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Ottos Mob kotzt

Es ist das beherr­schen­de The­ma der Medi­en­sei­ten deutsch­spra­chi­ger Online­ma­ga­zi­ne am heu­ti­gen Tag: der unglaub­lich unsym­pa­thi­sche Kan­di­dat Hans-Mar­tin, der bei „Schlag den Raab“ eine hal­be Mil­lio­nen Euro gewon­nen hat. Weni­ger gegönnt hat das deut­sche TV-Publi­kum einen Sieg zuletzt der ita­lie­ni­schen Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft am 4. Juli 2006.

Falls Sie die Sen­dung ver­passt haben soll­ten und sich fra­gen, war­um ein ein­zel­ner Spiel­show-Kan­di­dat stär­ke­re Emo­tio­nen aus­löst als ein gan­zer Bun­des­tags­wahl­kampf, beant­wor­tet Ste­fan Nig­ge­mei­er Ihnen die ers­te Fra­ge im FAZ.net-Fernsehblog. Zur Beant­wor­tung der zwei­ten Fra­ge hof­fe ich noch einen Psy­cho­lo­gen zu gewin­nen.

Noch wäh­rend die Sen­dung lief, wur­den Hans-Mar­tin-Hass­grup­pen bei Stu­diVZ gegrün­det und T‑Shirt-Moti­ve ange­fer­tigt, die sich über den Kan­di­da­ten lus­tig mach­ten (das habe ich alles nur gele­sen – unter ande­rem in einem inzwi­schen wie­der gelösch­ten Arti­kel bei Opi­nio, dem Leser-schrei­ben-für-Leser-Por­tal von „RP Online“ und bei community-management.de).

Die deutsch­spra­chi­ge Netz­com­mu­ni­ty … Nee, anders: Die deutsch­spra­chi­ge Netz­com­mu­ni­ty gibt es natür­lich nicht, da kommt man ja in Teu­fels Küche, wenn man die irgend­wie zusam­men­fas­sen wür­de. Es sind eben immer Hun­der­te von Indi­vi­du­en, die fast wort­gleich das glei­che in den Äther schie­ßen (bei Twit­ter gut zu erken­nen am „RT:“, das in Sachen Aus­sa­ge­kraft noch weit unter dem „Me too!!!!1“ der AOL-Use­net-Ära und unter dem „Like“-Button bei Face­book liegt).

Hun­der­te Indi­vi­du­en gaben sich also jeder für sich die größ­te Mühe, alle Kli­schees vom digi­ta­len Mob zu bestä­ti­gen: „Hassmar­tin“ tauf­ten sie den Kan­di­da­ten und straf­ten damit gleich auch noch all jene Lügen, die gedacht hat­ten, hirn­freie­re Namens­wit­ze als „Zen­sur­su­la“ könn­ten nun wirk­lich kei­nem Men­schen über 13 mehr ein­fal­len. Für ein „#pira­ten+“ war in den Tweets dann lei­der kein Platz mehr, das hät­te man doch schön kom­bi­nie­ren kön­nen.

Twit­ter ist ja eh nicht gera­de als das Medi­um bekannt, das den Sie­ges­zug der Auf­klä­rung end­lich abschlie­ßen könn­te: 140 Zei­chen kann man auch eben schnell tip­pen, ohne dass man das Gehirn zwi­schen Gal­le und Fin­ger schal­ten müss­te. Twit­tern ist oft genug der Sieg des Affekts über die Reflek­ti­on, Haupt­sa­che man ist der Schnells­te – beson­ders bei der Eska­la­ti­on. Heu­te ste­hen die Web‑2.0er fas­sungs­los vor den rau­chen­den Trüm­mern ihres eige­nen „Pogroms“ (natür­lich auch nicht alle) und wir­ken dabei ein biss­chen wie die Schü­ler am Ende von „Die Wel­le“, als ihnen gesagt wird, dass sie alle gute Nazis abge­ge­ben hät­ten.

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Digital

Mutti is now following you on twitter

„The Oni­on“ ist eine ame­ri­ka­ni­sche Sati­re­zei­tung und ‑web­site, die oft mit sen­sa­tio­nell komi­schen Ideen auf­war­tet.

Aber irgend­wie ist das hier zu ernst und rea­lis­tisch, um dar­über lachen zu kön­nen:


Face­book, Twit­ter Revo­lu­tio­ni­zing How Par­ents Stalk Their Col­lege-Aged Kids

[via Face­book]

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Leben Digital

Stilblümchensex

Alle paar Mona­te muss ich bei GMX.de vor­bei­schau­en um zu über­prü­fen, ob mei­ne dort vor über einem Jahr­zehnt ein­ge­rich­te­te E‑Mail-Adres­se noch exis­tiert. Es ist jedes Mal ein freud­lo­ser Akt, der einem zeigt, wie gut man es mit all den Funk­tio­nen von Goo­gle­mail tat­säch­lich hat.

Das Schlimms­te an GMX aber ist das ange­schlos­se­ne Por­tal, bei dem man dann auch tat­säch­lich jedes Mal auf irgend­wel­chen Quatsch drauf klickt und im Bezug auf die zu erwar­ten­de Boden­lo­sig­keit sel­ten ent­täuscht wird. So las ich heu­te ver­se­hent­lich einen Text, der offen­bar ursprüng­lich vom Her­ren­ma­ga­zin „Men’s Health“ stammt und das The­ma „Slow Sex“ behan­delt. Und selbst, wenn das The­ma Sie nicht inter­es­siert: Das soll­ten Sie gele­sen haben!

Los geht es mit ein paar All­ge­mein­plät­zen der Sor­te „Es hilft, wenn Sie min­des­tens zu zweit sind“:

Musi­ka­lisch soll­ten Sie’s zwar ruhig ange­hen las­sen, jedoch ruhig ein paar Drum-Akzen­te set­zen. Die frü­hen Alben von Mas­si­ve Attack oder Air sind dafür her­vor­ra­gend geeig­net.

Dann geht’s aber auch schon schnell zur Sache – zumin­dest was gro­tes­ke Kose­na­men angeht:

Las­sen auch Sie sich von ihr eben­so lang­sam aus­zie­hen. Wird sie dabei zu schnell, brem­sen Sie Ihre Gazel­le, indem Sie ihren Kopf in die Hän­de neh­men und sie küs­sen.

Und dass die „Gazel­le“ kein Aus­rut­scher war, son­dern Teil des Plans, wird schnell deut­lich. Machen Sie auch mal was Ver­rück­tes: Lesen Sie die fol­gen­den Zei­len und ver­su­chen Sie dabei, nicht zu lachen. Den­ken Sie immer dar­an, dass es hier um etwas ent­fernt Sinn­li­ches gehen soll:

Mit einer Hand hält sie sich an Ihrem Ret­tungs­an­ker fest, mit der Hand­flä­che der ande­ren reibt sie fort­wäh­rend und krei­send über Ihre Eichel – etwa so, als wür­de sie einen Apfel polie­ren. Klingt harm­los? Sie wer­den jodeln, Mann!

Jodeln wer­den Sie womög­lich auch, wenn Sie erfah­ren, dass das männ­li­che Geni­tal von den „Men’s Health“-Autoren nicht nur „Ret­tungs­an­ker“ genannt wird, son­dern auch „Ihr bes­ter Freund“, „der klei­ne Don Juan“, „der gute Don“, „Don­ny“, „Don J.“, „Don“ oder schlicht „er“. Für den weib­li­chen Kör­per reich­te die Phan­ta­sie dann nicht mehr, dort ist nur von „Lady K.“ die Rede.

Und wen es nicht abtörnt, sein Glied im Geis­te „Don“ zu nen­nen, der steht bestimmt auch auf syn­tak­tisch kor­rek­ten dir­ty talk:

Und noch ein klei­ner Tipp am Ran­de: Neh­men Sie beim Blo­wjob ihren Kopf nur dann zwi­schen Ihre Hän­de, wenn sie aus­drück­lich zu Ihnen sagt: „Nimm beim Blo­wjob mei­nen Kopf zwi­schen dei­ne Hän­de!“ Genau mit die­sen Wor­ten.

Fast wünscht man sich die Zei­ten zurück, in denen einem die „Bra­vo“ umständ­lich erklär­te, was „Pet­ting“ ist und dass man davon nicht schwan­ger wer­den kön­ne.

Dann kommt’s aber end­lich zum Höhe­punkt und „Men’s Health“ fackelt ein Feu­er­werk der sprach­li­chen Bil­der ab, das garan­tiert das Rücken­mark schä­digt:

Ehe Sie wie Nut und Feder inein­an­der glei­ten, soll­ten Sie die Zügel noch ein­mal stramm­zie­hen, die Geschich­te etwas abbrem­sen.

[…]

Bevor er in tiefs­te Tie­fen vor­dringt, soll er eine Zeit lang am Ein­gang ste­hen und mit der Dame plau­dern. Rei­ben Sie sei­nen Kopf an ihrem Knöpf­chen.

Und plötz­lich beginnt man, Wolf Wond­rat­schek zu schät­zen.

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Rundfunk Politik

Braungebrannt

Was auch immer es braucht, um in den brau­nen Fett­napf zu tre­ten: es liegt die­ser Zeit eine Men­ge davon in der Luft.

Vor knapp zwei Wochen hat­te Hans-Wer­ner Sinn, der Prä­si­dent des Münch­ner Ifo-Insti­tuts, einen äußerst unglück­li­chen Ver­gleich zwi­schen der aktu­el­len Pau­schal­kri­tik an Mana­gern und der Situa­ti­on der Juden nach der Welt­wirt­schafts­kri­se gezo­gen – und am Tag dar­auf sofort um Ent­schul­di­gung gebe­ten.

Ges­tern muss es dann mit dem nie­der­säch­si­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Chris­ti­an Wulff durch­ge­gan­gen sein, der aus­ge­rech­net in der Talk­show von Michel Fried­man von einer „Pogrom­stim­mung“ gegen Mana­ger gespro­chen hat, wie „Spie­gel Online“ berich­tet. Aber ver­mut­lich lag ihm die Voka­bel nur gera­de so auf der Zun­ge, weil sich in weni­gen Tagen die Reichs­po­grom­nacht zum sieb­zigs­ten Mal jährt. Auch Wulff hat sei­nen Ver­gleich heu­te bedau­ert.

Die schwer­wie­gen­de­re Ent­glei­sung die­ser Woche kommt (wie irgend­wie fast immer) aus Öster­reich: Dort hat­te sich der pen­sio­nier­te ORF-Jour­na­list Klaus Emme­rich in der Son­der­sen­dung zur US-Prä­si­dent­schafts­wahl wie folgt geäu­ßert:

Ich möch­te mich nicht von einem Schwar­zen in der west­li­chen Welt diri­gie­ren las­sen. Wenn sie sagen, des ist eine ras­sis­ti­sche Bemer­kung: rich­tig, ist gar kei­ne Fra­ge.

Mit die­sen unver­hoh­le­nen Ansich­ten schlägt Emme­rich sogar Micha­el Hein­rich, der in der anläss­lich der Wahl Oba­mas in der Münch­ner „Abend­zei­tung“ von „negro­iden Lip­pen“ und „Kopf­for­men“ schwa­felt.

Und dann war da noch der ita­lie­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Sil­vio Ber­lus­co­ni, der in sei­ner ers­ten Stel­lung­nah­me zur Wahl Oba­mas sag­te, die­ser sei „jung, hübsch und gebräunt“.

Sie alle haben sich einen Platz in mei­nem Buch „Schlim­mer als Hit­ler­krebs – Miss­glück­te Rhe­to­rik für Pro­fis“ ver­dient, das ich auf Grund­la­ge die­ser Lis­te nächs­te Woche zu Schrei­ben begin­nen wer­de.

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Digital

Geht die Welt heute unter, geht sie ohne mich

Ges­tern Nach­mit­tag wur­de in der Bochu­mer Innen­stadt eine Zehn-Zent­ner-Bom­be aus dem zwei­ten Welt­krieg ent­deckt. Die Gegend (inklu­si­ve des Bermuda3ecks) wur­de eva­ku­iert, Stra­ßen und Bahn­stre­cken gesperrt.

Gera­de woll­te ich mich mal infor­mie­ren, ob die Ent­schär­fung denn inzwi­schen wenigs­tens vor­bei sei und alles gut geklappt hat:

Bombenfund: Klinik und Altenheim evakuiert. Bei Ausschachtungsarbeiten für die neue Kanalisation an der Viktoriastraße in unmittelbarer Nähe der Marienkirche entdeckte heute, 20. Oktober, gegen 15.30 Uhr ein 43 Jahre alter Baggerfahrer einen Blindgänger, der in den Abendstunden entschärft werden soll. mehr... WAZ Bochum, 20.10.2008, Norbert Schmitz

„Der Wes­ten“, das Por­tal der WAZ-Grup­pe, das so ger­ne „RP Online“ als füh­ren­des Regio­nal­zei­tungs­por­tal ablö­sen wür­de, war­tet im Bochu­mer Lokal­teil mit einer unda­tier­ten Mel­dung von irgend­wann ges­tern Nach­mit­tag auf, außer­dem gibt es eine eben­so unda­tier­te Mel­dung mit Agen­tur­ma­te­ri­al auf der Start­sei­te.

Ganz anders die Lokal­sei­te der „Ruhr Nach­rich­ten“:

Aufatmen in der südlichen Innenstadt: Die 500-Kilo-Bombe ist entschärft
BOCHUM Der Bombenalarm in der Bochumer Innenstadt ist aufgehoben. Experten des Kampfmittelräumdienstes haben die 500-Kilo-Bombe am Montagabend um 23 Uhr entschärft. Nach dem Fund des Blindgängers am Nachmittag war die südliche Innenstadt im Umkreis von einem halben Kilometer rund um den Fundort evakuiert worden. 6000 Menschen waren hiervon betroffen, der Verkehr brach zusammen. mehr...

Die hat einen Arti­kel von 23:23 Uhr, der es mit etwas Glück noch in die Print-Aus­ga­be schafft und in den ers­ten zwei Sät­zen des Vor­spanns alle wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen lie­fert:

Der Bom­ben­alarm in der Bochu­mer Innen­stadt ist auf­ge­ho­ben. Exper­ten des Kampf­mit­tel­räum­diens­tes haben die 500-Kilo-Bom­be am Mon­tag­abend um 23 Uhr ent­schärft.

Ach, und auf der Start­sei­te von ruhrnachrichten.de ist es im Moment die Top-Mel­dung.

Nach­trag, 08:14 Uhr: Den Arti­kel im über­re­gio­na­len Teil hat „Der Wes­ten“ jetzt durch eine dpa-Mel­dung mit der geist­rei­chen Über­schrift „Bom­ben­fund: 6000 Men­schen in Bochum eva­ku­iert“ ersetzt.

Auf der Bochu­mer Sei­te sieht es immer noch so aus wie heu­te Nacht. Ver­mut­lich ist die Lokal­re­dak­ti­on der „WAZ“ ein­fach mit­eva­ku­iert wor­den und seit­dem hat dort kein Mit­ar­bei­ter mehr einen Com­pu­ter gefun­den.

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Leben

CSI Bochum

Ich kam um Mit­ter­nacht in unse­re Woh­nung und fand, dass es irgend­wie selt­sam ver­brannt roch.

In der Küche waren alle Fens­ter und Türen sperr­an­gel­weit offen und der Herd war mit geheim­nis­vol­len schwar­zen Rück­stän­den über­sät. Beim Blick auf den vier Mona­te alten Rauch­mel­der im Woh­nungs­flur stell­te ich fest, dass die­ser offen­bar abmon­tiert wor­den war: die Bat­te­rie war her­aus­ge­nom­men, wie um den ner­ven­zer­fet­zen­den Signal­ton abzu­stel­len.

Auf dem Bal­kon stieß ich schließ­lich auf einen völ­lig ver­ruß­ten Topf, des­sen Deckel kom­plett mit einer schwar­zen Mas­se über­zo­gen war – einer schwar­zen Mas­se, die jetzt offen­sicht­lich die Wän­de unse­rer Küche zie­ren wür­de, hät­te es den Deckel nicht gege­ben. In dem Topf befand sich etwas, was man als Rück­stän­de von Hüh­ner­ei­er­scha­len iden­ti­fi­zie­ren könn­te.

Nur einer mei­ner Mit­be­woh­ner war zum Tat­zeit­punkt zuhau­se.

Mag jemand lösen?

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Leben Unterwegs

Ein Abend mit der Kernzielgruppe

Ich war ges­tern in Köln. (Kunst­pau­se. Mit­lei­di­ge Lau­te aus dem Publi­kum.)

Ich war ges­tern in Köln, weil Ste­fan Nig­ge­mei­er da für die Sen­dung „Funk­haus­ge­sprä­che“ von WDR5 auf dem Podi­um saß. Die Dis­kus­si­on selbst war nicht son­der­lich span­nend, denn dafür wäre es för­der­lich, dass die Dis­ku­tan­ten unter­schied­li­cher Mei­nung sind, was Ste­fan, Jörg Schieb und Schi­wa Schlei nicht waren. Der Mode­ra­tor war offen­bar ein Absol­vent der Vol­ker-Pan­zer-Jour­na­lis­ten-Schu­le und saß ent­spre­chend schlecht vor­be­rei­tet, ver­wirrt und vor­ein­ge­nom­men in der Debat­te. Das alles kön­nen Sie hier nach­hö­ren, wenn Sie es nach die­ser Beschrei­bung ernst­haft noch wol­len.

Weit­aus inter­es­san­ter war das Publi­kum, das sich im Klei­nen Sen­de­saal des Funk­hau­ses am Wall­raff­platz ver­sam­melt hat­te (der Ein­tritt war kos­ten­los): Es han­del­te sich um eine wil­de Melan­ge aus Men­schen, deren Durschnitts­al­ter Dank tat­kräf­ti­ger Hil­fe von einem jun­gen Pär­chen und mir noch knapp unter die sech­zig Jah­re gedrückt wur­de.

Ich saß noch kei­ne hal­be Minu­te in den gemüt­li­chen Leder­ses­seln in der Lob­by, da wuss­te ich auch schon, dass die Dame hin­ter mir vier­und­acht­zi­ge­in­halb Jah­re alt war und wegen ihrer schlech­ten Kno­chen einen Body­buil­der hat­te. Ein gesel­li­ger Herr frag­te sie, ob sie auch Doping mache, was sie mit dem Hin­weis kon­ter­te, sie lebe seit 26 Jah­ren vegan. Im Übri­gen tra­ge er eine „Tier­lei­chen­ja­cke“. Das Mit­leid, das ich in die­sem Moment mit dem Leder­ja­cken­trä­ger hat­te, ließ sehr schnell nach, nach­dem er sei­nem Beglei­ter die Lebens­ge­schich­te sei­nes Soh­nes erzählt und pos­tu­liert hat­te, dass es am Com­pu­ter kei­ne Tren­nung von Arbeit uns Spiel mehr gebe. Ste­fans Kolum­ne in der Sonn­tags­zei­tung liest er aber ger­ne.

Wäh­rend ich ver­zwei­felt ver­such­te, nir­gend­wo hin­zu­bli­cken, wo ein Gespräch auf mich lau­ern könn­te, hör­te ich einem gut­ge­laun­ter Rhein­län­der zu, der sei­nen Kum­pel zu über­re­den ver­such­te, an einer Sin­gle­bör­se im „Juut­zie-Kino“ teil­zu­neh­men. Er bekräf­tig­te sei­nen Appell, indem er eini­ge hun­dert Male „Mach das!“ sag­te. Eine älte­re Dame schei­ter­te an den Radi­os, die es einem in der Funk­haus­lob­by erlau­ben, die WDR-Sen­der live zu hören. Aller­dings über Kopf­hö­rer und nicht über die dort eben­falls her­um­ste­hen­den Tele­fo­ne. Ihre Freun­din stu­dier­te wäh­rend­des­sen auf­merk­sam das Pro­gramm und stell­te dann fest: „Nächs­tes Mal ist gut!“

Die Situa­ti­on wur­de nicht ange­neh­mer, als wir im Klei­nen Sen­de­saal Platz neh­men durf­ten, der auf sym­pa­thi­sche 18 Grad her­un­ter­ge­kühlt wor­den war. Dort saß ich nun, sah einen alten Mann mit Bra­si­li­en-Fan-Schal um die Schul­tern her­ein­kom­men, und hör­te mit der Kern­ziel­grup­pe von WDR5 die Kin­der­sen­dung „Bären­bu­de“ über die Saal­laut­spre­cher. Es war, als hät­ten die Coen-Brü­der einen Lori­ot-Sketch neu­ver­filmt.

Nach der Live­sen­dung wur­de Ste­fan von einem Mann abge­fan­gen, der sei­nen mehr­mi­nü­ti­gen Mono­log mit den Wor­ten „Ich habe eben auf­merk­sam zuge­hört“ begann, um dann unter Beweis zu stel­len, dass er genau das offen­sicht­lich nicht getan hat­te. Ich wur­de wäh­rend­des­sen von einem Secu­ri­ty-Mann (In einem Radio­sen­de­saal, der von Grei­sen besetzt wor­den war!) in die Lob­by gescho­ben, wo ich als­bald erkann­te, war­um zumin­dest ein Teil des Publi­kums sei­ne Aben­de im Funk­haus ver­brach­te: Es gab Frei­bier – oder das, was man in Köln dafür hält.

Nach­dem Ste­fan irgend­wann doch noch frei­ge­las­sen wor­den war, stan­den wir etwa eine Minu­te in der Lob­by, ehe sei­nem neu­en Fan doch noch was ein­ge­fal­len war: Die Leu­te wür­den im Inter­net ja meis­tens nur noch eine Sei­te besu­chen und gar kein ver­glei­chen­des Lesen mehr betrei­ben. Als ich frag­te, wie vie­le Leu­te denn meh­re­re ver­schie­de­ne Tages­zei­tun­gen läsen, war er für einen win­zi­gen Augen­blick indi­gniert. Ste­fan, der alte Pro­fi, nutz­te die­sen Moment, um sich unter Vor­spie­lung von Freund­lich­keit zur The­ke zu schlei­chen. Er drück­te mir eine wei­te­re Stan­ge Kölsch in die Hand und stand plötz­lich ganz woan­ders. So ent­ging ihm, wie der Mann, der das Inter­net sor­tie­ren woll­te (in „Gut“, „Nicht ganz so gut“ und „Rich­tig schlim­men Mist“), auf magi­sche Wei­se inner­halb weni­ger Sät­ze von „Spie­gel Online“ über sei­nen Schwie­ger­sohn zur Ban­ken­kri­se kam. Die Zeit auf den über­all gut sicht­ba­ren Atom­zeit­uh­ren ver­strich.

Ich schaff­te es schließ­lich, mich zu den Dis­ku­tan­ten zu ret­ten, die inzwi­schen inhalt­lich ein biss­chen wei­ter waren: Jörg Schieb und Ste­fan bat­tel­ten sich gera­de, wer die älte­ren und obsku­re­ren Heim­com­pu­ter gehabt hät­te. Das war zwar genau­so „Opa erzählt vom Krieg“ wie der Rest der Ver­samm­lung, aber wenigs­tens sind die Bei­den noch kei­ne Opas, was die Sache irgend­wie net­ter mach­te.

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Print Gesellschaft

Das bizarre Massaker der Fehlorientierungen

Mei­ne ers­te „Bra­vo“ las ich im Deutsch­un­ter­richt der ach­ten Klas­se. Nicht heim­lich unter dem Tisch, son­dern auf Geheiß unse­res dama­li­gen Deutsch­leh­rers. Der hielt Deutsch­lands lang­le­bigs­te Jugend­zeit­schrift für ein Super-Bei­spiel, um uns den The­men­kom­plex „Zei­tung“ näher zu brin­gen. ((Gerüch­ten zufol­ge ließ der glei­che Leh­rer in sechs­ten Klas­sen Auf­sät­ze mit dem The­ma „Mein ers­tes Mal“ schrei­ben. Es ist den Anstren­gun­gen unse­res her­zens­gu­ten Klas­sen­leh­rers zu ver­dan­ken, dass wir nur zwei Jah­re mit die­sem Päd­ago­gen zu tun hat­ten, der wenig spä­ter die Schu­le wech­sel­te. Es beun­ru­higt mich ein biss­chen, dass er auch heu­te mit Ende Fünf­zig noch Schü­ler (und vor allem Schü­le­rin­nen) unter­rich­tet.))

Ich war damals drei­zehn Jah­re alt und den Inhal­ten der Zeit­schrift noch nicht wirk­lich gewach­sen. Die Unsi­cher­heit, wie man sich ange­sichts von Tex­ten über den vor­zei­ti­gen Samen­er­guss, Pet­ting und die neu­es­te Sin­gle von Worlds Apart ver­hal­ten soll­te, über­gin­gen mei­ne bes­ten Freun­de und ich, indem wir jede ein­zel­ne Sei­te mit viel Auf­wand künst­le­risch ver­schö­ner­ten. Beson­ders die Foto Love Sto­ry hat­te es uns ange­tan. ((Ich hof­fe, ich den­ke dar­an, den gröbs­ten Irr­sinn beim nächs­ten Eltern­be­such mal zu scan­nen.))

Nach der Klas­sen­ar­beit zu die­ser Unter­richts­ein­heit ((Auf­ga­ben­stel­lung: Wahl­wei­se „Schrei­be einen Brief ans Dr.-Sommer-Team aus der Per­spek­ti­ve des Mäd­chens, das in der Foto Love Sto­ry ver­ge­wal­tigt wur­de“ oder „Schrei­be eine Bio­gra­phie über Mel B.“)) war „Bra­vo“ für mich abge­hakt. Aus Spaß an der Freu­de kauf­ten wir uns aller­dings genau ein Jahr spä­ter eine wei­te­re Aus­ga­be, um auch die­se zu ver­schö­nern. Die Fest­stel­lung, dass sich die The­men im Abstand von exakt 52 Wochen wie­der­ho­len ((„Skan­dal­vi­deo von The Pro­di­gy“, Vor­zei­ti­ger Samen­er­guss, Mini­pos­ter von Jon Bon Jovi.)), war mei­ne ers­te Begeg­nung mit dem Medi­en­jour­na­lis­mus.

War­um erzäh­le ich Ihnen den gan­zen Scheiß aus mei­ner noch nicht mal pick­li­gen Puber­tät? Ich bin im Inter­net ((Über eine Goog­le Ad bei bild.de.)) auf eine völ­lig bizar­re Sei­te gesto­ßen, die es in Sachen Wahn locker mit der „Bür­ger­rechts­be­we­gung Soli­da­ri­tät“ auf­neh­men kann: „Kin­der in Gefahr“ – eine Akti­on der Deut­sche Ver­ei­ni­gung für eine Christ­li­che Kul­tur (DVCK) e.V.

Neben einer Pro­test­ak­ti­on gegen die „stei­gen­de Anzahl von Ero­tik-Sen­dun­gen“ im ZDF, etli­chen homo­pho­ben Aus­fäl­len und diver­sen wei­te­ren For­de­run­gen, die man allen­falls von den bekannt-durch­ge­knall­ten Eltern­or­ga­ni­sa­tio­nen in den USA erwar­tet hät­te, gibt es dort auch eine Unter­schrif­ten­ak­ti­on zum Ver­bot der „Bra­vo“.

Die­ses „Mas­sa­ker an der Kind­heit“ äußert sich nach Ansicht der Deut­schen Ver­ei­ni­gung für eine Christ­li­che Kul­tur bei­spiels­wei­se in die­sen Aus­prä­gun­gen:

  • Jede Woche wer­den ein Jun­ge und ein Mäd­chen split­ter­nackt abge­bil­det, die dabei über ihre Sexu­al­aben­teu­er berich­ten. So gut, wie in jeder Aus­ga­be wer­den Jugend­li­che beim Geschlechts­ver­kehr gezeigt.
  • In jeder Aus­ga­be gibt es Berich­te über The­men wie „Kama­su­tra“, „Ero­ti­sche Aus­st­rah-lung“, „Oral­sex“ usw. usf., natür­lich mit den dazu­ge­hö­ri­gen Ero­tik- und Nackt­fo­tos, ab-gese­hen von sexu­el­len Per­ver­sio­nen, wie bei­spiels­wei­se Fes­seln und Sado­ma­so-chis­mus.
  • Bizar­res wird als „cool“ und „toll“ dar­ge­stellt, wie bei­spiels­wei­se die „Rock-Par­ty“ der Punk-Grup­pe „Tokio Hotel“, die zu einer Zer­stö­rungs­or­gie wurde.Die Lis­te sol­cher Bei­spie­le könn­te man belie­big erwei­tern.

In einem wei­te­ren Arti­kel erklärt der (für Goog­le qua­si kom­plett unbe­kann­te) Prof. Dr. Die­ter Dahl, war­um die Inter­net­sei­te der „Bra­vo“ zu „see­li­scher Zer­stö­rung, Halt­lo­sig­keit, Fehl­ori­en­tie­run­gen und Sucht“ führt:

Dort wo ein Sex­part­ner nicht zur Hand ist, wird von BRAVO der Solo­sex, d.h. die Selbst­be­frie­di­gung, bebil­dert ein­ge­übt und zwar nach Jun­gen und Mäd­chen getrennt. Natür­lich für jeden ein­seh­bar.

Wenn man sich vor­stellt, wie schwer dem guten Pro­fes­sor das Tip­pen des Wor­tes „Selbst­be­frie­di­gung“ gefal­len sein muss, lässt sich erah­nen, was in ihm vor­ging, als er fol­gen­de Pas­sa­ge schrieb:

Ich fra­ge mich: Kann man sich an ver­ant­wort­li­cher Stel­le nicht vor­stel­len, daß ein Jun­ge sich an die­sen Dar­stel­lun­gen auf­geilt, davon nicht los­kommt, zum Dau­er­kon­su­ment und schließ­lich sex­süch­tig wird? Es ent­ste­hen dann see­li­sche Zer­stö­rung, Halt­lo­sig­keit, Fehl­ori­en­tie­run­gen, nicht zuletzt ande­re Süch­te, vor allem Dro­gen­sucht.

Fra­gen Sie mal die Mut­ter von Pete Doh­erty!

PS: Und wie man dem Hein­rich-Bau­er-Ver­lag eine eige­ne neun Jah­re alte Pres­se­mit­tei­lung im Mund her­um­dreht, kön­nen Sie in einem wei­te­ren Arti­kel lesen.

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Musik Rundfunk

Warum tut denn niemand was?

Es gibt Pres­se­mit­tei­lun­gen, die hin­ter­las­sen nichts als Angst und Schre­cken.

Hier die High­lights der ver­gan­ge­nen Tage:

Der Count­down auf der Söh­ne Mann­heims-Web­site kün­digt es an: in weni­gen Tagen ist es soweit – ab dem 08.08.08 ist die neue Sin­gle „Das Hat Die Welt Noch Nicht Gese­hen“ der Söh­ne end­lich im Han­del und als Down­load erhält­lich.

(Löwen digi­tal, Digi­ta­les Pro­dukt­ma­nage­ment)

Unter dem Titel „Der Dativ ist dem Geni­tiv sein Tod“ prä­sen­tiert das WDR Fern­se­hen drei Fol­gen der BASTIAN-SICK-SCHAU. Nach­dem der Jour­na­list und Best­sel­ler-Autor Bas­ti­an Sick mit sei­ner wit­zi­gen Mischung aus Lesung, Deutsch­stun­de und Gram­ma­tik-Come­dy seit län­ge­rem schon die größ­ten Hal­len füllt, bekommt Deutsch­lands bekann­tes­ter Sprach­pfle­ger nun end­lich sei­ne eige­ne Fern­seh­show: Das Bes­te aus sei­nen Büh­nen­pro­gram­men, kom­bi­niert mit Sket­chen, hoch­ka­rä­ti­gen Gäs­ten und einem klei­nen „Deutsch-Quiz“.

(WDR Fern­se­hen)

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ZDF-Pres­se­stel­le

(ZDF, nach meh­re­ren Mona­ten jetzt offen­bar end­lich gelöst)

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Sie sind überall!

Ich weil­te heu­te (bzw. am Diens­tag­abend) beim „Berg­fest“ des 44. Adolf-Grim­me-Prei­ses in Marl. Im offi­zi­el­len Teil gab es unter ande­rem eine Podi­ums­dis­kus­si­on zur Fra­ge, ob im öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen kei­ne Wer­bung mehr lau­fen soll­te. Wie begeis­tert ich immer von Podi­ums­dis­kus­sio­nen bin und was dabei her­um­kommt, kön­nen Sie sich hier oder hier zusam­men­rei­men.

Beim anschlie­ßen­den Bei­sam­men­sein, das soweit ich weiß nicht get tog­e­ther hieß, lern­te ich unter ande­rem Cle­mens Schön­born ken­nen, des­sen Film „Der letz­te macht das Licht aus“ in der Kate­go­rie „Fik­ti­on“ nomi­niert ist. Im Lau­fe des Gesprächs stell­ten wir fest, dass Cle­mens in Dins­la­ken auf­ge­wach­sen ist – sein Bru­der ging aufs glei­che Gym­na­si­um wie ich.

Und dann kam ich nach hau­se und fand einen Link­tipp von mei­ner Mut­ter im Post­ein­gang. Tho­mas Tuma hat­te in einen ziem­lich dada­is­ti­schen „Spiegel“-Text über Bruce Dar­nell fol­gen­den Absatz ein­ge­baut:

Aber sol­le wir ähr­lisch sein, der Wahr­heit sage wie är? Bruce als eine Typ­be­ra­ter in die Äi Ar Di … es ist, als ob Elton John gibt Jodel­kurs in die VHS Dins­la­ken.

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Florida Lady

3.595 Stim­men beträgt im vor­läu­fi­gen amt­li­chen End­ergeb­nis die Dif­fe­renz zwi­schen der CDU und der SPD in Hes­sen. Das ist weni­ger als die 6.027 Stim­men, die die SPD bei der Bun­des­tags­wahl 2002 vor der CDU/​CSU lag, aber bedeu­tend mehr als die 537 Stim­men Unter­schied zwi­schen Geor­ge W. Bush und Al Gore in Flo­ri­da (bei mehr als dop­pelt so vie­len abge­ge­be­nen Stim­men).

Ähn­lich span­nend wie damals in Flo­ri­da war es auch heu­te Abend. In der ARD bewies Infra­test dimap mal wie­der, dass man teu­re Wahl­um­fra­gen auch wun­der­bar durch wür­feln­de Affen erset­zen könn­te, denn am Ende waren alle wich­ti­gen Details anders als pro­gnos­ti­ziert: Um 18 Uhr lag die SPD bei 37,5%, die CDU bei 35,7%, Die Lin­ke wäre drau­ßen geblie­ben. Roland Koch wird sich also mor­gen trotz her­ber Ver­lus­te rüh­men kön­nen, man habe ihn zu früh abge­schrie­ben.

Ähn­lich wie damals in Flo­ri­da gab es offen­bar erheb­li­che Pro­ble­me und Unre­gel­mä­ßig­kei­ten mit Wahl­com­pu­tern, die der Cha­os Com­pu­ter Club in einer Pres­se­mit­tei­lung zusam­men­ge­fasst hat. Und in den Qua­li­täts­me­di­en fin­det sich dazu (anders als in Blogs) kein Wort.

Nach­trag 13:52 Uhr: Die Rhein-Main-Zei­tung hat einen Arti­kel zum The­ma online.

Nach­trag 20:14 Uhr: Eine Mel­dung zum The­ma hat’s sogar auf „Bild.de“ geschafft.

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Politik

Analog ist besser

Wie­so die Wahl­er­geb­nis­se, die wir heu­te Abend aus Hes­sen hören wer­den, wohl allen­falls unter Vor­be­halt zu genie­ßen sind, ent­neh­men Sie bit­te die­sem Bei­trag.

[via Twit­ter]