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Songs des Jahres 2022

Ich brau­che tra­di­tio­nell immer ein biss­chen län­ger, um mei­ne Songs des Jah­res zusam­men­zu­stel­len, aber ich fin­de das bes­ser, als das Jahr schon im Novem­ber ein­pa­cken zu wol­len; hier ist mein Blog mit mei­nen Regeln und außer­dem ist ja noch Janu­ar. Also: Hier sind – Stand jetzt – mei­ne Lieb­lings­lie­der des Jah­res 2022!

25. Death Cab For Cutie – Here To Fore­ver
Ben Gib­bards Lyrics sind ja mit­un­ter so spe­zi­fisch, dass sie schon zum Meme tau­gen. Das muss natür­lich nicht schlecht sein, im Gegen­teil:

In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that ever­yo­ne the­re on the screen
Yeah, ever­yo­ne the­re on the screen
Well, they’­re all dead now

Damit hat er ein­mal mehr einen Gedan­ken aus­for­mu­liert, den ich so oder so ähn­lich selbst schon oft hat­te. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Dei­ner Groß­mutter im Wohn­zim­mer des Groß­el­tern­hau­ses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Groß­tan­ten und ‑onkel, dann knal­len die­se Zei­len noch mal ganz neu in die offe­ne Wun­de: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Mea­dows“ hat mich irgend­wie nicht so rich­tig abge­holt, aber die­ser Song wird immer Teil mei­ner Geschich­te sein.

24. Nina Chuba – Wild­ber­ry Lil­let
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zuneh­mend schwer wird, mit den jun­gen Leu­ten Schritt zu hal­ten – vor allem, wenn man kei­nen Bock hat, sich chi­ne­si­sche Spio­na­ge-Soft­ware aufs Han­dy zu laden. Ich habe die­ses Lied also erst rela­tiv spät in einem prä­his­to­ri­schen Medi­um namens Musik­fern­se­hen ent­deckt, aber mir war sofort klar, war­um das ein Hit ist: Die­se Hook, die gekonnt auf der Gren­ze zwi­schen „ein­gän­gig“ und „ner­vig“ hüpft; die­se Lyrics, die im klas­sischs­ten Sin­ne das durch­spie­len, was wir musi­cal thea­ter kids den „I Want“-Song nen­nen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dol­lars, ich will flie­gen wie bei Mar­vel“) abschöp­fen, als auch fast rüh­rend kind­lich („Will, dass alle mei­ne Freun­de bei mir woh­nen in der Stra­ße“) daher­kom­men; die­se fröh­lich-rum­pe­li­ge Pip­pi-Lang­strumpf-Hal­tung, mit der wie­der mal eine neue Gene­ra­ti­on ihren Teil vom Kuchen ein­for­dert – oder hier gleich die gan­ze Bäcke­rei („Ich hab‘ Hun­ger, also nehm‘ ich mir alles vom Buf­fet“). Und mit­ten­drin eine Zei­le, die man als immer jugend­li­chen Trotz lesen kann – oder als wahn­sin­nig trau­ri­gen Fata­lis­mus: „Ich will nicht alt wer­den“. Wenn man den Song feuil­le­to­nis­tisch nase­rümp­fend neben den „Fri­days For Future“-Aktivismus legt, wird man fest­stel­len, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gera­de noch im rich­ti­gen Alter für den Song) ganz schön wider­sprüch­lich sein kann: „We’­re the young gene­ra­ti­on, and we’­ve got some­thing to say“ hat­ten die Mon­kees ja schon 1967 gesun­gen – und dar­über hin­aus nichts zu sagen gehabt, wäh­rend zeit­gleich mal wie­der eine Zei­ten­wen­de aus­brach.

23. Har­ry Styl­es – As It Was
Damit hät­te jetzt auch nie­mand rech­nen kön­nen, dass aus­ge­rech­net „Take On Me“ von a‑ha mal zu einem der prä­gends­ten Ein­flüs­se auf eine neue Gene­ra­ti­on Pop­mu­sik wer­den wür­de: Schon „Blin­ding Lights“ von The Weeknd war von der legen­dä­ren Key­board-Hook … sagen wir mal: „inspi­riert“ und auch „As It Was“ kann eine gewis­se Ver­wandt­schaft nicht bestrei­ten. Aber ers­tens bit­te nichts gegen a‑ha und zwei­tens pas­siert hier in 2:47 Minu­ten (wäh­rend die Kino­fil­me immer län­ger wer­den, wer­den die Pop­songs immer kür­zer – die Men­schen haben ja auch nicht unend­lich viel Zeit) so viel, dass man kaum hin­ter­her kommt. Und über Har­ry Styl­es muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigent­lich Chris Pine ange­spuckt?))

22. The Natio­nal feat. Bon Iver – Weird Good­byes
„What your favo­ri­te sad dad band says about you“ titel­te McSweeney’s im Janu­ar 2022, dabei war der Witz da schon min­des­tens vier­ein­halb Jah­re alt. The Natio­nal und Bon Iver sind natür­lich auf bei­den Lis­ten und wenn sie nicht gera­de mit Tay­lor Swift Musik machen, machen sie die halt gemein­sam (dass Aaron Dess­ner von The Natio­nal und Jus­tin Ver­non von Bon Iver auch noch gemein­sam bei Big Red Machi­ne spie­len, ver­wirrt an die­ser Stel­le zwar nur, ich muss es aber erwäh­nen, weil sonst mei­ne Mit­glied­schaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochu­mer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei die­sem Song, der nicht Teil des neu­en The-Natio­nal-Albums sein wird, das inzwi­schen ange­kün­digt wur­de und „First Two Pages of Fran­ken­stein“ (man ahnt eine etwas umständ­li­che Refe­renz, die da irgend­wo als Witz im Hin­ter­grund lau­ert) heißt. Es ist trotz­dem ein schö­ner Song! Und die Band ver­kauft inzwi­schen „Sad Dad“-Merchandise.

21. Rae Mor­ris – No Woman Is An Island
Rae Mor­ris ist der ers­te und bis­her ein­zi­ge Act, der schon zwei Mal mei­ne Lis­te der „Songs des Jah­res“ ange­führt hat: 2012 und 2018. Rech­ne­risch wäre sie also erst 2024 wie­der dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natür­lich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehör­ten) gefun­den, die ich 2022 bes­ser fand als die­se leicht thea­tra­li­sche (im Sin­ne von Büh­nen­auf­füh­rung, nicht im Sin­ne von über­trie­ben) Femi­nis­mus-Bal­la­de.

20. Me & Reas feat. Aus­tin Lucas – Con­fes­si­ons
Natür­lich sind Algo­rith­men an sich erst­mal böse. Außer, sie wer­fen einem Songs vor die Füße, die man toll fin­det, aber sonst nie gefun­den hät­te. Das funk­tio­niert erstaun­li­cher­wei­se nicht nur bei Spo­ti­fy, son­dern auch bei Insta­gram, wo ich ein- bis zwei­mal im Jahr Wer­bung für irgend­wel­che Songs/​Musikvideos ange­zeigt bekom­me, die mich sofort abho­len. Me & Reas sind, so ent­neh­me ich der Wiki­pe­dia, eine deut­sche Indie-Band aus Nürn­berg, über die ich sonst nichts weiß, und „Con­fes­si­ons“ klingt schon arg, als habe man in einer Gara­ge hin­ter einem Irish Pub ver­sucht, einen Frank-Tur­ner-Song nach­zu­bau­en, aber – hey! – es funk­tio­niert! Der Refrain kommt mir vor, als wür­de ich ihn bereits seit zwan­zig Jah­ren ken­nen, aber auch fast ein Jahr des Hörens und Grü­belns haben mich dies­be­züg­lich nicht wei­ter­ge­bracht. Egal!

19. Kevin Mor­by – This Is A Pho­to­graph
Bei man­chen Songs ist es so, dass ich sie erst rich­tig zu schät­zen weiß, wenn ich ihre Ent­ste­hungs­ge­schich­te ken­ne. Das ist eine Art der Her­me­neu­tik, die nicht über­all gut ankommt, aber das hier ist mei­ne Lis­te und ich mache die Regeln! Also: Nach­dem Kevin Mor­by bei „Song Explo­der“ erklärt hat­te, was es mit die­sem Song, sei­ner Fami­lie und Erin­ne­run­gen auf sich hat­te, lag er mir deut­lich näher am Her­zen. Er war Teil mei­nes Jah­res 2022, in dem es so viel um Abschied und Erin­ne­run­gen ging, aber man muss auch sagen: Wie sich die­ser Song musi­ka­lisch immer wei­ter stei­gert von dem klei­nen Riff zu die­sem gro­ßen Stamp­fer, das ist auch für sich genom­men eine Wucht!

18. Sharon Van Etten – Por­ta
War­um singt die Frau über eine Bil­lig-Ein­rich­tungs-Ket­te? Ent­schul­di­gung! Es ist nur so, dass ich „Por­ta“ so gut fin­de, dass mir dazu gar nicht viel ein­fällt. Es ist ein Song, der so nach den 1980er Jah­ren klingt wie die wenigs­ten Songs der 1980er Jah­re, die heu­te noch im Radio lau­fen: groß, düs­ter und doch an jeder Ecke fun­kelnd. Ein Song wie eine U‑Bahn-Sta­ti­on!

17. Bar­rie – Fran­kie
„Dream pop aus Brook­lyn“ klingt natür­lich schon fast so sehr nach Klischee/​Meme wie „Sad dad rock“, aber wir haben uns ja heu­te hier ver­sam­melt, um auch in den eige­nen Schub­la­den mal ordent­lich auf­zu­räu­men. Also: Bar­rie Lind­say macht seit mehr als zehn Jah­ren Musik, die irgend­wie immer unter dem Radar (auch mei­nem eige­nen) geblie­ben ist. Letz­tes Jahr erschien dann ihr Album „Bar­ba­ra“ (ratet mal, was Bar­ries rich­ti­ger Vor­na­me ist), das sehr, sehr gut ist – und Fran­kie, mit sei­nen Key­board­flä­chen, rum­peln­den Beats und „Oh, yeahs“ ist mein Lieb­lings­song dar­aus. Und die­se bei „Dancing In The Dark“ ent­lehn­te Melo­die ist natür­lich auch phan­tas­tisch!

16. Dash­board Con­fes­sio­nal – Bur­ning Heart
„A Mark, A Mis­si­on, A Brand, A Scar“ von Dash­board Con­fes­sio­nal wird die­ses Jahr 20. Dar­an kön­nen wir nichts ändern; ich hat­te im letz­ten Som­mer 20-jäh­ri­ges Abi-Tref­fen. Unge­fähr die letz­ten 15 Jah­re habe ich die aktu­el­len Ver­öf­fent­li­chun­gen der Band nicht mehr ver­folgt (offen­bar gab es sie auch zwi­schen­zeit­lich gar nicht mehr), aber letz­tes Jahr tauch­te dann die­ser Song in mei­nen Spo­ti­fy-Emp­feh­lun­gen auf und wenn Chris Car­ra­ba zu einer Akus­tik-Gitar­re „It might just kill me“ singt, ist das natür­lich fast schon zu viel „Hands Down“, aber wir sind jetzt in einem Alter, wo wir ja schon fast froh sein müs­sen, wenn die Hel­den unse­rer Jugend über­haupt noch leben, von daher ist „Bur­ning Heart“ vor dem Hin­ter­grund des gro­ßen Emo-Revi­vals schon ein schö­ner klei­ner Gruß Rich­tung eige­ne Ado­les­zenz.

15. Kof­fee – Pull Up
„Gifted“ von Kof­fee ist ein phan­tas­ti­sches Album. Offi­zi­ell gilt das als Reg­gae, es hat aber wahn­sin­nig wenig mit kif­fen­den Mit­be­woh­nern zu tun, die Tobi­as hei­ßen, Dre­ad­locks tra­gen (heu­te eh undenk­bar) und Bob-Mar­ley-Pos­ter im Klo auf­hän­gen wol­len. Die Musik von Kof­fee klingt nach tief ste­hen­der Son­ne im Som­mer und nach der (viel­leicht nur ein­ge­bil­de­ten) Cool­ness, die man mit Ende Drei­ßig noch erlan­gen kann, wenn man die­se Musik beim Gril­len mit ande­ren Eltern auf­legt. „Pull Up“ ist ein Lied über Par­tys, auch wenn gera­de kei­ne Par­ty ist (man­che erin­nern sich viel­leicht noch an die­se Pan­de­mie).

14. Cas­per – Bil­lie Jo
Ach­tung: Trau­ma & Sui­zid
Cas­pers Cou­si­ne war mit einem US-Sol­da­ten ver­hei­ra­tet, der schwer trau­ma­ti­siert aus dem Irak-Krieg zurück­kehr­te und nach Jah­ren des strugg­le schließ­lich die gemein­sa­men Kin­der, sei­ne Frau und dann sich umbrach­te. Uff! So eine Geschich­te muss man erst­mal in einem Song erzäh­len wol­len und kön­nen, aber Cas­per kann das natür­lich. Und dass ich letz­tes Jahr mit „Home­town Hero“ von Emi­ly Scott Robin­son schon einen Song mit ganz ähn­li­cher Geschich­te auf der Lis­te hat­te, zeigt, dass Pop­mu­sik eben auch sol­che schwe­ren The­men ver­ar­bei­ten kann. Der Song war schon raus, bevor Russ­land die Ukrai­ne ange­grif­fen hat, aber dass wir plötz­lich wie­der einen Krieg so domi­nant in den Nach­rich­ten und im eige­nen All­tag hat­ten, hat den Blick auf die Leben der Trau­ma­ti­sier­ten sicher­lich noch mal ver­schärft. Ich kann „Bil­lie Jo“ nicht ein­fach so neben­bei hören; bei der drit­ten Stro­phe kom­men mir jedes ein­zel­ne Mal die Trä­nen. Aber manch­mal ist das Leben eben ein­fach so.

13. First Aid Kit – Angel
Durch­at­men! First Aid Kit fin­de ich ja toll, seit ich sie vor 13 Jah­ren zum ers­ten Mal gese­hen habe – das ist jetzt auch fast das hal­be Leben der Söder­berg-Schwes­tern her. „Angel“ war die ers­te Sin­gle ihres letzt­jäh­ri­gen Albums „Palo­mi­no“ und ähn­lich wie das titel­ge­ben­de Pferd galop­piert auch die­ser Song vor­an, die Stim­men von Kla­ra und Johan­na wehen im Wind und wenn sie „I love you even if you don’t love me“ sin­gen, klingt das selt­sa­mer­wei­se gar nicht so trau­rig und resi­gniert, wie es auf dem Papier soll­te. An ande­rer Stel­le fra­gen sie: „What has that fear ever done for me /​ But hold me back?“, und genau dar­um geht es ja, in der Lie­be wie im Leben.

12. Shit­ney Beers – Pea­ches Style
Im November/​Dezember haben mei­ne Homies vom Grand Hotel van Cleef an vier auf­ein­an­der­fol­gen­den Frei­ta­gen vier sehr gute bis sen­sa­tio­nel­le Alben ver­öf­fent­licht: Erst „nichts“ von FJØRT, dann das tol­le fina­le Pale-Album (dazu spä­ter mehr), dann ein Live­al­bum von Thees Uhl­mann und Band und schließ­lich „This Is Pop“, das zwei­te Album von Shit­ney Beers. Hin­ter dem halb-wit­zi­gen Künst­ler­na­men steckt Maxi Haug, die Halb-Kana­die­rin und Wahl-Ham­bur­ge­rin ist und den Ver­gleich mit den ganz gro­ßen Namen (weib­lich wie männ­lich, falls es da über­haupt noch wel­che gibt) im Indie­rock nicht scheu­en muss. „Pea­ches Style“ ist dann natür­lich auch eine direk­te text­li­che Refe­renz auf Pea­ches, musi­ka­lisch klingt das aber mehr nach Lucy Dacus, Phoe­be Bridgers und sehr trau­ri­gen Lemon­heads.

11. Lou Tur­ner – I’ve Got The O’s
Algo­rith­men hin oder her: Die wich­tigs­te Quel­le, um neue Musik zu ent­de­cken, ist für mich immer noch „All Songs Con­side­red“ von NPR. Und wenn Ann Powers dort ein Album mit Joni Mit­chell ver­gleicht und die lyri­schen Qua­li­tä­ten der ers­ten Zei­le („Like the bird’s nest in the Val­e­ro sign /​ I’ve been making my home in the O’s I can find“) eines Songs her­aus­ar­bei­tet, spit­ze ich sofort mei­ne Ohren: „I’ve Got The O’s“ ist ein wun­der­schö­ner, fili­gra­ner, aber auch cle­ve­rer Song, so wie das gan­ze Album „Micro­c­os­mos“ von Lou Tur­ner vol­ler wun­der­schö­ner und klu­ger Songs ist. Song und Album sind eine Medi­ta­ti­on dar­über, was „Zuhau­se“ und „unter­wegs sein“ bedeu­tet, und ich für mich muss sagen: In die­ser Musik füh­le ich mich sehr zuhau­se!

10. Bey­on­cé – Break My Soul
Über­all beka­men wir erzählt, dass die Neun­zi­ger zurück sind – dabei waren doch gleich­zei­tig auch unge­fähr alle ande­ren Jahr­zehn­te wie­der da. Bey­on­cé jeden­falls hat­te sich vor­ge­nom­men, der frü­hen House-Sze­ne ein Denk­mal zu set­zen, was ihr mit „Renais­sance“ sicher­lich auch gelun­gen ist: Es ist eines die­ser Alben, wo ich die Idee und den Auf­wand total zu schät­zen weiß, aber dann auch den­ke „Dan­ke, aber zwei‑, drei­mal Hören reicht mir irgend­wie auch!“ Die Vor­ab-Sin­gle „Break My Soul“ hin­ge­gen begeis­tert mich auch beim wie­der­hol­ten Hören – wirft sie mich doch musi­ka­lisch direkt in jene Zeit zurück, in der ich Dank der legen­dä­ren Musik­vi­deo­show „Hit-Clip“ im WDR-Fern­se­hen erst­mals Musik unab­hän­gig von mei­nen Eltern gehört habe (klar: der Song nutzt ja auch aus­gie­big ein Sam­ple aus „Show Me Love“ von Robin S aus dem Jahr 1993).

9. Maro – Sau­da­de, Sau­da­de
2007 habe ich mich erst­mals musik­jour­na­lis­tisch mit dem Euro­vi­si­on Song Con­test aus­ein­an­der­ge­setzt, 2010 war ich erst­mals vor Ort, seit 2013 beglei­te ich die­se Ver­an­stal­tung nun an der Sei­te von Dr. Peter Urban, aber erst im Jahr 2022 hat es ein ESC-Bei­trag in mei­ne Top 10 geschafft (Top 25 hat­ten wir 2017 immer­hin schon mal). Das könn­te nun ein Beweis für sehr lang­sam vor­an­schrei­ten­des Stock­holm- (oder in die­sem Fall: Turin-) Syn­drom bei mir sein, oder dafür, dass die musi­ka­li­sche Qua­li­tät (was auch immer das für ein „objek­ti­ves“ Kri­te­ri­um sein soll) beim euro­päi­schen Wett­sin­gen inzwi­schen extrem hoch ist. Maria­na Sec­ca aus Por­tu­gal, jeden­falls, hat ein wun­der­schön-trau­ri­ges Lied dar­über geschrie­ben und gesun­gen, dass sie ein bestimm­tes Gefühl der Trau­rig­keit nur mit einem mut­ter­sprach­li­chen Wort aus­drü­cken kön­ne, und das holt mich dann nicht nur auf der emo­tio­na­len Ebe­ne ab, son­dern auch auf der lin­gu­is­ti­schen.

8. Pale – New York
Pale aus Aachen hat­ten sich um die Jahr­tau­send­wen­de einen sehr soli­den Stand als Alter­na­ti­ve/E­mo/In­die-Band erspielt. 2006 erschien zuletzt neue Musik, drei Jah­re spä­ter lös­te sich die Band auf. 2019 wur­de dann bei ihrem ehe­ma­li­gen Gitar­ris­ten Chris­ti­an ein Gehirn­tu­mor dia­gnos­ti­ziert, was die Mit­glie­der auf die Idee brach­te, wie­der gemein­sam Musik zu machen. Schlag­zeu­ger Ste­phan hat­te mit einer eige­nen schwe­ren Erkran­kung zu kämp­fen, dann kam die Pan­de­mie und im Früh­jahr 2021 ist Chris­ti­an lei­der gestor­ben. Aus die­sen Ses­si­ons und Erfah­run­gen ist aber das phan­tas­ti­sche fina­le Album „The Night, The Dawn And What Remains“ ent­stan­den, auf dem die Band nahe­zu ver­schwen­de­risch mit Hym­nen um sich wirft. Ich muss­te wirk­lich lan­ge über­le­gen, was mein Favo­rit ist, habe mich dann aber für „New York“ ent­schie­den: Ein eupho­ri­sches Brett, das klingt, als hät­ten sich Jim­my Eat World und die E‑S­treet-Band in einer U‑Bahn-Sta­ti­on zu einer gemein­sa­men Jam-Ses­si­on getrof­fen. Lebens­freu­de als Trotz, die Groß­stadt als Ver­hei­ßung.

7. Liz­zo – 2 Be Loved (Am I Rea­dy)
Spä­tes­tens mit ihrem vier­ten Album „Spe­cial“ ist Liz­zo 2022 dort ange­kom­men, was ger­ne als „Pop-Olymp“ bezeich­net wird. Zu Recht, denn einen Song wie „2 Be Loved (Am I Rea­dy)“ muss man erst­mal schrei­ben! Wer da nicht zumin­dest ans Tan­zen denkt, braucht mehr posi­ti­ve Ener­gie im Leben.

6. Tay­lor Swift – Anti-Hero
Ich hat­te ehr­lich gesagt ein biss­chen Angst vor dem ers­ten Tay­lor-Swift-Album nach ihrem Dop­pel­schlag „Folklore“/„Evermore“: Die eher orga­ni­sches Lock­down-Alben aus dem Jahr 2020 waren mir so ans Herz gewach­sen, dass ich einer Rück­kehr zum „nor­ma­len“ Pop skep­tisch gegen­über stand. Nun: „Mid­nights“ ist dies­mal kein Meis­ter­werk gewor­den und ich habe ehr­lich gesagt nicht sooo viel Zeit mit dem Album ver­bracht, aber „Anti-Hero“ ist nicht umsonst Tay­lor Swifts bis­her größ­ter Hit. Ob es Absicht war, mit „It’s me, hi, I’m the pro­blem, it’s me“ direkt Meme-Mate­ri­al der höchs­ten Güte­klas­se in den Refrain zu packen? Bei Tay­lor Swift: wahr­schein­lich. Ist das ein Pro­blem? Im Gegen­teil!

5. Bülow – Play­in‘ Me Back
Seit ich vor vier Jah­ren beim Euro­so­nic Nor­ders­laag in Gro­nin­gen war, um für das inzwi­schen ein­ge­stell­te Maga­zin „JWD“ dar­über zu schrei­ben, sin­ge ich das Lob­lied auf Megan Bülow. Gebo­ren 1999 in Ber­lin ist sie im Ver­ei­nig­ten König­reich, den USA, den Nie­der­lan­den und Kana­da auf­ge­wach­sen und erreg­te schon mit 17 gro­ße Auf­merk­sam­keit mit ihrer Musik. Gera­de ist sie nach Deutsch­land zurück­ge­kehrt, aber vor­her hat sie im Früh­jahr 2022 noch ihre EP „Boo­ty Call“ ver­öf­fent­licht, die vol­ler Hits ist. „Play­in‘ Me Back“ läuft gera­de 1:49 Minu­ten und bricht an der Stel­le ab, wo man erwar­tet, dass es rich­tig los­geht, aber bis dahin ist schon so viel pas­siert, als hät­ten Beck und Feist zusam­men einen Coun­try-Song durch den Häcks­ler gedreht.

4. Janou – Rose­ma­ry
Wenn es nach mir gegan­gen wäre, wäre „Rose­ma­ry“ der Som­mer­hit des Jah­res 2022 gewor­den: laid-back, groo­vy und ein biss­chen hor­ny. (Erzäh­ler: „Es ging nicht nach ihm.“) Dass die­ser gei­le Scheiß nicht in Bris­tol, Brook­lyn oder Toron­to zusam­men­ge­schraubt wur­de, son­dern in Bochum, hat kei­nen Ein­fluss auf die Plat­zie­rung gehabt, aber: Ent­schul­di­gung, schaut mal, was hier abgeht! Wenigs­tens Dr. Peter Urban hat den Song ein­mal im Radio gespielt.

3. Anaïs Mit­chell – On Your Way (Felix Song)
Wie­der ein­mal war „All Songs Con­side­red“ der Ort, an dem ich einen Song ent­deckt habe: Schon im Janu­ar 2022 stell­te Bob Boi­len dort „On Your Way“ von Anaïs Mit­chell vor, ein Lied über ihren 2020 ver­stor­be­nen musi­ka­li­schen Weg­be­glei­ter Felix McTei­gue, und das Lied hat mich das Jahr über beglei­tet. Aufs ers­te Ohr ist es ein ein­fa­cher, klei­ner Song, der sich aber immer wei­ter aus­brei­tet und von der Lie­be zur Musik erzählt, um viel­sin­nig zu schlie­ßen: „You get one take“. Eben.

2. Phi­li­ne Son­ny – Same Light
Ich möch­te nicht zu sehr dar­auf rum­rei­ten, aber auch die­se Künst­le­rin hat im ver­gan­ge­nen Jahr den Sprung von Unna in die gro­ße Stadt Bochum geschafft, was unse­ren Ruf als Musik­me­tro­po­le ein­mal mehr unter­strei­chen dürf­te. Die ein­zi­ge Ver­bin­dung zu Her­bert Grö­ne­mey­er ist aber das Saxo­phon, das bei „Same Light“, wie auch bei „Bochum“ einen recht pro­mi­nen­ten Platz ein­nimmt (übri­gens auch bei „New York“ von Pale), womit ich für das Jahr 2022 wirk­lich nicht mehr gerech­net hät­te, aber es ist über­ra­schen­der­wei­se auch nicht schlimm. Die Musik von Phi­li­ne Son­ny, jeden­falls, klingt nach gro­ßer wei­ter Welt, nach Sur­fer Blood, The War On Drugs und Fleet­wood Mac in cool.

1. King Prin­cess – Cur­sed
Tren­nungs­songs gibt es in der Musik­ge­schich­te jede Men­ge. Songs über Freund­schaf­ten, die sich irgend­wann aus­ein­an­der­le­ben, sind aller­dings eher sel­ten – dabei ist das ein The­ma, das einen eigent­lich das gan­ze Leben lang beglei­tet: Wenn die Men­schen, mit denen man auf­ge­wach­sen ist, in ande­re Rich­tun­gen gewach­sen sind als man selbst; wenn man Kin­der bekom­men hat und bestimm­te Freund*innen ohne Kin­der mit ihrer Lebens­wirk­lich­keit plötz­lich nicht mehr zur eige­nen pas­sen oder ande­re Freund*innen zwar Kin­der haben, aber man ehr­lich gesagt weder die Kin­der noch deren Eltern sehen möch­te; aber auch im Alter, wenn sich Mit-Boo­mer durch „Welt“ und Gabor Stein­gart radi­ka­li­siert haben und mei­nen, ihre gefühl­te Frei­heit auf Auto­bah­nen ver­tei­di­gen zu müs­sen. Von solch ver­fluch­ten Freund­schaf­ten han­delt „Cur­sed“, aber vol­ler Lie­be und Respekt. und weil das dar­über hin­aus auch noch ein groß­ar­ti­ger Song mit erstaun­li­chem musi­ka­li­schen Sog ist, ist die­ser Song aus dem zwei­ten Album von King Prin­cess, „Hold On Baby“ mein Song des Jah­res 2022!

Und hier sind die 25 bespro­che­nen Songs und 50 wei­te­re: