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Wir müssen reden!

Vier Tage sind seit der Wahl Donald Trumps zum US-Prä­si­den­ten ver­gan­gen und ich habe seit­dem vie­le Tex­te gele­sen, war­um das über­ra­schend oder nicht über­ra­schend war, dass die Demo­kra­ten dar­an schuld sei­en oder die wei­ßen Män­ner, dass viel­leicht alles gar nicht so schlimm wird oder viel­leicht alles noch schlim­mer, dass wir mit den AfD-Wäh­lern reden müs­sen oder ihnen zuhö­ren, dass wir Ver­ständ­nis für sie zei­gen sol­len oder kla­re Kan­te. Kurz­um: Das links­li­be­ra­le Lager, in dem ich mich bewe­ge, ist min­des­tens genau­so gespal­ten wie die Gesell­schaft selbst. Der Motor hat gerat­tert, diver­se Warn­lam­pen sind ange­gan­gen, es kam Qualm aus der Motor­hau­be und die Tank­an­zei­ge leuch­te­te und jetzt ste­hen wir vor einem lie­gen­ge­blie­be­nen Auto und dis­ku­tie­ren dar­über, ob wir viel­leicht Luft in die Rei­fen hät­ten packen sol­len.

Manch­mal wird jetzt dar­auf hin­ge­wie­sen, dass nicht alle Trump-Wäh­ler Ras­sis­ten und/​oder Sexis­ten sei­en, was sicher­lich rich­tig ist. Aber sie sam­meln sich hin­ter einem Mann, der mit ras­sis­ti­schen Res­sen­ti­ments nur so um sich gewor­fen hat und bei dem alles dafür spricht, dass er Frau­en als Objek­te betrach­tet, mit denen er machen kann, was er will. Und das wirft ja dann doch Fra­gen auf. Nicht jeder, der einen ras­sis­ti­schen oder sexis­ti­schen Witz macht, ist des­halb auto­ma­tisch Ras­sist oder Sexist, aber es ist unse­re Auf­ga­be als Gesell­schaft, auf den ras­sis­ti­schen bzw. sexis­ti­schen Hin­ter­grund des Wit­zes auf­merk­sam zu machen und zu ver­ste­hen zu geben, dass wir so etwas nicht akzep­tie­ren. Wer das nicht ver­ste­hen will und mun­ter wei­ter macht, erhöht damit die Wahr­schein­lich­keit, dass er tat­säch­lich Ras­sist bzw. Sexist ist, deut­lich.

Ich glau­be, dass es eini­ger­ma­ßen müßig ist, sich öffent­lich mit Chef­pro­pa­gan­dis­ten wie Udo Ulfkot­te oder nam­haf­ten AfD-Poli­ti­kern zu bekämp­fen (und es schmerzt mich wirk­lich, eine For­mu­lie­rung wie „nam­haf­te AfD-Poli­ti­ker“ zu ver­wen­den). Die wird man auf kei­nen Fall über­zeu­gen kön­nen und deren Anhän­ger reagie­ren mit Ableh­nung, wenn man ihre Hel­den mit dem schwe­ren Gerät in die Man­gel nimmt, das für Volks­ver­het­zer, Lüg­ner und Popu­lis­ten not­wen­dig ist.

Aber wir kön­nen mit den „nor­ma­len Men­schen“ reden. (Ein­schub: Die­se For­mu­lie­rung klingt immer so, als sei­en auf­ge­klär­te, fort­schritt­li­che Lin­ke und Libe­ra­le kei­ne nor­ma­len Men­schen und als ob es irgend­ei­nen natür­li­chen Inter­es­sen­kon­flikt zwi­schen der Arbei­ter­klas­se und intel­lek­tu­el­ler ori­en­tier­ten Groß­städ­tern gäbe. Mei­ne Freun­de und ich sind erst mal genau­so nor­mal wie Bau­ern im All­gäu, Auto­me­cha­ni­ker in Sach­sen-Anhalt oder Werft­ar­bei­ter in Nie­der­sach­sen. Wenn jemand anfängt, ande­ren Men­schen Rech­te abzu­spre­chen, schwenkt er aus dem Bereich der Nor­ma­li­tät aus. Ein­schub Ende.) Nicht, indem wir ver­su­chen, ihnen die gesam­te Welt zu erklä­ren, son­dern indem wir ihnen von ande­ren Men­schen erzäh­len, die genau­so nor­mal sind und sich im aktu­el­len poli­ti­schen Kli­ma ernst­haf­te Sor­gen um ihr Leben und das ihrer Kin­der machen. Wir müs­sen Fak­ten aus­wen­dig ler­nen, Zah­len ken­nen und von Men­schen aus unse­rem Umfeld berich­ten. Wenn wir die Auf­stel­lun­gen aller Bun­des­li­ga­ver­ei­ne, die Sie­ger des Euro­vi­si­on Song Con­test seit 1956 und die Zita­te aus allen Fil­men von Mon­ty Python und Lori­ot ken­nen, kann es ja nicht so schwer sein, sich ein paar zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen drauf­zu­schaf­fen.

Ich habe als direk­te, ers­te per­sön­li­che Kon­se­quenz aus Donald Trumps Wahl­er­folg ange­fan­gen, online mit Men­schen zu dis­ku­tie­ren. Nicht, sie beschimp­fen, son­dern ihnen mei­nen Stand­punkt zu erklä­ren und zu ver­su­chen, ihren Stand­punkt zu ver­ste­hen. Ich habe dabei zahl­rei­che Beschimp­fun­gen in mein Wohn­zim­mer gebrüllt, nur um zwei, drei Kom­men­ta­re spä­ter fest­zu­stel­len, dass wir inhalt­lich gar nicht so weit aus­ein­an­der­lie­gen. Zum Bei­spiel beim The­ma „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“, die frü­her „Anstand“ hieß und die für vie­le Men­schen, auch sol­che, die weit davon ent­fernt sind, AfD zu wäh­len auf merk­wür­di­ge Art ein rotes Tuch dar­stellt. Ich ver­ste­he nicht, war­um Men­schen sich so schwer damit tun, auf Begrif­fe zu ver­zich­ten, durch die sich ande­re Men­schen ver­letzt oder aus­ge­grenzt füh­len. Es bricht einem doch kein Zacken aus der Kro­ne, wenn in einem Behör­den­schrei­bern „Bürger*Innen“ steht oder man zu einer Back­wa­re, die sowie­so schon alles ande­re als gesund und natür­lich ist, jetzt „Schaum­kuss“ sagen soll, obwohl man jah­re­lang ein ande­res Wort gebraucht hat.

Das heißt: Aus sprach­wis­sen­schaft­li­cher Sicht habe ich da sogar ein gewis­ses Ver­ständ­nis. Bücher über Gram­ma­tik und Recht­schrei­bung waren anfangs deskrip­tiv, irgend­wel­che Leu­te haben also alle paar Jah­re oder Jahr­zehn­te auf­ge­schrie­ben, wie die Men­schen gera­de so gespro­chen und geschrie­ben haben. Der „Duden“, wie wir ihn seit unse­rer Schul­zeit ken­nen, fun­gier­te aber schon als Unter­schei­dung zwi­schen „rich­tig“ und „falsch“ (es ist halt auch ein­fa­cher, wenn man weiß, wovon der ande­re schreibt). Dann kam die soge­nann­te Recht­schreib­re­form und ein Gre­mi­um hat­te plötz­lich ganz vie­le neue Vor­schlä­ge für Schreib­wei­sen, die sich aber nicht an dem ori­en­tier­ten, wie die Leu­te schrie­ben (denn die schrie­ben ja so, wie es bis­her im Duden stand), son­dern die manch­mal ver­ständ­li­che, manch­mal falsch abge­lei­te­te neue Vor­schlä­ge waren. Nicht nur, dass (Ach­tung, Ach­tung: das „dass“ ist ein schö­nes Bei­spiel!) die Leu­te plötz­lich anders schrei­ben soll­ten ohne zu wis­sen war­um, die Zei­tun­gen hiel­ten sich nicht dar­an, in den Schu­len gab es ein Hin und Her im Lehr­plan und letzt­lich weiß seit 20 Jah­ren unge­fähr nie­mand mehr, was „rich­tig“ und was „falsch“ ist. Spra­che ist aber etwas, was uns Men­schen ganz nahe ist, die wir alle benut­zen. Selbst Men­schen, die von Geburt an nicht hören kön­nen, nut­zen sehr häu­fig eine Gebär­den­spra­che – wes­we­gen sie – Hal­lo, Poli­ti­cal Cor­rect­ness! – auch nicht „taub­stumm“ sind, son­dern „gehör­los“. Wir alle benut­zen Spra­che, über­all auf der Welt. Spra­che wird von mehr Men­schen genutzt als Autos, es kön­nen mehr Men­schen spre­chen als schwim­men, wir nut­zen Spra­che, um uns gegen­sei­tig bei Face­book anzu­schrei­en, aber auch, um unse­ren Liebs­ten mit­zu­tei­len, was wir für sie emp­fin­den. Wenn da jemand an unse­ren Wort­schatz her­an­möch­te, ist das irri­tie­rend, viel­leicht sogar erschre­ckend und wenn man dann noch zufäl­lig mal irgend­was über Geor­ge Orwells „1984“ gele­sen hat, ist der Schrei, hier sei die „Sprach­po­li­zei“ am Werk, nicht mehr weit.

Vor 30 Jah­ren war es total nor­mal, in öffent­li­chen Gebäu­den, Gast­stät­ten, sogar in Zügen und Flug­zeu­gen zu rau­chen. Jeder ein­zel­ne Rau­cher konn­te die Luft für hun­dert Men­schen um ihn her­um ver­pes­ten und deren Gesund­heit gefähr­den. Inzwi­schen gibt es einen brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens, dass Rauch­ver­bo­te in öffent­li­chen Gebäu­den, Zügen und Flug­zeu­gen in Ord­nung sind (bei Gast­stät­ten ist das schwie­ri­ger und mei­ne eige­ne Posi­ti­on zu dem The­ma könn­te drei wei­te­re Blog-Ein­trä­ge fül­len, denen ich mich ger­ne wid­men will, wenn wir wie­der Zeit für die etwas weni­ger drän­gen­den Pro­ble­me haben), dass man eher nicht raucht, wenn Kin­der in der Nähe sind und dass Rau­chen gene­rell nicht so doll für die Gesund­heit ist. Die­se Rauch­ver­bo­te kamen natür­lich auch auf Druck von Bür­ger­initia­ti­ven zustan­de, die Poli­tik muss­te sie aber von oben her­ab durch­set­zen – gegen den erklär­ten Wil­len der mäch­ti­gen Tabak­lob­by. Ein „Lasst uns doch ein­fach alle mal auf­hö­ren, in der Stra­ßen­bahn zu rau­chen“ hät­te kei­nen Erfolg gehabt. Die­se Rauch­ver­bo­te sind für alle bes­ser, aber sie zwin­gen Rau­cher dazu, vor die Tür zu gehen oder stun­den­lan­ge Bahn- und Flug­rei­sen ohne Niko­tin­zu­fuhr durch­zu­ste­hen, was tat­säch­lich wahn­sin­nig anstren­gend sein kann.

„Bürger*Innen“, „Schaum­kuss“ und „gehör­los“ tun nie­man­dem weh. Nie­mand bekommt des­we­gen Schmacht. Ja, es kann sogar jeder, der die­se Begrif­fe nicht mag, voll­kom­men legal ande­re benut­zen. Er soll­te sich nur nicht wun­dern, wenn er von ande­ren Men­schen schief ange­schaut wird, weil die im Lau­fe der Zeit eine stär­ke­re Sen­si­bi­li­tät dafür ent­wi­ckelt haben. Denn Spra­che hat auch Macht und prägt das Den­ken. (Das ist jetzt schwer ver­ein­facht aus­ge­drückt, aber ich habe das Gefühl, mit mei­nem Mans­plai­ning hier schon genug Lese­rin­nen und Leser ver­lo­ren zu haben. Ent­schul­di­gung, aber ich ver­su­che wirk­lich, das alles Schritt für Schritt ver­ständ­lich zu machen und ich hab das auch mal stu­diert.) Ich möch­te nicht, dass mein Kind in einer Welt auf­wächst, wo „schwul“ und „behin­dert“ als Syn­ony­me für „doof“, „schlecht“ oder „schei­ße“ ver­wen­det wer­den. Denn selbst wer dar­auf beharrt, nichts gegen Schwu­le und Men­schen mit Behin­de­rung zu haben, sorgt sonst dafür, dass die­se Begrif­fe nega­tiv kon­no­tiert sind. Und wäh­rend ich ganz gut damit leben kann, dass Voka­beln wie „geil“ oder „Chip“ im Lau­fe der Zeit ihre Bedeu­tung geän­dert bzw. meh­re­re Bedeu­tun­gen haben, fin­de ich es inak­zep­ta­bel, dass Begrif­fe, die eine Bevöl­ke­rungs­grup­pe beschrei­ben, in einem ande­ren Kon­text als abwer­tend benutzt wer­den.

Mei­ne Mut­ter hat sich in den 1980er Jah­ren mit ande­ren Eltern zusam­men­ge­tan, um lokal gegen Umwelt­ver­schmut­zung, Atom­kraft­wer­ke und den Kli­ma­wan­del zu kämp­fen. Es ist unfass­bar, dass wir nicht nur die­se Pro­ble­me noch nicht in den Griff bekom­men haben, son­dern wir jetzt auch noch ganz ernst­haft vor Pro­ble­men ste­hen, die damals schon seit Jahr­zehn­ten über­stan­den schie­nen. Aber so ist eben jetzt die Lage, also müs­sen wir da ran und gleich­zei­tig für die völ­li­ge Gleich­stel­lung von Frau­en, der LGBTI-Com­mu­ni­ty und Men­schen mit Behin­de­rung auf der einen Sei­te kämp­fen, wäh­rend wir auf der ande­ren Sei­te mit Leu­ten dis­ku­tie­ren, die die sim­pels­ten men­schen­recht­li­chen Errun­gen­schaf­ten auf den Prüf­stand stel­len wol­len.

Wir müs­sen also jetzt mit den Leu­ten in der Knei­pe reden, in der Stra­ßen­bahn, im Sta­di­on, schlimms­ten­falls sogar beim Fami­li­en­kaf­fee. Wir dür­fen nicht die Augen ver­dre­hen und gleich „Nazi!“ den­ken, wenn jemand etwas sagt, was nicht unse­rer Mei­nung ent­spricht. Wir müs­sen klar­stel­len, dass uni­ver­sel­le Men­schen­rech­te nicht ver­han­del­bar sind, und in Detail­fra­gen den Aus­tausch suchen. Wir müs­sen sagen, dass wir es auch nicht gut fin­den, wenn mus­li­mi­sche Frau­en gezwun­gen wer­den, ein Kopf­tuch zu tra­gen, es aber auch nicht ver­tret­bar ist, sie dazu zu zwin­gen, kei­nes zu tra­gen, wenn sie denn eins tra­gen wol­len. Und wir müs­sen bei der Fra­ge: „Und wie soll man das unter­schei­den?“ sagen, dass wir das jetzt auch nicht wis­sen, dass es aber kei­ne Lösung sein kann, eine Volks­grup­pe unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len. (Es aber ande­rer­seits auch nicht in Ord­nung ist, alle Men­schen, die ein Pro­blem damit haben, dass Mus­li­mas ein Kopf­tuch tra­gen, ohne wei­te­re Dis­kus­si­on als „Faschis­ten“ zu brand­mar­ken.)

Wir müs­sen die­sen Leu­ten sagen, dass Rechts­po­pu­lis­ten viel­leicht Pro­ble­me benen­nen, dann aber nur Sün­den­bö­cke prä­sen­tie­ren und kei­ne Lösungs­an­sät­ze, die irgend­wie rea­lis­tisch oder mora­lisch oder legal sind. Dass Schwu­le und Les­ben end­lich wirk­lich hei­ra­ten und eine Fami­lie grün­den wol­len und dass deren Leben dadurch viel bes­ser wird, aber das Leben kei­ner ein­zi­gen Hete­ro-Fami­lie des­we­gen schlech­ter. Dass wir, wenn die Poli­tik die­ses lang­wie­ri­ge Orchi­deen­the­ma Gleich­be­rech­ti­gung end­lich mal abge­hakt hat (was nach mei­ner Ein­schät­zung fast an einem Tag in Bun­des­tag und Bun­des­rat zu schaf­fen sein könn­te), sofort über ande­re The­men spre­chen kön­nen. Dass „Vic­tim Bla­ming“ noch so ein doo­fes, neu­es Aka­de­mi­ker­wort sein mag, dass aber auch nie­mand „selbst schuld“ ist, wenn er oder sie Opfer eines Ver­bre­chens wird. Dass frem­de Men­schen in der eige­nen Hei­mat kei­ne Gefahr sein müs­sen, son­dern auch eine Chan­ce dar­stel­len kön­nen. Dass man nie­mals Men­schen gegen­ein­an­der aus­spie­len soll­te. Dass Jour­na­lis­ten kei­ne „Regie­rungs­agen­da“ vor­an­trei­ben, son­dern manch­mal höchs­tens ein biss­chen faul und auf ihre eige­ne Welt fokus­siert sind. Dass Exper­ten nicht ein­ge­bil­de­te, welt­frem­de Affen sind und man sich mit Zahn­schmer­zen, Aus­schlag oder Herz­in­farkt ja auch ger­ne in fach­män­ni­scher Obhut wüss­te. Dass Clau­dia Roth ganz sicher nicht die Sha­ria ein­füh­ren will. Dass die Fra­ge, ob hier irgend­ein Abend­land isla­mi­siert wer­den könn­te, bald kei­ne Rol­le mehr spie­len wird, weil wir, wenn wir den Kli­ma­wan­del (den es übri­gens tat­säch­lich gibt!) nicht ganz schnell in den Griff bekom­men, bald weder Abend­land noch Mus­li­me haben. Und wir müs­sen ihnen sagen, dass „die da oben“ nicht machen, was sie wol­len, son­dern dass Poli­tik wahn­sin­nig kom­plex ist.

Ich für mei­nen Teil kann eini­ger­ma­ßen damit leben, dass Poli­ti­ker von mei­ner Lebens­wirk­lich­keit kei­ne Ahnung haben – ich habe ja umge­kehrt auch kein Inter­es­se an Details über Ver­kehrs­aus­schüs­se, Ergän­zungs­an­trä­ge zu Ver­ord­nun­gen und die­sem gan­zen Kram. Ich tue mich ehr­lich gesagt etwas schwer damit, Poli­ti­ker über­haupt gegen ihre Kri­ti­ker zu ver­tei­di­gen, denn es gibt zahl­rei­che Din­ge, die mich an der Poli­tik auf­re­gen (und die steu­er­li­che Bes­ser­stel­lung kin­der­lo­ser Ehe­paa­re gegen­über unver­hei­ra­te­ten Eltern ist nur das wich­tigs­te Bei­spiel), und ich sehe Lob­by­is­mus und den Ein­fluss von Groß­kon­zer­nen mit Sor­ge. Ich glau­be aber auch, dass die meis­ten Mit­glie­der des Bun­des­ta­ges schon im Gro­ßen und Gan­zen ihr Bes­tes geben. Mit mir haben in den letz­ten Jah­ren kei­ne Poli­ti­ker gespro­chen. Ich aber auch nicht mit ihnen.

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Sonst ist der bitt’re Frost mein Tod

Als ich noch kein Kind hat­te, fand ich die Fra­ge „Haben Sie selbst Kin­der?“ in einer Dis­kus­si­on immer etwas unver­schämt – so, als ob einem das Schick­sal der Welt und der Men­schen weni­ger wich­tig wäre, nur weil man sich noch nicht erfolg­reich fort­ge­pflanzt hat. Stellt sich raus: Es ändert sich tat­säch­lich wahn­sin­nig viel und plötz­lich steht man am Mor­gen nach einer US-Prä­si­dent­schafts­wahl wei­nend unter der Dusche, weil man lang­sam echt Angst bekommt, in was für einer kran­ken Welt das Kind und sei­ne Freun­de eigent­lich auf­wach­sen sol­len.

Die neue Sicht auf die Welt ist aber nicht aus­schließ­lich apo­ka­lyp­tisch – im Gegen­teil: Die Geschich­te von St. Mar­tin hat mich als Kind nie ernst­haft beschäf­tigt. Klar: Bett­ler, Man­tel, Hei­li­ger. Jedes Jahr gab es in Dins­la­ken einen Gro­ßen Mar­tins­zug mit Pferd und Feu­er, danach gab es Stu­ten­kerle, aber das alles war nur das Vor­pro­gramm für die Mar­ti­ni­kir­mes, über die wir anschlie­ßend mit Omas Kir­mes­geld in der Tasche zie­hen durf­ten – und deren Name uns auch erst sehr viel spä­ter irgend­wie mehr­deu­tig und lus­tig erschien. Letz­tes Jahr aber, als wir das ers­te Mal mit dem Kind beim Mar­tins­zug waren und die Flücht­lings­kri­se gera­de auf dem Höhe­punkt war, da erschien mir die Geschich­te des römi­schen Sol­da­ten, der sich um einen Obdach­lo­sen vor den Stadt­to­ren küm­mert, plötz­lich wahn­sin­nig wich­tig und aktu­ell. Da hät­te der Pfar­rer bei sei­ner Rezi­ta­ti­on der Mar­tins­ge­schich­te gar nicht mehr den Bogen in die Gegen­wart schla­gen müs­sen.

Je län­ger ich dar­über nach­den­ke, des­to mehr habe ich das Gefühl, dass das Mar­tins­fest der viel­leicht wich­tigs­te – sicher­lich aber: greif­bars­te – christ­li­che Fei­er­tag sein könn­te. Geburt oder Auf­er­ste­hung eines Hei­lands, Hei­li­ger Geist und Was­ge­nauf­ei­ert­man­noch­mal­an­Fron­leich­nam? sind von der Lebens­wirk­lich­keit der Men­schen dann doch eher weit ent­fernt, Hilfs­be­reit­schaft und Nächs­ten­lie­be ver­ste­hen die meis­ten noch. Da braucht es dann auch gar nicht unbe­dingt noch die Schluss­poin­te und die fünf­te Stro­phe des Mar­tins­lieds, wo Jesus Chris­tus auf­taucht und erklärt, dass der gute Mar­tin jetzt für ihn, Chris­tus, den Man­tel gege­ben hät­te.

Nach­dem Ange­la Mer­kel mit ihrem Auf­ruf, Lie­der­zet­tel zu kopie­ren und Block­flö­tis­ten zu Rate zu zie­hen, mal wie­der für gro­ßes Hal­lo auf dem Gebiet gesorgt hat­te, das die meis­ten Deut­schen immer noch für Sati­re hal­ten, ver­öf­fent­lich­te der WDR in sei­ner Sen­dung „WDR aktu­ell“ einen Bei­trag aus dem WDR-Lehr­buch „WDR-Bei­trä­ge, die wie WDR-Bei­trä­ge aus­se­hen“: Erst san­gen nor­ma­le Men­schen auf der Stra­ße Weih­nachts­lie­der in Kame­ra und Mikro­fon, dann gab es Schnitt­bil­der von der Kanz­le­rin, schließ­lich kamen ein paar ein­ord­nen­de O‑Ton-Geber zu Wort. Der stell­ver­tre­ten­de CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de im Düs­sel­dor­fer Stadt­rat, Andre­as Hart­nigk, erklärt:

Wir sind hier in einer christ­lich-abend­län­di­schen Kul­tur groß gewor­den, wir leben die­se Kul­tur auch, und da sin­gen wir kei­ne Son­ne-Mond-und-Ster­ne-Lie­der, son­dern wir sin­gen St.-Martins-Lieder und das Ding heißt auch St.-Martins-Umzug. Und das muss auch so blei­ben und jeder, der das nicht will, kann sich einen andern Lebens­raum suchen, wenn er das nicht akzep­tiert, oder er hält sich vor­nehm zurück.

Ich habe ein paar Stun­den gebraucht, bis mir die­ser O‑Ton rich­tig übel auf­stieß. Mal davon ab, dass „Later­ne, Later­ne, Son­ne, Mond und Ster­ne“ nun seit Jahr­zehn­ten zum Reper­toire eines Mar­tins­zugs gehö­ren dürf­te, klopft hier ein ganz ande­res Pro­blem an: Wäre es nicht irgend­wie sinn­vol­ler, sich dafür zu inter­es­sie­ren, was die Bot­schaft hin­ter dem Fest und dem Umzug ist, und nicht, wie ande­re Leu­te das Ding nen­nen?

Die Panik, dass unse­re schö­nen christ­li­chen Fes­te umbe­nannt wer­den, treibt Kon­ser­va­ti­ve und Neu­rech­te seit Jah­ren um und sorgt immer wie­der für besorg­te Falsch­mel­dun­gen. (Klar: Nichts trans­por­tiert die Weih­nachts­bot­schaft bes­ser als ein soge­nann­ter Weih­nachts­markt, auf dem sich erwach­se­ne Men­schen nach Fei­er­abend mit min­der­wer­ti­ger Plör­re betrin­ken. Den soll­te man auf kei­nen Fall in „Win­ter­markt“ umbe­nen­nen!) In denen meis­ten Fäl­len geht es ihnen dabei gar nicht um den Anlass eines sol­chen Fei­er­tags, son­dern um die rei­ne Exis­tenz die­ses Fei­er­tags, abge­kop­pelt von sei­ner Geschich­te. Der Ursprung des Zitats, Tra­di­ti­on sei nicht das Bewah­ren der Asche, son­dern die Wei­ter­ga­be des Feu­ers, ist eini­ger­ma­ßen unklar, aber man soll­te die­se Wor­te mal ein biss­chen in Hirn und Herz bewe­gen.

Als Alex­an­der Gau­land von der AfD im Gespräch mit FAZ-Repor­tern sei­nen berüch­tig­ten Jérô­me-Boat­eng-Nach­barn-Satz äußer­te, sag­te er auch, unter den Anhän­gern sei­ner Par­tei gebe es die Sor­ge, „dass eine uns frem­de Reli­gi­on sehr viel prä­gen­der ist als unse­re abend­län­di­sche Tra­di­ti­on“. Die Wort­wahl war auf­fäl­lig, weil er nicht wie ande­re Kon­ser­va­ti­ve von einer „christ­lich-abend­län­di­schen“ Kul­tur oder Tra­di­ti­on sprach – die christ­li­chen Kir­chen hat­ten zu die­sem Zeit­punkt die AfD näm­lich schon mit­un­ter deut­lich kri­ti­siert. Wenn es ernst­haft um christ­li­che Wer­te gin­ge, hät­te ja auch die CSU ein völ­lig ande­res Par­tei­pro­gramm.

Der musi­ka­li­sche Lei­ter des Schau­spiel­hau­ses Dort­mund, Tom­my Fin­ke, ein guter Freund von mir, sagt dann auch den ent­schei­den­den Satz in die­sem WDR-Bei­trag:

Vie­le unse­rer christ­li­chen Wer­te sind ja eigent­lich huma­nis­ti­sche Wer­te, das heißt, sie sind nicht unbe­dingt der christ­li­chen Reli­gi­on allein zuzu­schrei­ben.

Ich bin Kind einer Misch­ehe, evan­ge­lisch getauft, habe aber von mei­ner Oma die vol­le Palet­te der katho­li­schen Schutz­hei­li­gen mit­be­kom­men. Wenn sie in ihrem Haus­halt etwas nicht wie­der­fin­det, zün­det sie eine Ker­ze für den Hei­li­gen Anto­ni­us an, in der Hoff­nung, dass der „Klün­gel­tün­nes“ ihr hilft. (Mei­ne Oma sagt aber auch immer: „Ein Haus ver­liert nichts“, was die Ver­ant­wor­tung ein biss­chen von den Schul­tern des Hei­li­gen nimmt.) Das ist harm­lo­se, lebens­na­he Reli­gi­ons­aus­übung, das Gegen­teil von Kreuz­zü­gen und Hei­li­gem Krieg. Ich selbst habe mir das Got­tes­bild aus dem Kin­der­got­tes­dienst bewahrt und sehe es prag­ma­tisch: Da man die Nicht­exis­tenz eines höhe­ren Wesens nicht bewei­sen kann, kann man auch dran glau­ben, wenn es einem selbst wei­ter­hilft und man ande­ren damit nicht zur Last fällt. Ich find’s aber auch total in Ord­nung, wenn jemand sagt, er glau­be nicht an Gott – das ist ja das Wesen von „Glau­ben“. (Wenn jemand behaup­tet, er wis­se, dass Gott exis­tie­re – oder, dass der nicht exis­tie­re – wird’s schwie­rig: Bei­des. Ist. Wis­sen­schaft­lich. Nicht. Beweis­bar.)

Nächs­ten­lie­be und Hilfs­be­reit­schaft fin­de ich gut, unab­hän­gig davon, ob man jetzt aus reli­giö­sen oder huma­nis­ti­schen Grün­den han­delt. Aber man kann ja schlecht immer den Unter­gang der „christ­li­chen Wer­te“ bewei­nen, wenn man sie sel­ber nicht lebt. Und das mein­te die Kanz­le­rin ja auch mit ihren Aus­füh­run­gen zu Block­flö­te und Weih­nachts­lie­dern: Eine Reli­gi­on geht ja nicht dadurch unter, dass plötz­lich (im Sin­ne von: seit über fünf­zig Jah­ren) Men­schen einer ande­ren Reli­gi­on in einem Land leben, son­dern dadurch, dass sie nicht mehr bzw. nur als see­len­lo­se Tra­di­ti­on prak­ti­ziert wird. Und ein sprich­wört­li­cher fuß­ball­spie­len­der Sene­ga­le­se wird vom Gene­ral­se­kre­tär einer soge­nann­ten christ­li­chen Par­tei auch noch dafür geschol­ten, dass er minis­triert, weil man ihn dann nicht mehr abschie­ben kön­ne. Da hat sich die Logik ja schon auf hal­ber Stre­cke selbst ans Kreuz gena­gelt.

Wie war ich da jetzt hin­ge­kom­men und wie krie­ge ich die­sen Text zu Ende, ohne auch noch Schlen­ker über Donald Trump, die Geschich­te der römisch-katho­li­schen Kir­che und die Songs des ges­tern ver­stor­be­nen Leo­nard Cohen zu neh­men?

Ich wün­sche Ihnen und vor allem Ihren Kin­dern einen schö­nen St.-Martins-Tag und schau­en Sie heu­te viel­leicht mal ein biss­chen genau­er hin, ob jemand in Ihrer Umge­bung Hil­fe gebrau­chen könn­te!

Nach­trag, 16.28 Uhr: Nach Ver­öf­fent­li­chung die­ses Arti­kels habe ich gele­sen, dass der St.-Martins-Umzug eines Kin­der­gar­tens in Fürth abge­sagt bzw. ver­legt wer­den muss­te, weil zur glei­chen Zeit am glei­chen Ort Pegi­da unter dem Mot­to „Sankt Mar­tin und sei­ne heu­ti­ge Bedeu­tung“ demons­triert.

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Lucky & Fred: Episode 15

Bran­ge­li­na sind Geschich­te, Lucky & Fred sind wie­der da: Zurück aus der Som­mer­fri­sche spre­chen sie über Popu­lis­ten wie Donald Trump und Horst See­ho­fer, zer­le­gen die Null­for­mel „Wir schaf­fen das“ inhalt­lich und sprach­lich und rät­seln, wie es mit dem Kon­ser­va­ti­vis­mus wei­ter­ge­hen könn­te.

Außer­dem erzäh­len sie alles, alles über Natio­nal­hym­nen, ver­ra­ten, wer neu­er Bun­des­prä­si­dent wird, und wel­ches Amt Lucky dem­nächst über­neh­men wird.

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 14

Hu! Da sind sie wie­der: Lucky und Fred, die Fern­fah­rer der Äther­wel­len, bli­cken zurück auf die letz­ten Wochen, in denen soooo viel jetzt gar nicht …

Okay, sei­en wir ehr­lich: Die Welt steht am Abgrund, Odin hat die nächs­te Mann­schaft ein­be­ru­fen und bald ist ver­mut­lich alles vor­bei. Vor­her schau­en wir aber noch nach Groß­bri­tan­ni­en (solan­ge es noch da ist), in die USA und natür­lich auf die Popu­lis­ten die­ser Welt. Ein paar gute Nach­rich­ten haben wir dann aber doch noch gefun­den und außer­dem kommt in die­sem Pod­cast zwei­mal das Wort „Fick“ vor, wes­we­gen wir davon abra­ten, ihn in der Nähe von Kin­dern zu hören. (Für die ist er aber eh lang­wei­lig.)

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Lucky & Fred: Episode 13

Die SPD sucht einen Kanz­ler­kan­di­da­ten und Lucky und Fred suchen solan­ge mit, bis Fred sich am Ende breit­schla­gen lässt. Vor­her spre­chen die bei­den aber noch über die Bun­des­prä­si­den­ten­wahl in Öster­reich, den Sex­ap­peal von FPÖ und AfD, Donald Trump und TTIP. Fred erklärt, wie man rich­tig ein­parkt, und Lucky weiß, wer Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter wird. Das alles plus sehr viel Lakritz­scho­ko­la­de — nur in der 13. Aus­ga­be von Lucky & Fred.

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Lucky & Fred: Episode 12

Bei einer Packung bel­gi­scher Zucker­waf­feln bespre­chen Lucky & Fred die The­men der ver­gan­ge­nen Wochen. Es geht um ein­ge­wan­der­te Extre­mis­ten, Live-Jour­na­lis­mus, die Pana­ma Papers und die Fra­ge, war­um die Tür­kei der legi­ti­me Nach­fol­ger von Edmund Stoi­ber ist. Dann gilt es wie­der Abschied zu neh­men von Ver­stor­be­nen und die bei­den ver­ra­ten vor­ab ihre letz­ten Wor­te.

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Lucky & Fred: Episode 11

Pünkt­lich wie immer erklä­ren Lucky & Fred, war­um die AfD mit Deutsch­land nichts am Hut hat, wer die Social-Media-Pro­fi­le von Eri­ka Stein­bach betreut und wie man im Spei­se­wa­gen der Deut­schen Bahn eine Ves­per­plat­te bekommt. Fred bewun­dert VW, Lucky hus­tet Fred was und gemein­sam geden­ken sie der vie­len ver­stor­be­nen Pro­mi­nen­ten der letz­ten Mona­te.

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