Thomas Knüwer schrieb heute Morgen über Starbucks, die Hassliebe jedes aufrechten Koffein-Junkies, und den dortigen Service. Es dauerte exakt vier Kommentare, bis sich die Erste über “diese dröhnende Supi-ich-hab-dich-lieb-Kunde-Fröhlichkeit” beklagte, und obwohl ich nach wie vor nicht viel von Bezeichnungen wie “typisch deutsch” halte, wusste ich augenblicklich, dass ich mal wieder auf ein klassisch deutsches Dilemma gestoßen war: Freundlichkeit macht den Deutschen misstrauisch. Eduard Zimmermann und Alice Schwarzer haben ihre jeweiligen Lebenswerke darauf verwendet, dass man in Deutschland immer damit rechnet, gleich überfallen oder vergewaltigt zu werden, sobald mal jemand freundlich zu einem ist.
Spricht man mit Menschen über die Dienstleistungsmentalität in Deutschland (führt also eine eher hypothetische Diskussion), wird man häufig von der “aufgesetzten Freundlichkeit der Amerikaner” hören. Wie so oft bei antiamerikanischen Vorurteilen verstehen die Kritiker amerikanischen Umgangsformen nicht und/oder waren selbst noch nie in den USA. Und, zugegeben: Als ich im letzten Jahr drei Monate in San Francisco lebte, war ich anfangs auch genervt von “Hi, how are you?” und “Have a nice day”, bis mir dämmerte, dass diese Freundlichkeiten tatsächlich meiner Laune zuträglich waren. Der Vorwurf “Das interessiert doch keinen, wie es einem geht”, mag ja stimmen, nur interessiert das in Deutschland auch niemanden. Auch auf die Gefahr hin, Sie schwer zu enttäuschen: Solange es sich nicht um Ihre besten Freunde, ausgewählte Familienmitglieder oder Ihren Therapeuthen handelt, interessiert es keine Sau, wie es Ihnen geht. Also machen Sie sich nicht die Mühe, an Ihr aktuelles Befinden zu denken, an das ganze Elend, das sie gerade durchmachen – verdrängen Sie’s und sagen Sie “Bestens, Danke! Und selbst?”
“Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird”, lautet ein Sprichwort und angedenk dessen, was man sich in manchen Supermärkten, Bekleidungsfachgeschäften und Elektromärkten als zahlender Kunde bieten lassen muss, könnte man fast annehmen, die Läden seien in Wahrheit gutgetarnte Light-Varianten eines Domina-Studios. “Wer ficken will, muss freundlich sein”, lautet ein anderes Sprichwort und der aufmerksame Beobachter wird feststellen, dass an mögliche Bettpartner somit deutlich höhere Anforderungen gestellt werden als an Verkäuferinnen. Trotzdem haben mehr Leute Sex als einen Arbeitsplatz im Dienstleistungssektor.1
Besonders konservative Zeitgenossen werden – “Freundlichkeit hin oder her!” – auch die Meinung vertreten, diese “Bodenständigkeit” liege nun mal im Wesen des Deutschen, lächeln hingegen nicht. Nun weiß ich nicht, wie viel Prozent des Fremdenverkehrs in Deutschland auf Leute entfallen, die extra hierher kommen, um einen brummeligen Berliner Taxifahrer oder einen pampigen Köbes in einem Kölner Brauhaus zu begucken. Aber würde man solche Leute überhaupt kennenlernen wollen?
Haben Sie noch einen schönen Tag!
1 Inwieweit der innere Zwang einiger Deutscher, immer und überall rauchen zu wollen, damit zusammenhängt, möge ein jeder bitte selbst ergründen.