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Eis, Wurst und Käse

Um ehr­lich zu sein, hat­te ich bis gera­de nicht gewusst, dass es in Bochum ein mit­tel­stän­di­sches Unter­neh­men namens Wurst-König gibt (es gibt halt nur eine Cur­ry­wurst – welt­weit). Nun weiß ich es, eben­so wie, dass es in Bochum eine Nach­wuchs-Punk­band namens Erd­beer­eis gibt. Und die bei­den haben ein Pro­blem mit­ein­an­der.

Erbeer­eis haben offen­bar einen Song namens „Wurst-König“ – oder bes­ser: hat­ten, denn die Anwäl­te des Unter­neh­mens haben von der Band eine Unter­las­sungs­er­klä­rung ein­ge­for­dert.

Die Band stell­te ges­tern die­se rüh­rend hilf­lo­se Erklä­rung online:

Ich ken­ne den Song nicht, ver­traue aber auf das Urteil, das Ste­fan Lau­rin bei den „Ruhr­ba­ro­nen“ gefällt hat:

Das sich Wurst-König dar­über auf­regt, kann ich gut ver­ste­hen. Der übli­che Tier­recht­ler­schwach­sinn inklu­si­ve Tier-KZ und Belei­di­gung. Tiefs­tes Peta-Niveau. Geht nicht. Aber sei­en wir mal ehr­lich: Das sind Kin­der. Und das Argu­ment mit dem 35.000 Euro Scha­den ist Quatsch.

Wer schon mal das zwei­fel­haf­te Ver­gnü­gen sol­cher­lei juris­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen hat­te, weiß, dass die Höhe sol­cher angeb­li­chen Scha­dens­sum­men vor allem von zwei Fak­to­ren abhängt: der Vor­stel­lungs­kraft eines Anwalts und den Tas­ten, die sei­ne Tas­ta­tur so her­gibt (wahl­wei­se auch das Wet­ter in der letz­ten Voll­mond­nacht). 35.000 Euro Scha­den erschei­nen ent­spre­chend will­kür­lich bei etwa 800 bis 900 Views bei You­Tube und MySpace – zumal jugend­li­che Punk­fans (beson­ders die, die auch noch Vege­ta­ri­er oder Vega­ner sind) jetzt eher nicht als poten­ti­el­le zah­lungs­kräf­ti­ge Kun­den einer Metz­ge­rei gel­ten dürf­ten.

Wurst-König-Geschäfts­füh­re­rin Iris Rach hat den „Ruhr Nach­rich­ten“ erklärt, war­um sie glaubt, dass sie so han­deln muss­te:

„Es wur­de nicht nur der Name benannt, son­dern auch Bil­der aus unse­ren Filia­len im Video gezeigt“, betont Iris Rach. Mit­ar­bei­ter sei­en auf den Bil­dern not­dürf­tig mit einem Bal­ken unkennt­lich gemacht wor­den. Für eine Anony­mi­sie­rung reicht dies nicht. „Ich sah mich gezwun­gen etwas zu unter­neh­men“, so Rach.

Ein Gespräch mit der Band habe es nicht gege­ben. „Ich konn­te kei­nen Kon­takt her­stel­len“, sagt die Geschäfts­füh­re­rin. Eine Adres­se oder eine kon­kre­te Ansprech­per­son ist weder auf You­Tube noch auf der band­ei­ge­nen MySpace-Sei­te zu fin­den. Die Unter­neh­mens­lei­tung habe sich gezwun­gen gese­hen, einen Anwalt ein­zu­schal­ten. „Ich hät­te gern einen ande­ren Weg gewählt“, sagt Rach.

Die gan­ze Situa­ti­on ist ein arges Dilem­ma: Die Empö­rung von Wurst-König ist sicher­lich ver­ständ­lich, der poten­ti­el­le Scha­den aber eher ein theo­re­ti­scher. Das mit der Kon­takt­auf­nah­me ist sicher auch blöd gelau­fen, denn es gibt bei You­Tube und MySpace (die Älte­ren wer­den sich erin­nern) zwar soge­nann­te „Kontakt“-Buttons, die einem die Kon­takt­auf­nah­me mit den Pro­fil­be­trei­bern ermög­licht – aber blö­der­wei­se nur, wenn man dort selbst einen Account hat. Da ist der Anruf beim eige­nen Anwalt deut­lich weni­ger auf­wen­dig.

Bei den „Ruhr­ba­ro­nen“ schreibt Ste­fan Lau­rin vom „Strei­sand-Effekt“ und in der Tat dürf­ten jetzt schon mehr Men­schen von dem Song gehört haben, als ihn jemals zu Gehör bekom­men haben. Nun ist die Fir­ma nicht gegen die Ver­brei­tung wah­rer Tat­sa­chen vor­ge­gan­gen, son­dern gegen ein Schmäh-Lied, was den Ver­gleich mit Strei­sand etwas schief erschei­nen lässt. Natür­lich ist es denk­bar, dass sich ein Inter­net­mob noch auf Wurst-König ein­schie­ßen könn­te – immer­hin wur­den in den Kom­men­ta­ren bei den „Ruhr-Baro­nen“ ers­te Boy­kott-Auf­ru­fe laut. Und gera­de, als ich schrei­ben woll­te, dass einem regio­nal täti­gen Metz­ger die Empö­rung im Inter­net auch egal sein kön­ne, fiel mir auf, dass ihm dann auch das ver­un­glimp­fen­de Lied hät­te egal sein kön­nen. Es ist, wie gesagt, ein arges Dilem­ma.

Die „Ruhr Nach­rich­ten“ berich­ten, dass die Wurst-König-Geschäfts­füh­re­rin kei­ne wei­te­ren recht­li­chen Schrit­te gegen die Band ein­lei­ten wol­le:

Mit dem Löschen der Vide­os sei der Fall für sie erle­digt. Die Anwalts­kos­ten müss­ten die Jungs von Erd­beer­eis aber zah­len.

1.099 Euro (die Höhe der Anwalts­kos­ten rich­tet sich in der Regel nach der Höhe der ange­setz­ten Scha­dens­sum­me) sind viel Geld für fünf Jugend­li­che. Da die Mit­glie­der öfter in der Bochu­mer Fuß­gän­ger­zo­ne musi­zie­ren, wer­de ich ihnen dort dem­nächst mal einen Schein in den Hut wer­fen und mit väter­li­chem Blick „Aber das macht Ihr nie wie­der, ne?“ sagen. Und bei Wurst-König wer­den sie sich womög­lich von ihren „Ruhr Nach­rich­ten“ lesen­den Kun­den fra­gen las­sen müs­sen, ob das denn wirk­lich nötig war.

Ich selbst bin ganz froh, dass es zu mei­ner Punk­band-Zeit noch kein Inter­net gab.

Nach­trag, 23.25 Uhr: Inzwi­schen wur­de auch das Video, in dem die Band über die Anwalts­post spricht, von ihr wie­der ent­fernt. Kei­ne Ahnung, was da jetzt wie­der los war.