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Literatur

Eine spezielle Begabung

Schon als Alexander ganz klein war, wussten seine Eltern, dass er etwas ganz Besonderes war. Das denken die allermeisten Eltern von ihrem Nachwuchs, aber Alexanders Eltern wussten es. Manchmal vernahmen sie einen ganz leichten Lichtschein, wenn sie nachts an seinem Kinderbett vorbeigingen, doch wenn sie nachsehen wollten, ob die Rollläden vielleicht einen Spalt offen standen, verschwand das Leuchten. Dann wiederum gab es Tage, an denen sie meinten, leise eine Glocke klingen zu hören, wenn Alexander in ihrer Nähe war.

Alexander war ein hübsches Kind mit sanften Zügen, meerblauen Augen und blonden Locken und als seine Großmutter noch lebte, nannte sie ihn immer ihren “Engel”. Doch als er in die Pubertät kam, änderte sich sein Leben: Er begann, Punkrock zu hören, Bier zu trinken und nachts lange weg zu bleiben. Seine Eltern machten sich Sorgen, verhängten Hausverbote, deren Nicht-Einhaltung sie allerdings nicht ahndeten, und erkundigten sich im Bekanntenkreis, wie es um das Verhalten der Gleichaltrigen bestellt war. Aber tief in ihrem Inneren wussten sie, dass Alexander für höhere Aufgaben bestimmt war und sie ihn ziehen lassen mussten.

So folgte Alexander dem Ruf der Großstadt und trieb sich in zwielichtigen Läden herum, in denen britische Punk- und amerikanische Hardcore-Platten gespielt wurden, in denen Männer und Frauen und Männer und Frauen ungeschützten Sex auf den dreckigen Toiletten hatten und in deren Kellern oder Nebenräumen zu besonderen Feiertagen Crack vom Blech geraucht wurde. Alexander liebte die Musik, aber er hatte kaum Sex und nahm keine Drogen. Es reichte ihm, immer ein frisches Bier in der Hand zu halten und die Menschen zu beobachten, die sich um ihn herum gehen ließen. Er wohnte in besetzten Häusern und arbeitete als Aushilfe in Getränkelagern, Druckereien und in den Werkstätten der Städtischen Bühnen. Oft verlor er seine Anstellungen schnell wieder, weil er den Arbeitsplatz während der Dienstzeit verlassen hatte. Was damit zusammenhing, dass Alexander etwas ganz Besonderes war.

Die Götter, seit jeher darauf bedacht, die Menschen mit unterschiedlichen Fertigkeiten zu segnen, hatten Alexander eine etwas spezielle Begabung, ja: Aufgabe, mitgegeben: Wann immer in einer öffentlichen Gaststätte im Umkreis von 20 Kilometern das Wort “Hoden” fiel, klingelte ein Glöckchen in Alexanders Kopf und er eilte auf direktem Wege zu diesem Ort.

Auch die Götter waren sich nicht ganz sicher, warum genau sie Alexander mit dieser Superkraft versehen hatten, die bei Licht betrachtet absolut niemandem etwas nützte. Hinter vorgehaltener Hand mutmaßten sie manchmal, die Geschichte habe irgendetwas mit Rache, einer verlorenen Wette oder einem schrecklichen Missverständnis zu tun. Aber bei den vielen, vielen Menschen, die die Götter in all den Zeitaltern erschaffen hatten, ging eben mitunter etwas schief, und die meiste Zeit waren die Götter glücklich und zufrieden, wenn sie nicht schon wieder einen Diktator, Terroristen oder Fernsehmoderator kreiert hatten. Immerhin hatten sie bei Alexander wie auch bei vielen Künstlern darauf geachtet, den Überschuss an Talent durch eine Unterversorgung mit Sozialkompetenz auszugleichen.

Und so lief Alexander seit vielen Jahren in einer abgewetzten Lederjacke durch die Gegend und tauchte in Kneipen auf, in denen kurz zuvor das Wort “Hoden” gefallen war — was wesentlich öfter vorkam, als man annehmen würde. Wenigstens klingelte das Glöckchen nicht bei Synonymen, dachte Alexander in seinen optimistischeren Momenten und stellte sich vor, wie er sonst von Bordell zu Bordell, von Swinger-Club zu Swinger-Club rennen müsste.

Für den Fall, dass jemand Alexanders besondere Begabung durchschauen würde, hatten die Götter vorgesorgt: Derjenige würde dann ebenfalls ein Glöckchen hören, wenn andere, unverfänglichere Worte gesprochen würden. “Sekt”, zum Beispiel.

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Radio Rundfunk Literatur

Pop revisited

von Katharina Schliebs und Lukas Heinser

Einslive jedenfalls, die “Jugendwelle” des Westdeutschen Rundfunks, feierte am Freitag ihren 15. Geburtstag.

Wir verbrachten den ganzen Nachmittag in einer Köln-Ehrenfelder Wohnung, ließen uns bekochen und hörten dabei Einslive. Zumindest letzteres gehört zu den Dingen, die Menschen in unserem Alter sonst eher vermeiden. Doch diesmal war es etwas anderes: Wir hörten regelrecht gebannt zu und veranstalteten ein privates Popquiz, denn gefeiert wurde mit einem eigentlich nur brillant zu nennenden Sende-Marathon, in dem zwischen 6 und 21 Uhr jede Stunde einem anderen Jahr gewidmet war. Los ging es mit dem Jahr 2009 und dann immer weiter vorwärts in die Vergangenheit.

So saßen wir zu dritt vor dem Radio und hörten die Jahre 1998, 1997, 1996, 1995 und wurden dabei immer alberner und übertrafen und gegenseitig mit Nerdwissen aus 100 Jahren Popmusik. Dabei sind persönliche Musikhör-Biografien natürlich irgendwann stark abweichend zu dem, was im Radio an Musik läuft. Dennoch darf man nicht unterschätzen, wie viel Radio man dann aber doch gehört hat und wie viele Lieder man kennt, auch wenn man sie eigentlich schlimm oder belanglos findet (Wer um alles in der Welt kann ernsthaft auf die Idee kommen, ein so völlig egales Lied wie “Got ‘Til It’s Gone” von Janet Jackson irgendwie gut zu finden oder sogar die Single zu kaufen? Ein Riesenhit dennoch!), und wie viele Erinnerungen verbunden sind mit diesen Radiopopsongs und den Radiocomedys. Und sogar mit den Betten, Drops und Jingles! Niemals hätte man “Einslive macht hörig” rausschmeißen dürfen.

Exkurs “Nerdwissen über Einslive”: Früher kam direkt nach den Nachrichten eine Begrüßung. Mit dem Relaunch 2007 lief nach den Nachrichten erst ein Lied und dann sagte der Moderator Hallo. Sogar diesen Relaunch hat Einslive für einige Stunden zurückgenommen und die Moderatoren haben wieder direkt nach den Nachrichten eine Begrüßung gesprochen! Mit dem Original-Bett von früher! Und wenn das niemandem sonst auf der ganzen Welt aufgefallen sein sollte: In der Ehrenfelder Küche wurde es bemerkt. Und bejubelt. Exkurs Ende.

Je näher der Rückblick dem Gründungsjahr 1995 kam, desto deutlicher wurde die Rolle, die Eins Live bei der eigenen Adoleszenz gespielt hatte: Nahezu jeden Song konnten wir noch mitsingen — nicht bei jedem kannte man Titel und Interpret, aber wir hatten alles unzählige Male gehört. Damals tatsächlich noch ausschließlich über Radio, denn wir hatten ja nichts. Die Zielgruppe, die jetzt zuhause vor dem Webstream saß und damals noch gar nicht geboren war, wird in 15 Jahren kaum so viele gemeinsame Erinnerungen an ein Medium ihrer Jugend haben.

Wir fühlten uns natürlich alt und sprachen darüber, dass das Konservative manchmal auch seine guten Seiten habe, der Gastgeber brachte Bier — und das war der Moment, in dem wir entdeckten, dass die “Beck’s”-Flaschen neue Etiketten haben. Unsere Reaktion darauf darf man ruhig hysterisch nennen.

Was ja auch nur in einer Medienmetropole wie Köln geht: Den Beginn einer landesweit ausgestrahlten Sendung am heimischen Radio verfolgen und eine Stunde später selbst in der Sendung sitzen und applaudieren. Benjamin von Stuckrad-Barre war zu Gast in der Sendung “Klubbing” und das passte irgendwie ganz wunderbar zur Popkultur-Nostalgie an diesem Karfreitag: Stuckrad-Barre verkörpert die späten 1990er Jahre fast noch besser als Eins Live. Aber während der Sender mit seinem immer profilärmeren Programm gerade die größte Hörerschaft seiner Geschichte feiert, hat es der Literat mit seinem durchaus famosen neuen Buch “Auch Deutsche unter den Opfern” nicht mehr auf die sichtbaren Plätze irgendwelcher Bestselller-Charts geschafft. In großen Buchhandlungen liegen zwar genug Exemplare von “Axolotl Roadkill” aus, um damit die ganze Oberstufe eines Gymnasiums zu versorgen, aber den neuen Stuckrad-Barre müsste man bestellen. Wenn einem das jemand vor zehn Jahren erzählt hätte, als man am Tag der Veröffentlichung von “Blackbox” kleine Buchläden in Dinslaken und Göttingen gestürmt hat …

Wenigstens seine Lesungen (zuletzt gerne mit Christian Ulmen) sind immer noch ausverkauft. Und auch hier im dritten Stock über dem nächtlichen Mediapark ist der Einslive Salon gut besucht. Außen an der Tür hängt immer noch ein Schild, das den Raum als “Kultkomplexcafé” bezeichnet, dieser seltsam absurde Name, der in seiner Eigenartigkeit unbedingt erhaltenswert gewesen wäre, denn “Salon” ist ja nun doch, mit Verlaub, immer noch das, wo man zum Haareschneiden hingeht.

Das erste Gespräch, das Sabine Heinrich mit Stuckrad-Barre noch ohne Publikum im Studio führte, ließ zwar nicht das Schlimmste, aber doch Ungutes befürchten: Nach einem etwas umständlichen “Sie oder Du”-Einstieg waren die beiden ungefähr eine Minute beim sehr unergiebigen Thema “Ostermärsche” hängen geblieben, wobei Stuckrads Antworten zusehends knapper und genervter klangen.

Doch dann steht sie vor einem und man ist sofort verzaubert: Sabine Heinrich hört sich besser an und sieht besser aus als im Fernsehen, wie sie da auf der Bühne des Einslive Salons steht und dem Publikum erklärt, dass es die Handys nach der Lesung gerne wieder anstellen darf. Eins ihrer Hosenbeine ist aus den Stiefeln gerutscht und hängt jetzt über dem Schuh, sie trägt ein weißes T-Shirt und einen Pferdeschwanz, und wenn sie so die Echo-Verleihung moderiert hätte, dann wäre das mit Robbie Williams vielleicht was geworden.

Jetzt aber betritt erst mal Benjamin von Stuckrad-Barre die Bühne. Er sitzt nicht einfach schon da rum wie viele andere Autoren vor ihm, er braucht den Auftritt — und wenn es nur einer durch eine ganz normale Zimmertür ist. Hat er nicht früher seine Lesungen auch mit “Let Me Entertain You” eröffnet?

Benjamin von Stuckrad-Barre

DJ Larse legt irgendwelche Elektro-Musik auf, dann wird abwechselnd gelesen und getalkt, wobei sich zwei Dinge abzeichnen: Stuckrad-Barre ist ein sehr guter Autor, aber ein noch besserer Performer, und Sabine Heinrich ist zwar eine wahnsinnig charmante Moderatorin, aber eben auch eine eher nur mittelgute Interviewerin.

Es ist ein denkbar ungünstige Konstellation: Eine aufgeregte Fragestellerin trifft auf einen Talkgast, der keinerlei Bereitschaft zeigt, die etwas unglücklich formulierten Fragen wohlwollend aufzunehmen. “Was ist denn ein Sittengemälde?” – “Naja ich mein das ist ein ganz schönes deutsches Kompositum. Sitten-Gemälde. Das ist ja … Heiz-Körper. Was ist ein Heizkörper?” – “Ich hab noch nie so ein Wort benutzt! Sittengemälde!” – “Du bist zuviel mit Matthias Opdenhövel zusammen.”

Es läuft nicht. Im Salon ist es heiß, stickig, und sehr, sehr voll. Man könnte jetzt die eigene Hand abnagen (oder die des Sitznachbarn). Mag gar nicht aufhören, den Dialog zwischen Sabine Heinrich und BvSB wiederzugeben, man kann einfach nicht weghören.

Sabine Heinrich sagt: “Hör mal, in deinem Buch war mal die Rede von Müsli mit Brombeeren.”
BvSB: “Ja, das ist saisonabhängig. Nä?”
Heinrich: “Pflückst du die selber in deinem eigenen Garten?”
BvSB: “Im Supermarkt.”
Heinrich: “Eigener Biogarten.”
BvSB: “GARTEN?!? Nein, nein. Gärten gilt es wirklich zu vermeiden. Das ist ja der Anfang vom Ende.”
Heinrich: “Du hast ja auch keine Küche, hast du gesagt.”
BvSB: “Aber das mit dem Garten stimmt! Ja, nee, nein. Gärten.”

Es geht so weiter. Frau Heinrich fragte, wie Herr von Stuckrad-Barre lebt, wie er wohnt, was er von Möbeln hält, ob er denn selber kocht (Antwort: “Nein!”). Er kann sich offensichtlich nicht entscheiden, ob er Frau Heinrich jetzt wirklich permanent auflaufen lassen soll oder nicht und schwankt dann zwischen absoluter Sabotage des Gesprächs und mitleidigem Nachgeben.

Und man will ja Sabine Heinrich nett finden! Und ein bisschen Mitleid mit ihr haben, weil Benjamin von Stuckrad-Barre sich so bockig zeigt! Aber dann sagt sie Sachen, da ist man froh, dass ihr Gesprächspartner entsprechend reagiert:

“Ich hab dich bei Jörg Thadeusz in der Sendung gehört, als Podcast, liebe Grüße an den Jörg, und der hat dich gefragt, -”
“Jetzt wird’s aber ein bisschen privat, oder?“, unterbricht Stuckrad-Barre erneut, zurecht, leicht amüsiert.
“Es kann ja sein, dass Jörg diese Sendung beim Laufen hört”, gibt Frau Heinrich tapfer zu bedenken.
“Na dann aber auch schöne Grüße. Lieber Jörg, es war schön mit dir in Leipzig.“ Zu Frau Heinrich, verschwörerischer Unterton: “Meinze der hört das?” – “Bestimmt!” – “Jörg? Sollen wir in Bochum zusammen lesen oder in Dortmund?”

Und jetzt raten Sie, wer im Publikum an dieser Stelle nicht an sich halten kann und laut “Bochum!” ruft. Stuckrad-Barre wendet sich daraufhin dem Publikum zu und will das ausdiskutieren, aber da wirft sich Frau Heinrich dazwischen: “Darf ich jetzt bitte mal meine Frage durchbringen?!” Sie darf. Aber sie hätte es auch lassen können.

Irgendwann liest Stuckrad-Barre Ausschnitte aus dem längsten Text des Buches, in dem er von der Entstehung der letzten Udo-Lindenberg-Platte berichtet. Was bei der Lesung nur am Rande anklingt: Es ist einer der persönlichsten und intensivsten Texte, den der Autor je veröffentlicht hat. Kommt Lindenberg zu Wort, parodiert Stuckrad den typischen Tonfall des Musikers, was sehr, sehr peinlich wirken könnte (steht nicht irgendwo im Frühwerk des Popliteraten, dass Lindenberg an Parodisten-Schulen in der ersten Stunde auf dem Lehrplan stünde?), hier aber magischerweise funktioniert. Als Sabine Heinrich im inzwischen legendären Angela-Merkel-Interview die Rolle der Kanzlerin liest, ist sie allerdings ihrerseits so klug, auf jedweden Parodie-Versuch zu verzichten.

Um Mitternacht ist die Sendung vorbei, Karfreitag und das Tanzverbot. Es ist wieder 2010 und Einslive klingt auch wieder so. Alle sind wieder so alt, wie sie sich fühlen, und Benjamin von Stuckrad-Barre signiert Bücher.

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Literatur

Die, die mit den Wörtern tanzt

Mit neuen Büchern ist es ja immer ein wenig so: Man meint, man müsse ganz vorsichtig sein, um keiner Seite ein Eselsohr zu verpassen oder einen Buchstaben umzuknicken — wehe wenn! Jedoch, um einem Buch Charakter zu verleihen sollte man es auch knicken, den Buchrücken aufklappen und es lesen. Es ablesen, ablieben. Von was ich spreche?

Das allererste Buch einer jungen Frau, Lisa Rank. Aus Berlin, jetzt Hamburg.
Schreibt, atmet, komponiert, tanzt, träumt und erfindet Wortwelten. Entdeckt sie hinter Müslischachteln oder unterm Bett. Begegnet ihnen an Häuserecken, in der Nacht oder weil sie ganz genau hinhört.
Weil sie schreibt, was vorher noch nicht da war. Ihr Talent, ihre eigene Stimme und die Gabe, Gefühle so einzufangen, dass man genau spürt, was in den Charakteren vorgeht. Man kann mitfühlen, mitweinen, miterleben, man ist bei allem dabei.
Weil die Autorin es zulässt, aber – und das finde ich auch sehr wichtig – man wird beim Lesen davor beschützt, dass die Trauer einen erdrückt.
Im Gegenteil: Man wird mitgenommen und man bekommt es gezeigt und erlebt, denn im Zweifel, wenn alles keinen Sinn mehr macht, macht man solche Reisen auch immer ein Stückchen für sich selbst!

Von was ich hier erzähle?

Von Lisa Ranks ersten Roman “Und im Zweifel für dich selbst”.
Ein Buch, in dem zwei Freundinnen, Lene und Tonia, den Tod eines geliebten Menschen erleben und sich und die Welt nicht mehr verstehen. Das Leben, das sie bisher hatten, gibt es so nicht mehr. Weil jetzt jemand fehlt, der bisher immer da war. Sie machen sich auf eine Reise. Ein Roadmovie-Roman, der so viel Wahrheit zwischen den Zeilen versteckt hält und so eigensinnig auf dem Blatt steht. Oder der so viel über die Dinge erzählt, wie sie passieren und was man dann macht, dass es eigentlich nur Sinn macht zu sagen: Kaufen, lesen und selber entdecken!

Ich hab es fast zu Ende. Ein bisschen hab ich mir noch aufgehoben zum Schluss.
Wie es also ausgeht weiß ich nicht und würde es auch nicht verraten. Macht man nicht. Was man aber tun sollte: Selber entdecken!

Elisabeth Rank – Und im Zweifel für dich selbst
Suhrkamp, 200 Seiten
12,90 Euro

Lisa Rank im Internet

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Literatur

Bitte keine Heiterkeitsausbrüche!

Während sich der deutsche Literaturbetrieb gerade ungefähr in der selben Kater-Stimmung befindet wie der “Stern” im Sommer 1983, diskutieren die Österreicher dieser Tage über ein Buch, das es immerhin vor Gericht geschafft hat.

Das Wiener Landesgericht musste gestern darüber entscheiden, ob der Roman “Weiße Nacht” von David Schalko den höchstpersönlichen Lebensbereich des Politikers Stefan Petzner, “Lebensmensch” des verstorbenen Rechtspopulisten Jörg Haider, verletzt. Petzner sah seine Menschenwürde verletzt und wollte außerdem finanziell am Erfolg des Romans teilhaben — ein Erfolg, der freilich erst einer wurde, nachdem Petzner öffentlichkeitswirksam gegen das Buch vorgegangen war. Schalko hat seine Sicht der Dinge vor einigen Wochen wortgewaltig für die “Welt am Sonntag” zusammengefasst.

Obwohl Petzner gefordert hatte, das gesamte Buch im Gerichtssaal vorzulesen, wurde darauf offenbar verzichtet, denn das Urteil war schnell gesprochen: Petzner unterlag, kündigte Berufung an und rief seinem Prozessgegner zu, der solle sich was schämen.

Von besonderer Qualität ist die Urteilsbegründung der Richterin, in der diese die Handlung des Romans noch einmal kurz zusammenfasst — und gleichzeitig versucht, die Würde des Ortes zu bewahren:

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Literatur Digital

Die Arroganz der Jungen, die Ignoranz der Alten

Wir müssen dann leider noch mal auf “Axolotl Roadkill” zurückkommen, das literarische Hype-Thema der Stunde. Nicht, dass ich das Buch inzwischen gelesen hätte, aber: Das von der Literaturkritik auf Lautstärke 11 gefeierte Werk von Helene Hegemann (17) weist in etlichen Passagen erstaunliche Ähnlichkeit mit einem anderen Buch auf.

Deef Pirmasens hat in seinem Blog Die Gefühlskonserve eine Gegenüberstellung von Textstellen aus “Axolotl Roadkill” und aus dem Buch “Strobo” des Berliner Bloggers Airen veröffentlicht, das im vergangenen Jahr erschienen war. Um es vorsichtig auszudrücken: Da kommt schon Einiges an Auffällig- und Ähnlichkeiten zusammen.

Als gelernter Literaturwissenschaftler stehe ich diesen Enthüllungen etwas schulterzuckend gegenüber: Montagen und Intertextualität gibt es seit kurz nach Erfindung der Schriftsprache — Georg Büchners Novelle “Lenz” ist knapp zur Hälfte aus Aufzeichnungen des Pfarrers Johann Friedrich Oberlin übernommen, Johann Wolfgang von Goethe hat sich mehr als einmal massiv von anderen Texten inspirieren lassen. Auf den Platz in der Literaturgeschichte hatte das für die beiden Herren keine Auswirkungen, aber über den entscheidet naheliegenderweise die Nachwelt und nicht der Zeitgenosse. Überhaupt gilt ja, was Oscar Wilde zugeschrieben wird, der gemeine Pop-Konsument (also ich) aber erst seit Tocotronic weiß: “Talent borrows, genius steals”.

Als jemand, der mit dem Schreiben von Texten seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften versucht, sehe ich es naturgemäß kritischer, wenn jemand (mutmaßlich) gutes Geld mit Inhalten verdient, die zumindest zu einem nicht ganz unerheblichen Teil aus dem Werk eines Anderen stammen.

Die Grenzen zwischen Zitat und Diebstahl geistigen Eigentums sind fließend — der Unterschied zwischen den Groß-Zitierern Quentin Tarantino und Dieter Wedel besteht letztlich auch nur darin, dass Tarantinos Filme cool sind und Wedels spießig. Und dass die Übernahme bestimmter Worte oder ganzer Textpassagen noch mal ein bisschen was anderes ist als das zufällige Wieder-Erstellen einer bereits komponierten Melodie (man erinnere sich nur an die rund tausend Songs, von denen Coldplay ihr “Viva La Vida” samt und sonders abgepinnt haben sollen), lässt sich einerseits mit den unterschiedlichen Materiallagen (zehntausende Wörter vs. zwölf Töne) erklären, ist aber andererseits auch nur Geschmacks- und Definitionssache.

Man könnte also Helene Hegemann und Dieter Wedel zu Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski ins “Philosophische Quartett” setzen und eine Stunde lang über Blues-Motive und Bastardpop, Williams Shakespeare und Heiner Müller diskutieren lassen und hätte am Ende vielleicht ein bisschen Erkenntnisgewinn oder wenigstens was zum drüber aufregen. Man würde sich womöglich darauf einigen, dass Zitate, Remixe und Mashups Teil unserer (Pop-)Kultur sind, es aber nur höflich wäre, wenigstens seine Quellen zu benennen und nicht Andererleuts Gedanken als eigene auszugeben.

Aber das sind philosophische und kulturwissenschaftliche Gedanken allgemeiner Art. Der “Fall Hegemann” dagegen ist leider der Super-GAU der öffentlichen Auseinandersetzung, weil er sich genau an der (leider immer noch von vielen Menschen auf beiden Seiten imaginierten) Verwerfung zwischen analoger und digitaler Welt ereignet hat: Da hat also so eine Berliner Künstlertochter abgeschrieben — und zwar bei einem Blogger! Hurra, der Klassenkampf beginnt erneut, auf die Barrikaden!

Jetzt kriegen die Literaturkritiker, denen man sicher vieles vorwerfen kann, ernsthaft um die Ohren gehauen, sie hätten ja mal Googeln können.

Googeln. Einen Roman! Dabei erzählt Deef Pirmasens, dem die ganzen textlichen Parallelen als Erstem aufgefallen waren, im Interview mit sueddeutsche.de, dass ihm bei der Lektüre von “Axolotl Roadkill” bestimmte Worte bekannt vorgekommen seien — weil er “Strobo” gelesen hatte. Beim Erkennen von ungenannten Querverweisen hilft es also offenbar immer noch, das Original zu kennen. Dass lange Zeit niemandem aufgefallen ist, dass eine andere Textstelle aus dem Song “Fuck U” von Archive übernommen wurde, spricht dann eben leider nicht für die Popularität der Band.

Der Kampf der Welten endet in Sätzen wie diesen:

In Wirklichkeit scheint sich als Abwehrhaltung des Feuilletons herauszukristallisieren: Es ist nicht so schlimm, von einem weitgehend unbekannten Medium aus dem Web geklaut zu haben – Hegemann kann zur Not noch als Transkribistin vom Internet ins Buch gefeiert werden.

Es ist jener passiv-aggressive Ton, gepaart mit dem Hinweis, dass das Internet immer noch etwas anderes sein soll als der Rest der Welt, der den genauso verbohrten Menschen im Kulturbetrieb dann wieder als Vorlage dient, wenn es darum geht, über die Meckereien und das merkwürdige Selbstbewusstsein (bzw. offensichtlich dessen Fehlen) der Blogger zu lästern. Ich frage mich, ob die Geschichte in der deutschsprachigen Netzwelt genauso hohe Wellen geschlagen hätte, wenn der “beraubte” Autor nicht gleichzeitig Blogger wäre, und liefere mir die Antwort gleich selbst: “Vermutlich nicht”. Statt sich also auf den konkreten Vorgang zu konzentrieren, wird mal wieder das übel riechende Fass “wir Blogger gegen die Nichtsblicker bei den Totholzmedien” aufgemacht und es grenzt an ein Wunder, dass sich die “#fail”s bei Twitter bisher in Grenzen halten.

Der Verleger von “Strobo” klingt da im Gespräch mit Spreeblick wesentlich entspannter. Der gleiche Verleger übrigens, der munter erzählt, wann Vater Hegemann das Buch für seine Tochter gekauft hat:

Während Hegemann sagt, dass sie das Buch nicht kenne, kann der Verlag SuKuLTur einen Beleg vorweisen, aus dem hervorgeht, dass Carl Hegemann den Roman Airens am 28. August 2009 über Amazon Marketplace bestellt und an seine Tochter Helene hat liefern lassen.

[via otterstedt.de]

Wenn’s um die gute eigene Sache geht, ist das mit dem Datenschutz – sonst die Domäne der Netzgemeinde – offenbar auch nicht mehr ganz so wichtig.

Die Überschrift dieses Eintrags, übrigens, die stammt von Virginia Jetzt!

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Musik Literatur

“Das ist keine Reisegruppe”
Ein Interview mit Sven Regener

Musikjournalisten erzählen häufiger, dass sie relativ wenig Ambitionen hätten, ihre persönlichen Helden zu treffen. Zu groß ist die Angst, dass sich der über lange Jahre Bewunderte als langweilig oder – schlimmer noch – unsympathisch herausstellt, dass einem keine guten Fragen einfallen oder man versehentlich die eigenen Freunde mit reinzieht.

Vor Sven Regener habe ich einen Heidenrespekt: Die Musik seiner Band Element Of Crime begleitet mich schon länger, die letzten beiden Alben habe ich rauf und runter gehört und seine Romantrilogie über Frank Lehmann habe ich mit großem Gewinn gelesen. Außerdem muss ich immer an jenes legendäre Interview mit der (inzwischen fast schon wieder völlig vergessenen) “Netzeitung” denken.

Es hätte also gute Gründe gegeben, sich nicht um ein Interview mit dem Mann zu bemühen, obwohl er mit Element Of Crime in Bochum war. Aber ein kurze Begegnung beim letztjährigen Fest van Cleef hatte mich so weit beruhigt, dass ich gewillt war, mich auf das Experiment einzulassen.

Element Of Crime (Archivfoto vom Fest van Cleef 2009)

Kurz bevor es losging sagte er: “So, wir duzen uns. Ich bin Sven.” Gut, dass das vorab geklärt ist, Respektspersonen würde man ja sonst auch siezen.

Wie das Gespräch dann lief, können Sie jetzt selber hören und beurteilen. Zu den Themen zählen Sven Regeners Tourblog, kleinere Städte, “Romeo und Julia”, Coverversionen und Vorbands.

Interview mit Sven Regener
(Zum Herunterladen rechts klicken und “Ziel speichern unter …” wählen.)

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Literatur Print

Restposten der spätkindlichen Infantilgesellschaft

Ich weiß nicht, ob Sie’s mitbekommen haben, ((Hahahahaha.)) aber es gibt da ja gerade eine neue deutsche Literatursensation, die die großen jungen deutschen Literatursensationen der vergangenen Dekaden, “Crazy” und “Feuchtgebiete” kurzschließt: “Axolotl Roadkill” von Helene Hegemann (17).

Gelesen habe ich das Buch noch nicht, ((Ich bin gerade – leicht andere Baustelle – mit “The Wild Things” von Dave Eggers beschäftigt.)) aber allein der Titel ist schon mal toll. “Axolotol”, diese Bezeichnung für einen mexikanischen Lurch, der sein Leben lang Kind bleibt, stand nämlich immer auf der Liste der außergewöhnlichen Worte, die mein bester Freund und ich zu Schulzeiten geführt haben. ((Ebenfalls auf der Liste: “Wadi”, “semipermeable Membran” und “Aum”. Irgendwann werden sich auch damit noch mal Therapeuten befassen müssen.))

Über Helene Hegemann jedenfalls ist schon viel geschrieben worden, meist in der üblichen ahnungslosen Begeisterung, mit der sich Erwachsene, die nicht als frühvergreist gelten wollen, der Welt und der Sprache von Jugendlichen nähern. Wer lange genug sucht, wird sicher eine Rezension finden, in der frühneuhochdeutsche Begriffe wie “geil” oder “Bock haben” vorkommen.

Der Text, den Simone Meier für die “Basler Zeitung” geschrieben hat, ist anders. Er stellt die mediale Figur Helene Hegemann in Frage, haut auf den anderen Feuilletonisten rum und knallt mit voller Wucht ein paar Formulierungen raus, die man so gerne mal in Büchern lesen würde:

Das Selbstbewusstsein und der Mut zum Leiden sind gleichermassen ungeheuer, man hat die Hormone im Kopf und den Wahnsinn im Herzen. Und man kann eine Pose so lange und so betörend reproduzieren, bis es zu viel wird und man sie automatisch wieder erbricht. Selbstfindung in der Pubertät ist gewissermassen eine anhaltende Bulimie halb garer Haltungen und Gefühle.

Frau Meier steigert sich fast in einen grundsympathischen Welthass Bernhard’scher Prägung, wenn sie in einem Absatz mal eben den halben deutschen Kulturbetrieb, ach: die halbe deutsche Gesellschaft umreißt:

Es scheint, als habe Helene Hegemann mit all ihren wie rasend hergestellten, ausgekotzten kleinen Werken wirklich einen wahren Kern gefunden. So etwas wie den hässlichen Bodensatz der Berliner Bohème, mit dem sich die Kinder der Generation Selbstverwirklichung herumschlagen müssen. Es ist ein Bodensatz, in dem sich alle gleichen, weil Kindheit längst nicht mehr den Kindern gehört, sondern zum Fetisch der Erwachsenen geworden ist. Das Erstaunlichste an “Axolotl” ist nämlich dies: dass hier ein Teenager schreibt, als wäre er einer jener auf dem Dancefloor hängen gebliebenen Mittdreissiger oder Anfangsvierziger. Dass er zwei Generationen kurzschliesst: diejenige des frühreifen Wunderkinds und jene der Restposten aus der spätkindlichen Infantilgesellschaft.

Dass Frau Meier es schafft, einen Text, der derart offen auf seine Subjekte einschlägt, versöhnlich enden zu lassen, spricht für die beiden.

Aber lesen Sie selbst:

“Die Schönheit des kaputten Kindes” von Simone Meier

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Literatur Print

Nicht intelligent genug

Im Januar 2006 schrieb der “Musikexpress” im Jahresrückblick auf 2005:

Jetzt haben sogar die Rolling Stones ein Lied über Ulf Poschardt geschrieben: “Sweet Neocon”. […] Die deutschen Neokonservativen verbergen sich hinter der “Initiative Neue Marktwirtschaft”, eine Agentur, die erfolgreich ihre Themen setzte. Zuletzt versuchten sie uns einzureden → “Du bist Deutschland”. Der Höhe- bzw. Tiefpunkt der neoliberalen Debatte war erreicht, als der Kulturwissenschaftler und angebliche ex-Linke Ulf Poschardt (“DJ Culture”) vor den Wahlen allen Ernstes forderte: Westerwelle wählen gut, denn: FDP = mutig, radikal, wichtig und irgendwie auch: Pop. Ja, alles klar, gute Nacht.

Ein Jahr später war Poschardt Chefredakteur beim Launch der deutschen Ausgabe der “Vanity Fair”, die er nach nicht mal einem Jahr wieder verließ. Seitdem hatte ich erfrischend wenig von ihm gehört, aber er fungiert jetzt offenbar als Herausgeber von “Rolling Stone”, “Metal Hammer” und – verdammte Ironie – “Musikexpress”.

Außerdem ist Poschardt stellvertretender Chefredakteur der “Welt am Sonntag”, in der er heute umständlich über zwei Bücher schreibt, die vor zehn Jahren erschienen sind: “Tristesse Royale” und “Generation Golf”.

Nach allerlei gesellschafts- und kulturgeschichtlicher Einordnung, an der einiges stimmen mag und einiges gewollt erscheint, schwingt sich Poschardt zu seiner Kernaussage auf:

Im neuen Kabinett sind Figuren wie Rösler, Röttgen, Guttenberg und Westerwelle Aktualisierung jenes kokett Adretten, das mit Stallgeruch so wenig anfangen kann wie mit Herrenwitzen. Die postheroische Eleganz ist bei den jüngeren Politikern mit einem Hauch Populismus versetzt, um das Zeitgenössische wählbar werden zu lassen.

Es macht keinen Spaß, sich durch Poschardts Text zu quälen, aber eigentlich muss man das ja auch nicht. Denn wie fragte Benjamin von Stuckrad-Barre in dem Buch, über das Poschardt schreibt?

Warum sind wir nicht intelligent genug, nicht so oft über Ulf Poschardt zu sprechen?

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Literatur

What’s Happening Brother

Ich bin immer noch auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Zwar LIEBE ich mein Apartment am 243 Riverside Drive, aber seit sie neulich zwei Blocks entfernt diesen Geschäftsmann abgestochen haben, möchte ich hier so schnell wie möglich weg. Ich finde, ein bisschen change tut mal ganz gut und so suche ich jetzt mal an der Upper East Side.

Es ist für Deutsche (außerhalb Münchens) vermutlich unvorstellbar, wie schwer es ist, in Manhattan ein geeignetes Apartment zu finden. Zwar ist Dank etlicher foreclosures inzwischen wieder einiges auf dem Markt (anders als vor drei Jahren, als ich hierher kam), aber dafür stehen jetzt auch die Interessenten Schlange. Und wenn Wolfgang Tillmanns, die Tochter von Bobby de Niro oder einer der Petshop Boys sich für ein Apartment interessiert, steht man als kleine Journalistin natürlich blöd da.

Mein guter Freund Bernárd schickte mir kürzlich einen Brief aus Belize. Auf handgeschöpftem Büttenpapier, das ganz leicht, aber auf keinen Fall aufdringlich nach Eau de Cologne duftete, fragte er mich, wie ich eigentlich mit dieser Doppelbelastung als Gesellschaftskolumnistin UND Bestsellerautorin klarkomme.

Ihr müsst wissen: Bernárd ist der Sproß einer französischen Winzerdynastie und hat seine Jugend überwiegend in thailändischen Opiumhöhlen verbracht. Für ihn ist es schon eine große Anstrengung, einmal im Jahr nach Paris zu fliegen und mit seinen Vermögensverwaltern und Geschwistern die Bücher durchzusehen. Die meiste Zeit des Jahres verbringt er mit seinem jugendlichen Liebhaber in der Karibik und genießt dort den Schnee. If you know what I mean.

Zunächst hatte ich überlegt, Bernárd als Antwort auf seine ganz entzückende Frage eine signierte Ausgabe meines neuesten Buches “Die Muschi in der Einkaufstasche” zukommen zu lassen, aber dann fiel mir wieder ein, dass er kein Deutsch versteht. Vielleicht sollte ich mein nächstes Buch (es handelt von einer emanzipierten jungen Frau, die einem älteren Mann den Kopf verdreht und ihn so um Frau, Arbeit und Leben bringt — eine witzige Lektüre für Zwischendurch) direkt auf Englisch schreiben, dann könnte ich vielleicht auch mehr Titel “abverkaufen”, wie sich mein Literaturagent immer ausdrückt. Mein Literaturagent lebt allerdings in Köln, da kann man keine schöne Sprache erwarten.

Nächste Woche ist ja der Jahrestag des Mauerfalls. Ich kann mich noch gut daran erinnern: Ich stand kurz vor meinem Abitur und am nächsten Tag kam unser Geschichtslehrer, so ein alter Nazi, in die Klasse und warf mit großer Geste unser Lehrbuch in die Tonne und sagte, das müsse jetzt alles umgeschrieben werden. Zwei Jahre später tanzte ich jedes Wochenende im Tresor in Berlin und schrieb meine ersten Texte fürs “Zitty”. Das waren Zeiten, als Berlin noch INTERESSANT war …

Vorgestern habe ich mit einem deutschen Radiosender telefoniert, der mich zum ersten Jahrestag von Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten interviewt hat. Das Interview war schlecht vorbereitet und der Moderator sprach immer von “BÄRÄCK OBÄMA”, was mich ganz wahnsinnig gemacht hat, aber anschließend spielten sie “What’s Happening Brother” von Marvin Gaye und da dachte ich, diesen Song muss ich jetzt sofort auch haben. Ich hab das Album noch auf Vinyl, aber das liegt irgendwo in einem Umzugskarton im Keller meines Elternhauses in Unna, und so habe ich mir das Album noch mal bei iTunes gekauft. Früher hätte ich erst in einen record store gehen müssen, wo es entweder gar keine Beratung gibt, oder die langhaarigen, ungewaschenen Verkäufer nur die aktuellen Sachen kennen und VIELLEICHT noch Sonic Youth und the Velvet Underground. Heute geht das alles ganz schnell, direkt auf mein iPhone.

Ich habe mir übrigens schon wieder ein neues iPhone kaufen müssen. Das letzte habe ich ausnahmsweise NICHT im Taxi vergessen (Ihr erinnert Euch), Nein, es ist mir beim Aussteigen aus dem Taxi aus meiner Manteltasche und in den Rinnstein gefallen. “Oh Gosh, not AGAIN”, hab ich gedacht, aber da war es bereits ertrunken. Taxis und iPhones passen anscheinend nicht zusammen, zumindest bei mir.

Nun ja, ich muss Schluss machen, gleich kommt ein Kamerateam von “Titel, Thesen, Temperamente” vorbei und möchte mich beim Joggen durch den Central Park filmen. Die planen ein großes Porträt über mich, das freut mich natürlich. Wo man ja sonst von den deutschen Medien doch eher ignoriert wird. Nach den Dreharbeiten bin ich dann mit einem Freund von Christian Kracht zum lunch verabredet. Ich muss ihn mal fragen, was Christian eigentlich im Moment macht.

Macht’s gut, meine Lieben, wir sprechen uns nächste Woche wieder!

Bussi!

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Digital Literatur

Restefiktion

Ursprünglich hatte ich geplant, eine Geschichte zu erzählen. Sie hätte von einem Jungjournalisten gehandelt, der einen fiktionalen Text über einen real existierenden CDU-Politiker geschrieben hätte, der sich in eine real existierende Linken-Politikerin verliebt. Es wäre ein okayer Text gewesen, nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Der Jungjournalist hätte explizit darauf hingewiesen, dass es sich um einen fiktionalen Text gehandelt hätte. Trotzdem hätten Rechtsanwälte auf diesen Text reagiert — aber nicht die der real existierenden Linken-Politikerin, die im Laufe der fiktionalen Geschichte immerhin mit einem namenlosen (möglicherweise real existierenden, möglicherweise aber auch fiktionalen) anderen CDU-Politiker im Bett landet, sondern die des real existierenden CDU-Politikers.

Ich habe die Idee, eine solche Geschichte zu erzählen, dann aber doch wieder verworfen.

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Positive Jam

Ich dachte ja schon, es wäre die Krönung in Sachen Helden-Kollaboration, dass Ben Folds und Nick Hornby gemeinsam an einem Album arbeiten (Coffee And TV berichtete).

Jetzt lese ich, dass Craig Finn, der Sänger der von mir hochverehrten The Hold Steady, gemeinsam mit dem langjährigen David-Letterman-Autoren Tom Ruprecht an einer Kinoadaption von Chuck Klostermans “Fargo Rock City” arbeitet.

Zwar kann ich mir im Moment noch nicht ganz vorstellen, wie aus einem Buch, das zu weiten Teilen aus dem Theoretisieren von Heavy Metal, Hair Metal und Hard Rock besteht, eine Filmkomödie werden könnte, aber ich vertraue den beiden Autoren, die den Film zusammen mit Klosterman produzieren, da voll. Außerdem werden hierzulande alberne Quatsch-Ratgeber wie “Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken” zu Kinoproduktionen geprügelt, da ist eine Coming-of-age-Geschichte im ländlichen North Dakota mit ganz viel Musik sicher der naheliegendere Stoff.

Aber was für popkulturelle Mashups mit meinen persönlichen Helden finden als nächstes statt? Nehmen Thees Uhlmann und Max Goldt ein gemeinsames Album auf? Vertont Fran Healy die “Calvin & Hobbes”-Comics von Bill Watterson? Nimmt sich Ben Gibbard ein Buch von Jack Kerouac vor?

Oh.

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Klickbefehl (18)

[D]as Internet, vertreten durch die, die dort anzutreffen sind, mag es nicht, wenn man es nicht mag. Es ist dann schnell beleidigt, denn es ist noch jung und nicht besonders souverän. Aber das verwächst sich sicher noch.

Peter Richter hat gestern in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” über die Zukunft des Buches geschrieben (so viel vorweg: Es gibt eine). Es ist ein kluger, mitunter sehr komischer Artikel, der gegen Ende leider ein bisschen zu sehr in Richtung der “Google ist böse!”-Linie der Verlage abrutscht.

Man sollte ihn aber trotzdem gelesen haben und das kann man bei FAZ.net jetzt tun.