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Digital Politik

Feiern für Flüchtlinge

Die Nachrichten der letzten Wochen können an niemandem spurlos vorbeigehen: Erst die “besorgten Bürger” und schlichten Nazis, die glaubten, ihr Fremdenhass sei salonfähig geworden; dann die unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft, die einsetzte, um die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Und immer wieder die schrecklichen Bilder vom Elend der Flucht, von Menschen in Seenot und von Toten.

Viele Menschen helfen schon, andere würden gerne, wissen aber nicht, wie.

Wir haben mal wieder die idiotensichere Lösung: Feiern gehen und Gutes tun!

Feiern für Flüchtlinge (Logo)

Die Regeln sind denkbar einfach: Ihr müsst nur den gleichen Betrag, den Ihr am kommenden Wochenende (11. – 13. September) verfeiert / verköstigt / versauft / weg-eskaliert / und nach der Party verfresst, spenden.
Also, für jeden Eintritt, jedes Bier, jeden Schnaps / Sekt / Schorle / Döner / Taxi zurück zur Kneipe, weil man seinen Schlüssel vergessen hat / sonstwas kommt der gleiche Betrag auf das Spendenkonto der Aktion Deutschland hilft, zu finden unter http://www.aktion-deutschland-hilft.de/

Der Gedanke dahinter ist, dass der Betrag, den man so zusammen bekommt, ja der ist, den man nur für sein Vergnügen ausgibt. Also scheint man ja das Geld übrig zu haben. So kann jeder für sich ermitteln, was er machen könnte, ohne sein Budget zu sprengen. Und wer sagt: “Für Lebersport bin ich zu alt”, der kann ja einfach schauen, was er sonst so investiert, z.B. in Eintrittskarten für die Oper oder Schlammringen. Es gilt das Motto wie in jedem gut sortierten Saunaclub: Alles kann, nichts muss.

Natürlich könnt Ihr auch ein Flüchtlingsprojekt direkt in eurer Nähe unterstützen, wenn Euch das lieber ist. Sowieso gilt: Der einzige, dem Ihr Rechenschaft ablegen müsst, seid Ihr selber … und ggf. dem Wirt, der Euren Deckel hat.

Wenn ihr bei der Aktion mitmacht, wird’s zwar logischerweise alles doppelt so teuer, aber der Kater wird durch ein gutes Gewissen ausgeglichen!
(Und wenn das nicht wirkt: Aspirin)

Also, seid dabei und meldet Euch auch bei unserem Facebook-Event an, wenn Ihr wollt!

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Gesellschaft

Glühwein gegen den Hunger 2012

Im Sommer des vergangenen Jahres, als die Hungerkatastrophe im Osten Afrikas es gerade mal für ein paar Wochen in die deutschen Medien geschafft hatte, hatte mein Kumpel Jan eine Idee: Er wollte den gleichen Betrag, den er an einem Wochenende fürs Feiern ausgibt, für das “Bündnis Entwicklung hilft” spenden. Wir sind mit dem Blog aufgesprungen und so war die Facebook-Aktion “Saufen gegen den Hunger” geboren, die wir im Winter als “Glühwein gegen den Hunger” wiederholt haben.

Jetzt ist wieder Adventszeit und im Fernsehen finden allerlei Wohltätigkeitsveranstaltungen statt, also wollen auch wir nicht mehr warten und starten die 2012er Auflage von “Glühwein gegen den Hunger”.

Die Regeln sind wie immer idiotensicher:

Wir werde den gleichen Betrag, den wir am Wochenende (14. – 16. Dezember) verfeiern/verköstigen/versaufen/weg-eskalieren/nach der Party verfressen, für Afrika spenden.

Also, für jeden Eintritt, jedes Bier, jeden Schnaps/Sekt/Döner/sonstwas kommt der gleiche Betrag auf das Spendenkonto der ARD (s.u).

Dann wirds zwar logischerweise doppelt so teuer, aber der Kater wird durch ein gutes Gewissen ausgeglichen! (und wenn das nicht wirkt: Aspirin)

Wie bei den letzten Malen können und wollen wir nicht überprüfen, ob die Teilnehmer sich auch tatsächlich an die (recht vagen) Regeln halten, aber wir glauben weiterhin an das Gute im Menschen.

Alles Weitere zu “Glühwein gegen den Hunger” erfahren Sie bei Facebook — und wenn Sie spenden wollen, ohne etwas zu trinken, können Sie das selbstverständlich auch tun.

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Gesellschaft

Glühwein gegen den Hunger

Eines muss man der Politik lassen: Wir haben jahrelang unentdeckte Rechtsterroristen, eine sich täglich verschärfende Eurokrise, den längsten Castor-Transport aller Zeiten und doch haben es die Politiker geschafft, heimlich still und leise die Hungerkatastrophe in Ostafrika zu lösen. Zumindest hat man davon seit Monaten nichts mehr gehört und gelesen.

Sarkasmus beiseite: Die Hungerkatastrophe ist natürlich noch nicht gelöst. Und da die Vorweihnachtszeit ja eh die Hochphase der Charity-Events ist und unsere Aktion “Saufen gegen den Hunger” im August in jeder Hinsicht erfolgreich verlaufen ist, haben Jan und ich uns etwas neues einfallen lassen:

Die Regeln der Aktion bleiben denkbar einfach:

Wir werde den gleichen Betrag, den wir am Wochenende (16. – 18.12) verfeiern/verköstigen/versaufen/weg-eskalieren/nach der Party verfressen für Afrika spenden.

Wir haben uns wieder für dieses Projekt entschieden gerade weil es momentan komplett aus den Medien verschwunden ist und die Guttenbergs und Co. wieder alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Also, für jeden Eintritt, jedes Bier, jeden Schnaps/Sekt/Döner/sonstwas kommt der gleiche Betrag auf das Spendenkonto der ARD.

Dann wirds zwar logischerweise doppelt so teuer, aber der Kater wird durch ein gutes Gewissen ausgeglichen…! (und wenn das nicht wirkt: Aspirin)

Wie beim ersten Mal können und wollen wir nicht überprüfen, ob die Teilnehmer sich auch tatsächlich an die (recht vagen) Regeln halten, aber wir glauben weiterhin an das Gute im Menschen.

Alles Weitere zu “Glühwein gegen den Hunger” erfahren Sie bei Facebook — und wenn Sie spenden wollen, ohne etwas zu trinken, können Sie das selbstverständlich auch tun.

Ob es auch eine Benefiz-Single zu dem Projekt geben wird, ist noch nicht entschieden.

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Gesellschaft

Saufen gegen den Hunger

Ein Kumpel von mir schrieb am Montag bei Facebook:

Hab den ultimativen Charity-Plan gefasst: Ich werde den gleichen Betrag, den ich nächstes Wochenende verfeiere/versaufe/paaarty-hic​ks für Afrika spenden. Dann wirds zwar doppelt so teuer, aber der Kater wird durch ein gutes Gewissen ausgeglichen…!

Ich finde die Idee ganz wunderbar, weil sie das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet. Wer saufen kann, kann bekanntlich auch arbeiten — warum sollte man also nicht beim Saufen Gutes tun? Und wer nicht so viel Geld hat, trinkt einfach nur halb so viel wie sonst und hat dabei immer noch was gespendet und seiner Leber etwas Gutes getan.

Saufen gegen den Hunger — Ab 5. August bei FacebookViel mehr gibt es auch nicht zu sagen. Wir haben im spontanen Übereifer ein Facebook-Event angelegt, wie man das eben heutzutage so macht (größere Menschenansammlungen in irgendwelchen Vorort-Siedlungen halten wir für sehr unwahrscheinlich, weil ja jeder dort Trinken und Feiern gehen soll, wo er es sowieso täte).

Wir können und wollen nicht überprüfen, ob die Teilnehmer sich auch tatsächlich an die Regeln halten (die exakten Regeln wie “Was ist mit ausgegebenen Getränken, aktiv wie passiv?” oder “Werden mögliche Sachschäden auch doppelt verrechnet?” sind noch nicht ausdiskutiert), aber wir glauben da einfach mal an das Gute im Menschen.

Und wer spenden will, ohne etwas zu trinken, kann das selbstverständlich auch tun.

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Literatur

Eine spezielle Begabung

Schon als Alexander ganz klein war, wussten seine Eltern, dass er etwas ganz Besonderes war. Das denken die allermeisten Eltern von ihrem Nachwuchs, aber Alexanders Eltern wussten es. Manchmal vernahmen sie einen ganz leichten Lichtschein, wenn sie nachts an seinem Kinderbett vorbeigingen, doch wenn sie nachsehen wollten, ob die Rollläden vielleicht einen Spalt offen standen, verschwand das Leuchten. Dann wiederum gab es Tage, an denen sie meinten, leise eine Glocke klingen zu hören, wenn Alexander in ihrer Nähe war.

Alexander war ein hübsches Kind mit sanften Zügen, meerblauen Augen und blonden Locken und als seine Großmutter noch lebte, nannte sie ihn immer ihren “Engel”. Doch als er in die Pubertät kam, änderte sich sein Leben: Er begann, Punkrock zu hören, Bier zu trinken und nachts lange weg zu bleiben. Seine Eltern machten sich Sorgen, verhängten Hausverbote, deren Nicht-Einhaltung sie allerdings nicht ahndeten, und erkundigten sich im Bekanntenkreis, wie es um das Verhalten der Gleichaltrigen bestellt war. Aber tief in ihrem Inneren wussten sie, dass Alexander für höhere Aufgaben bestimmt war und sie ihn ziehen lassen mussten.

So folgte Alexander dem Ruf der Großstadt und trieb sich in zwielichtigen Läden herum, in denen britische Punk- und amerikanische Hardcore-Platten gespielt wurden, in denen Männer und Frauen und Männer und Frauen ungeschützten Sex auf den dreckigen Toiletten hatten und in deren Kellern oder Nebenräumen zu besonderen Feiertagen Crack vom Blech geraucht wurde. Alexander liebte die Musik, aber er hatte kaum Sex und nahm keine Drogen. Es reichte ihm, immer ein frisches Bier in der Hand zu halten und die Menschen zu beobachten, die sich um ihn herum gehen ließen. Er wohnte in besetzten Häusern und arbeitete als Aushilfe in Getränkelagern, Druckereien und in den Werkstätten der Städtischen Bühnen. Oft verlor er seine Anstellungen schnell wieder, weil er den Arbeitsplatz während der Dienstzeit verlassen hatte. Was damit zusammenhing, dass Alexander etwas ganz Besonderes war.

Die Götter, seit jeher darauf bedacht, die Menschen mit unterschiedlichen Fertigkeiten zu segnen, hatten Alexander eine etwas spezielle Begabung, ja: Aufgabe, mitgegeben: Wann immer in einer öffentlichen Gaststätte im Umkreis von 20 Kilometern das Wort “Hoden” fiel, klingelte ein Glöckchen in Alexanders Kopf und er eilte auf direktem Wege zu diesem Ort.

Auch die Götter waren sich nicht ganz sicher, warum genau sie Alexander mit dieser Superkraft versehen hatten, die bei Licht betrachtet absolut niemandem etwas nützte. Hinter vorgehaltener Hand mutmaßten sie manchmal, die Geschichte habe irgendetwas mit Rache, einer verlorenen Wette oder einem schrecklichen Missverständnis zu tun. Aber bei den vielen, vielen Menschen, die die Götter in all den Zeitaltern erschaffen hatten, ging eben mitunter etwas schief, und die meiste Zeit waren die Götter glücklich und zufrieden, wenn sie nicht schon wieder einen Diktator, Terroristen oder Fernsehmoderator kreiert hatten. Immerhin hatten sie bei Alexander wie auch bei vielen Künstlern darauf geachtet, den Überschuss an Talent durch eine Unterversorgung mit Sozialkompetenz auszugleichen.

Und so lief Alexander seit vielen Jahren in einer abgewetzten Lederjacke durch die Gegend und tauchte in Kneipen auf, in denen kurz zuvor das Wort “Hoden” gefallen war — was wesentlich öfter vorkam, als man annehmen würde. Wenigstens klingelte das Glöckchen nicht bei Synonymen, dachte Alexander in seinen optimistischeren Momenten und stellte sich vor, wie er sonst von Bordell zu Bordell, von Swinger-Club zu Swinger-Club rennen müsste.

Für den Fall, dass jemand Alexanders besondere Begabung durchschauen würde, hatten die Götter vorgesorgt: Derjenige würde dann ebenfalls ein Glöckchen hören, wenn andere, unverfänglichere Worte gesprochen würden. “Sekt”, zum Beispiel.

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Musik Unterwegs

Camp Indie Rock

– von Tommy Finke –

DONNERSTAG
Großzügigerweise habe ich mich als Fahrer angeboten und nehme meinen Teil der Reisegruppe Haldern 2010 vom Bahnhof Bochum aus mit.

Während Rosa und Marie beide vorne Platz nehmen, nehme auch ich vorne Platz. Die Vorzüge eines Bandautos: 3 Sitze in der ersten Reihe. Marie hat ein iPad eingepackt, ich muss darüber ein wenig lachen, bin aber eigentlich neidisch. Ihr Ziel beim Haldern ist medientechnischer Natur: Sie hat einen der begehrten Fotopässe. Mit Rosa war ich 2008 schon mal auf dem Haldern. Und ich freue mich, dass sie diesmal wieder dabei ist! Die Fähigkeit, sich über Tage fast ausschließlich von Rotwein und Musik zu ernähren, macht Rosa zu einer perfekten Fetivalbesucherin. Und zu einem medizinischen Wunder.

Unser Zeltplatz ist, einmal angekommen, leicht abschüssig, dafür haben wir aber in alle Richtungen nette Nachbarn. Wir verzweifeln an Maries Zelt, aber der Hinweis, man könne zumindest mal versuchen, alle Stangen mit der gleichen Nummer ineinander zu stecken, ist ausschlaggebend. Inzwischen ist auch Christoph mit Sophie angereist.

Ich spiele den Realisten und öffne das erste Dosenbier. Das ist hier schließlich kein Kindergeburtstag und wir haben schon deutlich nach 16 Uhr. Alle wollen wir zwar Seabear im Spiegelzelt sehen, aber die Schlange ist schon um 18 Uhr so lang, dass wir uns entschließen, nochmal kurz zurück zum Zeltplatz zu gehen und, nunja, vorzuglühen. Ich stolpere an Foto-Gerrit vorbei, meine einzige feste Haldern-Freundschaft. Gerrit ist berühmt geworden mit einer Ausstellung über die Fotos der Schuhe der Stars: “Dancing Shoes”.

Gerrit macht den Vorschlag, mich am nächsten Tag zu fotografieren, aber wie jedes Jahr kriegen wir es überhaupt nicht hin, uns zu einer festen Uhrzeit irgendwo zu treffen, obwohl wir uns die nächsten 3 Tage immer wieder begegnen. Ganz so schlimm ist das dann aber doch nicht nicht, Gerrit hatte in Zusammenhang mit der Fotosession das Wort “nackt” gebraucht. Ich hoffe, das liegt an seinem letzten großartigen Projekt, ein Herz geformt aus nackten Festivalbesuchern beim Melt.

Wir anderen gehen zurück zum Zeltplatz, den wir für heute dann nicht mehr verlassen, denn auch später berichten unsere Spione von undurchdringlichen Menschenmassen an und ums Spiegelzelt. Uns ist das egal, die Christophsche Einkaufswut beschert uns Grillgut und Gin-Tonic. Zusätzlich ist Nacht der Sternschnuppen und so gucken wir alle stundenlang in den Himmel. Irgendwelche leicht zu begeisternden Leute rufen bei jeder Sternschnuppe “Oh!” und “Ah!”, wir bleiben still, weil wir das nicht für Feuerwerk halten, sondern für etwas Größeres. Ich bin gerührt, weil ich jede Sternschnuppe zweimal sehe.

Aus einem nahen Zelt dringt ein schwäbelndes Stöhnen. Das Prinzip “Wenn ich sie nicht sehe, dann hören sie mich auch nicht”, hat wieder nicht funktioniert.

Haldern Pop 2010

FREITAG
Am nächsten Morgen habe ich einen Geschmack im Mund, der Tote umbringen könnte. Ich nehme mir vor, diesen Abend dringend die Zähne zu putzen, bevor ich ins Zelt steige. Marie ist schon wach und macht Kaffee.

Heute ist der Tag, an dem wir mindestens Delphic und Mumford & Sons sehen müssen. Außerdem gibt es auf dem Programm heute ein Fragezeichen und es ging das Gerücht rum, dass es sich um Belle & Sebastian handeln könnte. Aber nein, es kommt anders, und zwar in Form von: Philipp Poisel. Die Leute: nicht begeistert. Was für ein unangemessener Ersatz für die gedanklich schon gebuchten Belle & Sebastian. Da hätte ja gleich ich spielen können. Selbstreflexion, meine Damen und Herren.

Ein paar hundert Meter weiter hatte ich gestern schon Teile der Fog Joggers und Oh, Napoleon getroffen. Ja, meine Damen und Herren, hier campen die kleinen Künstler noch selbst. Ich beschließe, nochmal rüberzugehen und hallo zu sagen. Sophie schließt sich mir an, da auch sie dort jemanden (“Frederik!!!”) kennt. Jan von den Fog Joggers hat mein Album dabei, er mag es. Dass ich die Fog Joggers EP so richtig großartig finde, behalte ich für mich, damit es ihm nicht zu Kopf steigt. Sophie hat inzwischen Frederik am Rande der Joggers-Gruppe ausfindig gemacht. Er liegt auf dem Boden mit einem T-Shirt über seinem Kopf, verkatert und apathisch. Einmal aufgewacht, stellt er sich als sympathischer Kerl heraus, lacht über wirklich jeden meiner bekanntermaßen schlechten Witze. Ich überlege, ihn zu adoptieren oder zumindest anzustellen.

Sophies Freundin Lisa reist auch noch an und hat ein Sagrotan-Arsenal eingepackt, das manche Klofrau neidisch machen dürfte. Dass Sie Ihren Hund Treu nicht mitnehmen durfte, findet sie doof. Außerdem wirkt sie augenscheinlich etwas irritiert, wie die Leute hier so leben. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Es ist, mit 28 Jahren, ihr allererstes Festival.

Die arme Lisa! Wir beschließen, Ihr alles wichtige über das Haldern Pop beizubringen und gehen zusammen zum berühmten See zum Schwimmen. Ich selbst war da zwar bisher auch noch nie drin, ist aber auch erst mein viertes Haldern. Dass jedoch Christoph nach knapp 10 Jahren Haldern noch nie in dem See schwimmen war, finde ich bemerkenswert. Immerhin ist der See umsonst, die Duschen kosten Geld. Sie verstehen? Eben.

Björn und Frederik schwimmen nicht nur, sie haben auch Bier mitgebracht. Für Im-See-trinken. Ich habe aus Fuß-Aufschlitzungsangst meine Gummistiefel an. Beim Schwimmen. Zur Badehose sieht das scheiße aus, aber das hier ist ja kein Modewettbewerb.

Wir machen uns den Spaß und gucken uns Philipp Poisel an. Nun ja. Das Fragezeichen bleibt eines. Mir fällt auf, dass der Keyboarder, der übrigens schwäbelt, nicht richtig zu hören ist. Schade. Ich bin da etwas altmodisch: Ich mag meine Instrumente hörbar. Ansonsten schwankt der Auftritt irgendwo zwischen Xavier Naidoo und Madsen. Zumindest nicht meine bevorzugten musikalischen Eckpunkte.

Während Philipp noch vor sich hin poiselt, besuchen wir das Spiegelzelt, und irgendwie passiert das Unglück: Die Zeit ist zu schnell vergangen! Als wir auf die Uhr sehen und zur Hauptbühne hechten, spielen Delphic gerade ihr letztes Lied. Ich beiße mir in den Arsch, denn was ich sehe und höre ist die großartigste Indie-Electro-Explosion seit Langem. Da könnt Ihr Euch mal alle umgucken, Ihr Zoot Women. Ich bin trotzdem hin und weg, das hat mir wirklich gut gefallen. Delphic. Scheiß Name, geiler Sound.

Diesmal sind wir schlauer und bleiben an der Hauptbühne. Denn es folgt die Band der Stunde: Mumford & Sons, liebevoll in Manfred & Söhne umgetitelt von … nunja. Muss ich zur Band noch was sagen? Ich mag die wechselnden Instrumente, von der Seite sehe ich nicht genau, wer wann singt. Später sagt man mir, der Sänger hätte auch getrommelt. Ich muss an Phil Collins denken, erschieße mich aber innerlich dafür. Was für eine Band! Diese folkige Melancholie, diese holzige Euphorie. Gänsehaut, Tränen in meinen Augen. Und zack: vorbei.

Als Beirut folgen versuche ich, einen akustischen Filter in meinem Kopf zu formen, der aus Beirut wieder Mumford & Sons macht. Gelingt mir nicht, aber Beirut sind auch klasse. Vielleicht etwas undankbar, die armen hinter dieser Kracherband auf die Bühne zu schicken.

Aber abgesehen davon: ein wirklich ausgelassener Freitag auf dem Haldern Pop. Für mich persönlich noch von der Tatsache veredelt, dass ich auf dem Boden 20 “Poptaler” finde, die Halderner Währung für die Getränke. Wenn man den Pfand für sich selbst abzieht (und den scheiß Becher nicht verliert), kann man gut und gerne 9 Bier dafür eintauschen. Hurra.

Haldern Pop 2010

SAMSTAG
Diesmal gehen wir eher auf das Gelände, weil wir gerne Portugal. The Man sehen möchten. Schaffen wir sogar. Tolle Band, sind an diesem Tag aber sehr Riff-lastig. Ich selbst hasse ja Riffs, weil ich so ein schlechter Gitarrist bin und mir beim zuhören immer die Noten in den Kopf fliegen und mich daran erinnern, dass ich üben sollte. Mach ich vielleicht mal. Der Auftritt macht auf jeden Fall Spaß und Sophie hat Seifenblasenzeugs dabei, welches wir einsetzen. Und – oh naturbelassenes Haldern Pop – eine majestätische Libelle lässt sich neben der Bassbox nieder, während ein Security-Mitarbeiter die Unterseite seiner Arme in die Sonne hält. Nicht aus Freude am Bräunen, sondern aus gesundheitlichen Gründen: Die Oberseite sieht schon genießbar aus. Möglicherweise hat der Geruch die Libelle angelockt.

Sophie und ich schaffen bei Everything Everything im Spiegelzelt wieder nur das letzte Lied. Aber auch diese Band schafft es, mich mit dem letzten Lied komplett zu überzeugen. Das Delphic-Phänomen. Scheiß Name, geile Band. Ich ärgere mich, dass ich nie das letzte Lied von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gesehen habe.

Irgendwann dann The Low Anthem im Spiegelzelt. Ich habe inzwischen einen toten Punkt erreicht und finde, dass die Band klingt wie das Simon & Garfunkel Album, das ich manchmal im Auto höre. Ich schlafe im Stehen ein. Das wirkt repektlos, soll aber die Band nicht schmälern. Countryesquer Folk. Oder sowas. Naja, ich brauche frische Luft und hänge draußen rum. Hier und da wieder bekannte Gesichter: Sven, ein Fotograf aus Bochum, Gerrit natürlich (“Tommy, später aber Fotos, ne?”), Manuel von den Wedges. Ein bisschen wie ein kleines Dorf. Hier sollte man keine Dummheiten machen, da weiß jeder gleich Bescheid. Und dann tuscheln die Nachbarn.

Efterklang werden mir als Sigur-Rós-Verschnitt schmackhaft gemacht, enttäuschen aber in dieser Hinsicht gewaltig. Das ist das Problem mit großer Erwartungshaltung: Mit dieser Band werde ich heute nicht mehr warm. Ich nutze meine letzten Fund-Poptaler und gebe eine Runde. Christoph hat von seiner Oma 50 Euro Taschengeld mitbekommen!!! Obwohl das einen tiefen Eingriff in die adulte Selbstversorgungspflicht darstellt. Er weiß um seinen Stellenwert als Gruppenbetreuer und kauft davon Poptaler. Als ihm klar wird, dass er davon weder Essen noch sonstwas, sondern nur Bier und Wein kaufen kann, ist es bereits zu spät. Der Poptaler ist wie das Spielgeld in Disneyland, er regt zum Konsum an.

Und dann endlich irgendwann: The National. Erst denke ich, dass da irgendwas Interpol-ähnliches auf mich zukommt, aber schnell wird klar, dass diese Band komplexer ist. Irgendwie muss ich zwar die ganze Zeit an Depeche Mode denken, woran der Gesang seinen Anteil hat, aber das würde der ganzen Sache nicht gerecht. Denn The National klingen tatsächlich sehr eigen und interessant, rocken außerdem wie Hölle und haben eine unglaublich stimmungsvolle Lightshow. Marie regt sich später darüber auf, weil ihr das natürlich die besten Fotos versaut: Immer irgendein scheiß Licht in der Kameralinse. Mir ist das egal, ich muss ja nur gucken und glotzen. Wahrscheinlich starre ich inzwischen schon, wenn ich trinke werde ich immer zum Starrer, da ich vergesse zu blinzeln. Bei dieser Band sollte man die Augen sowie so nicht schließen, nicht mal für eine Nanosekunde.

Inzwischen sind die letzten Poptaler bestimmungsgemäß verbraucht und eine gewisse Festivalmelancholie macht sich breit: Wir haben die letzte Band auf der Hauptbühne gesehen. Jetzt ins Spiegelzelt? Undenkbar. Der harte Kern unserer Reisegruppe, Christoph, Rosa, Sophie, Marie und ich, geht zum Zeltplatz und lässt den Abend gebührend ausklingen: Wir singen 90er Jahre Plastikpophits von East 17 und Take That. Weil wir uns nämlich nicht zu fein sind, zu erkennen, dass das in der Retrospektive auch schöne Musik sein kann. Und dann packt Sophie ihr Handy aus und spielt die Musik ab, die mich danach nicht mehr losgelassen hat, massiver als eine der Bands von den Bühnen: Oh, Napoleon. Ironie des Schicksals. Vor zwei Tagen noch am Zeltplatz gesehen und trotzdem vorher gar nicht reingehört. Man sagt ja oft “Die Band kenn’ ich!” und meint “…vom Namen.” Ich auf jeden Fall: begeistert und verstört, weil die doch noch so jung sind und die Sängerin da Sachen raushaut wie ein alter Hase

Der nächste Morgen bringt den ersten grauen Tag. Ist aber auch egal, weil wir jetzt packen und heimwärts fahren. Ich denke darüber nach, den herausragenden Sonnenschein der Halderner Tage als gutes Omen zu deuten, dann fällt mir aber ein, dass ich an so einen Hokus Pokus nicht glaube. Manchmal, ganz selten, stimmen eben alle umgebenden Faktoren so überein, dass für ein paar Tage alles perfekt ist.


Tommy Finke ist 29 Jahre alt, Musiker und lebt in Bochum. Im Februar ist sein Album “Poet der Affen / Poet of the Apes” erschienen.

Für Coffee And TV hat er das Haldern Pop 2010 besucht und seine Eindrücke von Zeltplatz, See und Festival aufgeschrieben. Die Namen der Mitreisenden wurden dafür geändert.

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Digital Gesellschaft

Neu-Trends — jetzt auch in München und im Internet

Wenn Kimberly Hoppe nicht gerade von Beerdigungen twittert, schreibt sie in der “Münchner Abendzeitung” über Leute und in ihrem Blog über ihr Leben als “LEUTE-Kolumnistin”.

Das ist alles nicht schön, aber man muss schon dankbar sein, dass Frau Hoppe nur über Leute schreibt und nicht etwa über Zeitgeist-Themen. Nachdem sie im vergangenen September das Wort “Vorglühen” für sich entdeckt (und zum “Wort des Jahres” ernannt) hatte, ist sie nun auf etwas völlig neues, außergewöhnliches gestoßen:

“Was kann ich tun, um Idioten-Männer mit depperten Gefühlsschwankungen zu vergessen?”, frage ich sie.

Ihre Antwort folgt zackig: “Komm mit in den E-Garten und lass uns Flunkyball spielen!”

Watt???

Muss in der Mini-Martin-Phase schrecklichst gealtert sein und jegliche Neu-Trends verpasst haben. Hilfe!!

Was, bitte, ist Flunkyball!?

Da es schon wieder um Alkohol geht, drängt sich natürlich die Frage auf, ob das diesbezügliche Gefälle zwischen meiner niederrheinischen Heimat und München tatsächlich so groß ist. Vielleicht bekommt, wer Weißbier trinkt, auch sonst nur wenig von der Welt mit.

Flunkyball (Symbolfoto)

Meine erste Begegnung mit diesem crazy … äh: “Neu-Trend” liegt jedenfalls schon geschmeidige vier Jahre zurück und fand – wie es sich gehört – auf einem Dinslakener Kirchhof statt.

Freuen Sie sich also schon jetzt darauf, wenn Kimberly Hoppe, die Frau, die “Polylux” jung aussehen lässt, nächstes Jahr das “Konterbier” entdeckt.

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Leben Gesellschaft

Glühwürmchen

Ich muss Sie gerade noch mal in meiner Eigenschaft als gelernter Varietätenlinguist behelligen. Kimberly Hoppe, “LEUTE-Kolumnistin” der Münchener Abendzeitung und berühmt für ihre einfühlsamen Twitter-Reportagen, ist da bei ihren investigativen Recherchen im Prä-Oktoberfestlichen München auf ein ganz ein neues Wort gestoßen:

Es ist das Wort des Jahres: VORGLÜHEN.

Früher gab’s das Phänomen auch schon, allerdings kein so lustiges Wort dazu. Ja, ich als Nicht-Katholikin gestehe und tue Buße: Ich habe früher Augustiner-Flaschen im Rucksack (’türlich Eastpack) auf die Wiesn ins Schottenhamel-Zelt geschmuggelt und nach der ersten Maß heimlich in den Krug nachgeschenkt. Schließlich war das Bier zu DM-Preisen schon viel zu teuer und ich war jung und brauchte das Geld für was anderes. Gut. Nein: schlecht. Auf jeden Fall lange her.

Nun ist Frau Hoppe knapp drei Jahre älter als ich, was mir erstens die Möglichkeit einräumt, doch noch was aus meinem Leben zu machen, ihre “lange her”-Prosa zweitens ein bisschen bemüht erscheinen lässt, und drittens die Frage aufwirft, warum sie erst jetzt, im Jahr 2009, auf dieses beknackte, mir nie sonderlich kreativ erscheinende, Wort gestoßen ist. Mir ist definitiv eine Situation von vor sieben Jahren erinnerlich, in der das Wort “Vorglühen” fiel, aber es kann sich auch schon bedeutend länger in meinem passiven Wortschatz befinden.

Man muss ja nicht gleich einen Kübel Bier Hohn über einer “LEUTE-Kolumnistin” ausleeren, die offenbar die letzten Jahre hinter dem Mond gelebt hat, aber rein interessehalber (und weil meine Eltern sich immer freuen, wenn ich irgendwo andeuten kann, dass sich ihre Investition in mein Studium gelohnt hat) wüsste ich jetzt gerne von Ihnen:

War Ihnen die Vokabel “Vorglühen” als vor-partyliche Druckbetankung mit alkoholischen Getränken schon vor der Lektüre von Frau Hoppes Lebensbeichte bekannt? Wenn ja: Wie lange?

(Klar, dass das eigene Alter und die Region, in der man aufgewachsen ist, auch hier wieder erheblich zu einem stimmigen Gesamtbild beitragen würden.)

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Digital Gesellschaft

Wohlfaile Empörung

Ich hab mir heute nach fast sechs Jahren in Bochum zum ersten Mal eine “WAZ” gekauft — für einen Artikel im BILDblog über das Koma-Saufen, zu dem die Junge Union hier in der Stadt angeblich einlädt.

Ich weiß nicht, was ich von einer Party halten soll, bei der man für 10 Euro Eintritt 25 Euro vertrinken kann, so dass die rot-grünen Shots, die “weg müssen”, im Endeffekt weniger als einen Euro kosten. Aber ich würde auch noch viel weniger ins Playa gehen, als ich CDU wählen würde.

Was ich weiß, ist, dass die ganze Aufregung um diese Party irgendwie typisch war: Beim “Westen” steht, die Gutscheine müssten in anderthalb Stunden vertrunken werden, und kurz darauf steht es so in vielen Blogs und mehr als 300 Leute twitterten, dass die Junge Union …

Auch ich hatte den Link zum “Westen” für eine Minute in meinen delicious-Links, ehe mir bei den dortigen Trackbacks der Link zu Waynes Blog auffiel, in dem dieser der “WAZ” schlechten Journalismus vorwarf.

Ob die Junge Union möglicherweise erst nach Erscheinen des Artikels beim “Westen” auf ihrer Website klargestellt hat, “dass der Gutschein zwar bis 23:30 an der Kasse erworben werden muss aber die ganze Nacht genutzt werden darf”, ist eigentlich unerheblich — die Blogger, die sich auf die Story stürzten, hätten wenigstens den Versuch unternehmen müssen, bei der Jungen Union nach Informationen zu suchen. (Ich natürlich auch, bevor ich den Link gespeichert habe. Ganz besonders, wenn die Quelle “WAZ Bochum” heißt.)

Es kann doch nicht sein, dass wir immer wieder die Informationen loben, die im Internet für jeden überall und frei verfügbar sind, und dann nicht mal drei Minuten darauf verwenden, bei einer solchen Geschichte auch die Gegenseite abzuchecken. Stattdessen wird der Link blindlings bei Twitter weiterverbreitet — natürlich nicht, ohne ihn vorher nicht noch mit “#fail”, “#cdu-” und “#piraten+” (aus Prinzip!) versehen zu haben.

Natürlich traue auch ich den Parteien (und zwar allen) im Wahlkampf so ziemlich alles zu. Aber es spricht trotzdem nicht für die Medienkompetenz von Internet-Powerusern, wenn sie blind auf eine Geschichte anspringen, die ihnen zufälligerweise ins Weltbild passt. Im Gegenteil: In solchen Momenten sind wir keinen Deut aufgeklärter als der alte Mann, der seit 60 Jahren immer die gleiche Partei wählt.

Nachtrag, 22:50 Uhr: Wie hatte ich nur “BO-Alternativ”, das lokale “Indymedia”-Pendant vergessen können? Dort sorgte die Junge Union schon gestern Nachmittag “mal wieder für einen Skandal”.

Andererseits hatte man sich dort die Mühe gemacht, bei der CDU-Jugendorganisation selbst nachzufragen:

Der Pressesprecher der JU Torsten Bade hält das alles für ein Missverständnis: Die Gäste könnten länger trinken und für jugendliche Disko-BesucherInnen sei das ein ganz normales Angebot. Er räumte aber auch ein, dass es schon mehrere Anrufe wegen der Geschichte gegeben habe und einige Plakate auch wieder abgehängt worden seien.

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Musik Gesellschaft

Ein offener Brief an Jack White

Ein Jahr ist die Fußballeuropameisterschaft fast schon wieder her, aber mein Blog-Eintrag “Wie ich lernte, ‘Seven Nation Army’ zu hassen” ist noch immer ungeschrieben.

Er wird es auch bleiben, denn ich habe einen anderen Weg gefunden, mich mit der Nummer-Eins-Hymne alkoholisierter Menschen in Deutschland auseinanderzusetzen:

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Leben Politik

Here In Pleasantville

In Dinslaken weiß man zu Feiern.

Aus verschiedenen beruflichen und privaten Gründen war ich gezwungen, die letzte Woche in Dinslaken zu verbringen. Es war nicht so schlimm, dass man den Spruch mit dem ärgsten Feind hätte auspacken müsste, ((Ich wüsste so spontan auch nicht, wer das sein sollte.)) aber es war schon … außergewöhnlich.

Da war zum Einen jene Geschichte, die über fast die ganze Zeit die Lokalpresse füllte: Heinrich Mühmert, Autohändler, Ringrichter und seit Jahrzehnten Ratsmitglied für verschiedenste Parteien und Splittergruppen, hatte in seiner Haushaltsrede vor dem Stadtrat einen Karnevalsprinzen aus dem Stadtteil Eppinghoven als “schwulen Wicht” bezeichnet. ((Fragen Sie mich um Himmels willen nicht, wie man es rhetorisch schafft, in einer Debatte über den Haushalt einen homosexuellen Karnevalsprinzen zu verunglimpfen. Es braucht vermutlich jahrzehntelange Erfahrung, Ex-Mitgliedschaften bei FDP und Schill-Partei und jede Menge aufgestaute Homophobie, um das auf die Reihe zu kriegen.))

Ratsherren verließen aufgebracht den Saal, Mühmert erhielt einen Ordnungsruf, entschuldigte sich hinterher derart halbherzig, dass sich sein eigener Karnevalsverein ((Gemeint ist wirklich ein Karnevalsverein, nicht Mühmerts “Offensive Dinslaken”, die später in Teilen allerdings auch noch auf Abstand ging — da sehen Sie mal, was Lokalpolitik wirklich bedeutet!)) von ihm distanzierte. Mühmert ist übrigens einer von sechs Bürgermeisterkandidaten in Dinslaken, was unter Berücksichtigung des aktuellen Wahlrechts und der Wahlbeteiligung vom letzten Mal bedeuten könnte, dass er mit gut 4.800 gültigen Stimmen die Stadt regieren dürfte.

Doch auch fernab der … äh: “Politik” ließ mich die Stadt, in der ich 20 Jahre meines Lebens verbracht hatte, ((Was man nun wirklich niemandem wünschen kann.)) nachdenklich zurück: Da waren die schon erwähnten Türsteher der “Kulturkantine”, die zwar 26-jährige Frauen nicht erkannten, aber – so berichtete man mir zumindest glaubhaft hinterher – Minderjährige in die Disco ließen. ((Besonders lustig ist übrigens, dass offenbar auch Bandmitglieder der Kilians, die an jenem Abend gleichsam Gastgeber waren, Probleme am Einlass hatten.)) Da war die Kassiererin des Innenstadt-Supermarkts, die mich beim Kauf eines Kastens Bier um Vorlage meines Ausweises bat — wohl weil ich auch mit 25 noch nicht wie 16 aussehe.

Man muss ihr zugute halten, dass an jenem Vormittag die Abiturienten ihre Zulassung feierten ((An die ich meinen Kasten schließlich auch verteilte.)) und es natürlich immer besser ist, einmal zu viel nachzufragen als einmal zuwenig. Die Frage, die sich aus beiden Erlebnissen ergibt, lautet natürlich dennoch ganz klar: Wie zum Henker sehen Teenager in Dinslaken eigentlich aus, dass man sie nicht von Menschen Mitte Zwanzig unterscheiden kann?!

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Musik

Platzangst

Dinslaken macht sich bereit für die größte Show, die diese Stadt je gesehen hat. Schon seit heute morgen sind die Alkoholvorräte des Innenstadt-Supermarkts bedenklich unter Durchschnitt (was allerdings an den Abi-Zulassungen liegen dürfte, die heute verteilt wurden) und auch das Epizentrum des heutigen Abends ist seit 11 Uhr vorbereitet:

Diesert Platz ist vom 3. 4. 91 Ab 11 Uhr gesperrt

Hans-Böckler-Platz in Dinslaken

Hans-Böckler-Platz in Dinslaken