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Holzmichel auf dem Holzweg

Jaaaaaaaaa, Friedbert Pflüger lebt also auch noch. ((Für die 81 Millionen Deutschen, die Friedbert Pflüger nicht kennen: Das ist der Mann, der vor zwei Jahren gerne Regierender Bürgermeister in Berlin geworden wäre. Er sieht immer ein bisschen so aus, als habe er gerade die Jahresproduktion einer Zitronensaftkonzentratfabrik leergetrunken, und ist gerade mit seinem einzigen bekannten politischen Ziel, dem Erhalt eines knuffigen Stadtflughafens, gescheitert. Kurzum: Er ist der Typ, der in amerikanischen High-School-Komödien immer in den Spind gesperrt wird. Außerdem bloggt Friedbert Pflüger.)) Um auf diesen Umstand hinzuweisen, hat er zu Beginn der Woche die Absetzung der Talkshow “Anne Will” gefordert. In der Ausgabe vom letzten Sonntag gab es einen Einspieler zu sehen, der laut Herrn Pflüger die rot-rote Regierung in Berlin in einem viel zu guten Licht hat erscheinen lassen.

Ich habe die betreffende Sendung nicht gesehen, ich habe “Anne Will” überhaupt noch nie gesehen, ebenso wie ich mich nicht erinnern kann, je eine ganze Ausgabe “Sabine Christiansen” ertragen zu haben. Ich ertrage kein Talkshows, in denen Politiker und Menschen auswendig gelernte Sätze aufsagen, und sich in keiner Weise durch das beirren lassen, was die anderen Gäste auswendig aufsagen. ((In den drei Sendungen von “Hart aber fair”, die ich gesehen habe, redeten Menschen laut und wüst durcheinander und gegen Ende wurde klar, dass es theoretisch einen Moderator gegeben hätte, der das Ganze hätte lenken können. Wieso alle Welt “Hart aber fair” so toll findet, ist mir völlig schleierhaft.))

In seinem Blog schrieb Pflüger über “Anne Will”:

Mit Journalismus hat das alles wenig zu tun. Das ist Ideologie und Liebedienerei, dazu noch schlecht gemacht. Frau Will missbraucht ihren privilegierten Sendeplatz und wirbt für eine politische Richtung, anstatt zu informieren.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet “Bild” Pflügers Vorlage aufnahm.

Dann warf Pflüger seine komplette Ahnungslosigkeit in Sachen Medienpolitik in die Wagschale:

Ich bin – auch als Rundfunkrat des rbb – nicht bereit, dass auf sich beruhen zu lassen.

Ich bin mir sicher, dass man beim NDR, der die Sendung “Anne Will” verantwortet, schon mit den Knien schlottert, angesichts dieser Kampfansage.

Oder wie es Lorenz Maroldt in seinem klugen Kommentar im “Tagesspiegel” zusammenfasst:

Für die Frage, ob Anne Will durch Frank Plasberg ersetzt wird, ist Pflügers Stimme ebenso wichtig wie die von Lothar Matthäus für die Aufstellung der Nationalmannschaft.

Bis hierhin war es nur Friedbert Pflüger, der sich freuen konnte, mal wieder in der bundesweiten Presse gelandet zu sein. Doch heute fordern – ebenfalls in “Bild” – Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) und David McAllister, CDU-Fraktionschef in Niedersachsen und Mitglied im NDR-Rundfunkrat ebenfalls Konsequenzen, die bis zur Absetzung der Sendung reichen.

Journalistische Fehler passieren immer wieder und Frank Schirrmacher, der dem Thema einen klugen, aber etwas umständlichen Text gewidmet hat, dürfte Recht haben, wenn er sagt, die Redaktion der Sendung würde sich über solche Fehler wohl am meisten ärgern. ((Wenigstens will ich Schirrmachers Optimismus teilen.)) Im konkreten Fall scheint aber noch nicht einmal völlig klar, ob die in der Sendung aufgestellte Behauptung, die rot-rote Regierung habe in Berlin 60 Millionen Milliarden Euro “geerbt” nun wirklich falsch oder nur unglücklich formuliert war. Vermutlich ist es einfach eine Interpretationssache.

Dass nun Politiker direkt in die Programmplanung eingreifen wollen, finde ich sehr gefährlich. Zwar haben gerade die Zuschauer öffentlich-rechtlicher Programme einen Anspruch auf richtige Fakten und möglichst objektive Berichterstattung, aber erstens ist der strittige Sachverhalt ja offenbar gar nicht so klar und zweitens strahlt die ARD ja auch immer noch den “Report aus München” aus. In keinem Falle aber sollten Politiker, denen eine politische Talkshow nicht in den Kram passt, erklären wollen, wie guter Journalismus geht.

Wie diese ganzen CDU-Politiker wohl reagiert hätten, wenn in der Sendung Stimmung gegen rot-rot gemacht worden wäre?

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Musik Rundfunk

Grand-Prix-Liveblog 2008

20:57 Uhr: Sodele, dann begrüße ich Sie mal ganz herzlich im diesjährigen Grand-Prix-Liveblog. Metigel und Grillgut sind da, der Prosetschio ist tiefgekühlt und gleich mach ich mir noch ein Mon Cherie warm.

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Fernsehen Rundfunk

Inhaltsangabe From Hell

Schöne Lügen TV-Psychodrama, D 2003, mit Susanna Simon, Daniel Morgenrotti Kim rettet auf einem Grill­fest einem Kind das Leben und ist fortan durch eine Brandnarbe im Gesicht entstellt. Als sie entdeckt dass ihr Mann eine Affäre hat, weiß Kim nicht mehr weiter. Im Krankenhaus lernt sie Andreas kennen, der nach einem Unfall ge­sichtsblind geworden ist...

Der Film lief gestern Abend in der ARD …

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Rundfunk Politik

Florida Lady

3.595 Stimmen beträgt im vorläufigen amtlichen Endergebnis die Differenz zwischen der CDU und der SPD in Hessen. Das ist weniger als die 6.027 Stimmen, die die SPD bei der Bundestagswahl 2002 vor der CDU/CSU lag, aber bedeutend mehr als die 537 Stimmen Unterschied zwischen George W. Bush und Al Gore in Florida (bei mehr als doppelt so vielen abgegebenen Stimmen).

Ähnlich spannend wie damals in Florida war es auch heute Abend. In der ARD bewies Infratest dimap mal wieder, dass man teure Wahlumfragen auch wunderbar durch würfelnde Affen ersetzen könnte, denn am Ende waren alle wichtigen Details anders als prognostiziert: Um 18 Uhr lag die SPD bei 37,5%, die CDU bei 35,7%, Die Linke wäre draußen geblieben. Roland Koch wird sich also morgen trotz herber Verluste rühmen können, man habe ihn zu früh abgeschrieben.

Ähnlich wie damals in Florida gab es offenbar erhebliche Probleme und Unregelmäßigkeiten mit Wahlcomputern, die der Chaos Computer Club in einer Pressemitteilung zusammengefasst hat. Und in den Qualitätsmedien findet sich dazu (anders als in Blogs) kein Wort.

Nachtrag 13:52 Uhr: Die Rhein-Main-Zeitung hat einen Artikel zum Thema online.

Nachtrag 20:14 Uhr: Eine Meldung zum Thema hat’s sogar auf “Bild.de” geschafft.

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Rundfunk Gesellschaft

Schattenkinder

Aus aktuellem Anlass lief gerade in der ARD die Dokumentation “Schattenkinder” von Uta König. Es geht um Kinder in Hamburg-Jenfeld, die aus kaputten Familien kommen: Bei der einen trinkt der Vater, beim anderen sitzen die Eltern den ganzen Tag vor dem Computer – man hat das so oft gehört, dass es genau solche Allgemeinplätze geworden sind wie die neuesten Opferzahlen aus dem Irak.

Uta Königs Film gibt den Allgemeinplätzen Gesichter. Da ist ein kleines, dickes Mädchen, das nichts hat außer seiner sprechenden und tanzenden Barbiepuppe. Ein Junge, der in viel zu kleinen Schuhen herumläuft und sich nichts wünscht außer passende Schuhe und ein UNO-Spiel. Zwei Schwestern, neun und elf, deren Mutter am Alkohol gestorben ist und deren Vater säuft und rumschreit.

Da steht dann der Vater betrunken vor der Tür der (ebenfalls alkoholkranken) Lebensgefährtin, zu der die Töchter geflohen sind, und randaliert. Die Reporterin versteckt sich mit den Kindern. Draußen poltert es, die Kamera ist nur noch auf das angsterfüllte Gesicht der Elfjährigen gerichtet und der Popkultur-geschädigte Zuschauer ertappt sich dabei, wie er “Wie ‘Blair Witch Project’ …” denkt, weil er sonst die hoffnungslose Realität dahinter anerkennen müsste und in Tränen ausbrechen würde, während die Kinder da zusammengekauert hocken und nicht weinen.

Das Jugendamt hielt es zu diesem Zeitpunkt übrigens noch nicht für nötig, einzugreifen: Der Vater sei zwar gewalttätig, aber (noch) nicht gegen die Kinder. Da erscheint es einem als Zuschauer unmöglich, amtliche Vorschriften auf der einen und gesunden Menschenverstand und menschliche Seele auf der anderen Seite irgendwie zusammenzupacken. Als der Vater schließlich seine letzte Chance verspielt und die Mädchen zu einer Pflegefamilie kommen, weigert sich das Amt wiederum, der christlichen Organisation “Arche”, die sich als einzige um die Kinder gekümmert hat und wo die Beiden Freunde hatten, einen Kontakt zu ihnen zu ermöglichen.

Überhaupt: Diese “Arche” hält alles zusammen. Die Kinder kriegen dort eine warme Mahlzeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung – all das, was für Kinder in einer Industrienation selbstverständlich sein sollte. Einige der Kinder sind hochgradig verstört, andere wirken schon mit zehn unglaublich lebensklug und können sich besser artikulieren als ihre Eltern. Aber natürlich wäre es viel schöner, naive, fröhliche, alberne, nervige Zehnjährige zu sehen.

“Schattenkinder” ist aus mindestens zwei Gründen beeindruckend und wichtig: Zum einen zeigt der Film anhand von Einzelschicksalen, wie es in ungezählten Familien aussehen muss und wovon man als Außenstehender nichts mitkriegt. (Als Mittelklasse-Kind bekommt man ja eh meist nur in der Grundschule einen Einblick in sozial schwache Familien, in denen sich niemand um die Kinder kümmert. Das deutsche Schulsystem sorgt ja sehr schnell dafür, dass die Kinder, die sich aus Gründen wie den oben genannten nicht auf die Schule konzentrieren können, sehr schnell den Anschluss verpassen und so nie aus dem System werden ausbrechen können.) Zum anderen sieht man, wie wichtig die Arbeit solcher Organisationen wie der “Arche” ist, die sich zu 95% über Spenden und staatliche Fördermittel finanziert.

Nachtrag 26. November, 23:45 Uhr: Wegen des großen Interesses an dem Film, das sich auch in meinen Suchanfragen wiederspiegelt, hat sich der NDR entschlossen, “Schattenkinder” zu wiederholen. Und zwar gerade eben

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Rundfunk Fernsehen

Geladene rote Ampel entgleist

Das “Nachtmagazin” der ARD verhält sich zum “RTL-Nachtjournal” wie “Brisant” zu “Explosiv”: Wenn oben nicht diese kleine Eins in der Ecke wäre, würde man kaum glauben, dass man gerade öffentlich-rechtliches Qualitätsfernsehen schaut. Klar: Um kurz nach Mitternacht richtet sich das “Nachtmagazin” an die Menschen, die dann noch wach sind, und das sind eben eher die jüngeren und die sind eben eher Infotainment gewöhnt. Trotzdem kriege ich regelmäßig die Krise ob dieser zwanghaften Lockerheit, dem schon psychotisch wirkenden ständigen Augenzwinkern und der himmelschreienden Oberflächlichkeit von Beiträgen und Interviews.

Deshalb schauen wir uns die Sendung von gestern (also heute) mal genauer an:

CSU-Vorsitz
Gabriele Pauli hat überraschend gefordert, Ehen auf sieben Jahre zu befristen, mit der Möglichkeit auf eine anschließende Verlängerung. Hier von “verflixten sieben Jahren” zu sprechen, drängt sich dermaßen auf, dass wir Ingo Zamperoni seine augenzwinkernde Anmoderation noch mal durchgehen lassen wollen.

Doch dann geht das Elend richtig los, denn Fernsehen braucht immer Bewegtbilder, auch wenn es nur erklärende und überleitende Worte aus dem Off gibt. Diese Szenen nennt der Fachmann “Schnittbilder” und seit meinem Ausflug in die audiovisuellen Medien weiß ich, wie wichtig diese sind, und bei der ARD weiß man es erst recht:

Schnittbild: Gabriele Pauli steht auf einer Verkehrsinsel neben einer Ampel und posiert für Fotografen.
Sprecherin: “Medienrummel in München – wie so oft, wenn Gabriele Pauli sich zu Wort meldet. Sie weiß sich in Szene zu setzen, doch jetzt stehen die Ampeln auf rot für sie.”

Das wichtigste Buch in der Redaktion von “ARD Aktuell” scheint also immer noch der Metaphern-Duden sein.

EU zu Energiemarkt

Ingo Zamperoni: “Zum Jahreswechsel dürften viele Stromkunden noch geladener sein, denn die Energiepreise drohen erneut zu steigen […]. Für *Ent*spannung will jetzt die Europäische Union sorgen.”

Es folgt ein Beitrag, dessen Aufhänger darin besteht, den EnBW-Chef Utz Claassen auf dem Weg zu seinem Auftritt bei “Hart aber fair” zu begleiten. Man sieht dem armen Wirtschaftsboss förmlich an, wie oft er die Eingangstür des WDR-Funkhauses öffnen und dann forsch (oder besser noch: “energetisch”, haha!) an der Kamera vorbeigehen musste. Dafür hat er beim O-Ton die schmucke Lobby des Fünfziger-Jahre-Baus am Kölner Wallrafplatz im Nacken.

Dann steigt Claassen illegalerweise in den weltberühmten Paternoster ein (die Benutzung ist aus Versicherungsgründen ausschließlich WDR-Angestellten vorbehalten) und entschwindet nach oben aus dem Bild. Es folgt ein Schnitt und Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher fährt im gleichen Paternoster von oben ins Bild hinein. Wollen Sie raten, wie der Off-Kommentar dazu lautet?

Sprecherin: “In genau die andere Richtung bewerten Verbraucherverbände die Vorschläge.”

Herr Peters hatte dann wohl noch das Glück, für weitere Schnittbilder das Funkhaus am hellichten Tag wieder zu verlassen und noch in der Tür sein Mobiltelefon aufzuklappen und ans Ohr zu halten, obwohl es garantiert nicht geklingelt hat.

Deutsche Einheit

Ingo Zamperoni: “Der Aufschwung ist im Osten angekommen, das sagt ein verhalten zuversichtlicher Wolfgang Tiefensee und der müsste es ja schließlich wissen: Ist er doch Verkehrsminister – nicht nur, aber auch der Aufbau-Ost-Beauftragte der Bundesregierung. […] Aber die Schere zwischen Neuen und Alten Bundesländern klaffe immer noch viel zu weit auseinander. Tiefensee könnte das wohl nirgends besser feststellen als in – Tiefensee.”

Yes, indeed: Man hielt es für ein total verrückte Idee, ins brandenburgische Tiefensee zu fahren, um dort mal zu gucken, wie es im Osten denn so aussieht. Und da sage noch einer, Namenswitze seien das Privileg der Privatsender.

Schnittbild: Die Auslage eines Blumenhändlers.
Sprecherin: “Blühende Landschaften am Ortseingang. Kein Bäcker, kein Supermarkt, keine Kneipe – abgeschafft, weil unrentabel.”

Und keine anderthalb Minuten später:

Schnittbild: Verlassenes Bahnhofsgebäude, Schwenk auf zugewachsene Schienen.
Sprecherin: “Ist Tiefensee entgleist? Nein, aber Bahnanschluss gibt es trotzdem keinen mehr.”

Meteoriten-Aufprall

Ingo Zamperoni: “Es war, gängigen Theorien zufolge, ein Meteorit, der vor 65 Millionen Jahren das Schicksal der Dinosaurier auf unserem Planeten besiegelte. Ganz so gewaltig war der Einschlag nicht, der sich am Wochenende in Peru, unweit des Titicacasees ereignete, und doch hat der Meteoriten-Aufprall mysteriöse Folgen.”

Ach, geschenkt, dass wir das schon alle bemerkt hätten, wenn sich die Sonne verfinstert hätte und wir ausgestorben wären. Irgendwie muss man ja das Thema anmoderieren und im Vergleich zu den Vox-Spätnachrichten, wo ein armer Fachmann mit genau einem Satz zitiert wurde (“Ich glaube nicht, dass das Außerirdische waren”), ist der ARD-Beitrag zum Thema völlig in Ordnung.

Wenn ich anfange, kleinlich zu werden, bringt mich diese eine Ausgabe des “Nachtmagazins” noch ins Grab. Widmen wir uns also lieber noch kurz dem letzen Beitrag der Sendung. Es handelt sich um ein klassisches “Nachtmagazin”-Thema: Das Kratzen an der Popkultur.

Popkomm

Ingo Zamperoni: “Der Pop kommt – bei der Popkomm. Aber nicht nur der: Auf der internationalen Musikmesse geht es seit heute wieder um die Trends und Neuheiten in allen Bereichen der Musik- und Unterhaltungsbranche.”

Ein Brüller ohne Ende. Aber mal was ganz anderes: Der Pop kommt bei?! Nicht, dass ich Bastian Sick wäre, aber das ist doch ungefähr so neben der Spur wie das Plakat, das über viele Jahre in meiner Heimatstadt ein umherreisendes Kinderpuppentheater ankündigte. Dort stand: “Der Kasper kommt im Theaterzelt”.

Ich bin mir sicher, dort hat man fast so viel gelernt wie beim “Nachtmagazin” – aber nur halb so viel gelacht.

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Rundfunk Fernsehen

Tatort Programmdirektion

Am Samstagabend sollte im WDR Fernsehen “Herr Schmidt wird 50, will aber nicht feiern” wiederholt werden. Die Sendung mit diesem irre witzigen1 Titel, die erst am Vorabend in der ARD ihre Erstausstrahlung erlebt hatte, lief aber nicht. Nicht nur Michael vom Fernsehlexikon fragte sich, wieso.

Heute Morgen dann erfuhr ich bei der Frühstückslektüre der “Süddeutschen Zeitung” den Grund:

“Aufgrund der zu erwartenden schlechten Zuschauerakzeptanz im WDR Fernsehen haben wir uns entschieden, sie kurzfristig aus dem Programm zu nehmen und stattdessen einen ‘Tatort’ zu senden”, teilt Pressesprecherin Kristina Bausch mit.

Da fällt einem zunächst nichts mehr ein und dann eine ganze Menge.

Erstens hatte Michael offenbar (und wie’s aussieht eher unfreiwillig) Recht mit einer seiner drei Vermutungen:

Man hat festgestellt, dass 1,98 Millionen Zuschauer bei der Erstausstrahlung von Herr Schmidt wird 50, will aber nicht feiern gar keiner so guten Einschaltquote entsprechen.
Und will den vielen Blöden, die es nicht gesehen haben, bloß keine Chance geben, das Verpasste nachzuholen? Ja, klingt schlüssig.

Zweitens dürfte zumindest jedem, der nicht Betriebswirt oder Medienökonom ist, einleuchten, dass eine Sendung, die angekündigt ist, in jedem Fall mehr Zuschauer haben dürfte als eine, die nicht angekündigt ist: Wer vor dem Fernseher saß und Schmidt sehen wollte, hat die Glotze vermutlich noch während des “Tatort”-Vorspanns enttäuscht ausgetreten – und wer zu den fünf Leuten gehört, die Samstagsabend gerne noch eine “Tatort”-Wiederholung mitnehmen würden, lag wahrscheinlich schon im Bett, denn selbst auf der Internetseite des WDR stand zu diesem Zeitpunkt noch, dass “Herr Schmidt …” laufe. Die 210.000 Zuschauer (6,4% Marktanteil) waren bestimmt einfach im Fernsehsessel eingepennt.

Drittens ist das ein Satz, den man normalerweise von ProSieben-Verantwortlichen hört. Wenn ein gebührenfinanzierter Sender wie der WDR meint, seine hektische und völlig kopflos wirkende Programmpolitik mit dem Blick auf die Quote erklären zu können, verwirkt er damit in meinen Augen sofort und auf alle Zeit den Anspruch, in der Gebührendebatte ernst genommen zu werden. Programmplaner, die ihre (nicht ganz freiwillig) zahlenden Zuschauer mit dem Hinweis auf Ökonomie und Quotendruck derart vor den Kopf stoßen, wären wohl selbst fürs Privatfernsehen noch zu dreist.

Anders als dieser programmplanerische Offenbarungseid war die abgesetzte Sendung übrigens kaum der Rede wert: Sie wurde gestern Abend bei EinsFestival wiederholt und entpuppte sich als einer dieser (von den zuständigen Redakteuren vermutlich als “wahnsinnig innovativ” empfundenen) wüsten Zusammenschnitte, die weder chronologisch noch semantisch einen Sinn ergeben. Ohne Off-Sprecher oder sonst ein verbindendes Element wurden tausendmal gezeigte Szenen aus Harald Schmidts bisherigem Fernsehschaffen durcheinander gewürfelt und mit (wahrscheinlich “total ironisch” gemeinten) Szenen garniert, in denen u.a. Thomas Gottschalk, Elke Heidenreich, Ingolf Lück und immerhin auch Herbert Feuerstein vor einer gipsernen Harald-Schmidt-Büste Barockmusik vortrugen. Und weil die ARD ja jetzt alles im 16:9-Format senden muss, wurden die Ausschnitte, die noch im richtigen Fernsehformat vorlagen, an den Seiten mit einer idiotischen Blümchentapete aufgefüllt, damit das Bild voll ist. Ach, es war ganz schrecklich – könnte aber im Falle von Schmidts Ableben jederzeit wiederholt werden.

1 Demnächst wirklich an dieser Stelle: Die zehn schönsten Achtziger-Jahre-Adjektive.

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Rundfunk Sport

Reife Panne

Die ARD und der Radsport, das ist wie dieses eine Paar, das jeder in seinem Freundeskreis hat: Ständig streiten sie sich, ziehen alle Bekannten in ihre Beziehungskrisen mit hinein, nur um kurz vor der endgültigen Trennung zu erkennen, dass man ohne einander nicht leben kann und von Heirat zu faseln, wobei man sich über die Planung derselbigen wohl wieder tierisch in die Haare kriegen wird …

Als während der Tour de France herauskam, dass der T-Mobile-Fahrer Patrik Sinkewitz vor der Tour positiv auf Doping getestet worden war, sprangen ARD und ZDF entsetzt auf, schrien laut “Iiih ba!” und stiegen aus der Berichterstattung aus. Sat.1 kaufte die die Rechte, blamierte sich bis auf die Knochen und keine Woche später wollte man in der ARD doch wieder über die Tour berichten, aber nicht live.

Jetzt ist Deutschland-Tour und die ARD überträgt an neun Tagen live (wenn auch unter der Woche nur je eine Stunde am Tag). Und im direkten Vergleich zu den Bildern des französischen Fernsehens, an die wir uns im letzten Monat gewöhnt hatten, fällt auf:

Schaltet man ein, hat man keine Ahnung, wo die Fahrer sind und wie weit sie noch fahren müssen. Statt einer permanenten Einblendung, wie es sie bei jedem Fußballspiel gibt (und die man, gerade wenn die ARD bzw. die Bundesliga beteiligt sind, nicht lesen kann), wird alle paar Minuten mal eingeblendet, wie viele Kilometer noch zu fahren sind. Immerhin.

Die Landschaftsaufnahmen sind sehr schön (ich denke bereits über einen Schwarzwald-Urlaub nach), aber von den Fahrern werden abwechselnd Live-Bilder und Nicht-ganz-so-Live-Bilder in Zeitlupe gezeigt, ohne dass der Zuschauer erführe, was jetzt gerade passiert und was vorhin passiert ist.

Kommentator Florian Naß vorzuwerfen, dass er ganze Sätze ausformulieren und vor allem beenden kann, wäre vielleicht eine Spur zu bösartig, aber er ist halt ganz alleine und bei einer Radsportübertragung gehört dieses Geschwafel ja irgendwie einfach dazu.

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Rundfunk Sport

Fahrrädchen im Wind

So ganz genau weiß man bei der ARD offenbar auch nicht, was man will, meint oder vorhat: Als letzten Mittwoch herauskam, dass eine Dopingprobe aus dem Training des T-Mobile-Fahrers Patrik Sinkewitz positiv war, stiegen ARD und ZDF angewidert aus der Live-Berichterstattung aus und inszenierten sich im eigenen Programm (für meinen Geschmack einen Tacken zu lautstark) als Gralshüter des guten Geschmacks und der öffentlichen Ordnung. Dann übernahm Sat.1 die Tour-Übertragung und neben einigen Politikern fand auch WDR-Chefin Monika Piel diese Entscheidung nicht gut.

Während Sat.1 mit grottenschlechter Live-Berichterstattung beeindruckte (die heute mit einem Jan-Ullrich-Interview einen neuen Tiefpunkt erreichte), berichtete die ARD weiterhin über die Tour – nur eben nicht live. Wo da der qualitative Unterschied liegen soll, weiß der Henker – es wird ja im Ersten niemand ernsthaft erwartet haben, da werde sich ein Radfahrer live eine Spritze in den Arm drücken, was man dann für die Zusammenfassung rausschneiden kann.

Heute meldet “Spiegel Online”, die ARD wolle ab morgen – morgen ist Ruhetag! – ein 25minütiges Tour-Magazin senden. Ein “Umdenken”, wie SpOn es nennt, ist das natürlich (s.o.) nicht, aber so wirklich glaubwürdig ist so langsam nichts mehr an dieser Tour: Nicht nur, dass der derzeit im gelben Trikot fahrende Däne Michael Rasmussen unter Dopingverdacht steht und der zweitplatzierte Alberto Contador auch eine etwas zweifelhafte Vergangenheit zu haben scheint – auch das Theater um die Berichterstattung spottet in diesem Jahr jeder Beschreibung.

Man kann davon ausgehen, dass den Leuten, die jetzt noch die Tour de France gucken, so ziemlich alles egal ist – die Fahrer könnten im Ziel Robbenbabies opfern und die (in Deutschland schwachen) Zuschauerzahlen würden kaum weiter abnehmen. Schaden können Tour und Umfeld jetzt nur noch den beteiligten Fernsehsendern: Sat.1 hat miserable Quoten, denen wohl auch die ab morgen einsetzende öffentliche Empörung über das Ullrich-Interview nicht mehr viel helfen können wird, und die ARD verheddert sich in einem Netz aus “Ja!”, “Nein!” und “Vielleicht!”.

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Rad und Tat

Man kann sicher viel darüber diskutieren, ob es eine gute Idee war, dass Sat.1 die Berichterstattung der Tour de France übernommen hat, kaum dass ARD und ZDF ausgestiegen waren. Das geschieht ja auch hie und da und dort. Letztendlich gibt es da sicherlich kein “richtig” oder “falsch”, aber es muss ja nicht jede Diskussion zu einem Ergebnis kommen.

Was mich aber gerade mal wieder auf die Palme treibt, sind die Berliner Hinterbänkler, die – kaum, dass sich das Sommerloch bedrohlich über der Medienlandschaft öffnet – eiligst durch die Gegend rennen und in die erstbesten Mikrofone hineinsalbadern:

Die Grünen sprachen von einem «fatalen Signal», wenn die Quote zähle, der Inhalt aber nicht. «An die Zuschauer wird dabei nicht gedacht, an einen sauberen Radsport schon gar nicht – Hauptsache Spektakel», heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der medienpolitischen Sprecherin, Grietje Bettin, und des sportpolitischen Sprechers, Winfried Hermann.

Zunächst einmal freut es mich natürlich, wenn sich die mir bisher unbekannten Grünen-Sprecher als meine Anwälte (ich als Teilmenge von die Zuschauer) aufspielen. Allein: Ich will gucken – und eine knappe Millionen anderer Leute offenbar auch.

Sicher: Wir könnten auch der Übertragung bei Eurosport folgen, dafür braucht es keine langweilige Sat.1-Übertragung. Aber allein die Verwendung des Begriffs “Spektakel” zeigt, dass sich offenbar keiner der Beiden die Mühe gemacht hat, sich das Elend bei Sat.1 anzuschauen – dagegen ist ja jeder Wetterbericht nach den “Tagesthemen” ein größeres Spektakel. Und die Quote “stimmte” gestern bei Sat.1 schon mal überhaupt nicht.

Mir erschließt sich auch nicht so ganz, ob und wie der Radsport dadurch sauberer werden sollte, wenn die Tour nicht im Fernsehen auf einem Sender, der einen einstelligen Sendeplatz auf der Fernbedienung belegt, übertragen würde. Es ist ein bisschen wie mit Schrödingers Katze: entweder wird gedopt oder nicht – ob man dabei zusehen kann oder nicht, hat darauf keinen Einfluss.

Politiker müssen nicht zu allem eine Meinung haben und vor allem sollten sie darauf vertrauen, dass die Bürger, von denen sie mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt wurden, mündig genug sind, einen Fernseher einzuschalten oder nicht. So doll wie früher waren die Zuschauerzahlen der Tour schon bei ARD und ZDF nicht – also gibt es offenbar genug frühere Zuschauer, die entweder die Schnauze voll haben von gedopten Sportlern oder – auch das wäre nicht undenkbar – denen die ungedopten Fahrer zu langsam fahren.

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Öffentlich-rechtliche Radlosigkeit

Gestern sind ARD und ZDF aus der Übertragung der Tour de France ausgestiegen. Der Spiegelfechter hat dieses Vorgehen recht ausführlich kommentiert und in zwei Sätzen gut zusammengefasst:

Wenn man „den Dopingsumpf“ halbwegs trocken legen will, ist weder krawalliger Aktionismus noch Hysterie hilfreich, wie die ARD und ZDF an den Tag legen. Wer bessere Kontrollen fordert und laut aufschreit, wenn diese Kontrollen tatsächlich etwas zu Tage fördern, agiert wie der Dieb der „Haltet den Dieb!“ schreit.

Heute haben dann völlig überraschend Sat.1 und ProSieben, zwei Sender die in der letzten Zeit nicht unbedingt durch Sportübertragungen auffielen, die Senderechte der Tour de France gekauft. Für die Öffentlich-Rechtlichen ist das ein lautstarker, öffentlicher Schlag in die Fresse, denn die Quoten bei Sat.1 werden – wie gestern die bei Eurosport – explodieren. Die Zuschauer wollen offenbar die Tour sehen und das ist ja auch gar nicht so abwegig: Unter Beobachtung werden die Fahrer ja wohl hoffentlich weniger Scheiße bauen, als wenn sie unter sich sind.

Die Teams von ARD und ZDF, die für drei Wochen gebucht waren, stehen jetzt mit ihren Übertragungswagen, Dekos und Kameras irgendwo mitten in Frankreich, ihnen droht auch noch der Entzug ihrer Akkreditierungen. Möglicherweise wird sich der eine oder andere Gebührenzahler fragen, welche Kosten die nunmehr beschäftigungslosen ÖR-Reporter gerade so verursachen.

Für Sat.1 kam die Nachricht unterdessen so überraschend, dass man improvisieren musste: Experte Mike Kluge erzählte vorhin, man habe ihn gestern Abend um 23 Uhr angerufen und gefragt, ob er kommentieren wolle. Deswegen sitzen er und N24-Sportchef Timon Saatmann heute auch noch in einem Berliner Studio und nicht (wie sonst üblich) am Ziel in Montpellier. Das erklärt auch, warum der Kommentar heute so sterbenslangweilig ist: die beiden haben ja noch nicht mal das Buch zur Hand, in dem historische Gebäude, lokale Wein- und Käsesorten vermerkt sind. Ich will hoffen, dass sich das ab morgen ändert. Sonst muss ich mir die Tour nachher noch von Eurosport kommentieren lassen.

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Hofnarr bei den Gremlins

Nach so viel Trash und Diskussionen am Wochenende wollte ich heute eigentlich mal wieder über Hochkultur schreiben.

Dann passierte das hier:

Oliver Pocher wechselt zur ARD und wird ab Oktober mit Harald Schmidt die neue Late-Night-Show “Schmidt & Pocher” präsentieren. Damit wird die bisherige Show von Harald Schmidt ersetzt.

Es war zu befürchten: Kaum war der dauerpubertäre Langweiler am üblichen Ende der medialen Verwertungskette angekommen und wurde in einem entlarvenden Porträt bei Polylux vorgestellt, ist er für die ARD ein kalkulierbares Risiko und wandert ratzfatz in die erste Reihe der Abendunterhaltung. Der Sender, der noch vor kurzem die Verpflichtung des Publikumslieblings Günther Jauch so öffentlichkeitswirksam versemmelt hatte, holt sich jetzt also einen, äh: Publikumsliebling, dessen letzte Arbeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen in gerichtlichen Auseinandersetzungen endeten.

Pocher hat zwei Möglichkeiten:
a) Er gibt Vollgas, bleibt sich und seinem Humor treu – dann hat er in etwa jeder dritten Sendung einen guten Moment und schafft gleichzeitig in der Beschwerdestelle der ARD zwanzig neue Arbeitsplätze.
b) Er nimmt sich zurück, weil die ARD-Redakteure mit erhobenem Lineal hinter ihm stehen, jederzeit bereit, ihm eine hinter die Löffel zu geben, wenn statt “neuer Impulse” (WDR-Programmdirektorin Verena Kulenkampff) nur Beschwerden von BR-Granden und ARD-Zielgruppe kommen.

Für Schmidt ist das alles eigentlich egal. Wer sich zuletzt (also in den letzten fünf Jahren) von einem selbstverliebten Redaktionsleiter an die Wand quasseln (und leider viel zu oft auch: brüllen) ließ und völlig ironiefrei bei “Unser Charly” und dem “Traumschiff” mitmacht, wird wohl kaum mehr Ehrgeiz entwickeln, wenn neben ihm plötzlich ein lautstarker, aber eben vor allem auch professioneller Comedian sitzt. Schon der Name der neuen Show deutet eine Rückzugsmöglichkeit an: Wenn die Show nicht noch erfolgloser wird als Schmidts aktuelle, heißt sie ab Herbst 2008 eben “Pocher & Schmidt” und ab 2009 “Oliver Pocher”.

Letztendlich müssen wir natürlich erst einmal abwarten, wie die ersten Shows von “Schmidt & Pocher” so werden. Wenn Oliver Pocher bei Harald Schmidt zu Gast war, hatte das mitunter sehr witzige Momente. Heute überwiegt erst einmal die Überraschung, dass die ARD es tatsächlich geschafft hat, eine Überraschung zu landen.