Ich brauche irgendein Browser-Plugin, das verhindert, dass ich weiterhin Meldungen aus dem “Panorama”-Ressort von “Spiegel Online” lese. Mit Selbstbeherrschung ist es da leider nicht getan: Erst klicke ich doch wieder auf die Links mit den schwachsinnigen Überschriften und dann kriege ich wieder einen Wutanfall über den Mist, den die Seite da produziert.
Es ist ja noch nicht mal so, dass ich Boulevardjournalismus ganz grundsätzlich verdammen würde. Das “Bild”-Porträt über den Fahrer, in dessen Taxi Joachim Gauck zum Bundespräsidenten-Kandidaten wurde, ist etwa ein gutes Beispiel für gelungenen Boulevard: Ein eigentlich unspektakulärer Nebenschauplatz wird mit den Mitteln des großen Geschichtenerzählens ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, eine Fußnote so weit aufgeblasen, dass es gerade noch nicht übertrieben wirkt, und “Bild” hat dabei – soweit ersichtlich – keine Persönlichkeitsrechte verletzt. Das macht Freude und tut niemandem weh, das können sie bei “Bild” also auch, wenn sie nur wollen.
Bei “Spiegel Online” wollen sie auch ganz dringend Boulevard machen, aber sie können es nicht: Egal, ob die Leute dort nun über Prominente schreiben, die sie der eigenen Zielgruppe erst noch vorstellen müssen; ob sie Quatsch-Überschriften verwenden oder eine Mischung aus allem produzieren — die Artikel sind derart lieb-, sinn- und pointenlos zusammengestoppelt, dass ein einzelner Affe mit Google Translate eine lesenswertere Meldung vollbringen würde.
Vorgestern erwischte es Russell Brand, der der Zielgruppe in Dachzeile und Vorspann auch erst mal vorgestellt werden musst:
“Verworrenes Gedankenspiel” klingt nach Irgendwas mit Hitler, war es dann aber doch nicht:
“Gut, dass es Redefreiheit gibt. Das bedeutet, ich kann sagen, dass ich Prinz Charles sexuell attraktiv finde”, sagte Brand, wie die Zeitungen “Daily Mirror” und “Sun” übereinstimmend berichten. Zudem könne er dank der Redefreiheit sagen, die US-Präsidentschaftswahlen seien ein bedeutungsloses Spektakel, das von den Machenschaften derjenigen ablenken solle, die den Planeten kontrollieren. “Niemand kann etwas dagegen tun. Danke, Amnesty.”
Wenn “Daily Mirror” und “Sun” etwas übereinstimmend berichten, muss es natürlich auch auf “Spiegel Online” stehen. Aber gut: Da hatte Russell Brand also das gemacht, was deutsche Comedians eher selten machen — einen Witz. Witze nachzuerzählen ist schon knifflig genug, Witze zu erklären hingegen sollte sich eigentlich von selbst verbieten.
Aber wir haben ja Rede- und Pressefreiheit, also erklärte “Spiegel Online”:
Es wäre nun sicherlich falsch, Brand echte Gelüste nach dem Prinzen zu unterstellen. Schließlich wird dem 36-Jährigen nach seiner Trennung von Katy Perry eine Liaison mit der mexikanischen Malerin Oriela Medellin Amieiro nachgesagt.
Traurig, ginge aber mit viel gutem Willen noch als Schlusspointe durch. Aber leider stand ja bei “Daily Mail” und “Sun” noch mehr im Artikel. Und das musste auch noch mit, zur Not eben als letzter Absatz:
Hintergrund von Brands Aussage: Er wird beim The Secret Policeman’s Ball am 4. März in New York auftreten, einer traditionsreichen Benefiz-Gala zugunsten von Amnesty International. Laut “Sun” wird die Veranstaltung zu ihrem 50-jährigen Bestehen erstmals außerhalb Großbritanniens stattfinden.
Die gute Nachricht: Den vierten Absatz erreichen die wenigsten Leser wach oder lebendig.
Heute nun liefert der selbe Autor diese Sensationsmeldung ab:
Um die … äh: Pointe gleich vorwegzunehmen: Bei dem pinkfarbenen Handy handelte es sich “offenbar” nicht um das von Frau Bonham Carter.
Nach der Verleihung posierte die Schauspielerin der Zeitung zufolge für Fotografen. Die entdeckten in Bonham Carters Hand ein pinkfarbenes Mobiltelefon mit Hasenohren, das offenbar eher Nell als Bonham Carter selbst gehörte. Ob das Handy während der Zeremonie losgegangen sei, wollten die Fotografen wissen. “Nein”, witzelte die Schauspielerin, “aber die Vierjährige.”
Das Telefon war zwar selbst der “Daily Mail” nur eine Erwähnung am Rande wert gewesen, aber für “Spiegel Online” kann man natürlich schon mal den Aufhänger des Artikels daraus machen — gerade, wenn man eine achtteilige Bildergalerie dazu packen kann.
Nur ein Foto von dem verdammten pinken Handy, das gibt es natürlich nicht.