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Is‘ scho Recht!

Ich bin kein Jurist. Mei­ne eige­nen Bestre­bun­gen, mich den Rechts­wis­sen­schaf­ten zuzu­wen­den, zer­schlu­gen sich recht schnell, als ich mit 15 ein Prak­ti­kum in der Kanz­lei eines ver­wand­ten Anwalts mach­te und fest­stell­te, dass der All­tag eines Juris­ten aus sehr viel Büro­ar­beit und aus sehr wenig Hol­ly­woo­des­ken „Ein­spruch, Euer Ehren!“-Sequenzen besteht. Außer­dem habe ich ein aus­ge­präg­tes Gerech­tig­keits­emp­fin­den und wür­de ver­mut­lich nach jedem ver­lo­re­nen Pro­zess die Innen­ein­rich­tung des Gerichts­saals zer­stö­ren.

Das nur als Vor­be­mer­kung und Hin­weis dar­auf, dass ich mich juris­ti­schen Sach­ver­hal­ten immer nur aus einer Rich­tung nähern kann, die ich selbst als Logik bezeich­nen wür­de, und nicht aus der rechts­wis­sen­schaft­li­chen.

Kom­men wir nun aber zum kon­kre­ten Fall: Das für ori­gi­nel­le Urtei­le bekann­te Land­ge­richt Ham­burg hat in der Sache Cal­lac­ti­ve GmbH ./​. Nig­ge­mei­er II ent­schie­den, dass es für einen Blog-Betrei­ber nicht aus­rei­che, anstö­ßi­ge Kom­men­ta­re unter Blog-Ein­trä­gen bei Kennt­nis­nah­me sofort zu ent­fer­nen. Bei „bri­san­ten Ein­trä­gen“, so die Rich­ter, sol­le der Blog-Betrei­ber vor­ab die Kom­men­ta­re prü­fen. (Bit­te lesen Sie auch die Beschrei­bung des Falls im Augs­blog.)

Im Zusam­men­hang mit dem Inter­net (und damit im Unter­schied zu jeder Stamm­ti­sch­äu­ße­rung) wird immer wie­der damit argu­men­tiert, dass Äuße­run­gen ja dau­er­haft doku­men­tiert und welt­weit les­bar sei­en. Das stimmt natür­lich, inso­fern ist es durch­aus zu ver­ste­hen, wenn sich Per­so­nen oder Unter­neh­men, die in Blog-Ein­trä­gen oder Kom­men­ta­ren beschimpft oder ver­un­glimpft wer­den, um eine Löschung sol­cher Äuße­run­gen bemü­hen. Schließ­lich wür­de ich auch nicht wol­len, dass das obers­te Goog­le-Such­ergeb­nis zu mei­nem Namen „Lukas Hein­ser ist ein Hüh­ner­dieb“ lau­tet. ((Es wer­den noch Wet­ten ange­nom­men, wann die­ser Satz das obers­te Goog­le-Such­ergeb­nis zu mei­nem Namen sein wird.)) Indes: Ist der umstrit­te­ne Satz gelöscht, wäre ich schon zufrie­den, allen­falls wür­de ich den Autor des Sat­zes um die Unter­zeich­nung einer Unter­las­sungs­er­klä­rung bit­ten.

Die Halt­bar­keit und Ver­brei­tung des Inter­nets wird aber ande­rer­seits auch über­schätzt. Wie vie­le Men­schen mögen es zur Kennt­nis neh­men, wenn (wie im kon­kre­ten Fall) eine Schmä­hung von Sonn­tag­nacht 3:37 Uhr bis Sonn­tag­mit­tag 11:06 Uhr als x‑ter Kom­men­tar unter einem drei Mona­te alten Blog-Ein­trag steht? Da errei­che ich ja mehr Rezi­pi­en­ten, wenn ich mich am Sams­tag in die Fuß­gän­ger­zo­ne stel­le und „Ihr seid alle doof!“ rufe. Aller­dings scheint es juris­tisch völ­lig uner­heb­lich zu sein, ob und von wie vie­len Per­so­nen sol­che Äuße­run­gen auf­ge­nom­men wer­den.

Eine ande­re Sache ist die mit den „bri­san­ten Ein­trä­gen“: Wenn eine Zei­tung über ein The­ma wie Diä­ten­er­hö­hung, Aus­län­der­recht oder … äh … Auto­bah­nen schreibt, ist rela­tiv klar, dass an den fol­gen­den Tagen Wasch­kör­be vol­ler Leser­brie­fe ein­ge­hen, in denen sich Men­schen mit einer soli­den Halb­bil­dung und einer gro­ßen Men­ge Vor­ur­tei­le, an denen sie schwer zu tra­gen haben, mit Schaum vor dem Mund dar­an gemacht haben, ihrer Mei­nung auf sprach­lich anspruch­lo­ses­te Wei­se Aus­druck zu ver­lei­hen. Die­se Brie­fe wer­den gele­sen, es wird viel gelacht und mit dem Kopf geschüt­telt und die eini­ger­ma­ßen vor­zeig­ba­ren oder beson­ders ent­lar­ven­den wer­den dann in der Zei­tung abge­druckt. Bei den Inter­net­aus­ga­ben der Zei­tun­gen kann man Kom­men­ta­re abge­ben, die theo­re­tisch von gan­zen Redak­tio­nen über­prüft wer­den (meist aber eben auch erst nach Ver­öf­fent­li­chung), prak­tisch aber häu­fig einen Griff ins Stamm­tisch­klo dar­stel­len. Nur, dass ver­un­glimpf­te Volks­grup­pen eben kei­ne Prak­ti­kan­ten abstel­len, die den gan­zen Tag das Inter­net auf der Suche nach Belei­di­gun­gen gegen sie durch­su­chen, und auch nur sel­ten über Anwäl­te ver­fü­gen. Blog­ger haben kei­ne Mit­ar­bei­ter, die sich aus­schließ­lich mit der (Vorab-)Kontrolle der Kom­men­ta­re befas­sen kön­nen. Des­halb gibt es beim BILD­blog mit über 40.000 Lesern täg­lich zum Bei­spiel kei­ne Kom­men­tar­funk­ti­on.

Und was ist über­haupt mit den Glas­käs­ten, in denen die Lokal­re­dak­tio­nen einer Zei­tung immer die aktu­el­le Aus­ga­be aus­hän­gen? Was, wenn irgend­je­mand des Nachts mit einem Edding „Aus­län­der raus!“ unter einen Arti­kel zum Aus­län­der­recht krit­zelt? Macht sich die Zei­tung den Kom­men­tar dann auch „zu eigen“? Hat sie durch die „Bri­sanz des Ursprungs­ar­ti­kels“ „vor­her­seh­bar rechts­wid­ri­ge Bei­trä­ge Drit­ter pro­vo­ziert“? Wer­den durch die Bereit­stel­lung einer bekrit­zel­ba­ren Ober­flä­che bereits „Drit­te gera­de­zu dazu auf­ge­ru­fen, sich zu äußern“? Oder wiegt die Sach­be­schä­di­gung durch den Edding die ver­meint­li­che Pro­vo­ka­ti­on wie­der auf?

Den Gedan­ken mit der Wand, den Mal­te in sei­nem Ein­trag zum The­ma bei Spree­blick aus­führt, hat­te ich auch schon, spa­re ihn mir hier aber.

Als ich zum ers­ten Mal über die juris­ti­schen Schwie­rig­kei­ten mit Web-Kom­men­ta­ren geschrie­ben habe, schrieb ich auch über Ger­hard Schrö­der, der mit sei­nem gericht­li­chen Vor­ge­hen gegen die Behaup­tung, er wür­de sein vol­les dunk­les Haupt­haar tönen, den Jus­tiz-Irr­sinn in Deutsch­land Fri­seursalon­fä­hig gemacht hat­te (übri­gens eben­falls vor dem Ham­bur­ger Land­ge­richt). Schrö­der wur­de letz­te Woche wie­der auf­fäl­lig, als er anwalt­lich gegen die Behaup­tung vor­ging, er wür­de das chi­ne­si­sche Außen­mi­nis­te­ri­um bera­ten. Zuvor hat­te er es abge­lehnt, auf die Fra­ge, ob er das chi­ne­si­sche Außen­mi­nis­te­ri­um bera­te, zu ant­wor­ten.

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Auf nach Nordkorea!

Ken­nen Sie die Fir­ma Cal­lac­ti­ve? Cal­lac­ti­ve ist eine Ende­mol-Toch­ter, die Anruf­spiel­shows pro­du­ziert, die nachts im Fern­se­hen lau­fen.

Ich hät­te (wie vie­le ande­re ver­mut­lich auch) nie im Leben von Cal­lac­ti­ve gehört bzw. mir die­sen Fir­men­na­men nie gemerkt, wenn Cal­lac­ti­ve nicht den Betrei­ber des kri­ti­schen Web­fo­rums call-in-tv.de vor Gericht zitiert und es damit auch in ein Main­stream-Medi­um wie „Spie­gel Online“ geschafft hät­te. Oder wenn Cal­lac­ti­ve nicht Ste­fan Nig­ge­mei­er, einen der meist­ge­le­se­nen deut­schen Blog­ger, abge­mahnt hät­te (für Kom­men­ta­re, die Leser abge­ge­ben hat­ten), was dann sogar dem öster­rei­chi­schen „Stan­dard“ eine kur­ze Mel­dung wert war.

Als ahnungs­lo­ser, nai­ver Zuschau­er (des Gesche­hens, nicht der Sen­dun­gen) sit­ze ich vor sol­chen Mel­dun­gen und fra­ge mich, ob man es im Umfeld von Cal­lac­ti­ve wirk­lich für klü­ger hält, im Kon­text der Pro­zes­se von renom­mier­ten Medi­en als „der umstrit­te­ne Gewinn­spie­le­ver­an­stal­ter Cal­lac­ti­ve“ bezeich­net zu wer­den, als die Kri­tik der Web­kom­men­ta­to­ren (auch wenn die­se mit­un­ter etwas über­spitzt for­mu­liert sein mag) ein­fach zu igno­rie­ren. Immer­hin dürf­ten call-in-tv.de und das Blog von Ste­fan Nig­ge­mei­er (durch­schnitt­lich 5.000 Besu­cher täg­lich) deut­lich weni­ger Leser haben als die Anrufsen­dun­gen Zuschau­er und die Schnitt­men­ge bei­der Ziel­grup­pen dürf­te ver­schwin­dend gering sein.

Jeden­falls: Cal­lac­ti­ve hat Ste­fan Nig­ge­mei­er ein wei­te­res Mal abge­mahnt – wie­der geht es um einen Leser­kom­men­tar:

Es geht um einen Kom­men­tar, den ein Nut­zer am ver­gan­ge­nen Sonn­tag um 3.37 Uhr früh unter die­sem Ein­trag abge­ge­ben hat. Ich habe die­sen Kom­men­tar unmit­tel­bar, nach­dem ich ihn gese­hen habe, gelöscht: Das war am Sonn­tag um 11.06 Uhr.

Zunächst ein­mal fällt auf, dass man Ste­fans Blog bei Cal­lac­ti­ve offen­bar mit Argus­au­gen beob­ach­tet – wem sonst wäre ein mit­ten in der Nacht geschrie­be­ner und am Sonn­tag­vor­mit­tag gelösch­ter Kom­men­tar zu einem Blog­ein­trag, der zuvor wäh­rend Ste­fans Urlaub und mei­nes Blog­sit­tings zehn Tage lang für Kom­men­ta­re gesperrt gewe­sen war, auf­ge­fal­len?

Dann fällt auf, dass da offen­bar end­lich Klar­heit geschaf­fen wer­den soll auf dem Gebiet der immer noch recht schwam­mi­gen Foren­haf­tung. Eine Klar­heit, die Ste­fan so sieht:

Hät­te Cal­lac­ti­ve mit die­sem Vor­ge­hen Erfolg, wäre das mei­ner Mei­nung nach das Ende der offe­nen Dis­kus­si­on in Foren und Blogs, in den Leser­kom­men­ta­ren von Online-Medi­en und im Inter­net über­haupt. Selbst Bei­trä­ge, die unmit­tel­bar nach ihrem Erschei­nen vom Sei­ten­be­trei­ber gelöscht wer­den, könn­ten dann kos­ten­pflich­ti­ge Abmah­nun­gen nach sich zie­hen; sämt­li­che Kom­men­ta­re müss­ten vor ihrer Ver­öf­fent­li­chung über­prüft wer­den.

Man möch­te hin­zu­fü­gen: Und selbst, wenn der Betrei­ber eines Forums oder Blogs alle Kom­men­ta­re vor der Ver­öf­fent­li­chung über­prü­fen und nur die ihm unbe­denk­lich erschei­nen­den frei­schal­ten wür­de, könn­te er hin­ter­her immer noch belangt wer­den, falls sich irgend­ei­ne abwe­gi­ge Inter­pre­ta­ti­on des Geschrie­be­nen fin­den und vor Gericht durch­drü­cken lie­ße.

Mit die­ser Angst müss­ten aber nicht nur Blog­ger leben, auch die Kom­men­tar- und Dis­kus­si­ons­funk­tio­nen nam­haf­ter Online-Medi­en wie „Spie­gel Online“, „sueddeutsche.de“ oder „FAZ.net“ könn­ten allen­falls noch mit einem enor­men Per­so­nal­auf­wand auf­recht­erhal­ten wer­den. Bewer­tungs­por­ta­le wie Ciao, Qype, ja: selbst Ama­zon müss­ten stän­dig in Sor­ge sein über das, was ihre User und Kun­den da an (gewünscht sub­jek­ti­ven) Ein­trä­gen ver­fas­sen.

Mit ande­ren Wor­ten: Es gin­ge schnell nicht mehr „nur“ um Mei­nungs- oder Pres­se­frei­heit, es gin­ge auch ganz knall­hart um wirt­schaft­li­che Aspek­te, denn kein Unter­neh­men begibt sich bereit­wil­lig auf juris­ti­sche Minen­fel­der. Es geht, lie­be Poli­ti­ker, auf lan­ge Sicht um Steu­er­gel­der, das Brut­to­in­lands­pro­dukt und – *tat­aaaa* – Arbeits­plät­ze. Deutsch­land könn­te irgend­wann wie Nord­ko­rea sein, nur ohne Kim Yong-Il. Das will sicher nie­mand, auch nicht die Poli­ti­ker, die jeden Tag aufs Neue zu bewei­sen ver­su­chen, dass sie von den sog. neu­en Medi­en nicht den Hauch einer Ahnung haben.

Um vom Abs­trak­ten wie­der zum Kon­kre­ten zu kom­men: Cal­lac­ti­ve dürf­te es mit der jüngs­ten Akti­on gelun­gen sein, das Blogo­sphä­ren-The­ma die­ser Tage zu wer­den: Bei Spree­blick, einem der ande­ren viel­ge­le­se­nen Blogs in Deutsch­land, ist man The­ma, aber auch hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. Eigent­lich ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis auch die „klas­si­schen“ Medi­en das The­ma für sich ent­de­cken.

In eini­gen Blogs sind inzwi­schen sogar Kom­men­ta­to­ren auf­ge­taucht, die sich „Cal­lac­ti­ve“ nen­nen und den angeb­li­chen Satz, um den sich dies­mal alles dreht, zitie­ren (er wur­de inzwi­schen von den Blog-Betrei­bern unkennt­lich gemacht). Soll­te die­ser Kom­men­tar echt sein (was Cal­lac­ti­ve gegen­über dem Blog­ger Valen­tin Toma­schek zu bestä­tigt haben scheint), wäre das höchst inter­es­sant: Ers­tens wäre es recht offen­sicht­lich, dass Cal­lac­ti­ve das Inter­net sehr genau auf mög­li­che Erwäh­nun­gen des Fir­men­na­mens über­wacht (was natür­lich ihr gutes Recht ist), und zwei­tens hät­te Cal­lac­ti­ve den Satz, den zuvor nie­mand kann­te und des­sen wei­te­re Ver­brei­tung man mit der Abmah­nung an Ste­fan ver­hin­dern woll­te, damit laut­stark in die Welt getra­gen. Außer­dem ver­weist der Kom­men­tar auf den ein­zi­gen halb­wegs Nig­ge­mei­er-kri­ti­schen Blog­ein­trag zum The­ma bei F!XMBR, was wie­der­um Chris von F!XMBR dazu brach­te, sich von der loben­den Erwäh­nung sei­nes Blogs in den ver­meint­li­chen Cal­lac­ti­ve-Kom­men­ta­ren zu distan­zie­ren.

Es könn­te inter­es­sant sein, sich heu­te Abend doch mal Cal­lac­ti­ve-Sen­dun­gen (auf Viva, Nick und Come­dy Cen­tral) anzu­se­hen …