Kategorien
Film Gesellschaft

Holger, der Kampf geht weiter

Andreas Baader wird in der Erinnerung der Menschen immer der Mann sein, der im Gerichtssaal von Stuttgart-Stammheim den vorsitzenden Richter anbrüllte und Frauen, wenn er mit ihnen redete, als “Fotzen” bezeichnete. Daran wird sich auch durch den zwanzig-Millionen-Euro-Film “Der Baader Meinhof Komplex” nichts ändern — die Leute werden den gebürtigen Münchener Baader höchstens mit einem nordischen Einschlag im Ohr haben, weil Moritz Bleibtreu im Sprechunterricht an der Schauspielschule gepennt hat.

Es gibt ja kaum einen Superlativ, kaum einen Satz, der im Vorfeld nicht über den Film geschrieben worden war. Jeder, der damals dabei war oder jemanden kannte, der die Geschichte der RAF am Fernseher miterlebt hatte, durfte sich in irgendeinem Medium darüber äußern, durfte diskutieren, ob man aus so einer Geschichte einen kommerziellen Spielfilm machen dürfe, oder durfte sonst irgendetwas sagen. Der Film wurde vorab so mit Bedeutung aufgeladen, dass man sich schon fragt, ob man ihn überhaupt noch als Film sehen und beurteilen kann.

Ja, man kann. “Der Baader Meinhof Komplex” ist stilistisch solide, mitunter brillant, was insofern überrascht, als Regisseur Uli Edel (“Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”, “Letzte Ausfahrt Brooklyn”) seit ungefähr zwanzig Jahren nichts Relevantes mehr gedreht hat. Es ist ein detailverliebter Zweieinhalbstünder, dessen Spannungsbogen ein bisschen darunter leidet, dass zehn Jahre (und 650 Seiten Buchvorlage) abgehandelt werden müssen, bis das passiert, was man eh schon tausendmal gesehen hat: Die “Landshut” wird in Mogadischu gestürmt, in Stammheim werden drei Leichen gefunden. Bis dahin ist es nie langweilig geworden, aber auch nur selten konkret oder gar übersichtlich. Ich weiß nicht, ob es hilfreicher ist, gar nichts über die Geschichte der RAF zu wissen, weil man sich dann wenigstens nicht ständig fragt, wer wer ist.

“Der Baader Meinhof Komplex” oder kurz “BMK” ist keine Dokumentation und keine Vertiefung von irgendwas, er ist eine oberflächliche Einführung in ein Kapitel deutscher Geschichte, dessen Aufarbeitung rechnerisch noch zehn bis zwanzig Jahre brauchen wird. Wir Spätgeborenen sitzen da und wundern uns über Massendemonstrationen, Raucher allerorten, riesige Studentenversammlungen und Menschen, die umständlich mit Vokabeln wie “Imperialismus”, “Genossen” und “Bourgeoisie” hantieren. Wir wundern uns, dass solche Leute, die man bei jeder Studentenparty stehen lassen würde, wenn sie einen anlaberten, damals die Massen bewegt haben (die Konservativen haben sich freilich schon damals gewundert). Wenn ein vollbesetzter Hörsaal auf Geheiß von Rudi Dutschke (erschreckend nah am Original: Sebastian Blomberg) “Ho, Ho, Ho Chi Minh” anstimmt, sind das für uns ähnlich fremde und beunruhigende Bilder wie die vom Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Aber der Film macht klar, was die Studenten 1967 bewegte, und wenn man die damaligen Meldungen aus Vietnam mit denen aus dem Irak heute vergleicht, ist einem das gleich gar nicht mehr so fremd und man wundert sich stattdessen, warum die heutigen Kriege eigentlich so egal sind. Auch die Bilder vom 2. Juni, als sich die Spannung zwischen Demonstranten und Polizisten schließlich in roher Gewalt entlädt, hat man so ähnlich in letzter Zeit schon mal im Fernsehen gesehen — allerdings längst nicht so brutal und ohne die “Jubelperser”, die mit Latten auf die Demonstranten einschlagen.

Diese Parallelen machen den Film für jüngere Zuschauer interessant, aber wie aus dem Protest gegen Vietnamkrieg und Schah plötzlich die RAF werden konnte, geht im Film völlig unter. Die Frankfurter Kaufhausbrandstiftung, für die Baader und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) erstmalig vor Gericht stehen, und die in der Buchvorlage ausführlich anmoderiert wird, passiert einfach so. Damit fehlen dem Unternehmen RAF im Grunde genommen weite Teile des Überbaus und alles, was man sieht, sind verwöhnte Bürgerkinder, die (wie schon in “Die fetten Jahre sind vorbei”) ein bisschen Terroristen spielen wollen. Entsprechend dämlich stellen sie sich mitunter an, entsprechend komisch sind die Szenen in den palästinensischen Ausbildungscamps.

Michael Buback hat “BMK” als “Täterfilm” beschrieben, was sicherlich nicht falsch ist. Schon das Buch konzentriert sich hauptsächlich auf die Biographien der Terroristen, der Film verknappt da weiter. Anders als in Heinricht Breloers brillantem Fernseh-Zweiteiler “Todesspiel” bekommt Schleyer hier nur wenige Augenblicke Aufmerksamkeit, alle anderen Opfer sind sowieso reines Kanonenfutter. Polizisten, US Army, Springer-Hochhaus, Stockholm, “Deutscher Herbst”, zwischendurch sogar München 1972 — die Schauplätze und Verbrechen werden abgehechelt, der Bodycount läuft stumm mit.

Allerdings ist der Film trotzdem keine Bonnie-und-Clyde-Nummer, keine mehrfach popkulturell codierte Heldenballade wie Christopher Roths “Baader”. Solange die Terroristen reden, sind sie unerträglich: Mao, Lenin, und die ganzen französischen Philosophen sind nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen, ihre Aufrufe schwanken zwischen blasiertem Pathos und verblendetem Zynismus. Manche Dialoge, wie die zwischen Ensslin und ihren Eltern, wirken furchtbar hölzern und plakativ, aber man muss annehmen, dass “Diskurs” damals eben so klang. Sobald die Terroristen dann schießen, sind sie kaltblütig und brutal, und außer Susanne Albrecht, die als Lockvogel bei der Ermordung Jürgen Pontos, dem Patenonkel ihrer Schwester, dabei war, zeigt niemand eine Gefühlsregung für die Opfer.

Moritz Bleibtreu schafft es nur in wenigen Momenten, hinter der Rolle zu verschwinden. Die meiste Zeit ist sein Baader irgendeine weitere Bleibtreu-Rolle: ein bisschen verschlagen, ein bisschen sympathisch (weil eben Bleibtreu), ein bisschen wahnsinnig. Martina Gedeck spielt Ulrike Meinhof als eine zögerliche Sprücheklopferin, die sich völlig in der Situation verheddert und am Ende zwischen Lethargie und Hysterie schwankt, bis sie einfach tot ist. Johanna Wokalek ist unglaublich gut, man hasst ihre Gudrun Ensslin quasi ab dem ersten Moment und ist doch immer mal wieder fasziniert von dieser entrückten Frau. Und dann gibt es da noch mehr als hundert weitere Schauspieler — fast jeder, der in Deutschland in den letzten zehn Jahren mal vor einer Kamera stand, ist (mit Ausnahme von Til Schweiger, Franka Potente und Iris Berben) auch diesmal mit dabei, was den Film so ein bisschen nach einem deutschen “Ocean’s Eleven” aussehen lässt. Sogar Heino Ferch und Jan Josef Liefers hat man unterbringen können.

Bruno Ganz allerdings hatte Pech: Als BKA-Chef Horst Herold erntete er ständig unfreiwillige Lacher. Vielleicht, weil die Leute Adolf Hitler vor Augen bzw. im Ohr hatten (s. “Der Untergang”), vielleicht, weil die Rolle so dünn und karikiert angelegt ist. Herold ist durch und durch Beamter, der irgendwie immer alleine ist (von den mehr als 100.000 Polizisten, BKA-Leuten und den ganzen Computern, die mit der Rasterfahndung beschäftigt waren, mal ab) — sowohl räumlich, als auch als einzige Stimme der Vernunft in einem Heer von Wahnsinnigen auf beiden Seiten. Denn brutal sind sie alle, in dieser Spirale der Gewalt, die als self-fulfilling prophecy schließlich zu dem Polizeistaat führt, den die Terroristen von Anfang an bekämpfen wollten: Die einen bei der Entführung Hanns Martin Schleyers, bei der seine Begleiter einfach niedergemäht werden, die anderen nach der Verhaftung von Holger Meins, bei dem jeder Polizeibeamte aus Rache für die getöteten Kollegen einmal zutreten darf. Die einen kämpfen gegen sinnlose Gewalt, die anderen für den Rechtsstaat.

Man konnte nicht viel falsch machen mit dem “Baader Meinhof Komplex”: Die Buchvorlage ist eine gut recherchierte Zusammenfassung einer Geschichte, die auch einer antiken Sage oder einem Shakespear’schen Drama entstammen könnte. Da drehen sich Gut und Böse im Kreis, endet die vorgeblich aufgeklärte Kritik am amerikanischen “Imperialismus” im menschenverachtenden Töten vom “Schwein in Uniform”, und der angeblich so gefestigten Bundesrepublik droht plötzlich eine krude Mischung aus Polizeistaat und Anarchie. Und über allem schwebt die Definition von Ulrike Meinhof, was Protest, und was Widerstand sei.

Uli Edel und Bernd Eichinger haben filmisch entsprechend zielsicher eine spannende Geschichtsstunde hinbekommen. Die Verquickung von Archivmaterial und Film in manchen Szenen ist auch unter rein handwerklichen Aspekten interessant. Dass die Macher den medialen Overkill, den ihr Film erzeugt hat, jetzt von den gleichen Medien wechselseitig um die Ohren gehauen bekommen, haben sie nicht verdient. Der Diskussion, die der Film ausgelöst hat, hat er selbst allerdings überhaupt nichts hinzuzufügen. Er ist, wie ich oben schon schrieb, eine Einführung in ein komplexes Kapitel der Geschichte, das bis heute nicht aufgearbeitet wurde und das vielleicht wirklich noch Zeit braucht.

Für viele junge Menschen wird “Der Baader Meinhof Komplex” die erste Begegnung mit der RAF sein — und auch wenn manche Szenen wie ein Triumphzug inszeniert sind, wird am Ende wohl kaum jemand die Terroristen als Helden feiern wollen. Der Film hat zu wenig Zeit, ihre Beweggründe und Entscheidungen wirklich zu vertiefen, aber zumindest ein kleiner Teil ihrer Tragik kommt rüber. Und letztlich dämmert einem, dass das vielleicht wirklich ganz verschiedene Sachen sein könnten, die nur einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben: die echten Verbrecher, der Mythos RAF und seine kulturelle Aufbereitung.

Nur eins noch: Die Filmmusik ist wirklich grauenvoll.

Offizielle Website
IMDb

Kategorien
Film Print Gesellschaft

Komplexe Verhältnisse

Nächste Woche läuft “Der Baader Meinhof Komplex” (nur echt ohne Bindestriche) in den deutschen Kinos an. Auch wenn mich das Thema RAF seit vielen Jahren interessiert, weiß ich nicht, ob ich mir den Film ansehen soll: die Handlung ist hinlänglich bekannt und außerdem muss man den Film ja gar nicht selber sehen — es schreibt je eh jeder drüber.

Besonders “Bild” ist an vorderster Front mit dabei: schon seit Monaten schreibt das Blatt über jedes kleine bisschen Information, in den letzten Tagen dann mit immer stärkerer Frequenz. Der Sohn von Hanns Martin Schleyer hat sich den Film bereits für “Bild” angesehen, die Tochter von Ulrike Meinhof ebenfalls.

Bettina Röhl ist für “Bild” eine wichtige Kronzeugin, denn:

Bettina Röhl (Ihre Mutter war Ulrike Meinhof) über den RAF-Film  Martina Gedeck ist eine Fehlbesetzung!

Sie war also dabei. Genauso wie “Bild”, möchte man einwenden, denn das Massenblatt des Axel-Springer-Verlags ist natürlich untrennbar mit ’68 und allen seinen Folgen verbunden.

Und da kommt ganz schnell so etwas wie Nostalgie auf, wenn Bild.de im traditionellen Duktus fragt:

Kommt die Baader-Meinhof-Bande zu Oscar-Ehren?

Auch beeindruckend doof ist diese Frage:

Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Johanna Wokalek: Dürfen sympathische Stars Terroristen spielen?

Da schließt sich doch gleich die Fragestellung an, wie unsympathisch Stars sein müssen, damit sie nach Ansicht von Bild.de Terroristen spielen dürfen. Müsste ich Til Schweiger und Iris Berben im Kino ertragen, damit mir Andreas Baader und Ulrike Meinhof nicht sympathisch erscheinen?

Ein besonderer Treppenwitz der Geschichte ist es allerdings, wenn Bild.de ein Foto von den Dreharbeiten erklärt, bei denen gerade die Krawalle des 2. Juni 1967 nachgestellt werden. Die ganz Alten werden sich erinnern: an diesem Tag war der Schah von Persien auf Staatsbesuch in Berlin, bei den Demonstrationen gegen ihn kam es zu beiderseitigen Gewalteskalationen, in deren Folge der Student Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel getötet wurde.

“Bild” beschrieb das damals so:

Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten.

31 Jahre nach der “Todesnacht von Stammheim” kommt jetzt die zweite Generation zum Einsatz: Nachfahren von Tätern und Opfern erzählen “Bild”-Redakteuren, die damals allenfalls Schulaufsätze geschrieben haben, was sie von der filmischen Aufbereitung der Ereignisse halten.

Allein: Bettina Röhl ist eine ähnlich zuverlässige Zeitzeugin wie “Bild” selbst. Die Frau (“Röhl muss es wissen, immerhin ist Ulrike Meinhof ihre Mutter!”) hat sich in den letzten Jahren in den Medien als eine Mischung aus Eva Herman und Henryk M. Broder (nur nicht ganz so sympathisch) präsentiert, die gegen ihre Elterngeneration und das Gender Mainstreaming zu Felde zieht und in allem und jedem wahlweise Geschichtsklitterung oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen sieht. Das ist ihr gutes Recht, aber es macht sie im doppelten Sinne befangen.

Frau Röhl kann sich natürlich zu dem Film äußern, wie sie mag. Sie kann es sogar in “Bild” tun, wenn sie das für eine gute oder witzige Idee hält. Es bleibt aber eine irgendwie merkwürdige Aktion, die andererseits auch zeigt, wie viel sich in den letzten 40 Jahren geändert hat: “Bild” macht munter Promotion für einen Film über die “Baader-Meinhof-Bande” und ist auch längst nicht mehr das Feindbild, das sie damals war. Letztlich haben alle gewonnen: die Terroristen kommen, wie jeder große Bösewicht irgendwann, zu Leinwandehren und “Bild” ist in der Mitte der Gesellschaft. Wir Spätgeborenen blicken erstaunt auf riesige Demonstrationszüge, die “Enteignet Springer!” skandieren, und lassen uns vom Feuilletonchef der “Zeit” Charakterlosigkeit vorwerfen. Für tatsächliche Diskurse sind wir sowieso ungeeignet.

Bernd Eichinger, der alte Geisterbahnbetreiber, entwickelt sich derweil langsam zum Guido Knopp des Kinos, der nach Hitler jetzt den zweiten deutschen Dämon des 20. Jahrhunderts auf die Leinwand bringt. Sein Stasi-Film ist sicher schon in Vorbereitung.

Kategorien
Film Rundfunk

Dies ist nicht Amerika

Ich habe gerade etwa 20 Minuten von der Verleihung des deutschen Filmpreises gesehen. Genug, um zu wissen, warum Babelsberg nie (mehr) Hollywood sein wird:

  • Das ZDF übertrug mal wieder zeitversetzt. Schon vor der Auszeichnung des besten Films konnte man im Internet (und vermutlich auch im ZDF-Videotext) lesen, dass “4 Minuten” gewinnen würde.
  • Die Oscar-erprobte Idee, die Dankesreden musikalisch abzuwürgen, wurde mit deutscher Gründlichkeit auf die Spitze getrieben: auch die Preisträger für den besten Film (also die letzte Auszeichnung des Abends) wurden lautstark und barsch von der Bühne gefegt.
  • Michael “Bully” Herbig ist nicht Billy Crystal. Er ist noch nicht einmal Ellen DeGeneres. Aber er ist alles, was wir haben, wenn nicht wieder Jörg Pilawa, Johannes B. Kerner oder Günther Jauch moderieren sollen.
  • Bernd Eichinger hat in der neu zu schaffenden Kategorie “angepisste Dankesrede eines vermeintlichen Favoriten” eine Sonderauszeichnung verdient. “Na ja, ich danke der Akademie”, dürfte als Bonmont in die an Anekdoten eher arme Geschichte des deutschen Filmpreises eingehen.

Aus dem langweiligen Küsschen-rechts-Küsschen-links-Rahmen fiel einzig Monika Bleibtreu, die ihren Preis als beste Hauptdarstellerin ihrem Sohn Moritz widmete. Dass dieser seine Rührung und seinen Stolz gar nicht mehr verhehlen wollte, war dann auch schon das Höchstmaß an Emotionen.