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Film

Fatih Akin kann es einfach

Dass Yeter sterben wird, erfahren wir noch bevor wir sie kennengelernt haben. Nach einem kurzen Prolog, den wir sehr viel später noch einmal sehen und erst dann verstehen werden, kommt eine Titeleinblendung: “Yeters Tod”.

Yeter (Nursel Köse) arbeitet als Prostituierte in Bremen. Bei ihrer Arbeit lernt sie den pensionierten Witwer Ali (Tuncel Kurtiz) kennen, der sie nach ein paar Besuchen bittet, als seine Lebensgefährtin zu fungieren – den üblichen Satz werde er ihr bezahlen. Alis Sohn Nejat (Baki Davrak) ist nicht sonderlich begeistert von dieser Aktion seines Alkohol- und Herzkranken Vaters, aber er ist beeindruckt von der Tatsache, dass Yeter einen Großteil ihres Verdienstes in die Türkei schickt, um ihrer Tochter das Studium zu finanzieren. Als Yeter stirbt (s.o.), begleitet Nejat den Sarg in die Türkei und macht sich auf die Suche nach Yeters Tochter Ayten, von der Yeter lange nichts mehr gehört hatte.

Nurgül Yeşilçay und Patrycia Ziolkowska in “Auf der anderen Seite” (Pressefreigabe)Auch von Lotte erfahren wir vor ihrem ersten Auftritt, dass sie sterben wird: “Lottes Tod” steht auf dem Zwischentitel. In der Mensa lernt die junge Frau aus gutem Hause (Patrycia Ziolkowska) Ayten kennen, die vor der türkischen Polizei geflohen ist und in Bremen ihre Mutter sucht. Lotte freundet sich mit Ayten (Nurgül Yeşilçay) an und quartiert sie bei ihrer Mutter Susanne (Hanna Schygulla) ein. Als Ayten in die Türkei abgeschoben wird (ebenso lapidare wie irrige – und wohl leider auch authentische – Begründung: im Zuge des geplanten EU-Beitritts der Türkei werde ihr dort auch als politisch Verfolgte schon nichts passieren), reist Lotte ihr hinterher. Durch Zufall zieht sie bei Nejat, der sich inzwischen in Istanbul niedergelassen hat, ein und kommt wenig später unter tragischen Umständen ums Leben.

Die dritte Episode trägt den Namen, der auch auf den Kinoplakaten steht: “Auf der anderen Seite”. Susanne ist nach Istanbul gereist, um zu erfahren, wo und wie ihre Tochter kurz vor ihrem Tod gelebt hat. Auch sie kommt bei Nejat unter und sie geht den Weg, den Lotte eingeschlagen hat, weiter und holt Ayten aus dem Gefängnis. Ganz nebenbei bringt sie Nejat dazu, sich mit seinem Vater versöhnen zu wollen …

Was beim Lesen vielleicht etwas unübersichtlich, arg konstruiert und unwahrscheinlich wirkt, ist in Fatih Akins fünftem Spielfilm völlig organisch. Es sind die Geschichten dreier Elter-und-Kind-Paare1, Hanna Schygulla und Bavi Davrak in “Auf der anderen Seite” (Pressefreigabe)wobei der direkte Kontakt zwischen Eltern und Kindern eher gering ist. Die Handlungsfäden sind kunstvoll miteinander verwoben, die Hauptpersonen aber laufen mehrmals knapp aneinander vorbei. Man ahnt das Reißbrett, an dem Akin seine Geschichten nebeneinander aufgezeichnet und hintereinander arrangiert haben muss um den Überblick zu behalten, und trotzdem sind die Geschichten ebenso glaubwürdig wie die Charaktere. Den Drehbuchpreis in Cannes hat er also völlig zu Recht gewonnen.

Neun Jahre nach seinem Regiedebüt “Kurz und schmerzlos” und dreieinhalb Jahre nach dem furiosen “Gegen die Wand” lässt sich leicht zusammenfassen: Fatih Akin kann es einfach. Zwar sind derartige Erzählmuster längst keine Sensation mehr, aber es gibt ja auch genug Regisseure, die schon an einer völlig linearen Handlung scheitern. Nicht so Fatih Akin: Er bringt die ganz großen Themen, ohne dass diese den Film bemüht oder bedeutungsschwanger erscheinen ließen. Er komponiert Bilder und Dialog so geschickt, dass man sich hinterher fragt, ob überhaupt gesprochen wurde.

Fatih Akin sieht seinen Film nicht als einen “politischen” an und vermutlich hat er recht: Auch wenn es am Rande um Abschiebung, türkische Gefängnisse und “Terrororganisationen” geht; auch wenn der Film einer Bremer Demo zum ersten Mai mit Bratwurst essenden Ver.di-Funktionären und Spielmannszug Randale in Istanbul gegenüberstellt: das Politische ist immer nur Hintergrund für die privaten Schicksale. “Auf der anderen Seite” ist aber ein Film über Ideale. Nejat sucht Ayten, weil er ihr auch nach dem Tod der Mutter das Studium ermöglichen möchte; Lotte nimmt Ayten bei sich auf und folgt ihr in die Türkei, weil es ihr wichtig und richtig erscheint, für ihre Freundin zu kämpfen; Susanne macht schließlich weiter, was Lotte nicht zu Ende führen konnte. So wie Ali und Nejat abwechselnd Deutsch und Türkisch miteinander sprechen, so verschwimmen auch die Grenzen zwischen Deutschland und der Türkei im Film, denn wer wo für jemanden kämpft, ist zweitrangig. Der einzige sichtbare Unterschied besteht in den hellen, farbenfrohen Bildern des lebendigen Istanbuls auf der einen, und den kühl und klar strukturiert erscheinenden deutschen Städten Hamburg und Bremen auf der anderen Seite.

“Auf der anderen Seite” (Filmplakat)Auch die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind universell: Eltern lügen ihre Kinder an, weil sie nur das Beste für sie wollen; Kinder wollen auf keinen Fall wie ihre Eltern werden und finden sich plötzlich in deren Fußstapfen wieder; Eltern wollen, dass ihre Kinder etwas aus ihrem Leben machen, und sind dann irritiert, wenn die Kinder tatsächlich mal aktiv werden. Gerade Hanna Schygulla spielt die Mutter, die immer wieder über ihre Grenzen geht, erst als hanseatisch-vornehme Dame, die aber die ganze Zeit über ein großes Herz hat und von der man nach und nach erfährt, wie unkonventionell sie eigentlich ist. Außerdem hat sie eine große Nervenzusammenbruch-Szene, die völlig minimalistisch anfängt und dann trotz Auf-dem-Boden-wälzen und Schreien nicht peinlich wird. “Schauspiellegende”, eben.

Die 122 Minuten von “Auf der anderen Seite” kommen einem länger vor. Aber nicht, weil sich der Film so zöge und langatmig würde, sondern weil so viel passiert und es auch neben dem Offensichtlichen noch viel zu entdecken gibt. Fatih Akin schafft es sogar, seine ganz eigene Ringparabel in der Geschichte zu verstauen, indem er Baki Davrak aus dem Koran erzählen lässt, von einem Mann, der Allah seinen Sohn opfern soll. Und wenn Hanna Schygulla an dieser Stelle nicht für das unstudierte Publikum sekundieren müsste: “Die Geschichte gibt es bei uns auch!” (aufmerksame Kindergottesdienstbesucher wissen: Abraham und Isaak), dann wäre das ein richtig weiser und erhellender Moment.

“Auf der anderen Seite” läuft ab heute in Hamburg und ab 27. September in ganz Deutschland.

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1 Ich hab keinen Nerv, mir von der deutschen Sprache den Singular für “Eltern” ausreden zu lassen. Wenn nur genug mitmachen, wird “ein Elter” irgendwann normal.

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Film Leben

Meine erste Pressevorführung

Ich veröffentliche jetzt seit fast acht Jahren Filmkritiken im Internet. Ich habe bisher hunderte von Filmen in Dutzenden von Kinosälen auf zwei Kontinenten gesehen, war bei Previews dabei, bei Vorpremieren in Anwesenheit von Mitwirkenden und bei Filmfestivals. Aber heute war ich zum allerersten Mal bei einer Pressevorführung.

Das ist in etwa so spektakulär, wie es sich anhört: Man muss zu einer weitgehend abnormen Kinozeit (11 Uhr sei noch spät, hieß es) in einem großen, schmucken Kino antanzen, trägt sich in eine Liste ein, schüttelt Hände mit den lokalen Beauftragten und den Kollegen der anderen “Presseorgane”, kann sich was zu Trinken aussuchen und setzt sich dann mit einem Halbdutzend Cineastensäue in einen riesigen Kinosaal.

Keiner raschelt mit dem Popcorn, kein Handy klingelt und niemand quasselt. Leider hatte auch keiner der Kollegen so einen crazy Leuchtkugelschreiber dabei, die ich bisher für ein unabdingbares Arbeitsinstrument des gemeinen Filmkritikers hielt.

Übrigens tauge ich offenbar noch nicht zum Filmkritiker: Meine Matte mag von der Berufsvereinigung der Musikjournalisten abgesegnet sein, als professioneller Kinogänger müsste ich mein Haar aber grau und 5 Millimeter lang tragen. Und meine Brille hätte ich auch von Anfang an aufhaben müssen, um echt auszusehen. Die habe ich natürlich wieder erst im Saal aufgesetzt, als ich feststellte, dass ich die Leinwand sonst nicht sehen kann.

Einen Film habe ich natürlich auch gesehen, aber die Besprechung dazu gibt’s erst morgen. Ein bisschen Spannung muss hier ja auch mal sein.

Was?

Nein, es war nicht “Kilians – Der Film”. Scherzkeks!

Nachtrag 20. September: Die Filmkritik gibt’s jetzt hier.

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Film Rundfunk

Wiedersehen tut weh

Vor fast acht Jahren sah ich im Kino den Film “Absolute Giganten”, der mir unglaublich gut gefiel. Bis heute ist die melancholische Geschichte von drei Freunden, die eine letzte gemeinsame Nacht durchmachen, bevor einer von ihnen das Land verlässt, einer meiner absoluten Lieblingsfilme.

In diesem Film erblickte ich auch zum ersten Mal Julia Hummer und verliebte mich ein wenig in sie. Die Szenen, in denen sie mit einem Cowboyhut auf dem Kopf tanzt und die Kamera sie umkreist, zählen nach wie vor zum Tollsten, was ich je gesehen habe, und auch ihre irgendwie merkwürdige, leicht lispelnde, aber doch sehr niedliche Stimme fand ich damals irgendwie süß.

Später zeigte sie unter anderem noch in “Crazy”, “Die innere Sicherheit” und “Gespenster” ihr schauspielerisches Können und veröffentlichte 2005 mit ihrer Band Too Many Boys eine CD, von der ich nicht mehr als dreißig Sekunden hören konnte, weil es körperlich einfach nicht ging. Dann war sie weg.

Gestern habe ich Julia Hummer wiedergesehen. In einem Werbespot für die GEZ. “Hat die das jetzt nötig?”, fragte ich mich, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob “die” jetzt Julia Hummer oder doch die GEZ war.

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Film Digital Leben

Wie ich einmal Filmgeschichte schrieb

Immer wieder werde ich von Menschen (manchmal wildfremden) gefragt: “Sag mal Lukas, wieso hast Du eigentlich einen Eintrag in der Internet Movie Database?”

Okay, das ist gelogen. Genaugenommen bin ich noch nie gefragt worden, warum ich eigentlich einen Eintrag in der IMDb habe. Aber ich erzähl die Geschichte einfach trotzdem mal:

Die Vorgeschichte
Im Frühsommer 1999 sollten wir im Deutschunterricht der damals zehnten Klasse “etwas kreatives” machen. Und da einige Freunde und ich im Frühjahr für unsere sehr moderne Verfilmung (manche würden sie “avantgardistisch” nennen – oder “krank”) von E.T.A. Hoffmanns “Das Fräulein von Scuderi” eine Eins bekommen hatten, dachten wir uns: “Klar, wir drehen wieder einen Film!”

Im Zuge des damals vorherrschenden Millennium-Hypes (und weil der Deutschlandstart von “Matrix” kurz bevor stand) entwickelten wir eine Geschichte, in der der Teufel auf die Erde kommt, um die Apokalypse einzuleiten. Mit meinem besten Freund schrieb ich das Drehbuch zu “Doomsday 99” und als wir alle aus dem Sommerurlaub zurück waren, stürzten wir uns in die Dreharbeiten, die alles in allem etwa sechs Wochen verschlangen.

Mit dem harten Kern von acht Leuten drehten wir in so ziemlich allen Wohnhäusern, derer wir habhaft wurden, in verlassenen Industrieruinen (wofür wir über Zäune klettern und unter halbverschlossenen Toren drunterherrollen mussten) und in Autos, hinter deren Fenstern grüne Tischdecken gespannt waren (keiner von uns hatte damals einen Führerschein und bei “Cityexpress” fuhr der Zug schließlich auch nicht wirklich).

Ich fungierte als Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion, was hauptsächlich bedeutete, dass ich meine Freunde und jüngeren Geschwister herumkommandierte, anschrie und manchmal mit Sachen bewarf. Anschließend schnitt ich den Film auf dem Videoschnittgerät meines Großvaters, dem heute weitgehend unbekannten “Casablanca”, wo ich auch das grüne Tischtuch durch Landschaftsaufnahmen ersetzte, die ich aus dem fahrenden Auto meines Vaters heraus getätigt hatte.

Die überaus spektakulären Ergebnisse (wie wir fanden) sahen in etwa so aus:

Green Screen beim Dreh von “Doomsday” (vorher/nachher)

Im September – wir gingen längst in die elfte Klasse – zeigten wir den fertigen Film endlich im Deutschunterricht. Und obwohl er blutrünstig, gewalttätig und zu einem nicht geringen Maße Frauenverachtend war (keine weibliche Person blieb länger als fünf Minuten am Leben – allerdings auch kaum eine männliche), bekamen wir dafür eine Eins bei “Sonstige Mitarbeit” aufgeschrieben. Der Film wurde im kleinen Soziotop eines Dinslakener Gymnasiums das, was man wohl als “Kult” bezeichnet. Oder als “Trash”. Oder als “so schlecht, dass es schon fast wieder gut ist”.

Der Eintrag
Weil wir so ungeheuer stolz auf unseren Film waren, wollten wir natürlich auch, dass er angemessen gewürdigt wird. Ein Eintrag in der IMDb erschien uns also das Mindeste.

Ich machte mich schlau und stellte fest, dass man die Datenbank mit einem einfachen Datenstring füttern konnte. Also schrieb ich die Mitwirkenden unserer letzten drei Filme (“Jesus – Back for God” von den Tagen religiöser Orientierung im Januar, “E.T.A. Hoffmann’s Das Fräulein von Scuderi” aus dem Frühjahr und “Doomsday 99” eben) in eine E-Mail und schickte das Ganze ab.

Nach einigen Wochen erhielt ich die Antwort, dass unsere Filme abgelehnt worden seien. In der amerikanischen Entsprechung von “da könnte ja jeder kommen” hieß es, die Filme müssten mindestens auf einem anerkannten Filmfestival gelaufen sein.

Ein paar Wochen später stellte ich fest, dass mein bester Freund Benjamin, der bei unserem “Jesus”-Film Regie geführt hatte, plötzlich als Regisseur des TV-Zweiteilers “Jesus” geführt wurde. Dieser Eintrag war nach wenigen Tagen wieder verschwunden.

Wieder ein paar Wochen später stellte ich fest, dass der Datensatz der “Doomsday”-Produzenten1 offenbar als einziger durchgekommen war und überlebt hatte – in den Credits des mir bis heute völlig unbekannten B-Movies “Doomsday Man”.

Die Folgen
Wir waren gleichermaßen enttäuscht wie erheitert über das, was die IMDb da so geboten hatte. Aber wir vergaßen das alles, als im Dezember 1999 ein Film anlief, der Handlung, Szenen und sogar einzelne Einstellungen aus “Doomsday” geklaut zu haben schien: “End Of Days” mit Arnold Schwarzenegger. Dann sahen wir ein, dass die Dreharbeiten dazu schon vor längerer Zeit stattgefunden haben mussten, und beide Filme jetzt nicht sooooo originell waren. Da war uns auch “End Of Days” egal – wie der Film übrigens jedem egal sein sollte.

Mit den Jahren stellten wir fest, dass offenbar ziemlich viele Filmdatenbanken ihre Datensätze mit denen der IMDb … nun ja: abgleichen – und so stehen wir heute nicht nur dort, sondern auch hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.

Und weil Sie diese kleine, feine, aber doch irgendwie unspektakuläre Geschichte bis zum Schluss durchgelesen haben, sollen Sie dafür mit einem kleinen Schmankerl belohnt werden. Es sind – natürlich – die besten Szenen aus “Doomsday”:

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1 Wir hatten in der Zwischenzeit erkannt, dass “Doomsday 99” doch ein zeitlich zu begrenzt verwertbarer Titel sein würde.

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Film

And here’s to you, Mrs. Robinson …

Heute Nacht lief in der ARD “Die Reifeprüfung” (oder wie wir Cineastensäue sagen: “The Graduate”). Alle Vorsätze, mal früher ins Bett zu gehen, waren vergessen, und ich musste den Film vom Flugzeug bis zum Bus sehen. Ich habe sowieso eine Schwäche für ältere Filme, aber dieser gefällt mir bei jedem Wiedersehen besser.

An “Die Reifeprüfung” stimmt einfach alles: Diese Bilder und Schnitte; diese Dialoge, die heute so wunderbar angestaubt wirken und vor vierzig Jahren vermutlich eine Riesenprovokation waren; natürlich diese großartige Musik von Simon & Garfunkel und die Schauspieler.

Anlass für die gestrige Ausstrahlung war der 70. Geburtstag von Dustin Hoffman und natürlich ist er es, der den Film als Benjamin Braddock trägt. Die Szene, in der er auf einer Luftmatratze im Swimming Pool treibt, ist eine vielzitierte Ikone der Popkultur der späten 1960er Jahre. Hoffman spielt in diesem Film die einzige mir bekannte Vorwurfsvoll-die-Socken-anzieh-Szene der Filmgeschichte und schlägt so liebenswürdig mit dem Kopf gegen die Wand wie niemand vor und nach ihm. Auch hat nie jemand uncooler eine Sonnenbrille getragen als er in der Nachtclub-Sequenz.

Es ist verblüffend, wie viele junge Schauspieler von heute genauso wirken wie Hoffman in diesem Film. So dürfte er seinen Doppelgänger schließlich in Jake Gyllenhaal gefunden haben, mit dem er 35 Jahre später gemeinsam in “Moonlight Mile” brillierte.

Bei aller Begeisterung für Hoffman darf (und kann) man aber natürlich auch Anne “Mrs. Robinson” Bancroft nicht vergessen. Man kann sich nur vorstellen, wie sehr ein Film über Ehebruch mit einem viel jüngeren Mann 1967 provoziert haben muss. Dabei ist diese Ehebrecherin mit ihrem vermeintlichen Ausbruch aus der bürgerlichen Spießigkeit fast noch heuchlerischer als alle anderen Figuren. Der Generationenkonflikt zwischen den arbeitssamen Erwachsenen ohne Vornamen und den orientierungslosen Jugendlichen wirkt heute vielleicht etwas holzschnittartig, aber man muss sich mal vor Augen halten, zu welcher Zeit der Film anlief: Das Monterey Pop Festival und der “Summer of Love” waren gerade vorbei, an den Unis in Paris, Berkeley und Berlin rumorte es heftig und in Deutschland regierte die große Koalition. Im Gegensatz zu (viel späterem) Hippie-Schmonz wie “Hair” war “Die Reifeprüfung” also ein durchaus angemessenes Dokument des Zeitgeschehens und in seiner Zeichnung geradezu subtil.

Als Film ist das Werk von Mike Nichols sowieso eine Klasse für sich. Man merkt seinen Einfluss auf andere Filme, vor allem in den letzten Jahrzehnten: “Say Anything”, “Pulp Fiction”, “Der Eissturm”, “American Pie”, “American Beauty”, “The Virgin Suicides” und vor allem “Garden State” von und mit Zach Braff zitieren einzelne Szenen bis ganze Stimmungen des Films.

Würde eine mittelalte Dame heutzutage allerdings ungefragt im Zimmer eines jungen Mannes zu Rauchen anfangen, würde sie ihn damit in den allermeisten Fällen nicht mehr verführen können, sondern beachtlich verärgern.

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Film Sport

Deine Mutter!

Etwa einmal in der Woche gucke ich, was es bei apple.com für neue Trailer gibt. Bei meinem letzten Kontrollgang erblickte ich ein Plakat für “Beowulf”, erinnerte mich an die Vorlesung “Middle English Literature” im zweiten Anglistik-Semester und guckte mir den Trailer an.

Nach ungefähr drei Vierteln kam eine Stelle, bei der ich dachte: “Also das sah jetzt aber gerade irgendwie billig animiert aus …” – dann stellte ich fest, dass der komplette Trailer (und damit natürlich auch der Film) computeranimiert ist. Die Gesichter von Ray Winstone, Angelina Jolie, Brendan Gleeson, Anthony Hopkins, Robin Wright Penn, John Malkovich – alle aus dem Computer. Uff!

Natürlich stellt sich da irgendwie die Frage, warum man derart namhafte Schauspieler nicht einfach “in echt” im Film auftreten lässt. Andererseits ist es nach “Sky Captain And The World Of Tomorrow” und “Sin City”, die komplett vor einer Blue bzw. Green Screen gedreht und mit digitalen Hintergründen versehen wurden, ja nur noch ein weiterer Schritt, auch gleich die Schauspieler mit zu animieren. Sowas wurde sogar schon mal gemacht, z.B. bei “Polar Express – und dessen Regisseur Robert Zemeckis (“Zurück in die Zukunft”, “Forrest Gump”, “Cast Away”, …) führt jetzt auch bei “Beowulf” Regie.

Bei einem kurzen Blick in die IMDb stellte ich dann noch fest, dass das Drehbuch vom phantastischen Neil Gaiman und vom früheren Tarantino-Helfer Roger Avary stammt. Da kann eigentlich nichts mehr schief gehen, zumal Gaiman den Film als “cheerfully violent and strange take on the Beowulf legend” angekündigt hat.

P.S.: Wer den Zusammenhang zwischen Überschrift und Inhalt dieses Eintrags ohne Nachzugucken (also googeln) herstellen kann, darf sie als bewandert in mittelenglischer Literatur betrachten.

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Film

“Und wofür ist der Knopf?”

Für alle, die sich immer schon gefragt haben, wie es wohl im Kontrollraum eines Vattenfall-Atomkraftwerks zugeht: So oder so ähnlich könnte ich mir das schon vorstellen …

Nachtrag 18. Juni, 01:05 Uhr: Tja, da war der Film leider ganz schnell wieder weg. Es handelte sich übrigens um “Lifted”, einen neuen Kurzfilm von Pixar. Den kann man aber auch ab Oktober im Kino sehen, im Vorprogramm von “Ratatouille” (und der soll auch gut sein).

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Film Politik

Die Trennung von Staat und Irrsinn

Es gibt Situationen, in denen gibt es kein “richtig” und kein “falsch”. Man steht als Unbeteiligter davor, guckt sie sich an und ist froh, dass man nicht gezwungen ist, eine Position einzunehmen. Aber man kann sich so seine Gedanken machen.

Hier ist so ein Situation: Tom Cruise will/soll/wird in “Valkyrie”, dem neuen Film von Bryan Singer, Claus Schenk Graf von Stauffenberg spielen, einen der Drahtzieher des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Cruise ist aber Mitglied bei Scientology und deshalb sind verschiedenste Personen dagegen, dass Cruise an Originalschauplätzen drehen darf bzw. Stauffenberg überhaupt spielen soll.

Uff! Da muss man sich schon eine ganze Menge Gedanken machen, um diese Situation einigermaßen zu entwirren. Gehen wir also der Reihe nach vor:

Scientology ist eine höchst umstrittene Organisation, die je nach Sichtweise als “Kirche”, “Sekte” oder “Wirtschaftsunternehmen” bezeichnet wird. Als Einführung in die Lehren von L. Ron Hubbard sei jedem dieser erhellende Ausschnitt aus der “South Park”-Folge “Trapped In The Closet” empfohlen (“This is what Scientologists actually believe”) – wobei Religionskritiker sicherlich sagen würden, die dort vorgestellte Geschichte sei auch nicht bedeutend alberner als die Erschaffung der Welt in sechs Tagen und die Entstehung der Frau aus einer Rippe des Mannes. Scientologys Methoden sind sicherlich höchst beunruhigend und eigentlich kann man die Institution nur als Gehirnwäscheverein bezeichnen. Andererseits ist nach Artikel 4 des Grundgesetzes die “ungestörte Religionsausübung” gewährleistet – und wie sollte bei einer Trennung von Staat und Kirche der Staat bestimmen können, was eine “echte” Religion ist und was nicht?

Das führt unweigerlich auch zu der Frage, ob es eine Trennung zwischen dem Schauspieler und Produzenten Tom Cruise und dem Scientologen Tom Cruise gibt. Schon 1996 rief die Junge Union zu einem Boykott von “Mission: Impossible” auf, was insofern schon eine gelungene Aktion war, als dadurch erstmalig die Methoden und Lehren von Scientology in den Focus einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland gelangten. Allein: “Mission: Impossible” hatte natürlich außer seinem Hauptdarsteller und Produzenten nicht viel mit Scientology zu tun – im Gegensatz zu “Battlefield Earth”, das auf einem Roman von L. Ron Hubbard basierte, den ebenfalls berühmten Scientologen John Travolta in der Hauptrolle hatte und als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten gilt. Für “Valkyrie” steht unter Regisseur Bryan Singer (“X-Men”, “Die üblichen Verdächtigen”, …) indes wenig bis gar keine Verzerrung des Stoffs zu befürchten (und mal ehrlich: Wie sollte man Hubbards Science-Fiction-Welten in eine Deutschland-Anno-’44-Geschichte packen?).

Die Sektenexpertin der CDU/CSU-Fraktion, Antje Blumenthal, teilte mit, dass das Bundesverteidgungsministerium, das heute im Berliner Bendlerblock residiert, in dem Stauffenberg sein Attentat plante und wo er auch hingerichtet wurde, einen Dreh am Originalschauplatz mit der Begründung ablehne, eine Drehgenehmigung für “einen ranghohen Scientologen in einem Bundesgebäude” käme einer bundespolitischen Anerkennung gleich – und das, bevor auch nur der Antrag auf eine Drehgenehmigung vorlag. Allein dieser “Dienstweg” sollte mindestens für skeptische Blicke und Stirnrunzeln sorgen.

In der “Süddeutschen Zeitung” gab es gestern einen sehr interessanten Kommentar von Andrian Kreye und die “FAZ” druckte einen länglichen Text des deutschen Oscar-Preisträgers Florian Henckel von Donnersmarck, in dem dieser über Stauffenberg, Cruise und die “deutsche Verbotsgeilheit” philosophiert. Mitunter schießt er dabei ein wenig übers Ziel hinaus, beweist damit aber auch, dass er mit seinem Pathos und Liberalismus (sowie natürlich mit seinem beachtlichen Ehrgeiz) in den USA wirklich besser aufgehoben zu sein scheint als in Deutschland. Donnersmarck argumentiert, dass man die größten und wichtigsten Geschichten nur dann einem großen Publikum erzählen könne (und wer sollte etwas dagegen haben, Stauffenbergs Geschichte in die Welt zu tragen?), wenn man sie mit großen Stars verfilme – ein Standpunkt, für den er postwendend von Peter Steinbach, dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, eine drübergebraten bekam.

Im Kern hat der streitbare Donnersmarck aber sicher nicht unrecht: Mit dem ihr eigenen Fingerspitzengefühl hat es die deutsche Politik geschafft, das Thema Widerstand an den Rand zu drängen und durch das Thema Scientology zu ersetzen. Es sind sicher beides wichtige Themen, aber die Wichtigtuer aller Parteien hätten sich kaum einen ungeeigneteren Hintergrund aussuchen können, um das staatliche Verhältnis zu Religion und Kunst zu diskutieren.

Auch ich halte Scientology für gefährlich und wünsche mir (gerade angesichts der aktuellen Deutschland-Offensive) Aufklärung über deren Machenschaften und meinetwegen auch Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ich sehe mir aber trotzdem Filme an, in denen Tom Cruise mitspielt (es gibt da ja hin und wieder auch mal gute mit ihm) – wohlwissend, dass ein Teil des Geldes, das er als Produzent damit verdient, an Scientology gehen wird. Ich kann Cruise als Person (spätestens seit seinem Auftritt bei Oprah Winfrey) kein bisschen ernst nehmen, ich halte ihn aber für einen ziemlich guten Schauspieler und er ist zweifellos einer der größten Stars unserer Zeit. Pete Doherty ist ja auch nur die Parodie eines Rock’n’Rollers und trotzdem ein guter Musiker.

Was können wir also aus der ganzen Chose lernen? Deutschen Politikern ist es egal, vor welchem Hintergrund sie sich profilieren können, solange sie dadurch in die Presse kommen. Auch die größten Filmstars der Welt können sich nicht darauf verlassen, überall reinzukommen. Schauspieler können noch so gut spielen, sie bleiben auch immer sie selbst. Florian Henckel von Donnersmarck wollte sich als Zehnjähriger im Garten von Marion Yorcks Dahlemer Villa das Hemd ausziehen. Und: Es gibt Situationen, in denen es weder “richtig” noch “falsch” gibt, und bei denen man froh sein kann, dass man nicht gezwungen ist, eine klare Position einzunehmen.

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Film

Ich und McClane

Stirb langsam 4.0 (Plakat)Es gibt ja Filme, die hat man gefühlte Tausendmal gesehen. Bei mir ist “Stirb langsam – Jetzt erst recht” (Nr. 3 der Serie) so ein Fall (das letzte Mal im letzten November an Bord eines Flugzeugs von New York nach Oakland). Teil 1 habe ich bestimmt auch schon ein Halbdutzend Mal gesehen – nur Teil 2 fehlt mir bis heute. Jedes Mal, wenn er im Fernsehen läuft, ist irgendwas: Geburtstagsfeier, Bochum Total oder der Papst stirbt.*

Deshalb fehlt mir natürlich ein gewisser Teil des Ganzen, aber ich glaube, man kann “Stirb langsam 4.0” (erst dachte ich ja: “Doofer Titel”, aber er passt ganz gut zur Thematik) auch ganz ohne Vorkenntnisse der Serie schauen – nur die Running Gags und Querverweise bekommt man dann nicht immer mit. Es gibt in diesem Sommer aber sicher ganz andere Fortsetzungen, die auf eine fortlaufende Handlung setzen.

Bruce Willis ist zum vierten Mal John McClane, der New Yorker Polizist, der schon so ziemlich alles durchgemacht hat. Diesmal soll er eigentlich nur einen jungen Hacker (Justin Long) ans FBI überführen, aber natürlich kommt alles ganz anders, als Cyberterroristen die komplette Infrastruktur der USA in ihre Gewalt bringen wollen.

Diesmal ist es also kein Einer-gegen-Alle-Kampf im Hochhaus wie in Teil 1 (obwohl es gegen Ende des Films noch ein paar schöne Verweise in die Richtung gibt) und keine Schnitzeljagd wie in Teil 3 (auch wenn McClane wieder einen ungeliebten Begleiter hat und auch diesmal die meiste Zeit über nur in fernmündlichem Kontakt zum Oberschurken steht). “Stirb langsam 4.0” ist also irgendwie ein Destillat der bisherigen Teile und hat trotz seines recht schlicht anmutenden Plots einen gut konstruierten Ablauf.

Bruce Willis ist natürlich wieder genau die coole Sau, für die man ihn so liebt, und die Action vor allem eins: laut, hell, brutal. McClane steht in der heutigen Welt der Hacker und Mobiltelefone für die alte, rohe Handarbeit und Willis steht eigentlich für eine ganz andere Generation von Actionfilmen: Denn natürlich kommt auch “Stirb langsam 4.0” wie beinahe jeder Actionfilm diesseits von 1999 nicht ohne Computerbildschirme, Kung-Fu-Elemente und prügelnde Frauen (nix gegen Maggie Q …) aus – es wäre also dringend an der Zeit, dass mal irgendjemand einen Film dreht, der “Matrix” als Genreprägendes Werk ablösen kann.

Außer dieser Ranschmeiße an die Jugend (“Ihr wart ja noch nicht mal geplant, als der erste Teil im Kino lief!”) kann man dem Film und seinem Regisseur Len Wiseman (“Underworld”, “Underworld: Evolution”) aber nichts vorwerfen. Die wenigsten Logik- und Schnittfehler fallen einem während des Films auf und hinterher hat man viel zu viel Adrenalin in der Blutbahn, um über solche Lappalien reflektieren zu können.

Das Thema Cyberterrorismus ist gar nicht mal so abwegig und man ist fast versucht, von “erschreckend realistischen Szenarien” zu faseln. Um keine Vorurteile zu schüren oder von der Realität überholt zu werden, reden die Bösen aber abwechselnd französisch, italienisch und englisch (hierzulande natürlich deutsch) und sehen auch kein bisschen arabisch aus. Und der Oberbösewicht (Timothy Olyphant) ist noch nicht mal in der Originalfassung Deutscher …

Auch wenn außer John McClane (und um den geht’s ja schließlich) nur wenige verbindende Elemente, die über das Selbstzitat hinausgehen, existieren: “Stirb langsam 4.0” ist ein würdiger Nachfolger (und möglicher Schlusspunkt) der Serie. Es ist einer dieser rar gewordenen Actionfilme, die noch richtig Wumms haben anstelle von computeranimierten Kamerafahrten. Man könnte auch in die Kiste mit der Aufschrift “elendige Klischeesätze” greifen und sagen bzw. schreiben: eine 130minütige Achterbahnfahrt, perfektes Popcorn- bzw. Sommerkino. Würde auch stimmen.

Offizielle Website zum Film
Offizielle deutsche Website zum Film

* Es gehört zu den besonderen Details dieser Welt, dass einer der wenigen deutschen Fernsehsender, der sein Programm beim Tod Johannes Paul II. munter fortsetzte, Pro Sieben war – mit besagtem “Stirb langsam 2”.

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Film Rundfunk Fernsehen Musik

Ein halber TV-Tipp

Heute Abend zeigt das ZDF “Keine Lieder über Liebe”. Wenn ich die Handlung noch richtig erinnere, geht es um einen Dokumentarfilmer (der großartige Florian Lukas), der die Band seines Bruders (Jürgen Vogel) auf Tour begleiten will – und irgendwie entspinnt sich dann eine Dreiecksgeschichte mit Heike Makatsch.

Warum ich mir einen Film, der ausschließlich mit Handkamera gedreht ist, der eine verworrene und pessimistische Handlung hat und in dem nicht viel mehr passiert, als das Menschen miteinander reden (oder besser noch: sich anschweigen), kurz: warum ich mir einen jungen deutschen Film überhaupt angesehen habe, liegt an der Band, der Jürgen Vogel vorsteht: Es handelt sich um die Grand-Hotel-van-Cleef-Allstar-Kapelle Hansen Band mit Marcus Wiebusch (kettcar) und Thees Uhlmann (Tomte) an den Gitarren, Felix Gebhardt (Home Of The Lame) am Bass und Max Martin Schröder (Tomte, Olli Schulz & der Hund Marie, Der Hund Marie) am Schlagzeug. Jürgen Vogel singt (sehr schön, das muss man ihm lassen) die Lieder, die ihm seine Backing Band geschrieben hat, und das Album der Hansen Band ist nach wie vor zu empfehlen.

Leider ist “Keine Lieder über Liebe” weder “This Is Spinal Tap” noch “Almost Famous” und so dienen Musik und Band allenfalls als Hintergrund für eine melodramatische Liebesgeschichte, die von den Beteiligten zwar gut vorgetragen wird (der ganze Film ist improvisiert), aber trotzdem nicht so recht über 101 Minuten tragen will.

Wer also “Keine Lieder über Liebe” noch nie gesehen hat, kann ihn sich heute Abend um 22:45 Uhr im ZDF ansehen. Ich bin ganz froh, dass ich schon was besseres vorhab.

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Film

This Is Zodiac Speaking

Zodiac (Amerikanisches Filmposter)Filme über wahre Begebenheiten haben ja immer den Nachteil, dass man weiß, wie sie ausgehen. Zwar berichtete mein Bruder mal von einer Freundin, die empört war, als man ihr vor dem Kinobesuch das Ende von “Der Untergang” offenbarte (“Hitler erschießt sich und Deutschland verliert”), aber das dürfte ebenso die Ausnahme sein wie Leute, die sich wundern, dass in “Titanic” ein Schiff untergeht. In “Zodiac” dem neuesten Film des großartigen David Fincher (“Fight Club”, “Sieben”, “The Game”) geht es um einen Serienmörder, von dem in Amerika jedes Kind weiß, dass er nie gefasst wurde. Wie man vor diesem Hintergrund trotzdem einen spannenden Film drehen kann, zeigt Fincher den Zuschauern in 158 Minuten.

In der San Francisco Bay Area werden Ende der 1960er Jahre mehrere Morde begangen, der Täter schickt verschlüsselte Botschaften an Lokalzeitungen und Polizei und inszeniert sich selbst als erstes mediales Phänomen dieser Art. Die Ermittler tappen im Dunkeln, die Nachforschungen des Reporters Paul Avery (Robert Downey Jr. spielt einen Mann mit Alkoholproblemen – How about that?) führen auch nicht weiter und der ganze Fall verläuft sich irgendwie. Und in dem Moment, wo man sich als Zuschauer fragt “Ja, und jetzt? Ist ja wohl noch was hin bis zum Schluss …”, in diesem Moment entwickelt der Karikaturist Robert Graysmith (der in vierzehn Jahren keinen Tag altert – Jake Gyllenhaal sei Dank) eine geradezu krankhafte Obsession, den Fall lösen zu wollen. Er forscht nach, kämpft sich durch Aktenberge und befragt alle mit dem Fall betrauten Personen.

Dass Fincher eine bedrückende Atmosphäre schaffen kann, wissen wir spätestens seit “Sieben”. In “Zodiac” rekonstruiert er das San Francisco der späten Sechziger und Siebziger Jahre mit beinahe beunruhigender Akribie und schafft so eine Welt in Braun und Grau, in der es auch noch ständig regnet. Zu jeder Sekunde sieht der Film so aus, als sei er wirklich schon über 30 Jahre alt und die Kamerafahrten durch inzwischen längst umgebaute Straßen zeigen, wie toll und unauffällig Spezialeffekte mittlerweile sind, wenn man sie ausnahmsweise mal für realistische Bilder einsetzt. Der Film nimmt uns mit in eine Zeit, lange vor der weltweiten Vernetzung, als längst noch nicht jede Polizeistation in den USA ein Faxgerät hatte und man von genetischen Fingerabdrücken und ähnlichen Spielereien noch nicht mal träumte – eine Zeit, in der die Amerikaner immerhin auf dem Mond landeten und in der Eduard Zimmermann schon “Aktenzeichen XY… ungelöst” moderierte.

Jake Gyllenhaal wird sein Image als “irgendwie unheimlicher Softie” wohl nie so ganz loswerden, aber wie schon so oft (und zu vördererst in “Donnie Darko”) überzeugt der 26-Jährige auch diesmal wieder voll und ganz. Sein Robert Graysmith, auf dessen Büchern der ganze Film basiert, ist ein ähnlich getriebener Charakter wie Detective David Mills in “Sieben”: Er belästigt die zuständigen Polizisten mitten in der Nacht, spannt seine Kinder als Hilfsermittler eins und als er zuhause Anrufe vom vermeintlichen Killer erhält, verlässt ihn seine zweite Frau. Seinen Bruder im Geiste findet er in Inspector David Toschi (Mark Ruffalo), der ihn mit Informationen versorgt und trotz aller Anstrengungen auch nicht vom Zodiac-Fall loskommt.

Die brutalen Morde bilden eigentlich nur das Grundgerüst für die Geschichte, auf einige Fälle, die dem Zodiac-Killer ebenfalls zugeschrieben werden, geht er gar nicht ein. Fincher orientierte sich nach eigenen Angaben an “All The President’s Men”, dem Film über die Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward, die den Watergate-Skandal aufdeckten. Trotzdem entwickelt sich in manchen Szenen eine unglaubliche Spannung, die auch durch Faktenwissen nicht herunterzuspielen ist. Auf dem Nachhauseweg war ich jedenfalls geringfügig paranoid.

Fünf Jahre nach “Panic Room”, der eigentlich auch nur enttäuschend war, weil man nach “Fight Club” wieder eine ähnliche Großtat von Fincher erwartet hatte, ist der Regisseur einmal mehr auf dem Höhepunkt seines Schaffens. “Zodiac” ist ein düsterer, intelligenter, letztlich aber pessimistischer Film. Für Leute, die sich schon länger mit dem Zodiac-Killer befassen, ist es eine Bebilderung der eigenen Vorstellungen, für Neulinge ist es eine sehr gute Einführung in den Fall. Die 2004 geschlossenen Akten des San Francisco Police Department zum Zodiac-Killer wurden im Frühjahr dieses Jahres wieder geöffnet.

Offizielle Website zum Film
Offizielle deutsche Website zum Film
Film-Trailer
“The Z Files” – Faktensammlung zum Zodiac-Killer

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Ich schaue mir gern erste Teile an

Es ist wie jedes Jahr, aber es scheint jedes Jahr noch ein kleines Stück schlimmer zu werden. Im Sommer gehören die Kinos den Fortsetzungen. Dieses Jahr sind es vor allem die dritten Teile, die die Leinwände für originäre Stoffe nahezu komplett blockieren. “Spider-Man 3”, “Fluch der Karibik 3”, ab übermorgen noch “Ocean’s 13”, und am 21.6. folgt dann auch noch “Shrek der Dritte” – über etwas anderes wird in den Massenmedien nicht mehr berichtet.

Trotz der Dauerpropaganda für die 300-Millionen-Dollar-Filme (mit dem noch einmal so großen Werbeetat) sendet das Publikum noch schwache Hilferufe nach neuen Stoffen. In den USA machte sich das letztes Wochenende damit bemerkbar, daß “Pirates of the Caribbean 3” in seiner zweiten Spielwoche deutlich über 60% seines Umsatzes einbüßte und in Sachen Kopienschnitt (Umsatz pro an die Kinos ausgelieferter Kopie des Films) sogar von der Komödie “Knocked up” (Teil 1 wohlgemerkt) überholt wurde. Bei uns in Deutschland halten sich unterdessen kleinere, originelle Filme wie “2 Tage Paris” oder “Fracture” erstaunlich gut und büßen kaum Zuschauer ein, während sich die Zuschauerzahlen der Piraten oder gewisser Spinnenmänner jede Woche nahezu halbieren. Wen wundert das, folgen doch sämtliche dritte Teile auf schwache Fortsetzungen, die allenfalls wirtschaftlich mit ihrem Vorgänger mitzuhalten vermochten, keinesfalls jedoch qualitativ. “Spider-Man 2” und “Fluch der Karibik 2” fügten dem Konzept ihrer Vorgänger nichts Neues hinzu, “Ocean’s 12” hatte nichts vom Elan des ersten Teils und “Shrek 2” ging der intelligente, bissige Witz des Originals völlig ab.

Wer sich allerdings nicht gezielt informiert, der erfährt im Prinzip nichts von den Alternativen. Höchstens durch Mundpropaganda spricht sich so mancher qualitativ hochwertige Film doch mal noch herum und findet so auch nicht nur in der ersten Woche seine Zuschauer. Schaut Euch also das Kinoprogramm genau an, bevor Ihr einfach nur dem Hype folgt. Es gibt trotz des Verdrängungswettbewerbs doch immer noch den ein oder anderen Film zu entdecken, der Euch mit einer frischen Idee unterhält und nicht mit einer doppelt aufgewärmten.