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Musik Leben

25 Jahre „There Is Nothing Left To Lose“

Die­ser Ein­trag ist Teil 10 von bis­her 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschie­nen jede Men­ge Alben, die für unse­re Autor*innen prä­gend waren. Zu ihrem 25. Jubi­lä­um wol­len wir sie der Rei­he nach vor­stel­len.

Foo Fighters - There Is Nothing Left To Lose (abfotografiert von Lukas Heinser)

Natür­lich hat­te ich Dave Grohl als den „Schlag­zeu­ger von Nir­va­na“ ken­nen­ge­lernt. Natür­lich kann­te ich die sen­sa­tio­nell lus­ti­gen Vide­os zu „Big Me“ und „Learn To Fly“ sei­ner neu­en Band Foo Figh­ters, auf die mich mein bes­ter Freund auf­merk­sam gemacht hat­te. Natür­lich waren – neben The Wall­flowers, Jami­ro­quai, Rage Against The Machi­ne, Micha­el Penn, Green Day und Ben Folds Five – auch Foo Figh­ters 1998 auf dem Sound­track zu Roland Emme­richs „God­zil­la“ gewe­sen und zwei Jah­re spä­ter – neben Ben Folds Five, Hoo­tie & The Blow­fi­sh, Smash Mouth, Third Eye Blind und The Off­spring – auf dem Sound­track zum heu­te fast ver­ges­se­nen Jim-Carrey-Film „Me, Mys­elf & Ire­ne“, der mich mit Wil­co, Pete Yorn, Ellis Paul und Mar­ve­lous 3, vor allem aber mit den Songs von Stee­ly Dan bekannt mach­te. Das Video zu „Brea­kout“, das im Som­mer­ur­laub 2000 stän­dig auf MTV Euro­pe lief, war ja sogar auf den Film abge­stimmt.

Ich weiß wirk­lich nicht, war­um es bis in den April 2002 gedau­ert hat, bis ich wuss­te, dass ich Foo-Figh­ters-Fan bin. Ich weiß aber noch sehr genau, wie ich zu die­ser Zeit das Video zu „Next Year“ im Musik­fern­se­hen gese­hen habe (und das auch nicht zum ers­ten Mal) und plötz­lich so ange­fixt war, dass ich den Song sofort als ille­ga­le MP3 her­un­ter­la­den und tage­lang auf Repeat hören muss­te. Ich habe sogar die Geburts­tags­kaf­fee­ta­fel mei­ner Schwes­ter ver­las­sen, um zu R&K zu fah­ren und end­lich das dazu­ge­hö­ri­ge Album zu kau­fen.

Zwei Tage spä­ter war unser letz­ter Schul­tag, in der Woche dar­auf die schrift­li­chen Abitur­prü­fun­gen und danach kam eine Zeit der gro­ßen Lee­re. Was sich anfangs noch wie Som­mer­fe­ri­en und ver­dien­te Frei­zeit nach so vie­len Jah­ren Schu­le (and don’t get me star­ted about Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um Dins­la­ken again!) anfühl­te und einer durch­gän­gi­gen Par­ty glich, füll­te sich ganz schlei­chend mit der zunächst geleug­ne­ten Gewiss­heit, dass sich bald alles ändern wür­de: Die Mäd­chen wür­den zum Stu­di­um in ande­re Städ­te zie­hen, die Jungs ihren Zivil­dienst begin­nen und danach ver­mut­lich auch die Stadt ver­las­sen. Kin­der­zim­mer wür­den ver­stau­ben und umge­räumt wer­den, Groß­el­tern und Eltern ster­ben, Leben jetzt erst rich­tig begin­nen. So jung kom­men wir nicht mehr zusam­men.

„The­re Is Not­hing Left To Lose“ (der Titel schon!) war der per­fek­te Sound­track zu die­ser Zeit. Dave Grohl wuss­te, wie sich Abschie­de und Umbrü­che im Leben anfüh­len, er konn­te Melan­cho­lie in Wut ver­wan­deln und umge­kehrt. Es schien, als habe sich das Album extra zwei­ein­halb Jah­re in mei­nem Blick­feld ver­steckt, um jetzt ganz und gar für mich da zu sein. Es war das drit­te Album unter dem bescheu­er­ten Pro­jekt­na­men Foo Figh­ters, aber eigent­lich das ers­te die­ser Band als Band: Auf dem Debüt hat­te Dave Grohl noch alle Instru­men­te selbst gespielt, die von ihm für das zwei­te Album zusam­men­ge­stell­te Band war schnell wie­der zer­bro­chen (es hat­te womög­lich nicht gehol­fen, dass Grohl nahe­zu alle Spu­ren von Schlag­zeu­ger Wil­liam Golds­mith neu ein­ge­spielt hat­te) und jetzt hat­te er den Kel­ler sei­nes Hau­ses in Alex­an­dria, Vir­gi­nia zum Stu­dio aus­ge­baut und mit sei­nem ver­blie­be­nen Bas­sis­ten Nate Men­del und Tay­lor Haw­kins, dem Schlag­zeu­ger aus der Band von Ala­nis Moris­set­te, noch ein­mal ganz neu ange­fan­gen.

Wenn Du Schlag­zeug ler­nen willst, hör Dir an, was Tay­lor Haw­kins bei „Gene­ra­tor“, „Auro­ra“ oder „Next Year“ macht; wie sei­ne Hän­de wir­beln und gleich­zei­tig über­all zu sein schei­nen; wie er Songs vor­an peitscht, ihnen, den ande­ren Instru­men­ten und vor allem Dave Groh­ls Stim­me aber auch immer genug Raum zum Atmen lässt; wie er, nach­dem er zwölf Tak­te ein­fach nur gera­de einen tigh­ten Beat geklopft hat, plötz­lich für einen Sekun­den­bruch­teil eine drum roll ein­flicht, die klingt wie ein auf der Stel­le tän­zeln­der Boxer — und wie der nächs­te Schlag dann tat­säch­lich wie ein upper cut kommt, der Dich Ster­ne sehen lässt.

In Inter­views und in sei­nem phan­tas­ti­schen Memoir „The Sto­rytel­ler“ erzählt Dave Grohl immer wie­der, dass „The­re Is Not­hing Left To Lose“ sein per­sön­li­ches Lieb­lings­al­bum der Band ist; das, auf das er am stol­zes­ten ist. Es ist eines der weni­gen Alben, die ich mir zum Hun­derts­ten Mal anhö­ren kann und die ers­ten Tak­te sind immer noch so auf­re­gend wie beim aller­ers­ten Hören: Der Ope­ner „Sta­cked Actors“, der mit tro­cken knar­zen­den Gitar­ren und einem trei­ben­den Schlag­zeug beginnt, in den Stro­phen aber eher wie ein ele­gan­ter Stee­ly-Dan-Song vor sich hin wippt. Das schwel­gen­de „Auro­ra“, nach Ansicht der Band einer der bes­ten Songs, den sie je auf­ge­nom­men haben. Das trau­rig schun­keln­de „Ain’t It The Life“, der sich lang­sam auf­rich­ten­de Abschluss­song „M.I.A.“ und natür­lich „Learn To Fly“, „Break Out“ und immer wie­der „Next Year“.

Der Song ist so unty­pisch für die Foo Figh­ters, dass er auf dem ers­ten „Best Of“ nicht ent­hal­ten ist, obwohl er als Sin­gle ver­öf­fent­licht wur­de. Musik­jour­na­lis­ten haben ihn mal als den einen Brit­pop-Song im Gesamt­werk der Band beschrie­ben und tat­säch­lich hat er eine gewis­se Ähn­lich­keit mit „Wha­te­ver“ von Oasis. Noch heu­te hüpft mein Herz jedes Mal, wenn der Song auf dem Album bei 3:48 Minu­ten eigent­lich schon zu Ende ist, aber mit dem zweit­größ­ten Drum-Break nach „In The Air Tonight“ zur Ehren­run­de ansetzt.

Als in den Mor­gen­stun­den des 26. März 2022 die Nach­richt kam, dass Tay­lor Haw­kins im Alter von nur 50 Jah­ren gestor­ben war, fühl­te es sich an, als wäre jemand aus mei­nem Umfeld gestor­ben – nicht unbe­dingt ein Freund, aber jemand, den ich vom Sehen kann­te, den ich von Anfang an moch­te und mit dem ich immer mal ein Bier hät­te trin­ken wol­len. Natür­lich ging ich als ers­tes ins Wohn­zim­mer und dreh­te die Anla­ge laut auf. Und natür­lich war das Album, das ich hör­te, „The­re Is Not­hing Left To Lose“.

Foo Figh­ters – The­re Is Not­hing Left To Lose
(Ros­well Records/​RCA, 2. Novem­ber 1999)
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