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Kein Kommentar

Markus Beckedahl hat bei netzpolitik.org einen Artikel über Blogkommentare veröffentlicht, den ich selbstverständlich nicht gelesen habe, so wie Blogkommentatoren in den allermeisten Fällen die Artikel nicht lesen (oder zumindest offenkundig nicht verstehen), unter denen sie kommentieren.

Als ich angefangen habe zu bloggen und plötzlich Leute anfingen, die Kommentarfunktion zu nutzen, gab es in den Kommentaren Zustimmung, andere Denkansätze, Lob, Kritik, Humor, irgendwann Running Gags. Mit einigen treuen Kommentatoren dieser Anfangsphase verbinden mich inzwischen enge Freundschaften.

Dann kam Facebook. Lesenswerte Artikel wurden nicht mehr verlinkt, Blogs rekurrierten nicht mehr aufeinander, die ganze Idee der “Blogosphäre” fiel in sich zusammen. Lesenswerte Artikel werden heute bei Facebook geteilt und ebenda auch diskutiert, bei den allermeisten im überschaubaren Rahmen ihrer Facebook-“Freunde”. Das führt einerseits dazu, dass das Meinungsspektrum nicht mehr ganz so groß ist ((Ich zum Beispiel habe keinen einzigen offen homophoben oder nationalistisch eingestellten Facebook-Kontakt, worüber ich sehr froh bin und worauf ich auch sehr achte.)), andererseits funktionieren Anspielungen und Running Gags viel besser, manche trauen sich gar wieder ans Stilmittel der Ironie. In seltenen Fällen kommt es zu Reibungspunkten, wenn Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit die Facebook-Bekanntschaft mit mir ist, unglücklich aufeinanderprallen, aber meistens verläuft alles harmlos und harmonisch.

Das bedeutet aber auch, dass die allermeisten Menschen, die heute noch Blogbeiträge kommentieren, entweder die letzten treuen Seelen sind — oder die letzten Irren. Die Leute, die einem Artikel einfach nur zustimmen, klicken auf “Gefällt mir” (bzw. “Empfehlen”) oder verlinken ihn anderweitig bei Facebook (bzw. um das Wort einmal geschrieben zu haben: auf Twitter) und sind dann wieder weg. Wer in die Kommentare unter dem Text guckt, bekommt den Eindruck, dass Blogs ausschließlich von Menschen gelesen werden, die mit der Meinung des Autoren nicht übereinstimmen. ((In den Kommentaren des Newsportals “Der Westen” entsteht bisweilen der Eindruck, die WAZ-Gruppe würde Freischärler beschäftigen, die Menschen mit Waffengewalt dazu zwingen, die dort online gestellten Artikel zu lesen und anschließend zu kommentieren. Das ist allerdings immer noch harmlos verglichen mit den nach unten offenen Kommentarspalten von “Welt Online”, in denen sich offensichtlich jene Stammtischgänger versammeln, gegen die der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DeHoGa ein bundesweites Kneipenverbot ausgesprochen hat.)) In einigen Fällen könnte man darüber hinaus glauben, die Kommentare bezögen sich auf einen ursprünglich dort geposteten Artikel, in dem der Autor vom Geschlechtsverkehr mit Tieren geschwärmt hatte und den er anschließend durch einen etwas weniger kontroversen ersetzt hat. So entsteht ein seltsames Zerrbild der Realität.

Manchmal sind Kommentare natürlich auch ein Gewinn. Nicht nur, wenn man explizit um Hilfe gebeten hat, sondern auch, wenn es um das gemeinsame Schwelgen in Erinnerungen geht. Wenn das Thema aber nur geringfügig kontrovers ist, ist das Desaster programmiert. Und wenn dann noch durch irgendwelche Verlinkungen viele Leser von außerhalb angespült werden, die vielleicht mit Autor, Blog und Restkommentatoren nicht vertraut sind, wird es spätestens ab Kommentar #20 so lustig wie an einem schlechten Tag im Nahen Osten.

Ein weiteres Problem ist natürlich, dass in Deutschland keine Diskussionskultur existiert wie im angelsächsischen Raum. Mehr noch, im Fernsehen bekommen wir täglich – und ich wünschte, “täglich” wäre hier eine Übertreibung – gezeigt, wie man mit Menschen umgeht, die anderer Meinung sind: Unterbrechen, Anschreien, alle Argumente für nichtig erklären. Rhetorische Grundprinzipien werden in die Tonne gekloppt, auf der dann laut rumgetrommelt wird. Was übrigens noch viel leichter geht, wenn man dem Gegenüber dabei nicht in die Augen gucken muss, weil es an einer Computertastatur ganz woanders sitzt.

Wenn eine konstruktive Diskussion also eh unmöglich ist, können wir uns alle die Mühe auch sparen. Es bringt nichts, den islamophoben Verschwörungstheoretikern in ihren Wahnsinnsforen mit Fakten, Argumenten oder Verweisen auf die Wirklichkeit entgegentreten zu wollen, aber es bringt noch ein bisschen weniger, unter einen Artikel, der islamophoben Verschwörungstheoretikern mit Fakten, Argumenten oder Verweisen auf die Wirklichkeit entgegentritt, zu schreiben, diese Leute seien aber echt dumme Nazis und hätten kleine Pimmel. Das mag ja stimmen, aber es hilft dennoch niemandem. Außer vielleicht für einen kurzen Moment dem Kommentator.

Natürlich wird einem jeder alte Zeitungshase bestätigen, dass Leserbriefe schon immer zu maximal zehn Prozent aus Zustimmung bestanden (außer, es geht gerade gegen Kindermörder) und zu mindestens hundert Prozent aus galletriefenden Abo-Kündigungen, aber ein Blogkommentar ist noch leichtfertiger in die Tastatur erbrochen als das Wort “Schreiberling” in Sütterlin aufs Büttenpapier getropft. Und während hierzulande tatsächlich niemand dazu gezwungen wird, ein bestimmtes Medium zu konsumieren, verhält es sich bei den Leserkommentaren genau umgekehrt: Die müssen, schon aus Selbstschutz des Blogbetreibers, von irgendjemandem auf mögliche Verstöße gegen die guten Sitten und gegen bestehende Gesetze überprüft werden. Die Verstöße gegen Logik und Rechtschreibkonventionen würde eh niemand nachhalten wollen.

Es ist nicht mehr 2007. Blogs sind jetzt einfach da und gehen auch nicht mehr weg. Aber sie sind nicht ganz das geworden, was wir uns vielleicht mal erhofft hatten. “Wir” sind nicht das geworden. Menschen, die alle eine Blogsoftware benutzen, haben grundsätzlich erst mal genau diese eine Gemeinsamkeit. Wer will, kann sich mit Menschen, die auch irgendwie ins Internet schreiben, treffen, wer nicht will, nicht. Wer seine Sicht auf die Welt für so wichtig hält, dass andere davon erfahren sollten, sollte nicht irgendwo Kommentare hinterlassen, sondern mit dem Bloggen anfangen.

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Ottos Mob kotzt

Es ist das beherrschende Thema der Medienseiten deutschsprachiger Onlinemagazine am heutigen Tag: der unglaublich unsympathische Kandidat Hans-Martin, der bei “Schlag den Raab” eine halbe Millionen Euro gewonnen hat. Weniger gegönnt hat das deutsche TV-Publikum einen Sieg zuletzt der italienischen Fußballnationalmannschaft am 4. Juli 2006.

Falls Sie die Sendung verpasst haben sollten und sich fragen, warum ein einzelner Spielshow-Kandidat stärkere Emotionen auslöst als ein ganzer Bundestagswahlkampf, beantwortet Stefan Niggemeier Ihnen die erste Frage im FAZ.net-Fernsehblog. Zur Beantwortung der zweiten Frage hoffe ich noch einen Psychologen zu gewinnen.

Noch während die Sendung lief, wurden Hans-Martin-Hassgruppen bei StudiVZ gegründet und T-Shirt-Motive angefertigt, die sich über den Kandidaten lustig machten (das habe ich alles nur gelesen — unter anderem in einem inzwischen wieder gelöschten Artikel bei Opinio, dem Leser-schreiben-für-Leser-Portal von “RP Online” und bei community-management.de).

Die deutschsprachige Netzcommunity … Nee, anders: Die deutschsprachige Netzcommunity gibt es natürlich nicht, da kommt man ja in Teufels Küche, wenn man die irgendwie zusammenfassen würde. Es sind eben immer Hunderte von Individuen, die fast wortgleich das gleiche in den Äther schießen (bei Twitter gut zu erkennen am “RT:”, das in Sachen Aussagekraft noch weit unter dem “Me too!!!!1” der AOL-Usenet-Ära und unter dem “Like”-Button bei Facebook liegt).

Hunderte Individuen gaben sich also jeder für sich die größte Mühe, alle Klischees vom digitalen Mob zu bestätigen: “Hassmartin” tauften sie den Kandidaten und straften damit gleich auch noch all jene Lügen, die gedacht hatten, hirnfreiere Namenswitze als “Zensursula” könnten nun wirklich keinem Menschen über 13 mehr einfallen. Für ein “#piraten+” war in den Tweets dann leider kein Platz mehr, das hätte man doch schön kombinieren können.

Twitter ist ja eh nicht gerade als das Medium bekannt, das den Siegeszug der Aufklärung endlich abschließen könnte: 140 Zeichen kann man auch eben schnell tippen, ohne dass man das Gehirn zwischen Galle und Finger schalten müsste. Twittern ist oft genug der Sieg des Affekts über die Reflektion, Hauptsache man ist der Schnellste — besonders bei der Eskalation. Heute stehen die Web-2.0er fassungslos vor den rauchenden Trümmern ihres eigenen “Pogroms” (natürlich auch nicht alle) und wirken dabei ein bisschen wie die Schüler am Ende von “Die Welle”, als ihnen gesagt wird, dass sie alle gute Nazis abgegeben hätten.

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Digital

Klickbefehl (21)

“Das Internet” als Ganzes zu loben oder zu kritisieren ist ebenso sinnvoll wie Papier zu loben oder zu kritisieren, weil darauf ja einerseits das Grundgesetz und “Faust” erschienen sind, andererseits aber auch “Mein Kampf” und Gewaltpornografie.

[…]

Meckernde Leserbriefschreiber waren Journalisten noch nie sympathisch. Nun gibt es, gesunkenen Transaktionskosten sei Dank, wesentlich mehr davon. Wo viel Feedback ist, da ist auch viel Kritik, zum Teil aggressive, pöbelnde, gemeine. Oder anders gesagt: So mancher Autor muss nun endlich erfahren, was manche seiner Leser wirklich von ihm halten. Und das kann weh tun.

Einen der klügsten Texte über das Internet, den ich in den vergangenen Wochen (oder seit seinem letzten großen Artikel zum Thema) gelesen habe, hat Christian Stöcker heute im Internet auf “Spiegel Online” veröffentlicht: “Das Internet” gibt es nicht

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Digital

Der Preis des Internets

Sie werden es vermutlich noch nicht mitbekommen haben, aber gestern wurden in Düsseldorf die Nominierungen für den Grimme Online Award 2009 bekannt gegeben.

Unter den 24 Nominierten befindet sich – das wird die Kritiker verwirren – kein einziger Vertreter einer wie auch immer gearteten Berliner Blogger-Szene (allerdings wieder jemand mit Wurzeln in Dinslaken, wie mir meine Mutter sogleich telefonisch berichtete), und ob die vier Nominierungen für öffentlich-rechtliche Projekte wirklich noch jemanden aufregen, wird sich auch zeigen.

Bekanntgabe der Nominierten für den Grimme Online Award 2009

Besonders erfreut bin ich über die Nominierung von freitag.de — an dem neuen Portal der Wochenzeitung “Der Freitag”, das die Grenzen zwischen Journalisten und Bloggern aufheben soll, war ich ja anfangs auch als “Netzwerker” beteiligt. Ich halte die Idee nach wie vor für einzigartig in Deutschland und hoffe, dass die Nominierung (und die anstehenden Wahlen) dem Projekt weiter Auftrieb geben.

Ebenfalls spontan erfreut (ich kannte den Großteil der Nominierten nicht und möchte mich da erst mal einlesen) war ich über die Nominierung des Sportjournalisten Jens Weinreich und des Amateurfußball-Portals Hartplatzhelden. Obwohl beide Angebote sicher schon von ganz alleine die Nominierungen rechtfertigen, kann man ihre Auswahl auch als Signal in Richtung des Deutschen Fußballbunds deuten, mit dessen Vertretern sowohl Weinreich als auch die Hartplatzhelden schon so ihre Probleme hatten bzw. immer noch haben.

Um Machtfragen ging es Uwe Kammann, dem Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, dessen kindliche Begeisterung für das Internet mich immer wieder rührt, dann auch in seinem Schlusswort: Das Internet sei ein Medium der Freiheit und der Aufklärung und die alten Machthaber, die meinten, ihre Flaschenhälse weiter bewachen zu können, würden ihre Kontrolle bald abgeben müssen. Übrigens war in diesem Jahr kein Vertreter der Politik zur Bekanntgabe der Nominierten erschienen.

Die Veranstaltung erinnerte wieder ein wenig an die Bilanzpressekonferenz des Sparkassenverbands Westmünsterland, aber der anschließende Versuch des gemütlichen Herumstehens im etwas ungastlichen Flur der Landesanstalt für Medien taugt vermutlich besser als Sinnbild des Internets, als es tausend Szenetreffen könnten: Da standen dann die bloggenden Journalisten, die Vertreter von Seiten wie dbna, einem Magazin für schwule Jugendliche, dem Brettspiele-Report oder dem digitalen Historischen Archiv Köln, aßen Suppe und tauschten sich aus. Sie sie kommen aus völlig unterschiedlichen Bereichen, haben ganz unterschiedliche Motivationen, aber sie eint, dass sie alle etwas im Internet machen. Manchmal hatte man sich auch nichts zu sagen, aber das ist dann eben so — das Internet ist ja nur ein Werkzeug und sagt noch nichts über die sonstige Gesinnung aus.

Uwe Kammann bezeichnete das Web als Erweiterung der Öffentlichkeit, von dem ein große Öffentlichkeit nur noch nichts wisse. Das zu ändern ist eine Aufgabe des Grimme Online Awards, der schon deshalb mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.

Die acht Preise plus Publikumspreis werden am 24. Juni in den Kölner Vulkanhallen verliehen — die Preisträger entnehmen Sie bitte wie immer kurz vorher dem Internet.

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Digital

Klickbefehl (19)

Wenn man sich heute wundert, dass der im Regierungsauftrag Verbotsregeln für das Internet entwickelnde Vorsitzende der Olivennes Kommission zugleich der Aufsichtsratschef von Frankreichs größer Kulturkaufhauskette FNAC ist, oder in Schweden ein Richter über Pirate Bay urteilt, der nicht nur selbst Mitglied der lokalen Urheberechtsorganisationen ist, sondern auch die Prozessvertreterin der Filmindustrie in Internet-Domain Streitigkeiten berät, dann ist die Erklärung dieselbe wie vor 123 Jahren: Systeme die nicht mit der Zeit gehen und sich umstellen wollen, wehren sich mit allen Mitteln. Im Notfall auch mit welchen am Rande der Rechtsstaatlichkeit.

Tim Renner schreibt im Motorblog mal wieder etwas sehr Kluges über Digitalisierung, Urheberrechte und digitalen Wandel und gibt ganz nebenbei eine kleine Geschichtsstunde zum Tag der Arbeit.

* * *

Welchen Eindruck wird ein normaler, uninformierter Mensch haben, wenn ein nerdiger Typ “Zensur!” schreit, während Frau von der Leyen scheinbar gegen Kindesmissbrauch kämpft? Wie reagiert ein Fließbandarbeiter bei Opel auf Sascha Lobo, der im Fernsehen erzählt, dass ohne Social Web bald nichts mehr geht, man auch prima mit dem Laptop im Café arbeiten kann und warum er trotz Aufschieberitis produktiv ist? Glaubt jemand, ein Arbeitsloser mit massiven Selbstzweifeln und Angst, nicht mehr dazuzugehören, weil er keine Ahnung vom Internet hat, fühlt sich angesprochen, den Kampf für Netzneutralität zu unterstützen? Meinen Sie, Tante Hanna von nebenan wird die Anliegen einer Partei, die sich Piratenpartei nennt, auch nur entfernt seriös finden können?

Enno macht sich (wie ich neulich auch) Gedanken über die Zweiteilung der Welt in On- und Offliner, hält aber sogar Lösungsansätze bereit.

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Digital Politik Gesellschaft

Wir sind noch nicht so weit

Es gibt wohl mal wieder Grund für Kritik an der Bundesregierung und jede Menge Aufschreie aus der Blogosphäre. Einige Stimmen meinen gar, die Bundesregierung wolle den Faschismus einführen.

Ich halte das für Unsinn. Diese Bundesregierung könnte den Faschismus nicht einführen, wenn sie es wollte. Sie kann nur versehentlich den Boden dafür bereiten.

Denn wenn man sich die Pressekonferenz angesehen hat, auf der Nicht-Wilhelm von Guttenberg, Ursula von der Leyen und Brigitte Zypries heute über die Internetsperren gegen Kinderpornographie gesprochen haben, kann man nur zu einem Schluss kommen: Diese Menschen wissen wirklich nicht, wovon sie reden. Es gilt das gleiche wie in den Debatten über Bundestrojaner und “Killerspiele”: Ja, die Beteiligten sind ahnungslos — aber böswillig? Wohl kaum.

Don Dahlmann und Thomas Knüwer haben schöne Texte geschrieben über die “Systemkämpfe” bzw. die “digitale Spaltung”, die der Gesellschaft drohen. Ich habe das vor einem Jahr auch schon mal an ganz privaten Beispielen durchexerziert.

Und bei aller vermutlich sehr berechtigten Kritik an den ganzen Vorhaben dieser Berliner Dilettanten frage ich mich immer wieder, ob wir “Internetaktivisten”, deren Zahl ich mal sehr großzügig auf 500.000 Menschen schätzen möchte, nicht so eine Art digitale Autoschrauber sind: Nerds mit einem schönen Hobby, das aber gesellschaftlich nur bedingt relevant ist.

Die Millionengroßen Nutzerzahlen von YouTube, MySpace, Facebook und StudiVZ sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Internet für die allermeisten Nutzer in Deutschland so etwas ähnliches ist wie ein Auto (isch abe gar keins) für mich: Es ist praktisch, aber wie es funktioniert und was damit noch möglich wäre, ist irgendwie egal. Für diese Menschen ist Google “das Internet”, und sie nutzen es, um mit Freunden zu kommunizieren, für die Uni zu recherchieren und billige Flugreisen zu buchen. Eine Zensur von regierungskritischen Internetseiten, wie sie immer wieder an die Wand gemalt wird, hätte für diese Gelegenheits-User vermutlich die gleiche Bedeutung wie ein Tempolimit für mich: Es wäre ihnen egal.

Selbst wenn wir eine Million wären: Wir stünden immer noch mehr als 80 Millionen Menschen gegenüber. Zwar ist Masse in den seltensten Fällen ein Beleg für die Richtigkeit von Ideen, aber über deren wahre Bedeutung entscheidet immer noch der Verlauf der Geschichte. Und so wird die Zukunft zeigen, ob das Internet mit all seinen Chancen und Gefahren, mit all dem Tollen und Abscheulichen (das ich ja immer schon nur für eine digitale Abbildung der Lebenswirklichkeit gehalten habe), wirklich in eine Reihe mit den großen Errungenschaften der Menschheit (Feuer, Rad, geschnitten Brot) gehört, oder ob es “nur” ein sehr, sehr gutes Werk- und Spielzeug war.

Mich beschleichen immer wieder Zweifel, ob das World Wide Web wirklich das große Demokratie-Instrument ist, als das es gefeiert wird. Ich glaube schon, dass da ein enormes Potential vorhanden ist, aber noch weiß kaum jemand davon. Die Deutschen schimpfen einerseits seit Erfindung ihres Landes auf “die da oben”, sind aber andererseits in besorgniserregend hoher Zahl mit der “Arbeit” von Angela Merkel zufrieden. Diesen Menschen die Chance auf Mitbestimmung zu geben käme vermutlich ähnlich gut an, wie wenn man ihren Fliesentisch zerschlüge und ihnen “Du bist frei von den Fesseln des Kleinbürgertums!” entgegen riefe.

PS: Persönlich enttäuscht bin ich von Ursula von der Leyen, die ich bisher immer für eine kompetente und erfrischend progressive Familienministerin gehalten habe. Ich weiß nicht, ob sie einfach schlechte Berater hat, oder ob ihr die Berliner Luft nicht bekommt. Aber letzteres wäre durchaus verständlich.

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Digital Musik

Hörst Du, sie spielen unser Lied

Zum siebten Geburtstag seines eigenen Blogs uiuiuiuiuiuiui.de hat Manuel ein Lied über führende deutschsprachige Blogs improvisiert. Trotzdem findet auch dieses hier Erwähnung:

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Ein Blog ist ein Blog ist ein Blog from Manuel Wolff on Vimeo.

[Liedtext und mehr Hintergründe gibt’s hier]

Für einen Moment hatte ich übrigens gedacht, es handele sich um das erste Lied, in dem der Ortsname Dinslaken fällt — aber das stimmt natürlich nicht.

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Digital Leben

Blog am Bein

Writer's block

Kürzlich wohnte ich einer Diskussion bei, bei der es um die (zugegebenermaßen sehr nebensächliche) Frage ging, ob es eigentlich “der Blog” oder “das Blog” heiße. Mein Standpunkt war, dass ich zwar “das Blog” sagen würde, aber beim besten Willen nicht wüsste, warum. Vielleicht, um Verwechslungen mit “der Block” (damn you, Auslautverhärtung!) zu vermeiden. Aber wozu hat man Germanistik und Anglistik studiert und seine B.A.-Arbeit über die Veränderungen in der Internetsprache geschrieben?

Bevor wir uns dem konkreten Fall nähern, müssen wir zwei grundsätzliche Probleme erwähnen: Erstens gibt es im Deutschen Unterschiede zwischen grammatischem (Genus) und biologischem (Sexus) Geschlecht, die dazu führen, dass sprachlich alle Hunde männlich, alle Katzen weiblich und alle Mädchen sächlich sind. ((Besonders das mit den Mädchen ist ein ungeklärtes Problem, dem dessen sich Sprach- und Genderwissenschaften dringend annehmen sollten.)) Da die Artikel (bestimmte wie unbestimmte) vom grammatischen Geschlecht abhängen, muss man zu jedem Wort auch seinen Genus dazulernen. Daraus folgt auch, dass man zweitens für jedes Fremd- oder Lehnwort ein grammatisches Geschlecht festlegen muss. So sagt man “das Trottoir” (im Französischen ein Maskulinum), “die Toilette” (im Französischen auch Femininum) und “der Cappuccino” (im Italienischen ebenfalls Maskulinum).

Versuchen wir, die Kurve Richtung “Blog” zu kratzen, und nähern uns der Welt von Computern (mask.) und Internet (neutr.): So sagt man in Deutschland “die E-Mail”, was sich damit erklären ließe, dass die deutsche Übersetzung (“E-Post”) ebenfalls feminin ist. ((Schlimm wird’s bei einem Wort wie “blogger”, das für weibliche wie männliche Personen steht, für Deutsche aber nach einer männlichen Endung ausschaut. Spätestens bei “girlfriend” empfiehlt es sich, auf fremdsprachliche Vokabeln zu verzichten und einfach den deutschen Begriff “Freundin” zu verwenden.)) In Österreich und der Schweiz heißt es aber “das E-Mail”, womit wir den Salat endgültig hätten.

Nehmen wir der Einfachheit halber trotzdem mal für einen Moment an, die deutsche Übersetzung bestimme alleine den Artikel. “Blog” ist die Kurzform von “Weblog”, was sich wiederum auf “log” bezieht, wozu das “Oxford English Dictionary” Folgendes zu berichten weiß:

log /lɒg/ n.¹ ME. [Origin unknown] I 1 A bulky mass of wood; esp. an unhewn portion of a felled tree, or a length cut off for use as firewood. ME. b Surfing. A large or heavy surfboard. M20. 2 a A heavy piece of wood, fastened to the leg of a person or an animal to impede movement. L16. b Mil. Hist. A form of punishment whereby a heavy weight was chained to an offender‘s leg to be dragged or carried around as the person moved. M19. 3 A piece of quarried slate before it is split into layers. E18. 4 In pl. A jail, a lock-up. Austral. slang. L19.

[…]

II 5 An apparatus for ascertaining the speed of a ship, consisting of a float attached to a line wound on a reel. Also, any other apparatus for the same purpose. L16. 6 a A book containing a detailed daily record of a ship‘s voyage; a logbook. E19. b A systematic record of things done, found, experienced, etc., as (a)a record of discoveries or variations at successive depths in drilling a well; a graph or chart displaying this information; (b) a record with details of journeys kept by a lorry driver; (c) a record of what is broadcast by a radio or television station; (d) Computing a sequential file of transactions on a database. E20. c A list or summary of claims for a wage increase etc. Freq. more fully log of claims. Austral. E20.

(The New Shorter Oxford English Dictionary on historical principles; Edited by Leslie Brown; Oxford, 1993.)

Wäre ich gezwungen, diesem Eintrag eine einzige deutsche Vokabel zuzuordnen, würde ich mich wohl für “Klotz” entscheiden. ((Der Spiegelfechter hatte bei einer ähnlichen Diskussion auf freitag.de angeführt, das englische Wort “log” stamme vom altisländischen und altnorwegischen “lag” ab, was “umgefallener Baumstamm” heiße — ich will nicht ausschließen, dass er da tatsächlich mehr wusste als das Oxford Dictionary, halte diese Information aber auch eher für Bonuswissen, das uns bei der konkreten Fragestellung nicht weiterhilft.)) Er deckt den Bereich I komplett ab und passt im Bereich II zumindest noch zur Nummer 5. Außerdem ist er ähnlich schön lautmalerisch.

Werfen wir auch noch einen (wenig aufschlussreichen) Blick ins mittelenglische Wörterbuch (“ME” = “Middle English”):

loglog(ge n. (1); lok n. (2); lough.

log(ge n. (1) [Cp. ML loggum.] (a) An unshaped piece of wood, stave, stick; (b) as surname.

(Middle English Dictionary; Sherman M. Kuhn, Editor & John Reidy, Associate Editor; Ann Arbor, 1968.)

Das englische Wort “weblog” könnte also mit einiger Berechtigung als “Netzklotz” übersetzt werden, womit es ein Maskulinum wäre. Der Duden, über dessen Rolle man auch erst einmal streiten müsste, lässt übrigens “das” und “der” zu:

1. Blog, das, auch: der; -s, -s [engl. blog, gek. aus: weblog, →Weblog] (EDV Jargon): Weblog. ...

Ich bevorzuge wie gesagt “das Blog” ((Weil ich es sinnvoll finde, wenn sachliche Dinge auch sachliche Artikel haben.)) und finde “der Blog” etwas merkwürdig, aber merkwürdig finde ich ja auch regionalsprachliche Varianten wie “eingeschalten” statt “eingeschaltet” oder “ich bin gestanden” statt “ich habe gestanden” und das macht sie ja auch nicht falsch.

Sprache ist – da wiederhole ich mich gerne – etwas Lebendiges und die Mehrheit hat immer Recht. Sollte sich also “der Blog” durchsetzen, würde das zwar vermehrt zu Verwechselungen von “der Blog” und “der Block” führen, aber man müsste es akzeptieren, wenn man nicht gegen Windmühlen kämpfen will.

Zu den Blog-nahen Sprachveränderungen zählen auch “Blog” als Synonym für “Blogeintrag” (Matthias Matussek veröffentlicht ja regelmäßig “neue Blogs”) und “Blogger” als Bezeichnung für Blogleser und -kommentatoren. Das sind natürlich schon erhebliche Bedeutungsverschiebungen bzw. -erweiterungen, aber sowas ist bei jungen Themengebieten Blogs völlig normal.

Viel entscheidender als die Frage, ob es “der Blog” oder “das Blog” heißt, ist doch die, was drinsteht wer mir die vier Stunden Lebenszeit ersetzt, die ich in der Uni-Bibliothek verplempert habe.

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Eine Woche voller Freitage

Wenn Sie sich rudimentär für Medien interessieren, werden Sie es möglicherweise schon mitbekommen haben: Die Wochenzeitung “Freitag” hat sich einen Artikel (die Wortart, nicht die Textsorte), ein neues Layout und einen neuen Internetauftritt gegönnt.

Bei freitag.de sollen die Leser alles kommentieren, aber auch selber bloggen können. Besonders bemerkenswerte Leserbeiträge landen dann auch in der gedruckten Zeitung und werden entsprechend entlohnt.

Ich bin beim neuen freitag.de als “Netzwerker” dabei, was bedeutet, dass ich mich mit einigen anderen um eine Verzahnung der Seite mit der Blogosphäre kümmere, ein bisschen auf die Community schaue und dort ein eigenes Blog zum Thema Medien führe.

Ich finde das Konzept sehr gut (sonst würde ich dort nicht mitmachen) und würde mich freuen, wenn Sie in Zukunft auch regelmäßig beim “Freitag” vorbeischauen würden.

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Digital

Barack Obama und Lukas Heinser können es

(Nicht erschrecken, ich bin’s nur.)

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, den Eierlikör kurz zur Seite zu stellen, sich vielleicht eine Wunderkerze vom Vorrat für morgen abzuzwacken und sich von den Plätzen zu erheben. Applaus für den Stargast des heutigen Abends: Howard Carpendale!

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Ich kenn ihn aus dem Fernsehn Internet
Seit über einem Jahr
Am Anfang war ich skeptisch
Doch am Ende war mir klar
Wenn einer etwas ändert bloggt
Dann ist es sicher er
Und ich hätt auch mit geschrien getrackbackt
Wenn ich dabei gewesen wär

Yes We Can

Es war die Nacht der Nächte
Und ich war bis morgens wach
Und ich wünschte mir nichts mehr als dass
dieser schwarze schmale Mann es schafft
Ich wär gern dabei gewesen
So wie tausende zwei oder drei mit ihm
Und ich hätt mit ihnen allen
In den Himmel das Twitter rein geschrien

Yes We Can

Jawohl, er hat es geschafft: Lukas Heinser ist mit dem Goldenen Blogger 2008 ausgezeichnet worden. Er wurde in der großen Publikumsabstimmung zum “Besten Blogger deutsch” gewählt. Frau Franzi und die Herren Knüwer und Fiene übergaben den traditionsreichen Preis gestern Abend im Rahmen einer glanzvollen Sofarunde mit Konferenzschaltung.

Lukas Heinser nahm die Würdigung gefasst und äußerlich gelassen auf. Vermutlich weiß er, dass die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt. Dass er die vielen Hoffnungen, die in ihn gesetzt werden, nicht enttäuschen darf.

Aber wenn Sie die Kraft aufbringen, oben im YouTube-Fenster auf “Replay” zu klicken, wissen Sie, dass man alles kann, wenn man nur an sich glaubt.

Lukas: Ich hab immer an dich geglaubt.

(Schluchzend ab.)

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Trau, schau wem

Mit manchen Geschichten ist es wie mit alten Pullovern: Man zieht an einem losen Faden und am Ende hat man das ganze Teil aufgeribbelt.

Am Dienstag wurde David Harnasch das seltene Glück zuteil, als Blogger wohlwollend von “Spiegel Online” porträtiert worden zu sein. Er betreibt seit vergangenem November das Blog “Bildschirmarbeiter”, in dem er das aktuelle TV-Programm kritisiert und parodiert. Mir war das Blog bis vor wenigen Stunden gänzlich unbekannt, seine technorati authority (die freilich nichts über die Qualität aussagt) lag vor dem SpOn-Artikel bei 42.

Harnasch nimmt sich spannenden Themen an, wie in seinem aktuellsten Beitrag vom 6. August. Was “Frontal 21” da gemacht hat, ist wirklich mindestens sehr merkwürdig, Harnaschs Beitrag finde ich persönlich aber weder spannend noch lustig (falls die Verkleidung lustig sein sollte), sein anfängliches ÖR-Bashing nur peinlich. Aber das ist letztlich Geschmackssache – viele Leute werden ja auch unsere Videos nicht lustig finden.

Jan-Philipp Hein, der das große “Bildschirmarbeiter”-Porträt geschrieben hat, folgt darin einer Prämisse, die er in der Einleitung vorstellt:

Fernsehen spielt online fast keine Rolle. Wenige Blogger arbeiten sich am ehemaligen Leitmedium ab – einer aber mit viel Witz und exzessivem Aufwand. Ansonsten gilt TV online vielleicht einfach nicht mehr als kritikwürdig.

Ich sehe das anders. Da wäre ja zum Beispiel der “Fall Bankhofer”, in dem sich der WDR wegen des “Anscheins auf Schleichwerbung” von dem sympathischen “Gesundheitsexperten” trennte, nachdem zwei Blogs die Geschichte angestoßen hatten.

Zugegeben: neben dem Fernsehlexikon, Stefan Niggemeier (bei dem man aber auch ganz froh ist, wenn er nicht jedes Mal genannt wird, wenn der Begriff “Blogger” fällt), medienpiraten.tv und dem Wortvogel, der sich des Themas immer mal wieder von der Macher-Seite annimmt, fallen mir auch nicht mehr soooo viele Fernseh-Blogs ein. “Fast keine Rolle” sieht für mich aber trotzdem anders aus.

In der “SpiegelKritik” stolperte ich dann über diesen Eintrag zu Heins Artikel, den ich auch in meinen aktuellen “Klickbefehl” aufnahm: Timo Rieg schrieb da, Hein und Harnasch seien einander durch die “Achse des Guten” verbunden – Harnasch ist Autor jenes “publizistischen Netzwerks”, das sich gerne mit dem Untergang des Abendlandes und dem angeblichen “Klimaschwindel” befasst, und für das Hein schon dreimal als Gastautor gearbeitet habe. Außerdem betrieben sie gemeinsam das “Netzwerk Gegenrecherche”, schreibt Rieg.

Gefälligkeitsjournalismus unter alten Kumpels bei “Spiegel Online”? Ein ziemliches Ding, wenn dem so wäre.

Allein: So wie’s aussieht, ist dem nicht so. Jan-Philipp Hein erklärte mir gegenüber, dass er David Harnasch “vor zwei, drei Wochen” erstmalig kontaktiert habe – um eben genau jenes Porträt über ihn für “Spiegel Online” zu schreiben. Über die “Achse des Guten” hätten die beiden bisher keinerlei Kontakt gehabt und was dort an Gastbeiträgen von Hein veröffentlicht wurde, seien alle jeweils Zweitverwertungen aus anderen Medien gewesen.

Über “Bildschirmarbeiter” habe er geschrieben, weil er das Blog “originell” finde, sagt Hein, und mit dem “Netzwerk Gegenrecherche” habe der Kollege Harnasch nur insofern zu tun, als der einmal darauf verlinkt habe.

Und – hier kommen wir auf den Pullover-Satz vom Anfang zurück, der Sie dort sicherlich ziemlich verwirrt hat – statt über mögliche Mauscheleien bei “Spiegel Online” zu schreiben, saß ich plötzlich an einem Artikel, der sich mit der haarsträubenden Recherche (bzw. Nicht-Recherche) bei “SpiegelKritik” auseinandersetzen muss. Jan-Philipp Hein nannte den dortigen Artikel, in dem sich Timo Rieg auch noch als Mitglied des “Netzwerks Recherche” zu erkennen gibt, “bedenklich” und “unmöglich” und auch bei “Spiegel Online” war man darüber alles andere als glücklich.

Timo Rieg erklärte mir auf Nachfrage, er wolle seinen Artikel in der “SpiegelKritik” als “Rezension einer Rezension” verstanden wissen.

PS: Was man aber wohl ruhigen Gewissens als kontraproduktiv bewerten kann, ist die Tatsache, dass David Harnasch wenige Tage vor der Veröffentlichung seines Porträts bei “Spiegel Online” einen Blog-Eintrag mit folgenden Worten begann:

Auch wenn ich momentan guten Grundes wegen nicht über SPON lästern sollte, […]

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Selbstbezogen und unprofessionell

Der “Spiegel” hat sich eine self-fulfilling prophecy gebastelt. “Die Beta-Blogger” steht drüber – ein Wortspiel, das im für schlechte Wortspiele bekannten Blog coffeeandtv.de noch vor der Endkontrolle den Gnadenschuss bekommen hätte – und sie füllt in der morgen erscheinenden Ausgabe drei Seiten.

Egal, was man über Blogger schreibt, hinterher wird man von ihnen doch nur verdroschen, weil man nix verstanden oder mit den falschen Leuten gesprochen hat.

steht da ziemlich zu Beginn und damit ist eigentlich alles gesagt.

Genauso gut könnte da auch stehen “das Ganze nach dem Würzen eine halbe Stunde ziehen lassen”, oder “Schönes Wetter draußen, was?”, aber das würde vermutlich nicht dazu führen, dass diese schrecklich selbstreferentiellen Blogger hinterher schreiben, der “Spiegel” hätte nichts verstanden.

Gleich drei Autoren haben an dem “Stück” (“Spiegel”-Sprech) mitgestrickt, was der Kohärenz etwas schadet, dem Text aber ansonsten nicht hilft. Wer sich für Blogs interessiert, erfährt nichts Neues, und wer vorher noch nie von Blogs gehört hatte, wird nachher (“Ist ein bisschen so, als würde man sich einer Sekte nähern, die in internen Grabenkämpfen versunken ist.”) nichts mehr davon hören wollen.

Der Artikel krankt schon an der Grundannahme, die Journalisten jedes Mal tätigen, wenn sie einem sogenannten Massenphänomen gegenüberstehen, das sie nicht verstehen: sie verallgemeinern, scheren alle über einen Kamm und wollen Zusammenhänge sehen, wo keine sind. Normalerweise lautet das Wort, das solche Texte durchzieht “Generation irgendwas”, diesmal heißt es “Blogosphäre”.

Dabei ist die Blogosphäre weder eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, noch ist sie völlig zerstritten – sie ist eine völlig alberne Modellvorstellung, deren Sinnlosigkeit einem klar wird, wenn man das Wort einfach mal durch “Gesellschaft” ersetzt. In Wahrheit heißt Blogosphäre nämlich: die schiere Summe aller Menschen, die bloggen.

Es gibt bloggende Journalisten, bloggende Hausfrauen, bloggende Schüler, bloggende Bestatter und bloggende Hartz-IV-Empfänger – man könnte von einer bloggenden Gesellschaft sprechen. Und all diese Menschen haben so viel oder wenig gemeinsam, wie Journalisten, Hausfrauen, Schüler, Bestatter und Hartz-IV-Empfänger im Alltag gemeinsam haben. Blogs sind ein Medium, ein Mittel zum Zweck. Man wird unter Bloggern auf ähnliche viele nette Menschen, auf ähnlich viele Arschlöcher treffen, wie in der Welt da draußen – vielleicht gibt es unter Bloggern überdurchschnittlich viele Menschen mit einem gewissen Mitteilungsbedürfnis, aber das ist dann auch schon alles.

Natürlich gibt es Blogger, die aktiver sind und sich beispielsweise regelmäßig treffen – aber auch das gibt es in Form von Stammtischen, Vereinen und Freundeskreisen in der Wirklichkeit und hat vielleicht mehr mit den entsprechenden Leuten zu tun als mit ihrer Profession.

Ich kann das Bedürfnis verstehen, all das Tolle, Kluge, Beunruhigende, Abstoßende und Neue, das man in Blogs so finden kann, irgendwie einer größeren Leserschaft zu vorstellen zu wollen. In Blogs kann man meistens für eine klar umrissene Zielgruppe mit Vorkenntnissen schreiben, aber Journalismus braucht Prototypen und deshalb ist Keith Richards Rock’n’Roll, Kurt Cobain Grunge und Gerard Way Emo (wenn nicht gerade Hanni, Nanni und Kaffeekanni Emo sind).

Also setzt man sich hin, schreibt alles auf, was einem dazu einfällt (BILDblog, Don Alphonso, Politically Incorrect, Huffington Post) und guckt im Telefonbuch unter “B” wie “Blogger” nach. Nur wird man dem Thema Blogs damit ungefähr so gerecht wie ein Blogeintrag über Journalismus, der von “Bild”, “Spiegel” und irgendeiner Schülerzeitung handelt und bei dem Roger Willemsen, Günther Jauch und Thomas Leif was über Journalismus sagen dürfen. Es ist letztlich wie mit den Blinden und dem Elefanten.

Jeder Blogger schreibt über die Themen, die ihn interessieren, und wenn sich niemand zur “globalen Finanzkrise”, dem “Mindestlohn” oder der “Verarmung des Mittelstands” äußern will, dann tut das halt niemand. Natürlich tut es trotzdem jemand, denn auch in den Leserbriefspalten und Call-In-Sendungen der Radiostationen äußern sich ja Leute zu diesen Themen, von denen sie keine Ahnung haben. Es braucht keine Vorschriften und keine Listen, was in deutschen Blogs falsch läuft.

Der Vergleich mit amerikanischen Blogs (also den relevanten, nicht denen bei MySpace) ist natürlich naheliegend, aber auch unfair: die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA sind einfach zu groß. In den USA gibt es Mainstream-Medien mit extremen Positionen, die eine Gegenöffentlichkeit brauchen. Wir könnten uns ja glücklich schätzen, wenn deutsche Medien überhaupt irgendwelche Positionen verträten. Außerdem gibt es hierzulande einfach keine Debattenkultur, die man digital fortsetzen könnte.

Für mich gilt außerdem: Ich will gar keine gesellschaftliche Relevanz haben. Ich schreibe, weil mir Schreiben Spaß macht, seit ich denken kann – sogar schon länger, als ich eigentlich schreiben kann. Statt orthographisch fragwürdiger Geschichten über einen “Baua”, der “in Unmacht fellt”, und die meine Eltern lesen (und loben) mussten, kann hier heute jeder, den es interessiert, lesen, welche Musik mir gefällt und was mich alles am derzeitigen Zustand des deutschsprachigen Journalismus stört. Ich habe auch immer schon lustige kleine Videofilme gedreht – früher mussten die Freunde meiner Eltern deren Vorführung durchleiden, heute kann das via YouTube jeder, der will. Das Internet ist das einfachste Mittel, den Kram, den ich sonst für mich selbst machen würde, unverbindlich einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen. Das erfolgt für beide Seiten freiwillig (wer’s nicht lesen mag, muss nicht, und wenn ich keinen Bock hab, schreib ich nichts) und kostenlos.

Und natürlich werden jetzt jede Menge Blogger über den Artikel schreiben und sich aus diesem oder jenem Grund darüber aufregen. Wer sich für Blogs interessiert, erfährt daraus nichts Neues, und wer vorher noch nie von Blogs gehört hatte, wird es sowieso nicht lesen. Durch die ständige Gegenüberstellung der Begriffe “Blogger” und “Journalist” entsteht der Eindruck, es ginge um zwei unvereinbare Lager und Blogger würden Journalisten grundsätzlich hassen (was zumindest auf mich nicht zutrifft). Es gibt keinen Kampf, deswegen wird es auch keine Gewinner und Verlierer geben. Außer natürlich die “Spiegel”-Autoren, die am Ende Recht behalten mit ihrer Vorhersage.

(Immerhin steht vor dem Wort “Blog” jedes Mal der Artikel “das”. Man wird ja bescheiden.)

Nachtrag, 21. Juli: Den Artikel gibt’s jetzt auch bei “Spiegel Online”. Dabei hätte ich es tausend Mal lustiger gefunden, einen Artikel über Blogs nur offline zu verbreiten.