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Digital Gesellschaft

Straßenbahn des Todes

Dies ist kein Abschied, denn ich war nie will­kom­men
Will auf und davon und nie wie­der­kom­men
Kein Lebe­wohl, will euch nicht ken­nen
Die Stadt muss bren­nen

(Cas­per – Im Asche­re­gen)

Ich hab in die­sem Jahr schon mehr­fach Social-Media-Pau­sen gemacht, die „digi­tal detox“ zu nen­nen ich mich scheue: Als mein Sohn Kita-Feri­en hat­te, wenn wir mal übers Wochen­en­de oder etwas län­ger weg­ge­fah­ren sind, hab ich Face­book und Twit­ter ein­fach aus­ge­las­sen. Zum einen, weil die iPho­nes-Apps im Ver­gleich zur rich­ti­gen Nut­zung (ich bin ver­mut­lich der ein­zi­ge Mensch Mit­te Drei­ßig, für den ein Com­pu­ter mit Bild­schirm, Tas­ta­tur und Brow­ser die „rich­ti­ge“ Anwen­dung ist und ein Smart­phone maxi­mal eine hilf­rei­che Krü­cke für unter­wegs, aber das ist mir – wie so vie­les – egal) ein­fach noch unprak­ti­scher sind (und das will schon was hei­ßen), zum ande­ren, weil ich gemerkt habe, dass Social Media mir schlecht Lau­ne macht.

Jetzt war ich übers Wochen­en­de am Meer, hab gera­de wie­der den Lap­top auf­ge­klappt, kurz in Face­book rein­ge­guckt und schon wäre die gan­ze wun­der­ba­re Erho­lung (Strah­lend blau­er Him­mel, knal­len­de Son­ne und 24 Grad Mit­te Okto­ber! 17 Grad Was­ser­tem­pe­ra­tur! In der Nord­see!) fast wie­der weg gewe­sen.

Und dann traf mich die Erkennt­nis und ich hat­te end­lich einen Ver­gleich bzw. eine Meta­pher für das gefun­den, was mich an Social Media so sehr nervt, dass ich gera­de­zu von „krank machen“ spre­chen wür­de: Es ist, als säße man in der Stra­ßen­bahn und könn­te die Gedan­ken jedes ein­zel­nen Men­schen mit­hö­ren. Da sitzt ein Mann, der gera­de sei­nen Job ver­lo­ren hat und nicht weiß, wie es wei­ter­ge­hen soll. Dort ist eine Frau, die gera­de auf dem Weg in die Kli­nik ist: Ihre Mut­ter hat Krebs im End­sta­di­um. Hier sitzt ein 16-jäh­ri­ges Mäd­chen, des­sen Freund, ihre ers­te gro­ße Lie­be, gera­de Schluss gemacht hat und schon mit einer ande­ren zusam­men ist. Und da drü­ben ein klei­ner Jun­ge, des­sen Hams­ter ges­tern gestor­ben ist.

Natür­lich sit­zen da auch wel­che, denen es gut geht: Eine Fami­lie auf dem Weg in den Zoo. Ein alter Mann, der gera­de sei­nen neu­ge­bo­re­nen Uren­kel besucht hat und sich gleich eine Dose Lin­sen­sup­pe warm­ma­chen wird, sein Leib­ge­richt. Eine jun­ge Frau auf dem Weg zum ers­ten Date – sie weiß es noch nicht, aber sie wird den Mann spä­ter hei­ra­ten und eine glück­li­che Fami­lie mit ihm grün­den. Doch ihre Gedan­ken sind nicht so laut, weil sie nicht immer nur um das eine schlech­te Ding krei­sen, son­dern sie ent­spannt und glück­lich in sich ruhen. Eher das Schnur­ren einer zufrie­de­nen Kat­ze – und damit unhör­bar im Ver­gleich zu dem Geschrei einer Metall­stan­ge, die sich in einem sehr gro­ßen Getrie­be ver­kan­tet hat.

Aber mehr noch: Nicht nur ich kann all die­se Gedan­ken hören – alle kön­nen ein­an­der hören. Und die, die selbst schon völ­lig durch sind, schrei­en dann die ande­ren an: „Sie sind eh unfä­hig, völ­lig klar, dass Sie ent­las­sen wur­den!“, „Inter­es­siert mich nicht mit Dei­ner Mut­ter, jeder muss mal ster­ben!“, „Dum­me Schlam­pe! Was lässt Du Dich auch mit so einem Typen ein? Schlech­ter Män­ner­ge­schmack und kei­ner­lei Men­schen­kennt­nis!“, „Hams­ter sind eh häss­lich und dumm!“

Das ist kein Ort, an dem ich ger­ne wäre. Da möch­te ich nicht mal feh­len.

Und doch set­ze ich mich dem regel­mä­ßig frei­wil­lig aus – oder glau­be, es tun zu müs­sen. Weil ich beruf­lich wis­sen muss, „was das Netz so sagt“. Bei Face­book sieht die Wahr­heit eher so aus: Jour­na­lis­ten­kol­le­gen berich­ten Jour­na­lis­ten­kol­le­gen, was in der Welt so Schlech­tes los ist. „Nor­ma­le“ Men­schen aus mei­nem Umfeld pos­ten schon kaum noch bei Face­book. Und, klar: Es ist die Auf­ga­be von Jour­na­lis­ten, zu berich­ten – auch und vor allem über Schlech­tes. Aber dann doch viel­leicht in einem Medi­um? Face­book war mal als digi­ta­les Wohn­zim­mer gestar­tet, inzwi­schen weiß nie­mand mehr, was es genau sein soll/​will, nur, dass es so gefähr­lich ist, dass es mut­maß­lich durch exter­ne Mani­pu­la­ti­on die US-Wahl mit ent­schie­den haben könn­te. Die wenigs­ten Din­ge star­ten als leicht schram­me­li­ge Wohn­zim­mer-Couch und lan­den als Atom­bom­be.

Und natür­lich: Es sind extre­me Zei­ten. Der Brexit, die US-Wahl, der Auf­stieg der AfD, jetzt die Wahl in Öster­reich – wenn die Offen­ba­rung von der Redak­ti­on des „Eco­no­mist“ geschrie­ben wor­den wäre, kämen dar­in ver­mut­lich weni­ger Scha­fe und Sie­gel vor und mehr von sol­chen Schlag­zei­len. Die letz­ten Tage waren geprägt von immer neu­en Ent­hül­lun­gen über den ehe­ma­li­gen Film­pro­du­zen­ten und hof­fent­lich ange­hen­den Straf­ge­fan­ge­nen Har­vey Wein­stein, des­sen Umgangs­for­men gegen­über Frau­en allen­falls mit denen des amtie­ren­den US-Prä­si­den­ten zu ver­glei­chen sind. Nach zahl­rei­chen Frau­en, die von Wein­stein beläs­tigt oder gar ver­ge­wal­tigt wur­den, mel­den sich jetzt auch vie­le zu Wort, die in ande­ren Situa­tio­nen Opfer von beschis­se­nem Ver­hal­ten wider­li­cher Män­ner gewor­den sind. Und, Spoi­ler-Alert: Es sind vie­le. Ver­dammt vie­le. Mut­maß­lich ein­fach alle.

Auf­tritt wei­te­re Arsch­lö­cher: „PR-Akti­on!“, „Dich wür­de doch eh nie­mand anpa­cken!“, „Habt Ihr doch vor vier Jah­ren schon gepos­tet, #auf­schrei!“ Und wäh­rend man sich mit der Hoff­nung ret­ten kann, dass sich dies­mal viel­leicht wirk­lich etwas ändern könn­te (eini­ges deu­tet dar­auf hin, dass Har­vey Wein­stein tat­säch­lich von jener Hol­ly­wood-Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen wer­den könn­te, die sich all­zu­lang in sei­nem Licht gesonnt hat­te), kom­men die nächs­ten Kom­men­ta­re rein und man zwei­felt dar­an, ob da über­haupt noch irgend­wo irgend­was zu ret­ten ist.

Nimm einen ganz nor­ma­len Typen, so wie er im Buche steht
Gib die­sem Typen Anony­mi­tät
Gib ihm Publi­kum, das nicht weiß, wer er ist
Du kriegst das dümms­te Arsch­loch, das man nicht ver­gisst

(Mar­cus Wie­busch – Haters Gon­na Hate)

Es gibt ver­dien­te Kol­le­gen wie Sebas­ti­an Dal­kow­ski, die sich wirk­lich die Mühe machen, denen, die sich nicht für Fak­ten inter­es­sie­ren, wei­ter­hin Fak­ten ent­ge­gen­zu­set­zen. Die all den klei­nen und gro­ßen Scheiß, den die so apo­stro­phier­ten Besorg­ten Bür­ger und ihre media­len Für­spre­cher so von sich geben, gegen­che­cken – und dafür wie­der nur Hass und Spott ern­ten. Für Men­schen wie ihn haben kett­car „Den Revol­ver ent­si­chern“ geschrie­ben, den klu­gen Schluss­song des gran­dio­sen neu­en Albums „Ich vs. Wir“, in dem sie auch die viel­leicht zen­trals­te Fra­ge unse­rer Zeit stel­len: „What’s so fun­ny about peace, love, and under­stan­ding?“

Aber selbst, wenn Sebas­ti­an ein oder zwei Men­schen über­zeu­gen soll­te (was ich, so viel Opti­mis­mus ist durch­aus noch da, ein­fach mal hof­fe), muss ich jeden Mor­gen bei ihm lesen, wel­che Sau jene Leu­te, die Voka­beln wie „Gut­men­schen“ und „Ban­hofs­klat­scher“ ver­wen­den, um damit Men­schen zu bezeich­nen, die noch nicht ganz so viel Welt­hass, Pes­si­mis­mus und Mis­an­thro­pen­tum in ihren Her­zen tra­gen wie sie selbst, jetzt wie­der durchs Dorf getrie­ben haben. Und ich weiß, dass man es als „igno­rant“ und „unpro­fes­sio­nell“ abtun kann, wenn ich all das nicht mehr hören und lesen will, aber: krank und ver­bit­tert nüt­ze ich der Welt noch weni­ger. Ich hab sechs Jah­re BILD­blog gemacht – wenn ich heu­te wis­sen will, was in Juli­an Rei­chelts Kopf wie­der schief gelau­fen ist, kann ich das bei den Kol­le­gen nach­le­sen, die unse­re Arbeit dan­kens­wer­ter­wei­se immer noch wei­ter­füh­ren. Ich muss das nicht zwi­schen den ver­ein­zel­ten Kin­der­fo­tos ent­fern­ter Bekann­ter in mei­nem Face­book-Feed haben. Das gute Leben fin­det inzwi­schen eh bei Insta­gram statt.

Ich woll­te nie gro­ße Ansa­gen machen wie „Ich hab mich jetzt bei Twit­ter abge­mel­det“ – muss ja jeder selbst wis­sen, kann ja jeder hal­ten, wie er/​sie will, wirkt auch immer ein biss­chen eitel. Nur: Face­book und Twit­ter haben mitt­ler­wei­le eine Macht, die ihren Erfin­dern kaum klar ist. Sie kom­men nicht mehr klar mit dem Irr­sinn, der dort abgeht. Und dazu kommt noch der gan­ze Quatsch, dass rich­ti­ge Medi­en ihre Inhal­te dort abkip­pen, um wenigs­tens ein paar Krü­mel abzu­be­kom­men. Natür­lich inter­es­siert es Face­book und Twit­ter kein biss­chen, wenn ihnen ein unbe­deu­ten­der Blog­ger aus Bochum alle ver­füg­ba­ren Mit­tel­fin­ger zeigt, aber: Hey, immer­hin bin ich Blog­ger! Immer­hin hab ich hier ein Zuhau­se im Inter­net. Und wenn mir einer auf den Tep­pich pisst, kann ich ihn acht­kan­tig raus­wer­fen.

Ich weiß, dass Tei­le der Welt immer schlecht waren, sind und sein wer­den – ich brau­che nicht die täg­li­che Bestä­ti­gung. Wie kön­nen es uns hier so gemüt­lich machen, wie es in die­ser Welt (die übri­gens auch ganz vie­le wun­der­vol­le Tei­le hat) eben geht. Und dann hab ich ja auch noch mei­nen News­let­ter.

Ich hab ein Kind zu erzieh’n,
Dir einen Brief zu schrei­ben
Und ein Fuß­ball Team zu sup­port­en.

(Thees Uhl­mann – 17 Wor­te)

PS: Am Meer war es übri­gens wirk­lich wun­der­schön, das kriegt kein Social Media die­ser Welt kaputt!

Gestern am Strand von Scheveningen

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 19

No Sozi, No Cry: Deutsch­land hat gewählt und das Ergeb­nis deu­tet auf Jamai­ka hin — sowohl als Regie­rungs­ko­ali­ti­on als auch als loh­nen­des Exil-Ziel ange­sichts von 12,6% für die AfD.

Lucky und Fred drü­cken die Zorn­bank, spre­chen über gute und schlech­te „Spiegel“-Titelgeschichten und lei­der dann doch auch wie­der über die Par­tei von Tour­et­te-Tri­xi und Alex­an­der Irgend­was­mit­GAU.

In der Rubrik „John­ny Cash fragt, Lucky & Fred ant­wor­ten“ dreht sich dies­mal alles ums The­ma Hei­mat, Fred ver­misst die Bon­ner Repu­blik und Lucky ent­deckt sein Herz für Kon­ser­va­ti­ve und spricht über sein neu­es Hob­by Staats­phi­lo­so­phie.

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Lucky & Fred: Episode 18 (feat. Mandelstute Brandy)

Lucky und Fred haben sich dies­mal Unter­stüt­zung von jeman­dem geholt, der beruf­lich beim Radio arbei­tet: Mit Man­del­stu­te Bran­dy wol­len die bei­den Tru­cker nicht über Donald Trump spre­chen, son­dern über ewi­ge Kanz­le­rIn­nen, jun­ge Fach­leu­te, prü­geln­de Prä­si­den­ten­gat­tin­nen und die anste­hen­de Bun­des­tags­wahl.

Wie ent­schei­den Lucky und Fred, wen sie wäh­len? War­um ist Chris­ti­an Lind­ner Peter Alex­an­der? Und was hat der WDR mit all dem zu tun?

Es ist nicht gera­de Rake­ten­wis­sen­schaft, dafür aber Fami­li­en­the­ra­pie am Früh­stücks­tisch.

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Lucky & Fred: Episode 17

Nie­mand inter­es­siert sich dafür, wenn wir irgend­wel­che TV-Komi­ker beschimp­fen — des­we­gen wol­len wir von den Schlimms­ten ler­nen und schau­en uns die PR-Stra­te­gien aus­ge­wähl­ter Des­po­ten an. Dann schau­en wir auf unse­ren Zivil­dienst, die Land­tags­wahl in NRW und erklä­ren Mar­tin Schulz, wie er doch noch Bun­des­kanz­ler wird. Und um Deutsch­land wirk­lich zu ver­ste­hen, spre­chen wir über die Bun­des­wehr, Fuß­ball­fans und Hele­ne Fischer — ein Fes­ti­val der Lie­be!

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Lucky & Fred: Episode 16

Der Ver­eins­vor­sit­zen­de aller Hor­ror­clowns ist zum US-Prä­si­den­ten gewählt wor­den, aber in Deutsch­land gibt es Hoff­nung: Mar­tin Schulz will Bun­des­kanz­le­rin wer­den. Über die­se The­men und über alles ande­re spre­chen Lucky & Fred in der neu­es­ten Aus­ga­be ihres belieb­ten Pod­casts.

Wei­ter­füh­ren­de Links:
4:50: Arte-Doku­men­ta­ti­on über Donald Trump
11:27: Emi­ly Nuss­baum: „How jokes won the elec­tion“
20:00: correctiv.org: Pret­zell und Petry in Erklä­rungs­not
48:14: Con­chi­ta singt „Satel­li­te“

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Wieder die Political Correctness!

Seit Donald Trump auf­grund eines sehr kom­pli­zier­ten Wahl­sys­tems als nach Wäh­ler­stim­men klar unter­le­ge­ner Kan­di­dat zum US-Prä­si­den­ten gewählt wur­de, tobt die gro­ße feuil­le­to­nis­ti­sche Debat­te dar­über, wie das pas­sie­ren konn­te, was sich ändern muss und war­um Men­schen eigent­lich jeman­den wäh­len, der per­ma­nent lügt, sei­ne Mei­nung ändert und sexis­ti­sche und ras­sis­ti­sche Sprü­che in Men­gen unters Volk haut, die bei Son­der­an­ge­bo­ten im Super­markt nicht mehr unter den Begriff „haus­halts­üb­lich“ fal­len wür­den.

Das Schö­ne an die­ser welt­wei­ten Debat­te ist, dass sich die Dis­ku­tan­ten über die Fra­ge, ob und wie man jetzt mit die­sen Men­schen spre­chen müss­te, der­art gegen­sei­tig selbst zer­flei­schen, dass sie sicher sein kön­nen, auf abseh­ba­re Zeit nicht mit die­sen Men­schen spre­chen zu müs­sen. Will­kom­men im größ­ten SoWi-LK der Welt!

Immer wie­der hört man, die „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“ sei schuld. Wenn wei­ße Män­ner in den bes­ten Jah­ren, die einen Arbeits­platz und eine gesun­de Fami­lie haben, nicht mehr „Neger“ sagen und frem­den Frau­en an den Hin­tern fas­sen dür­fen, wäh­len sie die AfD. (Wei­ße Män­ner in den bes­ten Jah­ren, die Kolum­nen gegen „Polit­cal Cor­rect­ness“ schrei­ben, wür­den in ihrer bekannt jovia­len Art ver­mut­lich hin­zu­fü­gen wol­len, dass Män­ner in den bes­ten Jah­ren auch AfD wäh­len, weil „ihre Alte sie nicht mehr ran­lässt“, hät­ten dann aber wahr­schein­lich doch zu viel Angst vor den Reak­tio­nen zuhau­se.)

Die Kolum­ne von Mely Kiyak bei „Zeit Online“ ist der 792. Text, den ich seit dem 9. Novem­ber zu die­sem The­ma gele­sen habe, aber da steht noch ein­mal viel Klu­ges drin. Zum Bei­spiel:

Wenn Poli­ti­ker in Zei­ten von bren­nen­den Asyl­hei­men und Angrif­fen auf Min­der­hei­ten for­dern, es müs­se erlaubt sein, offen Pro­ble­me der Inte­gra­ti­on zu benen­nen, dann wird es düs­ter und unver­schämt: Wir haben in Deutsch­land vie­le Pro­ble­me, aber sicher kei­nes damit, dass man sich nicht jeder­zeit ras­sis­tisch, wider­wär­tig und pri­mi­tiv im öffent­li­chen Raum äußern dür­fe. Die öffent­li­chen Talk­shows wären ohne die per­ma­nen­te Infra­ge­stel­lung von Min­der­hei­ten und ihrer angeb­li­chen Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit auf­ge­schmis­sen.

Immer wie­der hört man ja seit Jahr­zehn­ten den Satz „Das wird man ja wohl noch sagen dür­fen!“ und jedes Mal möch­te man ant­wor­ten: „Man darf es sogar sagen. Das ist ja das Tol­le an der Mei­nungs­frei­heit! Du darfst es sagen, Dei­ne Freun­de kön­nen Dich dafür fei­ern, aber sei dar­auf vor­be­rei­tet, dass es viel­leicht nicht jeder gut fin­det und eini­ge lie­ber nichts mit Dir zu tun haben wol­len!“ Die­se Men­schen wol­len ja aber gar kei­ne Mei­nungs­frei­heit – jeden­falls nicht für die, die ande­rer Mei­nung sind als sie.

In der aktu­el­len „Zeit“ gibt es einen Text über den aktu­el­len Zustand des Femi­nis­mus von Eli­sa­beth Raether, der, so Raether, immer stil­ler wird:

Statt sich mit all sei­nem Gewicht am Kampf der frei­en Gesell­schaf­ten gegen die rasend schnell wach­sen­den auto­ri­tä­ren Bewe­gun­gen zu betei­li­gen, lie­fert er sich amü­san­te Wort­ge­fech­te mit Kolum­nis­ten wie Jan Fleisch­hau­er und Harald Mar­ten­stein – Män­nern, von denen doch eine eher über­schau­ba­re Gefahr aus­geht.

Ja, könn­te man so sehen.

Das sind jetzt nur zufäl­li­ger­wei­se genau sol­che wei­ßen Män­ner in den bes­ten Jah­ren, die Kolum­nen gegen „Polit­cal Cor­rect­ness“ schrei­ben, und damit jenen wei­ßen Män­ner in den bes­ten Jah­ren, die einen Arbeits­platz und eine gesun­de Fami­lie haben, aber nicht mehr „Neger“ sagen und frem­den Frau­en an den Hin­tern fas­sen dür­fen, aus dem Her­zen spre­chen. Auch wenn man dort beim Spre­chen ver­mut­lich sei­nen eige­nen Atem sieht.

Es fol­gen eini­ge Absät­ze, in denen auch ein rich­ti­ge Gedan­ken ste­cken, und dann das hier:

Das Jahr 2013 haben Femi­nis­tin­nen damit ver­bracht, dem FDP-Poli­ti­ker Rai­ner Brü­der­le auf klein­lichs­te Wei­se ein miss­lun­ge­nes Kom­pli­ment vor­zu­hal­ten. Herbst 2016: Ein Mann wird ins Wei­ße Haus gewählt, für den sexu­el­le Gewalt eine aus­ge­fal­le­ne Flirt­tech­nik ist.

Doch jetzt ist die Spra­che der Moral auf­ge­braucht. Der Vor­wurf des Sexis­mus wur­de so oft gemacht, dass es inzwi­schen ein Leich­tes ist, ihn zu rela­ti­vie­ren. Löst man so oft Fehl­alarm aus, wird einem nicht mehr geglaubt, wenn das Haus wirk­lich brennt. Nicht nur das Wort Femi­nis­mus hat sei­nen Schre­cken ver­lo­ren – dem Begriff Sexis­mus ist sei­ne mora­li­sche Kraft abhan­den­ge­kom­men und damit die Schutz­funk­ti­on, die er mal hat­te.

Ja, könn­te man so sehen.

Man könn­te sich aber auch kurz an die seli­gen Zei­ten des Jah­res 2013 erin­nern, als wir glaub­ten, ernst­haft Grund zu der Annah­me zu haben, Rai­ner Brü­der­le sei ein Sexis­mus-Dino­sau­ri­er: Ein leicht schmie­ri­ger, leicht unbe­hol­fe­ner Onkel-Typ, dem man kurz das 21. Jahr­hun­dert erklä­ren müss­te, des­sen Art aber ohne­hin bald weg ist. Viel­leicht brann­te nicht das Haus, aber wenn man bei einem Schwel­brand die Feu­er­wehr ruft, ist das kein Fehl­alarm. Man kann ja nicht ahnen, dass drei Jah­re spä­ter eine Feu­er­wal­ze apo­ka­lyp­ti­schen Aus­ma­ßes auf das Haus zuhal­ten wird.

(Glei­ches gilt übri­gens auch für Ras­sis­mus: Nur weil es Donald Trump gibt, wird das „Jim Knopf“-Blackfacing bei „Wet­ten dass..?“ im sel­ben Jahr 2013 ja nicht weni­ger schlimm.)

Da kom­men wir aber auch wie­der zu einem Dif­fe­ren­zie­rungs­pro­blem, über das seit Jah­ren dis­ku­tiert wird: Ist jeder, der etwas sexis­ti­sches sagt, ein Sexist? Jeder, der etwas ras­sis­ti­sches sagt, ein Ras­sist? Je nach Tages­form und kon­kre­tem Fall habe ich da sehr unter­schied­li­che Mei­nun­gen.

Über etwas ande­res kann es aber kaum unter­schied­li­che Mei­nun­gen geben: Wenn eine Frau nicht auf eine bestimm­te Art ange­spro­chen, ange­guckt oder gar ange­fasst wer­den will, soll­te man als Mann – je nach eige­ner Dis­po­si­ti­on – wahl­wei­se vor Scham im Boden ver­sin­ken oder wenigs­tens die Klap­pe hal­ten. Ana­log bei ras­sis­ti­schen Vor­komm­nis­sen. „Ich fin­de das aber wit­zig“, ist ein Aus­druck von Mei­nungs­plu­ra­li­tät, aber kein Argu­ment.

„Poli­ti­cal Cor­rect­ness“ ist letzt­lich auch nur ein ande­res Wort für „Anstand“ oder „Höf­lich­keit“, was mich zum drit­ten Text bringt, den ich heu­te zu die­sem The­men­kom­plex gele­sen habe: einer Kolum­ne von Jago­da Mari­nic bei süddeutsche.de.

Ihr The­ma ist die Höf­lich­keit:

Mag sein, dass Höf­lich­keit ein gest­ri­ger Wert ist, aber es ist einer, auf den wir schon viel zu lan­ge ver­zich­ten, ohne uns gegen sein Ver­schwin­den zur Wehr zu set­zen. Statt­des­sen bah­nen sich Men­schen den Weg in die Öffent­lich­keit, die Unver­schämt­heit für eine rhe­to­ri­sche Leis­tung hal­ten. Unver­schämt­heit ist jedoch nichts wei­ter als ein aus den Fes­seln gera­te­nes Ego.

Die­se Ent­fes­se­lung des unver­schäm­ten Egos hat nicht in der Sphä­re der Poli­tik begon­nen, son­dern in der Fern­seh­welt, genannt Unter­hal­tung. Die TV-Macher woll­ten raus aus den lang­wei­li­gen Fami­li­en­sen­dun­gen wie „Wet­ten, dass ..?“ und erfan­den statt­des­sen die Talent­su­che, in der Spott über man­geln­des Talent für mehr Quo­te sorgt als die Freu­de an Talent.

Die­ter Boh­len ist das deut­sche Aus­hän­ge­schild die­ses Geha­bes. Der Erfolg gibt ihm recht, heißt es, wenn man das ver­ba­le Aus­tei­len der Jury kri­ti­siert. Eine wei­te­re Vari­an­te die­ses Spot­tens sind Fern­seh-Teams, die sich über die Unwis­sen­heit von Pas­san­ten in Ein­kaufs­pas­sa­gen belus­ti­gen.

Ich ver­tre­te schon län­ger die Theo­rie, dass Simon Cowell, Juror und Pro­du­zent bei „Ame­ri­can Idol“, „X Fac­tor“ und „Britain’s Got Talent“, und sein deut­sches Pen­dant Die­ter Boh­len einen Stein ins Rol­len gebracht haben, der am Ende Donald Trump mit einem Erd­rutsch (hier stimmt die For­mu­lie­rung aus­nahms­wei­se mal, wenn man dar­un­ter eine Bewe­gung gro­ßer Gesteins­mas­sen in Fol­ge von Nie­der­schlä­gen ver­steht, die mit sehr viel Schmutz und Dreck ein­her­geht) ins Wei­ße Haus gebracht hat: Da saßen im Fern­se­hen (und Trumps Popu­la­ri­tät begann ja erst so rich­tig mit „The App­ren­ti­ce“) die­se wei­ßen Män­ner in den bes­ten Jah­ren, die Din­ge sag­ten, die ande­re wei­ße Män­ner in den bes­ten Jah­ren sich nicht („mehr“) zu sagen trau­ten. Roger Wil­lem­sen, Die­ter Boh­len – so hat jeder sei­ne Role Models.

Dass aus­ge­rech­net Mul­ti­mil­lio­nä­re, die in der aller-aller­künst­lichs­ten Atmo­sphä­re einer „Reality“-Fernsehsendung hoff­nungs­vol­le, nor­ma­le Men­schen run­ter­put­zen, als authen­tisch, volks­nah und ver­trau­ens­wür­dig gel­ten, sagt ent­we­der viel über die Sozi­al- und Medi­en­kom­pe­tenz der Zuschau­er aus oder über die Außen­wir­kung hart arbei­ten­der Fach­leu­te in der Poli­tik. Viel­leicht auch über bei­des, aber dar­über schrei­be ich dann beim nächs­ten Mal.

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Re: Elbphilharmonie

Ich war Anfang die­ser Woche beruf­lich in Ham­burg und habe mir ein paar Stun­den Zeit genom­men, um ganz doof tou­ris­tisch an den Lan­dungs­brü­cken aus­zu­stei­gen und zu Fuß bis zum Haupt­bahn­hof zurück zu lat­schen. Es war tro­cken (ich habe in Ber­lin übri­gens bedeu­tend mehr Regen und schlech­tes Wet­ter erlebt als in Ham­burg) und schön und ich war schon nach weni­gen Metern wie­der schwer ver­liebt in die­se Stadt.

Ich mag Was­ser unge­heu­er ger­ne (zu mei­nen Lieb­lings­or­ten in Bochum gehört des­halb auch vor allem der Kem­n­ader See, das ein­zi­ge halb­wegs ernst­zu­neh­men­de Was­ser im Stadt­ge­biet) und man kann die Lan­dungs­brü­cken ja völ­lig zurecht als gru­se­li­gen Tou­ris­ten­nepp mit homöo­pa­thi­schen Antei­len von See­fah­rer­ro­man­tik, also mit­hin als deut­schen Pier 39, abtun und man kann die gan­zen Auf­hüb­schun­gen und Leucht­turm­pro­jek­te und die gan­ze Gen­tri­fi­zie­rung kri­ti­sie­ren, aber das hat mich in dem Moment nicht inter­es­siert: Ich konn­te die Frei­heit der gro­ßen, wei­ten Welt ein­at­men.

Ich bin dann wei­ter­ge­gan­gen Rich­tung Spei­cher­stadt, wo ich fest­stell­te, dass die Elb­phil­har­mo­nie nicht nur fer­tig ist (kurz nach dem Bochu­mer Musik­zen­trum, aber immer­hin), son­dern man da bereits zum Gucken rein­kann — und zwar sofort und kos­ten­los.

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Es fol­gen mei­ne Gedan­ken in Echt­zeit:

„Urgs, die Elb­phil­har­mo­nie! Völ­lig über­teu­er­ter Protz­bau für die han­sea­ti­sche Eli­te. Brauch ich nicht! Das Musik­zen­trum ist eh viel coo­ler und über­haupt, bla­bla­bla, Hafen­stra­ße, Punk, puber­tä­res Ich­will­d­anicht­rein!“
„… sagt der Voll­idi­ot, der in New York war und weder aufs Empire Sta­te Buil­ding, noch aufs Rocke­fel­ler Cen­ter woll­te, weil die Schlan­gen zu lang waren oder das umge­rech­net zwei CDs gekos­tet hät­te und zehn Jah­re spä­ter kannst Du immer noch allen erzäh­len, dass Du in New York warst, aber es nur aus Stra­ßen­hö­he gese­hen hast!“
„Okay, ich geh da jetzt rein! Dann kann ich’s ja auch viel bes­ser begrün­det doof fin­den!“

Was soll ich sagen: Ich hab’s ver­sucht, aber das, was ich gese­hen habe, ist wirk­lich, wirk­lich beein­dru­ckend. Jedes ein­zel­ne Detail ist völ­lig unnö­tig kom­pli­ziert (Eine Roll­trep­pe, deren Stei­gungs­grad zwi­schen­durch vari­iert! Rie­si­ge, geschwun­ge­ne Glas­schei­ben, die in einem Dreh­tür­me­cha­nis­mus an einer unebe­nen Decke ver­an­kert sind!), es ist wie Math Rock mit Tex­ten von Adal­bert Stif­ter. Fuck yeah, Her­zog & de Meu­ron!

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Alles, wirk­lich alles, ist eine knal­li­ge Ant­wort auf die Fra­gen der Leser­brief­schrei­ber, der „Mario Barth deckt auf“-Zuschauer und des Bun­des der Steu­er­zah­ler, ob „wir“ „das“ „jetzt“ „wirk­lich“ „brau­chen“: „Nein, brau­chen wir nicht. Wir brauch­ten auch kei­nen Köl­ner Dom, kei­ne Alte Oper, kein Bran­den­bur­ger Tor und kein Neu­schwan­stein. Und jetzt lasst mich end­lich mit Eurem klein­geis­ti­gen Vor­gar­ten­den­ken in Frie­den! Ich bin ein Bau­denk­mal für die Ewig­keit!“

Wenn man auf den Kai­spei­cher A einen rie­si­gen, von Jeff Koons gestal­te­ten Mit­tel­fin­ger mon­tiert hät­te, wäre die Bot­schaft ver­gleich­bar gewe­sen, aber die Akus­tik und der prak­ti­sche Nut­zen deut­lich gerin­ger. Die Ästhe­tik sowie­so.

Da stand ich jetzt in 37 Metern Höhe auf der „Pla­za“ (Gut, an dem Namen hät­te man noch arbei­ten kön­nen, damit er wei­ni­ger nach Food Court im Ein­kaufs­zen­trum klingt!), genoss die phan­tas­ti­sche Aus­sicht und die gute Stim­mung unter den Leu­ten, die, so nahm ich ein­fach mal an, je zur Hälf­te Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­sche waren. „Es ist ein­fach die schöns­te Stadt der Welt“, sag­te ein Mann leicht seuf­zend zu sei­ner Beglei­te­rin und für eine Sekun­de hat­te ich San Fran­cis­co, Wien, Ams­ter­dam und Stock­holm ver­ges­sen und dach­te: „Jau!“

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Im Okto­ber war ich bei der Eröff­nung des Anne­lie­se Brost Musik­fo­rum Ruhr in Bochum (das übri­gens auch ganz toll gewor­den ist, aber auf einem völ­lig ande­ren Level) und es war eine sehr ähn­li­che Atmo­sphä­re: Wenn so ein Bau­werk erst­mal fer­tig ist, inter­es­sie­ren die Kos­ten (egal, ob jetzt 15 oder … äh: 866?!?! Okay: 866 Mil­lio­nen Euro. Hui!) nur noch die Unter­su­chungs­aus­schüs­se, die Haus­halts­prü­fer und die Jour­na­lis­ten. Die Men­schen freu­en sich über das neue Wahr­zei­chen, über die Kul­tur und – im Fall von Bochum sicher­lich stär­ker als im Fall von Ham­burg – über die über­re­gio­na­le Auf­merk­sam­keit und selbst die meis­ten Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­ker und Kri­ti­ker sind, wenn’s erst mal toll gewor­den ist, immer schon dafür gewe­sen.

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Little Brother Is Watching You

Ich sit­ze gera­de im Café, um zu arbei­ten. (Dafür trin­ke ich mei­nen Kaf­fee dann in mei­nem Arbeits­zim­mer.) Ich habe also mei­nen Lap­top auf­ge­klappt und lese gera­de die­sen „Süddeutsche“-Artikel über Sahra Wagen­knechts Rede in der gest­ri­gen Gene­ral­de­bat­te des Bun­des­tags.

Und jetzt steht Wagen­knecht im Hohen Haus und sagt an die Bun­des­re­gie­rung gerich­tet: „Offen­bar hat ja selbst noch ein Donald Trump wirt­schafts­po­li­tisch mehr drauf als Sie.“

Alles klar, den­ke ich, und tei­le den Arti­kel mit dem Satz „Eine von Ange­la Mer­kels wich­tigs­ten Wahl­kämp­fe­rin­nen heißt Sahra Wagen­knecht“ bei Face­book.

Minu­ten spä­ter geht ein jun­ger Mann auf dem Weg zum Aus­gang an mir vor­bei und sagt: „Gute Rede!“
„Hmmmm“, fra­ge ich, weil ich mich – ganz ego­zen­tri­scher Medi­en­fuz­zi – gar nicht erin­nern kann, in letz­ter Zeit irgend­wel­che Reden gehal­ten oder geschrie­ben zu haben.
„Die Rede von Sahra Wagen­knecht ges­tern. Die hast Du doch gera­de gelik­ed, oder?“
Ich erklä­re, dass ich die Rede eher kri­ti­siert hät­te, und Poli­ti­ker, die Donald Trump lob­ten, jetzt eher nicht so ernst neh­men kön­ne.
„Sie hat ja nur gesagt, dass er eine bes­se­re Wirt­schafts­po­li­tik hat, und das stimmt, fin­de ich!“, sagt der jun­ge Mann und ich mer­ke, dass sei­ne Beglei­te­rin ihn schon sanft Rich­tung Tür schiebt.
„Nee“, ent­geg­ne ich und den­ke, dass ich bei Online-Dis­kus­sio­nen echt schlag­fer­ti­ger bin als im real life.
„Find ich schon“, sagt er und schiebt nach: „Und ich bin ein Lin­ker!“

In die­sem Moment fällt mir ein, dass gera­de jemand in mei­nem Rücken Mar­tin Schulz als „Ver­bre­cher“ und „Wich­ser“ bezeich­net hat­te, und jetzt weiß ich auch, wer das war.
Die Beglei­te­rin schafft es, den Mann durch die Tür zu bug­sie­ren, wir tau­schen noch has­tig freund­li­che Ver­ab­schie­dungs­wor­te aus, dann sehe ich, wie sie ihn mit die­ser Mischung aus Zunei­gung, Erfah­rung und Resi­gna­ti­on, wie sie nur in sehr lang­jäh­ri­gen Bezie­hun­gen vor­kommt, an die Hand nimmt.

„Komisch“, den­ke ich und wid­me mich vor­sich­tig wie­der mei­nem Lap­top. „Frü­her waren die Lin­ken doch gegen Über­wa­chung!“

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Wir müssen reden!

Vier Tage sind seit der Wahl Donald Trumps zum US-Prä­si­den­ten ver­gan­gen und ich habe seit­dem vie­le Tex­te gele­sen, war­um das über­ra­schend oder nicht über­ra­schend war, dass die Demo­kra­ten dar­an schuld sei­en oder die wei­ßen Män­ner, dass viel­leicht alles gar nicht so schlimm wird oder viel­leicht alles noch schlim­mer, dass wir mit den AfD-Wäh­lern reden müs­sen oder ihnen zuhö­ren, dass wir Ver­ständ­nis für sie zei­gen sol­len oder kla­re Kan­te. Kurz­um: Das links­li­be­ra­le Lager, in dem ich mich bewe­ge, ist min­des­tens genau­so gespal­ten wie die Gesell­schaft selbst. Der Motor hat gerat­tert, diver­se Warn­lam­pen sind ange­gan­gen, es kam Qualm aus der Motor­hau­be und die Tank­an­zei­ge leuch­te­te und jetzt ste­hen wir vor einem lie­gen­ge­blie­be­nen Auto und dis­ku­tie­ren dar­über, ob wir viel­leicht Luft in die Rei­fen hät­ten packen sol­len.

Manch­mal wird jetzt dar­auf hin­ge­wie­sen, dass nicht alle Trump-Wäh­ler Ras­sis­ten und/​oder Sexis­ten sei­en, was sicher­lich rich­tig ist. Aber sie sam­meln sich hin­ter einem Mann, der mit ras­sis­ti­schen Res­sen­ti­ments nur so um sich gewor­fen hat und bei dem alles dafür spricht, dass er Frau­en als Objek­te betrach­tet, mit denen er machen kann, was er will. Und das wirft ja dann doch Fra­gen auf. Nicht jeder, der einen ras­sis­ti­schen oder sexis­ti­schen Witz macht, ist des­halb auto­ma­tisch Ras­sist oder Sexist, aber es ist unse­re Auf­ga­be als Gesell­schaft, auf den ras­sis­ti­schen bzw. sexis­ti­schen Hin­ter­grund des Wit­zes auf­merk­sam zu machen und zu ver­ste­hen zu geben, dass wir so etwas nicht akzep­tie­ren. Wer das nicht ver­ste­hen will und mun­ter wei­ter macht, erhöht damit die Wahr­schein­lich­keit, dass er tat­säch­lich Ras­sist bzw. Sexist ist, deut­lich.

Ich glau­be, dass es eini­ger­ma­ßen müßig ist, sich öffent­lich mit Chef­pro­pa­gan­dis­ten wie Udo Ulfkot­te oder nam­haf­ten AfD-Poli­ti­kern zu bekämp­fen (und es schmerzt mich wirk­lich, eine For­mu­lie­rung wie „nam­haf­te AfD-Poli­ti­ker“ zu ver­wen­den). Die wird man auf kei­nen Fall über­zeu­gen kön­nen und deren Anhän­ger reagie­ren mit Ableh­nung, wenn man ihre Hel­den mit dem schwe­ren Gerät in die Man­gel nimmt, das für Volks­ver­het­zer, Lüg­ner und Popu­lis­ten not­wen­dig ist.

Aber wir kön­nen mit den „nor­ma­len Men­schen“ reden. (Ein­schub: Die­se For­mu­lie­rung klingt immer so, als sei­en auf­ge­klär­te, fort­schritt­li­che Lin­ke und Libe­ra­le kei­ne nor­ma­len Men­schen und als ob es irgend­ei­nen natür­li­chen Inter­es­sen­kon­flikt zwi­schen der Arbei­ter­klas­se und intel­lek­tu­el­ler ori­en­tier­ten Groß­städ­tern gäbe. Mei­ne Freun­de und ich sind erst mal genau­so nor­mal wie Bau­ern im All­gäu, Auto­me­cha­ni­ker in Sach­sen-Anhalt oder Werft­ar­bei­ter in Nie­der­sach­sen. Wenn jemand anfängt, ande­ren Men­schen Rech­te abzu­spre­chen, schwenkt er aus dem Bereich der Nor­ma­li­tät aus. Ein­schub Ende.) Nicht, indem wir ver­su­chen, ihnen die gesam­te Welt zu erklä­ren, son­dern indem wir ihnen von ande­ren Men­schen erzäh­len, die genau­so nor­mal sind und sich im aktu­el­len poli­ti­schen Kli­ma ernst­haf­te Sor­gen um ihr Leben und das ihrer Kin­der machen. Wir müs­sen Fak­ten aus­wen­dig ler­nen, Zah­len ken­nen und von Men­schen aus unse­rem Umfeld berich­ten. Wenn wir die Auf­stel­lun­gen aller Bun­des­li­ga­ver­ei­ne, die Sie­ger des Euro­vi­si­on Song Con­test seit 1956 und die Zita­te aus allen Fil­men von Mon­ty Python und Lori­ot ken­nen, kann es ja nicht so schwer sein, sich ein paar zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen drauf­zu­schaf­fen.

Ich habe als direk­te, ers­te per­sön­li­che Kon­se­quenz aus Donald Trumps Wahl­er­folg ange­fan­gen, online mit Men­schen zu dis­ku­tie­ren. Nicht, sie beschimp­fen, son­dern ihnen mei­nen Stand­punkt zu erklä­ren und zu ver­su­chen, ihren Stand­punkt zu ver­ste­hen. Ich habe dabei zahl­rei­che Beschimp­fun­gen in mein Wohn­zim­mer gebrüllt, nur um zwei, drei Kom­men­ta­re spä­ter fest­zu­stel­len, dass wir inhalt­lich gar nicht so weit aus­ein­an­der­lie­gen. Zum Bei­spiel beim The­ma „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“, die frü­her „Anstand“ hieß und die für vie­le Men­schen, auch sol­che, die weit davon ent­fernt sind, AfD zu wäh­len auf merk­wür­di­ge Art ein rotes Tuch dar­stellt. Ich ver­ste­he nicht, war­um Men­schen sich so schwer damit tun, auf Begrif­fe zu ver­zich­ten, durch die sich ande­re Men­schen ver­letzt oder aus­ge­grenzt füh­len. Es bricht einem doch kein Zacken aus der Kro­ne, wenn in einem Behör­den­schrei­bern „Bürger*Innen“ steht oder man zu einer Back­wa­re, die sowie­so schon alles ande­re als gesund und natür­lich ist, jetzt „Schaum­kuss“ sagen soll, obwohl man jah­re­lang ein ande­res Wort gebraucht hat.

Das heißt: Aus sprach­wis­sen­schaft­li­cher Sicht habe ich da sogar ein gewis­ses Ver­ständ­nis. Bücher über Gram­ma­tik und Recht­schrei­bung waren anfangs deskrip­tiv, irgend­wel­che Leu­te haben also alle paar Jah­re oder Jahr­zehn­te auf­ge­schrie­ben, wie die Men­schen gera­de so gespro­chen und geschrie­ben haben. Der „Duden“, wie wir ihn seit unse­rer Schul­zeit ken­nen, fun­gier­te aber schon als Unter­schei­dung zwi­schen „rich­tig“ und „falsch“ (es ist halt auch ein­fa­cher, wenn man weiß, wovon der ande­re schreibt). Dann kam die soge­nann­te Recht­schreib­re­form und ein Gre­mi­um hat­te plötz­lich ganz vie­le neue Vor­schlä­ge für Schreib­wei­sen, die sich aber nicht an dem ori­en­tier­ten, wie die Leu­te schrie­ben (denn die schrie­ben ja so, wie es bis­her im Duden stand), son­dern die manch­mal ver­ständ­li­che, manch­mal falsch abge­lei­te­te neue Vor­schlä­ge waren. Nicht nur, dass (Ach­tung, Ach­tung: das „dass“ ist ein schö­nes Bei­spiel!) die Leu­te plötz­lich anders schrei­ben soll­ten ohne zu wis­sen war­um, die Zei­tun­gen hiel­ten sich nicht dar­an, in den Schu­len gab es ein Hin und Her im Lehr­plan und letzt­lich weiß seit 20 Jah­ren unge­fähr nie­mand mehr, was „rich­tig“ und was „falsch“ ist. Spra­che ist aber etwas, was uns Men­schen ganz nahe ist, die wir alle benut­zen. Selbst Men­schen, die von Geburt an nicht hören kön­nen, nut­zen sehr häu­fig eine Gebär­den­spra­che – wes­we­gen sie – Hal­lo, Poli­ti­cal Cor­rect­ness! – auch nicht „taub­stumm“ sind, son­dern „gehör­los“. Wir alle benut­zen Spra­che, über­all auf der Welt. Spra­che wird von mehr Men­schen genutzt als Autos, es kön­nen mehr Men­schen spre­chen als schwim­men, wir nut­zen Spra­che, um uns gegen­sei­tig bei Face­book anzu­schrei­en, aber auch, um unse­ren Liebs­ten mit­zu­tei­len, was wir für sie emp­fin­den. Wenn da jemand an unse­ren Wort­schatz her­an­möch­te, ist das irri­tie­rend, viel­leicht sogar erschre­ckend und wenn man dann noch zufäl­lig mal irgend­was über Geor­ge Orwells „1984“ gele­sen hat, ist der Schrei, hier sei die „Sprach­po­li­zei“ am Werk, nicht mehr weit.

Vor 30 Jah­ren war es total nor­mal, in öffent­li­chen Gebäu­den, Gast­stät­ten, sogar in Zügen und Flug­zeu­gen zu rau­chen. Jeder ein­zel­ne Rau­cher konn­te die Luft für hun­dert Men­schen um ihn her­um ver­pes­ten und deren Gesund­heit gefähr­den. Inzwi­schen gibt es einen brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens, dass Rauch­ver­bo­te in öffent­li­chen Gebäu­den, Zügen und Flug­zeu­gen in Ord­nung sind (bei Gast­stät­ten ist das schwie­ri­ger und mei­ne eige­ne Posi­ti­on zu dem The­ma könn­te drei wei­te­re Blog-Ein­trä­ge fül­len, denen ich mich ger­ne wid­men will, wenn wir wie­der Zeit für die etwas weni­ger drän­gen­den Pro­ble­me haben), dass man eher nicht raucht, wenn Kin­der in der Nähe sind und dass Rau­chen gene­rell nicht so doll für die Gesund­heit ist. Die­se Rauch­ver­bo­te kamen natür­lich auch auf Druck von Bür­ger­initia­ti­ven zustan­de, die Poli­tik muss­te sie aber von oben her­ab durch­set­zen – gegen den erklär­ten Wil­len der mäch­ti­gen Tabak­lob­by. Ein „Lasst uns doch ein­fach alle mal auf­hö­ren, in der Stra­ßen­bahn zu rau­chen“ hät­te kei­nen Erfolg gehabt. Die­se Rauch­ver­bo­te sind für alle bes­ser, aber sie zwin­gen Rau­cher dazu, vor die Tür zu gehen oder stun­den­lan­ge Bahn- und Flug­rei­sen ohne Niko­tin­zu­fuhr durch­zu­ste­hen, was tat­säch­lich wahn­sin­nig anstren­gend sein kann.

„Bürger*Innen“, „Schaum­kuss“ und „gehör­los“ tun nie­man­dem weh. Nie­mand bekommt des­we­gen Schmacht. Ja, es kann sogar jeder, der die­se Begrif­fe nicht mag, voll­kom­men legal ande­re benut­zen. Er soll­te sich nur nicht wun­dern, wenn er von ande­ren Men­schen schief ange­schaut wird, weil die im Lau­fe der Zeit eine stär­ke­re Sen­si­bi­li­tät dafür ent­wi­ckelt haben. Denn Spra­che hat auch Macht und prägt das Den­ken. (Das ist jetzt schwer ver­ein­facht aus­ge­drückt, aber ich habe das Gefühl, mit mei­nem Mans­plai­ning hier schon genug Lese­rin­nen und Leser ver­lo­ren zu haben. Ent­schul­di­gung, aber ich ver­su­che wirk­lich, das alles Schritt für Schritt ver­ständ­lich zu machen und ich hab das auch mal stu­diert.) Ich möch­te nicht, dass mein Kind in einer Welt auf­wächst, wo „schwul“ und „behin­dert“ als Syn­ony­me für „doof“, „schlecht“ oder „schei­ße“ ver­wen­det wer­den. Denn selbst wer dar­auf beharrt, nichts gegen Schwu­le und Men­schen mit Behin­de­rung zu haben, sorgt sonst dafür, dass die­se Begrif­fe nega­tiv kon­no­tiert sind. Und wäh­rend ich ganz gut damit leben kann, dass Voka­beln wie „geil“ oder „Chip“ im Lau­fe der Zeit ihre Bedeu­tung geän­dert bzw. meh­re­re Bedeu­tun­gen haben, fin­de ich es inak­zep­ta­bel, dass Begrif­fe, die eine Bevöl­ke­rungs­grup­pe beschrei­ben, in einem ande­ren Kon­text als abwer­tend benutzt wer­den.

Mei­ne Mut­ter hat sich in den 1980er Jah­ren mit ande­ren Eltern zusam­men­ge­tan, um lokal gegen Umwelt­ver­schmut­zung, Atom­kraft­wer­ke und den Kli­ma­wan­del zu kämp­fen. Es ist unfass­bar, dass wir nicht nur die­se Pro­ble­me noch nicht in den Griff bekom­men haben, son­dern wir jetzt auch noch ganz ernst­haft vor Pro­ble­men ste­hen, die damals schon seit Jahr­zehn­ten über­stan­den schie­nen. Aber so ist eben jetzt die Lage, also müs­sen wir da ran und gleich­zei­tig für die völ­li­ge Gleich­stel­lung von Frau­en, der LGBTI-Com­mu­ni­ty und Men­schen mit Behin­de­rung auf der einen Sei­te kämp­fen, wäh­rend wir auf der ande­ren Sei­te mit Leu­ten dis­ku­tie­ren, die die sim­pels­ten men­schen­recht­li­chen Errun­gen­schaf­ten auf den Prüf­stand stel­len wol­len.

Wir müs­sen also jetzt mit den Leu­ten in der Knei­pe reden, in der Stra­ßen­bahn, im Sta­di­on, schlimms­ten­falls sogar beim Fami­li­en­kaf­fee. Wir dür­fen nicht die Augen ver­dre­hen und gleich „Nazi!“ den­ken, wenn jemand etwas sagt, was nicht unse­rer Mei­nung ent­spricht. Wir müs­sen klar­stel­len, dass uni­ver­sel­le Men­schen­rech­te nicht ver­han­del­bar sind, und in Detail­fra­gen den Aus­tausch suchen. Wir müs­sen sagen, dass wir es auch nicht gut fin­den, wenn mus­li­mi­sche Frau­en gezwun­gen wer­den, ein Kopf­tuch zu tra­gen, es aber auch nicht ver­tret­bar ist, sie dazu zu zwin­gen, kei­nes zu tra­gen, wenn sie denn eins tra­gen wol­len. Und wir müs­sen bei der Fra­ge: „Und wie soll man das unter­schei­den?“ sagen, dass wir das jetzt auch nicht wis­sen, dass es aber kei­ne Lösung sein kann, eine Volks­grup­pe unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len. (Es aber ande­rer­seits auch nicht in Ord­nung ist, alle Men­schen, die ein Pro­blem damit haben, dass Mus­li­mas ein Kopf­tuch tra­gen, ohne wei­te­re Dis­kus­si­on als „Faschis­ten“ zu brand­mar­ken.)

Wir müs­sen die­sen Leu­ten sagen, dass Rechts­po­pu­lis­ten viel­leicht Pro­ble­me benen­nen, dann aber nur Sün­den­bö­cke prä­sen­tie­ren und kei­ne Lösungs­an­sät­ze, die irgend­wie rea­lis­tisch oder mora­lisch oder legal sind. Dass Schwu­le und Les­ben end­lich wirk­lich hei­ra­ten und eine Fami­lie grün­den wol­len und dass deren Leben dadurch viel bes­ser wird, aber das Leben kei­ner ein­zi­gen Hete­ro-Fami­lie des­we­gen schlech­ter. Dass wir, wenn die Poli­tik die­ses lang­wie­ri­ge Orchi­deen­the­ma Gleich­be­rech­ti­gung end­lich mal abge­hakt hat (was nach mei­ner Ein­schät­zung fast an einem Tag in Bun­des­tag und Bun­des­rat zu schaf­fen sein könn­te), sofort über ande­re The­men spre­chen kön­nen. Dass „Vic­tim Bla­ming“ noch so ein doo­fes, neu­es Aka­de­mi­ker­wort sein mag, dass aber auch nie­mand „selbst schuld“ ist, wenn er oder sie Opfer eines Ver­bre­chens wird. Dass frem­de Men­schen in der eige­nen Hei­mat kei­ne Gefahr sein müs­sen, son­dern auch eine Chan­ce dar­stel­len kön­nen. Dass man nie­mals Men­schen gegen­ein­an­der aus­spie­len soll­te. Dass Jour­na­lis­ten kei­ne „Regie­rungs­agen­da“ vor­an­trei­ben, son­dern manch­mal höchs­tens ein biss­chen faul und auf ihre eige­ne Welt fokus­siert sind. Dass Exper­ten nicht ein­ge­bil­de­te, welt­frem­de Affen sind und man sich mit Zahn­schmer­zen, Aus­schlag oder Herz­in­farkt ja auch ger­ne in fach­män­ni­scher Obhut wüss­te. Dass Clau­dia Roth ganz sicher nicht die Sha­ria ein­füh­ren will. Dass die Fra­ge, ob hier irgend­ein Abend­land isla­mi­siert wer­den könn­te, bald kei­ne Rol­le mehr spie­len wird, weil wir, wenn wir den Kli­ma­wan­del (den es übri­gens tat­säch­lich gibt!) nicht ganz schnell in den Griff bekom­men, bald weder Abend­land noch Mus­li­me haben. Und wir müs­sen ihnen sagen, dass „die da oben“ nicht machen, was sie wol­len, son­dern dass Poli­tik wahn­sin­nig kom­plex ist.

Ich für mei­nen Teil kann eini­ger­ma­ßen damit leben, dass Poli­ti­ker von mei­ner Lebens­wirk­lich­keit kei­ne Ahnung haben – ich habe ja umge­kehrt auch kein Inter­es­se an Details über Ver­kehrs­aus­schüs­se, Ergän­zungs­an­trä­ge zu Ver­ord­nun­gen und die­sem gan­zen Kram. Ich tue mich ehr­lich gesagt etwas schwer damit, Poli­ti­ker über­haupt gegen ihre Kri­ti­ker zu ver­tei­di­gen, denn es gibt zahl­rei­che Din­ge, die mich an der Poli­tik auf­re­gen (und die steu­er­li­che Bes­ser­stel­lung kin­der­lo­ser Ehe­paa­re gegen­über unver­hei­ra­te­ten Eltern ist nur das wich­tigs­te Bei­spiel), und ich sehe Lob­by­is­mus und den Ein­fluss von Groß­kon­zer­nen mit Sor­ge. Ich glau­be aber auch, dass die meis­ten Mit­glie­der des Bun­des­ta­ges schon im Gro­ßen und Gan­zen ihr Bes­tes geben. Mit mir haben in den letz­ten Jah­ren kei­ne Poli­ti­ker gespro­chen. Ich aber auch nicht mit ihnen.

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Sonst ist der bitt’re Frost mein Tod

Als ich noch kein Kind hat­te, fand ich die Fra­ge „Haben Sie selbst Kin­der?“ in einer Dis­kus­si­on immer etwas unver­schämt – so, als ob einem das Schick­sal der Welt und der Men­schen weni­ger wich­tig wäre, nur weil man sich noch nicht erfolg­reich fort­ge­pflanzt hat. Stellt sich raus: Es ändert sich tat­säch­lich wahn­sin­nig viel und plötz­lich steht man am Mor­gen nach einer US-Prä­si­dent­schafts­wahl wei­nend unter der Dusche, weil man lang­sam echt Angst bekommt, in was für einer kran­ken Welt das Kind und sei­ne Freun­de eigent­lich auf­wach­sen sol­len.

Die neue Sicht auf die Welt ist aber nicht aus­schließ­lich apo­ka­lyp­tisch – im Gegen­teil: Die Geschich­te von St. Mar­tin hat mich als Kind nie ernst­haft beschäf­tigt. Klar: Bett­ler, Man­tel, Hei­li­ger. Jedes Jahr gab es in Dins­la­ken einen Gro­ßen Mar­tins­zug mit Pferd und Feu­er, danach gab es Stu­ten­kerle, aber das alles war nur das Vor­pro­gramm für die Mar­ti­ni­kir­mes, über die wir anschlie­ßend mit Omas Kir­mes­geld in der Tasche zie­hen durf­ten – und deren Name uns auch erst sehr viel spä­ter irgend­wie mehr­deu­tig und lus­tig erschien. Letz­tes Jahr aber, als wir das ers­te Mal mit dem Kind beim Mar­tins­zug waren und die Flücht­lings­kri­se gera­de auf dem Höhe­punkt war, da erschien mir die Geschich­te des römi­schen Sol­da­ten, der sich um einen Obdach­lo­sen vor den Stadt­to­ren küm­mert, plötz­lich wahn­sin­nig wich­tig und aktu­ell. Da hät­te der Pfar­rer bei sei­ner Rezi­ta­ti­on der Mar­tins­ge­schich­te gar nicht mehr den Bogen in die Gegen­wart schla­gen müs­sen.

Je län­ger ich dar­über nach­den­ke, des­to mehr habe ich das Gefühl, dass das Mar­tins­fest der viel­leicht wich­tigs­te – sicher­lich aber: greif­bars­te – christ­li­che Fei­er­tag sein könn­te. Geburt oder Auf­er­ste­hung eines Hei­lands, Hei­li­ger Geist und Was­ge­nauf­ei­ert­man­noch­mal­an­Fron­leich­nam? sind von der Lebens­wirk­lich­keit der Men­schen dann doch eher weit ent­fernt, Hilfs­be­reit­schaft und Nächs­ten­lie­be ver­ste­hen die meis­ten noch. Da braucht es dann auch gar nicht unbe­dingt noch die Schluss­poin­te und die fünf­te Stro­phe des Mar­tins­lieds, wo Jesus Chris­tus auf­taucht und erklärt, dass der gute Mar­tin jetzt für ihn, Chris­tus, den Man­tel gege­ben hät­te.

Nach­dem Ange­la Mer­kel mit ihrem Auf­ruf, Lie­der­zet­tel zu kopie­ren und Block­flö­tis­ten zu Rate zu zie­hen, mal wie­der für gro­ßes Hal­lo auf dem Gebiet gesorgt hat­te, das die meis­ten Deut­schen immer noch für Sati­re hal­ten, ver­öf­fent­lich­te der WDR in sei­ner Sen­dung „WDR aktu­ell“ einen Bei­trag aus dem WDR-Lehr­buch „WDR-Bei­trä­ge, die wie WDR-Bei­trä­ge aus­se­hen“: Erst san­gen nor­ma­le Men­schen auf der Stra­ße Weih­nachts­lie­der in Kame­ra und Mikro­fon, dann gab es Schnitt­bil­der von der Kanz­le­rin, schließ­lich kamen ein paar ein­ord­nen­de O‑Ton-Geber zu Wort. Der stell­ver­tre­ten­de CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de im Düs­sel­dor­fer Stadt­rat, Andre­as Hart­nigk, erklärt:

Wir sind hier in einer christ­lich-abend­län­di­schen Kul­tur groß gewor­den, wir leben die­se Kul­tur auch, und da sin­gen wir kei­ne Son­ne-Mond-und-Ster­ne-Lie­der, son­dern wir sin­gen St.-Martins-Lieder und das Ding heißt auch St.-Martins-Umzug. Und das muss auch so blei­ben und jeder, der das nicht will, kann sich einen andern Lebens­raum suchen, wenn er das nicht akzep­tiert, oder er hält sich vor­nehm zurück.

Ich habe ein paar Stun­den gebraucht, bis mir die­ser O‑Ton rich­tig übel auf­stieß. Mal davon ab, dass „Later­ne, Later­ne, Son­ne, Mond und Ster­ne“ nun seit Jahr­zehn­ten zum Reper­toire eines Mar­tins­zugs gehö­ren dürf­te, klopft hier ein ganz ande­res Pro­blem an: Wäre es nicht irgend­wie sinn­vol­ler, sich dafür zu inter­es­sie­ren, was die Bot­schaft hin­ter dem Fest und dem Umzug ist, und nicht, wie ande­re Leu­te das Ding nen­nen?

Die Panik, dass unse­re schö­nen christ­li­chen Fes­te umbe­nannt wer­den, treibt Kon­ser­va­ti­ve und Neu­rech­te seit Jah­ren um und sorgt immer wie­der für besorg­te Falsch­mel­dun­gen. (Klar: Nichts trans­por­tiert die Weih­nachts­bot­schaft bes­ser als ein soge­nann­ter Weih­nachts­markt, auf dem sich erwach­se­ne Men­schen nach Fei­er­abend mit min­der­wer­ti­ger Plör­re betrin­ken. Den soll­te man auf kei­nen Fall in „Win­ter­markt“ umbe­nen­nen!) In denen meis­ten Fäl­len geht es ihnen dabei gar nicht um den Anlass eines sol­chen Fei­er­tags, son­dern um die rei­ne Exis­tenz die­ses Fei­er­tags, abge­kop­pelt von sei­ner Geschich­te. Der Ursprung des Zitats, Tra­di­ti­on sei nicht das Bewah­ren der Asche, son­dern die Wei­ter­ga­be des Feu­ers, ist eini­ger­ma­ßen unklar, aber man soll­te die­se Wor­te mal ein biss­chen in Hirn und Herz bewe­gen.

Als Alex­an­der Gau­land von der AfD im Gespräch mit FAZ-Repor­tern sei­nen berüch­tig­ten Jérô­me-Boat­eng-Nach­barn-Satz äußer­te, sag­te er auch, unter den Anhän­gern sei­ner Par­tei gebe es die Sor­ge, „dass eine uns frem­de Reli­gi­on sehr viel prä­gen­der ist als unse­re abend­län­di­sche Tra­di­ti­on“. Die Wort­wahl war auf­fäl­lig, weil er nicht wie ande­re Kon­ser­va­ti­ve von einer „christ­lich-abend­län­di­schen“ Kul­tur oder Tra­di­ti­on sprach – die christ­li­chen Kir­chen hat­ten zu die­sem Zeit­punkt die AfD näm­lich schon mit­un­ter deut­lich kri­ti­siert. Wenn es ernst­haft um christ­li­che Wer­te gin­ge, hät­te ja auch die CSU ein völ­lig ande­res Par­tei­pro­gramm.

Der musi­ka­li­sche Lei­ter des Schau­spiel­hau­ses Dort­mund, Tom­my Fin­ke, ein guter Freund von mir, sagt dann auch den ent­schei­den­den Satz in die­sem WDR-Bei­trag:

Vie­le unse­rer christ­li­chen Wer­te sind ja eigent­lich huma­nis­ti­sche Wer­te, das heißt, sie sind nicht unbe­dingt der christ­li­chen Reli­gi­on allein zuzu­schrei­ben.

Ich bin Kind einer Misch­ehe, evan­ge­lisch getauft, habe aber von mei­ner Oma die vol­le Palet­te der katho­li­schen Schutz­hei­li­gen mit­be­kom­men. Wenn sie in ihrem Haus­halt etwas nicht wie­der­fin­det, zün­det sie eine Ker­ze für den Hei­li­gen Anto­ni­us an, in der Hoff­nung, dass der „Klün­gel­tün­nes“ ihr hilft. (Mei­ne Oma sagt aber auch immer: „Ein Haus ver­liert nichts“, was die Ver­ant­wor­tung ein biss­chen von den Schul­tern des Hei­li­gen nimmt.) Das ist harm­lo­se, lebens­na­he Reli­gi­ons­aus­übung, das Gegen­teil von Kreuz­zü­gen und Hei­li­gem Krieg. Ich selbst habe mir das Got­tes­bild aus dem Kin­der­got­tes­dienst bewahrt und sehe es prag­ma­tisch: Da man die Nicht­exis­tenz eines höhe­ren Wesens nicht bewei­sen kann, kann man auch dran glau­ben, wenn es einem selbst wei­ter­hilft und man ande­ren damit nicht zur Last fällt. Ich find’s aber auch total in Ord­nung, wenn jemand sagt, er glau­be nicht an Gott – das ist ja das Wesen von „Glau­ben“. (Wenn jemand behaup­tet, er wis­se, dass Gott exis­tie­re – oder, dass der nicht exis­tie­re – wird’s schwie­rig: Bei­des. Ist. Wis­sen­schaft­lich. Nicht. Beweis­bar.)

Nächs­ten­lie­be und Hilfs­be­reit­schaft fin­de ich gut, unab­hän­gig davon, ob man jetzt aus reli­giö­sen oder huma­nis­ti­schen Grün­den han­delt. Aber man kann ja schlecht immer den Unter­gang der „christ­li­chen Wer­te“ bewei­nen, wenn man sie sel­ber nicht lebt. Und das mein­te die Kanz­le­rin ja auch mit ihren Aus­füh­run­gen zu Block­flö­te und Weih­nachts­lie­dern: Eine Reli­gi­on geht ja nicht dadurch unter, dass plötz­lich (im Sin­ne von: seit über fünf­zig Jah­ren) Men­schen einer ande­ren Reli­gi­on in einem Land leben, son­dern dadurch, dass sie nicht mehr bzw. nur als see­len­lo­se Tra­di­ti­on prak­ti­ziert wird. Und ein sprich­wört­li­cher fuß­ball­spie­len­der Sene­ga­le­se wird vom Gene­ral­se­kre­tär einer soge­nann­ten christ­li­chen Par­tei auch noch dafür geschol­ten, dass er minis­triert, weil man ihn dann nicht mehr abschie­ben kön­ne. Da hat sich die Logik ja schon auf hal­ber Stre­cke selbst ans Kreuz gena­gelt.

Wie war ich da jetzt hin­ge­kom­men und wie krie­ge ich die­sen Text zu Ende, ohne auch noch Schlen­ker über Donald Trump, die Geschich­te der römisch-katho­li­schen Kir­che und die Songs des ges­tern ver­stor­be­nen Leo­nard Cohen zu neh­men?

Ich wün­sche Ihnen und vor allem Ihren Kin­dern einen schö­nen St.-Martins-Tag und schau­en Sie heu­te viel­leicht mal ein biss­chen genau­er hin, ob jemand in Ihrer Umge­bung Hil­fe gebrau­chen könn­te!

Nach­trag, 16.28 Uhr: Nach Ver­öf­fent­li­chung die­ses Arti­kels habe ich gele­sen, dass der St.-Martins-Umzug eines Kin­der­gar­tens in Fürth abge­sagt bzw. ver­legt wer­den muss­te, weil zur glei­chen Zeit am glei­chen Ort Pegi­da unter dem Mot­to „Sankt Mar­tin und sei­ne heu­ti­ge Bedeu­tung“ demons­triert.

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Lucky & Fred: Episode 15

Bran­ge­li­na sind Geschich­te, Lucky & Fred sind wie­der da: Zurück aus der Som­mer­fri­sche spre­chen sie über Popu­lis­ten wie Donald Trump und Horst See­ho­fer, zer­le­gen die Null­for­mel „Wir schaf­fen das“ inhalt­lich und sprach­lich und rät­seln, wie es mit dem Kon­ser­va­ti­vis­mus wei­ter­ge­hen könn­te.

Außer­dem erzäh­len sie alles, alles über Natio­nal­hym­nen, ver­ra­ten, wer neu­er Bun­des­prä­si­dent wird, und wel­ches Amt Lucky dem­nächst über­neh­men wird.

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Schwarm, wir müssen reden!

Vor ziem­lich genau zehn Jah­ren habe ich mit dem Blog­gen ange­fan­gen. Erst drü­ben in unse­rem dama­li­gen Aus­lands­se­mes­ter-Blog und spä­ter dann hier. Mit einer klei­nen Trup­pe von AutorIn­nen woll­ten wir „die Zei­tung machen, die wir sel­ber ger­ne lesen wür­den“ – was bei Licht bese­hen auch damals schon etwas ver­mes­sen war, aber wir woll­ten ein­fach mal gucken, was so pas­siert.

Es wur­de sehr schnell ein Blog, in dem ich mich vor allem über Medi­en und Jour­na­lis­ten aus­ließ – was dar­an lag, dass ich damals vor allem das Blog von Ste­fan Nig­ge­mei­er und das BILD­blog gele­sen habe. Es wäre aber falsch, Ste­fan und Chris­toph Schult­heis die Schuld an mei­nem alt­klu­gen, übel­lau­ni­gen Geblog­ge zu geben – ich dach­te, glau­be ich, wirk­lich, dass sie bei „RP Online“ irgend­wann mit ihren Klick­stre­cken auf­hö­ren wür­den, wenn ich mich nur oft genug dar­über auf­re­ge. Inzwi­schen gibt es BuzzFeed und Social Media und ich sehe ein, dass „RP Online“ allen­falls einen vor­läu­fi­gen Tief­punkt dar­ge­stellt hat.

Blogs waren damals noch etwas ande­res, näm­lich die mut­maß­li­che Zukunft. Wir lasen gegen­sei­tig unse­re Blogs, ver­link­ten unse­re Ein­trä­ge unter­ein­an­der, führ­ten Debat­ten wei­ter und mach­ten uns gegen­sei­tig auf ner­vi­ge, aber auch auf tol­le Din­ge auf­merk­sam. Dann kamen Face­book und Twit­ter und inzwi­schen redet unge­fähr nie­mand mehr über Blogs, wenn es um die Zukunft des Jour­na­lis­mus geht. ((Okay: So rich­tig redet nie­mand mehr über die Zukunft des Jour­na­lis­mus.)) You­Tube ist der neue hei­ße Scheiß und die glei­chen Medi­en, die ein Leis­tungs­schutz­recht ein­füh­ren woll­ten, weil Goog­le News Tei­le ihrer Tex­te zitiert, ent­sor­gen ihren Con­tent heu­te direkt bei Face­book, in der Hoff­nung, wenigs­tens noch ein paar Krü­mel abzu­be­kom­men.

Wäh­rend Face­book frü­her noch das digi­ta­le Wohn­zim­mer war, wo man Freun­de und Bekann­te um sich sam­mel­te und lus­ti­ge Vide­os mit ihnen teil­te, sind inzwi­schen alle Sei­ten­wän­de abge­baut wor­den wie wei­land im „Torn“-Video und wir kön­nen sehen, dass neben­an der Stamm­tisch tobt, den man frü­her nie wahr- oder gar ernst­ge­nom­men hät­te, und ein merk­wür­di­ger Mob jede Nach­richt kom­men­tiert, so dass man anschlie­ßend glaubt, die Welt sei vol­ler recht­schreib­schwa­cher Men­schen­has­ser, die wie­der­um glau­ben, die Welt sei vol­ler Ter­ro­ris­ten und „links­grün-ver­siff­ter Gut­men­schen“. Men­schen mit aus­ge­dach­ten Berufs­be­zeich­nun­gen sind der­weil damit beschäf­tigt, jede Woche eine neue App zu fin­den, die angeb­lich „das neue Face­book“ sei.

Kurz­um: Ich bekom­me rich­tig schlech­te Lau­ne, wor­auf­hin ich rich­tig übel­lau­ni­ge Sachen bei Face­book und Twit­ter pos­te, wo es dar­auf­hin aus­sieht, als sei ich ein rich­tig übel­lau­ni­ger Mensch. Zum Blog­gen kom­me ich nicht, weil ich die gan­ze Zeit mit Social Media beschäf­tigt bin und des­halb lei­der nicht mehr auf­schrei­ben kann, was mir eigent­lich gute Lau­ne macht und was ich gera­de toll fin­de.

Die­ses Dilem­ma hat­te ich vor zwei Jah­ren schon ein­mal zu behe­ben ver­sucht, indem ich jeden Tag einen „Song des Tages“ pos­ten woll­te. Klei­ner Haken: Durch die Fest­le­gung auf die­ses For­mat wur­de die schö­ne Idee bald zur läs­ti­gen Auf­ga­be, die mir – kor­rekt! – schlech­te Lau­ne mach­te.

Sue Reind­ke, deren Blog ich frü­her sehr ger­ne gele­sen habe und die ich heu­te (s.o.) eigent­lich nur noch über Social Media mit­be­kom­me, hat letz­te Woche ein Expe­ri­ment gestar­tet: Sie will unge­fähr jede Woche einen News­let­ter ver­schi­cken mit Din­gen, die sie beschäf­ti­gen. Ich hat­te frü­her schon öfter über das Medi­um News­let­ter nach­ge­dacht und fin­de die Idee rich­tig gut: Statt die Inhal­te alle bei Face­book zu ver­bal­lern, wo Face­book damit auch noch Geld macht und wo sie – vor allem außer­halb eines Web­brow­sers – auf tech­nisch grau­en­haf­tes­te und unbrauch­bars­te Art irgend­wo ins Nir­wa­na dif­fun­die­ren, kann man sie auch per E‑Mail schi­cken, dem unge­fähr ein­zig brauch­ba­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­weg, den das Inter­net jemals her­vor­ge­bracht hat. Die Pro­duk­ti­on geht nicht so schnell und impul­siv von­stat­ten wie die eines Tweets und man kann die E‑Mail in Ruhe lesen, wenn man mal Zeit hat. Das will ich direkt auch mal pro­bie­ren!

Ich wer­de mein Pri­vat­le­ben wei­ter weit­ge­hend aus dem Inter­net raus­hal­ten, aber statt wei­ter bun­te Papier­schmet­ter­lin­ge in Pin­kel­rin­nen zu wer­fen, will ich ver­su­chen, posi­ti­ve oder zumin­dest inter­es­san­te Din­ge an einem Ort zu ver­sam­meln: Musik, Trai­ler, emp­feh­lens­wer­te Tex­te, Pod­casts oder Vide­os und ein paar eige­ne Gedan­ken. Gleich­zei­tig will ich ver­su­chen, wie­der mehr in die­sem Blog zu machen (immer­hin fei­ert das im Febru­ar sei­nen zehn­ten Geburts­tag), aber das alles ohne Zwang.

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