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Not Following

Seit Tagen wur­de ich von Freun­den dar­auf hin­ge­wie­sen, dass am gest­ri­gen Sams­tag auf arte die end­gül­ti­ge Demas­kie­rung von Lena Mey­er-Land­rut zu bestau­nen sei. Die sei näm­lich doof, zickig und wahn­sin­nig anstren­gend, so war es vor­ab in den Medi­en zu lesen.

Die „Spex“ ver­kün­de­te:

Dabei knüpft Lena an die frag­wür­di­gen Dau­er­inter­views rund um ihre geschei­ter­ten Titel­ver­tei­di­gung in die­sem Jahr an, als das Bild vom ganz natür­li­chen Lieb­ling der Nati­on ers­te Ris­se bekam.

Und die „Visi­ons“ nutz­te die Gele­gen­heit, auf dem doo­fen, doo­fen Main­stream-Publi­kum rum­zu­ha­cken:

Bleibt nur zu hof­fen, dass die Epi­so­de von „Durch die Nacht mit“ das Bild von Lena als süßes, keckes Mäd­chen in den Köp­fen der tum­ben Mas­se rela­ti­viert.

Bei­des sind kei­ne Medi­en, in denen Lena sonst groß statt­fin­det, und viel­leicht hat­ten bei­de das Bedürf­nis, den ande­ren Teil­neh­mer von „Durch die Nacht mit“ beschüt­zen zu müs­sen: den Indie-Lieb­ling Cas­per, mit des­sen Musik ich nach wie vor nicht viel anfan­gen kann, den ich in Inter­views aber oft sehr sym­pa­thisch fin­de.

Ich hat­te es vor­her schon geahnt und tat­säch­lich bestä­tig­te die fer­ti­ge Sen­dung, dass alles so schlimm nicht wer­den wür­de. Im Gegen­teil: Es war eine hoch­ver­gnüg­li­che Tour durch Ber­lin, die (im Gegen­satz zu ande­ren im Vor­feld hoch­ge­jazz­ten Sen­dun­gen) durch­aus das Zeug zum Klas­si­ker hat – nur halt ganz anders als gedacht.

Der Start ist tat­säch­lich kein guter: Lena kommt in Cas­pers Woh­nung, bei­de ste­hen ein biss­chen kramp­fig rum und Lena sagt: „Ja, schön. Schön ein­ge­rich­tet, schön dre­ckig auch!“ Damit bricht sie erst mal so ziem­lich alle zwi­schen­mensch­li­chen Kon­ven­tio­nen, die so in den ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten zum The­ma Höf­lich­keit ent­wi­ckelt wur­den. Viel­leicht wür­de man den Pri­vat­be­such, der einem so etwas sagt, auf der Stel­le acht­kan­tig wie­der raus­schmei­ßen – aber zu Beginn einer Fern­seh­sen­dung ist das doch ein span­nen­der Auf­takt, der das Gegen­über aus der Reser­ve holen könn­te. Könn­te, denn hier klappt es nicht.

Nach dem miss­glück­ten Auf­takt sieht es erst mal nicht gut aus: Lena und Cas­per haben nicht den glei­chen Geschmack bei Tat­too­mo­ti­ven (kön­nen sich aber dar­auf eini­gen, dass Leu­te, die dem Tät­to­wie­rer ihre Lebens­ge­schich­te erzäh­len, bestimmt super-anstren­gend sind), bei Musik, bei der Abend­pla­nung. Cas­per sitzt erst mal ziem­lich ner­vös neben ihr, was aber auch sehr sym­pa­thisch wirkt. Lenas „Du malst jetzt echt ’ne Kat­ze und so’n Kack, ne?“ liest sich tran­skri­biert nach gro­ßer Bos­haf­tig­keit, kommt im O‑Ton in der Situa­ti­on dann aber doch deut­lich kum­pe­lig-flap­si­ger rüber.

Tat­säch­lich gibt es zahl­rei­che har­mo­ni­sche Momen­te, zum Bei­spiel die Sze­ne, in der bei­de erzäh­len, dass sie nicht in einem Raum blei­ben könn­ten, in dem ihre eige­ne Musik läuft, und Lena dann kurz zu Höchst­leis­tun­gen auf­läuft:

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Das hier ist dann wie­der nicht so gut:

Gran­di­os aber auch die Sze­ne, wo die bei­den in einem futu­ris­ti­schen Wohn­raum­kon­zept vol­ler rie­si­ger auf­ge­bla­se­ner Plas­tik­ku­geln sit­zen und Cas­per anfängt: „Wenn man sich das jetzt als Woh­nung der Zukunft vor­stellt …“, bevor Lena das gan­ze intel­lek­tu­el­le Künst­ler-Kon­zept mit einem „… isses schei­ße!“ kurz und knapp hin­rich­tet. So jeman­den wie Lena braucht man in den Gale­rien, Kon­zert­sä­len und bei Poet­ry Slams, die von Leu­ten besucht wer­den, die mal gehört haben, dass sie dort Kunst erwar­te.

Wirk­lich men­scheln kann’s dann zum Bei­spiel in dem Moment, wo Lena „pin­keln“ ist und Cas­per sich nett und unge­zwun­gen mit zwei Muse­ums­be­diens­te­ten unter­hal­ten kann: „Wir hal­ten doch die Men­schen von ihrem Fei­er­abend ab!“ Lena wird ihm anschlie­ßend auf ver­stö­rend abge­klär­te Art erklä­ren, die bei­den Mäd­chen sei­en total ver­liebt in ihn gewe­sen, was Cas­per über­rascht zurück­weist und ich weiß, das hört sich jetzt nicht spek­ta­ku­lär an, aber ich saß davor und rief ent­zückt „ist das toll!“ in den sonst men­schen­lee­ren Raum.

Irgend­wann haben die bei­den dann eine Ebe­ne gefun­den, auf der sie sich durch­aus humor­voll gegen­sei­tig ange­hen kön­nen: „Ich würd‘ Dir noch ’n Als­ter aus­tun, wenn Du magst!“ – „Aus­tun?!“, „Ist das Dei­ne ech­te Schrift?!“, „Na, das ist ja jetzt schei­ße!“ – „Wie­so ist das schei­ße? Du bist schei­ße!“ – „Du bist schei­ße!“. Man muss das natür­lich sehen und hören, denn in Schrift­form taugt es tat­säch­lich zu der Skan­da­li­sie­rung, die die Medi­en im Vor­feld ver­sucht hat­ten. Besorg­nis­er­re­gen­der­wei­se klan­gen aus­ge­rech­net die Redak­teu­re der Musik­zeit­schrif­ten dabei wie ihre eige­nen Groß­el­tern, aber viel­leicht sind das halt so Vega­ner, die zum Lachen in den Kel­ler gehen und bei You­Tube immer ver­zwei­felt nach dem einen gei­len Indie-Song suchen müs­sen, der noch nicht mehr als 34 Views hat. Lena und Cas­per zuzu­se­hen ist jeden­falls, wie mit mei­nen Freun­den unter­wegs zu sein: hart, aber doch durch­aus herz­lich.

Nach­dem die bei­den Nachts durch die lee­ren Flu­re der Deut­schen Pop­aka­de­mie (gähn!) gelau­fen sind und in ein Zim­mer mit Instru­men­ten gesperrt wur­den, spie­len sie Gal­gen­männ­chen. Das allein ist ja schon groß­ar­tig abwe­gig, aber dann wird Frau Mey­er-Land­rut wie­der gehäs­sig, Herr Cas­per zickt zurück und her­ein platzt der wahn­sin­nig umtrie­bi­ge Mann von der Pop­aka­de­mie, der von der „Lounge“ erzählt, die „das Herz­stück der Aka­de­mie“ sei. Eigent­lich ist es ein Wun­der, dass in die­sem Moment nie­mand vier­hun­dert Aro­sa schlitz­ver­stärkt mit kur­zem Arm bestel­len will, aber dann sit­zen sie halt in die­ser „Lounge“, trin­ken Mine­ral­was­ser und füh­ren ein (wie Cas­per und Lena hin­ter­her offen zuge­ben) eher zähes Gespräch mit Stu­den­ten. Jeder Ver­such des Aka­de­mie-Manns, sich und sei­ne tol­le Insti­tu­ti­on irgend­wie ins Gespräch ein­zu­brin­gen, prallt gran­di­os ab und das geschieht ihm in die­sem Moment ehr­lich gesagt ganz recht.

Dass eine Frau eine ande­re beim ers­ten Hän­de­druck vor allen Leu­ten fragt, ob die Wim­pern echt oder ange­klebt sei­en, ver­stößt mal wie­der gegen so ziem­lich alle zwi­schen­mensch­li­chen Kon­ven­tio­nen – aber es ist eben auch genau die­se Authen­ti­zi­tät, für die Lena mal eine kur­ze Zeit von den Medi­en geliebt wur­de. Lena lie­fert nicht das, was die Medi­en bei ihr bestel­len. Der Beob­ach­ter­ef­fekt, der eigent­lich zwangs­läu­fig alle Natür­lich­keit zer­stört, sobald eine Fern­seh­ka­me­ra dabei ist, bleibt aus, statt­des­sen fragt man sich stän­dig, ob sie das jetzt grad wirk­lich wie­der gesagt hat. Doch, hat sie: Der Frau mit den „natür­lich ech­ten“ Wim­pern sagt sie zum Abschied: „Ich fin­de, Du könn­test mir ’n biss­chen was von Dei­nen Brüs­ten abge­ben!“

Was die Medi­en vor­ab nicht für erwäh­nens­wert hiel­ten, ist etwa die Sze­ne, in der die bei­den im Auto vol­ler Hin­ga­be „Son Of A Pre­a­cher Man“ oder „Big In Japan“ sin­gen, wobei sie die Tex­te von einem iPho­ne-Dis­play able­sen müs­sen, oder die, wo sie sich Pom­mes essend über Fans bekla­gen, die Pro­mis in pri­va­ten Situa­tio­nen behel­li­gen, und Lena dann unver­mit­telt und mit ver­klär­tem Blick über Turn­schu­he zu spre­chen beginnt.

Das heißt: „Welt Online“ hat das erwähnt, fass­te es aber als Unpro­fes­sio­na­li­tät auf und bölk­te:

Offen­sicht­lich wird an die­sem Abend, dass die bei­den mit ihrer Rol­le als Pro­mi­nen­te noch über­for­dert sind.

Natür­lich war „Durch die Nacht mit Liza Min­nel­li und Fritz Wep­per“ schön, weil da zwei Voll­pro­fis, die sich ewig ken­nen, form­voll­endet mit­ein­an­der umgin­gen, aber das ande­re Ende des Spek­trums kann ja genau­so span­nend sein, wenn man sich denn drauf ein­las­sen will.

Man kann sich doch nicht einer­seits über die gan­zen strom­li­ni­en­för­mi­gen Pop­s­tern­chen, Fuß­bal­ler und Poli­ti­ker der Gegen­wart bekla­gen und dann ande­rer­seits sofort Zeter und Mor­deo schrei­en, wenn mal jemand vor­bei­kommt, der unkon­ven­tio­nell und anders ist. Man muss das ja noch nicht mal als Natür­lich­keit prei­sen und sich dar­über freu­en, man muss Lena oder Cas­per nicht mal mögen, aber man könn­te doch zumin­dest mal aner­ken­nen, wenn da plötz­lich „Stars“ auf­tau­chen, die anders sind. Die müs­sen dann natür­lich nicht „Lieb­ling der Nati­on“ sein, aber wer wür­de das auch wol­len?

Ich hab in letz­ter Zeit von meh­re­ren Kol­le­gen gehört, dass Lena anstren­gen­der und weni­ger locker gewor­den sei. Von Cas­per heißt es, dass er sich nach dem Abend regel­recht aus­ge­heult bzw. aus­ge­kotzt haben soll. Das mag alles sein, nur die dabei ent­stan­de­ne Sen­dung taugt nicht zum Beleg. Ja: Lena hat offen­sicht­lich kei­ne gro­ße Lust auf die gan­ze Sache, sie zickt rum und Cas­per zickt zurück – aber das kann doch nie­mand, der in den letz­ten zwan­zig Jah­ren mal mit jun­gen Men­schen zu tun hat­te, ernst neh­men! Man muss sich doch als Musik­ma­ga­zin nicht dem Skan­da­li­sie­rungs­wahn der ande­ren Medi­en anschlie­ßen und wie die „Spex“ „fast die Eska­la­ti­on“ her­bei­schrei­ben!

Selbst der Abschied der bei­den von­ein­an­der oszil­liert viel­far­big zwi­schen Neid, Gehäs­sig­keit und schlich­ter Freu­de an exakt die­ser Situa­ti­on. Natür­lich gibt es Sze­nen, in denen man ahnt, wel­che Leis­tung Cut­ter Mar­tin Eber­le erbracht haben muss, um aus vie­len schwie­ri­gen Situa­tio­nen einen erträg­li­chen Film zu schnei­den, aber es ist ihm gelun­gen.

„Durch die Nacht mit Lena und Cas­per“ ist noch bis nächs­ten Sams­tag in der arte-Media­thek ver­füg­bar.

Offen­le­gung: Ich bin Frau Mey­er-Land­rut ein paar Mal begeg­net und fin­de sie recht sym­pa­thisch.