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Digital Gesellschaft

3,2,1 – ein zuversichtliches Blog-Stöckchen

Zuge­ge­ben: Es gab schon mal Zei­ten, in denen es ein­fa­cher erschien, opti­mis­tisch in die Zukunft zu bli­cken.

Selbst jene Social-Media-Platt­for­men, die ursprüng­lich mal dazu gedacht waren, Urlau­be, Son­nen­un­ter­gän­ge und fan­cy Geträn­ke zu pos­ten, um das gute Leben zu fei­ern, sind voll mit irgend­wel­chen Unge­heu­er­lich­kei­ten, die irgend­wel­che Drit­ten irgend­wo anders ins Inter­net geschrie­ben haben. Mal davon ab, dass die Betrei­ber die­ser Platt­for­men unge­fähr so sym­pa­thisch und zukunfts­wei­send sind wie Mine­ral­öl­kon­zer­ne.

Bochumer Brandmauer: Nie wieder Faschismus

Also: Raus aus den soge­nann­ten Sozia­len Netz­wer­ken, zurück in die Blogs und ein paar Leucht­feu­er anzün­den!

Der Kol­le­ge Dirk von Geh­len, des­sen unge­bro­che­nen Glau­ben an das Inter­net als Werk­zeug der Auf­klä­rung ich vor­sich­tig skep­tisch bewun­de­re, hat etwas gemacht, was man frü­her „ein Blog-Stöck­chen wer­fen“ nann­te: sowas ähn­li­ches wie in der Schu­le in ein Freund­schafts­buch ein­zu­tra­gen. Ich hab noch nie bei so etwas mit­ge­macht, aber extre­me Zei­ten erfor­dern extre­me Maß­nah­men!

Drei Din­ge, für die ich mich enga­gie­re:

Umwelt­schutz. Ich war zehn Wochen alt, als mei­ne Eltern mich zu einem der ers­ten Grü­nen-Par­tei­ta­ge mit­ge­nom­men haben, und war in den Jah­ren danach auf zahl­rei­chen Demos gegen Atom­kraft, FCKW und Stein­koh­le­ver­stro­mung. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 40 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist die nächs­te „Fri­days For Future“-Demo in Bochum.

Eine offe­ne, freie Gesell­schaft. Ich war noch kei­ne sechs Jah­re alt, als mei­ne Eltern mich zu einer Gedenk­ver­an­stal­tung mit­nah­men: 50 Jah­re Aus­bruch des 2. Welt­kriegs. Es war noch vor Ros­tock-Lich­ten­ha­gen, aber weni­ge Mona­te, nach­dem die Repu­bli­ka­ner bei der Euro­pa­wahl in Deutsch­land 7,1 % erreicht haben. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 35 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist auch die nächs­te Demo gegen rechts in Bochum.

Gutes Ver­stär­ken. Es ist mei­ne tiefs­te Über­zeu­gung, Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, mit ande­ren Men­schen tei­len zu wol­len. Des­we­gen mache ich sowas wie „5 Songs, die Ihr im Janu­ar gehört haben soll­tet“, des­we­gen betrei­be ich immer noch die­ses Blog, des­we­gen schrei­be ich für Zei­tun­gen und mei­nen News­let­ter. Es macht mich immer ein biss­chen fer­tig, wenn ich z.B. Musik auf Social Media tei­le und die Künstler*innen, ob sie mei­ne Freund*innen sind oder wir uns gar nicht ken­nen, sich dann über­schwäng­lich bedan­ken. Ich mei­ne: Lieb, dass sie das tun, aber es soll­te doch ver­dammt noch mal selbst­ver­ständ­lich sein, Din­ge, die man gut fin­det, tei­len und ver­brei­ten zu wol­len!

Zwei Phä­no­me­ne, die mich posi­tiv stim­men:

Künstler*innen, die wei­ter für Fort­schritt kämp­fen: Lady Gaga hat ihren Gewinn bei den gest­ri­gen Gram­mys genutzt, um sich für Trans­rech­te stark zu machen; Bey­on­cé ist die ers­te Schwar­ze Frau, die den Gram­my für das bes­te Coun­try-Album gewon­nen hat.

Son­ne. In Bochum ist seit Tagen strah­lend blau­er Him­mel und das ändert doch mei­ne Per­spek­ti­ve auf die Welt schon merk­lich.

Ein Zitat, das mir hilft:

„And so now I’d like to say – peo­p­le can chan­ge any­thing they want to. And that means ever­y­thing in the world. Peo­p­le are run­ning about fol­lo­wing their litt­le tracks – I am one of them. But we’­ve all got to stop just fol­lo­wing our own litt­le mou­se trail. Peo­p­le can do any­thing – this is some­thing that I’m begin­ning to learn. Peo­p­le are out the­re doing bad things to each other. That’s becau­se they’ve been dehu­ma­nis­ed. It’s time to take the huma­ni­ty back into the cen­ter of the ring and fol­low that for a time. Greed, it ain’t going any­whe­re. They should have that in a big bill­board across Times Squa­re. Wit­hout peo­p­le you’­re not­hing. That’s my spiel.“ (Joe Strum­mer)

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Musik

Songs des Jahres 2022

Ich brau­che tra­di­tio­nell immer ein biss­chen län­ger, um mei­ne Songs des Jah­res zusam­men­zu­stel­len, aber ich fin­de das bes­ser, als das Jahr schon im Novem­ber ein­pa­cken zu wol­len; hier ist mein Blog mit mei­nen Regeln und außer­dem ist ja noch Janu­ar. Also: Hier sind – Stand jetzt – mei­ne Lieb­lings­lie­der des Jah­res 2022!

25. Death Cab For Cutie – Here To Fore­ver
Ben Gib­bards Lyrics sind ja mit­un­ter so spe­zi­fisch, dass sie schon zum Meme tau­gen. Das muss natür­lich nicht schlecht sein, im Gegen­teil:

In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that ever­yo­ne the­re on the screen
Yeah, ever­yo­ne the­re on the screen
Well, they’­re all dead now

Damit hat er ein­mal mehr einen Gedan­ken aus­for­mu­liert, den ich so oder so ähn­lich selbst schon oft hat­te. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Dei­ner Groß­mutter im Wohn­zim­mer des Groß­el­tern­hau­ses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Groß­tan­ten und ‑onkel, dann knal­len die­se Zei­len noch mal ganz neu in die offe­ne Wun­de: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Mea­dows“ hat mich irgend­wie nicht so rich­tig abge­holt, aber die­ser Song wird immer Teil mei­ner Geschich­te sein.

24. Nina Chuba – Wild­ber­ry Lil­let
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zuneh­mend schwer wird, mit den jun­gen Leu­ten Schritt zu hal­ten – vor allem, wenn man kei­nen Bock hat, sich chi­ne­si­sche Spio­na­ge-Soft­ware aufs Han­dy zu laden. Ich habe die­ses Lied also erst rela­tiv spät in einem prä­his­to­ri­schen Medi­um namens Musik­fern­se­hen ent­deckt, aber mir war sofort klar, war­um das ein Hit ist: Die­se Hook, die gekonnt auf der Gren­ze zwi­schen „ein­gän­gig“ und „ner­vig“ hüpft; die­se Lyrics, die im klas­sischs­ten Sin­ne das durch­spie­len, was wir musi­cal thea­ter kids den „I Want“-Song nen­nen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dol­lars, ich will flie­gen wie bei Mar­vel“) abschöp­fen, als auch fast rüh­rend kind­lich („Will, dass alle mei­ne Freun­de bei mir woh­nen in der Stra­ße“) daher­kom­men; die­se fröh­lich-rum­pe­li­ge Pip­pi-Lang­strumpf-Hal­tung, mit der wie­der mal eine neue Gene­ra­ti­on ihren Teil vom Kuchen ein­for­dert – oder hier gleich die gan­ze Bäcke­rei („Ich hab‘ Hun­ger, also nehm‘ ich mir alles vom Buf­fet“). Und mit­ten­drin eine Zei­le, die man als immer jugend­li­chen Trotz lesen kann – oder als wahn­sin­nig trau­ri­gen Fata­lis­mus: „Ich will nicht alt wer­den“. Wenn man den Song feuil­le­to­nis­tisch nase­rümp­fend neben den „Fri­days For Future“-Aktivismus legt, wird man fest­stel­len, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gera­de noch im rich­ti­gen Alter für den Song) ganz schön wider­sprüch­lich sein kann: „We’­re the young gene­ra­ti­on, and we’­ve got some­thing to say“ hat­ten die Mon­kees ja schon 1967 gesun­gen – und dar­über hin­aus nichts zu sagen gehabt, wäh­rend zeit­gleich mal wie­der eine Zei­ten­wen­de aus­brach.

23. Har­ry Styl­es – As It Was
Damit hät­te jetzt auch nie­mand rech­nen kön­nen, dass aus­ge­rech­net „Take On Me“ von a‑ha mal zu einem der prä­gends­ten Ein­flüs­se auf eine neue Gene­ra­ti­on Pop­mu­sik wer­den wür­de: Schon „Blin­ding Lights“ von The Weeknd war von der legen­dä­ren Key­board-Hook … sagen wir mal: „inspi­riert“ und auch „As It Was“ kann eine gewis­se Ver­wandt­schaft nicht bestrei­ten. Aber ers­tens bit­te nichts gegen a‑ha und zwei­tens pas­siert hier in 2:47 Minu­ten (wäh­rend die Kino­fil­me immer län­ger wer­den, wer­den die Pop­songs immer kür­zer – die Men­schen haben ja auch nicht unend­lich viel Zeit) so viel, dass man kaum hin­ter­her kommt. Und über Har­ry Styl­es muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigent­lich Chris Pine ange­spuckt?))

22. The Natio­nal feat. Bon Iver – Weird Good­byes
„What your favo­ri­te sad dad band says about you“ titel­te McSweeney’s im Janu­ar 2022, dabei war der Witz da schon min­des­tens vier­ein­halb Jah­re alt. The Natio­nal und Bon Iver sind natür­lich auf bei­den Lis­ten und wenn sie nicht gera­de mit Tay­lor Swift Musik machen, machen sie die halt gemein­sam (dass Aaron Dess­ner von The Natio­nal und Jus­tin Ver­non von Bon Iver auch noch gemein­sam bei Big Red Machi­ne spie­len, ver­wirrt an die­ser Stel­le zwar nur, ich muss es aber erwäh­nen, weil sonst mei­ne Mit­glied­schaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochu­mer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei die­sem Song, der nicht Teil des neu­en The-Natio­nal-Albums sein wird, das inzwi­schen ange­kün­digt wur­de und „First Two Pages of Fran­ken­stein“ (man ahnt eine etwas umständ­li­che Refe­renz, die da irgend­wo als Witz im Hin­ter­grund lau­ert) heißt. Es ist trotz­dem ein schö­ner Song! Und die Band ver­kauft inzwi­schen „Sad Dad“-Merchandise.

21. Rae Mor­ris – No Woman Is An Island
Rae Mor­ris ist der ers­te und bis­her ein­zi­ge Act, der schon zwei Mal mei­ne Lis­te der „Songs des Jah­res“ ange­führt hat: 2012 und 2018. Rech­ne­risch wäre sie also erst 2024 wie­der dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natür­lich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehör­ten) gefun­den, die ich 2022 bes­ser fand als die­se leicht thea­tra­li­sche (im Sin­ne von Büh­nen­auf­füh­rung, nicht im Sin­ne von über­trie­ben) Femi­nis­mus-Bal­la­de.