Ich habe all das, was zu Bob Dylans siebzigstem Geburtstag gesendet, gesungen und geschrieben wurde, nicht sehen, hören, lesen wollen — und bin doch einigermaßen zuversichtlich, den schlechtesten Beitrag zum Thema gefunden zu haben: Er lief im Rock’n’Roll-Magazin “Brisant” im ARD-Vorabend und wenn Dylan davon Wind bekäme, würde er die Verantwortlichen schärfer angreifen als die Adressaten in “Masters Of War”.
Der Moderator erklärt zunächst mal, dass sich dieser Bob Dylan “im Laufe der Jahre zu einem eigenwilligen, aber genialen Rock-Poeten entwickelt” habe. Logischer wird’s anschließend nicht mehr.
Schon der erste Satz des Beitrags lässt sich nicht von Raum und Zeit beirren:
“Like A Rolling Stone” ist zum besten Rocksong aller Zeiten gekürt worden und Sänger Bob Dylan ist Mitte der Sechziger Jahre ein Halbgott.
Doch weg von den Göttern, hinab in die Hölle: Musikmanager Thomas M. Stein habe Dylans Werk “analysiert”, erklärt die Sprecherin, doch bevor wir erfahren, wie es klingt, wenn Thomas M. Stein etwas analysiert, erfahren wir erst mal, wie es aussieht, wenn Thomas M. Stein etwas signiert — zum Beispiel sein eigenes Hörbuch, das bei ihm dekorativ und in mehrfacher Ausfertigung auf dem Schreibtisch liegt:
Dylan sei deswegen ein Mythos, erklärt Stein (nachdem er zunächst “war” gesagt hatte, aber vielleicht hat er auch nur darauf spekuliert, dass sein O-Ton dereinst in den Nachrufen noch mal wiederverwendet wird), weil er “wunderbare Lieder, wunderbare Texte” geschrieben habe. Denn eine schöne Stimme habe der Mann ja nun wahrlich nicht.
Nur: Er hat eine ganze Generation bewegt. Vergessen Sie nicht Woodstock, das sind legendäre Auftritte, die Bob Dylan gemacht hat. Damals nur mit der Klampfe und mit der Gitarre, ohne großen Background, währenddessen andere schon rockmäßig weiter – Rolling Stones und Santana, wie sie alle hießen – schon mit großem Orchester gereist sind, hat er sich sehr stark zurückgehalten.
Was Thomas M. Stein bei seiner Analyse des Leben ‘n’ Werk Bob Dylans offenbar entgangen ist: Dylan ist beim Woodstock Festival gar nicht aufgetreten (die Rolling Stones übrigens auch nicht und Carlos Santana nicht mit Orchester).
Weiter Thomas M. Stein:
Er hat später einen Knick bekommen in der Karriere, lustigerweise, weil er von der normalen Akustikgitarre zur elektrischen Gitarre übergegangen ist. Das haben ihm die alten Fans übel genommen.
Ja, übel genommen haben sie’s ihm, aber nicht “später”, sondern beim Newport Folk Festival 1965 — mehr als vier Jahre vor Woodstock.
Aber gehen wir doch noch ein paar Schritte zurück in die Geschichte:
Hier in Minnesota, USA kommt Robert Allen Zimmerman 1941 zur Welt.
Nun ist “hier in Minnesota” eigentlich ein bisschen unpräzise, weil der Staat mit 225.000 Quadratkilometern fast so groß ist wie die Bundesrepublik ohne DDR, aber zum Glück kann man das ja bildlich etwas präzisieren:
Irgendwo entlang dieser Straße, also.
Doch es kommt noch schlimmer. Viel schlimmer, als sich die kranken Köpfe hinter “Saw”, “Hostel” und “Final Destination” es sich jemals hätten ausdenken können.
Auftritt Bernhard Brink.
Den Schlagersänger, der “in einem anderen Genre zuhause ist”, hat das ARD-Team offenbar in seinem Lieblingsweinlokal angetroffen, wo er von der “großen Zeit der APO, Ende der Achtensechziger, in der großen Protestzeit” schwärmen darf. Er habe sich selbst “auch ‘n Playback besorgt von dem Klassiker, hier”, dessen Titel Brink offenbar nicht mehr einfallen will, was er aber charmant mit einer eigenen Interpretation von “Blowin’ In The Wind” übergeht.
So schlimm ist dann wiederum Bernhard Brinks Gesangseinlage nicht — zumindest, wenn man sie mit den zusammenhanglosen Sätzen vergleicht, die jetzt wieder aus dem Off blubbern:
Doch Bob Dylan will sich vor keinen Karren spannen lassen; nicht für die Friedensbewegung, nicht für die Musikindustrie. Daran ändert auch seine Liebe zu Sängerin Joan Baez nichts. Interviews gibt er selten — und wenn, dann kurz und schmerzhaft.
Man könnte annehmen, die “Brisant”-Leute hätten sich Joan Baez hier als eine Art Karren gedacht, wenn es nicht keinen Grund gebe, anzunehmen, dass sie sich irgendetwas gedacht haben.
Es folgt ein kurzer Ausschnitt, in dem sich ein sehr junger Bob Dylan über eine sehr dumme Interview-Frage echauffiert, dann geht der überraschende Einsatz von Konnektivpartikeln weiter:
Dennoch: Von den zehn besten Schallplatten der Popgeschichte stammen zwei von Bob Dylan.
Bis hierhin ist es ein peinlicher, ahnungsloser Beitrag. Doch jetzt wird der Jubilar nicht mehr nur von Schlagerbarden besungen, jetzt werden ihm haltlose Vorwürfe gemacht:
Ohne ihn hätte es die deutsche Rockband BAP womöglich nie gegeben.
Natürlich! Wenn in Deutschland alle Dylanologen abgesagt haben mit dem Hinweis, für solche Quatschformate würden sie nicht den Hampelmann machen, dann gibt es immer noch Wolfgang Niedecken, den “Dylan der Südstadt”, von dem man einen kurzen O-Ton kriegt.
Dann spricht wieder die Boulevard-Fernseh-Tante:
Der Mensch Dylan aber bleibt praktisch unsichtbar: Niemand weiß genaues über seine vier Kinder, das Scheitern seiner ersten Ehe, wenig über seine Drogensucht.
Das “aber” hat natürlich wieder keine logische Funktion und tatsächlich gibt es über zwei der vier Dylan-Kinder nicht mal Wikipedia-Einträge, aber als Regisseur von “American Pie 3” bzw. als Sänger der Wallflowers sind Jesse und Jakob Dylan dann doch irgendwie mal so ein bisschen in Erscheinung getreten.
Doch zurück zu Bob und dessen Schaffen, das Thomas M. Stein wie folgt zusammenfasst:
Er hat gezeigt, dass man neben “Lala” auch noch was anderes singen kann.
Das hätte nicht mal der Graf von Unheilig verdient.
[via Ralf]