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Ritter aus Leidenschaft

Bat­man ist ganz schön genervt. Sein Tags­über-Leben als Mul­ti­mil­li­ar­där Bruce Way­ne, das eigent­lich die Scho­ko­la­den­sei­te sei­ner Exis­tenz sein soll­te, ödet ihn zwi­schen bedeu­tungs­lo­sen Busi­ness-Mee­tings und flüch­ti­gen Sili­kon­be­kannt­schaf­ten an. Bei sei­nen nächt­li­chen Sama­ri­ter-Ein­sät­zen macht ihm nicht nur der Got­ham-City-Mob, son­dern immer häu­fi­ger auch eine Arma­da aus Nach­ah­mern das Leben schwer, die den Unter­schied zwi­schen gut gemacht und gut gemeint nicht auf die Rei­he krie­gen. Ja, und die Poli­zei hat es sowie­so längst auf ihn abge­se­hen. Bat­mans Vor­ge­hen ist eben nicht gera­de zim­per­lich – bei sei­nen Ret­tungs­ver­su­chen und Auf­räum­ar­bei­ten bricht er regel­mä­ßig Geset­ze, die selbst von den meis­ten Klein­ga­no­ven respek­tiert wer­den, mit denen sich der mür­ri­sche Super­held her­um­pla­gen und lang­wei­len muss. Wäre Bat­mans Mut­ter noch am Leben, sie wür­de ihm raten, sich ein neu­es Hob­by zu suchen.

Der Joker hat der­weil die bes­te Zeit sei­nes Lebens. Unter Kriegs­be­ma­lung und aus­ge­präg­tem Dach­scha­den steckt hier im Prin­zip ein guter, alter Ter­ro­rist; ein Irrer ohne Ver­gan­gen­heit, der stän­dig wider­sprüch­li­che Geschich­ten über die Nar­ben in sei­nem Gesicht erzählt. Mal ist der trin­ken­de Vater Schuld, mal die herz­lo­se Ex-Frau, und dem­entspre­chend ist auch egal, wer bei sei­nen Pay­back-Tou­ren durch Got­hams High Socie­ty auf der Stre­cke bleibt. Die Küchen­psy­cho­lo­gie aus ver­korks­ter Kind­heit und unge­lieb­tem Außen­sei­ter­da­seins, die hin­ter viel zu vie­len Super­held-Geg­nern steht, greift hier also nicht: Beim Joker haben Mord, Tot­schlag und sons­ti­ge Gewalt kei­nen Ursprung. Sie sind halt ein­fach da, und sie machen Spaß.

Es ist viel­leicht der bes­te Kniff des ohne­hin her­vor­ra­gen­den „The Dark Knight“, dass der Film an die­sem Umstand erst gar kei­ne Zwei­fel auf­kom­men lässt. Prak­tisch in jeder Sze­ne, in der Heath Led­gers Joker als wat­scheln­der, schmat­zen­der, hys­te­risch lachen­der, durch und durch bös­ar­ti­ger Abschaum der Mensch­heit, der sich stän­dig über die auf­ge­platz­ten Lip­pen leckt und durch die öli­gen Haa­re fährt, die Kino­lein­wand auf­saugt, bekommt man es unter die Nase gerie­ben: Der Joker fei­ert die Par­ty, und Bat­man gibt die Putz­ko­lon­ne. Ein Umstand, der sich sogar in der Arbeit der Schau­spie­ler wider­spie­gelt: Wäh­rend Led­ger in einer glü­hend-inten­si­ven Vor­stel­lung alle denk­ba­ren Regis­ter zie­hen kann, bleibt Chris­ti­an Bale hin­ter sei­nem leid­lich coo­len Bat­man-Kos­tüm gar nichts ande­res übrig, als den distan­ziert-unter­kühl­ten Gegen­part zu machen.

Die Sache wird durch den eben­so über­ra­gen­den wie per­ver­sen Sinn für Humor des Jokers nicht ein­fa­cher, und es bedarf eini­ger Sto­ry­line-Brech­stan­gen und beson­ders gemei­ner Gemein­hei­ten, bis die Rol­len in „The Dark Knight“ klar ver­teilt sind. Der Film hat glück­li­cher­wei­se Zeit für die­sen Luxus: Regis­seur Chris­to­pher Nolan und sein Bru­der Jona­than haben eine durch­aus kom­ple­xe, her­aus­for­dernd lan­ge Geschich­te geschrie­ben, die nur weni­ge Ver­schnauf­pau­sen erlaubt, und beson­ders dann glänzt, wenn sie ihre häu­fig eigen­stän­di­gen Ein­zel­epi­so­den in rasan­ter Gleich­zei­tig­keit auf­löst. Bat­man erbeu­tet Die­bes­gut in Hong Kong, der Joker jagt ein Kran­ken­haus hoch, Got­ham Citys Poli­zei­chef Gor­don (Gary Old­man) ver­zwei­felt an sei­nen kor­rup­ten Hand­lan­gern, und Har­vey Dent (Aaron Eck­hart) macht als Staats­an­walt mit Star­po­ten­ti­al Bat­mans Jugend­lie­be Rachel Dawes (Mag­gie Gyl­len­haal) klar. Meis­tens weiß man vor­her schon, wie die Sache aus­geht, und den­noch ist es jedes Mal erstaun­lich, mit wel­cher Ernst­haf­tig­keit „The Dark Knight“ selbst sei­ne Neben­schau­plät­ze behan­del­tet und nie­mals zu bil­li­gen Auf­lö­sun­gen führt. Rea­lis­mus hat hier nichts mit der Zahl der Ein­schuss­lö­cher zu tun, die ein Mensch ver­kraf­ten kann. Er zeigt sich an Cha­rak­te­ren, die noch in der ärgs­ten Extrem­si­tua­ti­on glaub­haft und nach­voll­zieh­bar han­deln. Außer einem natür­lich.

Man tut sich trotz­dem einen Gefal­len, wenn man „The Dark Knight“ in ers­ter Linie als Duell der bei­den Haupt­dar­stel­ler begreift, die wie alle guten Pär­chen der Film­ge­schich­te noch schlech­ter ohne ein­an­der als mit­ein­an­der kön­nen. Fra­gen über mora­lisch adäqua­te Ter­ror­be­kämp­fung, schüt­zens­wer­te Per­sön­lich­keits­rech­te, die Not­wen­dig­keit von Hel­den und Feind­bil­dern und den Men­schen, der hin­ter jeder Gewalt­tat steht, schwin­gen hier eher gekonnt mit, als dass sie tat­säch­lich ver­han­delt wür­den. Sicher ist sich „The Dark Knight“ nur dahin­ge­hend, dass die gute Sache sel­ten die Spa­ßi­ge ist, aber doch von irgend­je­man­dem erle­digt wer­den muss. Auf Bat­man kann man sich da ver­las­sen – das ist zwar kei­ne neue Erkennt­nis, unter­hält aller­dings zwei­ein­halb Stun­den lang bes­ser als nahe­zu jeder ande­re Film, der in den letz­ten Jah­ren gedreht wur­de.

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Musik Digital

Einmal mit allem, bitte

Man soll­te sich da nichts vor­ma­chen: In der Pop­mu­sik ist es immer auch dar­um gegan­gen, den Leu­ten etwas vor­zu­ma­chen. Authen­ti­zi­tät ist unwich­tig, gute Absich­ten sind zweit­ran­gig, fake ist real, irgend­wie. Man kann viel Geld mit die­ser Erkennt­nis machen – oder das, was sich der 26-jäh­ri­ge Musi­ker Gregg Gil­lis aus Pitts­burgh, Penn­syl­va­nia aus­ge­dacht hat. Unter sei­nem Künst­ler­na­men Girl Talk hat er vor eini­gen Tagen sein vier­tes Album „Feed The Ani­mals“ ins Inter­net gestellt und damit nicht weni­ger als eines der kon­se­quen­tes­ten und auf­schluss­reichs­ten Pop-Denk­mä­ler aller Zei­ten geschaf­fen.

„Feed The Ani­mals“ ist eine Plat­te, die des­halb funk­tio­niert, weil sie das eigent­lich aus­ge­lutsch­te Prin­zip des Bas­tard-Pops mit der­ar­ti­ger Dreis­tig­keit auf die Spit­ze treibt, dass die Rechts­ab­tei­lun­gen der ver­blie­be­nen Major-Plat­ten­fir­men um Ver­stär­kung durch die ame­ri­ka­ni­sche Natio­nal­gar­de bit­ten muss­ten. ((Das ist – natür­lich – gelo­gen. In einem Inter­view mit Pitch­fork­me­dia hat Gil­lis aber zumin­dest Erstau­nen dar­über aus­ge­drückt, dass die bis­her ein­zi­ge Rück­mel­dung von Busi­ness-Sei­te eine E‑Mail des Mana­gers von Sophie B. Haw­kins war. Sie wür­de ger­ne mit ihm zusam­men­ar­bei­ten.)) Gil­lis sam­pelt alles, was nicht bei drei auf den Bäu­men ist ((Eine Metho­de, nach der auch Gil­lis‘ ers­te drei Alben funk­tio­niert haben. Kei­nes davon hat das Kon­zept aller­dings so ambi­tio­niert und popfo­kus­siert aus­ge­reizt wie „Feed the Ani­mals“.)) – gleich­zei­tig und ohne all­zu wäh­le­risch zu sein. Eine unvoll­stän­di­ge Auf­lis­tung bei Wiki­pe­dia zählt mehr als 200 Pop‑, Rock‑, HipHop‑, R’n’B- und Metal-Songs, die auf „Feed The Ani­mals“ über­ein­an­der gelegt, umein­an­der gewi­ckelt und mit­ein­an­der ver­zahnt wer­den.

Das Ergeb­nis davon ist die Geschich­te der Pop­mu­sik in 54 Minu­ten und 14 Tracks mit flie­ßen­den Über­gän­gen – ein Album, das wegen Gil­lis‘ musi­ka­li­scher Sozia­li­sa­ti­on vor allem mit den letz­ten bei­den Jahr­zehn­ten beschäf­tigt ist, aber auch die Beach Boys, David Bowie, Prin­ce oder Gene­sis noch an irgend­ei­ner Stel­le ver­wurs­tet bekommt. Man kann dann fei­ern mit „Feed The Ani­mals“, sehr gut sogar. Man kann sich fast noch bes­ser davon ent­ner­ven las­sen, mit ihm in Erin­ne­run­gen schwel­gen, an der gran­dio­sen Hohl­heit des Gan­zen ver­zwei­feln und musik­wis­sen­schaft­li­che Ambi­tio­nen als Sam­ple-Jäger mit Lupe und Text­mar­ker aus­le­ben. Am wich­tigs­ten ist aber: „Feed The Ani­mals“ reißt einem die Gen­re-Gren­zen des eige­nen Musik­ver­ständ­nis­ses prak­tisch von selbst ein; man weiß am Ende: Pop ist alles. Und nichts. Immer gleich­zei­tig.

Mit ande­ren Wor­ten: Alles was Pop­mu­sik jemals konn­te und woll­te, steckt in die­ser Plat­te – und Gil­lis ver­schenkt sie der­zeit über die Home­page sei­nes Labels Ille­gal Art. Halb­gu­te Men­schen zah­len trotz­dem fünf Dol­lar und erhal­ten die Plat­te in CD-Qua­li­tät und als prak­ti­schen Ein-Datei-End­losstream. Rich­tig gute Men­schen legen noch mal fünf Dol­lar drauf und bekom­men das Album im Sep­tem­ber zusätz­lich als CD zuge­schickt.

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Film

Der Menschenfresser

Fil­me ver­stö­ren heu­te nicht mehr. Sie haben ent­we­der kei­ne Zeit dafür, kei­ne Lust dazu oder ohne­hin nicht die Mit­tel – und sie haben den schwer­wie­gen­den Nach­teil, dass jeder halb­wegs inter­es­sier­te Zuschau­er schon Wochen vor Kino­start zahl­lo­se Kri­ti­ken und Inter­views mit den Betei­lig­ten lesen kann, durch meh­re­re Trai­ler auf die Geschich­te vor­be­rei­tet wird und nicht zuletzt wegen IMDb-Durch­schnitts­be­wer­tun­gen, Gol­den-Glo­be-Ergeb­nis­sen und Oscar­no­mi­nie­run­gen zu wis­sen glaubt, was ihn erwar­tet. Ich kann mir schon gar nicht mehr vor­stel­len, wie es vor knapp drei­ßig Jah­ren für die Leu­te gewe­sen sein muss, die ohne Vor­wis­sen oder –war­nung Stan­ley Kubricks „The Shi­ning“ gese­hen haben. Ich erin­ne­re mich nur noch dar­an, dass ich als nicht eben wäh­le­ri­scher Teen­ager ins Kino gegan­gen bin und halt mal geguckt habe, was so pas­siert. Heu­te sehe ich mir „Der Krieg des Char­lie Wil­son“ an und weiß schon vor­her, dass mich amü­san­te, leich­te Unter­hal­tung erwar­tet. Ich sehe „Con­trol“ und weiß, dass der Film eine trost­lo­se, beklem­men­de Cha­rak­ter­stu­die wird. Oder ich sehe „The­re Will Be Blood“ und weiß, dass ein stren­ges, prä­zi­ses Meis­ter­werk auf mich zukommt.

Der Punkt ist natür­lich: Eigent­lich weiß ich über­haupt nichts. Ich glau­be höchs­tens, ein paar Din­ge zu wis­sen, füh­le mich als regel­mä­ßi­ger Film­kri­ti­ken­le­ser und Trai­ler­se­her gut ein­ge­stellt und möch­te in mei­ner vor­ge­fer­tig­ten Mei­nung lie­ber bestä­tigt als wider­legt wer­den. Das ist sehr doof, und ich kann mich an kei­nen Film erin­nern, der mir das jemals gna­den­lo­ser unter die Nase gerie­ben hat als Paul Tho­mas Ander­sons „The­re Will Be Blood“. Es ist sein fünf­ter Spiel­film, und es war schwie­rig, im Vor­aus eine Rezen­si­on dar­über zu lesen, die nicht min­des­tens tie­fen Respekt für die schau­spie­le­ri­sche und hand­werk­li­che Bril­lanz des Films zoll­te. Meis­tens ging das Lob aber noch viel wei­ter; die 160-minü­ti­ge Geschich­te um den kali­for­ni­schen Ölba­ron Dani­el Plain­view wur­de als Wie­der­auf­er­ste­hung des Wes­tern­gen­res bezeich­net, ohne selbst ein klas­si­scher Wes­tern zu sein. Sie wur­de für acht Oscars nomi­niert und steht der­zeit auf Platz 18 in der IMDb-Lis­te mit den 250 bes­ten Fil­men aller Zei­ten. Dass „The­re Will Be Blood“ aber ein ernst­haft und nach­hal­tig ver­stö­ren­der Film ist – dar­auf hat mich nie­mand vor­be­rei­tet.

Liegt wahr­schein­lich dar­an: Man muss ihn sehen, um es zu glau­ben. Man muss die nahe­zu wort­lo­se 15-Minu­ten-Sequenz am Anfang sehen, die in ihrer Selbst­si­cher­heit schon an Groß­kot­zig­keit grenzt. Man muss sehen, wie der Film in einem voll­kom­men rat­los machen­den, des­il­lu­sio­nie­ren­den Fina­le gip­felt, das kaum vor­aus­zu­ah­nen ist, aber doch unver­meid­bar scheint. Man muss sehen, wie der tod­si­che­re Oscar-Gewin­ner Dani­el Day-Lewis in der Haupt­rol­le des hass­erfüll­ten Men­schen­fres­sers Plain­view die Kino­lein­wand auf­saugt. Man muss sehen, wie des­halb nur noch Platz bleibt für den hys­te­ri­schen Pre­di­ger Eli Sun­day (Paul Dano), der sich als ein­zi­ge Neben­fi­gur ent­fal­ten kann, aber auch mit sei­nem kirch­li­chen Hin­ter­grund nicht zum mora­li­schen Gewis­sen des Films taugt. Und man muss die musi­ka­li­sche Leis­tungs­schau hören, die Radio­head-Mit­glied Jon­ny Green­wood dazu als bedroh­lich dröh­nen­den, per­ma­nent sti­cheln­den und nach­tre­ten­den Sound­track kom­po­niert hat. „Ich bin fer­tig“, sagt Plain­view am Ende des Films, und wenn er es nicht getan hät­te, dann ich.

Sieht man es als obers­te Pflicht eines Films an, sei­ne Zuschau­er zu unter­hal­ten, ist „The­re Will Be Blood“ ein boden­lo­ses Fias­ko. Es gibt nichts an die­sem Film zu Mögen oder gar zu Lie­ben, kei­ne leich­ten Momen­te, Erlö­sun­gen oder Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren. Statt­des­sen gibt es den Glau­ben an das Gute im Men­schen zu ver­lie­ren, das pure Böse am Bei­spiel einer ein­zi­gen Per­son zu erle­ben und die Fra­ge oben­drauf, wo so viel Hass auf alles und jeden bloß her­kom­men kann. Sie bleibt selt­sam unbe­frie­di­gend beant­wor­tet im Raum ste­hen, so als hät­te der Film selbst kei­ne Ahnung. Man könn­te sagen, dass er dadurch rui­niert wird, aber ich glau­be eher, gera­de das ist der Clou. Es ist jetzt 18 Stun­den her, dass ich „The­re Will Be Blood“ gese­hen habe, und ich habe seit­dem an nichts ande­res mehr gedacht, das irgend­wie von Bedeu­tung wäre.

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Rundfunk Fernsehen

„Hoffentlich sieht das keiner!“ [Teil 2]

Wo wir schon gera­de dabei sind, über die Pro­gramm­pla­nung des ZDFs zu mot­zen: Ein Schick­sal, das dem von Char­lot­te Roche und Gert Sco­bel nicht unähn­lich ist, wider­fährt der aus­ge­zeich­ne­ten Fern­seh­se­rie „Vero­ni­ca Mars“ im Zwei­ten nun schon seit über einem Jahr. Ursprüng­lich am Sams­tag Nach­mit­tag um 14 Uhr gestar­tet, wer­den die Geschich­ten der High­school-Schü­le­rin und Hilfs­de­tek­ti­vin mitt­ler­wei­le in der Nacht von Frei­tag auf Sams­tag ver­sen­det – dann also, wenn das Ziel­pu­bli­kum bestimmt kei­ne Zeit für öffent­lich-recht­li­ches Fern­se­hen hat, weil es den Wochen­end­por­no auf Kabel 1 gucken muss.

War­um es scha­de ist um „Vero­ni­ca Mars“? Weil die Serie – man kann sie wahl­wei­se als „O.C. Cali­for­nia Delu­xe“ oder „Twin Peaks Light“ ver­fol­gen – neben einer groß­ar­tig kon­stru­ier­ten Haupt­hand­lung, in der Vero­ni­ca ver­sucht, den Mord an ihrer bes­ten Freun­din auf­zu­klä­ren und nach ihrer ver­schwun­de­nen Mut­ter sucht (ist viel span­nen­der, als es klingt), immer wie­der mit klei­nen Neben­schau­plät­zen ver­blüfft, die eben­so kom­plex und cle­ver auf­ge­baut wer­den wie die eigent­li­che Geschich­te. Weil die auf­wen­dig ent­wor­fe­nen und durch­gän­gig her­vor­ra­gend besetz­ten Cha­rak­te­re über die häu­fig übli­chen drei Eigen­schaf­ten pro Per­son hin­aus­ge­hen, sehr rea­lis­tisch gezeich­net wer­den und ein glaub­haf­tes Bild von ame­ri­ka­ni­schen (Nobel-)Highschools ver­mit­teln. Weil gera­de der spie­le­ri­sche Umgang zwi­schen Vero­ni­ca (Kris­ten Bell) und ihrem Vater Keith (Enri­co Colan­to­ni) durch tro­cke­nen, schlag­fer­ti­gen Humor besticht. Und weil die Serie nicht zuletzt in ihren Film-Noir-infor­mier­ten Rück­blen­den immer wie­der mit visu­el­ler Bril­lanz über­rascht.

Im ZDF steckt die Serie der­zeit in der Mit­te der zwei­ten Staf­fel, was Quer­ein­stei­gern den Zugang zusätz­lich erschwe­ren dürf­te. Eigent­lich ist „Vero­ni­ca Mars“ aber ohne­hin eine klas­si­sche DVD-Serie, wes­halb eher dazu gera­ten sei, die zwei bis­her (nur als Regi­on-1-DVDs) erschie­nen Staf­feln über amazon.co.uk zu impor­tie­ren. Das dann aber drin­gend.

[Zur Ver­tei­di­gung des ZDFs sei fai­rer­wei­se gesagt, dass die Serie auch in den USA trotz sehr guter Kri­ti­ken (bei Pop­mat­ters wur­de sie bspw. zur TV-Show des Jah­res 2006 gewähtl) nur wenig Anklang fand und vor weni­gen Wochen nach drei Staf­feln been­det wur­de. „Vero­ni­ca Mars“-Erfinder Rob Tho­mas denkt nun dar­über nach, die Geschich­te als Kino­film und/​oder Comic wei­ter zu erzäh­len.]

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Musik

Mensch braucht HipHop

Sah ja fast schon so aus, als fehl­te dem Hip­Hop nur noch eine (wei­te­re) Kugel im Brust­korb zum end­gül­ti­gen Tod. Der Main­stream ist mitt­ler­wei­le der­art zuge­schis­sen wor­den mit auf­ge­pump­ten Hol­adris (und ihren jewei­li­gen Pos­ses), die gar nichts und noch weni­ger zu sagen haben, dass man schon froh ist, wenn irgend­je­mand mal ein Video ohne Frau­en­feind­lich­kei­ten zu Ende bringt. Die „Avant­gar­de“ bei den Vor­zei­ge­la­bels von Def Jux und Stones Throw scheint mir gleich­zei­tig ein biss­chen selbst­ge­fäl­lig gewor­den zu sein, kaum mehr aus­zu­bre­chen aus den selbst gesteck­ten, müh­sam erar­bei­te­ten The­men­be­rei­chen und Sound­wel­ten. Und Dan­ger­mou­se? Hat­te schon bei Gnarls Bar­kley und den Goril­laz nur noch am Ran­de mit Hip­Hop zu tun, bevor er zuletzt Plat­ten von The Rap­tu­re und The Good, The Bad & The Queen betreu­te. Das jüngs­te Rap­al­bum des­halb, das mich völ­lig auf­ge­fres­sen hat: Com­mons „Be“ aus 2005, klug betex­tet, kein Bull­shit drum­her­um und glän­zend pro­du­ziert von Kanye West, der damals noch Din­ge zu bewei­sen hat­te.

Das Gute nun an so einer Aus­gangs­si­tua­ti­on: Im Prin­zip konn­te es für Hip­Hop-07 nur auf­wärts gehen, wenigs­tens an den Rän­dern des Gen­res, wo es nie viel zu ver­lie­ren, aber umso mehr zu holen gab. Wie schnell und steil das gera­de pas­siert, fin­de ich trotz­dem min­des­tens genau­so über­ra­schend wie erfreu­lich. Der März fängt gera­de erst an, und es gibt trotz­dem schon Eini­ges her­zu­zei­gen:

Clip­se – Hell Hath No Fury
Wirkt am Anfang etwas tro­cken und sprö­de, lebt im End­ef­fekt aber vor allem von die­sen Eigen­schaf­ten. Unglaub­li­che Pro­duk­ti­on von den Nep­tu­nes, sehr redu­ziert und trotz­dem offen für Akkor­de­ons und sol­chen Quatsch. Die Tex­te der bei­den MCs dazu sind sehr böse und düs­ter, fast schon ver­bohrt in ihre Haupt­the­men (ca. Koks und Nut­ten), aber letzt­lich atem­be­rau­bend gut und kon­zen­triert. Per­fek­tes Poker­face, auch.

Dälek – Aban­don­ded Lan­guage
Sind weg­ge­kom­men vom Dröh­nen und Äch­zen der letz­ten Plat­te, jetzt ein biss­chen zugäng­li­cher und ein­fa­cher anzu­hö­ren. Der über­wäl­ti­gen­den Tie­fe ihrer Tracks hat das erstaun­li­cher­wei­se nicht gescha­det, es gibt immer noch aus­rei­chend zu bemer­ken und ver­ar­bei­ten, immer noch genug Rät­s­el­auf­ga­ben von Dälek, dem klei­nen, dicken MC mit der Don­ner­stim­me. My Bloo­dy Valen­ti­ne in Hip­Hop.

Talib Kwe­li & Mad­lib – Libe­ra­ti­on
Konn­te man sich Anfang des Jah­res kos­ten­los auf der Stones-Throw-Home­page run­ter­la­den und war eigent­lich nur als Warm-Up für Kwe­lis neue Plat­te gedacht, die irgend­wann spä­ter in 07 kom­men soll. Gera­de die­se zwang­lo­se Her­an­ge­hens­wei­se hat der Sache sehr gut getan, die Old-School-Blä­ser-Samples knack­sen und schlei­fen ganz herr­lich, die Raps sind pri­ma ver­tän­delt. Wird nun doch noch „rich­tig“ her­aus­ge­bracht, ver­mut­lich weil es zum Ver­schen­ken ein­fach zu gut war.

Bus­dri­ver – Road­kill Over­coat
Der Aben­teu­er­spiel­platz des Hip­Hop. In der zwei­ten Hälf­te ver­rennt es sich lei­der ein biss­chen, davor brennt hier aber der Busch wie lan­ge nir­gend­wo sonst mehr. „Less Yes’s, More No’s“ muss bit­te jeder gehört haben, viel prä­zi­ser kann man einen solch stu­ren Schlag­zeug­beat gar nicht mehr mit wun­der­ba­ren Kin­der­rei­en über den Bauch pin­seln.

K‑Os – Atlan­tis: Hymns for Dis­co
In die­ser Lis­te wohl der Stre­ber. Viel­sei­tig­keits-Hip­Hop, der sich bis zu Mar­vin Gaye rüber­neigt, aber irgend­wie immer noch die Kur­ve kriegt, bevor es zu viel wer­den könn­te. Wyclef Jean wür­de so klin­gen, wenn er, na ja, wenn er gut wäre, viel­leicht.

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Musik Rundfunk

Ships ahoy

Zu schön, um’s zu ver­pas­sen: Das Video zur ers­ten Sin­gle „Dash­board“ aus dem neu­en Mode­st-Mou­se-Album „We Were Dead Befo­re The Ship Even Sank“. Wir sehen dar­in Sän­ger Isaac Brock als ergrau­ten See­mann mit Mikro­fon­ha­ken­hand (hin­reis­send gespielt!), atem­be­rau­ben­de Spe­zi­al­ef­fek­te, rie­si­ge See­unge­heu­er und gegen Ende auch John­ny Marr als so eine Art Gitar­re spie­len­den Fisch­men­schen. Hat der gewusst, wor­auf er sich bei Mode­st Mou­se ein­lässt? Ist gar nicht so wich­tig, das Album ist super gewor­den, „Dash­board“ sowie­so und sonst ist auch alles gut.

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Rundfunk

Fernsehbeweis #1 (12.02. – 18.02.)

Ein ech­ter Mei­len­stein für die C&TV-Mission, aber wirk­lich auch noch den letz­ten Scheiß mit irgend­ei­ner irre­füh­ren­den, nichts sagen­den Pop­kul­tur-Refe­renz zu benen­nen: Der Fern­seh­be­weis, ein hier­mit gestar­te­ter, ver­mut­lich nie­mals fort­ge­führ­ter Weg­wei­ser durch die bren­nen­den Über­res­te, die noch da sind vom deut­schen TV-Pro­gramm. Als ob dein Leben nicht so schon lang­wei­lig genug wäre, rich­tig.

Mon­tag: Lost (Pro 7, 22.15 – 23.15 Uhr)
Ers­te Fol­ge des zwei­tei­li­gen Sea­son-Fina­les. Letz­tes Jahr hät­te man sich bei Pro 7 viel­leicht noch die Mühe gemacht, bei­de Fol­gen am Stück zu zei­gen, aber jetzt läuft ja vor­her der „Game­show Mara­thon“ mit den bei­den Olli P.s und Son­ja Krauss als Gast. Ist das nicht eigent­lich wit­zig, dass Olli Pocher so her­un­ter gekom­men ist, dass er eine Show zusam­men mit Oli­ver Pets­zo­kat machen muss, dem glei­chen Typ, dem er frü­her regel­mä­ßig men­tal in die Eier getre­ten hat? Ist das jetzt Gerech­tig­keit? Wie ist da die Stim­mung Back­stage? Nun ja, „Lost“ jeden­falls, da geht es dies­mal hoch her, man darf ja nichts Genaue­res sagen, weil jeder Zuschau­er auf sei­nem eige­nen Stand ist mit den gan­zen DVDs und Inter­net­räu­bern, die es da gibt. Der Cliff­hän­ger wird mör­de­risch, so viel sei ver­ra­ten.

Diens­tag: Lich­ter (3sat, 22.45 – 00.25 Uhr)
So eine Art Epi­so­den­film über deutsch-pol­ni­sche Grenz­schick­sa­le, ganz ohne blö­de Polen­wit­ze, aber dafür mit Matrat­zen­ver­käu­fern, Ziga­ret­ten­schmugg­lern und ukrai­ni­schen Flücht­lin­gen. Kann man auch mit geschlos­se­nen Augen gucken, so schön ist der Sound­track von The Notwist.

Mitt­woch: Die Tru­man Show (Pro 7, 20.15 – 22.10 Uhr)
Ers­ter Teil des gro­ßen Jim-Carrey-Ernst­haf­tig­keitfin­dungs-Mara­thons. Ace Ven­tur­ra spielt hier einen tap­si­gen Jeder­mann, der ein biss­chen unge­hal­ten wird, als ihm däm­mert, dass sein Leben eine Fern­seh­sen­dung ist. Die Moral: Unser aller Leben ist eine Fern­seh­sen­dung. Wer danach noch Lust hat, mag viel­leicht David Lynchs „Blue Vel­vet“ auf Arte gucken.

Don­ners­tag
Heu­te bleibt das Fern­se­hen geschlos­sen, Betriebs­aus­flug.

Frei­tag: Der Mond­mann (3sat, 22.45 – 00.40 Uhr)
Zwei­ter Teil des gro­ßen Jim-Carrey-Ernst­haf­tig­keitfin­dungs-Mara­thons. Bruce Almigh­ty spielt hier den Komi­ker Andy Kauf­man, des­sen Leben zwar immer­hin kei­ne Fern­seh­sen­dung, aber doch auch ziem­lich straff durch­in­sze­niert ist. Unglaub­li­cher Film, wir sind hier ja nicht zur Neu­tra­li­tät ver­pflich­tet.

Sams­tag: In der Hit­ze der Nacht (ARD, 22.55 – 00.40 Uhr)
Wir wider­ste­hen der Ver­su­chung, mit „Bat­man Fore­ver“ auf den drit­ten Jim-Carrey-Film der Woche hin­zu­wei­sen und emp­feh­len lie­ber die­sen 40 Jah­re alten Kri­mi, der sich an der Auf­klä­rung eines Mor­des in einer Klein­stadt in Mis­sis­sip­pi, die noch auf die Erfin­dung der Ras­sen­gleich­heit war­tet, abar­bei­tet. Das Ers­te zeigt ihn wegen des 80. Geburts­tags von Sid­ney Poi­tier am 20.2., wozu wir natür­lich noch nicht gra­tu­lie­ren, weil das doch Unglück bringt und wir nicht schuld sein wol­len, falls irgend­was mit Sid­ney Poi­tier pas­siert.

Sonn­tag: Sca­ry Movie 3 (Pro 7, 20.15 – 20.25 Uhr) und Mux­mäus­chen­still (ARD, 23.30 – 01.00 Uhr)
Die ers­ten zehn Minu­ten des drit­ten „Sca­ry Movie“ soll­te man mit­neh­men, danach viel­leicht noch schnell in die Bade­wan­ne und dann aber rüber ins Öffent­lich-Recht­li­che, wo die­se Pseu­do-Doku­men­ta­ti­on um einen fana­ti­schen Selbst­jus­tiz­ler gezeigt wird, der arg­lo­sen Mit­bür­gern auf­lau­ert und sie für ihre klei­nen Sün­den bestraft. War 2004 für den deut­schen Film­preis nomi­niert, falls das jeman­dem wei­ter­hilft.