Kategorien
Musik

Listenpanik 03/09

So eine Flut von Veröffentlichungen, die mich persönlich interessiert haben, hatten wir zuletzt im … Februar.

Nee, im Ernst: Es war schon heftig, was da im März alles in die Plattenläden und Downloadstores kam — da kam es gerade recht, dass Saturn die MP3-Alben für 4,99 Euro das Stück geradezu verrammschte und ich mich entsprechend preisgünstig durch den Monat retten konnte. Es gab etliche gute Alben und je einen heißen Anwärter auf die Nummer 1 der Jahrescharts bei Alben und Songs:

Alben
Pet Shop Boys – Yes
Beim ersten Hören fand ich die Single “Love Etc.” “nicht sehr gut”, dann wurde sie immer besser. Die Musikjournalisten schrieben, es sei das beste Pet-Shop-Boys-Album seit “Very”, aber die gleichen Journalisten hatten auch die neue, irgendwie völlig egale U2-Platte gelobt. Insofern war ich nicht darauf vorbereitet, eines der besten Pop-Alben dieses gerade zu Ende gehenden Jahrzehnts zu hören — aber ich denke, genau das ist “Yes”. Das Album hat einfach alles: Party-Tracks, Melancholie, großartige Melodien und kluge Texte. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass einen eine Band, die man zwei Drittel seines Lebens schätzt, immer noch umhauen kann.

Starsailor – All The Plans
Starsailor-Fan bin ich erst seit dem Sommer 2001, als ich die Band erstmals auf dem Haldern Pop spielen sah. Ihre Alben waren vielleicht nicht so anspruchsvoll wie die von Coldplay, aber in Sachen “melancholischer Indiepop von der Insel” kommt die Band bei mir gleich hinter Travis. “All The Plans” kann ich deshalb nicht wirklich rational bewerten, aber es gibt wieder die ganz großen Hymnen, die man von den ersten drei Alben auch schon gewohnt ist. Vielleicht werden Starsailor nie alles richtig machen, aber falsch gemacht haben sie bis heute (von den Aufnahmesessions mit Phil Spector mal ab) auch noch nichts.

Empire Of The Sun – Walking On A Dream
Das sind sie also, die “neuen MGMT”. Musikalische Parallelen gibt es da durchaus, aber das ist verzeihlich. “Walking On A Dream” ist – trotz des abschreckenden Covers – ein kluges Pop-Album, das man so ähnlich schon vor 25 Jahren hätte veröffentlichen können. Macht aber auch nix.

Röyksopp – Junior
Ganz schön elektrolastig, dieser März. Auf seinem dritten Album klingt das norwegische Elektronik-Duo mitunter ein bisschen sehr nach dem französischen Elektronik-Duo (gemeint ist Air), aber die klangen ja in letzter Zeit ein bisschen sehr nach gar nichts. “Junior” ist von vorne bis hinten ausgewogen, eingängig und – je nach Einstellung – entspannend oder belebend.

The Fray – The Fray
Ja, ich mag so Musik. Und ich freue mich, dass The Fray drei Jahre nach ihrem Debüt jetzt offenbar auch in Deutschland den Durchbruch schaffen. Zwar passt ihr melancholischer (Coffee-And-TV-Trinkspiel: ein Schnaps für jedes “melancholisch” in einer Listenpanik) College-Rock besser in den Herbst als in den Hochsommer, aber der März hatte sich ja noch alle Mühe gegeben, herbstlich auszusehen.

A Camp – Colonia
Spätestens seit ich Nina Persson vor ein paar Jahren persönlich getroffen habe, hat die klügste und schönste Schwedin der Welt bei mir Narrenfreiheit: Sie dürfte so ziemlich jeden Schrott machen und ich würde es noch gut finden. Sie macht aber keinen Schrott, sondern auch ohne die Cardigans ganz hervorragende Musik, der man allenfalls vorwerfen könnte, ein bisschen zu sehr nach ihrer Hauptband zu klingen.

Olli Schulz – Es brennt so schön
Zwar habe ich alle bisherigen Olli-Schulz-Alben hier, aber wirklich gehört habe ich ehrlich gesagt nur sein Debüt “Brichst Du mir das Herz brech ich Dir die Beine”. Als ich “Mach den Bibo” zum ersten Mal beim Bundesvision Song Contest sah, dachte ich, jetzt sei es endgültig vorbei mit dem Mann, aber sogar dieser Schwachsinns-Song wächst, wenn man ihn nur oft genug hört (und weiß, dass die Musik von Walter Schreifels stammt). Der Rest von “Es brennt so schön” ist dann auch komplett anders: Eine kluge, oft nachdenkliche, musikalisch durchdachte und hin und wieder doch sehr witzige Platte, die mich aus unerklärlichen Gründen manchmal ein wenig an Bruce Springsteen erinnert.

Ben Lee – The Rebirth Of Venus
Für Ben-Lee-Platten gilt die alte Regel “Kennste eine, kennste alle”. Im Gegensatz zu Nickelback, Reamonn und ähnlichen Langweilern macht aber jedes neue Album des gebürtigen Australiers immer noch Laune — und zwar gute. Selbst wenn man das Gefühl hat, jeden Song so ähnlich schon mal gehört zu haben, kann man Lee nicht böse sein. Und dann gibt es ja auf jedem seiner Alben immer noch einen Song, der größer ist als alle anderen …

Songs
Ben Lee – Wake Up To America
Was für ein unwahrscheinlicher Song: Eine viereinhalbminütige Lobeshymne auf all das Kaputte und Wunderbare an Amerika, deren Strophen nur gesprochen werden, deren Autotune-lastiger Refrain auch eher schlicht wirkt, und deren treibender Beat einen nach wenigen Takten völlig eingelullt hat. Ich kann kaum aufhören, dieses Lied immer und immer wieder zu hören, denn es geht direkt ins Herz und bringt einen womöglich dazu, alle fünfzig Bundesstaaten zu besuchen und mit einem Ghettoblaster über dem Kopf diese Hymne abzuspielen. Ganz, ganz große Kunst! (Blöderweise gibt es den Song weder bei YouTube noch bei last.fm zu hören — wohl aber bei iTunes zu kaufen.)

Pet Shop Boys – Pandemonium
Wenn “Yes” das neue “Very” ist, ist “Pandemonium” die Neuauflage von “I Wouldn’t Normally Do That Kind Of Thing”: Ein Liebeslied, in dem alles mitschwingt, was Liebe manchmal so schwierig macht, und das doch uneingeschränkte Zuneigung zum Ausdruck bringt. Eine Hymne auf alle Chaosmädchen und -jungs dieser Welt, uplifting as hell. Was sagt es über unsere Generation aus, wenn derart großartige Songs von Männern um die fünfzig geschrieben werden müssen? Allein diese Bläser und die Chöre!

Starsailor – You Never Get What You Deserve
Bei James Walsh frage ich mich immer ein bisschen, was er uns eigentlich mit dem sagen will, was er da singt. Und dann denke ich: Ist das nicht egal, wenn es so schön klingt? Beachten Sie den Übergang von den Strophen zum Refrain — so geht Pop.

Im nächsten Monat dann: Muff Potter, Bob Dylan und natürlich Kilians.

[Listenpanik, die Serie]

Kategorien
Digital

Potemkinsche Webseiten

Zu den großen Mysterien der Moderne gehört für mich der Berufs des Suchmaschinen-Optimierers. ((Zu den kleinen Mysterien gehört die – seit gestern beantwortete – Frage, warum meine Kekse so seltsam verpackt sind.)) Dieser optimiert nicht etwa Suchmaschinen, sondern er bastelt so lange an Internetseiten herum, bis diese in den Suchergebnissen der Suchmaschinen möglichst weit vorne auftauchen. Es erstaunt mich, dass es offenbar einen wachsenden Markt für Menschen mit diesen Fähigkeiten gibt, aber es gibt ja auch einen Markt für goldene Hundefutternäpfe und einen für getragene Unterhosen. ((Zumindest in Asien.))

Nun ist Suchmaschinen-Optimierung (oder knackig: SEO) an sich nichts schlimmes, wenn es nur darum geht, seine Inhalte möglichst gut zu platzieren. Zwar sollte man davon ausgehen, dass Google von alleine merkt, was für mich wirklich relevant ist, aber man kann da ja ruhig noch ein bisschen nachhelfen. ((Übrigens scheint kein “SEO-Papst” so gut zu sein, dass ich bei meinen hilflosen Google-Recherchen zu irgendwelchen technischen Problemen auf eine wirklich relevante Seite stoße.)) Im Extremfall liegen die von den Suchmaschinen-Optimierern betreuten Webseiten ein paar Monate auf Platz 1, ehe Google sich wieder was neues einfallen lässt. Richtig ärgerlich wird es aber da, wo es gar keine Inhalte gibt.

Auf meinem Schreibtisch liegt das neue Album von Ben Lee. ((Das ich sehr nett finde, aber dazu später mehr.)) Zu einem Song wollte ich gerne den Liedtext nachschlagen, weswegen ich lyrics “ben lee” “wake up to america” bei Google eingab. Dass das Album noch gar nicht veröffentlicht wurde und deshalb auch noch niemand die Liedtexte kennen sollte, wusste ich nicht — auf der beiliegenden Presseinfo war der 13. Februar als Veröffentlichungstermin vermerkt.

Trotzdem fand Google 467 Seiten zu dieser Suchanfrage. Die Top-Suchergebnisse sahen so aus:

Ergebnisse 1 - 10 von ungefähr 467 für lyrics "ben lee" "wake up to america".

Die üblichen Seiten, die man sonst so findet, wenn man nach Songtexten sucht.

Nur: Bei Nr. 1 sah der Songtext so aus:

These lyrics are missing. Could you please submit them? Did you know we give out free CDs every week to people who submit the most lyrics?

Nr. 2:

Wake Up To America: Add lyrics for this track

Nr. 3:

Track : Wake up to america. Lyrics not found. To add this lyrics

usw. usf.

Nirgendwo gab es die Texte (weil Ben Lee sie selber noch nicht online hat, was die einfachste Quelle wäre), aber überall gab es schon mal die fertige Seite mit Künstlernamen und Songtitel in der Pfadangabe und überall habe ich mindestens einen Klick generiert und jede Menge Werbung gesehen.

Entschuldigung, aber das ist für mich Verarschung hilfesuchender Menschen und Vermüllung des Internets.