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Unterwegs

Es fährt ein Zug nach Irgendwo

Dass es ger­ne mal lus­tig wird, wenn ich mich von A nach B bewe­ge, ist ja schon seit eini­ger Zeit bekannt. So ist es auch eigent­lich nicht wei­ter erstaun­lich, was ich über mei­nen heu­ti­gen Aus­flug mit der Deut­schen Bahn zu berich­ten habe: Nach dem wochen­end­li­chen Auf­ent­halt bei mei­nen Eltern mach­te ich mich auf den Weg nach Bochum, der in die­sem Fall über den Duis­bur­ger Haupt­bahn­hof führt. Der nächs­te Zug Rich­tung Bochum war der NRW-Express nach Hamm, der aus­nahms­wei­se mal die ent­schei­den­den Minu­ten zu spät war, die es mir ermög­li­chen, ihn noch zu erwi­schen.

Auf Gleis 13, von dem die­ser Regio­nal­ex­press abfah­ren soll­te, erschall­te die Durch­sa­ge: „Bit­te beach­ten Sie: wegen einer Betriebs­stö­rung (Bahn­deutsch für: etwas, was wir selbst nicht näher benen­nen kön­nen, und das vor­aus­sicht­lich zwi­schen fünf Minu­ten und sechs Mona­ten anhal­ten wird) auf der Stre­cke fährt die­ser Zug heu­te nicht über Mülheim/​Ruhr, Essen und Bochum. Der nächs­te Halt ist Gel­sen­kir­chen.“
„Nun gut“, dach­te ich, „solang die S‑Bahn fährt, soll mir das ja egal sein. Ist ja sowie­so komisch, dass die Fern­zü­ge an die­sem Wochen­en­de alle wegen Bau­ar­bei­ten umge­lei­tet wer­den, aber die Regio­nal­zü­ge die glei­che Stre­cke benut­zen kön­nen sol­len.“
Ich ging also zum Gleis 9 von (bei der Bahn sagt man: aus) dem die S‑Bahn nach Dort­mund in weni­gen Minu­ten abfah­ren wür­de und war natür­lich nicht allein. Als der NRW-Express schließ­lich ein­fuhr, stürz­ten auch Dut­zen­de Men­schen her­aus und kamen zum S‑Bahn-Gleis, um nach Mülheim/​Ruhr, Essen oder Bochum zu gelan­gen.

Bis hier­hin war die Geschich­te für die ein­zel­nen Betrof­fe­nen natür­lich etwas unbe­quem, aber im Gro­ßen und Gan­zen wohl hin­nehm­bar. Wer weiß, woher die Betriebs­stö­rung kam (sicher nicht vom völ­lig ver­al­te­ten Schie­nen­netz). Aber die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn sie sich nicht in die­sem Moment ent­schlos­sen hät­te, ihre zah­len­den Kun­den (vul­go: Fahr­gäs­te) gegen sich auf­zu­brin­gen. Denn als sich die Mas­sen auf Gleis 9 sam­mel­ten, erschall­te auf Gleis 13 die Ansa­ge „Bit­te beach­ten Sie: die­ser Zug ver­kehrt jetzt doch plan­mä­ßig über Mülheim/​Ruhr, Essen und Bochum!“
Es setz­te eine erneu­te Völ­ker­wan­de­rung ein, auf Gleis 13 spiel­ten sich tumult­ar­ti­ge Sze­nen ab und der Bahn­an­ge­stell­te, der am Bahn­steig Wache schob, muss­te meh­re­ren ver­zwei­fel­ten Per­so­nen teils mehr­fach bestä­ti­gen, dass der Zug jetzt doch plan­mä­ßig über Mülheim/​Ruhr, Essen und Bochum ver­keh­re. Ich hader­te noch, stieg dann aber doch ein, fand schnell einen frei­en Platz und wid­me­te mich mei­ner Lek­tü­re, der Zug fuhr als­bald los.

Nach eini­gen Minu­ten der Fahrt knack­te der Laut­spre­cher und der Lok­füh­rer ver­mel­de­te: „Ver­ehr­te Fahr­gäs­te, in weni­gen Minu­ten errei­chen wir außer­plan­mä­ßig Gel­sen­kir­chen Haupt­bahn­hof.“
Gespens­ti­sche Sze­nen spiel­ten sich im Zug ab: Men­schen sahen ein­an­der an, erst fra­gend, dann ver­zwei­felnd. Ohne­hin leid­ge­prüf­te Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Fans schrien ver­är­gert auf und ich lach­te, als habe der Wahn­sinn soeben Besitz von mir ergrif­fen. Aber ich wuss­te ja: die Bahn wäre nicht die Bahn, wenn sie nicht kon­se­quent ihr Ziel ver­fol­gen wür­de, ihre zah­len­den Kun­den (vul­go: Fahr­gäs­te) voll­endes gegen sich auf­zu­brin­gen.

So hiel­ten wir am Gel­sen­kir­che­ner Haupt­bahn­hof, den ich noch gar nicht kann­te und des­halb in den fol­gen­den Minu­ten inter­es­siert durch­streif­te. Ganz frisch zur Fuß­ball-WM reno­viert hat­te er etwas sehr Ber­li­ne­ri­sches, nur dass die meis­ten Geschäf­te und Fress­bu­den um neun Uhr Abends schon geschlos­sen waren. Die Stein­plat­ten, die sei­nen Boden bedeck­ten, sahen dre­ckig aus, obwohl sie es nicht waren. Das erin­ner­te mich an den Küchen­fuß­bo­den bei mei­nen Eltern, den man auch so viel Schrub­ben kann, wie man will. Da es auf den Bahn­stei­gen zog wie Hecht­sup­pe, ver­trieb ich mir die Zeit damit, abwärts fah­ren­de Roll­trep­pen hin­auf­zu­ge­hen, das hält fit. Und noch ein Fakt für die Samm­ler kurio­ser Fak­ten am Ran­de: der Gel­sen­kir­che­ner Haupt­bahn­hof hat sechs Glei­se – 4, 5, 6, 7, 8 und 25.

Schließ­lich fuhr die Nokia-Bahn, die so heißt, weil sie in Bochum-Nokia am Werk eines aus­län­di­schen Mobil­te­le­fon­pro­du­zen­ten hält, ein. Mir wur­de warm ums Herz, denn sie wird vom pri­va­ten Bahn­un­ter­neh­men Arbel­lo betrie­ben und ich wür­de heu­te nicht mehr mit der Deut­schen Bahn fah­ren müs­sen. Ent­spre­chend pünkt­lich kam ich auch in Bochum an, gera­de mal zwan­zig Minu­ten spä­ter als ich es mit der S‑Bahn von Gleis 9 gewe­sen wäre.

Und wer jetzt sagt: „Ganz lus­ti­ge Geschich­te, aber der Schluss ist ja schon ein biss­chen lahm, nech?“, dem ant­wor­te ich: „Das war doch noch gar nicht der Schluss!“
Denn als die Bochu­mer U‑Bahn, die mich nach Hau­se brin­gen soll­te, aus dem Tun­nel fuhr, erzit­ter­te das Land von einem Don­ner und ein Schnee­sturm schlug gegen die Schei­ben. Und so ging ich die let­zen 600 Meter im Schnee­re­gen­ge­stö­ber nach Hau­se und freu­te mich wie ein Kind, als sich mei­ne Jeans mit nas­sem, kal­ten Matsch voll­so­gen. Denn ich wuss­te ja: zuhau­se war­tet mei­ne war­me Dusche und alles wür­de gut wer­den.