Filmfans kennen ihn als Schauspieler aus Filmen wie “Absolute Giganten”, “Eierdiebe” oder “Das Experiment”: Antoine Monot, Jr.
Was viele nicht wissen: Seit 2005 ist er künstlerischer Leiter des Zurich Film Festivals. Das Festival hat sich besonders dem jungen Film verschrieben, in diesem Jahr laufen im Wettbewerb 24 Erst-, Zweit- oder Drittwerke junger Spiel- und Dokumentarfilmer. Zur Jury unter dem Vorsitz von Produzent Albert S. Ruddy gehören unter anderem Moritz Bleibtreu, Matthew Modine und Dieter Meier von Yello.
Vor dem Start der dritten Auflage am morgigen Donnerstag nahm sich Antoine Monot, Jr. die Zeit, mit uns über die Schweiz, Deutschland, die Magie des Films und “sein” Festival zu sprechen:
Du bist in Deutschland aufgewachsen und mit Fünfzehn in die Schweiz gekommen. Da Du die Erfahrung hast: Wie würdest Du die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Ländern beschreiben?
Ich muss das in der Schweiz mal auf die Deutschschweiz beschränken, aber die ist ja doch der größte Teil der Schweiz. Also zwischen der Deutschschweiz und Deutschland gibt’s einen Riesenunterschied, was die Mentalität der Menschen betrifft: Der Deutschschweizer an und für sich ist im Vergleich zum Deutschen sehr viel zurückhaltender – und das meine ich nicht im Negativen.
Wenn man hier in Zürich unterwegs ist, sieht man sehr viele Luxusautos: Rolls Royce oder Bentley oder so was. Da muss aber niemand drauf hinweisen, dass man den fährt oder das man so ein Auto hat. Wenn man sich einen neuen Porsche gekauft hat, stellt man auch nicht abends vors Haus, damit auch alle sehen, dass man den hat. Sondern den stellt man in die Garage und macht die schön zu, damit dem auch nichts passiert.
Wo siehst Du Unterschiede in Sachen Film, Kino, Kultur generell?
Die Schweiz ist jetzt gerade, was die Filmindustrie betrifft, an einem Punkt, an dem Deutschland vielleicht vor fünfzehn Jahren war. Wir hatten hier in der Schweiz Erfolgsproduktionen wie “Grounding” über den Swissair-Konkurs, “Mein Name ist Eugen”, “Achtung, fertig, Charlie!”. Das waren alles schweizerdeutsche Produktionen, auch auf Schweizerdeutsch gedreht, die hier einen unheimlichen Erfolg hatten – 500.000 Zuschauer aufwärts. Und das hat dem Land plötzlich so eine ganz spezielle eigene Identität gegeben.
Das ist natürlich relativ schwierig, weil die Schweiz ja offiziell in vier Sprachregionen unterteilt ist. Das Land ist ja schon relativ klein, hat jetzt Siebeneinhalb Millionen Einwohner, und das teilt sich dann noch mal auf zwischen deutschschweizer Filmindustrie und französischer Filmindustrie.
Wie erklärst Du dir, dass man von den ganzen guten Schweizer Filmen in Deutschland gar nicht so viel mitkriegt?
Das hat sicher sehr viel mit der Sprache zu tun. Damit ein Film hier in der Deutschschweiz erfolgreich ist, ist es fast Voraussetzung, dass er auch auf Schweizerdeutsch gedreht wird – und dann versteht ihn in Deutschland keiner.
Was zuletzt relativ erfolgreich in Deutschland lief, war einer unserer größten Erfolge, “Die Herbstzeitlosen”. Der lief auch in Deutschland soweit ich weiß auf Schweizerdeutsch mit deutschen Untertiteln. Wir Schweizer sind ja gewöhnt, dass wir alle Filme im Original haben mit Untertiteln, aber in Deutschland ist ja die Synchronbranche so unglaublich groß und stark, wenn da ein schweizerdeutscher Film ins Kino kommt, hat das glaub ich so den Touch von einem Film aus Grönland. Wenn man sich so kleine, ausländische Filme anschaut, die hier im Kino laufen, da ist lang nicht so eine große Hemmschwelle, wie wenn ich alle Filme auf Deutsch habe und dann ist da mal einer, der untertitelt ist.
Aber ich glaube, wir kommen ja auch in Deutschland langsam davon weg, dass man sagt: “Wir müssen Filme machen, die überall spielen können und die so universell erzählt werden können, dass sie überhaupt nirgends mehr einen Anker haben”. Wir fangen ja endlich an zu kapieren, dass wir Filme machen, die einen ganz klaren lokalen Bezug haben müssen. Dadurch wird die Geschichte universal und dadurch wird sie groß. Aber sie wird nicht groß, weil sie einfach irgendwo spielt, wo sie überall spielen könnte. Da muss man dann eben schauen, wenn man dann so lokal anfängt, dass man Filme dreht und Geschichten erzählt, die eben auch andere Leute interessieren, die nichts mit diesem Thema zu tun haben.
Du bist ja selber Schauspieler und hast auch Regie studiert – wie kommt man dann auf die Idee, ein eigenes Filmfestival ins Leben zu rufen?
Wir waren zu dritt [Antoine Monot, Geschäftsführer Karl Spoerri und Nadja Schildknecht] und die Situation war etwas absurd: Zürich ist die größte Stadt der Schweiz, wirtschaftlich die stärkste, aber es gibt in der Schweiz über 40 Filmfestivals und keins davon in Zürich. Das ist ein Missstand, den wir nicht ganz verstanden haben und dann haben wir uns gesagt: “Was in dieser Stadt fehlt, ist ein Filmfestival!”
Die Stadt bietet kulturell sonst so ziemlich alles aus dem Bereich Theater, Ballett, Oper, Museen, klassische Musik – aber es gibt kein Filmfestival. Die Stadt bietet sich geradezu für ein Filmfestival an, denn Zürich ist eine flächenmäßig und von der Einwohnerzahl her sehr kleine Stadt mit 300.000 Einwohnern. Die Stadt bietet von der Infrastruktur her aber alles, was eine Metropole hat: Eine Clubszene, eine Modeszene, Bars, Restaurants, einen Flughafen, internationale Zuganbindungen, Fünf-Sterne-Hotels, aber auch Backpacker-Hotels und eine Riesen-Subkultur – es gibt alles. Das ist natürlich eine hervorragende Voraussetzung für ein Filmfestival, gerade weil ja alles auf sehr kleinem Raum stattfindet, man aber doch alles hat. Die Leute kennen Zürich, auch wenn sie vielleicht noch nie da waren. Man hat schon mal davon gehört, man wollte immer mal hin und das ist ein sehr großer Standortvorteil, den wir hier natürlich auch haben.
Also haben wir gesagt: “Hier braucht’s ein Filmfestival”, alle um uns herum haben gesagt: “Ihr spinnt”, und dann haben wir’s trotzdem gemacht. Hätte ich gewusst, was auf uns zukommt – ich hätt’s nicht gemacht. Aber das ist ja immer so.
Aber Du machst es nach wie vor gerne?
Das ist das schönste, was mir in meinem Leben passiert ist, also wäre “gerne” eine schamlose Untertreibung. Aber wenn man gewusst hätte, gegen was für Windmühlen man anlaufen muss, hätte ich mir das sicher zweimal überlegt. Aber schon seit letztem Jahr steht die Filmbranche in der Schweiz sehr hinter uns. Jetzt haben wir zum ersten Mal Geld bekommen vom Bundesamt für Kultur, von der Stadt Zürich. Jetzt merkt man: Die erkennen langsam, was das der Stadt bringen kann, und sind plötzlich sehr hinterher, uns zu helfen und uns zu unterstützen. Und das ist schön.
Was für Aufgaben hast Du als künstlerischer Leiter des Festivals?
Zu meinen Aufgaben gehört zum einen die Bestimmung der Reihen: Welche Reihen haben wir und was für Filme laufen da? Das mach ich natürlich in Abstimmung mit meinem Programmteam, aber wir haben keine Filmkommission. Wir haben jemanden, der den lateinamerikanischen Raum abdeckt, jemanden, der den osteuropäischen Raum abdeckt, dann hab ich jemanden, der die ganze Dokumentarfilmschiene abdeckt vorher. Aber schlussendlich schau ich dann jeden Film an.
Und es macht immer noch Spaß, diese Filme zu gucken?
Ja, das macht immer noch sehr viel Spaß. Und dann geht’s natürlich auch grundsätzlich darum, in enger Abstimmung mit dem Geschäftsführer Karl Spoerri und Nadja Schildknecht, die zuständig ist für Marketing und Sponsoring, die Ausrichtung des Festivals zu bestimmen: Wohin geht’s, was sind die nächsten Schritte, was machen wir in Zukunft?
Neben dem bin ich dann auch noch zuständig für den ganzen IT-Bereich, einmal intern bei uns und dann auch unsere ganzen externen Sachen wie Webserver und auf was für Programmen wir die ganze Filmabwicklung machen und so weiter …
Das machst Du auch noch alles selber?
Das mach ich auch noch alles selber. Also, da haben wir jetzt auch zwei Leute, die bei uns intern arbeiten und die sich dann darum kümmern und das machen, aber ich bin da immer noch sehr stark involviert, mir auch Sachen auszudenken oder zu überlegen. Das macht mir wahnsinnig viel Spaß, weil ich schon immer technisch sehr angefressen war – und das kann ich dann hier auch noch ausleben.
Dadurch, dass ich jetzt auch noch im Vorstand vom Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler in Deutschland bin, bleibt dann doch manchmal wenig Zeit für anderes, aber das hab ich mir bewusst so gewählt.
Natürlich ist die Schauspielerei dann etwas, was sehr auf der Strecke bleibt. Aber ich hab eine ganz tolle Agentur in Berlin, die mich da sehr gut unterstützt, und ich versuche, so im Jahr einen Kinofilm zu machen oder alle zwei Jahre einen.
Wie wählst Du denn die wenigen Projekte aus, die Du dann noch machst? Guckst Du, was Dich besonders interessiert, oder was richtig Kohle bringt?
Es gibt zwei Kriterien: Das erste Kriterium ein Zeitkriterium, es muss irgendwie in mein Zeitfenster passen, und wenn’s das tut, dann muss mich der Stoff einfach zu dreihundert Prozent überzeugen. Ich bin hier beim Filmfestival das ganze Jahr über fest angestellt und verdiene hier auch, von daher ist das Geld bei einem Filmprojekt nicht ausschlaggebend. (lacht) Es darf trotzdem honoriert werden, aber es ist nicht ausschlaggebend.
Mit der Reihe “A Tribute To” wird diesmal Oliver Stone geehrt, der auch persönlich in Zürich zugegen sein wird. Kannst Du dich noch an den ersten Oliver-Stone-Film erinnern, den Du gesehen hast?
Ja, ganz klar: Das war “Talk Radio”. Ich hab den Film im Fernsehen gesehen und war dann so angefressen, dass ich mir den damals auf VHS-Video geholt habe. Dann hab ich mir den viele, viele Male angeschaut, ich weiß gar nicht mehr wie oft (lacht). Das war für mich ein ganz einschneidendes Erlebnis.
War das bevor oder nachdem Du selber zum Film wolltest?
Als ich elf war wusste ich: Ich werd Schauspieler. Aber das war für mich losgelöst, das eine hatte nichts mit dem anderen zu tun. “Talk Radio” hat mich völlig umgehauen. Und dann mein zweites einschneidendes Erlebnis war dann “JFK”, den ich mir dann auch sofort mehrmals angeschaut habe.
Hast Du das Gefühl, dass Oliver Stone immer besser wird oder nachlässt? Oder ist er jemand, der manchmal Meisterwerke raushaut und dann wieder nicht so gute Sachen?
Ich halte ihn für einen unheimlich spannenden Regisseur. Ich finde die Bandbreite, die er abdeckt, und die Interessen, die er hat, sehr beeindruckend. Er ist ein Regisseur, der so viele Stoffe anfasst und umsetzt. Das, was ihn meiner Meinung nach auszeichnet – und davon glaube ich gibt es sehr, sehr wenige Regisseure – ist, dass ich bei ihm das Gefühl habe: Bei jedem Stoff, den er umsetzt oder umsetzen will, gibt es etwas, was ihn persönlich so fasziniert dran, dass er es zu seinem Werk macht. Ob das dann in die Hose geht oder nicht und wie er seine Filme findet und wie andere Menschen die finden, steht dann erst mal nicht zur Debatte.
Eine andere Reihe ist dieses Jahr über das Gastland Russland. Mir fiele jetzt so direkt eigentlich kein zeitgenössischer russischer Film ein. Was kannst Du uns über Russland als Filmland erzählen?
Also, das Land an und für sich ist ja wahnsinnig spannend. Was dort gerade passiert und wie dieses Land in einem Umbruch ist und in einem Aufbruch und wie wir plötzlich in Deutschland auch davon betroffen sind.
Für uns ja auch nicht ganz klar: Was ist dieses Land jetzt genau, ist das eine Demokratie oder wie funktioniert das genau? Aus diesem Spannungsfeld, das es da gibt, entspringt plötzlich eine Filmindustrie, die wahnsinnig spannend ist. Da haben wir Filme wie “Simple Things” oder “Piter FM”. Unsere Reihe heißt “Neue Welt Sicht” und da laden wir jedes Jahr ein anderes Gastland ein, dieses Jahr eben Russland, und das hat eine Bandbreite vom russischen Blockbuster bis zum russischen Independent-Film. Und ich glaub, da gibt’s sehr, sehr spannende Produktionen, die es zu entdecken lohnt.
Du hast es schon angesprochen: Man weiß bei Russland nicht so genau, ob es eine Demokratie ist oder irgendwas anderes. Ist es dann auch eine bewusste oder unbewusste politische Entscheidung, eine Reihe zu machen über Russland, gerade weil auch immer wieder über die Presse- und Meinungsfreiheit dort diskutiert wird?
Also, wir als Filmfestival halten uns aus politischen Aspekten völlig raus. Ich kann mich dort nicht einmischen und es steht mir auch nicht an, über dieses Land zu urteilen, weil ich dafür einfach zu wenig darüber weiß. Aber wir können sagen, wir versuchen, das russische Kino nach außen zu tragen. Indem wir diese Reihe bei unserem Festival haben, indem wir jetzt darüber sprechen. Wenn das jetzt nicht nur wir machen, sondern auch andere: Vielleicht kann man dann von außen eine Stärke zurückgeben, dass die Filmemacher vielleicht noch freier arbeiten können, wenn sie das nicht können im Moment.
Auf was für Filme oder Personen freust Du dich ganz besonders?
Ich freu mich natürlich wahnsinnig auf Oliver Stone. Ich freu mich genauso, dass Anke Engelke wieder dabei ist. Sie hat letztes Jahr unsere Preisverleihung moderiert und macht das auch dieses Jahr wieder, das finde ich ganz großartig, freu ich mich auch wahnsinnig auf Anke, dass die wieder kommt, find ich gigantisch.
Ich freu mich auf die Wettbewerbsregisseure. Ich kenn jetzt jeden einzelnen von diesen vierundzwanzig Wettbewerbsfilmen, die ja alles erste, zweite oder dritte Filme von Regisseuren oder Regisseurinnen sind. Diese vierundzwanzig Wettbewerbsfilme sind mir jetzt so vertraut, dadurch dass man die jetzt doch ein paar mal gesehen hat, dass ich wahnsinnig gespannt bin, die Regisseure dazu kennen zu lernen.
Am allermeisten freu ich mich auf das Publikum. Das hat uns letztes Jahr wirklich Tür und Tor eingerannt. Wir hatten so viele ausverkaufte Vorstellungen, das hat mich wahnsinnig gefreut.
Euer Festival gibt es dieses Jahr zum dritten Mal. Wenn wir uns in zehn, fünfzehn Jahren wieder sprechen, spielt Ihr dann in einer Liga mit Berlin, Cannes oder Venedig? Wollt Ihr das überhaupt?
Als Karl Spoerri letztes Jahr von der NZZ gefragt wurde: “Wo wollen Sie hin?”, hat er gesagt: “Wir wollen das Sundance von Europa werden”. Das find ich eigentlich einen sehr, sehr schönen Vergleich. Das ist ein Filmfestival, was sehr anerkannt ist in der Branche, was sehr viel neue, junge Talente fördert. Wir in der Schweiz sind im Moment das einzige Festival mit rotem Teppich und Glamour und das finde ich sehr wichtig. Alle anderen machen das auf eine sehr sympathische Art und Weise sehr anders – und das auch völlig zu Recht.
Aber Film ist Licht, da braucht’s dann auch ‘nen roten Teppich, da braucht’s auch an unserem Eröffnungs- und Abschlussabend eine Reihe von, ich weiß nicht: vierzig, fünfzig Fotografen, das gehört einfach dazu. Das werden wir sicher auch noch weiter ausbauen und da sind wir auch sehr dran, das zu machen. Wenn wir jetzt sagen, wo wir in fünfzehn, zwanzig Jahren stehen werden, denk ich schon, dass wir auf jeden Fall in einer sehr beachteten, großen Liga spielen werden.
Das Zurich Film Festival findet vom 27. September bis zum 7. Oktober in Zürich (das ist in der Schweiz) statt. Alles Wissenswerte findet man unter www.zurichfilmfestival.org.
Antoine Monot, Jr. hat eine private Website und schreibt für kolumnen.de.