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Film

If Only

Das ist natürlich ein wahnsinnig egoistischer Gedanke, aber ich hatte mir das anders vorgestellt. Ich hatte gedacht, dass ich mich mit etwa 50 Jahren darauf einstellen müsste, von den Helden meiner Kindheit und Jugend Abschied zu nehmen (von denen aus dem Plattenschrank meiner Eltern übernommenen Helden vielleicht etwas früher).

Douglas Adams starb im Jahr 2001, mit unfassbaren 49 Jahren. Elliott Smith (34) und Johnny Cash (71) starben, bevor ich mich richtig mit ihrem Werk beschäftigt hatte. Als Heath Ledger (28), Michael Jackson (50) und Stephen Gately (33) starben, verschwanden plötzlich Leute, die ich beim Aufwachsen irgendwie in meinem Sichtfeld gehabt hatte.

Jay Reatard war 29, als ich wusste (wieder so ein egoistischer Gedanke), dass ich nie eines seiner Konzerte würde besuchen können. Stuart Cable war auch gerade mal 40 — und die Stereophonics hatten mit 16, 17 schon eine große Rolle in meinem Leben gespielt.

Jetzt also Frank Giering, der Mann mit den traurigsten Augen. “Absolute Giganten”, der wohl größte Film, der einem 16-Jährigen vor die Füße fallen kann, und dessen Mischung aus Sehnsucht, Party und Melancholie natürlich all das vorwegnahm, was da im eigenen Leben noch so kommen sollte. Oder habe ich versucht, mein eigenes Erwachsenwerden durch die Kameralinse von “Absolute Giganten” zu sehen? Wie kann man denn nicht bei Sonnenaufgang auf der Rückbank eines Autos sitzen, ohne “Wie spät ist es eigentlich?” zu fragen und dabei an Frank Giering zu denken.

Es war ja nur eine Meldung, auf einer nicht gerade vertrauenswürdigen Newsticker-Seite im Internet. Keine Quellenangabe. Aber warum sollte man Falschmeldungen über Schauspieler verbreiten, die nicht gerade auf den Klatschseiten der Trashmedien zuhause sind? Also: Warten und googeln und dabei Interviews finden, die man vor der Ahnung eines viel zu frühen Todes natürlich sofort ganz anders liest. Aber was muss das für ein zerbrechlicher Mann gewesen sein, wenn man das jetzt so liest. Scheiße, wieso denn “gewesen sein”? Und dann die Bestätigungen.

Es gab in meinem Leben keine Berührungspunkte mit Frank Giering. Sebastian Schipper, den Regisseur von “Absolute Giganten”, habe ich vor acht Jahren auf der Berlinale getroffen, wobei “überfallen” vielleicht das richtigere Wort ist: Ich sah ihn von weitem, rief seinen Namen, rannte ihm aufgeregt hinterher und muss wie ein Wasserfall gewirkt haben, als ich ihm sagte, wie viel mir sein Film bedeute. (Dass Schippers weitere Filme eher so “geht so” waren, lässt das Debüt natürlich noch ein bisschen heller strahlen.) Mit Florian Lukas und Antoine Monot Jr., den anderen “Giganten”, habe ich E-Mail- und Telefoninterviews geführt, in denen ich gar nicht an “Absolute Giganten” vorbeikam. Von Frank Giering kannte ich nur diesen einen beeindruckenden Film, der ausgereicht hat, um ihn unsterblich zu machen — ein Adjektiv, das plötzlich gleichermaßen unpassend wie tröstend wirken kann.

Weißt du, was ich manchmal denke? Es müßte immer Musik da sein. Bei allem, was du machst. Und wenn’s so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo sie am allerschönsten ist, da müßte die Platte springen, und du hörst immer nur diesen einen Moment.

(Sebastian Schipper: “Absolute Giganten”, Europa Verlag Hamburg/Wien 1999)

Musik!

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Musik Film Literatur

Positive Jam

Ich dachte ja schon, es wäre die Krönung in Sachen Helden-Kollaboration, dass Ben Folds und Nick Hornby gemeinsam an einem Album arbeiten (Coffee And TV berichtete).

Jetzt lese ich, dass Craig Finn, der Sänger der von mir hochverehrten The Hold Steady, gemeinsam mit dem langjährigen David-Letterman-Autoren Tom Ruprecht an einer Kinoadaption von Chuck Klostermans “Fargo Rock City” arbeitet.

Zwar kann ich mir im Moment noch nicht ganz vorstellen, wie aus einem Buch, das zu weiten Teilen aus dem Theoretisieren von Heavy Metal, Hair Metal und Hard Rock besteht, eine Filmkomödie werden könnte, aber ich vertraue den beiden Autoren, die den Film zusammen mit Klosterman produzieren, da voll. Außerdem werden hierzulande alberne Quatsch-Ratgeber wie “Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken” zu Kinoproduktionen geprügelt, da ist eine Coming-of-age-Geschichte im ländlichen North Dakota mit ganz viel Musik sicher der naheliegendere Stoff.

Aber was für popkulturelle Mashups mit meinen persönlichen Helden finden als nächstes statt? Nehmen Thees Uhlmann und Max Goldt ein gemeinsames Album auf? Vertont Fran Healy die “Calvin & Hobbes”-Comics von Bill Watterson? Nimmt sich Ben Gibbard ein Buch von Jack Kerouac vor?

Oh.

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Film

Hauptschul Musical

Apropos Oh, Napoleon: Die sind mit ihrem Song “Lovers In Your Head” auch auf einem aktuellen Filmsoundtrack vertreten.

Der Film heißt “Gangs” und der Höher-schneller-weiter-Trailer verspricht, ganz nach dem schönen Motto “LASS LIEBER ALLES ANZÜNDEN!”, mehr. Von allem:

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Motorräder!
Masken!
Scratches!
Ballett!
Jimi Blue Ochsenknecht!
Wilson Gonzales Ochsenknecht!
Liebe!
Cabrios!
Hunde!
Kriminelle!
Konflikte!
Brüder!
Verfolgungsjagden!
Oneliner!
Pinkelwitze!
Kalauer!
Donots!

Isses nich doll? Diese Mischung aus “West Side Story” und “Die wilden Kerle”, aus “Die fetten Jahre sind vorbei” und “James Bond — Der Morgen stirbt nie”? Das muss ja ein Hit werden.

Und trotzdem hat der Film – wohl, weil die Altersfreigabe ab 12 Jahren die Kernzielgruppe aussiebt – nach drei Wochen eher enttäuschende 345.359 Zuschauer.

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Musik Film

Nimm mein Mixtape, Babe

Die Neunziger sind ein trauriges Jahrzehnt, denn sie mussten ohne die ganz großen, prägenden Teenager-Filme auskommen. Allenfalls “American Pie” (von 1999) hatte einen vergleichbaren Einfluss auf die Popkultur wie “Say Anything”, “Ferris Bueller’s Day Off”, “Fast Times At Ridgemont High” oder “Sixteen Candles”. Vor allem hatten die Neunziger keinen John Cusack.

Oh, glückliche Nuller, denn die haben Michael Cera, der in “Superbad” schon von erstaunlicher Lloyd-Dobler-Haftigkeit war, der in “Juno” die Rolle des liebenswerten, höflichen Jungen ohne Eigenschaften erneut spielte und jetzt mit gerade mal 20 schon sein “High Fidelity”-Pendant drehen durfte: “Nick and Norah’s Infinite Playlist”.

Nick ist ein Schüler, der nicht über die Trennung von seiner Freundin Tris hinwegkommt, ihre Mailbox vollquasselt und ihr unablässig Mix-CDs brennt. ((Ein bizarrer Anachronismus — sowohl Mixtapes als auch MP3-Listen würde man verstehen, aber CDs?!)) Die CDs, die Tris wegwirft, sammelt Norah (Kat Dennings) ein und verliebt sich über die Musik in den ihr unbekannten Absender. Dann treffen sich die Beiden erstmals in der Realität, mögen sich nicht, stolpern durch eine chaotische Nacht und Richtung Happy End.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal das Gefühl hatte, dass bei einem Film von der Atmosphäre über die Darsteller bis zur Musik alles stimmt, aber das Drehbuch leider völliger Quark ist. Vielleicht bei Cameron Crowes “Elizabethtown” und ein bisschen bei “Garden State”. ((Dessen Drehbuch allerdings nicht völliger Quark, sondern nur ein bisschen unstrukturiert war.)) Man kann im Sinne der Drehbuchautoren eigentlich nur hoffen, dass da ein Zweistünder ganz brutal auf 89 Minuten zusammengekürzt wurde, denn vieles passt nicht so recht zusammen und gerade das Verhalten der beiden Hauptpersonen wirkt oft völlig unmotiviert.

“Nick and Norah’s Infinite Playlist” ((Oder “Nick und Norah – Soundtrack einer Nacht”, wie der eher so mittelgute deutsche Titel lautet.)) ist trotzdem ein wunderbarer Film — und das liegt an allem, was nicht Drehbuch ist. ((Das Drehbuch hat übrigens auch ein paar hübsche Einfälle an den Rändern, aber die zentrale Handlung ist halt völlig verunglückt.)) Für einen Musikliebhaber ((Oder auch Musiknerd.)) sind der Film und sein Soundtrack ((Im Abspann werden 37 Songs aufgeführt, nur ein paar weniger als bei “High Fidelity” und “Almost Famous”.)) wie ein Besuch bei Freunden: Viele kennt man schon und die anderen sind auch nett. Bishop Allen treten live auf und Devendra Banhart latscht als Supermarkt-Kunde durchs Bild, dazu kommen Songs von unter anderem Vampire Weekend, The Dead 60s, We Are Scientists, Shout Out Louds, Band Of Horses und Rogue Wave.

Die Schauspieler spielen ihre Charaktere auf eine für einen Teenie-Film überraschend zurückhaltende und damit sehr angenehme Art. New York zeigt sich abseits der 5th-Avenue-Klischees von seiner sympathischsten Seite. Und hatte ich erwähnt, wie großartig die ganze Atmosphäre ist?

Und so kommt es, dass ich ein paar Stunden nach dem Kinobesuch ((Und beim Hören des Soundtracks, den iTunes freundlicherweise auch nach Ladenschluss noch vorrätig hatte.) mit wohliger Erinnerung an einen Film zurückdenke, während dessen Sichtung ich fast die Leinwand angeschrien hätte, um die Autoren zu verfluchen.

Billy Wilder hat einmal gesagt, für einen guten Film brauche man drei Dinge: 1. Ein gutes Drehbuch, 2. Ein gutes Drehbuch und 3. Ein gutes Drehbuch. Ich würde dem Meister nie widersprechen, aber vielleicht ist “Nick and Norah’s Infinite Playlist” ja einfach die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

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Musik Film

Did you think you’d escaped from routine?

Man weiß nicht so richtig, was bei den Mitgliedern der Academy of Motion Picture Arts and Sciences jetzt schon wieder kaputt ist: Erst nominieren sie statt der sonst üblichen fünf Songs nur drei in der Kategorie “Bester Titelsong”, dann übergehen sie bei den Nominierungen Bruce Springsteens “The Wrestler”, der nach seiner Golden-Globe-Auszeichnung eigentlich als Favorit galt, schicken dafür gleich zwei Songs aus “Slumdog Millionaire” ins Rennen und dann werden die Songs auch nicht mehr einzeln vorgetragen (was immerhin die mehrstündige Zeremonie auflockert), sondern jeder Titel sollte 65 Sekunden in einem Medley bekommen.

Kein Wunder, dass Peter Gabriel da keinen Bock drauf hatte, und seinen Auftritt (nicht aber die Teilnahme an der Oscar-Verleihung) abgesagt hat:

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Klar, es ist eine längliche Filmpreisverleihung, aber die zusätzlichen sechs, sieben Minuten wären ja wohl gerade noch drin gewesen.

Gerade, wenn man bedenkt, dass man “Down To Earth” aus dem fantastischen Trickfilm “Wall-E” unbedingt in voller Länge hören sollte.

So wie hier:

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Film Literatur

Der Buddenbrook-Komplex

Familiensagen haben in Deutschland eine lange Tradition: von den Nibelungen bis zu den Beimers führt ein direkter Weg (wenn auch ein verschlungener) von Geschichten, die den Menschen das Gefühl geben sollen, ihre eigene Familie sei dann vielleicht doch gar nicht so kaputt. Den unbestrittenen Höhepunkt bilden wohl die “Buddenbrooks”, jener “Jahrhundertroman”, den Thomas Mann mit 25 Jahren veröffentlichte und der ihm Weltruhm und Literaturnobelpreis sicherte.

Heinrich Breloer, der 2001 mit “Die Manns – Ein Jahrhundertroman” die nicht minder spannende Familiengeschichte der Manns selbst dokumentiert hatte, hat sich in seinem Spielfilmdebüt nun den 750-Seiten-Klassiker vorgenommen und auf kurzweilige zweieinhalb Stunden heruntergebrochen. Der Einfachheit halber lässt Breloer mindestens eine Generation (die von Johann Buddenbrook dem Älteren) und zwei Kinder (Clara Buddenbrook und Erika Grünlich) außen vor und konzentriert sich direkt auf Jean und Bethsy Buddenbrook und ihre (jetzt nur noch drei) Kinder. Das reduziert das unübersichtliche Charakterensemble auf eine beinahe nachvollziehbare Größe, führt aber auch dazu, dass Familientradition und -ehre nicht mehr direkt erzählt, sondern maximal berichtet werden.

Der “Verfall einer Familie”, so der Untertitel des Romans, wird in dieser vierten Verfilmung teils pointiert, teils hektisch abgehandelt. So ziemlich alles, was in Manns Roman über die Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook spannend und außergewöhnlich ist, ist bei Breloer banal geraten. Das liegt möglicherweise daran, dass der Regisseur ein erklärter Fan des Romans und seines Autors ist — sowas geht selten gut und es funktioniert auch hier nur bedingt. Wenn man die inneren Kämpfe, die der Drehbuchautor und Regisseur zwischen Werktreue und behutsamer Neuinterpretation ausgestanden hat, hinterher auf der Leinwand sehen kann, ist etwas gewaltig schief gelaufen.

Den Schauspielern kann man das nicht wirklich anlasten: Armin Mueller-Stahl könnte man als Konsul Jean Buddenbrook leicht mit seinem Thomas Mann in “Die Manns” verwechseln, aber Iris Berben überrascht als seine Gattin Bethsy dadurch, dass sie auch mal mehr sein kann als immer nur Iris Berben. Mark Waschke hat etwas damit zu kämpfen, dass seine Rolle des Firmenerben Thomas Buddenbrook nur in wenigen Momenten zum Sympathieträger taugt, aber die Bürde der familiären Pflicht und die zunehmenden Anstrengungen, die Fassade aufrecht zu erhalten, sind bei ihm stets glaubwürdig. Auch Jessica Schwarz, deren Tony Buddenbrook als einzige Person im Film überhaupt nicht zu altern scheint, steht die Zerrissenheit ins Gesicht geschrieben — zumindest solange, bis sich die Todesfälle in einem derart albernen Rhythmus häufen, dass man dieses Gesicht hinter dem schwarzen Schleier sowieso kaum noch zu sehen bekommt. Und August Diehl spielt den zunehmend wahnsinnigeren Christian Buddenbrook mit so viel Verve, dass man am Ende leider von Beiden genervt ist.

Die Ausstattung ist durchaus gelungen, mit großem Aufwand wurden Lübeck und Amsterdam des 19. Jahrhundert auf die Leinwand gezaubert. Dafür ist die Kameraarbeit von Gernot Roll, der bereits die TV-Version von 1979 fotografiert hatte, bis auf wenige Ausnahmen langweilig oder gar schlecht. Für die Weichzeichner beim großen Ball zu Beginn des Films gehören Kameramann und Regisseur gleichermaßen gescholten und mitunter wird allzu deutlich, dass ein bestimmter Blickwinkel nur gewählt wurde, weil sonst irgendetwas anachronistisches zu sehen gewesen wäre. Über die Musik wollen wir an dieser Stelle den Mantel des Schweigens breiten, der auch dem Komponisten Hans Peter Ströer gut zu Gesicht gestanden hätte.

Im Großen und Ganzen haben Breloers “Buddenbrooks” viel mit Uli Edels “Baader Meinhof Komplex” gemein, dem anderen großen deutschen Film von 2008: mit beachtlichem Aufwand, aber ohne eigene Haltung, werden die wichtigsten Stationen einer altbekannten Vorlage abgehechelt. Beide Male ist dabei solides Popcornkino entstanden, das sich als Einstieg in die jeweilige Materie eignet.

Dass ein Film dem Roman gerecht werden könnte, hat hoffentlich sowieso nie jemand geglaubt.

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Film

Wiedersehen macht nichts

Man kann aus einem 330-Seiten-Roman eine elfstündige Fernsehserie machen, so wie es mit “Wiedersehen mit Brideshead” von Evelyn Waugh 1981 geschehen ist. Man kann aus dem gleichen 330-Seiten-Roman auch einen 133-minütigen Kinofilm machen — dass dabei einiges auf der Strecke bleiben muss, ist klar.

Die Sprünge sind mitunter verwirrend. Manches erklärt sich hinterher in der Rückschau, manches nie. Was klar ist: Im Zentrum steht der junge Student Charles Ryder (Matthew Goode), der – 1923 kaum in Oxford angekommen – die Bekanntschaft des schwulen Adligen Sebastian Flyte (Ben Whishaw) macht. Die beiden weichen einander nicht mehr von der Seite, bis Charles in Venedig Sebastians Schwester Julia (Hayley Atwell) küsst. Jahre später ist Charles ein aufstrebender und verheirateter Künstler, der beim ersten zufälligen Wiedersehen über die ebenfalls verheiratete Julia herfällt, während Sebastian alkoholkrank in Marokko verschwunden ist. Charles und Julia wollen heiraten, aber dann kommt ihnen das Ableben von Julias Vater dazwischen, der auf dem Sterbebett das Christentum wieder für sich entdeckt. Plötzlich ist erst die Beziehung vorbei und kurz darauf (aber erst nachdem England mit Deutschland im Krieg ist) auch der Film.

Irgendwie haben es die Macher der Neuverfilmung geschafft, aus Evelyn Waughs (Wichtiger Cocktailparty-Smalltalk-Hinweis: Evelyn war ein Mann) gefeiertem Roman eine Melange aus Jane-Austen-Fließbandverfilmung und Rosamunde-Pilcher-Fernsehspiel herauszudestillieren. Die Handlung wurde bis zur Sinnlosigkeit verflacht, dafür wurde jede einzelne Szene mit einer opulenten Scheinbedeutungsschwere aufgeladen, damit auch jeder begreift, was Charles schon in der Eröffnungsszene aus dem Off gesagt hatte: Hier geht es um Schuld.

Außerdem geht es um Religion, soziale Unterschiede und immer wieder um das titelgebende Anwesen Brideshead, das Charles wichtiger ist als jeder Mensch. Als er zum ersten Mal einen Sommer dort verbringt, ist die sonst großartige Emma Thompson als Mutter von Julia und Sebastian damit beschäftigt, wie eine Lady zu wirken, der die ganze Schwere der Welt auf den Schultern unterhalb ihres Migräne-geplagten Hauptes lastet. Immerhin macht sie damit mehr als alle anderen Schauspieler zusammen — die stehen einfach nur an unfassbar pittoresken Sets herum und sagen das auf, was die Drehbuchautoren Andrew Davies und Jeremy Brock ihren holzschnittartigen und so gut wie nie nachvollziehbaren Charakteren an Text zugeschustert haben. Und weil das alleine noch nicht barock genug wirkt, liegt unter den Szenen, in denen es besonders dramatisch und/oder bedeutsam wird (also in nahezu jedem Moment) eine unglaublich schwülstige Filmmusik.

“Wiedersehen mit Brideshead” ist eine Art Telenovela im Panavision-Format, bei der man minütlich darauf wartet, dass Lord und Lady Hesketh-Fortescue mit Gwyneth Molesworth im Schlepptau um die Ecke kommen. Man wird das Gefühl nicht los, dass Regisseur Julian Jarrold selbst nicht so genau wusste, was er mit dem Stoff anfangen sollte. Sein Film kippt von der Schwulenromanze in eine Dreiecksbeziehung, macht dann einige irritierende Sprünge durch Raum und Zeit, um sich in einer oberflächlichen Meditation über Religion und Glaube zu verlieren. Das wirklich Erstaunliche ist, dass sich der Film bei allen Sprüngen und verlorenen Fäden auch noch so zieht wie eine elfstündige Fernsehserie.

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Film

Dancing With Tears In My Eyes

Da fährt ein Boot über das Mittelmeer, ein “Love Boat”, aber an Bord sind ausschließlich Männer: israelische Soldaten. Aus den Boxen scheppert “Enola Gay” von OMD, diese New-Wave-Hymne über das Flugzeug, aus dem die Atombombe auf Hiroshima geworfen wurde, und die Soldaten trinken Bier. Einem von ihnen ist schlecht, er kotzt über die Reling und beginnt zu halluzinieren: Eine nackte Riesin entsteigt dem Wasser und nimmt ihn mit ins Meer. Sie schwimmen davon, während er das Schiff mit seinen Kameraden an Bord explodieren sieht.

Es sind Szenen wie diese, die einem besonders in Erinnerung bleiben von “Waltz with Bashir”, obwohl eigentlich der ganze Film etwas Besonderes ist: Zum einen behandelt er den Libanon-Krieg von 1982, von dem die meisten Deutschen vermutlich nicht einmal wussten, dass er stattgefunden hat, zum anderen gehört er zum eher überschaubaren Genre des animierten Dokumentarfilms.

Regisseur Ari Folman verarbeitet in “Waltz with Bashir” seine eigenen Erfahrungen als Soldat im Libanon-Krieg und beim Massaker von Sabra und Schatila. Genauer gesagt begibt er sich auf die Suche nach seiner eigenen Geschichte, denn im Gegensatz zu vielen seiner damaligen Kameraden kann er sich an nichts mehr erinnern, was in seiner Jugend im Krieg vorgefallen ist. So besucht er alte Weggefährten, die ihm ihre jeweilige Sicht auf die Ereignisse anvertrauen und ihm so helfen, seine eigenen Verdrängungsmechanismen zu überwinden.

“Waltz with Bashir” wäre schon von sich aus ein interessanter Film über Krieg, Gewalt und das menschliche Erinnerungsvermögen. Allerdings würde er wohl ehrlich gesagt auf irgendwelchen nächtlichen Sendeplätzen des Bildungsfernsehens untergehen. Aber “Waltz with Bashir” ist kein gewöhnlicher Dokumentarfilm, er ist komplett animiert. In mehreren Produktionsschritten wurden die Interviews und Kriegsszenen digital nachbearbeitet und/oder komplett neu animiert (das Animationsverfahren wird hier genauer erklärt) — und das alles mit einem Budget von 2 Millionen US-Dollar (zum Vergleich: Pixars “Wall-E” kostete ungefähr das Neunzigfache). Dabei entstehen Bilder, die nicht allzu viel mit Hollywood-Perfektion zu tun haben, die man aber in dieser Form bisher noch nie gesehen hat.

In den außergewöhnlichen Bildern, die die ganze Zeit auf einen einprasseln, liegt leider auch eine Gefahr: ständig fragt man sich “Wie haben sie das jetzt gemacht?” und während man über 2D- und 3D-Grafiken grübelt, über Flash-Animationen und After Effects, ist man plötzlich wieder raus aus der Geschichte (der Begriff “Handlung” wäre da vielleicht auch irreführend). Außerdem ist es fast unvermeidlich, sich die historischen Hintergründe vor oder nach dem Kinobesuch noch einmal durchzulesen, weil sie sich aus dem Film eher nicht erklären.

Das Massaker von Sabra und Schatila, bei dem die christlichen libanesischen Phalange-Milizen mehrere Hundert palästinensischer Zivilisten ermordeten, rückt gegen Ende ins Zentrum des Films. Fast nebensächlich stellen sich Fragen nach der Mitschuld der israelischen Soldaten, die in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingslager waren, und einmal mehr geht es um das heillose Durcheinander, das seit Generationen im Nahen Osten herrscht, und das mit “Jeder gegen Jeden” unzureichend, aber irgendwie doch treffend beschrieben werden kann.

Gerade an diesen Stellen bieten die Animationen dem Zuschauer auch einen gewissen Schutz, weil er die Erschießung palästinensischer Familien rein optisch nicht groß anders erlebt als den Tod von Bambis Mutter. Aber spätestens als die gezeichneten Flüchtlingslager kurz vor Schluss plötzlich echten Videobildern von sich türmenden Leichen Platz machen, ist dieser Schutz dahin: das Grauen von Krieg und Völkermord, das sowieso kaum begreifbar ist, versteckt sich nicht mehr hinter teils surrealen Zeichnungen, sondern springt einem mit der vollen Brutalität des Realen entgegen. Man kann darüber streiten, ob das nötig ist, aber andererseits geht es nun mal um tatsächliche Ereignisse — und das könnte man ja fast schon vergessen haben.

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Film Gesellschaft

Ungesundes Merchandise

Ich habe es noch nicht geschafft, mir “High School Musical 3” anzusehen (aber ich werde es, das verspreche ich).

Ich möchte Sie aber auf ein Interview aufmerksam machen, das NPR mit Kenny Ortega, dem Regisseur der “High School Musical”-Filme, geführt hat.

Auf die Frage, was er eigentlich von diesem ganzen Merchandise (Rucksäcke, Bettwäsche, Schlüsselanhänger, Unterwäsche, you name it …) zu “High School Musical” halte, reagierte er zunächst einmal mit einem langen, nachdenklichen Seufzer und sagte dann:

Well, you know, that’s a tough one for me, you know. Those are the folks that give us the money to make the movies. And I would just say that it’s, you know, the parents just have to like … be the ones in charge. Disney’s gonna put out whatever they can put out. There’s a hunger for the merchandise, but I also think that, you know, at a certain point, it would be unhealthy to allow too much of it into an individual’s life.

Ich denke, mit dieser Einstellung wird er sowohl Disney, als auch so manche Eltern verärgert haben, die ihren Kindern erklären müssen, warum sie nicht auch noch die HSM-Butterbrotdose haben können. Aber ich finde seine Einstellung erfrischend ehrlich.

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Film Gesellschaft

Holger, der Kampf geht weiter

Andreas Baader wird in der Erinnerung der Menschen immer der Mann sein, der im Gerichtssaal von Stuttgart-Stammheim den vorsitzenden Richter anbrüllte und Frauen, wenn er mit ihnen redete, als “Fotzen” bezeichnete. Daran wird sich auch durch den zwanzig-Millionen-Euro-Film “Der Baader Meinhof Komplex” nichts ändern — die Leute werden den gebürtigen Münchener Baader höchstens mit einem nordischen Einschlag im Ohr haben, weil Moritz Bleibtreu im Sprechunterricht an der Schauspielschule gepennt hat.

Es gibt ja kaum einen Superlativ, kaum einen Satz, der im Vorfeld nicht über den Film geschrieben worden war. Jeder, der damals dabei war oder jemanden kannte, der die Geschichte der RAF am Fernseher miterlebt hatte, durfte sich in irgendeinem Medium darüber äußern, durfte diskutieren, ob man aus so einer Geschichte einen kommerziellen Spielfilm machen dürfe, oder durfte sonst irgendetwas sagen. Der Film wurde vorab so mit Bedeutung aufgeladen, dass man sich schon fragt, ob man ihn überhaupt noch als Film sehen und beurteilen kann.

Ja, man kann. “Der Baader Meinhof Komplex” ist stilistisch solide, mitunter brillant, was insofern überrascht, als Regisseur Uli Edel (“Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”, “Letzte Ausfahrt Brooklyn”) seit ungefähr zwanzig Jahren nichts Relevantes mehr gedreht hat. Es ist ein detailverliebter Zweieinhalbstünder, dessen Spannungsbogen ein bisschen darunter leidet, dass zehn Jahre (und 650 Seiten Buchvorlage) abgehandelt werden müssen, bis das passiert, was man eh schon tausendmal gesehen hat: Die “Landshut” wird in Mogadischu gestürmt, in Stammheim werden drei Leichen gefunden. Bis dahin ist es nie langweilig geworden, aber auch nur selten konkret oder gar übersichtlich. Ich weiß nicht, ob es hilfreicher ist, gar nichts über die Geschichte der RAF zu wissen, weil man sich dann wenigstens nicht ständig fragt, wer wer ist.

“Der Baader Meinhof Komplex” oder kurz “BMK” ist keine Dokumentation und keine Vertiefung von irgendwas, er ist eine oberflächliche Einführung in ein Kapitel deutscher Geschichte, dessen Aufarbeitung rechnerisch noch zehn bis zwanzig Jahre brauchen wird. Wir Spätgeborenen sitzen da und wundern uns über Massendemonstrationen, Raucher allerorten, riesige Studentenversammlungen und Menschen, die umständlich mit Vokabeln wie “Imperialismus”, “Genossen” und “Bourgeoisie” hantieren. Wir wundern uns, dass solche Leute, die man bei jeder Studentenparty stehen lassen würde, wenn sie einen anlaberten, damals die Massen bewegt haben (die Konservativen haben sich freilich schon damals gewundert). Wenn ein vollbesetzter Hörsaal auf Geheiß von Rudi Dutschke (erschreckend nah am Original: Sebastian Blomberg) “Ho, Ho, Ho Chi Minh” anstimmt, sind das für uns ähnlich fremde und beunruhigende Bilder wie die vom Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Aber der Film macht klar, was die Studenten 1967 bewegte, und wenn man die damaligen Meldungen aus Vietnam mit denen aus dem Irak heute vergleicht, ist einem das gleich gar nicht mehr so fremd und man wundert sich stattdessen, warum die heutigen Kriege eigentlich so egal sind. Auch die Bilder vom 2. Juni, als sich die Spannung zwischen Demonstranten und Polizisten schließlich in roher Gewalt entlädt, hat man so ähnlich in letzter Zeit schon mal im Fernsehen gesehen — allerdings längst nicht so brutal und ohne die “Jubelperser”, die mit Latten auf die Demonstranten einschlagen.

Diese Parallelen machen den Film für jüngere Zuschauer interessant, aber wie aus dem Protest gegen Vietnamkrieg und Schah plötzlich die RAF werden konnte, geht im Film völlig unter. Die Frankfurter Kaufhausbrandstiftung, für die Baader und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) erstmalig vor Gericht stehen, und die in der Buchvorlage ausführlich anmoderiert wird, passiert einfach so. Damit fehlen dem Unternehmen RAF im Grunde genommen weite Teile des Überbaus und alles, was man sieht, sind verwöhnte Bürgerkinder, die (wie schon in “Die fetten Jahre sind vorbei”) ein bisschen Terroristen spielen wollen. Entsprechend dämlich stellen sie sich mitunter an, entsprechend komisch sind die Szenen in den palästinensischen Ausbildungscamps.

Michael Buback hat “BMK” als “Täterfilm” beschrieben, was sicherlich nicht falsch ist. Schon das Buch konzentriert sich hauptsächlich auf die Biographien der Terroristen, der Film verknappt da weiter. Anders als in Heinricht Breloers brillantem Fernseh-Zweiteiler “Todesspiel” bekommt Schleyer hier nur wenige Augenblicke Aufmerksamkeit, alle anderen Opfer sind sowieso reines Kanonenfutter. Polizisten, US Army, Springer-Hochhaus, Stockholm, “Deutscher Herbst”, zwischendurch sogar München 1972 — die Schauplätze und Verbrechen werden abgehechelt, der Bodycount läuft stumm mit.

Allerdings ist der Film trotzdem keine Bonnie-und-Clyde-Nummer, keine mehrfach popkulturell codierte Heldenballade wie Christopher Roths “Baader”. Solange die Terroristen reden, sind sie unerträglich: Mao, Lenin, und die ganzen französischen Philosophen sind nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen, ihre Aufrufe schwanken zwischen blasiertem Pathos und verblendetem Zynismus. Manche Dialoge, wie die zwischen Ensslin und ihren Eltern, wirken furchtbar hölzern und plakativ, aber man muss annehmen, dass “Diskurs” damals eben so klang. Sobald die Terroristen dann schießen, sind sie kaltblütig und brutal, und außer Susanne Albrecht, die als Lockvogel bei der Ermordung Jürgen Pontos, dem Patenonkel ihrer Schwester, dabei war, zeigt niemand eine Gefühlsregung für die Opfer.

Moritz Bleibtreu schafft es nur in wenigen Momenten, hinter der Rolle zu verschwinden. Die meiste Zeit ist sein Baader irgendeine weitere Bleibtreu-Rolle: ein bisschen verschlagen, ein bisschen sympathisch (weil eben Bleibtreu), ein bisschen wahnsinnig. Martina Gedeck spielt Ulrike Meinhof als eine zögerliche Sprücheklopferin, die sich völlig in der Situation verheddert und am Ende zwischen Lethargie und Hysterie schwankt, bis sie einfach tot ist. Johanna Wokalek ist unglaublich gut, man hasst ihre Gudrun Ensslin quasi ab dem ersten Moment und ist doch immer mal wieder fasziniert von dieser entrückten Frau. Und dann gibt es da noch mehr als hundert weitere Schauspieler — fast jeder, der in Deutschland in den letzten zehn Jahren mal vor einer Kamera stand, ist (mit Ausnahme von Til Schweiger, Franka Potente und Iris Berben) auch diesmal mit dabei, was den Film so ein bisschen nach einem deutschen “Ocean’s Eleven” aussehen lässt. Sogar Heino Ferch und Jan Josef Liefers hat man unterbringen können.

Bruno Ganz allerdings hatte Pech: Als BKA-Chef Horst Herold erntete er ständig unfreiwillige Lacher. Vielleicht, weil die Leute Adolf Hitler vor Augen bzw. im Ohr hatten (s. “Der Untergang”), vielleicht, weil die Rolle so dünn und karikiert angelegt ist. Herold ist durch und durch Beamter, der irgendwie immer alleine ist (von den mehr als 100.000 Polizisten, BKA-Leuten und den ganzen Computern, die mit der Rasterfahndung beschäftigt waren, mal ab) — sowohl räumlich, als auch als einzige Stimme der Vernunft in einem Heer von Wahnsinnigen auf beiden Seiten. Denn brutal sind sie alle, in dieser Spirale der Gewalt, die als self-fulfilling prophecy schließlich zu dem Polizeistaat führt, den die Terroristen von Anfang an bekämpfen wollten: Die einen bei der Entführung Hanns Martin Schleyers, bei der seine Begleiter einfach niedergemäht werden, die anderen nach der Verhaftung von Holger Meins, bei dem jeder Polizeibeamte aus Rache für die getöteten Kollegen einmal zutreten darf. Die einen kämpfen gegen sinnlose Gewalt, die anderen für den Rechtsstaat.

Man konnte nicht viel falsch machen mit dem “Baader Meinhof Komplex”: Die Buchvorlage ist eine gut recherchierte Zusammenfassung einer Geschichte, die auch einer antiken Sage oder einem Shakespear’schen Drama entstammen könnte. Da drehen sich Gut und Böse im Kreis, endet die vorgeblich aufgeklärte Kritik am amerikanischen “Imperialismus” im menschenverachtenden Töten vom “Schwein in Uniform”, und der angeblich so gefestigten Bundesrepublik droht plötzlich eine krude Mischung aus Polizeistaat und Anarchie. Und über allem schwebt die Definition von Ulrike Meinhof, was Protest, und was Widerstand sei.

Uli Edel und Bernd Eichinger haben filmisch entsprechend zielsicher eine spannende Geschichtsstunde hinbekommen. Die Verquickung von Archivmaterial und Film in manchen Szenen ist auch unter rein handwerklichen Aspekten interessant. Dass die Macher den medialen Overkill, den ihr Film erzeugt hat, jetzt von den gleichen Medien wechselseitig um die Ohren gehauen bekommen, haben sie nicht verdient. Der Diskussion, die der Film ausgelöst hat, hat er selbst allerdings überhaupt nichts hinzuzufügen. Er ist, wie ich oben schon schrieb, eine Einführung in ein komplexes Kapitel der Geschichte, das bis heute nicht aufgearbeitet wurde und das vielleicht wirklich noch Zeit braucht.

Für viele junge Menschen wird “Der Baader Meinhof Komplex” die erste Begegnung mit der RAF sein — und auch wenn manche Szenen wie ein Triumphzug inszeniert sind, wird am Ende wohl kaum jemand die Terroristen als Helden feiern wollen. Der Film hat zu wenig Zeit, ihre Beweggründe und Entscheidungen wirklich zu vertiefen, aber zumindest ein kleiner Teil ihrer Tragik kommt rüber. Und letztlich dämmert einem, dass das vielleicht wirklich ganz verschiedene Sachen sein könnten, die nur einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben: die echten Verbrecher, der Mythos RAF und seine kulturelle Aufbereitung.

Nur eins noch: Die Filmmusik ist wirklich grauenvoll.

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Film Print Gesellschaft

Komplexe Verhältnisse

Nächste Woche läuft “Der Baader Meinhof Komplex” (nur echt ohne Bindestriche) in den deutschen Kinos an. Auch wenn mich das Thema RAF seit vielen Jahren interessiert, weiß ich nicht, ob ich mir den Film ansehen soll: die Handlung ist hinlänglich bekannt und außerdem muss man den Film ja gar nicht selber sehen — es schreibt je eh jeder drüber.

Besonders “Bild” ist an vorderster Front mit dabei: schon seit Monaten schreibt das Blatt über jedes kleine bisschen Information, in den letzten Tagen dann mit immer stärkerer Frequenz. Der Sohn von Hanns Martin Schleyer hat sich den Film bereits für “Bild” angesehen, die Tochter von Ulrike Meinhof ebenfalls.

Bettina Röhl ist für “Bild” eine wichtige Kronzeugin, denn:

Bettina Röhl (Ihre Mutter war Ulrike Meinhof) über den RAF-Film  Martina Gedeck ist eine Fehlbesetzung!

Sie war also dabei. Genauso wie “Bild”, möchte man einwenden, denn das Massenblatt des Axel-Springer-Verlags ist natürlich untrennbar mit ’68 und allen seinen Folgen verbunden.

Und da kommt ganz schnell so etwas wie Nostalgie auf, wenn Bild.de im traditionellen Duktus fragt:

Kommt die Baader-Meinhof-Bande zu Oscar-Ehren?

Auch beeindruckend doof ist diese Frage:

Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Johanna Wokalek: Dürfen sympathische Stars Terroristen spielen?

Da schließt sich doch gleich die Fragestellung an, wie unsympathisch Stars sein müssen, damit sie nach Ansicht von Bild.de Terroristen spielen dürfen. Müsste ich Til Schweiger und Iris Berben im Kino ertragen, damit mir Andreas Baader und Ulrike Meinhof nicht sympathisch erscheinen?

Ein besonderer Treppenwitz der Geschichte ist es allerdings, wenn Bild.de ein Foto von den Dreharbeiten erklärt, bei denen gerade die Krawalle des 2. Juni 1967 nachgestellt werden. Die ganz Alten werden sich erinnern: an diesem Tag war der Schah von Persien auf Staatsbesuch in Berlin, bei den Demonstrationen gegen ihn kam es zu beiderseitigen Gewalteskalationen, in deren Folge der Student Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel getötet wurde.

“Bild” beschrieb das damals so:

Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten.

31 Jahre nach der “Todesnacht von Stammheim” kommt jetzt die zweite Generation zum Einsatz: Nachfahren von Tätern und Opfern erzählen “Bild”-Redakteuren, die damals allenfalls Schulaufsätze geschrieben haben, was sie von der filmischen Aufbereitung der Ereignisse halten.

Allein: Bettina Röhl ist eine ähnlich zuverlässige Zeitzeugin wie “Bild” selbst. Die Frau (“Röhl muss es wissen, immerhin ist Ulrike Meinhof ihre Mutter!”) hat sich in den letzten Jahren in den Medien als eine Mischung aus Eva Herman und Henryk M. Broder (nur nicht ganz so sympathisch) präsentiert, die gegen ihre Elterngeneration und das Gender Mainstreaming zu Felde zieht und in allem und jedem wahlweise Geschichtsklitterung oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen sieht. Das ist ihr gutes Recht, aber es macht sie im doppelten Sinne befangen.

Frau Röhl kann sich natürlich zu dem Film äußern, wie sie mag. Sie kann es sogar in “Bild” tun, wenn sie das für eine gute oder witzige Idee hält. Es bleibt aber eine irgendwie merkwürdige Aktion, die andererseits auch zeigt, wie viel sich in den letzten 40 Jahren geändert hat: “Bild” macht munter Promotion für einen Film über die “Baader-Meinhof-Bande” und ist auch längst nicht mehr das Feindbild, das sie damals war. Letztlich haben alle gewonnen: die Terroristen kommen, wie jeder große Bösewicht irgendwann, zu Leinwandehren und “Bild” ist in der Mitte der Gesellschaft. Wir Spätgeborenen blicken erstaunt auf riesige Demonstrationszüge, die “Enteignet Springer!” skandieren, und lassen uns vom Feuilletonchef der “Zeit” Charakterlosigkeit vorwerfen. Für tatsächliche Diskurse sind wir sowieso ungeeignet.

Bernd Eichinger, der alte Geisterbahnbetreiber, entwickelt sich derweil langsam zum Guido Knopp des Kinos, der nach Hitler jetzt den zweiten deutschen Dämon des 20. Jahrhunderts auf die Leinwand bringt. Sein Stasi-Film ist sicher schon in Vorbereitung.

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Film

Ritter aus Leidenschaft

Batman ist ganz schön genervt. Sein Tagsüber-Leben als Multimilliardär Bruce Wayne, das eigentlich die Schokoladenseite seiner Existenz sein sollte, ödet ihn zwischen bedeutungslosen Business-Meetings und flüchtigen Silikonbekanntschaften an. Bei seinen nächtlichen Samariter-Einsätzen macht ihm nicht nur der Gotham-City-Mob, sondern immer häufiger auch eine Armada aus Nachahmern das Leben schwer, die den Unterschied zwischen gut gemacht und gut gemeint nicht auf die Reihe kriegen. Ja, und die Polizei hat es sowieso längst auf ihn abgesehen. Batmans Vorgehen ist eben nicht gerade zimperlich – bei seinen Rettungsversuchen und Aufräumarbeiten bricht er regelmäßig Gesetze, die selbst von den meisten Kleinganoven respektiert werden, mit denen sich der mürrische Superheld herumplagen und langweilen muss. Wäre Batmans Mutter noch am Leben, sie würde ihm raten, sich ein neues Hobby zu suchen.

Der Joker hat derweil die beste Zeit seines Lebens. Unter Kriegsbemalung und ausgeprägtem Dachschaden steckt hier im Prinzip ein guter, alter Terrorist; ein Irrer ohne Vergangenheit, der ständig widersprüchliche Geschichten über die Narben in seinem Gesicht erzählt. Mal ist der trinkende Vater Schuld, mal die herzlose Ex-Frau, und dementsprechend ist auch egal, wer bei seinen Payback-Touren durch Gothams High Society auf der Strecke bleibt. Die Küchenpsychologie aus verkorkster Kindheit und ungeliebtem Außenseiterdaseins, die hinter viel zu vielen Superheld-Gegnern steht, greift hier also nicht: Beim Joker haben Mord, Totschlag und sonstige Gewalt keinen Ursprung. Sie sind halt einfach da, und sie machen Spaß.

Es ist vielleicht der beste Kniff des ohnehin hervorragenden “The Dark Knight”, dass der Film an diesem Umstand erst gar keine Zweifel aufkommen lässt. Praktisch in jeder Szene, in der Heath Ledgers Joker als watschelnder, schmatzender, hysterisch lachender, durch und durch bösartiger Abschaum der Menschheit, der sich ständig über die aufgeplatzten Lippen leckt und durch die öligen Haare fährt, die Kinoleinwand aufsaugt, bekommt man es unter die Nase gerieben: Der Joker feiert die Party, und Batman gibt die Putzkolonne. Ein Umstand, der sich sogar in der Arbeit der Schauspieler widerspiegelt: Während Ledger in einer glühend-intensiven Vorstellung alle denkbaren Register ziehen kann, bleibt Christian Bale hinter seinem leidlich coolen Batman-Kostüm gar nichts anderes übrig, als den distanziert-unterkühlten Gegenpart zu machen.

Die Sache wird durch den ebenso überragenden wie perversen Sinn für Humor des Jokers nicht einfacher, und es bedarf einiger Storyline-Brechstangen und besonders gemeiner Gemeinheiten, bis die Rollen in “The Dark Knight” klar verteilt sind. Der Film hat glücklicherweise Zeit für diesen Luxus: Regisseur Christopher Nolan und sein Bruder Jonathan haben eine durchaus komplexe, herausfordernd lange Geschichte geschrieben, die nur wenige Verschnaufpausen erlaubt, und besonders dann glänzt, wenn sie ihre häufig eigenständigen Einzelepisoden in rasanter Gleichzeitigkeit auflöst. Batman erbeutet Diebesgut in Hong Kong, der Joker jagt ein Krankenhaus hoch, Gotham Citys Polizeichef Gordon (Gary Oldman) verzweifelt an seinen korrupten Handlangern, und Harvey Dent (Aaron Eckhart) macht als Staatsanwalt mit Starpotential Batmans Jugendliebe Rachel Dawes (Maggie Gyllenhaal) klar. Meistens weiß man vorher schon, wie die Sache ausgeht, und dennoch ist es jedes Mal erstaunlich, mit welcher Ernsthaftigkeit “The Dark Knight” selbst seine Nebenschauplätze behandeltet und niemals zu billigen Auflösungen führt. Realismus hat hier nichts mit der Zahl der Einschusslöcher zu tun, die ein Mensch verkraften kann. Er zeigt sich an Charakteren, die noch in der ärgsten Extremsituation glaubhaft und nachvollziehbar handeln. Außer einem natürlich.

Man tut sich trotzdem einen Gefallen, wenn man “The Dark Knight” in erster Linie als Duell der beiden Hauptdarsteller begreift, die wie alle guten Pärchen der Filmgeschichte noch schlechter ohne einander als miteinander können. Fragen über moralisch adäquate Terrorbekämpfung, schützenswerte Persönlichkeitsrechte, die Notwendigkeit von Helden und Feindbildern und den Menschen, der hinter jeder Gewalttat steht, schwingen hier eher gekonnt mit, als dass sie tatsächlich verhandelt würden. Sicher ist sich “The Dark Knight” nur dahingehend, dass die gute Sache selten die Spaßige ist, aber doch von irgendjemandem erledigt werden muss. Auf Batman kann man sich da verlassen – das ist zwar keine neue Erkenntnis, unterhält allerdings zweieinhalb Stunden lang besser als nahezu jeder andere Film, der in den letzten Jahren gedreht wurde.

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