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Film

Wiedersehen macht nichts

Man kann aus einem 330-Sei­ten-Roman eine elf­stün­di­ge Fern­seh­se­rie machen, so wie es mit „Wie­der­se­hen mit Bri­des­head“ von Eve­lyn Waugh 1981 gesche­hen ist. Man kann aus dem glei­chen 330-Sei­ten-Roman auch einen 133-minü­ti­gen Kino­film machen – dass dabei eini­ges auf der Stre­cke blei­ben muss, ist klar.

Die Sprün­ge sind mit­un­ter ver­wir­rend. Man­ches erklärt sich hin­ter­her in der Rück­schau, man­ches nie. Was klar ist: Im Zen­trum steht der jun­ge Stu­dent Charles Ryder (Matthew Goo­de), der – 1923 kaum in Oxford ange­kom­men – die Bekannt­schaft des schwu­len Adli­gen Sebas­ti­an Fly­te (Ben Whis­haw) macht. Die bei­den wei­chen ein­an­der nicht mehr von der Sei­te, bis Charles in Vene­dig Sebas­ti­ans Schwes­ter Julia (Hay­ley Atwell) küsst. Jah­re spä­ter ist Charles ein auf­stre­ben­der und ver­hei­ra­te­ter Künst­ler, der beim ers­ten zufäl­li­gen Wie­der­se­hen über die eben­falls ver­hei­ra­te­te Julia her­fällt, wäh­rend Sebas­ti­an alko­hol­krank in Marok­ko ver­schwun­den ist. Charles und Julia wol­len hei­ra­ten, aber dann kommt ihnen das Able­ben von Juli­as Vater dazwi­schen, der auf dem Ster­be­bett das Chris­ten­tum wie­der für sich ent­deckt. Plötz­lich ist erst die Bezie­hung vor­bei und kurz dar­auf (aber erst nach­dem Eng­land mit Deutsch­land im Krieg ist) auch der Film.

Irgend­wie haben es die Macher der Neu­ver­fil­mung geschafft, aus Eve­lyn Waughs (Wich­ti­ger Cock­tail­par­ty-Small­talk-Hin­weis: Eve­lyn war ein Mann) gefei­er­tem Roman eine Melan­ge aus Jane-Aus­ten-Fließ­band­ver­fil­mung und Rosa­mun­de-Pilcher-Fern­seh­spiel her­aus­zu­de­stil­lie­ren. Die Hand­lung wur­de bis zur Sinn­lo­sig­keit ver­flacht, dafür wur­de jede ein­zel­ne Sze­ne mit einer opu­len­ten Schein­be­deu­tungs­schwe­re auf­ge­la­den, damit auch jeder begreift, was Charles schon in der Eröff­nungs­sze­ne aus dem Off gesagt hat­te: Hier geht es um Schuld.

Außer­dem geht es um Reli­gi­on, sozia­le Unter­schie­de und immer wie­der um das titel­ge­ben­de Anwe­sen Bri­des­head, das Charles wich­ti­ger ist als jeder Mensch. Als er zum ers­ten Mal einen Som­mer dort ver­bringt, ist die sonst groß­ar­ti­ge Emma Thomp­son als Mut­ter von Julia und Sebas­ti­an damit beschäf­tigt, wie eine Lady zu wir­ken, der die gan­ze Schwe­re der Welt auf den Schul­tern unter­halb ihres Migrä­ne-geplag­ten Haup­tes las­tet. Immer­hin macht sie damit mehr als alle ande­ren Schau­spie­ler zusam­men – die ste­hen ein­fach nur an unfass­bar pit­to­res­ken Sets her­um und sagen das auf, was die Dreh­buch­au­to­ren Andrew Davies und Jere­my Brock ihren holz­schnitt­ar­ti­gen und so gut wie nie nach­voll­zieh­ba­ren Cha­rak­te­ren an Text zuge­schus­tert haben. Und weil das allei­ne noch nicht barock genug wirkt, liegt unter den Sze­nen, in denen es beson­ders dra­ma­tisch und/​oder bedeut­sam wird (also in nahe­zu jedem Moment) eine unglaub­lich schwüls­ti­ge Film­mu­sik.

„Wie­der­se­hen mit Bri­des­head“ ist eine Art Tele­no­ve­la im Pana­vi­si­on-For­mat, bei der man minüt­lich dar­auf war­tet, dass Lord und Lady Hes­keth-For­tes­cue mit Gwy­neth Moles­worth im Schlepp­tau um die Ecke kom­men. Man wird das Gefühl nicht los, dass Regis­seur Juli­an Jar­rold selbst nicht so genau wuss­te, was er mit dem Stoff anfan­gen soll­te. Sein Film kippt von der Schwu­len­ro­man­ze in eine Drei­ecks­be­zie­hung, macht dann eini­ge irri­tie­ren­de Sprün­ge durch Raum und Zeit, um sich in einer ober­fläch­li­chen Medi­ta­ti­on über Reli­gi­on und Glau­be zu ver­lie­ren. Das wirk­lich Erstaun­li­che ist, dass sich der Film bei allen Sprün­gen und ver­lo­re­nen Fäden auch noch so zieht wie eine elf­stün­di­ge Fern­seh­se­rie.

Trai­ler
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