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Spexen für Anfänger

Wir Sind Helden haben ein Album veröffentlicht, das unsere Autoren spaltet: Katharina Schliebs ist begeistert von seiner Tiefe, Lukas Heinser wollte es nach zwei Durchgängen eigentlich nie wieder auflegen. Gemeinsam haben sie sich noch einmal durch “Bring mich nach Hause” gehört und ihre Eindrücke in ein Chatfenster geschrieben.

Herausgekommen ist so etwas ähnliches wie ein Text:

Katharina: “In den Bibliotheken städtischer Ballungen / stapeln sich Bücher über läppische Wallungen / neben Bänden voller Lieder über Beulen und Schräglagen / und die Wände hallen wieder vom Heulen und Wehklagen.” — Was für ein großer Text über die Kleinigkeiten, die zur Soap des Lebens aufgeblasen werden.
Lukas: Den Song würde ich glaub ich skippen, wenn ich das Album hören würde.
Katharina: Der ist unglaublich schön in seiner zarten Subtilität. Gänzlich undramatisch fließt es so dahin, und diese Trompete ist wunderbar. (Ist es eine Trompete?) Ich hab den gestern im Zug immer wieder auf repeat gehört. Dieses Album ist eben etwas schwerer zugänglich.
Lukas: Ich find dieses “Drama-Dramatiker” im Refrain so unfassbar nervtötend.
Katharina: Ja, aber da haben wir eine Überschneidung von Text/Musik/Aussage. Das ist so fein aufgebaut: Die Mädchen regen sich über die Jungs auf, die Jungs über die Mädchen, und die Renter stehen für die Zuschauer, die dann auch noch einen guten Rat parat haben – Frühvergreisung der Besserwisser Anfang 20… ach! Und alles ist immer so dramatisch, dabei pupst das Leben einfach unspektakulär vor sich hin. Und Judith Holofernes sagt im Interview: Es ist Zeit, mal weniger zu wollen und die Dinge einfach mal geschehen zu lassen.
Lukas: Das sagt sich natürlich leicht, wenn man gerade ein Album aufgenommen hat, auf dem man definitiv zu viel gewollt hat.
Katharina: Hat man? Ich find nicht!
Lukas: Das dritte Album war ja schon ein bisschen überambitioniert, aber das neue lässt mich noch ratloser zurück als Tocotronic. Vielleicht bin ich auch einfach nicht gebaut für Intellektuellen-Pop.
Katharina: Ja, das ist schade, dass es vielleicht zu “intellektuell” und damit schwerer zugänglich ist… andererseits müssen WsH auch keine Ansprüche erfüllen. Judith hat auch gesagt, sie hätte schon beim 3. Album etwas dämonisch gedacht: “Mal gucken, wer da jetzt noch mitkommt.”
Lukas: Was natürlich eine schöne Weiterentwicklung vom Slogan-Pop des ersten Albums ist. Wobei die Slogans ja nur verschachtelter geworden sind.
Katharina: Das ganze Album ist im Prinzip das erste und das zweite Album nur in besser! Die Themen sind die gleichen, immer!
Lukas: Na, die Themen sind bei ungefähr jeder Band immer dieselben.
Katharina: “Dramatiker” wäre zum Beispiel “Geht auseinander”.
Lukas: Dieser Sprachwitz, der bei “Die Zeit heilt alle Wunder” noch charmant und unverbraucht war (obwohl das im Rückblick auch näherungsweise albern ist), ermüdet mich auf die Dauer. Das wird so Christian-Morgenstern-mäßig, Heinz-Erhardt-esk.
Katharina: Ja, aber irgendwie find ich das immer noch lustig: Dramatiker, Batiker, Statiker, Talarsticker, Starkicker. “Wer zu viel frisst aus Frust verlässt danach oft die Bar dicker” — ich muss immer grinsen. Und das ist ja nur das eine Lied! Warte mal die anderen ab!

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Musik

Gesammelte Platten Juli 2010

Dieser Eintrag ist Teil 7 von bisher 8 in der Serie Gesammelte Platten

Sommer. Die Autoren sind unterwegs oder beschäftigt, die Plattenfirmen nehmen Anlauf für die zahlreichen Veröffentlichungen im Herbst.

Vorher aber:

Admiral Radley – I Heart California
Früher war Jason Lytle der Chef von Grandaddy. Im letzten Jahr hat er ein Soloalbum herausgebracht, das außerhalb dieses Blogs viel beachtet wurde. Nun hat er mit Grandaddy-Drummer Aaron Burtch und Aaron Espinoza und Ariana Murray von der befreundeten Band Earlimart eine neue Band gegründet: Admiral Radley. Deren Debütalbum ist voll von Powerpop zwischen Weezer und den Magnetic Fields, Jay Reatard und Built To Spill. Manche Songs gehen überdreht (und ordentlich übersteuert) nach vorne, andere tänzeln melancholisch vor sich hin.
Anspieltipps: “I Heart California”, “Sunburn Kids”, “I’m All Fucked On Beer”, “G N D N”, “I Left U Cuz I Luft U” (LH)

Danger Mouse & Sparklehorse – Dark Night Of The Soul
Was für ein irres Projekt: Brian Burton alias Danger Mouse, einer der wichtigsten Produzenten der Nuller Jahre und kommerziell erfolgreich als eine Hälfte von Gnarls Barkley, und Sparklehorse, die gefeierte Alternative-Rock-Band, tun sich mit David Lynch zusammen, um ein Multimediales Projekt zu erschaffen: Lynch liefert düstere (was sonst?) Fotos, die Musiker die dazugehörige Musik. Wegen rechtlicher Schwierigkeiten verschiebt sich die Veröffentlichung immer weiter, in der Zwischenzeit nimmt sich Sparklehorse-Kopf Mark Linkous das Leben. Jetzt, da das Album auch offiziell erscheint, kommt man kaum umhin, es als Nachlass zu lesen — aber das verhindern die vielen Gastsänger: Die Flaming Lips sind z.B. dabei, Julian Casblancas, Nina Persson und – ach was! – Jason Lytle. Was auf dem Papier nach einer kruden Mischung und schwerer Kost aussieht, erweist sich in Wirklichkeit als durchaus hörbares Album, das mal an Filmmusik, mal an Pink Floyd, mal an Moby erinnert. Andererseits rocken die Tracks mit Frank Black und Iggy Pop sogar ordentlich. Besonders bewegend: “Grim Augury”, der Song mit Vic Chesnutt, der sich inzwischen ebenfalls umgebracht hat.
Anspieltipps: “Revenge”, “Jaykub”, “Grim Augury”, “Dark Night Of The Soul” (LH)

Eminem – Recovery
Klar: Eminem habe ich seit mindestens zehn Jahren auf dem Schirm, aber auf voller Albumlänge bin ich mit seiner Musik bisher nie so richtig warm geworden. Bisher, denn “Recovery” ist anders: Mit 77 Minuten und 17 Tracks zwar durchaus sperrig, aber eben ein durchgehendes Album mit 17 “echten” Songs, einigen Gaststars und durcharrangierten Playbacks (ich meine: Da wurde Haddaways “What Is Love” gesamplet!). Eminem klingt immer noch, als wolle man ihm lieber nicht persönlich begegnen, aber die Musik klingt zumindest stellenweise optimistisch und warm. Fünf, sechs Songs weniger hätten das Album noch hörbarer gemacht, aber man will einem Mann, der gerade seine Dämonen bezwungen hat, ja nicht vorschreiben, das in kompatibler Form zu machen.
Anspieltipps: “Cold Wind Blows”, “On Fire”, “Not Afraid”, “Almost Famous” (LH)

KATZE – Du bist meine Freunde
Zu Campusradiozeiten galten KATZE als “schwieriges” “Thema”: Durchaus charmante deutschsprachige Indierock-Songs, aber die Stimme von Klaus Cornfield ist dann doch nicht unbedingt das, was man ohne Vorwarnung auf unbedarfte Hörer (und seien sie auch Studenten) loslassen kann. Wenn man sich aber auf Cornfields Organ und die auf den ersten Blick naiven und/oder schrägen Texte einlässt, ist das eigentlich ganz schöne Musik, die man jetzt vielleicht nicht gerade bei der nächsten Dinnerparty auflegen sollte, aber dafür gibt es ja Katie Melua.
Anspieltipps: “Franzi wir wollen, dass du bei uns in der Band mitmachst”, “Hübsch aber dumm”, “Der Einsame” (LH, Rezensionsexemplar)

Mitarbeit an dieser Ausgabe:
LH: Lukas Heinser

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Musik Unterwegs

Camp Indie Rock

– von Tommy Finke –

DONNERSTAG
Großzügigerweise habe ich mich als Fahrer angeboten und nehme meinen Teil der Reisegruppe Haldern 2010 vom Bahnhof Bochum aus mit.

Während Rosa und Marie beide vorne Platz nehmen, nehme auch ich vorne Platz. Die Vorzüge eines Bandautos: 3 Sitze in der ersten Reihe. Marie hat ein iPad eingepackt, ich muss darüber ein wenig lachen, bin aber eigentlich neidisch. Ihr Ziel beim Haldern ist medientechnischer Natur: Sie hat einen der begehrten Fotopässe. Mit Rosa war ich 2008 schon mal auf dem Haldern. Und ich freue mich, dass sie diesmal wieder dabei ist! Die Fähigkeit, sich über Tage fast ausschließlich von Rotwein und Musik zu ernähren, macht Rosa zu einer perfekten Fetivalbesucherin. Und zu einem medizinischen Wunder.

Unser Zeltplatz ist, einmal angekommen, leicht abschüssig, dafür haben wir aber in alle Richtungen nette Nachbarn. Wir verzweifeln an Maries Zelt, aber der Hinweis, man könne zumindest mal versuchen, alle Stangen mit der gleichen Nummer ineinander zu stecken, ist ausschlaggebend. Inzwischen ist auch Christoph mit Sophie angereist.

Ich spiele den Realisten und öffne das erste Dosenbier. Das ist hier schließlich kein Kindergeburtstag und wir haben schon deutlich nach 16 Uhr. Alle wollen wir zwar Seabear im Spiegelzelt sehen, aber die Schlange ist schon um 18 Uhr so lang, dass wir uns entschließen, nochmal kurz zurück zum Zeltplatz zu gehen und, nunja, vorzuglühen. Ich stolpere an Foto-Gerrit vorbei, meine einzige feste Haldern-Freundschaft. Gerrit ist berühmt geworden mit einer Ausstellung über die Fotos der Schuhe der Stars: “Dancing Shoes”.

Gerrit macht den Vorschlag, mich am nächsten Tag zu fotografieren, aber wie jedes Jahr kriegen wir es überhaupt nicht hin, uns zu einer festen Uhrzeit irgendwo zu treffen, obwohl wir uns die nächsten 3 Tage immer wieder begegnen. Ganz so schlimm ist das dann aber doch nicht nicht, Gerrit hatte in Zusammenhang mit der Fotosession das Wort “nackt” gebraucht. Ich hoffe, das liegt an seinem letzten großartigen Projekt, ein Herz geformt aus nackten Festivalbesuchern beim Melt.

Wir anderen gehen zurück zum Zeltplatz, den wir für heute dann nicht mehr verlassen, denn auch später berichten unsere Spione von undurchdringlichen Menschenmassen an und ums Spiegelzelt. Uns ist das egal, die Christophsche Einkaufswut beschert uns Grillgut und Gin-Tonic. Zusätzlich ist Nacht der Sternschnuppen und so gucken wir alle stundenlang in den Himmel. Irgendwelche leicht zu begeisternden Leute rufen bei jeder Sternschnuppe “Oh!” und “Ah!”, wir bleiben still, weil wir das nicht für Feuerwerk halten, sondern für etwas Größeres. Ich bin gerührt, weil ich jede Sternschnuppe zweimal sehe.

Aus einem nahen Zelt dringt ein schwäbelndes Stöhnen. Das Prinzip “Wenn ich sie nicht sehe, dann hören sie mich auch nicht”, hat wieder nicht funktioniert.

Haldern Pop 2010

FREITAG
Am nächsten Morgen habe ich einen Geschmack im Mund, der Tote umbringen könnte. Ich nehme mir vor, diesen Abend dringend die Zähne zu putzen, bevor ich ins Zelt steige. Marie ist schon wach und macht Kaffee.

Heute ist der Tag, an dem wir mindestens Delphic und Mumford & Sons sehen müssen. Außerdem gibt es auf dem Programm heute ein Fragezeichen und es ging das Gerücht rum, dass es sich um Belle & Sebastian handeln könnte. Aber nein, es kommt anders, und zwar in Form von: Philipp Poisel. Die Leute: nicht begeistert. Was für ein unangemessener Ersatz für die gedanklich schon gebuchten Belle & Sebastian. Da hätte ja gleich ich spielen können. Selbstreflexion, meine Damen und Herren.

Ein paar hundert Meter weiter hatte ich gestern schon Teile der Fog Joggers und Oh, Napoleon getroffen. Ja, meine Damen und Herren, hier campen die kleinen Künstler noch selbst. Ich beschließe, nochmal rüberzugehen und hallo zu sagen. Sophie schließt sich mir an, da auch sie dort jemanden (“Frederik!!!”) kennt. Jan von den Fog Joggers hat mein Album dabei, er mag es. Dass ich die Fog Joggers EP so richtig großartig finde, behalte ich für mich, damit es ihm nicht zu Kopf steigt. Sophie hat inzwischen Frederik am Rande der Joggers-Gruppe ausfindig gemacht. Er liegt auf dem Boden mit einem T-Shirt über seinem Kopf, verkatert und apathisch. Einmal aufgewacht, stellt er sich als sympathischer Kerl heraus, lacht über wirklich jeden meiner bekanntermaßen schlechten Witze. Ich überlege, ihn zu adoptieren oder zumindest anzustellen.

Sophies Freundin Lisa reist auch noch an und hat ein Sagrotan-Arsenal eingepackt, das manche Klofrau neidisch machen dürfte. Dass Sie Ihren Hund Treu nicht mitnehmen durfte, findet sie doof. Außerdem wirkt sie augenscheinlich etwas irritiert, wie die Leute hier so leben. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Es ist, mit 28 Jahren, ihr allererstes Festival.

Die arme Lisa! Wir beschließen, Ihr alles wichtige über das Haldern Pop beizubringen und gehen zusammen zum berühmten See zum Schwimmen. Ich selbst war da zwar bisher auch noch nie drin, ist aber auch erst mein viertes Haldern. Dass jedoch Christoph nach knapp 10 Jahren Haldern noch nie in dem See schwimmen war, finde ich bemerkenswert. Immerhin ist der See umsonst, die Duschen kosten Geld. Sie verstehen? Eben.

Björn und Frederik schwimmen nicht nur, sie haben auch Bier mitgebracht. Für Im-See-trinken. Ich habe aus Fuß-Aufschlitzungsangst meine Gummistiefel an. Beim Schwimmen. Zur Badehose sieht das scheiße aus, aber das hier ist ja kein Modewettbewerb.

Wir machen uns den Spaß und gucken uns Philipp Poisel an. Nun ja. Das Fragezeichen bleibt eines. Mir fällt auf, dass der Keyboarder, der übrigens schwäbelt, nicht richtig zu hören ist. Schade. Ich bin da etwas altmodisch: Ich mag meine Instrumente hörbar. Ansonsten schwankt der Auftritt irgendwo zwischen Xavier Naidoo und Madsen. Zumindest nicht meine bevorzugten musikalischen Eckpunkte.

Während Philipp noch vor sich hin poiselt, besuchen wir das Spiegelzelt, und irgendwie passiert das Unglück: Die Zeit ist zu schnell vergangen! Als wir auf die Uhr sehen und zur Hauptbühne hechten, spielen Delphic gerade ihr letztes Lied. Ich beiße mir in den Arsch, denn was ich sehe und höre ist die großartigste Indie-Electro-Explosion seit Langem. Da könnt Ihr Euch mal alle umgucken, Ihr Zoot Women. Ich bin trotzdem hin und weg, das hat mir wirklich gut gefallen. Delphic. Scheiß Name, geiler Sound.

Diesmal sind wir schlauer und bleiben an der Hauptbühne. Denn es folgt die Band der Stunde: Mumford & Sons, liebevoll in Manfred & Söhne umgetitelt von … nunja. Muss ich zur Band noch was sagen? Ich mag die wechselnden Instrumente, von der Seite sehe ich nicht genau, wer wann singt. Später sagt man mir, der Sänger hätte auch getrommelt. Ich muss an Phil Collins denken, erschieße mich aber innerlich dafür. Was für eine Band! Diese folkige Melancholie, diese holzige Euphorie. Gänsehaut, Tränen in meinen Augen. Und zack: vorbei.

Als Beirut folgen versuche ich, einen akustischen Filter in meinem Kopf zu formen, der aus Beirut wieder Mumford & Sons macht. Gelingt mir nicht, aber Beirut sind auch klasse. Vielleicht etwas undankbar, die armen hinter dieser Kracherband auf die Bühne zu schicken.

Aber abgesehen davon: ein wirklich ausgelassener Freitag auf dem Haldern Pop. Für mich persönlich noch von der Tatsache veredelt, dass ich auf dem Boden 20 “Poptaler” finde, die Halderner Währung für die Getränke. Wenn man den Pfand für sich selbst abzieht (und den scheiß Becher nicht verliert), kann man gut und gerne 9 Bier dafür eintauschen. Hurra.

Haldern Pop 2010

SAMSTAG
Diesmal gehen wir eher auf das Gelände, weil wir gerne Portugal. The Man sehen möchten. Schaffen wir sogar. Tolle Band, sind an diesem Tag aber sehr Riff-lastig. Ich selbst hasse ja Riffs, weil ich so ein schlechter Gitarrist bin und mir beim zuhören immer die Noten in den Kopf fliegen und mich daran erinnern, dass ich üben sollte. Mach ich vielleicht mal. Der Auftritt macht auf jeden Fall Spaß und Sophie hat Seifenblasenzeugs dabei, welches wir einsetzen. Und – oh naturbelassenes Haldern Pop – eine majestätische Libelle lässt sich neben der Bassbox nieder, während ein Security-Mitarbeiter die Unterseite seiner Arme in die Sonne hält. Nicht aus Freude am Bräunen, sondern aus gesundheitlichen Gründen: Die Oberseite sieht schon genießbar aus. Möglicherweise hat der Geruch die Libelle angelockt.

Sophie und ich schaffen bei Everything Everything im Spiegelzelt wieder nur das letzte Lied. Aber auch diese Band schafft es, mich mit dem letzten Lied komplett zu überzeugen. Das Delphic-Phänomen. Scheiß Name, geile Band. Ich ärgere mich, dass ich nie das letzte Lied von Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gesehen habe.

Irgendwann dann The Low Anthem im Spiegelzelt. Ich habe inzwischen einen toten Punkt erreicht und finde, dass die Band klingt wie das Simon & Garfunkel Album, das ich manchmal im Auto höre. Ich schlafe im Stehen ein. Das wirkt repektlos, soll aber die Band nicht schmälern. Countryesquer Folk. Oder sowas. Naja, ich brauche frische Luft und hänge draußen rum. Hier und da wieder bekannte Gesichter: Sven, ein Fotograf aus Bochum, Gerrit natürlich (“Tommy, später aber Fotos, ne?”), Manuel von den Wedges. Ein bisschen wie ein kleines Dorf. Hier sollte man keine Dummheiten machen, da weiß jeder gleich Bescheid. Und dann tuscheln die Nachbarn.

Efterklang werden mir als Sigur-Rós-Verschnitt schmackhaft gemacht, enttäuschen aber in dieser Hinsicht gewaltig. Das ist das Problem mit großer Erwartungshaltung: Mit dieser Band werde ich heute nicht mehr warm. Ich nutze meine letzten Fund-Poptaler und gebe eine Runde. Christoph hat von seiner Oma 50 Euro Taschengeld mitbekommen!!! Obwohl das einen tiefen Eingriff in die adulte Selbstversorgungspflicht darstellt. Er weiß um seinen Stellenwert als Gruppenbetreuer und kauft davon Poptaler. Als ihm klar wird, dass er davon weder Essen noch sonstwas, sondern nur Bier und Wein kaufen kann, ist es bereits zu spät. Der Poptaler ist wie das Spielgeld in Disneyland, er regt zum Konsum an.

Und dann endlich irgendwann: The National. Erst denke ich, dass da irgendwas Interpol-ähnliches auf mich zukommt, aber schnell wird klar, dass diese Band komplexer ist. Irgendwie muss ich zwar die ganze Zeit an Depeche Mode denken, woran der Gesang seinen Anteil hat, aber das würde der ganzen Sache nicht gerecht. Denn The National klingen tatsächlich sehr eigen und interessant, rocken außerdem wie Hölle und haben eine unglaublich stimmungsvolle Lightshow. Marie regt sich später darüber auf, weil ihr das natürlich die besten Fotos versaut: Immer irgendein scheiß Licht in der Kameralinse. Mir ist das egal, ich muss ja nur gucken und glotzen. Wahrscheinlich starre ich inzwischen schon, wenn ich trinke werde ich immer zum Starrer, da ich vergesse zu blinzeln. Bei dieser Band sollte man die Augen sowie so nicht schließen, nicht mal für eine Nanosekunde.

Inzwischen sind die letzten Poptaler bestimmungsgemäß verbraucht und eine gewisse Festivalmelancholie macht sich breit: Wir haben die letzte Band auf der Hauptbühne gesehen. Jetzt ins Spiegelzelt? Undenkbar. Der harte Kern unserer Reisegruppe, Christoph, Rosa, Sophie, Marie und ich, geht zum Zeltplatz und lässt den Abend gebührend ausklingen: Wir singen 90er Jahre Plastikpophits von East 17 und Take That. Weil wir uns nämlich nicht zu fein sind, zu erkennen, dass das in der Retrospektive auch schöne Musik sein kann. Und dann packt Sophie ihr Handy aus und spielt die Musik ab, die mich danach nicht mehr losgelassen hat, massiver als eine der Bands von den Bühnen: Oh, Napoleon. Ironie des Schicksals. Vor zwei Tagen noch am Zeltplatz gesehen und trotzdem vorher gar nicht reingehört. Man sagt ja oft “Die Band kenn’ ich!” und meint “…vom Namen.” Ich auf jeden Fall: begeistert und verstört, weil die doch noch so jung sind und die Sängerin da Sachen raushaut wie ein alter Hase

Der nächste Morgen bringt den ersten grauen Tag. Ist aber auch egal, weil wir jetzt packen und heimwärts fahren. Ich denke darüber nach, den herausragenden Sonnenschein der Halderner Tage als gutes Omen zu deuten, dann fällt mir aber ein, dass ich an so einen Hokus Pokus nicht glaube. Manchmal, ganz selten, stimmen eben alle umgebenden Faktoren so überein, dass für ein paar Tage alles perfekt ist.


Tommy Finke ist 29 Jahre alt, Musiker und lebt in Bochum. Im Februar ist sein Album “Poet der Affen / Poet of the Apes” erschienen.

Für Coffee And TV hat er das Haldern Pop 2010 besucht und seine Eindrücke von Zeltplatz, See und Festival aufgeschrieben. Die Namen der Mitreisenden wurden dafür geändert.

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Musik

Gesammelte Platten Juni 2010

Dieser Eintrag ist Teil 6 von bisher 8 in der Serie Gesammelte Platten

Two Door Cinema Club – Tourist History
Keine halben Sachen, dachten die sich, hab ich mir so gedacht als ich die Platte im Laden angehört hab.
Der erste Song “Cigarettes In The Theatre” knallt gleich mitten ins Ohr. Die Füße wippen im Takt mit, der Kopf geht hin und her. Am liebsten würde man die Platte schnell in den nächsten Club mitnehmen, dem DJ in die Hand drücken und sagen, “Einmal anmachen und durchlaufen lassen reicht! Danke!”.
Und die Kreise auf der Tanzfläche wären endlos, und die Nacht wäre eine, an die man zurückdenkt und grinsen muss, weil lange nichts mehr so direkt ins Tanzbein schoß!
Und die haben eine Katze auf dem Cover. Hallo? Eine Katze auf dem Cover mit Krone!!!
Aber mal abgesehen von Katzencontent, das Debut kann einiges. Man merkt ihnen den Enthusiasmus einfach an – junge Wilde die genau Wissen was gut klingt. Keine halben Sachen, Beats die Knallen, Lyrics die einen grinsen lassen, Melodien direkt fürs Herz. Ich bin dann mal endlose Kreise ziehn!
Anspieltipps: “Cigarettes In The Theatre”, “Do You Want It All”, “I Can Talk”. (AK)

Efterklang – Magic Chairs
Zauberstühle. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, ich hab noch keinen Zauberstuhl entdeckt.
Aber ich würde gerne eine spontane Parade veranstalten. Und alle Lieder von Efterklang dort spielen! Es würde Zuckerwatte und Heliumballons in allen Farben und Formen geben. Und Brause en masse.
Diese Album ist so voller Sommer und Arme-in-die-Luft-Gefühl, dass ich es hier kaum hinschreiben kann.
Die Herren aus Dänemark sind mit ihrem dritten Studioalbum seit Februar in den Gehörgängen zu finden. Ein ganzes Jahr lang haben sie am Album gewerkelt und gebastelt. Waren mit ein paar Songs schon vor Release auf Tour, und man merkt es. Opulent und Klangfarbenfroh, sind nur zwei von vielen Assoziationen die mir so in den Sinn kommen. An manchen Stellen hätte weniger Opulenz dem Album mehr Schwung verliehen.
Aber dann hört man “Harmonics” zum ersten Mal und es packt einen direkt. Rythmus, überlappende Gesangespassagen, Gitarrenriff und nur die Stimme von Frontsänger Caspar Clausen treiben den Hörgenuss direkt an den Platz im Herz wo es gut tut!
Sowieso kann ich mich bei den Highlights fast gar nicht entscheiden. Am besten alle anhören und verlieben!
Anspieltipps: “Modern Drift”, “Harmonics”, “Raincoats”, “Full Moon”, “Scandinavian Love”. (AK)

The Gaslight Anthem – American Slang
So, jetzt bitte: Das erste Album danach, nach dem großen Durchbruch, nach dem Glastonbury-Auftritt mit Springsteen. The Gaslight Anthem sind plötzlich kein Geheimtipp mehr, sondern Konsens, und was machen sie? Nehmen “The ’59 Sound” einfach noch mal auf. Zu fast jedem Song des neuen Albums könnte man ein Äquivalent des Vorgängers benennen — das Prinzip Oasis. Trotzdem ist “American Slang” ein rundes Album geworden, das nach einigen Durchläufen durchaus eigene Qualitäten offenbart.
Anspieltipps: “American Slang”, “Bring It On”. (LH)

Sia – We Are Born
Eigentlich ja bekannt für herzzereissende Songs, in die man sich fallen lässt, wenn der Liebeskummer einen in seiner Kralle einpackt und nicht mehr loslässt. Jetzt aber mit viertem Studioalbum überrascht die Australierin Sia Furler mit einem Album das vor Lebens-Ja nur so brüllt!
Die optimistisches Sicht, die Songs sind heller und weniger melancholisch. Was nicht heißt, dass es die pure Glückseeligkeit ist, nein — genau hinhören!
Aber es ist eine kleine Überraschung! Die Songs sind Pop — im besten Sinne der Definition. Und wenn einige vielleicht die alte Sia vermissen, ich finde die neue Richtung tut ihr gut!
“You’ve Changed” vielleicht die Kampfansage überhaupt! “Oh Father” ein Cover des alten Madonna-Songs, klingt nach der guten Portion Sia wirklich super! Und auch den Rest des Albums sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Anspieltipps: “The Fight”, “Cloud”, “You’ve changed”, “Oh Father”. (AK, Rezensionsexemplar)

Stars – The Five Ghosts
Jetzt geht’s aber los bei den Kanadiern: Gerade erst Broken Social Scene, gleich Arcade Fire, dazwischen noch eben Stars. Die Zutaten sind bekannt: Viel Melancholie und die Stimmen von Torquil Campbell und Amy Millan — mehr brauchte es ja auch auf “Set Yourself On Fire” und “In Our Bedroom After The War” kaum. Trotzdem ist es diesmal anders: Mehr Elektronik, mehr Uptempo-Songs, mehr unbedingter Wille zur Indiedisco.
Was für ein schönes, kluges Album, das in 39 Minuten sehr viel mehr Drama und Pop-Appeal untergebracht kriegt als manche Bands in zwanzig Jahren Bandgeschichte. Um Missverständnissen vorzubeugen, ist das düstere “The Last Song Ever Written” der drittletzte Song auf der Platte, die mit dem umarmenden “Winter Bones” endet.
Anspieltipps: “I Died So I Could Haunt You”, “We Don’t Want Your Body”, “The Last Song Ever Written”, “How Much More”. (LH)

The Tallest Man On Earth – The Wild Hunt
Irgendwann letzten Monat hatte ich einen kleinen Streit über den besten Soundtrack ever made. Zumal es eigentlich eine nicht beantwortbare Frage ist (für mich immernoch der “Cruel Intentions”-OST, für den anderen der Soundtrack von “Into the Wild”) zum anderen, weil es wie mit Eis ist, die Auswahl macht glücklich.
Und dann musste ich an The Tallest Man On Earth denken. Drehte sein neues Album laut an und der kleine Zwist war vergessen.
Zwei Alben ist er jetzt alt, der gute Herr Kristian Matsson aus Schweden. Das erste Album “Shallow Graves” war die kleine Folk Erleuchtung letztes Jahr. Auf Tour war er mit Bon Iver und man hört ihm das Reisen auch an.
Er braucht nur seine Gitarre und seine grandiose, würzige, unverwechselbare Stimme! Er hat etwas sehr eigenes und erinnert wirklich an Wildnis und Lagerfeuer und Fernweh. Oder an Landstreicher-Dasein und in einem Zug durchs Land brausen.
Jedenfalls möchte man The Talles Man On Earth erstens live sehen (wer dieses Jahr beim Haldern ist, hat Glück!) und ihn zweitens immer dabei haben, wenn einen das Fernweh packt.
Sein zweites Album “The Wild Hunt” ist die wunderbare Fortsetzung des ersten Albums. Was sehr gut ist, denn sein Debüt war ein grandioses, durch seine Stimme und Gittarre allein getragenes, folkiges Meisterstück. Aber gleichzeitig sind immer wieder gleichklingende Lieder irgendwann langweilig. Wenn da nicht diese Stimme, diese Gitarre und vorallem diese wahnsinnigen Texte wären. Gerade das letzte Stück “Kids On The Run”, in dem ein Klavier auftaucht und man fast wehmütig wird, weil es das letzte Stück ist, ist den Kauf der Platte mehr als wert.
Anspieltipps: “King Of Spain”, “Thousand Ways”, “The Drying Of The Lawns”, “Kids On The Run”. (AK)

Mitarbeit an dieser Ausgabe:
AK: Annika Krüger
LH: Lukas Heinser

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Musik

Gesammelte Platten Mai 2010

Dieser Eintrag ist Teil 5 von bisher 8 in der Serie Gesammelte Platten

Band Of Horses – Infinite Arms
Bei “All Songs Considered” sprechen sie längst nur noch von “bärtiger Musik”, wenn bärtige junge Männer auf ihre Gitarren eindreschen und mehrstimmig melancholische Songs schmettern. Band Of Horses halten diese Grundregeln auch auf ihrem dritten Album ein, was sich aber bedeutend langweiliger liest, als es sich anhört. Musikalisch irgendwo zwischen Nada Surf, Built To Spill und Fleet Foxes wird eher geschwelgt als gerockt: Weitgehend sehr entspannt pendelt “Infinite Arms” zwischen Entspanntheit und Melancholie und wäre damit tendenziell eher ein Herbst-Album, aber gute Musik ist jahreszeitlos schön.
Anspieltipps: “Factory”, “On My Way Back Home”, “Evening Kitchen”, “Bartles + James”. (LH, Rezensionsexemplar)

Beach Fossils – Beach Fossils
Beach Fossils klingen wie vor vierzig Jahren oder wahlweise eben auch wie Real Estate, die Produktion ist rauschig und vermumpft, und so richtig Drive ist da auch nicht drin. Und trotzdem sind sie großartig. Andauernd muss ich sie hören, was vielleicht etwas weniger mit der Musik zu tun hat als viel mehr mit einem in mir lange verloren geglaubten Entspannungsgefühl beim Hören lahmer, halbpsychedelischer Trend-Indiemusik zusammen hängt. So ein Meta-Moment, in dem mir relativ wurscht wird, ob das, was ich höre, hochgradig innovativ ist oder nicht. Ein bisschen wie Velvet Underground auch und Joy Division, falls Sie da Referenzen brauchen.
Anspieltipps: “Daydream”, “Window View”, “Wide Awake”. (MS)

The Black Keys – Brother
Man bräuchte ein Beamgerät. Das denke ich so oft. Einfach rein und zack! ist man am gewünschten Ort und muss nicht der Bahn das Geld in den Rachen werfen. Diese Institution transportiert eh nur noch Millionäre, dieser Tage. Leider gibt es noch kein Beamgerät, aber das neue Album der Gebrüder Black Keys ist ein kleiner Versuch.
Wenn man auf Play drückt, ertönt ein bluesiger Gitarrensound aus den 70ern und beamt sich dann mal schnell ins Zeitalter des Garagenrock um dann weiter zu hüpfen ins Jetzt. Sie nehmen aus den Jahren des Rock einfach das Beste mit.
“Brothers”, das sechste Werk mit dem super Cover, das nur den Titel trägt: “This is an album by The Black Keys. The name of the album is Brothers.”, ist vielleicht das smootheste bis jetzt. Dan Auerbach und Patrick Carney liefern ab.
Sie haben den dreckigen Sound ihrer Vorgängeralben mit ein wenig funky Smooth gekoppelt, “Sinister Kid” drischt und macht lust auf Tanzen bis man nicht mehr kann. Bei “Tighten Up” haben die beiden sich Danger Mouse ins Studio gebeamt und meinen unglaublich langwierigsten Ohrwurm erschaffen (auch das Video dazu ist nur zu Empfehlen).
Oder man beamt sich ein wenig in ein Zeitkontinuum, in dem man die Zeit mal vergisst und einfach diese super Platte genießt.
Highlights: “Tighten Up”, “Sinister Kid”. (AK)

The Divine Comedy – Bang Goes The Knighthood
Ich bin ein wenig in Sorge, dass ich schon sehr bald nur noch neue Alben von Bands kaufen werde, die ich sowieso schon kenne und schätze, dass ich diese Alben ein paar Mal hören und dann sagen werde: “Ja, schön, aber die hatten auch schon bessere …” Nun ja, wer ein Divine-Comedy-Album kauft, weiß, was ihn erwartet und genau das bekommt er auch: Luftigen Pop mit eher barocker Instrumentierung, intelligente Texte und viel britischen Stil — also ein bisschen wie die Pet Shop Boys in analog. Neil Hannon macht also ungefähr da weiter, wo er vor vier Jahren auf “Victory For The Comic Muse” aufgehört hat (kulminierend im großen Selbstzitat “The Lost Art Of Conversation”), und das ist ja nicht das Schlechteste. Die richtig herausragenden Songs fehlen bis auf die Single “At The Indie Disco” ein wenig, dafür ist der Opener “Down In The Street Below” so laid back wie kaum etwas seit der “Regeneration”.
Anspieltipps: “Down In The Street Below”, “At The Indie Disco”, “When A Man Cries”, “I Like”. (LH)

Foals – Total Life Forever
Dass ich mal was über Mathe schreiben würde. Aber die Herren Foals aus dem Vereinigen Königreich haben mit ihrer neuen Platte “Total Life Forever” und ihrem Math-Rock einfach mitten in mein derzeitiges Elektro-Rock-Herz getroffen. Seit zwei Wochen lauf ich jetzt schon mit der Platte durch die Straßen und grinse in mich rein, wenn ich von den Beats im Ohr angefeuert werde.
Bei “Spanish Sahara” halte ich dann inne, weil ich jedes mal sowas von überrumpelt werde, wenn bei 4:12 ein Sound einsetzt, der wie Sommerregen und Wunderkerzen klingt. Jedesmal bleib ich stehen oder schließe die Augen und lass dieses Lied über mich regnen. Das Konzept geht auf, wahnsinnig genial komponierte Melodien gepaart mit einem super Schlagzeug und der Stimme von Sänger Yannis Philippakis erzeugen einfach eine perfekte Gänsehaut.
Es ist diese Mischung aus futuristischer Weltanschauung und trotzdem an alten Dingen festhalten. Das Album passt als Gesamtwerk wunderbar zusammen. Die Songs nehmen sich nichts weg, sondern zeigen verschiedenen Persepektiven und werfen neues Licht auf die Welt. Schöne Welt da, bei den Foals.
Anspieltipps: “Black Gold”, “Spanish Sahara”, “Alabaster”. (AK)

Gisbert zu Knyphausen – Hurra! Hurra! So nicht
Menschen kommen und gehen und die wenigsten bleiben. Die meisten gehen wieder und die allerwenigsten lassen etwas zurück. Mit Herrn zu Knyphausen war das ähnlich. Ihn brachte mir jemand mit, der dann wieder ging, und er war einer der wenigen, die gingen und etwas da ließen, und so denk ich immer auch ein wenig an ihn, wenn ich Gisbert höre.
Wenn wir jetzt in die neue Platte reinspringen, dann merkt man, dass Herr Knyphausen ein wenig verschmitzer geworden ist (“Es ist still auf dem Parkplatz Krachgarten”). Ähnlich wie Damien Rice, der einmal in einem Interview sagte, er würde nicht ewig nur traurige Lieder schreiben können, weil er gar nicht so melancholisch ist. Und so geht es mir mit Gisberts zweitem großen Album “Hurra! Hurra! So nicht”. Natürlich sind die Töne nachdenklich und beschreiben diese Gefühlsnostalgie und Momente, aber es schwingt jetzt auch Optimismus in den Liedern mit. Auch das typische Knyphausen-jajajaja ist dabei und das Talent, die irrwitzigen Momente des Lebens ins Bilder umzubasteln.
Es ist jetzt nicht mehr nur Gisbert mit seiner Gitarre, nein, es ist auch ein Schlagzeug und ein Bass dabei! Und wenn mir auch die alten Lieder deshalb so gefallen haben, weil es nur er, die Gitarre und du waren, so muss ich doch sagen, dass das Arrangement sehr gut geworden ist! Die Lieder packen an der richtigen Stelle, das Schlagzeug morst die kleinen musikalischen Botschafen direkt ins Ohr und ins Herz. Die neue Platte ist gut, richtig gut!
Anspieltipps: “Grau Grau Grau”, “Es ist still auf dem Parkplatz Krachgarten”, “Kräne”. (AK)

The National – High Violet
Eigentlich hatte ich ja bereits Anfang Mai ein paar hundert lobpreisende Absätze über dieses Album geschrieben und eigentlich nicht gedacht, dass da noch etwas hinzuzufügen sein könnte. An meiner persönlichen Wertung, die objektiv irgendwo bei 100 von 5 Sternen liegt, weil das halt einfach so ist, hat sich auch nichts geändert. Vielleicht ist es aber ganz gut, meinen Anfangseindruck nach mittlerweile fast mehrmonatigem Hören und auch mal Nichthören auf den neuesten Stand zu bringen: Entgegen aller meiner Erwartungen überspringe ich den untypischen Opener “Terrible Love” immer noch nicht, wenn ich das Album höre. Was für ein Knaller, mit einer Demo-Aufnahme anzufangen, wenn man seine fünfte LP veröffentlicht. In der Süddeutschen Zeitung stand über “High Violet”: Konsensrock. Mit schlechter Note. Ich mag mich irren, aber ist etwas von vornherein als langweilig zu verurteilen, wenn jeder es irgendwie hören kann, ohne sich übergeben zu müssen? Oder weil die Gitarren einem nicht das Gehör zersägen, sondern man sie sozusagen erstmal suchen muss? Weiter möchte ich mich gar nicht aufregen. Super Sache, das Album! (MS)

The New Pornographers – Together
Einmal Kanadier sein! Man stellt sich auf die Straße vor die eigene Haustür, hebt kaum merklich für ein bis zwei Sekunden die Hand, sagt etwas wie “Ich habe eine Gitarre da drin, möchte von euch vielleicht irgendwer mitspielen?” und schwupps, hat man ein Orchester in der Hütte. Keine Beschwerden bitte, diese Vorstellung bestätigt sich quasi alleine, also ohne Stützräder, sozusagen von selbst, ungefragt, wenn Sie mögen, wenn man sich nur mal Broken Social Scene anschaut und den Baum von Querverweisen, Zitaten, Mitgliederwechseln, Aushilfsgitarristen, Sängerinnen und Sängern und so weiter versucht nachzuvollziehen, ohne dabei zumindest einen Notizblock zu haben. Ein kaum überwindbarer Arbeitsberg. Zurück zum Thema. The New Pornographers bestehen, lässt man die haltlose Anschuldigung, es handele sich dabei um Sänger Carl Newman mit Gästen, aus drei hauptsächlich mit Songwriting und Singen beschäftigten Menschen, von denen A.C., oder Carl, Newman nur einer ist, und einer Reihe weiterer Musiker. Die übrigen beiden Songschreiber der Band sind Neko Case, die vor nicht allzulanger Zeit mit dem Soloalbum “Middle Cyclone” ein ganz schön tolles Ding abgeliefert hat, und Daniel Bejar, dem einzigen festen Mitglied der auch gar nicht so marginal bekannten Band Destroyer. Hätte ich das Bedürfnis, geohrfeigt zu werden, würde ich für die New Pornographers also ein Wort benutzen, das mit S anfängt und mit upergroup aufhört, aber ich bin ja nicht von allen guten Geistern verlassen. Was soll diese ganze Einleitung? Man erwartet von einer Band mit solch einem Kaleidoskop der Eigenköpfigkeit und Soloplattenerfahrung möglicherweise eine verkopfte, anstrengende, überkandidelte Veröffentlichung nach der anderen. Das Bemerkenswerte ist, dass “Together” weniger eitel nicht sein könnte. Es klingt, als wäre Carl Newman damals nicht nur einfach auf die Straße gelaufen, um Leute zu suchen, die mit ihm musizieren wollen, sondern hätte in der Frage auch ganz eindeutig noch die Formulierung “Bitte bringt eine Tüte gute Laune pro Person mit!” benutzt. Ein hochgradig erheiterndes und schönes Album ist das hier. Wenn hier überhaupt ein Konzept durchgezogen werden sollte, dann vermutlich einfach das, einen Riesenspaß zu haben. Hat man die Band einmal live gesehen, verdichtet sich dieser Eindruck zusätzlich, was leider manchmal zu einem Hauch Schülerbandgefühl führt. Muss ja aber auch nichts Schlimmes sein.
Anspieltipps: “Valkyrie In The Roller Disco”, “Crash Years”, “We End Up Together”. (MS)

Mitarbeit an dieser Ausgabe:
AK: Annika Krüger
LH: Lukas Heinser
MS: Markus Steidl

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Musik

Babies Of The 80’s

Am Abend des 24. März 2009 traten in Hamburg Franz Ferdinand und Mando Diao auf und damit gegeneinander an.

Einen derart Zielgruppenzerfetzenden Abend hat Köln am 15. Juni 2010 nicht ganz erlebt — aber es war verdammt nah dran: Während im Luxor die wiedervereinten Get Up Kids aufspielten, legten The Hold Steady im Gebäude 9 los.

Bei beiden Konzerten gleichzeitig war vermutlich niemand, aber dies hier wäre nicht das Dienstleistungsblog Coffee And TV, wenn wir dafür nicht eine Lösung gefunden hätten:

Konzertbericht The Get Up Kids
Konzertbericht The Hold Steady

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Musik

Gesammelte Platten April 2010

Dieser Eintrag ist Teil 4 von bisher 8 in der Serie Gesammelte Platten

Blunt Mechanic – World Record
Man soll ja Platten nicht nur aufgrund ihrer Cover beurteilen, aber: Gott, ist das niedlich! Ähem … Das ist also das Ein-Mann-Projekt von Ben Barnett, der neue US-Import auf Grand Hotel van Cleef. Wobei es schon ein bisschen überraschend ist, dass das Album von 2009 ist — vom Sound her könnte es auch bereits 15 Jahre alt sein und der Hochzeit von Pavement, Lemonheads, Weezer und They Might Be Giants entstammen. Unaufgeregter amerikanischer Indierock eben. Alles scheppert und rauscht ein bisschen, aber genau dieses etwas Schräge macht das Album so sympathisch. (LH, Rezensionsexemplar)

Broken Social Scene – Forgiveness Rock Record
Wie erklärt man das jetzt? Diese Band war da, als mir etwas abhanden kam. Wie beschreibt man jetzt dieses Musikerkollektiv aus Kanada, das Feist, Emily Haines und Wahnsinnsalben und Soundtracks hervorgebracht hat?
Und was sagt man dann über dieses neue Album “Forgiveness Rock Record”?
Ein Versuch. Man ist ja vieles gewöhnt bei den Broken Social Scenesters, es gibt da Alben von Ihnen, die rein Instrumental sind und einen wegblasen, dann kommen Alben, bei denen die Lyrics alleine einen umhauen, und dann fängt die neue Platte mit “World Sick” an und dann passiert’s: Alles fließt zusammen — Melodie, Text, Arrangement und Gesang und man ist mittendrin, in der Broken Social Scene, die bei diesem Album alle ihre Subkulturen zum besten verschmolzen haben. Siebzigerjahre-Taumelrock und Wabersynthieorgelparts, Streicher und Keyboards — fast jeder Song ist eine kleine Hymne für sich allein. Und wer hätte nach “You Forget It In People” gedacht, dass die Broken Social Scene nicht in ihre Einzelteile zerspringt, sondern im Kollektiv so ein Album rausbringt?
Jedenfalls bin ich mir sicher, dass dieses mal bei diesem Alben auch einige noch nicht gewusste Lücken ihre Broken-Socia- Scene-Füllung erhalten.
Highlights: Kann ich jeden Song hier hin schreiben? Wenn ich dann doch auswählen muss: World Sick, Art House Director und Me In The Basement. (AK)

Jakob Dylan – Women And Country
Offiziell liegen die Wallflowers nur auf Eis, aber so richtig würde es mich nicht stören, wenn Jakob Dylan seine Hauptband nicht mehr wiederauferstehen ließe — die hatten zwar die Hits und die größeren Popsongs, aber seit Dylan solo unterwegs ist, hat er noch einmal einen großen Sprung als Musiker gemacht. Nach der völlig reduzierten Rick-Rubin-Produktion auf “Seeing Things” sorgt diesmal T-Bone Burnett für einen volleren Südstaatensound. Neko Case und Kelly Hogan sind als Background-Sängerin mit dabei und verleihen den düster vor sich hinstapfenden Songs damit noch eine ganz eigene Note. In den Texten geht es um apokalyptische Bilder und Finsternis, aber drunter macht es Jakob Dylan ja seit Jahren schon nicht mehr. Man kann dieses Album kaum hören, ohne vor dem geistigen Auge die Steppenläufer in der Abendsonne im Staub tanzen zu sehen. In seiner vermeintlich stoischen Ruhe liegt eine ungeheure Kraft, die einen festhält und runterzieht — nur damit die Musik einen im nächsten Moment sanft über die Dinge hebt. Großartige Auftritte von Dylan und seiner Begleitband auch bei NPR und Daytrotter. (LH, Rezensionsexemplar)

The Hold Steady – Heaven Is Whenever
Jahrelang waren The Hold Steady an mir vorbeigerauscht, dann trafen sich mich mit “Stay Positive” mit voller Wucht und ich musste alle Alben haben. Jetzt also der erste Albumrelease als Fan und diese ganz besondere Mischung aus Vorfreude und Angst vor Enttäuschung — zumal Keyboarder Franz Nicolay die Band ja gerade erst verlassen hatte. Der Opener “The Sweet Part Of The City” beginnt schleppend und mit slide guitars und lässt mich etwas ratlos zurück. Aber dann: “Soft In The Center” mit einem Refrain, der gleichzeitig die Arme ausbreitet und um einen schlingt (versuchen Sie das mal als Mensch!); “The Weekenders” mit ganz vielen “Woooo-hoooo”-Chören und U2-mäßigen Strophen; in der ersten Single “Hurricane J” klafft die Schere zwischen euphorischer Musik und resigniertem Text — das Album läuft und es läuft rund. Die Lyrics sind wieder voller Party-Beschreibungen und Selbstzitate (und einiger wunderschön windschiefer Liebeserklärungen), die Musik voller Energie. “Heaven Is Whenever” braucht ein paar Anläufe und es ist sicher nicht das beste Hold-Steady-Album (das ist “Boys And Girls In America”), aber es gibt keinen Grund zur Enttäuschung. (LH)

Sophie Hunger – 1983
Ein wildes Kind. Eine widerspenstige Frau. Feuilletonliebling und eine derjenigen, die man auch wirklich als “Künstlerin” bezeichenen kann. Überall auf der Welt aufgewachsen, Enkelin von Schweizer Urvätern, eigentlich nicht kategorisierbar. Am allerwichtisten aber ist, dass sie eine wahnsinnig begabte Musikerin ist. Irgendwo zwischen Jazz, Folklore, Pop. Universaltalent. Universalmusik.
Wer Interviews mit ihr sieht, sieht einen sehr eigenwilligen Menschen. Sophie Hunger ist sehr gradlinig, was ihre Aussagen betrifft, was man bei ihr eigentlich eher nicht erwartet. Sie ist schwer greifbar. Fragen in Interviews werden seziert und auf den Punkt gebracht. Die Texte sind Mosaike oder eher Emotionen die man dann beim Hören spürt. Und man vergisst manchmal bei all der Ernsthaftigkeit, wie viel Spaß ihr die Musik bringt. Vielleicht ist das ihr Überraschungsmoment.
Das zweite Album “1983” ist ein Wechselbad der Hörgefühle. Heiß, kalt, laut und leise. Aber immer mitten ins Herz oder ins Ohr. Ihr wisst schon, das Organ, das Musik als erstes fühlt. Schon ihr Debütalbum “Monday Ghost” war verzaubernd. Zumindest bin ich dem Zauber der Sophie Hunger erlegen gewesen und bin es immer noch.
Vielleicht passt Zauber sehr gut zu diesem Album. Ein wenig exzentrisch, ein wenig eigenwillig aber eben Sophie Hunger pur.
Highlights: “Leave Me With The Monkeys”, “Your Personal Religion” und “Invincible”: “Somewhere in the Hindukush / Lives the greatest poet / Scribbling sings into the dust / And we will never know it”. (AK)

Jónsi – Go
Noch so ein Bandleader mit Soloalbum: Während Sigur Rós gerne mal etwas länger brauchen, nutzt deren Sänger die aktuelle Kreativ- und Babypause, um ein Album nach dem anderen rauszuhauen. Letztes Jahr das Projekt “Riceboy Sleeps”, jetzt also ein offizielles Soloalbum. Schon wegen Jón Þór Birgissons charakteristischer Stimme erinnert das natürlich immer wieder an die Hauptband, aber dann klingt es doch wieder ganz anders. Songs wie “Animal Arithmetic” oder “Boy Lilikoi” sind zu Musik geronnene Euphorie, aber auch Melancholiker bekommen genug Stoff. Der Spannungsbogen fällt nach den … äh: Partysongs (auf solche Parties würde ich wirklich, wirklich gerne mal eingeladen werden) am Anfang kontinuierlich ab, bis man am Ende bei “Hengilás” die Sterne aufgehen sieht. Ach ja: Das Wort “Schwerelosigkeit” sollte auch noch in dieser Rezension stehen. Tut’s ja jetzt. Toll! (LH)

The Radio Dept. – Clinging To A Scheme
Wir befinden uns in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung im Süden des Landes lebt, Integration eigentlich Standard ist und seit Jahren Musik in die Welt katapultiert, das man allein beim Wortassoziationsspiel jedes Stadt-Land-Fluss-Spiel gewinnen könnte. Hier Euer 10-Punkte-Bonus für R — The Radio Dept.
Die Herren Radio Dept. kommen aus Lund, bestehen aus drei Mitgliedern, haben seit Gründung 1995 ihre Besetzung ein paar mal gewechselt und schwimmen zwischen Dream Pop, Showgaze und dem Indieozan hin und her. Ich kannte die Herren nicht, bin durch glücklichen Recherchezufall drüber gestolpert und beim Hören hängen geblieben.
Eigenwillig ist ja immer gut. Eigenwilligkeit überschreitet Genregrenzen. The Radio Dept. haben auf ihrem dritten Album für mich als Ersthörling alles richtig gemacht. Schlaue Melodien, ein wenig schwedische Melancholie und Talent für Komposition. An den richtigen Ecken bleibt man hängen und auch sonst haben sie ihr Ziel für meinen Geheimtipp erreicht.
Highlights in no particular order: “You Stopped Making Sense”, “Never Follow Suit” und “Heaven’s On Fire”. (AK)

Mitarbeit an dieser Ausgabe:
AK: Annika Krüger
LH: Lukas Heinser

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Politik

Im Schatten der FDP wuchert das Unkraut

Im Schatten der FDP wuchert das Unkraut.

Mit großem Dank an Rita!

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Musik

Gesammelte Platten März 2010

Dieser Eintrag ist Teil 3 von bisher 8 in der Serie Gesammelte Platten

An Horse – Rearrange Beds
Manchmal ist man ja erstaunt, wie wenig es für gute Musik braucht: Mann, Frau, Schlagzeug, Gitarre — und den Verzicht auf Riffs, die betrunkene Fußballfans mitgrölen könnten. Stattdessen Indierock, irgendwo zwischen Tegan And Sara, Sleater-Kinney und den Yeah Yeah Yeahs. Große Geste und kluge Texte. Wer die Australier im Vorprogramm von Simon den Hartog verpasst hat (und das trotz massiver Berichterstattung), hat im Sommer noch einmal Gelegenheit sich davon zu überzeugen, dass die beiden diesen Sound auch live hinbekommen. (LH, Rezensionsexemplar)

Frightened Rabbit – The Winter Of Mixed Drinks
Ich kann ja jetzt nicht jedes Mal schreiben, wie indiemüde ich bin. Zumal wenn da so eine Band vorbeikommt wie Frightened Rabbit und durch die Wohnung fegt wie ein Hausmädchen auf Speed, die Fenster aufreißt, die Betten aufschüttelt und generell den Frühling herbeitanzt. Passend zum Albumtitel. Mir sind die Vokabeln ausgegangen, aber “The Winter Of Mixed Drinks” ist ziemlich genau das Album, das die Shout Out Louds dieses Jahr leider nicht gemacht haben: Alles natürlich schon mal da gewesen, aber neu zusammengesetzt und in seiner Gesamtheit uplifting as hell. (LH, Rezensionsexemplar)

Peter Gabriel – Scratch My Back
Wer wie ich “Scrubs” liebt, der hat bestimmt auch wie ein Schlosshund geheult, als nach der achten Staffel erstmal jeder dachte, es ist jetzt wirklich zu Ende. Kein J.D. mehr, kein Turk, kein Janitor, der sich die phänomenalsten Dinger ausdenkt. All der liebenswerte Schwachsinn ist zu Ende. Aber ich schweife ab.
Im Abspann bei “Scrubs”, als man sehen kann wie das Leben aller Protagonisten verläuft, lief der wohl schönste Song, den ich bisher kannte: “The Book Of Love”. Eigentlich von den Magnetic Fields, aber nur Peter Gabriel singt ihn richtig, trifft die Töne da wo man beim Hören Gänsehaut bekommt und hat diese unbeschreiblichen Geigen. Was soll man aber von Peter Gabriel halten, der auf einmal nur noch Cover auf eine Platte zusammen bringt? Ich bin ehrlich: Ich dachte mir, dass es nix wird, und ich war skeptisch und hab versucht, mir nicht von den Geigen das Hirn weich-fideln zu lassen. Hat nicht funktioniert. Mit “Scrach My Back” hat sich Peter Gabriel was gutes ausgedacht, die Cover sind alle mit Orchester neu interpretiert worden, vielleicht ein wenig zu viel Geige und Pathos. “Après Moi” von Regina Spektor klingt sehr düster. “Mirrorball” von Elbow darf man eigentlich gar nicht vergleichen und “Flume” von Bon Iver ist was ganz anderes. Die Songs werden – und das ist ja auch das schöne an Covern – in eine andere Richtung geschubst und man sieht manche Songs von anderen Seiten und entdeckt vielleicht noch eine Nuance mehr, an der man sich festlieben kann. So ging es mit “Mirrorball” und mit “My Body Is A Cage”.
Man darf gespannt sein, wie “I’ll Scratch Yours” wird, das Album, auf dem die gecoverten Künstler wiederum Peter Gabriel covern. (AK)

Kashmir – Trespassers
Ich würde mich manchmal wirklich gerne besser daran erinnern können, wo ich bestimmte Bands zum ersten Mal gehört hab. Da wär die Einleitungs-Anekdote ein wenig einfacher. Bei Kashmir fallen mir nur Raketen und Weltraumreisen an. Also ich bin jetzt keine Astronautin und mit Raketen hab ich auch nichts am Hut, aber bei dem Titel und dem Opener “Mouthful Of Wasps” fühlt man sich irgendwie wie auf einer Weltraumreise, jedenfalls in anderen Sphären. “Still Boy” pulsiert und “Danger Bear” kühlt das Getriebe wieder etwas runter. Album Nummer sechs der Band aus Dänemark ist sehr vielseitig gewrden. Große Melodien zusammen mit Orchester, die eindringliche Stimme von Kasper Eistrup, diese berühmte Kashmir-esquen Gitarrenpassagen, Lieder, die Geschichten sind, und Melodien, die über einem wie Wellen zusammenbrechen. Ja, vielleicht sind Kashmir ähnlich wie das Meer. Weit und durcheinander, opulent, geräuschvoll, harmonisch und chaotisch. (AK, Rezensionsexemplar)

Laura Marling – I Speak Because I Can
Wenn man auf Play drückt, dann hört man am Anfang click-knister-Geräusche und etwas, was ein wenig nach Wind klingt. Und dann sowas wie Synthieorgeln — damals in der Schule lernte ich, sowas zählt zu einer Kakophonie. Ah ja. Dann setzt die Gitarre ein und die Sitmme von Laura Marling und der erste song “Devil Spoke” zischt und trifft. Ab da ist die ganze Platte “I Speak Because I Can” der britischen Singer/Songwriterin einer der Ohrenschmäuse des Monats März. Vielelicht sogar des Jahres. Apropos “Schmaus”: Wie mir meine Mutter neulich beibrachte, ist “Schmauen das neue Schmausen”. “Schmauen” bedeutet, dass man sich Zeit nimmt und genießt. Und dasselbe kann man vortrefflich mit dieser Platte machen. Play drücken und schmauen. Es steckt, für eine 20 Jahre junge Frau, schon unglaublich viel in dieser Laura Marling. Die Texte sind unglaublich weise. Die Melodien sind wahnsinnig voll mit Gefühlen und die Stimme von Laura ist sehr klar und präsent. Sie will gehört werden, weil sie etwas zu sagen hat. “Stürmischer Folk” und, sagt der NME, ähnlich wie Mumford & Sons. Ja, weil stürmisch ganz hervorragend passt und Mumford & Sons ein ähliches Talent für Geschichten und Melodien besitzen. Nein, weil Laura Marling mit ihrem Album “I Speak Because I Can” sich nicht einreiht, sondern sehr gut auf eigenen Beinen steht. (AK)

Lou Rhodes – One Good Thing
Unglaublich traurig muss diese Lou Rhodes sein. Ihre beiden Vorgänger-Alben kenne ich nicht und vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Eine Stimme, die sich zwischen Anna Ternheim und Martha Wainwright stecken lässt, eine feine Gitarre und Melodien, die Folk und Emotionen einfangen. Die Stimme von Mrs. Rhodes ist sehr schön, wechselt zwischen hoch und tief und besitzt dieses leicht kratzige, balsamige. Perfekt für Melancholie. “One Good Thing”, das dritte Album, besticht nicht mit Diversität, jedoch mit Emotionen. Die Songs mäandern ineinander und man hat hier diesen 90er Jahre Techno-Effekt — es hört sich alles gleich an. Dennoch: “The More I Run” und “One Good Thing” sind für mich die beiden Highlights. Mit Sicherheit hat es Lou Rhodes gut gemeint, hat ihr volles Herzblut hineingesteckt. Leider halte ich 11 traurige Lieder nicht so lange durch. Ich mag Melancholie sehr gerne, in gesunder Dosierung. Vielleicht darf ich die Platte aber auch nicht so oft am Stück hören. (AK)

She & Him – Volume Two
Wie macht Sie das bloß? Manchmal frag ich mich, wie man so viel Dinge gleichzeitig machen kann. Jedenfalls fällt mir für diese “Kritik” nur positives ein. Zooey Deschanel, ist einfach eine dieser Superfrauen, die ihre Sache gut machen. Nicht des Erfolges wegen, sondern weil sie es einfach von Herzen gerne Musik machen. Und das hört man auch. Das Zweite Album, das Frau Deschanel mit Mr. M. Ward komponiert hat, ist so eine “Lieblingsplatte” geworden. Die muss man einfach mögen, beim Hören hat man ein Lächeln auf den Lippen und es geht einem gut. Sie ist ein wenig fröhlicher als die erste Platte und auch ein wenig schneller. Diesmal hört man auch M. Ward öfter singen. She & Him haben ihr Herz immernoch am gleichen Fleck, und auch der schnörkelige Sound ist geblieben. Sie und Er sind eben beide Nostalgiker, ein wenig Fünziger-Jahre-Kitsch und immer ist irgendwo ein Polkadot. Wer also mit Schmunzeln und guter Laune durch die Welt laufen mag, dem sei “Volume 2” ans Herz gelegt. (AK)

Mitarbeit an dieser Ausgabe:
AK: Annika Krüger
LH: Lukas Heinser

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Politik Gesellschaft

Die “Eichmannisierung” der Akademiker

— Ein Gastbeitrag von Dr. Matthias Burchardt im Rahmen des Bildungsstreiks 2010 —

Ich schäme mich vor meinen Studierenden. Ich schäme mich, wenn ich Anwesenheitslisten herumgebe, dann fühle ich mich wie ein Blockwart. Ich schäme mich, wenn ich ihnen die vielen Leistungen des BA/MA-Studiums auferlege, die Portfolios, Protokolle, Ausarbeitungen, weil ich genau weiß, dass ich sie nur oberflächlich korrigieren kann, dass ich ihre Mühe und die kostbaren Gedanken kaum würdigen kann, im Andrang der unendlichen Dokumentationsaufgaben. Ich werde wütend, wenn ich die vielen begabten jungen Menschen sehe, die durch die Module gehetzt werden, so dass sie keine Zeit haben, eine Sache, für die sie sich leidenschaftlich interessieren, vertieft zu studieren. Die neuen Studiengänge sind ein Verbrechen an dieser Generation von Studierenden, und im Grunde weiß das jeder. Die wenigsten Abschlüsse der über 10.000 neuen Studiengänge sind tatsächlich berufsqualifizierend. Sie bieten auch keinen Raum zur persönlichen Bildung oder Perspektiven für gesellschaftliche Verantwortung. Sie überfordern in der Quantität und unterfordern in der Qualität, falls es so etwas noch geben sollte, in Zeiten, in denen Credit Points zur Maßeinheit des Studienerfolgs geworden sind. Was soll aus der “Generation Bologna” werden? Flexible Projektnomaden, Bildungsprekariat in befristeten Beschäftigungsverhältnissen?

Ich schäme mich für mich selbst und meine Kollegen, dass wir so willfährig bereit waren, alle Fachansprüche zu verleugnen und gehorsam, diese bildungsfreien Studiengänge zu erarbeiten – immer mit einem Blick auf die Akkreditierungsagentur, die wir noch dafür bezahlen mussten, dass sie uns in unserer Zuständigkeit und Expertise entmündigt hat. Wie konnten wir Modulhandbücher schreiben, in denen der völlig unangemessene Kompetenzbegriff aus allen Zeilen wucherte? Welche jämmerlichen Sprachgebilde flossen aus unseren Federn, wo wir doch bislang immer so großen Wert, auf eine sachangemessen Diktion gelegt hatten, wo wir die “Arbeit des Begriffs” zu unserm Lebenszweck machen wollten?

Jetzt produzierten wir verquaste Anglizismen, um durch Etikettenschwindel zu retten, was nicht mehr zu retten war. So sehr wir uns einredeten, in diesen schlimmen Zeiten, zumindest ein wenig der Fach­‐ und Bildungskultur zu retten, konnten wir doch nicht vermeiden, zu trivialen Mitläufern des Bologna-­Regimes zu werden, zu Totengräbern der Bildung. Ein Kollege sprach von der “Eichmannisierung” der Akademiker. Ein drastischer Vergleich, dem man entschieden widersprechen muss, doch woher die Argumente nehmen? Wie konnten wir die Einführung der Hochschulräte, die Etablierung von Top-Down-Strukturen, die ökonomistische Transformation der Hochschulen zulassen? Jetzt heißt es Wettbewerb, wenn den Verlierern eine Wurst hingehalten wird, nach der sie sich alle strecken, sofort bereit, alle Solidarität fahren zu lassen, in der Hoffnung als Sieger aus der Krise des Akademischen hervorzugehen. ÜberlebenskämpferInnen, innere EmigrantenInnen, KrisengewinnlerInnen, SalonrevoluzzerInnen und natürlich diejenigen, die im neuen Ungeist ihre Bestimmung entdecken — die deutsche Intelligenz findet viele Wege, an Bologna zu scheitern …

Es ist Zeit, dass wir unsere Stimme erheben. Was wir jetzt preisgeben, haben wir auf Jahrzehnte verloren! Die “Kölner Erklärung” ist ein Versuch, den Diskurs über das Selbstverständnis der Universität anzustoßen. Über 1300 Unterzeichner unterstützen das Anliegen einer Neubesinnung auf akademische Bildung. Als Initiator geht es mir nicht darum, meine eigenen Vorstellungen zu realisieren. Ich weiß, dass die Erklärung vor dem Hintergrund einer humanistischen Herkunft geschrieben ist, so dass Begründungsfiguren und sprachliche Wendungen möglicherweise anstößig klingen in den Ohren von VertreterInnen einer anderen Traditionslinie. Ich lade jedoch alle Mitglieder der Hochschulen ein, sich in einer gemeinsamen politischen Richtung zusammenzufinden. Damit wir überhaupt den produktiven Streit der vielfältigen Theorien um Erkenntnis und Bildung in sozialer Verantwortung führen können, brauchen wir einen Ort, der dies ermöglicht. Diesen Ort müssen wir zurückerobern, indem wir Bologna grundsätzlich als Irrweg zurückweisen!

Gegen Bologna stimmen! http://www.bildungsstreik-­koeln.de/koelner‐erklaerung

Dr. Matthias Burchardt ist Akademischer Rat am Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

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Radio Rundfunk Literatur

Pop revisited

von Katharina Schliebs und Lukas Heinser

Einslive jedenfalls, die “Jugendwelle” des Westdeutschen Rundfunks, feierte am Freitag ihren 15. Geburtstag.

Wir verbrachten den ganzen Nachmittag in einer Köln-Ehrenfelder Wohnung, ließen uns bekochen und hörten dabei Einslive. Zumindest letzteres gehört zu den Dingen, die Menschen in unserem Alter sonst eher vermeiden. Doch diesmal war es etwas anderes: Wir hörten regelrecht gebannt zu und veranstalteten ein privates Popquiz, denn gefeiert wurde mit einem eigentlich nur brillant zu nennenden Sende-Marathon, in dem zwischen 6 und 21 Uhr jede Stunde einem anderen Jahr gewidmet war. Los ging es mit dem Jahr 2009 und dann immer weiter vorwärts in die Vergangenheit.

So saßen wir zu dritt vor dem Radio und hörten die Jahre 1998, 1997, 1996, 1995 und wurden dabei immer alberner und übertrafen und gegenseitig mit Nerdwissen aus 100 Jahren Popmusik. Dabei sind persönliche Musikhör-Biografien natürlich irgendwann stark abweichend zu dem, was im Radio an Musik läuft. Dennoch darf man nicht unterschätzen, wie viel Radio man dann aber doch gehört hat und wie viele Lieder man kennt, auch wenn man sie eigentlich schlimm oder belanglos findet (Wer um alles in der Welt kann ernsthaft auf die Idee kommen, ein so völlig egales Lied wie “Got ‘Til It’s Gone” von Janet Jackson irgendwie gut zu finden oder sogar die Single zu kaufen? Ein Riesenhit dennoch!), und wie viele Erinnerungen verbunden sind mit diesen Radiopopsongs und den Radiocomedys. Und sogar mit den Betten, Drops und Jingles! Niemals hätte man “Einslive macht hörig” rausschmeißen dürfen.

Exkurs “Nerdwissen über Einslive”: Früher kam direkt nach den Nachrichten eine Begrüßung. Mit dem Relaunch 2007 lief nach den Nachrichten erst ein Lied und dann sagte der Moderator Hallo. Sogar diesen Relaunch hat Einslive für einige Stunden zurückgenommen und die Moderatoren haben wieder direkt nach den Nachrichten eine Begrüßung gesprochen! Mit dem Original-Bett von früher! Und wenn das niemandem sonst auf der ganzen Welt aufgefallen sein sollte: In der Ehrenfelder Küche wurde es bemerkt. Und bejubelt. Exkurs Ende.

Je näher der Rückblick dem Gründungsjahr 1995 kam, desto deutlicher wurde die Rolle, die Eins Live bei der eigenen Adoleszenz gespielt hatte: Nahezu jeden Song konnten wir noch mitsingen — nicht bei jedem kannte man Titel und Interpret, aber wir hatten alles unzählige Male gehört. Damals tatsächlich noch ausschließlich über Radio, denn wir hatten ja nichts. Die Zielgruppe, die jetzt zuhause vor dem Webstream saß und damals noch gar nicht geboren war, wird in 15 Jahren kaum so viele gemeinsame Erinnerungen an ein Medium ihrer Jugend haben.

Wir fühlten uns natürlich alt und sprachen darüber, dass das Konservative manchmal auch seine guten Seiten habe, der Gastgeber brachte Bier — und das war der Moment, in dem wir entdeckten, dass die “Beck’s”-Flaschen neue Etiketten haben. Unsere Reaktion darauf darf man ruhig hysterisch nennen.

Was ja auch nur in einer Medienmetropole wie Köln geht: Den Beginn einer landesweit ausgestrahlten Sendung am heimischen Radio verfolgen und eine Stunde später selbst in der Sendung sitzen und applaudieren. Benjamin von Stuckrad-Barre war zu Gast in der Sendung “Klubbing” und das passte irgendwie ganz wunderbar zur Popkultur-Nostalgie an diesem Karfreitag: Stuckrad-Barre verkörpert die späten 1990er Jahre fast noch besser als Eins Live. Aber während der Sender mit seinem immer profilärmeren Programm gerade die größte Hörerschaft seiner Geschichte feiert, hat es der Literat mit seinem durchaus famosen neuen Buch “Auch Deutsche unter den Opfern” nicht mehr auf die sichtbaren Plätze irgendwelcher Bestselller-Charts geschafft. In großen Buchhandlungen liegen zwar genug Exemplare von “Axolotl Roadkill” aus, um damit die ganze Oberstufe eines Gymnasiums zu versorgen, aber den neuen Stuckrad-Barre müsste man bestellen. Wenn einem das jemand vor zehn Jahren erzählt hätte, als man am Tag der Veröffentlichung von “Blackbox” kleine Buchläden in Dinslaken und Göttingen gestürmt hat …

Wenigstens seine Lesungen (zuletzt gerne mit Christian Ulmen) sind immer noch ausverkauft. Und auch hier im dritten Stock über dem nächtlichen Mediapark ist der Einslive Salon gut besucht. Außen an der Tür hängt immer noch ein Schild, das den Raum als “Kultkomplexcafé” bezeichnet, dieser seltsam absurde Name, der in seiner Eigenartigkeit unbedingt erhaltenswert gewesen wäre, denn “Salon” ist ja nun doch, mit Verlaub, immer noch das, wo man zum Haareschneiden hingeht.

Das erste Gespräch, das Sabine Heinrich mit Stuckrad-Barre noch ohne Publikum im Studio führte, ließ zwar nicht das Schlimmste, aber doch Ungutes befürchten: Nach einem etwas umständlichen “Sie oder Du”-Einstieg waren die beiden ungefähr eine Minute beim sehr unergiebigen Thema “Ostermärsche” hängen geblieben, wobei Stuckrads Antworten zusehends knapper und genervter klangen.

Doch dann steht sie vor einem und man ist sofort verzaubert: Sabine Heinrich hört sich besser an und sieht besser aus als im Fernsehen, wie sie da auf der Bühne des Einslive Salons steht und dem Publikum erklärt, dass es die Handys nach der Lesung gerne wieder anstellen darf. Eins ihrer Hosenbeine ist aus den Stiefeln gerutscht und hängt jetzt über dem Schuh, sie trägt ein weißes T-Shirt und einen Pferdeschwanz, und wenn sie so die Echo-Verleihung moderiert hätte, dann wäre das mit Robbie Williams vielleicht was geworden.

Jetzt aber betritt erst mal Benjamin von Stuckrad-Barre die Bühne. Er sitzt nicht einfach schon da rum wie viele andere Autoren vor ihm, er braucht den Auftritt — und wenn es nur einer durch eine ganz normale Zimmertür ist. Hat er nicht früher seine Lesungen auch mit “Let Me Entertain You” eröffnet?

Benjamin von Stuckrad-Barre

DJ Larse legt irgendwelche Elektro-Musik auf, dann wird abwechselnd gelesen und getalkt, wobei sich zwei Dinge abzeichnen: Stuckrad-Barre ist ein sehr guter Autor, aber ein noch besserer Performer, und Sabine Heinrich ist zwar eine wahnsinnig charmante Moderatorin, aber eben auch eine eher nur mittelgute Interviewerin.

Es ist ein denkbar ungünstige Konstellation: Eine aufgeregte Fragestellerin trifft auf einen Talkgast, der keinerlei Bereitschaft zeigt, die etwas unglücklich formulierten Fragen wohlwollend aufzunehmen. “Was ist denn ein Sittengemälde?” – “Naja ich mein das ist ein ganz schönes deutsches Kompositum. Sitten-Gemälde. Das ist ja … Heiz-Körper. Was ist ein Heizkörper?” – “Ich hab noch nie so ein Wort benutzt! Sittengemälde!” – “Du bist zuviel mit Matthias Opdenhövel zusammen.”

Es läuft nicht. Im Salon ist es heiß, stickig, und sehr, sehr voll. Man könnte jetzt die eigene Hand abnagen (oder die des Sitznachbarn). Mag gar nicht aufhören, den Dialog zwischen Sabine Heinrich und BvSB wiederzugeben, man kann einfach nicht weghören.

Sabine Heinrich sagt: “Hör mal, in deinem Buch war mal die Rede von Müsli mit Brombeeren.”
BvSB: “Ja, das ist saisonabhängig. Nä?”
Heinrich: “Pflückst du die selber in deinem eigenen Garten?”
BvSB: “Im Supermarkt.”
Heinrich: “Eigener Biogarten.”
BvSB: “GARTEN?!? Nein, nein. Gärten gilt es wirklich zu vermeiden. Das ist ja der Anfang vom Ende.”
Heinrich: “Du hast ja auch keine Küche, hast du gesagt.”
BvSB: “Aber das mit dem Garten stimmt! Ja, nee, nein. Gärten.”

Es geht so weiter. Frau Heinrich fragte, wie Herr von Stuckrad-Barre lebt, wie er wohnt, was er von Möbeln hält, ob er denn selber kocht (Antwort: “Nein!”). Er kann sich offensichtlich nicht entscheiden, ob er Frau Heinrich jetzt wirklich permanent auflaufen lassen soll oder nicht und schwankt dann zwischen absoluter Sabotage des Gesprächs und mitleidigem Nachgeben.

Und man will ja Sabine Heinrich nett finden! Und ein bisschen Mitleid mit ihr haben, weil Benjamin von Stuckrad-Barre sich so bockig zeigt! Aber dann sagt sie Sachen, da ist man froh, dass ihr Gesprächspartner entsprechend reagiert:

“Ich hab dich bei Jörg Thadeusz in der Sendung gehört, als Podcast, liebe Grüße an den Jörg, und der hat dich gefragt, -”
“Jetzt wird’s aber ein bisschen privat, oder?“, unterbricht Stuckrad-Barre erneut, zurecht, leicht amüsiert.
“Es kann ja sein, dass Jörg diese Sendung beim Laufen hört”, gibt Frau Heinrich tapfer zu bedenken.
“Na dann aber auch schöne Grüße. Lieber Jörg, es war schön mit dir in Leipzig.“ Zu Frau Heinrich, verschwörerischer Unterton: “Meinze der hört das?” – “Bestimmt!” – “Jörg? Sollen wir in Bochum zusammen lesen oder in Dortmund?”

Und jetzt raten Sie, wer im Publikum an dieser Stelle nicht an sich halten kann und laut “Bochum!” ruft. Stuckrad-Barre wendet sich daraufhin dem Publikum zu und will das ausdiskutieren, aber da wirft sich Frau Heinrich dazwischen: “Darf ich jetzt bitte mal meine Frage durchbringen?!” Sie darf. Aber sie hätte es auch lassen können.

Irgendwann liest Stuckrad-Barre Ausschnitte aus dem längsten Text des Buches, in dem er von der Entstehung der letzten Udo-Lindenberg-Platte berichtet. Was bei der Lesung nur am Rande anklingt: Es ist einer der persönlichsten und intensivsten Texte, den der Autor je veröffentlicht hat. Kommt Lindenberg zu Wort, parodiert Stuckrad den typischen Tonfall des Musikers, was sehr, sehr peinlich wirken könnte (steht nicht irgendwo im Frühwerk des Popliteraten, dass Lindenberg an Parodisten-Schulen in der ersten Stunde auf dem Lehrplan stünde?), hier aber magischerweise funktioniert. Als Sabine Heinrich im inzwischen legendären Angela-Merkel-Interview die Rolle der Kanzlerin liest, ist sie allerdings ihrerseits so klug, auf jedweden Parodie-Versuch zu verzichten.

Um Mitternacht ist die Sendung vorbei, Karfreitag und das Tanzverbot. Es ist wieder 2010 und Einslive klingt auch wieder so. Alle sind wieder so alt, wie sie sich fühlen, und Benjamin von Stuckrad-Barre signiert Bücher.

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Musik Digital

Programmhinweis: Simon den Hartog

Phil Collins, Thom Yorke, James Dean Bradfield, … — die Liste der Sänger, die sich auch mal außerhalb ihrer Bands (Genesis, Radiohead, Manic Street Preachers) austoben wollten, ist lang. Jetzt also Simon den Hartog.

Ab Samstag tourt der quirlige Wahl-Kölner für eine Woche ohne seine Kilians durch die Republik, im Vorprogramm spielen die sehr empfehlenswerten An Horse (mehr zu denen bei den nächsten “Gesammelten Platten”). Das sieht dann so aus:

03.04. Stuttgart, Keller
04.04. Erlangen, E-Werk
05.04. Wiesbaden, Schlachthof
06.04. Marburg, KFZ
07.04. Düsseldorf, zakk
08.04. Osnabrück, Kleine Freiheit
09.04. Berlin, Magnet
10.04. Halle, Objekt 5

Basti bei der Arbeit

Wer es (skandalöserweise) nicht zu den Konzerten schafft, muss auf eine Überdosis Kilian nicht verzichten: Basti Boensch, verantwortlich für den Livesound, wird ein exklusives Tourblog schreiben. Und Sie ahnen nie, wo …

Äh, na gut.

Das Simon den Hartblog
ab ungefähr morgen
nur auf coffeeandtv.de