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Cinema And Beer: Die Folge für 2020

Seit 2012 machen Tom The­len und Lukas Hein­ser „Cine­ma And Beer“: Erst gehen sie ins Kino, dann in eine Knei­pe, um beim Bier über das gera­de Gese­he­ne zu spre­chen. Jedes Jahr gab es min­des­tens eine Fol­ge die­ses Erfolgs­pod­casts — dann kam 2020 …

… und sie nah­men trotz­dem eine auf! Ohne Kino, ohne Bier, aber mit jeder Men­ge Emp­feh­lun­gen für Zeugs, was man wäh­rend der Fei­er­ta­ge und des Lock­downs so bin­gen kann. „Zwei wei­ße Dudes reden über Seri­en – Der Pod­cast“! Unser Weih­nachts­ge­schenk für Euch!

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Ein Abend mit Soße

Dafür, dass ich gele­gent­lich als „Medi­en­jour­na­list“ bezeich­net wer­de, kon­su­mie­re ich ver­gleichs­wei­se wenig Medi­en: Ich habe kein Abon­ne­ment einer Tages­zei­tung oder Zeit­schrift, ich höre täg­lich etwa 20 Minu­ten Radio am Früh­stücks­tisch und sehe außer­halb von Fuß­ball­über­tra­gun­gen und „Wer wird Mil­lio­när?“ eigent­lich kaum frei­wil­lig fern.

Jetzt aber hat­te ich außer­plan­mä­ßig einen beschäf­ti­gungs­frei­en Abend und weil etwa­ige Dead­lines noch viel zu weit weg waren, um mich halb­fer­ti­gen Pro­jek­ten zu wid­men, such­te ich mir eine Stel­le, an der mei­ne Couch noch nicht kom­plett durch­ge­le­gen ist, und schal­te­te den Fern­se­her ein. Das dau­ert bei mei­nem Digi­tal­re­cei­ver etwa 20 Sekun­den und erklärt viel­leicht, war­um ich so ungern fern­se­he.

Nach einer kur­zen Zap­ping-Ein­ge­wöh­nungs­pha­se lan­de­te ich beim MDR, einem für mich hoch­gra­dig rät­sel­haf­ten Sen­der. Ich geriet mit­ten hin­ein in „Echt – Das Maga­zin zum Stau­nen“, wo gera­de ein paar Feu­er­wehr­leu­te in ein Gebäu­de ein­dran­gen und sofort bewusst­los zu Boden gin­gen. Alles an die­ser Sen­dung wirk­te wie das, was ich von RTL 2 in Erin­ne­rung hat­te: Die nach­ge­stell­ten Sze­nen, die dazu­ge­hö­ri­ge Ton­spur mit dra­ma­ti­scher Musik und bedeu­tungs­schwan­ge­rem Off-Spre­cher, die Inter­views mit Betrof­fe­nen – sogar das Aus­se­hen der Bauch­bin­den, auf denen ihr Name stand. Alles schrie „Action“, und der Kon­trast zu dem bie­de­ren MDR-Logo oben rechts hät­te kaum grö­ßer sein kön­nen.

Tra­di­tio­nell spie­ßi­ges Regio­nal­fern­se­hen war Gott­sei­dank nur einen Tas­ten­druck ent­fernt, beim Hes­si­schen Rund­funk, der gera­de „Die Lieb­lings­ge­rich­te der Hes­sen“ kür­te. Dabei han­delt es sich um eine die­ser Lis­ten-Sen­dun­gen mit „pro­mi­nen­ten“ Stich­wort­ge­bern, die in den drit­ten Pro­gram­me der ARD inzwi­schen alle ande­ren For­ma­te erset­zen. Vom „Focus“ haben die Pro­gramm­ma­cher gelernt, dass sich alles in absur­den Ran­kings abbil­den lässt, und das wird jetzt gna­den­los durch­ge­zo­gen. Allein der HR hat im ver­gan­ge­nen Jahr 25 die­ser Sen­dun­gen aus­ge­strahlt, die Erst­aus­strah­lung der „Lieb­lings­ge­rich­te“ liegt immer­hin schon zwei­ein­halb Mona­te zurück. Ich kam gera­de recht­zei­tig, um u.a. den Komi­ker Bodo Bach, den ARD-Bör­sen­ex­per­ten Frank Leh­mann und ande­re, mir nicht bekann­te Hes­sen bei der Lob­prei­sung der „Grü­nen Soße“ zu beob­ach­ten. Mit gro­ßer Ernst­haf­tig­keit spra­chen sie über die Varie­tä­ten der Rezep­tur, konn­ten mir das gezeig­te Essen oder gene­rell die hes­si­sche Lebens­art dabei aber auch nicht schmack­haf­ter machen.

Auf Eins Extra erwisch­te ich im Anschluss die End­aus­läu­fer einer Wie­der­ho­lung von „Hart aber fair“, was ich eigent­lich aus Prin­zip nicht gucken kann. Im spe­zi­el­len Fall sprach aber gera­de Prof. Hell­muth Kara­sek über die Gemein­sam­kei­ten von Robert Musils „Die Ver­wir­run­gen des Zög­lings Tör­leß“ und dem Inter­net, nach­dem kurz zuvor der mir durch zahl­rei­che Tele­fon­ge­sprä­che bekann­te Medi­en­an­walt Ralf Höcker erklärt hat­te, wie man unlieb­sa­me Infor­ma­tio­nen über sich aus dem Inter­net löschen las­sen kann. „Was zum Hen­ker ist denn da das The­ma“, dach­te ich und war auch schon gefan­gen genom­men von Kara­sek, Höcker, Tho­mas Gott­schalk, Ross Ant­o­ny und Mir­jam Weich­sel­braun, die die Fra­ge ver­han­del­ten, wie viel Öffent­lich­keit der Mensch ver­tra­ge. Der­lei Fern­seh­dis­kus­sio­nen sind ja in der Regel so ergie­big wie Dis­kus­sio­nen im Inter­net, also: gar nicht, und das war doch mal eine schö­ne Erkennt­nis, dass das Inter­net, das Fern­se­hen und Robert Musil so viel gemein­sam haben. Außer­dem muss­te ich durch Zufall die ein­zi­ge Talk­show des Jah­res erwischt haben, in der weder Peter Hint­ze noch Niko­laus Blo­me saßen. Nicht mal Richard David Precht war anwe­send, dafür mach­te Kara­sek den ahnungs­lo­sen Frank Plas­berg kurz mit der Radio­theo­rie des Ber­tolt Brecht bekannt.

Zeit für den ZDF Info­ka­nal und den Mann, auf den ich schon den gan­zen Abend gewar­tet hat­te: Adolf Hit­ler. Irgend­ein His­to­ri­ker oder Medi­en­wis­sen­schaft­ler wird sicher schon her­aus­ge­fun­den haben, dass Hit­ler dank der vie­len Doku­men­ta­tio­nen auf n‑tv, N24 und eben ZDF info fast 70 Jah­re nach Kriegs­en­de pro Tag mehr Sen­de­zeit hat als zu Leb­zei­ten im staat­li­chen Rund­funk. Im kon­kre­ten Fall saß Hit­ler mal wie­der im Bun­ker. Auf einen Spoi­ler-Alert kann ich glaub ich ver­zich­ten, aber eine digi­tal ani­mier­te Kame­ra­fahrt durch den Pri­vat­raum, in dem Hit­ler und Eva Braun star­ben, hat­te ich noch nicht gese­hen. Die anschlie­ßen­de Schil­de­rung, wie ein Zeu­ge den Füh­rer auf­ge­fun­den hat­te, war dann lei­der nicht bebil­dert.

Nicht mit Ani­ma­tio­nen geiz­te auch die anschlie­ßen­de Doku­men­ta­ti­on über den Vesuv und die Gefahr, die von ihm aus­ging. Als hät­te Roland Emme­rich Pli­ni­us den Jün­ge­ren ver­filmt, konn­ten die Zuschau­er den kom­men­den Unter­gang Nea­pels beob­ach­ten, anmo­de­riert von drei armen Wis­sen­schaft­lern, die in einer Lager­hal­le Spiel­sze­nen­ar­tig die Rah­men­hand­lung geben muss­ten. Zusam­men­fas­send lässt sich wohl sagen, dass man so einem Vul­kan­aus­bruch bes­ser aus dem Weg gehen soll­te, wenn er sich denn so ereig­nen soll­te, wie er „zumin­dest nicht unwahr­schein­lich“ skiz­ziert, ach was: in Öl gemalt wur­de.

Da auch Umschal­ten bei mei­nem Recei­ver unan­stän­dig viel Zeit in Anspruch nimmt, blieb ich wei­ter beim ZDF Info­ka­nal, wo sie im Anschluss einen PKW fern­steu­er­ten. Na gut, dann viel­leicht doch noch mal von vor­ne durch­zap­pen. Im Ers­ten tra­fen sich inzwi­schen „Men­schen bei Maisch­ber­ger“ und nach dem irri­tie­ren­den „Hart aber Fair“-Erlebnis war hier wie­der alles wie erwar­tet: Da saßen fünf, sechs Leu­te in einer Sofa­land­schaft und schrie­en sich an. Puh, schnell wei­ter. Im ZDF erklär­te Harald Lesch, wir Men­schen, „Sie, ich, wir alle“, wür­den zu 92 Pro­zent aus Ster­nen­staub bestehen. Das habe auch Nova­lis schon geschrie­ben, nur anders gemeint.

Das reich­te. Ich konn­te nicht mehr.

Musik!


Moby – We Are All Made Of Stars von EMI_​Music

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Blöd On Blöd

Ich habe all das, was zu Bob Dylans sieb­zigs­tem Geburts­tag gesen­det, gesun­gen und geschrie­ben wur­de, nicht sehen, hören, lesen wol­len – und bin doch eini­ger­ma­ßen zuver­sicht­lich, den schlech­tes­ten Bei­trag zum The­ma gefun­den zu haben: Er lief im Rock’n’Roll-Maga­zin „Bri­sant“ im ARD-Vor­abend und wenn Dylan davon Wind bekä­me, wür­de er die Ver­ant­wort­li­chen schär­fer angrei­fen als die Adres­sa­ten in „Mas­ters Of War“.

Der Mode­ra­tor erklärt zunächst mal, dass sich die­ser Bob Dylan „im Lau­fe der Jah­re zu einem eigen­wil­li­gen, aber genia­len Rock-Poe­ten ent­wi­ckelt“ habe. Logi­scher wird’s anschlie­ßend nicht mehr.

Schon der ers­te Satz des Bei­trags lässt sich nicht von Raum und Zeit beir­ren:

„Like A Rol­ling Stone“ ist zum bes­ten Rock­song aller Zei­ten gekürt wor­den und Sän­ger Bob Dylan ist Mit­te der Sech­zi­ger Jah­re ein Halb­gott.

Doch weg von den Göt­tern, hin­ab in die Höl­le: Musik­ma­na­ger Tho­mas M. Stein habe Dylans Werk „ana­ly­siert“, erklärt die Spre­che­rin, doch bevor wir erfah­ren, wie es klingt, wenn Tho­mas M. Stein etwas ana­ly­siert, erfah­ren wir erst mal, wie es aus­sieht, wenn Tho­mas M. Stein etwas signiert – zum Bei­spiel sein eige­nes Hör­buch, das bei ihm deko­ra­tiv und in mehr­fa­cher Aus­fer­ti­gung auf dem Schreib­tisch liegt:

Dylan sei des­we­gen ein Mythos, erklärt Stein (nach­dem er zunächst „war“ gesagt hat­te, aber viel­leicht hat er auch nur dar­auf spe­ku­liert, dass sein O‑Ton der­einst in den Nach­ru­fen noch mal wie­der­ver­wen­det wird), weil er „wun­der­ba­re Lie­der, wun­der­ba­re Tex­te“ geschrie­ben habe. Denn eine schö­ne Stim­me habe der Mann ja nun wahr­lich nicht.

Nur: Er hat eine gan­ze Gene­ra­ti­on bewegt. Ver­ges­sen Sie nicht Wood­stock, das sind legen­dä­re Auf­trit­te, die Bob Dylan gemacht hat. Damals nur mit der Klamp­fe und mit der Gitar­re, ohne gro­ßen Back­ground, wäh­rend­des­sen ande­re schon rock­mä­ßig wei­ter – Rol­ling Stones und San­ta­na, wie sie alle hie­ßen – schon mit gro­ßem Orches­ter gereist sind, hat er sich sehr stark zurück­ge­hal­ten.

Was Tho­mas M. Stein bei sei­ner Ana­ly­se des Leben ’n‘ Werk Bob Dylans offen­bar ent­gan­gen ist: Dylan ist beim Wood­stock Fes­ti­val gar nicht auf­ge­tre­ten (die Rol­ling Stones übri­gens auch nicht und Car­los San­ta­na nicht mit Orches­ter).

Wei­ter Tho­mas M. Stein:

Er hat spä­ter einen Knick bekom­men in der Kar­rie­re, lus­ti­ger­wei­se, weil er von der nor­ma­len Akus­tik­gi­tar­re zur elek­tri­schen Gitar­re über­ge­gan­gen ist. Das haben ihm die alten Fans übel genom­men.

Ja, übel genom­men haben sie’s ihm, aber nicht „spä­ter“, son­dern beim New­port Folk Fes­ti­val 1965 – mehr als vier Jah­re vor Wood­stock.

Aber gehen wir doch noch ein paar Schrit­te zurück in die Geschich­te:

Hier in Min­ne­so­ta, USA kommt Robert Allen Zim­mer­man 1941 zur Welt.

Nun ist „hier in Min­ne­so­ta“ eigent­lich ein biss­chen unprä­zi­se, weil der Staat mit 225.000 Qua­drat­ki­lo­me­tern fast so groß ist wie die Bun­des­re­pu­blik ohne DDR, aber zum Glück kann man das ja bild­lich etwas prä­zi­sie­ren:

Irgend­wo ent­lang die­ser Stra­ße, also.

Doch es kommt noch schlim­mer. Viel schlim­mer, als sich die kran­ken Köp­fe hin­ter „Saw“, „Hos­tel“ und „Final Desti­na­ti­on“ es sich jemals hät­ten aus­den­ken kön­nen.

Auf­tritt Bern­hard Brink.

Den Schla­ger­sän­ger, der „in einem ande­ren Gen­re zuhau­se ist“, hat das ARD-Team offen­bar in sei­nem Lieb­lings­wein­lo­kal ange­trof­fen, wo er von der „gro­ßen Zeit der APO, Ende der Ach­ten­sech­zi­ger, in der gro­ßen Pro­test­zeit“ schwär­men darf. Er habe sich selbst „auch ’n Play­back besorgt von dem Klas­si­ker, hier“, des­sen Titel Brink offen­bar nicht mehr ein­fal­len will, was er aber char­mant mit einer eige­nen Inter­pre­ta­ti­on von „Blo­win‘ In The Wind“ über­geht.

So schlimm ist dann wie­der­um Bern­hard Brinks Gesangs­ein­la­ge nicht – zumin­dest, wenn man sie mit den zusam­men­hang­lo­sen Sät­zen ver­gleicht, die jetzt wie­der aus dem Off blub­bern:

Doch Bob Dylan will sich vor kei­nen Kar­ren span­nen las­sen; nicht für die Frie­dens­be­we­gung, nicht für die Musik­in­dus­trie. Dar­an ändert auch sei­ne Lie­be zu Sän­ge­rin Joan Baez nichts. Inter­views gibt er sel­ten – und wenn, dann kurz und schmerz­haft.

Man könn­te anneh­men, die „Brisant“-Leute hät­ten sich Joan Baez hier als eine Art Kar­ren gedacht, wenn es nicht kei­nen Grund gebe, anzu­neh­men, dass sie sich irgend­et­was gedacht haben.

Es folgt ein kur­zer Aus­schnitt, in dem sich ein sehr jun­ger Bob Dylan über eine sehr dum­me Inter­view-Fra­ge echauf­fiert, dann geht der über­ra­schen­de Ein­satz von Kon­nek­tiv­par­ti­keln wei­ter:

Den­noch: Von den zehn bes­ten Schall­plat­ten der Pop­ge­schich­te stam­men zwei von Bob Dylan.

Bis hier­hin ist es ein pein­li­cher, ahnungs­lo­ser Bei­trag. Doch jetzt wird der Jubi­lar nicht mehr nur von Schla­ger­bar­den besun­gen, jetzt wer­den ihm halt­lo­se Vor­wür­fe gemacht:

Ohne ihn hät­te es die deut­sche Rock­band BAP womög­lich nie gege­ben.

Natür­lich! Wenn in Deutsch­land alle Dyla­no­lo­gen abge­sagt haben mit dem Hin­weis, für sol­che Quatsch­for­ma­te wür­den sie nicht den Ham­pel­mann machen, dann gibt es immer noch Wolf­gang Nie­de­cken, den „Dylan der Süd­stadt“, von dem man einen kur­zen O‑Ton kriegt.

Dann spricht wie­der die Bou­le­vard-Fern­seh-Tan­te:

Der Mensch Dylan aber bleibt prak­tisch unsicht­bar: Nie­mand weiß genau­es über sei­ne vier Kin­der, das Schei­tern sei­ner ers­ten Ehe, wenig über sei­ne Dro­gen­sucht.

Das „aber“ hat natür­lich wie­der kei­ne logi­sche Funk­ti­on und tat­säch­lich gibt es über zwei der vier Dylan-Kin­der nicht mal Wiki­pe­dia-Ein­trä­ge, aber als Regis­seur von „Ame­ri­can Pie 3“ bzw. als Sän­ger der Wall­flowers sind Jes­se und Jakob Dylan dann doch irgend­wie mal so ein biss­chen in Erschei­nung getre­ten.

Doch zurück zu Bob und des­sen Schaf­fen, das Tho­mas M. Stein wie folgt zusam­men­fasst:

Er hat gezeigt, dass man neben „Lala“ auch noch was ande­res sin­gen kann.

Das hät­te nicht mal der Graf von Unhei­lig ver­dient.

[via Ralf]

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… und wir sind nur die Kandidaten

Mon­tag­nach­mit­tag im Köl­ner E‑Werk: Außer Rent­nern, Stu­den­ten und Arbeits­lo­sen hat um die­se Zeit eigent­lich nie­mand Zeit. Trotz­dem haben WDR und NDR es hin­be­kom­men, 179 Bun­des­bür­ger anzu­kar­ren, die angeb­lich reprä­sen­ta­tiv für 82 Mil­lio­nen sind: alt und jung, aus Nord und Süd, Mann und Frau – die gan­ze Palet­te halt. Sie sol­len SPD-Kanz­ler­kan­di­dat Frank-Wal­ter Stein­mei­er in einer die­ser Town­hall-Mee­ting-Simu­la­tio­nen, die der neu­es­te Schrei im deut­schen Polit-TV sind, auf den Zahn füh­len. Bizar­rer­wei­se bin ich einer die­ser 179.

Nach dem nur ver­hal­te­nen Warm-Up durch einen Kol­le­gen (es ist halt eine öffent­lich-recht­li­che Poli­tik­sen­dung, kei­ne Pri­vat­fern­seh-Come­dy) begrü­ßen die Mode­ra­to­ren Jörg Schö­nen­born und Andre­as Cicho­wicz erst uns und dann den Mann, der Kanz­ler wer­den will. Stein­mei­er begrüßt die Zuschau­er, die um ihn her­um sit­zen, rou­ti­niert und man ist froh, dass er nicht gleich mit dem Hän­de­schüt­teln anfängt. Er hät­te ja gar nicht kom­men brau­chen, sagt er, so toll habe ihn „der Jonas“, ein jun­ger Zuschau­er mit blon­dier­ten Haa­ren, der im Warm-Up sei­nen Platz ein­ge­nom­men hat­te, ja ver­tre­ten. Sol­che Aus­sa­gen sor­gen für Stim­mung, aber dann erin­nert Schö­nen­born, der trotz sei­ner sons­ti­gen Kern­auf­ga­be, Zah­len von einem Moni­tor abzu­le­sen, mensch­li­cher wirkt als der leben­de Akten­de­ckel Stein­mei­er, dar­an, dass wir ja nicht zum Ver­gnü­gen hier sei­en, und es geht los.

Die ers­te Fra­ge wird gestellt und die ers­te Ant­wort gege­ben. Im Vor­feld hat­ten sich die WDR-Redak­teu­re tele­fo­nisch erkun­digt, was man even­tu­ell fra­gen wol­le, aber im Stu­dio lässt sich (außer bei ein paar aus­ge­wähl­ten Gäs­ten) nicht zuord­nen, wer wel­che Fra­ge stel­len wür­de – eine wie auch immer gear­te­te Kon­trol­le scheint aus­ge­schlos­sen. Ein Mann wird vor­ge­stellt, der 33 Jah­re bei Her­tie gear­bei­tet hat und „mit nichts mehr als einem feuch­ten Hän­de­druck“ (er muss sehr feucht gewe­sen sein, denn er fin­det zwei Mal Erwäh­nung) ver­ab­schie­det wur­de. Hof­fent­lich war es nicht auch noch der sel­be Her­tie-Mit­ar­bei­ter wie vor drei Wochen bei RTL. Stein­mei­er sagt von Anfang an oft „ich“ und „wir“, ohne dass klar wird, wel­che geheim­nis­vol­le Trup­pe er damit meint. Die magi­schen Buch­sta­ben „SPD“ nimmt er nach 67 Minu­ten zum ers­ten Mal in den Mund, „CDU“ folgt kurz dar­auf. Er redet viel und sagt wenig. Sagt ein Zuschau­er, woher er kommt, kom­men von Stein­mei­er stets die glei­chen back­chan­nels: „Rhe­da-Wie­den­brück, ah!“, „Gre­ven­broich, ah!“, „Bochum, ah!“. Ein Mann, der bei Con­ti­nen­tal arbei­tet, wird fast zu Stein­mei­ers Joe the plum­ber: Zwar kann er sich den Namen des Man­nes nicht mer­ken, aber auf den „Arbei­ter bei Con­ti“ kommt der Kanz­ler­kan­di­dat an jeder pas­sen­den und unpas­sen­den Stel­le gern noch mal zurück.

Kon­kre­te Fra­gen beant­wor­tet Stein­mei­er mit dem Hin­weis, „sofort“ auf den Kern zurück­zu­kom­men, nur um dann so weit aus­zu­ho­len, dass er an einer belie­bi­gen Stel­le abbie­gen und über irgend­was reden kann. Als Fra­ge­stel­ler ist man zu betäubt, um das sofort zu mer­ken, und die Mode­ra­to­ren wis­sen natür­lich sowie­so am Bes­ten, dass sie hier kei­ne kon­kre­ten Ant­wor­ten erwar­ten kön­nen.

Eine älte­re Dame, die zuvor bereits wüst in die Kame­ra gewun­ken hat­te, um dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass sie eine Fra­ge stel­len will, hat ein paar kopier­te Zet­tel dabei und fragt Stein­mei­er, ob er schon Gele­gen­heit gehabt habe, den aktu­el­len „Spie­gel“ zu lesen. Stein­mei­er wird aber gera­de frisch über­pu­dert und kann des­halb nicht ant­wor­ten, wes­we­gen Schö­nen­born bit­tet, eine kon­kre­te Fra­ge zu for­mu­lie­ren. Es geht um die Besteue­rung von Sonn­tags­ar­beit und Stein­mei­er ant­wor­tet, man dür­fe auch nicht alles glau­ben, was in der Zei­tung ste­he. Obwohl es natür­lich stimmt, kommt das ein biss­chen mecke­rig rüber und die Dame ent­geg­net, es habe ja nicht in „Bild“ gestan­den, son­dern im „Spie­gel“ und dem müs­se man ja trau­en. Ich hof­fe, dass die Raum­mi­kros zu schwach ein­ge­stellt waren, als dass man mein gluck­sen­des Geläch­ter auch noch zuhau­se hören könn­te.

Weil ich ein „jun­ger Mann im karier­ten Hemd“ bin, darf ich auch eine Fra­ge stel­len, aber ich mer­ke schon, als das Fra­ge­zei­chen durch den Raum schwebt, dass das kei­ne gute Idee war. Ich will wis­sen, ob Stein­mei­er manch­mal von Murat Kur­naz träu­me, aber der Kanz­ler­kan­di­dat ant­wor­tet mit dem Ver­weis auf irgend­wel­che Doku­men­ta­tio­nen über sich und dar­auf, dass ein Unter­su­chungs­aus­schuss sei­ne (Stein­mei­ers) Unschuld bewie­sen habe. Man müs­se jetzt auch mal mit die­sen Anschul­di­gun­gen auf­hö­ren, sagt er, wäh­rend wir irgend­wie haar­scharf anein­an­der vor­bei gucken, und ich das Gefühl habe, unter den Bli­cken der ande­ren Zuschau­er und der Hit­ze der Schein­wer­fer lang­sam zu zer­flie­ßen.

Mit Poli­ti­kern zu spre­chen ist eine der unbe­frie­di­gends­ten Beschäf­ti­gun­gen über­haupt, weil einem immer erst hin­ter­her klar wird, dass das gar kein Gespräch war, son­dern eine Phra­sen-Rou­ti­ne, die man schon im Infor­ma­tik­un­ter­richt der sieb­ten Klas­se schrei­ben kann. (Es kann kein Zufall sein, dass Dou­glas Adams einst an einem Com­pu­ter­pro­gramm namens „Rea­gan“ arbei­te­te, das Fern­seh­de­bat­ten anstel­le des US-Prä­si­den­ten hät­te füh­ren kön­nen.) Es macht fast mehr Spaß, im Herbst Laub zusam­men­zu­keh­ren und die Wie­se kurz nach dem Weg­pa­cken des Rechens schon wie­der mit Blät­tern über­sät zu sehen.

Das The­ma Außen­po­li­tik kommt in der Befra­gung des Außen­mi­nis­ters nicht vor. Fra­gen nach afgha­ni­schen Tank­las­tern („Wie vie­le davon wer­den wir noch in die Luft spren­gen müs­sen, bis es in dem Land kei­ne Tali­ban und kei­ne Zivi­lis­ten mehr gibt und wir nach hau­se gehen kön­nen?“) ver­bie­ten sich wegen der Vor­lauf­zeit von fast 30 Stun­den: Wer weiß, wie die Nach­rich­ten­la­ge bei Aus­strah­lung aus­sieht? Afgha­ni­stan kommt trotz­dem vor, wenn auch anders als gedacht: Die Mut­ter eines Sol­da­ten fragt nicht etwa, wann ihr Jun­ge dau­er­haft zuhau­se und in Sicher­heit blei­ben darf, son­dern erkun­digt sich nach bes­se­rer tech­ni­scher Aus­stat­tung für die Trup­pen. Dass sich die Sen­dung so ame­ri­ka­nisch anfüh­len wür­de, war sicher nicht geplant.

Zur Auf­lo­cke­rung wer­den Stein­mei­er zwi­schen­durch zwei „Wer wird Millionär?“-mäßige Quiz­fra­gen gestellt. Es fällt schwer zu glau­ben, dass eine mut­maß­lich gut bezahl­te Redak­ti­on in mona­te­lan­ger Vor­be­rei­tung nicht über „Was wer­den Sie nach dem Ende der gro­ßen Koali­ti­on am meis­ten ver­mis­sen? A: Ange­la Mer­kel, B: Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg, C: Ursu­la von der Ley­en, D: mei­nen Dienst­wa­gen“ hin­aus­ge­kom­men ist. Immer­hin gibt es Stein­mei­er die Gele­gen­heit zum ein­zi­gen Mal in 75 Minu­ten mit Witz und Schlag­fer­tig­keit zu glän­zen, als er ant­wor­tet: „ ‚D‘ schei­det ja aus, denn wenn die gro­ße Koali­ti­on endet, sit­ze ich ja im Kanz­ler­amt.“

Als Schö­nen­born eine län­ge­re, kom­pli­zier­te Zwi­schen­mo­de­ra­ti­on, in der es auch irgend­wie um die FDP geht, augen­schein­lich völ­lig frei (also jeden­falls ohne Tele­promp­ter und ohne noch mal auf sei­ne Kar­ten zu gucken) in die Kame­ra spricht, wer­de ich zu sei­nem glü­hen­den Ver­eh­rer. Cicho­wicz dage­gen gerät bei sei­nen kur­zen Text­pas­sa­gen häu­fi­ger ins Schwim­men, hat dafür aber das Zwi­schen-Zuschau­ern-Hocken in der Tra­di­ti­on von Jür­gen Flie­ge und Gün­ther Jauch im Reper­toire. Zwi­schen­durch stür­zen immer wie­der stu­den­ti­sche Mikro­fon-hin­hal­te-Kräf­te die Trep­pen hin­un­ter, was man am Bild­schirm ver­mut­lich nur als gro­tesk anmu­ten­de Satz­pau­sen wahr­nimmt.

Kurz vor Schluss darf noch eine Mut­ter mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund eine Fra­ge stel­len und weil sie in Stein­mei­ers Rücken sitzt, gerät die­se Gesprächs­si­mu­la­ti­on voll­ends zum Desas­ter: Stein­mei­er dreht ihr halb die Schul­ter zu und redet lie­ber zu Schö­nen­born und Kame­ra 1 und berich­tet dann – Ein­zel­schick­sa­le her­vor­he­ben! – von einer jun­gen Tür­kin, die er kürz­lich in Mainz ken­nen­ge­lernt habe und die jetzt ihren Haupt­schul­ab­schluss nach­ma­che. Dass vor hin­ter ihm das viel­leicht span­nen­de­re Ein­zel­schick­sal sitzt, ist egal: Die Frau aus Mainz passt bes­ser in die Rou­ti­ne.

Die ers­ten Zuschau­er erhe­ben sich schon wäh­rend des Abspanns.

Wahl­are­na: Zuschau­er fra­gen Frank-Wal­ter Stein­mei­er
Diens­tag, 8. Sep­tem­ber 2009
21:05 Uhr im Ers­ten

Nach­trag, 9. Sep­tem­ber: Bis zum kom­men­den Sams­tag kann man sich die Sen­dung jetzt auch in der ARD-Media­thek anse­hen.

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Programmhinweis: Ein Liveblog für Moskau

Ein Eisbär schießt Konfetti ins Publikum. Eine riesige digitale MatrjoschkaSie wer­den es ver­mut­lich noch nicht mit­be­kom­men haben, aber mor­gen ist wie­der die Ver­an­stal­tung, die seit eini­gen Jah­ren „Euro­vi­si­on Song Con­test“ genannt wird und nie „Grand Prix d’Eurovision de la Chan­son“ hieß.

Im Gegen­satz zu den letz­ten bei­den Jah­ren, als Ste­fan Nig­ge­mei­er und ich uns bereits im Vor­feld durch alle Bei­trä­ge gekämpft haben, habe ich in die­sem Jahr kei­ne Ahnung, was mich beim Fina­le in Mos­kau erwar­tet: Ich habe kei­nes der Halb­fi­nals gese­hen und selbst den deut­schen Titel habe ich bis­her nicht (bewusst) gehört.

Das sind natür­lich die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen für einen zünf­ti­gen Grand-Prix-Abend mit Käse­häpp­chen, Metigel und rus­si­schem Wod­ka (auf den ich aus per­sön­li­chen Grün­den aller­dings ver­zich­ten wer­de).

Das gro­ße Live­blog star­tet (wie schon 2007 und 2008) um kurz vor 21 Uhr. Bild und Ton ent­neh­men Sie bit­te dem Pro­gramm des Ers­ten Deut­schen Fern­se­hens oder eurovision.tv.

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Rundfunk

Wenn es passiert

Ich ver­eh­re Chris­ti­an Das­sel. Die Repor­ta­gen, die er für „Hier und heu­te“ oder die „Aktu­el­le Stun­de“ dreht, ste­chen aus dem sons­ti­gen Elend im deut­schen Fern­se­hen her­aus und besche­ren mir die weni­gen Momen­te im WDR-Fern­se­hen, in denen ich mei­ne Rund­funk­ge­büh­ren nicht für ver­schwen­det hal­te. Das­sel schafft es, ganz nor­ma­le Men­schen und all­täg­li­che Situa­tio­nen so zu por­trä­tie­ren, dass man sie als etwas ganz Beson­de­res wahr­nimmt.

Als der WDR eine neue Doku­men­tar­rei­he von Das­sel ankün­dig­te, in der er Men­schen por­trä­tiert, deren Lebens­we­ge sich mit der Welt­ge­schich­te gekreuzt haben (11. Sep­tem­ber, Mau­er­fall, Tsu­na­mi), war ich mir sicher, dass dabei Gro­ßes ent­ste­hen wür­de. Nach­dem ich Gele­gen­heit hat­te, die ers­ten bei­den Fol­gen von „Wo warst Du, als … ?“ zu sehen, bin ich ent­täuscht – aber nur ein biss­chen.

Ver­mut­lich weiß jeder noch, wo er am Nach­mit­tag des 11. Sep­tem­ber 2001 war, als er zum ers­ten Mal die Nach­rich­ten aus New York City hör­te. Sus­an Bor­chert ver­brach­te den Rest des Tages vor dem Fern­se­her. Ihr Mann Klaus arbei­te­te im World Trade Cen­ter und sie wuss­te lan­ge nicht, ob er hin­aus­ge­kom­men war.

Die Geschich­te der Bor­cherts, die von Lars Fiech­t­ner, des­sen Schwes­ter Inge­borg vier Wochen nach den Anschlä­gen an den fol­gen ihrer Ver­let­zun­gen starb, oder von Rai­ner Groß, der durch den Bör­sen­crash nach den Anschlä­gen sein Ver­mö­gen ver­lor und sich dar­auf­hin ent­schloss, einen Kauf­haus­kon­zern zu erpres­sen – sie alle sind span­nend, glei­cher­ma­ßen außer­ge­wöhn­lich wie all­täg­lich, und es gibt durch­aus genug Raum, sie neben­ein­an­der in einer hal­ben Stun­de zu erzäh­len.

Lei­der wer­den sie auf eine Art und Wei­se erzählt, die einem mit­un­ter tie­risch auf die Ner­ven geht: Schnel­le, unmo­ti­vier­te Schnit­te; ein On-Screen-Design das wirkt, als hät­ten Schü­ler mit iMo­vie „Matrix“ nach­bau­en wol­len; Rasanz sug­ge­rie­ren­de Schnurr- und Zirp­ge­räu­sche und eine gro­tesk über­dra­ma­ti­sie­ren­de Off-Spre­che­rin machen viel von der Atmo­sphä­re kaputt. Wenn man Das­sels ande­re Arbei­ten kennt, ahnt man, was man alles aus dem Roh­ma­te­ri­al hät­te her­aus­ho­len kön­nen.

In der zwei­ten Fol­ge über den Fall der Ber­li­ner Mau­er passt dann alles ein biss­chen bes­ser zusam­men: Das­sel por­trä­tiert einen Mann, der damals wegen Vor­be­rei­tung zur Repu­blik­flucht im DDR-Gefäng­nis saß; eine Frau, die ihre Toch­ter am 10. Novem­ber 1989 auf einem Ber­li­ner Geh­weg zur Welt brach­te, und einen Oberst­leut­nant der Staats­si­cher­heit, der damals am Grenz­über­gang Born­hol­mer Stra­ße Wache schob.

Er gibt heu­te ganz offen zu, 28 Jah­re sei­nes Lebens einem Unrechts­staat gedient zu haben – „mit allen mei­nen Fähig­kei­ten“ -, aber wenn er vom Befehls­va­ku­um berich­tet, das damals herrsch­te und die Grenz­sol­da­ten auf sich selbst gestellt zurück­ließ, kommt auch hier das Mensch­li­che durch. Die Bil­der der Gren­zer, die jahr­zehn­te­lang an ein Sys­tem geglaubt haben, das inner­halb weni­ger Stun­den vor ihren Augen zer­fiel, umweht dann auch eine gro­ße Tra­gik, und die Men­schen und die Geschich­te tref­fen sich auf eine ganz ande­re Wei­se als in den ande­ren Erzähl­strän­gen.

Trotz der sti­lis­ti­schen Schwä­chen sind die Doku­men­ta­tio­nen von „Wo warst Du, als … ?“ berüh­rend und beein­dru­ckend. Die in ihrer eigent­li­chen Grö­ße unbe­greif­li­chen Ereig­nis­se wer­den in den All­tag her­un­ter­ge­bro­chen und sind dadurch viel­leicht nicht ver­ständ­li­cher, aber greif­ba­rer. Es wäre schön, wenn die Rei­he (nach ein paar Kor­rek­tu­ren) fort­ge­setzt wür­de.

„Wo warst Du, als … ?“
Ers­te Fol­ge am Sonn­tag, 8. Febru­ar um 23:35 Uhr im Ers­ten, Fol­ge 2 und 3 an den dar­auf fol­gen­den Sonn­ta­gen um 23:30 Uhr.

Über­schrift: Wir Sind Hel­den

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Rundfunk Digital

Von der Attraktivität deutscher TV-Nachrichten

Sie wer­den es mitt­ler­wei­le alle mit­be­kom­men haben: Ges­tern Nach­mit­tag (Orts­zeit) fie­len bei einem Air­bus A320 kurz nach dem Start am La Guar­dia Air­port bei­de Trieb­wer­ke aus und der Pilot muss­te die Maschi­ne auf dem Hud­son River not­lan­den.

Dass alle 155 Insas­sen über­lebt haben, darf man wohl getrost als ziem­li­ches Glück bezeich­nen: zwar ist der Hud­son eini­ger­ma­ßen breit und frei von Brü­cken und damit – im Gegen­satz zum East River auf der ande­ren Sei­te Man­hat­tans – durch­aus für Not­was­se­run­gen geeig­net, aber ein Flug­zeug auf einem viel befah­re­nen Fluss auf­zu­set­zen und es anschlie­ßend zu eva­ku­ie­ren, wäh­rend es lang­sam im eis­kal­ten Was­ser unter­geht, das zählt schon zu den außer­ge­wöhn­li­che­ren Auf­ga­ben eines Lini­en­pi­lo­ten.

Wer ges­tern Abend unse­rer Zeit beim Micro­blog­ging-Dienst twit­ter rein­ge­schaut hat, wur­de über die Lage bes­tens infor­miert: als eine der ers­ten Mel­dun­gen gab es ein Foto, das Janis Krums, der zufäl­lig auf einer der Fäh­ren im Hud­son und damit direkt am Unfall­ort war, mit sei­nem iPho­ne gemacht hat­te. twitpic.com brach zeit­wei­se unter dem Ansturm zusam­men und ziem­lich vie­le Nach­rich­ten­sei­ten berich­te­ten dar­über.

Wer mit einem Live­ti­cker von Augen­zeu­gen und eben­falls twit­tern­den Nach­rich­ten­agen­tu­ren ver­sorgt wur­de, für den waren die Infor­ma­tio­nen, mit denen das deut­sche Fern­se­hen sei­ne Zuschau­er zu beglü­cken ver­such­te, natür­lich ein Desas­ter. Statt ein­fach „ins Inter­net“ zu gucken, griff man lie­ber auf dün­ne Agen­tur­mel­dun­gen und Repor­ter vor Ort zurück.

Dabei ist es ein über­hol­ter Irr­glau­be der Nach­rich­ten­ma­cher, bei einem Ereig­nis erst mal an den Ort des Gesche­hens schal­ten zu müs­sen. Dort steht dann ein über­for­der­ter Repor­ter den Ret­tern im Weg rum und kann sei­ne Ein­drü­cke schil­dern – wobei er sich natür­lich gera­de gar kei­ne eige­nen Ein­drü­cke ver­schaf­fen kann, weil er ja in einer zwar atmo­sphä­ri­schen, aber weit­ge­hend Infor­ma­ti­ons­lo­sen Schal­te mit einem wiss­be­gie­ri­gen Repor­ter gefan­gen ist. Wenn er Glück hat, hat er vor­her einen Pas­san­ten fra­gen kön­nen, ob der einen lau­ten Knall gehört habe.

Nun wür­de ich nicht so weit gehen und sagen, das Inter­net kön­ne schon jetzt das Fern­se­hen erset­zen. Wenn sich mei­ne Groß­el­tern, Eltern und vie­le mei­ner Freun­de über der­ar­ti­ge Ereig­nis­se infor­mie­ren wol­len, schal­ten sie natür­lich irgend­ei­nen Nach­rich­ten­sen­der ein und auch ich hat­te zwi­schen­durch CNN lau­fen, wo Wolf Blit­zer einen der Pas­sa­gie­re gera­de tele­fo­nisch der­art mit Fra­gen löcher­te, als müs­se er selbst noch in die­ser Nacht den Unter­su­chungs­be­richt der Luft­auf­sichts­be­hör­de ver­fas­sen.

Aber was die deut­schen Nach­rich­ten­sen­dun­gen da über den Äther schi­cken, war eine dump­fe Mischung aus Kaf­fee­satz­le­sen mit Tan­te Mimi, Onkel Heinz erzählt vom Angeln und Klein-Fritz­chen erzählt sei­ner Mut­ti, wie es in der Kir­che war, obwohl er wäh­rend­des­sen Fuß­ball­spie­len war.

„Zahl­rei­che Fähr­schif­fe ver­su­chen, Über­le­ben­de zu ret­ten“, teaser­te RTL sein „Nacht­jour­nal“ an, was wohl eben­so rich­tig, aber weit weni­ger dra­ma­tisch war als das „Es gibt kei­ne Anzei­chen für einen Ter­ror­an­schlag“, mit dem Gabi Bau­er die ARD-Nach­rich­ten­at­trap­pe „Nacht­ma­ga­zin“ eröff­ne­te, bevor sie eine Vier­tel­stun­de spä­ter Thors­ten Schä­fer-Güm­bel mit der Fra­ge, wie wich­tig Sex im Wahl­kampf sei (gemeint war wohl eher „Sex­ap­peal“), völ­lig aus der Fas­sung brach­te.

Den beson­de­ren Ernst der Lage konn­te man dar­an erken­nen, dass n‑tv sei­ne geplan­ten „Natio­nal Geographic“-Reportagen kipp­te und live auf Sen­dung ging. Wäh­rend CNN, Fox News, MSNBC und BBC World ziem­lich beein­dru­cken­de Live-Bewegt­bil­der aus New York hat­ten (die Hub­schrau­ber der gro­ßen Net­works schwe­ben ja eh die gan­ze Zeit über der Stadt), hat­te n‑tv einen Mode­ra­tor im Stu­dio, meh­re­re „Brea­king News“-Laufbänder, ein paar Fotos und einen Repor­ter am Tele­fon. Und der sag­te, wenn ich ihn nicht völ­lig falsch ver­stan­den habe, dass es wohl „bald“ die ers­ten Han­dy-Fotos und ‑Vide­os im Inter­net zu sehen geben wür­de. Zu die­sem Zeit­punkt war twit­pic bereits down und bei flickr gab es jede Men­ge Foto­stre­cken und Ein­zel­bil­der zu sehen. Sogar ers­te Wit­ze.

Es geht mir gar nicht dar­um, Inter­net und Fern­se­hen gegen­ein­an­der aus­spie­len zu wol­len – und die Zei­tun­gen von heu­te waren schon gedruckt, bevor das Flug­zeug über­haupt abge­ho­ben hat­te. Aber ich den­ke, dass auch die Men­schen, die nicht bei twit­ter, flickr und Face­book unter­wegs sind, ein Anrecht auf aktu­el­le Infor­ma­tio­nen haben. Und die bekommt man heu­te nun wirk­lich so ein­fach und bil­lig wie noch nie. Auch als Nach­rich­ten­re­dak­teur des deut­schen Fern­se­hens.

Nach­trag, 20:20 Uhr: Auch mei­ne Freun­de von „RP Online“ berich­ten über die Fotos bei twit­ter und bei flickr.

Das Sen­sa­tio­nel­le dar­an: Sie schaf­fen das ohne einen ein­zi­gen Link!

Nach­trag, 17. Janu­ar, 00:23 Uhr: Zwei Tweets spä­ter hat „RP Online“ alles ver­linkt.

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Rundfunk Fernsehen

Programmhinweis: Die drei Bärchen und der blöde Wolf

Die drei Bärchen als Tokio Hotel

Im April war ich zu Gast in Bock­le­münd, wo der WDR das ers­te Blau­bär-Musi­cal namens „Die drei Bär­chen und der blö­de Wolf“ vor­stell­te. Damals hieß es, das Musi­cal sol­le im Okto­ber gezeigt wer­den, jetzt ist es doch Novem­ber gewor­den, bis das Mach­werk sei­nen Weg in die ARD fin­det.

Am Sonn­tag, den 16. Novem­ber von 10.03 – 10.45 kann man sich nun selbst ein Bild davon machen, ob es was taugt oder nicht.

Mit­ge­schrie­ben am Musi­cal hat sogar Wal­ter Moers selbst (der ansons­ten mit dem alt­be­kann­ten Fern­seh­blau­bär nichts mehr zu tun hat).

Das hat sich die Frank­fur­ter Rund­schau zum Anlass genom­men, ein Inter­view mit der Licht­ge­stalt Moers zu füh­ren.

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Rundfunk Politik

Präsidiales Liveblog

00:00 Uhr: Jetzt geht’s lo-hos!

Blog­ger und Arbeits­platz sind bereit:

Ich gucke seit zehn Minu­ten ARD und bezweif­le jetzt schon, dass ich das wach über­ste­hen wer­de. Was schon mal ein Fort­schritt ist: vor vier Jah­ren saß in die­ser Maisch­ber­ger-Run­de Hen­ryk M. Bro­der.

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Digital Fernsehen

Klickbefehl (14)

Da mögen Fans noch so sehr dar­auf schwö­ren, die „Lin­den­stra­ße“ sei heu­te ja eine gan­ze ande­re als vor 20 Jah­ren. Humor­voll, selbst­iro­nisch und der­glei­chen. In Wahr­heit ist die Klein­bür­ger-Soap immer noch ein Pan­op­ti­kum der Pie­fig­keit. Wie fast alle Soaps sind ihre Kulis­sen voll­ge­stellt mit unin­spi­rier­ten Cha­rak­te­ren und zuge­schüt­tet mit grau­en­haf­ten Dia­log­zei­len der Sor­te: „Ah, mei­ne Umwelt­pla­ket­te, end­lich!“

Mar­kus Brauck rech­net im „Spie­gel“ mit der „Lin­den­stra­ße“ ab. Dazu gibt es eine Bil­der­ga­le­rie, die dem Wort „Grau­stu­fen“ eine ganz neue Bedeu­tung zukom­men lässt. (Bit­te mar­kie­ren Sie sich die­sen Tag im Kalen­der: ich emp­feh­le eine Bil­der­ga­le­rie bei „Spie­gel Online“!)

* * *

Das ist die wohl unge­wöhn­lichs­te Mel­dung des Tages: Die ARD kauft RTL die Serie „Die Anwäl­te“ ab – also die Serie, die RTL Anfang des Jah­res nach nur einer Fol­ge, die mit 10,8 Pro­zent Markt­an­teil die Erwar­tun­gen nicht erfül­len konn­te. aus dem Pro­gramm genom­men hat. Fort­an dien­te die Serie als Mus­ter­bei­spiel für feh­len­des Ver­trau­en der Sen­der in die eige­nen Pro­duk­tio­nen.

DWDL.de berich­tet über das über­ra­schen­de Come­back einer Serie, die (also deren ers­te Fol­ge) ich eigent­lich ganz gut fand und deren Abset­zung mein Ver­hält­nis zu RTL nach­hal­tig gestört hat.

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Ein­fa­cher wäre zu sagen: Ich mag ihn. Ich freue mich, dass ich neben dem Mit­glied der „Ach­se des Guten“ auch schon drei Mal dort als Gast­au­tor auf­tre­ten durf­te und dass wir nun gemein­sam ein Netz­werk Gegen­re­cher­che star­ten.

Timo Rieg erläu­tert in der „Spie­gel­kri­tik“ die Hin­ter­grün­de zu einem sehr, sehr merk­wür­di­gen „Spie­gel Online“-Artikel über einen der angeb­lich ganz weni­gen deut­schen TV-Blog­ger.

War­um die­se Geschich­te nur mit äußers­ter Vor­sicht zu genie­ßen ist (wenn über­haupt), erzäh­le ich Ihnen spä­ter steht hier.

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Einen Vor­schlag zur Güte hat­te Bro­der abge­lehnt. Er wer­de sich kei­nen „Maul­korb“ ver­pas­sen las­sen, „weil sonst Anti­se­mi­ten ent­schei­den dürf­ten, was Anti­se­mi­tis­mus ist“. Nun befan­den die Rich­ter, Bro­ders Vor­wurf habe die Gren­ze zur Schmäh­kri­tik über­schrit­ten, weil „im kon­kre­ten Kon­text der Äuße­rung die Dif­fa­mie­rung der Klä­ge­rin, nicht die Aus­ein­an­der­set­zung in der Sache im Vor­der­grund“ gestan­den hät­te.

Hen­ryk M. Bro­der stand mal wie­der vor Gericht und die „taz“ ver­sucht zu erklä­ren, was los war.

Patrick Bah­ners hat­te vor eini­gen Wochen in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung“ eben­falls über den Pro­zess geschrie­ben und Bro­ders Lebens­werk damals beein­dru­ckend zusam­men­ge­fasst:

Sei­ne preis­ge­krön­te publi­zis­ti­sche Stra­te­gie der ver­ba­len Aggres­si­on nutzt den Spiel­raum der Mei­nungs­frei­heit, um ihn ein­zu­schrän­ken: Kri­ti­ker Isra­els sol­len ein­ge­schüch­tert wer­den.

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Wei­te­re Link­tipps kön­nen Sie übri­gens seit Neu­es­tem dem deli­cious-Account von Cof­fee And TV ent­neh­men. Und falls ich end­lich raus­krie­ge, wie ich den dazu­ge­hö­ri­gen Feed hier in die Side­bar ein­ge­baut krie­ge, wird das alles viel prak­ti­scher und über­sicht­li­cher.

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Gesellschaft Rundfunk Sport

Peking 2008 – Der Versuch einer Bilanz

Natür­lich habe ich mir die Olym­pi­schen Spie­le im Fern­se­hen dann doch ange­se­hen. Die Dis­kus­si­on mit mir, ob das mora­lisch ver­tret­bar sei, dau­er­te letzt­lich weni­ge Sekun­den. Ich gucke halt ger­ne Sport im Fern­se­hen und da kann mich rela­tiv wenig von abhal­ten. Als lang­jäh­ri­ger begeis­ter­ter Tour-de-France-Gucker bin ich es gewohnt, mit dem Risi­ko zu leben, gera­de ganz mas­siv von dopen­den Sport­lern ver­arscht zu wer­den. Nen­nen Sie es abge­brüht, zynisch oder sonst irgend­was, aber es gibt immer genug, was einen für sol­che Fins­ter­nis­sen ent­schä­digt.

Über Chi­na mag ich mir kein Urteil erlau­ben. Natür­lich wür­de ich mir wün­schen, wenn das, was wir Men­schen­rech­te nen­nen, über­all gel­ten wür­de, aber ich ver­ste­he nichts von Chi­na. Und weil es mich so auf­regt, wenn ahnungs­lo­se Men­schen über die USA, das ein­zi­ge Land neben Deutsch­land, in dem ich mal mehr als vier Wochen am Stück ver­bracht habe, reden, will ich nicht ahnungs­los über Chi­na reden. Es könn­te zum Bei­spiel mei­nen bes­ten Freund auf­re­gen, der schon mehr­fach für län­ge­re Zeit in Chi­na war.

Was ich mir zu beur­tei­len anma­ße, sind die Ankün­di­gun­gen, die die chi­ne­si­sche Füh­rung gegen­über dem IOC gemacht und nicht ein­ge­hal­ten hat. Zu einem gepfleg­ten Ver­trags­bruch gehö­ren aber zumin­dest in die­sem Fall zwei: die, die ver­ar­schen, und die, die sich freund­lich lächelnd ver­ar­schen las­sen und anschlie­ßend das groß­ar­ti­ge und gründ­li­che Vor­ge­hen der Ver­ar­schen­den beim Ver­ar­schen loben.

[via Ste­fan]

Anders aus­ge­drückt: Dem chi­ne­si­schen Funk­tio­när in die­sem beein­dru­cken­den Video­do­ku­ment neh­me ich ab, dass er das, was er da erzählt, aus tiefs­ter Über­zeu­gung glaubt. Es ist wie bei Wolf­gang Schäub­le oder Papst Bene­dikt XVI.: die­se Män­ner haben eine Über­zeu­gung, die über Jahr­zehn­te in ihnen gereift ist, die ich nicht tei­len kann, die sie aber mit einer Vehe­menz ver­tre­ten, die mir Respekt abnö­tigt. Und dann ist da die IOC-Funk­tio­nä­rin, die sich kri­ti­schen Jour­na­lis­ten­fra­gen auf unsou­ve­räns­te Art ver­wei­gert. Sie lernt gera­de erst, fun­da­men­tal und welt­fremd zu wer­den, und ist in ihrem Stoi­zis­mus kein Stück beein­dru­ckend, son­dern nur pein­lich. Sie ist ver­gleich­bar mit der Par­tei „Die Lin­ke“ oder dem Ver­ein „Kin­der in Gefahr“.

Von der Eröff­nungs­fei­er habe ich wegen des Hald­ern Pop lei­der nichts mit­be­kom­men. Dass dort auf ver­schie­de­ne Wei­se getrickst wur­de, ist mir aber auch egal: es han­delt sich um eine Show. Natür­lich um eine poli­ti­sche (die gan­zen Spie­le waren ja eine poli­ti­sche Demons­tra­ti­on des chi­ne­si­schen Regimes), aber das macht sie nur noch mehr zur Show – und bei Shows darf man trick­sen, Play­back sin­gen und Win­deln tra­gen. Mensch­lich gese­hen ist es natür­lich unmög­lich, einem klei­nen Mäd­chen zu sagen, sie sei zu häss­lich für ein Mil­li­ar­den­pu­bli­kum.

Aber reden wir über die, um die es eigent­lich ging, reden wir über die Sport­ler: Wie es sich gehört, habe ich neue Hel­den gefun­den – den sym­pa­thi­schen Viel­sei­tig­keits­rei­ter und Zahn­arzt Hin­rich Romei­ke und den min­des­tens genau­so sym­pa­thi­schen Gewicht­he­ber Mat­thi­as Stei­ner, zum Bei­spiel. Ich bin auch naiv genug zu glau­ben, dass Micha­el Phelps sei­ne acht Gold­me­dail­len auf lega­lem Wege gewon­nen hat. Wenn er halt den idea­len Kör­per­bau hat und so prä­zi­se trai­niert – war­um soll­te er dann nicht schnel­ler schwim­men kön­nen als ich lau­fen kann? Auch bei Usain Bolt muss ich bis zum Beweis des Gegen­teils anneh­men, dass er so schnell ist – die Gold­me­dail­le im 100-Meter-Lauf hät­te ich ihm trotz­dem wegen gro­ber Unsport­lich­keit und Ver­höh­nung der Kon­kur­ren­ten aberkannt.

Sport­kon­sum im Fern­se­hen geht lei­der nicht ohne Sport­re­por­ter. Wäh­rend der Kom­men­ta­tor beim Dres­sur­rei­ten sei­ne Arbeit gleich­sam zur lite­ra­ri­schen Per­for­mance aus­bau­te, war der Rest größ­ten­teils zum In-die-Ton­ne-Klop­pen. Béla Réthy zum Bei­spiel durf­te beim Damen-Hockey end­lich mal zei­gen, dass er nicht nur unfass­bar viel Mist reden kann (das kennt man von Fuß­ball­län­der­spie­len), son­dern auch unfass­bar viel chau­vi­nis­ti­schen Mist. Micha­el Ant­wer­pes ent­pupp­te sich als Beck­mann für Arme, als er im Talk mit Mat­thi­as Stei­ner minu­ten­lang auf einem pri­va­ten Schick­sals­schlag des Sport­lers her­um­ritt und bei der (sinn­ge­mä­ßen) Ant­wort „die Jour­na­lis­ten wol­len das eben immer wie­der hören“ über­sah, wie der stärks­te Mann der Welt gera­de vor sei­nen Augen mit der chi­ne­si­schen Mau­er wink­te. Zum Glück für Ant­wer­pes gibt es aber immer noch Cas­tor Beck­mann und Pol­lux B. Ker­ner, die Not der ARD und das Elend vom ZDF, die bequem alles unter­kel­lern, was bis­her als unters­te Tal­soh­le des Niveaus gegol­ten hat­te. Ker­ner hat­te man auch noch Kat­rin Mül­ler-Hohen­stein zur Sei­te gestellt, was vie­le Ver­glei­che mit Mari­an­ne und Micha­el zulie­ße, wenn man letz­te­re damit nicht böse ver­un­glimp­fen wür­de. Des­halb nur so viel: Bis Wal­di Hart­mann nicht mehr nega­tiv auf­fällt, muss schon eine Men­ge Mist gesen­det wor­den sein. Und Harald Schmidts Kar­rie­re kann man jetzt auch in einem Wort zusam­men­fas­sen: „vor­bei“.

Wenn es wenigs­tens nur die unfä­hi­gen Hal­lo­dri (wie konn­te ich Micha­el Stein­bre­cher ver­ges­sen?) vor Kame­ra und Mikro­fon gewe­sen wären – aber auch tech­nisch lief es bei ARD und ZDF ja alles ande­re als rund. „Ja, das ist halt live“, flö­te­te dann die jeweils aktu­el­le Föhn­wel­le in die Kame­ra – ganz so, als sei es noch 1969 und Peter Fran­ken­feld ver­su­che gera­de die ers­te Euro­vi­si­ons­schal­te zum Mond. Aber die bei­den Sen­der hat­ten mit 500 Leu­ten ers­tens die größ­te Dele­ga­ti­on von allen und zwei­tens war das ja gar nicht alles live: Wüst wur­de zwi­schen live und live on tape hin- und her­ge­schal­tet, wur­den Din­ge wie­der­holt, die man schon gese­hen hat­te, wur­de plötz­lich wie­der irgend­wo­hin gesprun­gen, ohne dass der Zuschau­er noch wuss­te, was jetzt wann und wo pas­siert war. Da ver­ließ man dann schon mal in der 84. Minu­te (und vor dem ent­schei­den­den Tor) ein Fuß­ball­spiel der deut­schen Damen­mann­schaft, um ein auf­ge­zeich­ne­tes Halb­fi­na­le im Fech­ten zu zei­gen. Der Fecht­ver­band habe sich wohl beschwert, hör­te man es mun­keln.

Zwar hat­ten sich ARD und ZDF Mühe gege­ben, via Inter­net und ihre obsku­ren Digi­tal­ka­nä­le mög­lichst viel gleich­zei­tig anzu­bie­ten, aber ich bin mir sicher: Lon­don 2012 wer­den zumin­dest die inter­es­sier­ten Zuschau­er ganz anders erle­ben. Mit einer eige­nen digi­ta­len Sen­de­re­gie für jeden, wo man sich meh­re­re Sachen gleich­zei­tig anse­hen kann, live oder zeit­ver­setzt, mit Kom­men­tar oder mit Ori­gi­nal­at­mo­sphä­re. Ich wür­de dafür eini­ges an Geld bezah­len.

Zu guter letzt war es natür­lich so wie immer: ich saß da, fie­ber­te mit den Ath­le­ten mit, freu­te mich über die Stim­mung und frag­te mich, wie ich als abso­lut unsport­li­cher Mensch wohl auch mal eine Medail­le bei Olym­pi­schen Spie­len gewin­nen könn­te. Ich wer­de mir dem­nächst mal eini­ge Schieß­clubs anse­hen, viel­leicht sind Luft­pis­to­le oder Bogen ja was für mich.

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Rundfunk

Brüh im Lichte revisited

Deutschlandfahne (Symbolbild)

Deut­sche Medi­en­nut­zer sind genüg­sam, sie neh­men fast alles hin. Manch­mal schrei­ben sie einen empör­ten Leser­brief, wenn sie eine Kari­ka­tur nicht ver­ste­hen, aber ansons­ten sind sie still.

Nur zwei Sachen neh­men die Deut­schen ihren Medi­en übel: Wenn Frau­en den Namen eines Fuß­ball­ver­eins nicht rich­tig aus­spre­chen, und wenn sich „Tagesthemen“-Grafiker bei der Natio­nal­flag­ge ver­tun.

Dann war da eben mal für eine hal­be Minu­te eine rot-schwarz-gel­be Fah­ne zu sehen. Das ist pein­lich und ange­sichts der Voll­be­flag­gung von Wohn­häu­sern, Auto­mo­bi­len und Fahr­rä­dern die­ser Tage auch eini­ger­ma­ßen über­ra­schend. Die Kol­le­gen von DWDL.de haben’s gese­hen und auf­ge­schrie­ben, weil man das als Medi­en­ma­ga­zin natür­lich so macht. Hät­te ich ja auch getan.

Heu­te ist die Geschich­te aber das The­ma am ers­ten fuß­ball­frei­en Tag seit Wochen: Ganz groß auf der „Bild“-Zeitung, wo man sich mit gelb, rot und schwarz super aus­kennt, und in nahe­zu jedem ver­damm­ten Online-Medi­um.

Natür­lich darf auch, wer sel­ber ger­ne Feh­ler macht, sich über die Feh­ler ande­rer lus­tig machen – sonst gäbe es ja von heu­te auf mor­gen kei­nen Medi­en­jour­na­lis­mus mehr. Und natür­lich ist die Art und Wei­se, wie „ARD aktu­ell“ auf den „Vor­fall“ reagiert hat (nach­zu­le­sen bei Peer), sehr viel pein­li­cher als eine feh­ler­haf­te Gra­fik.

Aber …

Gibt’s grad nichts wich­ti­ge­res?

Zum Bei­spiel die ers­te Lesung des BKA-Geset­zes am ver­gan­ge­nen Frei­tag …