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Film Gesellschaft

They’ve all come to look for America

Das sei jetzt der Teil, wo sich der Inter­view­part­ner hin­set­zen wür­de, mit der Crew sprä­che und nicht wis­se, dass das Mate­ri­al dann spä­ter an den Anfang der Doku­men­ta­ti­on geschnit­ten wer­de, sagt Will Fer­rell zur Crew, als er sich hin­setzt, am Anfang des Films. Mehr Meta-Ebe­ne wird’s danach nicht mehr, auch wenn die Fra­ge nach der Authen­ti­zi­tät die­ser (und eigent­lich jeder) Doku­men­ta­ti­on ab da miet­frei im Unter­be­wusst­sein des Publi­kums wohnt.

Der Schau­spie­ler („Anchor­man“, „Bud­dy der Weih­nachts­elf“, „Stief­brü­der“, „Stran­ger Than Fic­tion“, „Euro­vi­si­on Song Con­test“) hat eine E‑Mail bekom­men von der Per­son, die er als Mann ken­nen­ge­lernt hat­te, als Autor bei „Satur­day Night Life“, wo ihre bei­den Kar­rie­ren began­nen, und als lang­jäh­ri­gen Freund. Die­se Per­son lebt jetzt, nach Jahr­zehn­ten des inne­ren Rin­gens, offi­zi­ell als Frau, wie sie Will Fer­rell in der E‑Mail mit­teilt. Einen neu­en Namen suche sie noch.

Als sich die bei­den wie­der­se­hen, ist die Ent­schei­dung auf Har­per gefal­len, nach der berühm­ten Schrift­stel­le­rin Har­per Lee („Wer die Nach­ti­gall stört“), die mit Har­pers Mut­ter zur Schu­le gegan­gen war. Will und Har­per wol­len her­aus­fin­den, ob Har­pers Tran­si­ti­on etwas geän­dert hat an ihrer Freund­schaft. Sie tun dies vor lau­fen­den Kame­ras, bei einem der ame­ri­ka­nischs­ten Bräu­che über­haupt: dem road trip.

Beglei­tet von einem phan­tas­ti­schen Fol­k/A­me­ri­ca­na/­Coun­try-Sound­track fah­ren Will und Har­per durch die USA, stel­len ihre Cam­ping-Stüh­le irgend­wo hin und trin­ken Light Beer. Es ist das Früh­jahr 2023; die Spal­tung des Lan­des, die eigent­lich seit sei­ner Grün­dung Teil sei­ner Iden­ti­tät ist, ist durch die ers­te Trump-Regie­rung und die COVID-19-Pan­de­mie mal wie­der beson­ders sicht­bar gewor­den. Trans-Per­so­nen wer­den als Spiel­ball benutzt in einem „Kul­tur­kampf“, auf des­sen einer Sei­te um rei­ne Exis­tenz­rech­te gekämpft wird und auf der ande­ren gegen ein Feind­bild, auf das man alle ein­schwö­ren kann: Wei­ße und peo­p­le of color, Män­ner und Frau­en, Rei­che und Arme.

Wo Will und Har­per auf ein­zel­ne Per­so­nen tref­fen, geht es eigent­lich immer recht har­mo­nisch zu. Fer­rells Pro­mi­nenz spielt qua­si kei­ne Rol­le, Ste­e­les Trans­se­xua­li­tät wird ent­we­der höf­lich igno­riert oder inter­es­siert bis posi­tiv auf­ge­nom­men. Doch in gro­ßen Men­schen­men­gen, bei einem Bas­ket­ball-Spiel und in einem Frei­zeit­park-ähn­li­chen Steak­haus, wo sofort Dut­zen­de Smart­phones auf die bei­den gerich­tet wer­den, wo con­tent online geht und Social-Media-Reak­tio­nen her­vor­ru­fen kann, wird Har­per ver­läss­lich Opfer eines digi­ta­len Mobs.

Das deckt sich zwar mit mei­nen eige­nen Ein­drü­cken von Wirk­lich­keit und Inter­net, aber es pas­siert in „Will & Har­per“ der­art deut­lich, dass die vor­ab im Unter­be­wusst­sein abge­leg­te Fra­ge wie­der hoch­schreckt: Inwie­fern bil­det die­ser Film das ab, was tat­säch­lich gesche­hen ist, als die bei­den mit ihrem Kame­ra­team durch das Land gefah­ren sind? Lief im direk­ten Kon­takt tat­säch­lich alles so glatt? Wie haben sie man­che Sze­nen über­haupt gedreht und wie haben sie das mit den Rech­ten all jener Per­so­nen gere­gelt, die zu sehen und zu hören sind?

Die­se Momen­te haben mich kurz aus dem Film her­aus­ge­holt, was ich aber als posi­tiv betrach­te: Sie stel­len das fer­ti­ge Pro­dukt in Fra­ge, das eben bei allen doku­men­ta­ri­schen Ansät­zen ein edi­tier­ter und redi­gier­ter Film ist und somit nie­mals Abbild einer Wirk­lich­keit sein kann.

„Will & Harper“ (Szenenbild)

Die ver­schie­de­nen Wirk­lich­kei­ten sind: Die Freund­schaft von Will und Har­per hat sich schnell an die ver­än­der­ten äuße­ren Umstän­de ange­passt; die bei­den machen ihre Wit­ze, wie sie es ver­mut­lich immer getan haben. Will und ande­re müs­sen sich mehr Sor­gen um Har­pers Wohl­erge­hen machen, wenn sie irgend­wo hin­geht — nicht nur, weil Frau­en in Fern­fah­rer­knei­pen und bei Auto­rennen anders behan­delt wer­den als Män­ner, son­dern ins­be­son­de­re, wenn sie Trans-Frau­en sind. Auch im 21. Jahr­hun­dert ver­än­dern anwe­sen­de Kame­ras noch die Situa­tio­nen, die sie abzu­bil­den ver­su­chen. Es gibt jede Men­ge Men­schen, die, viel­leicht mit eini­gen Vor­ur­tei­len und Hem­mun­gen, aber gene­rell offen und inter­es­siert auf Trans-Per­so­nen zuge­hen und die im bes­ten und ein­fachs­ten Sin­ne Men­schen­freun­de sind. Und es gibt Arsch­lö­cher, die sich online oder in der Wirk­lich­keit über ande­re erhe­ben; weil sie nicht wei­ter nach­den­ken, weil sie kei­ne Empa­thie haben, weil sie von Fox News und ande­rer Pro­pa­gan­da zu Men­schen­fein­den erzo­gen wur­den.

All das kann gleich­zei­tig wahr sein und „Will & Har­per“ kann und will inso­fern kein rei­nes Feel­good-Movie sein, auch wenn er über wei­te Stre­cken ein war­mes, herz­li­ches Gefühl erzeugt; immer wie­der ver­bun­den mit einem fas­sungs­lo­sen „Wie kann man Men­schen auf­grund ihrer rei­nen Exis­tenz so sehr has­sen?“ und dem Gedan­ken, wie viel schlim­mer die Situa­ti­on heu­te, nur zwei Jah­re spä­ter, unter der neu­en Trump-Regie­rung sein muss.

Der Film kann wahr­schein­lich Gesprä­che in Fami­li­en eröff­nen und Men­schen, die bis­her gar nichts mit dem The­ma Trans­se­xua­li­tät und Trans­gen­der zu tun hat­ten, an die Hand neh­men, weil Will Fer­rell so groß­ar­tig als Platz­hal­ter für das Publi­kum fun­giert: Inter­es­siert, auf­ge­schlos­sen, mit den bes­ten Absich­ten, aber manch­mal steht er sich selbst und dem Aus­tausch auf Augen­hö­he im Weg, manch­mal stellt er eine Fra­ge, die unan­ge­mes­sen ist, und die ihm Har­per Ste­e­le den­noch sofort ver­zeiht.

„Will & Har­per“ ist inso­fern ein bud­dy movie und mei­net­we­gen das, was man ein „nied­rig­schwel­li­ges Bil­dungs­an­ge­bot“ nennt. Es ist ein Film über unse­re Zeit und über ein ver­wirr­tes Land. Ein State­ment und ein Plä­doy­er für mehr Mensch­lich­keit. Aber im Grun­de genom­men auch und vor allem: Die Geschich­te der Freund­schaft zwei­er Men­schen.

„Will & Har­per“ bei Net­flix