dem Lyndon LaRouche als “die dritte große Schule der Kritik an der Frankfurter Schule zitiert wurde”.

In einem vor den üblichen Klischees nur so strotzenden Dreiseiter über Amokläufer soll nachgewiesen werden, dass “die Fakten” “auf der Hand” liegen, was im Klartext heißt: Sie alle haben “Killerspiele” gespielt und Nine Inch Nails (“die Lieblingsband bereits früherer Schulattentäter”) gehört. Inwiefern die Lieblingsbücher eines finnischen Amokläufers (“1984 von George Orwell, Schöne neue Welt von Aldous Huxley und Nietzsches Gesamtwerk“) da hineinpassen sollen, erschließt sich mir als ahnungslosem Außenstehenden zwar nicht, aber Huxley haben wir ja weiter oben schon in einem Atemzug mit Goebbels getroffen.

Ein weiterer Artikel handelt von den “42 Millionen MySpace-Nutzern bzw. -Opfern!”, der “alten anglo-holländischen Politik, die die Kultur lenken und den Geist derjenigen kontrollieren will, die in Zukunft die Führung der Menschheit darstellen” und wartet mit so geistreichen Fakten wie diesen auf:

Wie die Internetseite MyDeathSpace im Nov. 2006 berichtete, gab es 600 Mordopfer und 35 Mörder, die bei MySpace registriert waren.

Das hört sich natürlich spektakulär an. In Deutschland mit seinen 82 Millionen (also fast doppelt so vielen) Einwohnern gab es im Jahr 2006 983 Mordopfer (1,19 Morde pro 100.000 Einwohner). Zieht man zum Vergleich aber die Kriminalitätsrate in den USA heran, die 7,8 Mordopfer pro 100.000 Einwohner zählt, wäre selbst eine Zahl von 600 Mordopfern bei 42 Millionen “MySpace-Opfern” noch die relativ harmlose Mordquote von 1,43 Opfern pro 100.000. Und Berlin wäre froh, wenn sich dort nur 35 Mörder rumtrieben!

Das Geeiere um “Killerspiele und Internetgewalt” wirkt, als hätten die Redakteure von “Frontal 21” und “Süddeutscher Zeitung” einen Eierlikörreichen Nachmittag bei meinen Großeltern auf der Couch verbracht, und das sonstige Weltbild hinter “BüSo” ist so bunt und krude zusammengezimmert, dass selbst L. Ron Hubbard und Eva Herman noch etwas lernen könnten. Das nordrhein-westfälische Innenministerium nennt das ganze “allgemeine politische Theorien, utopische Vorstellungen und z. T. verwirrende Forderungen und Thesen”, die “im Übrigen jedoch keine Kernforderungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Frage stelle”.

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Conquer yourself rather than the world

Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, was genau ein BarCamp ist – den Schilderungen nach zu urteilen muss es sich dabei um eine Art Kirchentag für die Jünger des Web 9 3/4 handeln. Trotzdem habe ich irgendwie zugesagt, bei der Organisation eines solchen mitzuhelfen. Die Hauptarbeit bleibt aber – so sind sie, diese modernen Frauen – an Katti hängen.

Alles weitere erfahren Sie (und ich hoffentlich auch) unter barcampruhr.de.