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“Die Kunst ist dazu da, beim Zuhörer Jammern und Schaudern zu erwecken.”

Manchmal ist es schrecklich, Musikjournalist zu sein und Musiker zu interviewen: Sie sind aus irgendwelchen Gründen schlecht gelaunt, antworten nur sehr knapp oder gar nicht und am Ende hat man vielleicht drei, vier Sätze, mit denen man etwas anfangen kann.

Manchmal ist es schrecklich, Musiker zu sein und von Musikjournalisten interviewt zu werden: Sie haben sich kulturtheoretisch komplexe Frageblöcke ausgedacht, stellen völlig verquere Fragen oder schweigen plötzlich einfach.

Sven Regener von Element Of Crime, der sehr gute Sachen sagt, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt, beweist in einem Interview mit der Netzeitung, dass er fast noch bessere Sachen sagt, wenn man ihm die falschen Fragen stellt:

Warum heißt es in einem Song, «Wo Deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt»?

Ja, warum denn nicht. Weil es richtig ist und weil es zu demjenigen gehört, dessen Rolle er einnimmt.

Stephanie Weiß, die sich sicher irre viele Gedanken gemacht hat, was sie den von ihr hochverehrten Musiker so fragen könnte, fragt sich um Kopf und Kragen – bis sie schließlich gar nichts mehr sagt:

(Langes Schweigen)

Ja, ich meine, INTERVIEW, Frau Weiss! Haben Sie noch Fragen?

Das erstaunliche an diesem Interview ist zum Einen, dass es offenbar nicht “glattgebügelt” wurde, d.h. die Interviewerin ihre Fragen im fertigen Text nicht frecher oder intellektueller (bzw. in diesem Fall: weniger intellektuell) formuliert oder für sie unvorteilhafte Stellen und Antworten entfernt hat. Ein solches Dokument des eigenen Scheiterns öffentlich zu machen, erfordert Mut und verdient Respekt. Zum Anderen funktioniert das Interview aber trotz solcher Szenen und diverser Wiederholungen immer noch erstaunlich gut. Es gibt Künstler, die wären irgendwann einfach gegangen und hätten das Gespräch damit wohl automatisch einer medialen Verwertung entrissen. Sven Regener aber blieb und formulierte zum dritten, vierten, fünften Mal (als Antwort auf die dritte, vierte, fünfte Frage zum Thema) sein Anliegen, den Hörern keine Interpretation seiner Texte vorschreiben zu wollen:

Kunst kennt keine Beipackzettel. Wenn man ein Kunstwerk schafft, dann kann man den Leuten nicht sagen, so oder so habt ihr es zu verstehen.

Nach der Lektüre glaubt man zu wissen, warum Sven Regener so großartige Texte und auch so fantastische Bücher (“Herr Lehmann”, “Neue Vahr Süd”) schreibt: Er hat einfach ein Gespür für Sprache und denkt einen Moment länger als andere darüber nach, wie er etwas formuliert.

Netzeitung.de: Ein weiterer Erklärungsversuch: Sie schaffen es, mit einer schweren Leichtigkeit oder leichten Schwere aktuelle Befindlichkeiten zu treffen.

Regener: Das Wort Befindlichkeit finde ich gar nicht gut.

Netzeitung.de: Ist Zeitgeist besser?

Regener: Nein.

Netzeitung.de: Hm (Schweigen)

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Musik Digital

Das Jahr Paranoia

Es könnte eine Satire sein: Band verteilt als Teil einer Marketingaktion freigiebig ungeschützte Musik, Fans nehmen dankbar an der auf Verwirrung und Ausuferung angelegten Kampagne teil und stellen die Songs ins Netz, und die ewig tollwütige RIAA überzieht Webseitenbetreiber mit Drohungen und Unterlassungsklagen. Ehrensache, daß sich die pflichtschuldigen Anwälte der Musikindustrie vorher nicht darum gekümmert hatten, daß die fraglichen MP3s eben nicht “Raubkopien”, sondern Mittel zum gezielten Marketing und zur Zielgruppenbindung waren.

Aber von vorn: Trent Reznor, Kopf der amerikanischen Industrial-Rocker Nine Inch Nails, hatte für sein am kommenden Freitag erscheinendes Album “Year zero” eine Vision. In nicht allzu ferner Zukunft seien die USA dermaßen den Bush Bach runter, daß die christliche Rechte endgültig die Macht übernommen hat und das Ende der Welt heraufbeschwört. Eine Orwellsche Dystopie, die Reznor nicht nur in 16 gewohnt düsteren Tracks skizziert, sondern für die er auch noch einen unmittelbaren Nachfolger (sowie einen Film) in petto haben soll. Und mit einem parallel laufenden Alternate-Reality-Spiel die Verwirrung munter anheizt.

Spätestens das verzwickte Drumherum der TV-Serie “Lost” zeigte, wie virales Marketing soziale Netzwerke nutzt sowie alte und neue Medien virtuos miteinander verknüpft, ohne mit bunten Aufklebern, überladenen Flash-Animationen und klingeltondurchsetzten Trailern wuchern zu müssen. So spann Reznor (bzw. spannen seine Marketingfachleute) ein finsteres Netz: mit in Konzerthallen versteckten USB-Sticks, Einblendungen in Videoclips und Hinweisen auf T-Shirts. Mit versteckten Telefonnummern und geheimen Botschaften über Bioterrorismus und fiktionale Drogen. Mit einer Unzahl verschiedener PropagandaWebsites, die das Spiel weitertreiben. Allerlei Bruchstücke, Andeutungen und Fußangeln. In Bild und Ton versteckte Hinweise auf eine übersinnliche Präsenz und andere Seltsamkeiten. Und ein ominöses US-Büro für Moralität, an das man sich wenden möge, wenn man bei sich selbst oder bei anderen subversives Gedankengut feststelle. (Selbst betroffen? Sachdienliche Hinweise bitte an 1-866-445-6580.)

All das hätte die sinnfreie Aktion der RIAA mindestens torpedieren können. Wenn das Netz nicht viel schneller wäre, als eine lahme Behörde es je sein könnte. Und so ist der vermeintliche Schlag der Musikindustrie gegen das digitale Böse, der so seltsame Parallelen zu der entworfenen Zukunft von “Year zero” aufweist, auch nur noch ein zusätzliches Promotiontool für das Album und die Single “Survivalism”. Chapeau!

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Musik

Hype aus deutschen Landen: die Kilians klopfen an

Wenn man mich in einer fernen oder auch näheren Zukunft einmal bäte, Deutschland am Osterwochenende 2007 zusammenzufassen, so wären meine Worte wohl: “Alte Männer sagten dumme Dinge, mein Lieblingsverein stand mal wieder kurz vor dem Abstieg (ich hoffe aber immer noch, den Halbsatz “der aber mal wieder in letzter Sekunde abgewendet werden konnte” nachschieben zu können) und die wichtigste Person im ganzen Land war ein junger Eisbär. Aber ich war dennoch guter Dinge, denn ich hörte Musik, die mich sehr glücklich machte.”

Die Musik ist die “Fight The Start”-EP der Kilians, die man hier bereits jetzt (und damit zwei Wochen vor ihrer Veröffentlichung) hören kann.

Die Geschichte dazu geht so: Vor ziemlich genau anderthalb Jahren sagte mein kleiner Bruder zu mir: “Hör Dir das mal an, das sind Freunde von mir …” Ich hörte mir ein paar MP3s an und was ich hörte, machte mich schlicht und ergreifend sprachlos. Die sechs Songs klangen, als kämen sie direkt aus einem schimmligen Proberaum in London oder New York, jedenfalls überhaupt gar nicht nach einer Schülerband aus Dinslaken. Aber genau das war es.

Ein paar Wochen später hatte sich die Band endlich auf einen Namen geeinigt: The Kilians. Bei CT das radio bekamen sie mit “Jealous Lover” ihren ersten Airplay und wurden zur Abstimmung für die Campuscharts vorgeschlagen. 2006 begann mit Platz Vier in eben jenen Campuscharts und einem einseitigen Artikel im Dinslakener Lokalteil der “Rheinischen Post”. Eine Woche später ging der Song auf Platz 3 (hinter Franz Ferdinand und Tomte) und drei Wochen später hatte Thees Uhlmann das Demo gehört und für gut befunden. Für so gut, dass er seine Bandkollegen überzeugte, die fünf Jungs (einmal, ein einziges Mal darf man eine Band als “Jungs” bezeichnen – zumindest, wenn der jüngste gerade erst 18 ist), die er noch nie zuvor auf der Bühne gesehen oder auch nur getroffen hatte, für sieben Abende im Vorprogramm mitzunehmen.

Die Tour wurde ein Erfolgszug sondergleichen. Publikum und Hauptband schlossen die Frischlinge, die zuvor gerade eine Handvoll Konzerte im weiteren Bekanntenkreis gespielt hatten, sofort in ihre Herzen. Die am heimischen PC gebrannten EPs gingen noch vor der Hälfte des Wegs aus und mussten im Tourbus und noch in der Konzerthalle auf zusammengeliehenen Laptops nachgebrannt werden. Am Ende einer Woche waren über 700 Stück verkauft, was bei einer Media-Control-Erfassung locker für die deutschen Singlecharts gereicht hätte. Und Thees Uhlmann ließ kaum noch eine Gelegenheit aus, seinen neuen Freunde über den grünen Klee zu loben.

Mitte Juni, noch ehe Simon, Dominic, Arne, Gordian und Micka das einjährige Bandjubiläum feiern konnten, hatten sie Konzerte in den Epizentren Hamburg und Berlin gespielt, eine Erwähnung im Musikexpress erhalten und waren mit ihrer EP “Demo des Monats” in der Visions. Zwei Monate später waren sie in einem von Red Bull umgespritzten alten Schulbus kreuz und quer durch Deutschland unterwegs, stellten ihr Gefährt auf den Zeltplätzen der wichtigsten Musikfestivals ab und spielten auf dem Dach kleine, umfeierte Guerillakonzerte – sofern die Polizei ihnen nicht gerade den Strom abgestellt hatte.

Im Herbst ging es dann zu Swen Meyer, der zuvor schon die Grand-Hotel-van-Cleef-Klassiker von kettcar, Tomte und Marr aufgenommen hatte, ins Hamburger Studio. Die ersten Früchte dieser Arbeit sind jetzt auf der EP “Fight The Start” zu hören, die am 20. April über Vertigo Berlin, Grand Hotel van Cleef und Universal in den Handel kommen wird – und vorab auf der (obligatorischen) MySpace-Seite der Band, die sich inzwischen vom Artikel im Bandnamen getrennt hat, durchgehört werden kann.

Die Teenies rasten aus, als hätten die Arctic Monkeys und Tokio Hotel uneheliche Kinder gezeugt, die dann auch noch sofort der Pubertät entsprungen sind, und die Indienazis in den einschlägigen Foren meckern: “unglaublich öde”, “Untalentierte, und vor allem identitätslose, Görenkombo!”, “Für eine deutsche Band, die versucht englisch zu klingen, vielleicht ganz nett. Aber mehr auch nicht.”

Der Vorwurf, dass deutsche Künstler (also solche, die zufälligerweise auf dem Stück Land geboren wurde, auf dem in Erdkundeatlanten immer “Deutschland” steht), gefälligst auch danach zu klingen haben (wie auch immer man sich das vorzustellen hat), schaffte es bis in eine Arctic-Monkeys-Konzertkritik bei intro.de: “Ich hatte schon vorher Stoßgebete in den Himmel geschickt: ‘Bitte nicht schon wieder eine Dinslakener Band, die sich einbildet in Camden zu wohnen!'” Andererseits auch ein ziemlich cooler Satz, der zeigt, dass die Kilians in den Köpfen der Kritiker angekommen sind – und impliziert, dass Dinslaken noch mehr zu bieten hat.

Und in der Tat: für knapp 72.000 Einwohner hat Dinslaken eine geradezu blühende Musikszene. Mit Leo Can Dive (vgl. Miles, Chewy, Jimmy Eat World) und The Rumours (vgl. Arctic Monkeys, The Libertines, Black Rebel Motorcycle Club) stehen gleich die nächsten Indiebands zum großen Sprung bereit. Die Dorfjugend engagiert sich in Vereinen zur Szeneförderung und tut sich gegenüber den Kilians dann doch vor allem mit Neid und fast aggressiver Ablehnung hervor. Es geht ja auch nicht an, dass man Bands, die seit dem letzten Jahrtausend vor sich hinmucken, plötzlich rechts überholt – und das mit einer Professionalität und Coolness, die für die Punk- und Emokiddies in Ermangelung eines größeren Wortschatzes natürlich nur eines sein kann: “Arroganz”.

Genauso verhält es sich mit der Beschreibung der Musik: Wer den Kilians vorwirft, sie machten “Sound, Auftreten und Songwriting” der Strokes nach, der macht sich verdächtig, außer den Strokes nicht allzu viele andere Bands zu kennen. Natürlich klingen die Kilians auch nach The Strokes, aber eben auch nach mindestens zwei Dutzend anderen Bands der letzten vierzig Jahre. Das reggaeinspirierte “Inside Outside” könnte auch von The Libertines (oder wenigstens den Dirty Pretty Things) sein, “Take A Look” ist Blues, mit Mitteln des Ruhrgebiets nachempfunden, und wo “Fool To Fool” eigentlich herkommt, könnten wohl höchstens The Kooks oder – *Tadaa!* – The Beatles erklären. Und dann klingt es noch nach Franz Ferdinand, Oasis, Mando Diao und diversen weiteren Bands, aber eben immer auch eindeutig nach den Kilians, was nicht zuletzt der beeindruckenden Stimme von Simon den Hartog (“singt als hätte er schon alles erlebt”, Thees Uhlmann) liegen dürfte.

Ja, das ist eine Geschichte wie aus einem Märchen oder wenigstens aus dem Mutterland des Pop – und sie hat gerade erst angefangen. Wie die Kilians letztendlich einschlagen werden, wird sich ebenso zeigen wie was die Fachpresse davon hält. Aber schon jetzt steht fest: das ist keine alltägliche Geschichte aus einem Land, in dem sich die sozialdemokratische Partei einen “Popbeauftragten” leistete und in dem die großen Stadien seit mindestens 15 Jahren von den immergleichen Künstlern gefüllt werden.

Was man den sympathischen und kreativen jungen Männern jetzt nur noch wünschen kann ist (neben dem ganz großen Durchbruch, der eigentlich nur eine Frage der Zeit sein sollte), dass die Leute lernen, den Bandnamen richtig zu schreiben: ohne “The” und mit einem L.

Kilians - Fight The Start

Kilians-Website
Kilians bei MySpace.com
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Musik

Die Jugend von morgen

Morgen erscheinen zwei Alben, die – auch wenn sie auf den ersten Blick sehr verschieden sind – ein paar Gemeinsamkeiten aufweisen: beide stammen aus der Feder von jungen Männern und beide gefallen mir außerordentlich gut.

Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Lass uns Schubladen verbrennen mit Sam Duckworth. Der schnappt sich seine Akustikgitarre und singt Melodien, die einen zunächst einmal an so richtig emo-mäßige Songs denken lassen. Aber noch bevor man “Dashboard Confessional lässt grüßen” in seinen Unterarm ritzen kann, scheppern da verspielte Beats los und winken in Richtung The Postal Service und Electric President. Anders als die bisher genamedropten Künstler kommt Duckworth aus England und ist gerade 20 Jahre alt. Man müsste sich arg am Metaphernriemen reißen, um die Lieder nicht als Perlen zu bezeichnen und das Album zu hören klingt wie als Kind in die Sommerferien zu fahren. Und ehe meine Hilflosigkeit, das Unglaubliche in Worte zu fassen, noch weiter um sich greift, empfehle ich die Anschaffung des Werkes. Zur Not nach vorherigem Reinhören!

Mika – Life In Cartoon Motion
Die fantastische Single “Grace Kelly”, die einem auch beim hundertsten Hören noch nicht völlig auf die Ketten geht, hatte ich ja schon vor ein paar Wochen gelobt. Jetzt kommt das Album (natürlich mit abgerundeten Ecken) und da zeigt uns der 23jährige Mika, der in seinem Leben schon mehr erlebt hat als so mancher mit 75, wie Pop heute geht. Was sage ich dazu? Seit “Maybe You’ve Been Brainwashed Too” von den New Radicals, nach deren Gregg Alexander Mika immer wieder klingt, hab ich keine so charmant-bunte Pop-Platte mehr gehört. Wenn das Album nach zehn Songs vorbeige wäre, wäre es ein echtes Meisterwerk. Mit zwölf Nummern ist es nur eine großartige Scheibe für Freunde des etwas bubblegumigen Indiepops. Bitte ebenfalls kaufen und hören!

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Musik

Glamorous Indie Rock’n’Roll

Als The Killers, die erste Rockband, die es je aus Las Vegas lebend herausgeschafft hat, vor drei Jahren ihr Debüt “Hot Fuss” veröffentlichten, sagten alle: “Boar geil, dieser Eighties Sound und diese Texte und diese ganze Ironie.” Als The Killers im vergangenen Jahr ihr Zweitwerk “Sam’s Town” veröffentlichten, sagten alle: “Oh weh, das klingt ja, als sei Bruce Springsteen unter dem Joshua Tree geboren worden. Der Sänger trägt einen Schnauzbart und der Gitarrist sieht aus wie jemand von Europe – oder wenigstens wie Brian May. Was machen wir denn, wenn das gar keine Ironie ist?”

Wer es ernst meint, hat es noch wie vor schwer im Rockbusiness. Schwerer hat es nur derjenige, bei dem man nicht weiß, ob er es ernst meint. Da rüpelt Sänger Brandon Flowers durch die Musikpresse, verpasst The Bravery, Panic! At The Disco und Green Day ein paar verbale Abreibungen und verkündet, das eigene Album sei eines der besten der letzten zwanzig Jahre, nur um dann ein paar Wochen später wie ein beliebiger Bundespolitiker wieder zurückzurudern mit dem Hinweis, das alles nicht so gemeint zu haben. Also wieder nichts geworden mit der Hoffnung, irgendjemand könnte die Gallaghers doch noch als Großkotze des internationalen Rock’n’Roll-Circus beerben. Flowers, so war zuletzt im Musikexpress zu lesen, halte sich selbst für nicht sonderlich eloquent und sage dann manchmal Sachen, die er hinterher bereue. Am liebsten sage er aber nichts.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Anzahl der Zwischenmoderationen beim gestrigen Killers-Konzert im ausverkauften Kölner Palladium auf ein Minimum beschränkten. Die Band war auch mit wichtigerem beschäftigt: nach der ganz famosen britischen Vorgruppe Mumm-Ra und nach einem Multimedia-Intro, das sich gewaschen hat, standen The Killers plötzlich im Glitterregen (rot-weiß-blau, of course, und silber) auf der Bühne, spielten die ersten drei Stücke von “Sam’s Town” durch und starteten damit eine Party, bei der in knapp 80 Minuten mehr los war als im Borussiapark zu Mönchengladbach in einer ganzen Saison. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne den sonst so verbreiteten Drang, die ganz großen Hits alle erst in der Zugabe zu verbraten, reihten The Killers ihre Singles wie die Perlen einer etwas übertrieben glitzernden Kette aneinander: “Bones”, “Somebody Told Me”, “Jenny Was A Friend Of Mine” und “Smile Like You Mean It” als Nummern Vier bis Sieben im Set, so hintereinander weg.

Das Publikum hatte vom ersten Takt an die Hände in der Luft und machte Party, Party, Party. Ich war nach zwanzig Minuten körperlich am Ende und fragte mich, wie die ganzen Duracell-Häschen um mich herum ihr Pensum aufrechterhalten konnten. Und: Nein, nicht alle waren jünger. Ruhig wurde es eigentlich nie, einzig ein paar Intros und Zwischenspiele waren nicht so beatgetrieben wie der Rest der Show. Aber waberten gerade mal sphärische Keyboard-Teppiche durch das aufgeheizte Palladium, war das Publikum sein eigener Anheizer und klatschte, was die Hände hergaben (und wie es sich gehört, klatschte es natürlich ohne einen Hauch von Rhythmusgefühl, so dass man das Gefühl hatte, Drummer Ronnie Vannucci würde statt seiner Bassdrum lieber einigen Zuschauern den richtigen Beat einprügeln). Es war ein Hüpfen und Springen und Tanzen und man musste sich wieder fragen, warum man eigentlich nie mit den attraktiven Indiemädchen zusammenstößt – “Don’t you wanna feel my skin on your skin?” -, sondern einem immer nur die gesetzteren Damen auf die Zehen hopsen. (Preisfrage am Rande: Warum hab ich mich mit 1,85 m nur so verdammt klein gefühlt und wie viel haben die wirklich kleinen Indiemädchen eigentlich noch von dem auch nicht sonderlich großen Brandon Flowers sehen können?)

Noch vor der Zugabe erklang “Mr. Brightside”, der vielleicht größte Hit der Band bisher, im Zugabenblock verbeugten sich The Killers mit einer Coverversion von “Shadowplay” vor Joy Division (The Killers benannten sich ja nach der Fantasieband gleichen Namens im “Crystal”-Video der Joy-Division-Nachfolgeband New Order) und zum Abschluss gab es dann den “Sam’s Town”-Schlusstrack “Exitlude”. Und hintendran noch mal einen Refraindurchlauf von “When You Were Young”. Mehr Hits, mehr Stimmung ging wirklich kaum, es wäre körperlich kaum zu verkraften gewesen. Das Glaubensbekenntnis der Band und der Fans war sowieso schon mitten im Konzert erklungen: “Glamorous Indie rock’n’roll is what I want / It’s in my soul, it’s what I need”. Nicht mehr, aber nun wirklich auch nicht weniger.

Und für die Freunde von Listen, Statistiken und Namedropping gibt es hier noch die komplette Setlist:

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Musik

Voll auf die … Ach, lassen wir das!

Den Deutschen sagt man ja (neben vielem anderen) auch ein etwas gestörtes Verhältnis zur Popkultur nach. Wenn also die Veröffentlichung eines neuen Tonträgers in jedem Medium von der F.A.Z. bis zur “Vanity Fair”, von “Wetten dass…?” bis zu MTV thematisiert wird, dann ist das schon etwas ganz besonderes. Herbert Grönemeyer ist populärer als jeder andere deutsche Musiker und so über jeden Zweifel erhaben wie andernorts Bob Dylan. Eine CD-Besprechung verbietet sich fast von selbst, denn kein noch so kritischer Musikjournalist mag an Grönemeyer herummäkeln. Er ist einfach eine Ausnahmeerscheinung, auch wenn er das selber nicht hören mag. In den letzten Wochen hat Grönemeyer so viele Interviews gegeben, dass man als aufmerksamer Medienkonsument mittlerweile an seiner statt Interviews geben könnte (was aktuell übrigens auch für Christoph Maria Herbst und den Start der dritten “Stromberg”-Staffel gilt).

Jetzt kreist “Zwölf” endlich seit ein paar Tagen in meinem CD-Laufwerk und in der Tat habe ich keine Ahnung, was ich darüber schreiben sollte. Wie schon bei “Mensch” bin ich mir sicher, dass es sich um ein wichtiges Album mit ausgefeilter Musik und klugen Texten handelt, und wieder hab ich keine Ahnung, ob mir das Album persönlich jetzt sehr viel oder gar nichts bedeutet. Dieses Gefühl habe ich wirklich nur bei Platten des Ex-Bochumers. (Wäre dies ein Zeitungsartikel, hätte der Textchef gerade “Ex-Bochumer” durchgestrichen und “Wahl-Londoner” hingeschrieben. Aber Lokalpatriotismus ist halt stärker als der Drang zum Mainstream-Synonym.) Schon beim ersten Hören kommt einem die Musik seltsam vertraut vor und selbst wenn Grönemeyer immer wieder betont, wie unwichtig ihm selbst die Texte eigentlich seien: in jedem Lied findet sich mindestens eine Zeile, die man unter “Das hat er wieder sehr schön gesagt” in sein Notizbüchlein kritzeln möchte.

Und weil mir immer noch zwei Tonnen Hermeneutik und die eigene diffuse Erwartung den Zugang dem Werk versperren, stattdessen hier ein paar Fakten und Beobachtungen:

  • Aus Gründen, die wohl nur der Plattenfirma EMI bekannt sind, erscheint die CD in einer “Super Jewel Box”. was eine normale CD-Hülle mit abgerundeten Ecken ist. Sieht im Regal total dämlich aus und man kommt schlecht ans Booklet ran. Aber weil Universal in Europa mit dieser Unsitte angefangen hat (richtige CD-Hüllen gibt es noch in den USA), musste EMI wohl nachziehen.
  • Für die epische Single “Stück vom Himmel” scheint Nick Ingham schon wieder den gleichen Streichersatz verwendet zu haben, den er auch schon bei “Whatever” von Oasis und zuletzt bei Grönemeyers eigenem “Demo (Letzter Tag)” verbraten hat.
  • “Marlene” klingt ein bisschen wie Peter Gabriel und behandelt auch ähnlich schwere Themen wie der Ex-Genesis-Sänger: Aids in Afrika.
  • “Ich versteh” erinnert wegen seines prominenten Bass-Einsatzes an Kompositionen von Sting. Also an die wirklich guten Sachen von Sting.
  • In “Zieh deinen Weg” singt Grönemeyer “Sei aus Unsicherheit nicht arrogant / Hab immer Mitgefühl als Unterpfand”. Es handelt sich damit erst um das zweite mir bekannte Lied, in dem das Wort “Unterpfand” vorkommt. Das andere ist die deutsche Nationalhymne.
  • Lied 12 (“Liebe liegt nicht”) fängt an wie irgendwas von Kaizers Orchestra. Danach spielt Fran Healy von Travis die Akustikgitarre (und ich bilde mir ein, ihn auch im Chor singen zu hören). Deren letztes Album hieß “12 Memories” und hatte auch zwölf Stücke, was eine nicht gerade unspannende Parallele zu Grönemeyers “Zwölf” ist.
  • “Zwölf” ist nicht der letzte Eintrag, wenn ich meine iTunes-Bibliothek alphabetisch nach Albumtiteln sortiere. Danach kommt noch (warum auch immer) “ZZYZX” von Zeromancer.

Doch, ich finde das Album schon sehr gut. Vielleicht ist es einfach normal, dass mich Grönemeyer-Alben nicht voll ins Herz treffen. Aber gerade der streichergetränkte Abschluss sorgt schon für Glücksgefühle. Die werden übrigens noch größer, wenn ich gerade noch eben die anderen Achtziger-Jahre-Deutschrockgrößen abhake: Westernhagen: lange nichts mehr gehört, hoffentlich bleibt das so; Maffay: schreibt Kindermusicals und stemmt bei Thomas Gottschalk Gewichte; Nena: ach, schweigen wir über Nena; Heinz Rudolf Kunze: tritt heute Abend beim Grand-Prix-Vorentscheid an. Damit wäre dann wohl alles gesagt.

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Musik

Mensch braucht HipHop

Sah ja fast schon so aus, als fehlte dem HipHop nur noch eine (weitere) Kugel im Brustkorb zum endgültigen Tod. Der Mainstream ist mittlerweile derart zugeschissen worden mit aufgepumpten Holadris (und ihren jeweiligen Posses), die gar nichts und noch weniger zu sagen haben, dass man schon froh ist, wenn irgendjemand mal ein Video ohne Frauenfeindlichkeiten zu Ende bringt. Die “Avantgarde” bei den Vorzeigelabels von Def Jux und Stones Throw scheint mir gleichzeitig ein bisschen selbstgefällig geworden zu sein, kaum mehr auszubrechen aus den selbst gesteckten, mühsam erarbeiteten Themenbereichen und Soundwelten. Und Dangermouse? Hatte schon bei Gnarls Barkley und den Gorillaz nur noch am Rande mit HipHop zu tun, bevor er zuletzt Platten von The Rapture und The Good, The Bad & The Queen betreute. Das jüngste Rapalbum deshalb, das mich völlig aufgefressen hat: Commons “Be” aus 2005, klug betextet, kein Bullshit drumherum und glänzend produziert von Kanye West, der damals noch Dinge zu beweisen hatte.

Das Gute nun an so einer Ausgangssituation: Im Prinzip konnte es für HipHop-07 nur aufwärts gehen, wenigstens an den Rändern des Genres, wo es nie viel zu verlieren, aber umso mehr zu holen gab. Wie schnell und steil das gerade passiert, finde ich trotzdem mindestens genauso überraschend wie erfreulich. Der März fängt gerade erst an, und es gibt trotzdem schon Einiges herzuzeigen:

Clipse – Hell Hath No Fury
Wirkt am Anfang etwas trocken und spröde, lebt im Endeffekt aber vor allem von diesen Eigenschaften. Unglaubliche Produktion von den Neptunes, sehr reduziert und trotzdem offen für Akkordeons und solchen Quatsch. Die Texte der beiden MCs dazu sind sehr böse und düster, fast schon verbohrt in ihre Hauptthemen (ca. Koks und Nutten), aber letztlich atemberaubend gut und konzentriert. Perfektes Pokerface, auch.

Dälek – Abandonded Language
Sind weggekommen vom Dröhnen und Ächzen der letzten Platte, jetzt ein bisschen zugänglicher und einfacher anzuhören. Der überwältigenden Tiefe ihrer Tracks hat das erstaunlicherweise nicht geschadet, es gibt immer noch ausreichend zu bemerken und verarbeiten, immer noch genug Rätselaufgaben von Dälek, dem kleinen, dicken MC mit der Donnerstimme. My Bloody Valentine in HipHop.

Talib Kweli & Madlib – Liberation
Konnte man sich Anfang des Jahres kostenlos auf der Stones-Throw-Homepage runterladen und war eigentlich nur als Warm-Up für Kwelis neue Platte gedacht, die irgendwann später in 07 kommen soll. Gerade diese zwanglose Herangehensweise hat der Sache sehr gut getan, die Old-School-Bläser-Samples knacksen und schleifen ganz herrlich, die Raps sind prima vertändelt. Wird nun doch noch “richtig” herausgebracht, vermutlich weil es zum Verschenken einfach zu gut war.

Busdriver – Roadkill Overcoat
Der Abenteuerspielplatz des HipHop. In der zweiten Hälfte verrennt es sich leider ein bisschen, davor brennt hier aber der Busch wie lange nirgendwo sonst mehr. “Less Yes’s, More No’s” muss bitte jeder gehört haben, viel präziser kann man einen solch sturen Schlagzeugbeat gar nicht mehr mit wunderbaren Kinderreien über den Bauch pinseln.

K-Os – Atlantis: Hymns for Disco
In dieser Liste wohl der Streber. Vielseitigkeits-HipHop, der sich bis zu Marvin Gaye rüberneigt, aber irgendwie immer noch die Kurve kriegt, bevor es zu viel werden könnte. Wyclef Jean würde so klingen, wenn er, na ja, wenn er gut wäre, vielleicht.

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Musik

Eine Idee zur Gewalt

Wenn Daniel schon gerechterweise von Modest Mouse schwärmt, fühle ich mich genötigt, auf die wundervolle Rose Kemp hinzuweisen, die ich unlängst schon auf Plattentests.de abfeiern mußte. Zu ihrem bewegenden Gemütsbrecher “Violence” haben Fránçois und Rozi Plain ein stimmungsvolles Video in Sepiafarben gedreht. Bunt ist anders. Aber sicherlich längst nicht so intensiv.

Und mit dem Geprügel der Dumpfbacken nicht nur im Fußballosten dieses Landes, sondern auch in anderen großen Fußballnationen wie Spanien oder Italien hat das zum Glück so wenig zu tun wie nur was.

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Musik Digital

12, 483, 1, 2:0 (Zusatzzahl: 2007)

Morgen erscheint das neue Album von Herbert Grönemeyer “Zwölf”. Morgen erscheinen aber auch die aktuellen Albumcharts, in denen, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, Tokio Hotels “Zimmer 483” auf Platz 1 einsteigen dürfte. Deswegen bin ich gerade ein bisschen am Recherchieren, um dann nächste Woche (wenn, jede Wette, Grönemeyer auf 1 gehen wird) einen schönen Eintrag über den musikalischen Generationenkonflikt, der vielleicht gar keiner ist, schreiben zu können.

Ich stolperte also gerade über ein Interview, dass Spiegel Online mit dem Magdeburger Quartett geführt hat. Kreative Idee dabei: Prominente wie Boris Becker, Bushido oder Jonathan Meese durften auch Fragen stellen. Aber auch Niels Ruf und Dolly Buster. Und das ging wie folgt:

NIELS RUF, Schauspieler und Comedian: Mir haben damals die Pressekonferenzen zur Auflösung von Tic Tac Toe wahnsinnig gut gefallen. Wie die sich da gestritten haben! Plant Ihr zu Eurer Auflösung etwas Ähnliches?
Bill: Ich fand das mit Tic Tac Toe auch lustig, aber leider müssen wir Dich enttäuschen: Wir haben noch nichts geplant. Ich glaube, wenn man sich trennt, sollte man das vernünftig machen.
Tom: Und ich glaube, das wird Niels Ruf auch nicht mehr miterleben.

Zugegeben: die Frage war lahm. Die Antwort von Tom Kaulitz dafür gar nicht mal so schlecht.

Noch besser aber:

DOLLY BUSTER: Und hattest Du schon mal Sex?
Bill: Ich?! Das werde ich auch Dir nicht verraten. Ich weiß auf jeden Fall, dass Du schon welchen hattest!

Ich bin mir noch nicht sicher, ob das eine richtig gute Replik oder so ein “Tataa!”-Karnevalsspruch ist, dafür hätte man wohl den Tonfall miterleben müssen. Trotzdem: Solche Antworten hätte ich den Jungs gar nicht zugetraut. Um so mehr freue ich mich auf das Chart-Rennen der nächsten Tage.

Nachtrag 2. März, 15:00 Uhr: Ich hab natürlich wieder überhaupt keine Ahnung von Charts. Offenbar beziehen sich die aktuellen (es gibt leider keinen Permalink) auf die Verkäufe von letzter Woche. Tokio Hotel (letzten Freitag erschienen) sind also nächste, Herbert Grönemeyer erst übernächste Woche dran. Was diese Woche auf 1 ist, gucke ein jeder lieber selber nach …

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Musik Rundfunk

Ships ahoy

Zu schön, um’s zu verpassen: Das Video zur ersten Single “Dashboard” aus dem neuen Modest-Mouse-Album “We Were Dead Before The Ship Even Sank”. Wir sehen darin Sänger Isaac Brock als ergrauten Seemann mit Mikrofonhakenhand (hinreissend gespielt!), atemberaubende Spezialeffekte, riesige Seeungeheuer und gegen Ende auch Johnny Marr als so eine Art Gitarre spielenden Fischmenschen. Hat der gewusst, worauf er sich bei Modest Mouse einlässt? Ist gar nicht so wichtig, das Album ist super geworden, “Dashboard” sowieso und sonst ist auch alles gut.

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Musik

Live Is Beautiful

Es ist fast fünf Jahre her, da veröffentlichte eine Band, die aus dem halben Commonwealth kam, ihr Debütalbum. Die Musikpresse schrieb mal wieder was vom Next Big Thing und das wären Vega4 sicherlich geworden – wenn ihr Album “Satellites” nur ein paar Jahre später erschienen wäre. Ihre Mischung aus U2, Embrace und sehr frühen Radiohead rauschte damals am Publikum vorbei, das sich kurz darauf lieber auf Coldplay, Snow Patrol und Razorlight stürzte. Lange Zeit hörte man gar nichts mehr von Vega4, dann gab es im letzten Frühjahr mit “You And Me” plötzlich ein Lebenszeichen auf ihrer MySpace-Seite und im Herbst erschien dann “You And Others” – allerdings zunächst nur in Großbritannien, in Deutschland ist es erst im April soweit.

Die Band hat viel Energie in dieses Album gesteckt und ihre neuen, elektronischeren Vorbilder wie The Postal Service mal mehr (“A Billion Tons Of Light”), mal weniger (“Tearing Me Apart”) auffällig zitiert. Mit dem Quasi-Snow-Patrol-Cover “Life Is Beautiful” (Produzent beider Bands ist Jacknife Lee, der auch schon für U2, Kasabian und zuletzt Bloc Party an den Reglern saß) und dessen Einsatz bei “Grey’s Anatomy” kann eigentlich nichts mehr schief gehen, jetzt fehlt nur noch das Publikum.

Ob es eine so brillante Idee war, die Band noch vor der offiziellen Albumveröffentlichung (und damit gänzlich ohne aktuellen Airplay) durch Deutschland touren zu lassen, ist eine Frage, die in den Büros der Sony BMG sicher ausgiebig diskutiert wurde. Auch die Frage, ob es denn ausgerechnet das zwar sehr schmucke, aber auch recht abgelegene Gebäude 9 sein musste, in dem die Band in Köln spielen sollte, kann man durchaus stellen. Im Nachhinein kann man aber beide Fragen mit einer lässigen Handbewegung abtun: es hat sich gelohnt.

86 Karten seien im Vorverkauf weggegangen, erzählte die Band hinterher, da standen etwa 120 Leute vor der Bühne. Von Anfang an war mir das Publikum irgendwie merkwürdig vorgekommen, kurz bevor die Vorband (Frictane aus Köln, sollte man mal im Auge behalten) anfing, dämmerte mir dann auch, was genau da nicht stimmte: ich war einer der jüngsten im ganzen Club (wahrscheinlich sogar der jüngste männliche Konzertbesucher), was einem mit 23 nicht mehr allzu häufig passiert. Was ich als “ältere Konzertbesucher” bezeichnen möchte, waren noch nicht einmal die Ü40-Sekretärinnen, die die Band wohl vor fünf Jahren im Vorprogramm von Bryan Adams für sich entdeckt hatten, sondern wirklich ältere Menschen beiderlei Geschlechts mit grauen Haaren und Windbreakern. Da denkt man bei einem Rockkonzert natürlich erst mal “Uff, was wollen die mir denn hier meine Jugendkultur wegglotzen?” bis einem auffällt, dass “generationsübergreifend” ein Attribut ist, das man außer Udo Jürgens und den Rolling Stones nicht ganz so vielen Musikern nachsagt.

Neun Songs standen auf der Setlist, zehn spielte die Band am Ende (weil sich eine Konzertbesucherin “The Caterpillar Song” vom Debüt gewünscht und sicherheitshalber gleich den ausgedruckten Liedtext mitgebracht hatte), davon sieben vom neuen Album. Für diese zehn Songs brauchte sie fast anderthalb Stunden, so lang gerieten manche Liveversionen und so viel redeten, nein: alberten Sänger John McDaid und der neue Bassist zwischen den Liedern herum. Besagtes “Life Is Beautiful”, die aktuelle Single in UK, ging als nicht enden wollender Stadionrock über die Bühne, inkl. einem Ausflug McDaids ins Publikum und halsbrecherischem Rumturnen auf den Monitorboxen. Sowas darf man aber auch nur machen, wenn man vor dem Lied den eigenen Vater anrufen lässt und sich über die Lautsprecher mit ihm unterhält.

Es macht immer Spaß, einer Band mit großer Spielfreude zuzuschauen, und es war schön anzusehen, wie sehr sich die Vier über den warmen Empfang in Deutschland und besonders in Köln gefreut haben. Als ich John McDaid nach dem Konzert fragte, warum es nur so wenige alte Songs zu hören gab, erklärte er mir, die neue Platte bedeute der Band sehr viel und sie wollten vor allem diese neuen Sachen spielen: “We might play some of the old stuff again when we’re doing two hour shows!” Auf einer Stadionbühne würden Vega4 sicher eine gute Figur machen. Bleibt nur zu hoffen, dass dann ein paar Leute mehr kommen.

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The höher they come, the blöder they fall

Es mag Zufall sein, dass es fast auf den Tag genau acht Jahre her ist, dass ich zum ersten Mal von Britney Spears hörte. Sie trat mit ihrer ersten Single “Baby One More Time” bei “Top Of The Pops” auf und als mein bester Freund und ich das sahen und hörten, gaben wir dem Mädel drei Singles, dann sei alles wieder vorbei. Ich gebe zu: wir hatten uns verschätzt. Es waren dann doch vier Alben, die zu bewerten hier gar nicht Thema sein soll. (Nur ein Hinweis sei erlaubt: dass “Baby One More Time” ein toller Song war, wurde spätestens ein Jahr später klar, als Travis ihn coverten.)

Die Frage, wann eigentlich Britneys letzte Single erschienen sei (und wie die klang), könnte ich nicht ohne vorherige Recherche beantworten. Aber das ist inzwischen auch völlig egal, es interessiert ja auch nur noch die wenigsten, dass Pete Doherty noch Musik macht (die letzte Babyshambles-EP, das weiß ich wenigstens, hieß “The Blinding” und erschien Ende 2006). Britney Spears, die ja sowieso immer schon ein beliebtes Thema des sog. Boulevard-“Journalismus” war, ist endgültig zum Traum eines jeden Gossenbeobachters geworden, weil sie alles, aber auch wirklich alles vereint, wofür man sonst Paris Hilton, Robbie Williams und Pete Doherty bräuchte – oder die jetzt nicht mehr verfügbare Anna Nicole Smith.

Jetzt (das ist der Bildzeitungs-Begriff für “vor einiger Zeit”, in diesem Fall: “letze Woche”) hat sie sich eine Glatze schneiden lassen, was die “Panorama”-Redakteure hunderter Online-Magazine in Verzückung versetze. Zwar gab es allenfalls zwei grieselige Fotos von Spears’ Platte, aber fast niemand ließ sich die Gelegenheit entgehen, noch mal eine Foto-Galerie mit den schönsten glatzköpfigen Frauen (Sinead O’Connor, Skin, Natalie Portman, Demi Moore) zusammenzustellen. Entsetzt wurde das Phrasenschwein gemolken und die ewig gleiche Frage, wie es nur so weit habe kommen können, in den Raum oder zumindest auf die Titelseiten gestellt. Frau Spears, die vor dem Friseurbesuch eine Entziehungskur abgebrochen hatte, begab sich in der Zwischenzeit in eine Entzugsklinik, checkte nach 24 stunden wieder aus und hat nach neuesten Meldungen grad zum dritten Mal innerhalb einer Woche eine Reha-Klinik aufgesucht. (Ich muss mich korrigieren: nach neuesten Meldungen soll Frau Spears mit einem Regenschirm auf ein Auto losgegangen sein, das entweder ihrem Noch-Gatten oder einem Paparazzo gehörte. Das mit der Klinik könnte natürlich trotzdem stimmen. Oder schon wieder überholt sein.)

Der ziemlich brillante amerikanische Popjournalist Chuck Klosterman sagt in einem (im November 2006 geführten) Interview in der aktuellen Galore:

Es ist schwierig, jemanden wie Britney satirisch zu begleiten. Wenn jemand vor zwei Jahren eine Parodie auf Spears verfasst hätte, was hätte er getan? Wahrscheinlich hätte man sie mit einem weißen Mittelstands-Mann verheiratet, der von sich denkt, er sei ein Rapper. Und der dann in ihrem Keller wohnt und hinterher um das Sorgerecht für die Kinder klagt, um an ihr Geld zu kommen. Das wäre glatt als Satire durchgegangen. Aber es ist wirklich passiert. Man hätte auch eine Szene schreiben können, wie Britney barfuß aus einer öffentlichen Toilette kommt. Auch das ist wirklich passiert.

Bei YouTube kann man sich ein Video ansehen, wie Britney Spears von Paparazzi bedrängt wird und schließlich ausrastet. Die Berufszyniker der Scum Press werden wieder was faseln von “Wer die Medien für seinen Aufstieg nutzt, muss auch damit rechnen, in der Zeitung zu stehen, wenn es mal nicht so gut läuft.” (das Zitat ist zusammenerfunden, sollte aber als authentisch durchgehen) und auch der kleine Mann auf der Straße wird wieder geistreiche Leserbriefe absondern mit Sentenzen wie “Ich kann das Gejammer der ‘Reichen und Schönen’ nicht mehr hören. Er hat sich für das Leben, das er führt, entschieden, und entscheidet sich jeden Tag aufs Neue dafür.” (aus den Kommentaren zu einem sueddeutsche.de-Artikels über Robbie Williams’ aktuellen Tablettenentzug, der sich sowieso schon wie ein Nachruf liest). Und warum gucken wir uns das alle an? Weil “die da oben” viel schöner und länger fallen können. Das Schlusswort dieses quirligen Gedankenhoppings gebührt deshalb Billy Wilder:

Der Unterschied zwischen einer Komödie und einer Tragödie ist: Ein Mann läuft eine Straße hinunter und fällt hin. Wenn er wieder aufsteht, ist das eine Komödie, die Leute lachen; bleibt er liegen, ist es eine Tragödie.